Drittes Kapitel.

Söldner.

[134] Im Perserkriege bestehen die hellenischen Heere aus Bürgeraufgeboten; als der Peloponnesische Krieg zu Ende geht, ist dem nicht mehr so.

Das allgemeine Bürgeraufgebot, der Auszug »πανδημεί«, war immer nur sehr selten gewesen. Für gewöhnlich wurde beschlossen, ein Heer oder eine Flotte von bestimmter Stärke auszuschicken, und die Aushebung für diesen Zweck werden wir uns in Athen etwa folgendermaßen vorzustellen haben. Die Bürgerschaft war eingeteilt in zehn Phylen, und jede von diesen zerfiel in drei Trittyen, eine städtische, eine an der Küste, eine im Binnenland, die wiederum mehr oder weniger Demen umfaßten. Auf diese wurde die zu stellende Mannschaft repartiert und hätte nun der Regel nach abwechselnd von den Verpflichteten gestellt werden müssen. Ein solcher regelmäßiger Wechsel hätte aber zu schweren Ungleichmäßigkeiten geführt. Die einzelnen Expeditionen waren von sehr verschiedener Länge und Beschwerlichkeit; der Hoplitendienst, den die Wohlhabenderen zu leisten hatten, sehr viel seltener als der Flottendienst. Die kurzen Feldzüge der älteren Zeit hatten die Bürger aus eigenen Mitteln bestritten und waren dadurch nicht gar zu sehr in ihrem Berufs- und Erwerbsleben gestört worden. Die langen, oft überseeischen Kriege hatten ganz andere Verhältnisse geschaffen. Um längere Feldzüge zu ermöglichen, hatte man angefangen, Sold, und zwar einen sehr reichlichen, zu zahlen.65 Die Mittel brachten die athenischen Bundesgenossen auf,[134] die dafür vom Kriegsdienst frei oder wenigstens viel geringer belastet66 waren. Die athenischen Bürger taten den Kriegsdienst für sie, und eben dadurch hatten sie eine so sehr große Kriegstüchtigkeit erlangt. Obgleich die Bürger blieben, hatten sie doch bis auf einen gewissen Grad die Eigenschaften von Berufssoldaten angenommen und waren sich dessen auch voll bewußt. Vor der ersten Schlacht vor Syrakus erinnert ihr Feldherr Nikias sie daran, daß sie ganz andere Krieger seien, als das Bürgeraufgebot ihrer Gegner.67 Wenn daher in Athen ausgehoben werden sollte für einen Feldzug, so werden wir annehmen dürfen, meldeten sich für den Flottendienst stets genügend Freiwillige, Athener oder Fremde, oder es wurden Sklaven genommen. Eine besondere Liste der zum Seedienst Verpflichteten ist allem Anschein nach gar nicht geführt worden. In Notfällen wurden alle eingestellt, die gerade abkömmlich waren.68 Mit dem Hoplitendienst war es etwas anderes; dieser war ja nicht bloß eine persönliche, sondern auch eine Steuerleistung, da der Hoplit seine kostbare Rüstung selbst zu beschaffen hatte. Zum Hoplitendienst wurde deshalb eingeschätzt und über die Leistungsfähigen eine Musterrolle, der »Katalog« geführt, neben der allgemeinen Bürgerliste. Trotzdem werden wir annehmen dürfen, daß es nicht so gar schwer war, wenn man nicht selbst ausziehen wollte, einen Ersatzmann zu finden69, und der Staat[135] konnte gegen eine geeignete Stellvertretung nichts einzuwenden haben. Er schonte dadurch die Bürger in ihrer regelmäßigen Erwerbstätigkeit, und die militärische Tüchtigkeit brauchte unter dem Austausch nicht zu leiden, sondern konnte noch gewinnen. Ohnehin war der Hoplitendienst ja selbst seinem Begriff nach kein streng persönlicher, sondern das Haus stellte einen Mann mit seinem Burschen. Von je wird es da für eine interne Sache der Familie gegolten haben, ob der Vater oder der Sohn, der eine Bruder oder der andere oder statt dessen auch einmal ein entfernterer Verwandter oder ein Nachbar die Hoplitenrüstung anzog und den Dienst übernahm. Um das Hoplitenaufgebot noch verstärken zu können, hielt auch der Staat bei Ausbruch des Peloponnesischen Krieges Rüstungen und stattete eine Anzahl Theten damit aus.70 Wenn für die sizilische Expedition 1500 Hopliten aus dem Katalog und 700 Theten-Hopliten eingeschifft wurden, so haben sich entweder nicht mehr als 1500 aus den oberen Klassen für den Feldzug gemeldet, oder, noch wahrscheinlicher, man wollte nicht so viele bemittelte Bürger so weit fortschicken, nahm nicht mehr als 150 aus jeder Phyle an und bewaffnete außer ihnen noch 700 Theten, die sich ebenfalls freiwillig meldeten, auf Staatskosten.

Der Flottendienst ist also in Athen, abgesehen von den Auszügen πανδημεί, schon bald nach den Perserkriegen ein reiner Söldnerdienst geworden, und allmählich wandelte sich auch der Hoplitendienst im Laufe des Peloponnesischen Krieges mehr und mehr in einen solchen um.[136]

Die analoge Entwicklung vollzog sich bei den andern Staaten. In den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges taten die Verbündeten in der Hauptsache nichts anderes, als daß sie mit Zweidrittel ihrer Bürger-Hopliten in Attika einfielen, das Land einige Wochen plünderten und verwüsteten und wieder heimzogen. Bald stellte sich heraus, daß man auf diese Weise Athen nicht mürbe mache, und endlich zog der Spartaner Brasidas mit einem Heer nach Thracien, um Athen in seinen Kolonien und Bundesstädten zu bekämpfen. Dieses Heer konnte nicht mehr aus Bürgern bestehen, die sich für einige Zeit ihrem Erwerb entzogen und selbst verpflegten. Es bestand aber nicht etwa aus Spartiaten, deren Stolz von je gewesen war, daß sie keinen bürgerlichen Beruf hatten, sondern ausschließlich Krieger waren. Ein solcher Feldzug in die Ferne mit der Hälfte oder auch nur einem Viertel der spartiatischen Waffenfähigen (und das wären ja nicht mehr als 500-600 Mann gewesen) widersprach durchaus dem Charakter des Staatswesens und der Sinnesweise der Spartaner. Man hob vielmehr robuste leibeigene Bauernsöhne, Heloten aus und exerzierte sie als Hopliten ein. Natürlich mußte man ihnen Verpflegung und auch einen gewissen Sold geben, um sie an die Fahne zu fesseln. So gelangt Sparta durch die inneren Notwendigkeiten der Kriegführung ganz auf dieselben Bahnen wie Athen.

1. Von den Argivern berichtet Thucydides V, 67, daß sie neben dem allgemeinen Aufgebot eine Elite-Schar von 1000 Mann hatten, die auf Staatskosten besonders ausgebildet waren (᾽Αργείων οἱ χίλιοι λογἄδες, ιἷς ἡ πολις ἐκ πολλοῦ ἄσκησιν τῶν ἐς τὸν πόλειμον δημοσίᾳ παρεἶχε). Vermutlich waren diese 1000 nicht bloß besonders ausgebildet, sondern mußten auch bereit sein, die weiteren Expeditionen zu übernehmen, die von Zeit zu Zeit erforderlich waren und den gemeinen Bürger zu sehr aus seiner Beschäftigung gerissen und wirtschaftlich geschädigt hätten. Dafür erhielten sie einen regelmäßigen Sold.

2. Als Agesilaus in Asien 391 Reiterei gebraucht, hebt er dazu die reichen kleinasiatischen Griechen aus und erlaubte ihnen, Ersatzmänner zu stellen. Xen. Hell. III, 4, 15.

3. Der Übergang zum Söldnertum verwischte in Athen natürlich auch die alte Klassen-Einteilung. Schon Perikles in seiner Rede v. J. 431 nimmt auf diese Einteilung keine Rücksicht mehr, da ja der Staat die Theten, die dazu selber nicht vermögend waren, ausrüstete. A potiori aber galt im Volksmunde noch der Satz, daß die Bürger der untersten Klasse[137] »οὐκ ἐστρατεύοντο«. USENER in den »Jahrb. f. klass. Philol.« 1873 p. 162 meint, daß im Jahre 412 die Schranke definitiv gefallen sei; die Rede des Lysias über die Wiederherstellung der Demokratie zeige, daß damals der Hoplitendienst der Theten natürlich war, während bei der Aufführung von Aristophanes' »Schmausern« i. J. 427 das noch nicht so aufgefaßt wurde.

4. Buch I, Kap. 2 haben wir festgestellt, daß uns Thucydides in der Rede des Perikles die Zahl der athenischen Bürger und der Metöken-Hopliten, aber nicht die der Metöken-Nichthopliten mitteilt. Wir sehen jetzt, daß für Thucydides dazu in der Tat kein Grund vorlag. Die Metöken-Nichthopliten kamen für das athenische Kriegswesen nur in Betracht als Rudermannschaft, die man auch aus Sklaven ergänzen konnte. Wenn auch über alle Metöken eine Liste geführt wurde, so waren die Ärmeren unter ihnen doch eine zu flottierende Masse, um zur Substanz des Staates gerechnet zu werden. Diejenigen, die wohlhabend genug waren, zum Hoplitendienst eingeschätzt zu werden, waren aber durch ihren Wohlstand auch enger mit dem Staat Athen verknüpft und werden deshalb mitgezählt.[138]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 134-139.
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