Bemerkenswerte Gefechte dieser Periode.

[144] 3. Bei Kunaxa ist zunächst wie bei allen Perserschlachten die Zahlen-Amputation vorzunehmen. Die Griechen hatten sich so sehr in die Vorstellung, daß Perserheere entsprechend der Größe des Reiches riesenhaft sein müßten, hineingelebt, daß selbst ein nüchterner, klarer Kopf und praktischer Soldat wie Xenophon wie hypnotisiert die üblichen Fabeln nachspricht. Artaxerxes soll bei Kunaxa vier Armeekorps von je 300000 Mann gehabt haben, von denen drei zur Stelle waren79. Selbst die 100000 Mann, die Cyrus außer den 13000 Griechen bei sich gehabt haben soll, unterliegen, wie schon L. HOLLAENDER (Beilage z. Jahresber. d. Domgymnasiums zu Naumburg 1793) nachgewiesen hat, begründeten Zweifeln. Vermutlich war es nur ein ziemlich unbedeutendes Korps.

In der Schlacht warfen sich die Persischen Reiter unter Tissaphernes auf die griechischen Peltasten, die neben der Hopliten-Phalanx standen. Die Peltasten wichen der Attacke aus, ließen die persischen Reiter durch und beschossen sie bei ihrem Durchjagen von beiden Seiten. An die Phalanx selbst wagten sich die Reiter nicht, obgleich sie sie jetzt von hinten, und nachdem die Perser des Cyrus die Flucht ergriffen, auch aus der Flanke, wo diese gestanden, hätten angreifen können. Die Griechen besorgen einen solchen Angriff und wollen deshalb ein Manöver machen, das ihnen Rücken und Flanke gedeckt hätte, nämlich sich mit dem Rücken gegen den Euphrat aufstellen, der bisher in ihrer rechten Flanke gewesen war. Sie hätten also eine volle Viertelschwenkung machen müssen, eine Bewegung, die für eine aufmarschierte lange Linie überaus schwierig auszuführen ist. Die Ausführung, deren Modalität für uns nicht erkennbar ist80, scheint jedoch unterblieben zu sein.[145]

Die Perser sammelten sich in ihrer alten Stellung, und die Griechen gingen – sei es nun, daß die Perser mit einem Angriff drohten oder nicht81 – noch einmal auf sie los und warfen sie. Vermutlich haben die Perser dieses zweite Gefecht nicht mehr ernsthaft durchgeführt, weil ihre Infanterie bereits das Schlachtfeld verlassen hatte. Andernfalls wäre es nicht zu erklären, weshalb die Reiterei den Griechen nicht in die Flanke fiel.

Man erkennt, wie sehr sich die Verhältnisse gegen Marathon und Platää geändert haben. Die griechische Phalanx, aus Söldnern mit Berufsoffizieren bestehend, hat einen sehr viel festeren Zusammenhalt, als die athenische Bürgermiliz; entsprechend diesem Bewußtsein und der moralischen Überlegenheit, welche die Ereignisse des Jahrhunderts den Griechen gegeben hatten, geht diese mit viel größerem, die Perser mit ebensoviel geringerem Selbstvertrauen in den Kampf; endlich wird die Phalanx durch eine vortreffliche Hilfstruppe mit Fernwaffen unterstützt. So ist das griechische Fußvolk jetzt imstande, mit den Persern im freien Felde zu schlagen.

Alles das erklärt auch die Möglichkeit des Rückzuges. Die Perser hätten die Griechen wohl überwältigen können, aber sie werden gewünscht haben, ihr Blut zu sparen, und hofften, daß die Griechen ohne ihr Zutun in den Karduchischen Bergen zugrunde gehen würden. Eine positive Überlegenheit der griechischen Infanterie über die persischen Reiter folgt daraus nicht. Auch die 50 Mann, die die Griechen beritten machten, können die Perser nicht so zurückgeschreckt haben. Xenophon selbst erzählt, Hell. III, 4, 15, wie schon oben angeführt, daß Agesilaus in dem Kriege gegen Tissaphernes Reiterei als unentbehrlich erkannte, wenn er sich gegen die Perser im freien Felde behaupten wollte.

Dr. MARIE PANCRITIUS, Studien über die Schlacht bei Kunaxa (Berlin, Alex. Dunker 1906) widerlegt mit Glück manches Verkehrte, was von Gelehrten neuerdings über Xenophon und die 10000 gesagt worden ist, fördert jedoch nicht die Einsicht in die strategischen und taktischen Zusammenhänge, da sie von falschen Voraussetzungen ausgeht.

4. Xenophon, Hell. III, 4, 23, erzählt von einem Gefecht des Agesilaus gegen persische Reiterei. Er wollte seine eigene, offenbar schwächere Reiterei mit seinem Fußvolk unterstützen. Zu dem Zweck schickte er die zehn jüngsten Jahrgänge der Hopliten vorauf, dann die Peltasten und dann das Gros der Phalanx. Der Sinn dieser Trennung ist, daß nicht bloß Peltasten, sondern gleich Hopliten an die feindlichen Reiter heran sollen, und da das Gros der Phalanx mit vielen älteren Leuten dazu zu schwerfällig ist, werden die Jüngeren, die das Laufen länger aushalten können, voraufgeschickt.[146]

5. Über die Schlacht bei Korinth, 394, haben wir zwar eine Darstellung Xenophons (Hell. IV, 2) und einige andere Nachrichten, sie genügen aber nicht für ein wirkliches Verständnis. Auf beiden Seiten siegt der rechte Flügel, indem er den feindlichen linken vermöge des Rechtsziehens überragt und in der Flanke faßt. Die Lacedämonier schwenken darauf mit ihrem siegreichen Korps nach links und schlagen die feindlichen Kontingente, die von der Verfolgung zurückkommen, eins nach dem anderen.

Hiernach müßte man also annehmen, daß die treffliche Disziplin und Ordnung der Spartaner, die sich nach dem Siege nicht auflöste, und das schwierige Manöver einer Viertelschwenkung (mit 6000 Mann) ermöglichte, den Ausschlag gegeben habe. Es bleibt aber noch vieles dunkel.

Nach Xenophon hätten die verbündeten Korinther, Böotier, Athener 1550 Mann Reiterei, die Lacedämonier nur 600, jene überdies eine Überlegenheit an Leichtbewaffneten gehabt. Wie war es möglich, daß die lacedämonischen Hopliten den Athenern in die Flanke schwenkten, wenn hier eine überlegene Reiterei mit überlegenen Leichtbewaffneten stand? Nach einer Bemerkung in Platos Menexenos (zitiert bei Grote) sollen die Athener ihre Niederlage dem schlechten Terrain (χρησαμένων δυσχωρίᾳ) zugeschrieben haben. Vielleicht erklärt dies das Nichteingreifen der Reiter – aber weshalb schlug man auf einem Terrain, wo man die Überlegenheit der Reiterei nicht ausnutzen konnte?

Nach Xenophon sollen die Verbündeten ferner 24000, die Spartaner nur 13500 Hopliten gehabt haben. Ihren ersten Teilsieg erfochten die letzteren mit 6000 Mann über 3600 (6 Phylen) Athener, während ihr übriges Heer, mit Ausnahme eines kleinen Kontingents, geschlagen wurde. Es standen also nun den 6000 siegreichen Lacedämoniern 20400 siegreiche Gegner gegenüber – und diese sollen alle nacheinander besiegt worden sein. Das klingt doch, besonders wenn wir uns auch noch der Reiterei erinnern, von der wir nicht wissen, wo sie geblieben ist, recht unwahrscheinlich. Ersehen wir nun gar aus Diodor (XIV, 82, 83), daß eine andere Überlieferung beiden Parteien gleichmäßig 500 Reiter, den Spartanern aber 23000 Mann zu Fuß gegen 15000 gab, so ist es am besten, sich zu bescheiden, daß wir von dem Verlauf dieser Schlacht zu wenig Sicheres wissen, um ihre Einzelheiten zu analysieren.

6. Einige Wochen nach der Schlacht bei Korinth mußte das dort geschlagene Heer von neuem ins Feld, um dem aus Asien heranziehenden Agesilaus den Weg bei Koronea zu verlegen. Diesmal waren, auch nach Xenophon, die Kräfte ziemlich gleich; von der Tätigkeit der Reiter und Leichtbewaffneten erfahren wir wiederum nichts, und wieder siegt auf beiden Seiten der rechte Flügel. Im Unterschied aber von der voraufgehenden Schlacht nehmen jetzt die beiden siegreichen Flügel, sich gegeneinander wendend, das Gefecht regelrecht auf und fechten es mit der größten Hartnäckigkeit durch. Die Thebaner drängten schließlich die Soldaten des Agesilaus bei Seite und erkämpften sich auf diese Weise den Rückzug, hatten aber sehr großen[147] Verlust erlitten. Xenophon sagt, die Schlacht sei »οἵα οὺκ ἄλλη τῶν γ᾽ἐφ᾽ ἡμῶν« gewesen. Das wird auf die ungewöhnliche Kraft der Durchführung des zweiten Gefechtes zu beziehen sein, da sonst bei dem Zusammenprall der Phalangen meist der eine Teil sofort nachzugeben pflegte. Im »Agesilaus« ist geschildert, wie man am anderen Tage die Erde mit Blut getränkt, die Toten, Freund und Feind beieinander, zertrümmerte Schilde, zerbrochene Spieße, die entblößten Schwerter auf der Erde, in den Körpern, noch in den Händen gesehen habe.

7. Hellenika IV, 2, 5, setzt Agesilaus einen Preis aus für »ὅστις εὐοπλότάτον λόξον ἔχων συστρα τεύετο καὶ ὁπλιτῶν καὶ τοξοτῶν καὶ πεγταστῶν«.

K. HARTMANN, Über die Taktik des Arrian (Progr. Bamberg 1895) S. 16 faßt das als einen aus den drei Waffengattungen kombinierten Lochos auf. Das ist schwerlich richtig. Es wird sich um je einen Lochos jeder Waffe handeln.[148]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 144-149.
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