Drittes Kapitel.

Schlacht bei Issus[185] 95.

Die Schlacht bei Issus wird in der strategisch merkwürdigen Situation geliefert, daß die beiden feindlichen Heere durch verschiedene Pässe desselben Gebirges erst aneinander vorbeimarschiert sind, dann beide umkehren und nun die Schlacht mit verkehrter Front schlagen. Alexander war um den innersten Winkel des Mittelmeeres, die Bai von Iskanderun (Alexandrette), da wo man von Kleinasien nach Syrien umbiegt, herummarschiert, etwa einen Tagemarsch nach Süden vorgerückt und nahm nun umkehrend die Front nach Norden. Darius hatte hinter ihm, von Osten kommend, das Amanus-Gebirge überschritten, stand in der Strandebene von Issus und nahm die Front nach Süden. Alexanders Heer war wohl annähernd ebenso stark wie am Granikus, da erheblicher Nachschub die Verluste ersetzt und die vielfältigen Garnisonen, die man hatte in Kleinasien zurücklassen müssen, ausgeglichen hatte.

Das persische Heer kann nicht so sehr zahlreich gewesen sein, da es, noch dazu mit dem großen Troß des persischen Hofes,[185] sich in Raum und Zeit ganz analog dem macedonischen Heere durch die Gebirgspässe hindurchgezogen hatte. Wenn unsere Quellen von 30000 griechischen Söldnern sprechen, die in dieser Schlacht für den persischen König gefochten hätten, so ist diese Zahl nicht nur gänzlich unverbürgt, sondern auch unglaubwürdig. Von den Söldnern am Granikus hatten sich nur wenige gerettet, und wenn auch die persische Flotte noch im ägäischen Meere war und die Griechen gegen die macedonnische Herrschaft aufzuwiegeln suchte, auch die Statthalter ihre griechischen Söldner dem Darius zuschickten,96 so ist doch nicht abzusehen, wo ihrer 30000 Mann hätten herkommen sollen. Daß alle griechischen Staaten außer Sparta im Bunde mit Alexander standen und in feierlichster Form der Nationalkrieg gegen die Perser proklamiert war und die Bundesversammlung jeden Hellenen, der gegen den Bund und den König von Macedonien die Waffen tragen würde, für einen Verräter erklärt hatte, das alles war für die Anwerbung doch jedenfalls eine Erschwerung, selbst in den Staaten, die bereits wieder mit den Persern verhandelten, und ganze Flotten hätten endlich bereit stehen müssen, um die Angeworbenen nach Syrien zu bringen, was weder überliefert noch anzunehmen ist.

Die griechische Infanterie des Darius kann also unmöglich so sehr zahlreich gewesen sein. Dagegen darf man vermuten, daß hier, so viel näher dem Mutterlande, die Nationalperser, Reiter wie Fußbogner, und etwaige Kontingente der innerasiatischen Völker viel stärker waren als am Granikus. An Reiterei mögen also die Perser den Macedoniern überlegen gewesen sein; an Infanterie gewiß schwächer, besonders insofern die Waffengattungen anders verteilt waren; die Hopliten, obgleich neben den hellenischen auch kardakische genannt werden, weniger, der Bogner mehr auf seiten der Perser.97[186]


3. Kapitel. Schlacht bei Issus

Entsprechend diesem Kräfteverhältnis nahmen die Perser, als sie hörten, daß Alexander umgekehrt sei und gegen sie vorrücke, ihre Stellung.

Alexander konnte nicht sein ganzes Heer in die Schlacht führen, sondern mußte Truppen zur Deckung seines Rückens und seines Lagers bei Myriandos oder am Ausgang des Beilanpasses stehen lassen, da er nicht wissen konnte, ob Darius seine ganze Macht schon in die Ebene von Issus geführt habe oder ob etwa noch ein Korps durch den Beilanpaß heranziehe. Er bestimmte dazu seine griechischen Bundesgenossen, die am weitesten vorwärts gestanden hatten, als das Heer plötzlich umkehren mußte und den Marsch zur Schlacht antrat.98

Die Perser kamen den Macedoniern noch einen kleinen Marsch entgegen. Sie blieben nicht in der Mitte der Ebene, wo sie eine Meile breit ist, bei Issus, am Flusse Deli-Tschai, sondern nahmen weiter südlich Stellung, am Flusse Pinarus, heute Pajas. In der Ebene hinter dem Deli-Tschai hätte die persische Reiterei sich zwar frei bewegen können, und da das macedonische Heer mit seinen auf dem Fleck nicht 30000 Mann auf keine Weise zu einer Meile Breite auszurecken war, so hätte es bei seinem Angriff entweder den rechten oder linken Flügel einer Überflügelung und Umgehung durch die persischen Reiter preisgegeben. Aber der Deli-Tschai ist an den meisten Stellen ohne wesentliche Schwierigkeit zu überschreiten; auch wo die Ufer steil abfallen, sind sie weich. Das persische Fußvolk hätte an ihm also gegen den Ansturm der überlegenen macedonischen Phalanx keinen Schutz gefunden. Wäre die Überlegenheit der persischen Reiter sehr groß gewesen und ihr Sieg sicher und schnell in Aussicht zu nehmen, so hätte das nichts ausgemacht: der Flankenangriff[188] dieser Reiter hätte dann auch die macedonische Phalanx zum Stehen gebracht, ehe sie dem persischen Fußvolk gefährlich werden konnte. Da die Überlegenheit der persischen Reiter aber, wenn überhaupt, nur mäßig war, so wählte der Perserkönig, dem wir ja, gemäß der Tradition seines Volkes und überdies von Griechen beraten, wie er war, das Beste und Einsichtigste zutrauen dürfen, die Stellung am Pajas, die den Bedürfnissen seines Heeres noch besser entsprach, als es die Stellung inmitten der Ebene getan hätte. Da die Beschreibung, die Janke von der Örtlichkeit gibt, noch einige Zweifel übrig ließ, so habe ich mich um eine Nachprüfung bemüht, die mir der am Bahnbau beschäftigte Oberingenieur Haßbach zu liefern die Freundlichkeit hatte. Ich drucke sie unten ab.

Das Ergebnis ist, daß der Oberlauf des Flusses von steilen Felswänden begleitet ist, die ihn fast unpassierbar machen. Auch der Mittellauf des Flusses ist für Kavallerie gar nicht und für Infanterie nur schwer passierbar. Erst die letzten 1600 Meter sind für Infanterie und die letzten 500 Meter auch für Kavallerie, wenn schon immer noch beschwerlich, doch möglich.

Da ausdrücklich berichtet wird, daß der linke Flügel der Macedonier das Meer berührt habe, so werden wir diese 1600 Meter als die eigentliche Schlachtfront anzusehen haben. Die Perser hatten dem Gelände entsprechend das Gros ihrer Kavallerie auf dem rechten Flügel vom Meer; an sie angeschlossen die griechischen Hopliten, links von ihnen die Kardaken, deren Nationalität nicht sicher ist (vielleicht Kurden oder auch Perser), die auch Hopliten waren. Die Aufstellung der persischen Bogner wird von den Quellen direkt nicht berichtet; der Natur der Sache nach waren sie das ganze Ufer des Flusses entlang verteilt, um die Angreifer beim Übergang unter Feuer zu nehmen.99 Auch weiter[189] das Ufer hinauf bis zum Gebirge werden die Stellen, wo noch etwa ein Überschreiten möglich schien, mit Bogner gedeckt gewesen sein, so daß die Breite der persischen Front ein relativer Begriff wurde: die Front der zusammenhängenden, geschlossenen Linie, Infanterie oder Kavallerie war nur etwas über 1600 Meter breit; die daran anschließende Schützenlinie mag sich noch drei Kilometer weit hingezogen haben.100

Eine kleinere Abteilung der Perser war vorgeschoben auf einen Gebirgsvorsprung, der in die kleine Ebene hineinragt, so daß sie die gegen die persische Hauptstellung anrückenden Macedonier in der rechten Flanke und schließlich im Rücken bedrohte.

So schien die Stellung der Perser von einer unüberwindlichen Stärke: die Infanterie, ihr schwächerer Teil, war gedeckt durch den Abgrund vor ihrer Front, die Kavallerie aber war bereit, den Feind zu empfangen, wenn er am Meer durchbrechen wollte und war auch ihrerseits in der Lage, vorzugehen.

In dieser Stellung, die man hier und da noch künstlich verstärkte, erwartete Darius den Angriff. Jeder Punkt der Stellung schien so gut geschützt, daß der macedonische Angriff nirgends Aussicht hatte, durchzudringen. Wurde er aber abgeschlagen, so war Alexander, abgeschnitten von der Heimat, mit seinem ganzen Heer verloren. Durch die phönizischen Schiffe beherrschten die Perser die See. Alexander hatte alle seine Kraft auf das Landheer verwandt und seine Flotte, da sie doch gegen die persische auf alle Fälle zu schwach sei, schließlich aufgelöst. Einen einmal abgeschlagenen Angriff hätten die Macedonier schwerlich zu erneuern gewagt. Die Perser brauchten also gar nicht positiv zu siegen und[190] die Macedonier in die Flucht zu schlagen; sie brauchten sie nur zu zwingen, von ihrem Angriff abzustehen und selber ihre Stellung zu behaupten, dann war ihnen der vollständige Erfolg sicher.

Unsere Quellen sind voll davon, wie unbegreiflich der Fehler des Darius gewesen sei, sich auf ein so enges Gelände zu begeben, daß er seine ungeheure Überlegenheit nicht in Anwendung bringen konnte; er hätte, meinen sie, den Angriff Alexanders in der syrischen Ebene irgendwo abwarten sollen, um ihn dann mit seinen Reitern zu umfassen. Ob dieser Rat dem Darius wirklich geholfen hätte, wird die Schlacht bei Gaugamela lehren. Unzweifelhaft ist, vom Hauptquartier ausgehend, im macedonischen Heer damals von jeder Zeltgenossenschaft die Lage in dieser Art besprochen worden; es konnte ja kein einleuchtenderes Argument geben, um die Soldaten für den bevorstehenden Kampf mit Siegeszuversicht zu erfüllen.

In Wahrheit stand die Sache ganz anders. Wenn die Perser wirklich eine große numerische Überlegenheit gehabt hätten, so wären sie auch jetzt noch, wie wir gesehen haben, durchaus in der Lage gewesen, ein dafür geeignetes Schlachtfeld zu wählen. Die Ebene von Issus verbreitert sich bis zu einer Meile, also Platz genug für ein dreifach und fünffach so großes Heer als das macedonische. Aber alle diese Betrachtungen scheiden für uns aus, da ja, selbst wenn der Perserkönig über die Massenheere verfügt hätte, die der griechische Volksglaube ihm zuschrieb, sie auf keinen Fall das Amanos-Gebirge so schnell überschritten und in der Ebene vor Issus Stellung genommen haben konnten. Wie weit Alexander selber in dem Glauben an die persischen Massenheere befangen gewesen ist, wissen wir nicht. Jedenfalls kann er, als ihm in Myriandos (bei Alexandrette) die plötzliche Ankunft der Perser in seinem Rücken gemeldet wurde, höchstens darüber, daß nur wenige zur Stelle seien, nicht aber, daß die Vielen keinen Platz zum Fechten finden könnten, Freude empfunden haben. Wie es aber auch hiermit stehe, auf keinen Fall kann der macedonische König den ungeheuren strategischen Nachteil verkannt haben, in den er plötzlich versetzt war. Die Macedonier waren von ihrer Basis abgeschnitten, die Perser nicht. Die Perser konnten,[191] wenn sie geschlagen wurden, durch die Amanos-Pässe, wo sie gekommen waren, wieder zurück, die Macedonier waren, wenn sie geschlagen wurden, ja wenn die Schlacht auch nur unentschieden blieb, verloren.

Die Quellen erzählen uns, wie Alexander seine Offiziere zusammenrufen ließ und ihnen Mut zusprach und noch unmittelbar vor dem Beginn der Schlacht an die einzelnen Truppenteile heranritt, sie anfeuerte und ihnen die Herrschaft über ganz Asien als Preis des Sieges über den Großkönig vor Augen stellte.

Nicht planmäßig, sondern rein zufällig, wie unsere Quellen gewiß mit Recht berichten, hatten die Perser strategisch die Oberhand gewonnen. Sie hatten geglaubt, daß Alexander, der durch Krankheit und andere Umstände zurückgehalten, ziemlich lange in Cilicien blieb, vorläufig nicht nach Syrien vorrücken würde, und da der Perserkönig unmöglich mit seinem gesammelten Heer unbestimmte Zeit in Syrien stehenbleiben und zuschauen konnte, wie die Macedonier sich in dem eroberten Kleinasien häuslich einrichteten, so hatte er sich endlich zum Vorgehen über das Gebirge entschlossen. Der Zufall aber hatte gewollt, daß gerade in denselben Tagen auch Alexander vorrückte und beide Heere durch verschiedene Pässe aneinander vorbei marschierten, was dann nach der Lage der Dinge zum Vorteil der Perser ausschlug.

Man hat gefragt, weshalb die Perser nicht einfach die Pässe besetzt und Alexander von der Heimat abgeschnitten hätten. Die Antwort ist nicht schwer zu finden. Wir wissen von den Thermopylen her, daß die Sperrung eines Passes immer ein sehr mißliches Unternehmen ist und besonders hier, wo die Stärke des Angreifers in der Infanterie, des Verteidigers in der Kavallerie lag. Schlimmstenfalles hätte Alexander die Perser stehen lassen und nach Syrien hinein weitermarschieren können. Wenn er tatsächlich die Besorgnis gehabt hat, daß die Perser die »syrischen Tore« hinter ihm schließen könnten, so war das nicht, weil er damit verloren gewesen wäre, sondern weil die große Entscheidung, die er herbeisehnte, dann ins Unbestimmte verzögert worden wäre. Die Perser handelten also keineswegs bloß lässig, indem sie den Macedoniern den Paß freigaben und sich ihnen an einem vorteilhaften Platz zur rangierten Schlacht stellten, sondern mit guter Überlegung.[192] Einmal, früher oder später, mußte die große taktische Entscheidung ausgefochten werden, und die Perser konnten niemals unter günstigeren Bedingungen schlagen, als wenn sie jetzt hinter dem Pajas die Schlacht boten und Alexander sie annahm.

Aber gerade das mechanische Präzipuum, das die Götter den Persern in den Schoß geworfen hatten und das sie klüglichst für sich auszunützen suchten, wurde ihnen moralisch zum Verderben.

Vorsichtig entwickelte Alexander sein Heer aus dem syrischen Paß und ließ es allmählich, wie das Feld breiter wurde, aus der Marsch-Kolonne in die Linear-Aufstellung übergehen, rechts und links Reiter und Schützen, im Zentrum die Hopliten. Langsam, mit Pausen, um nicht in Unordnung zu geraten, bewegte sich die 1 bis 11/2 Kilometer breite Front vorwärts.101 Das Gros der Kavallerie unter Alexanders persönlicher Führung war auf dem rechten Flügel, aber als der König bemerkte, daß die Masse der persischen Kavallerie auf dem dortigen rechten Flügel, am Meere stand, sandte er die thessalischen Reiter, die er bisher bei sich gehabt hatte, hinter der Phalanx fort, zur Verstärkung auf seinen linken Flügel, so daß dieser jetzt an Kavallerie der stärkere war.

Gegen das persische Detachement auf den Bergen zur Bedrohung der rechten Flanke der Macedonier, wurde eine eigene Abteilung im Haken aufgestellt, die den Feind höher auf die Berge hinauftrieb. Dann ließ Alexander nur 300 Reiter und eine Anzahl Bogenschützen hier als Deckung stehen und zog den Rest in die eigentliche Schlachtlinie hinein, die nunmehr hier die Perser überragte. Aber da der Fluß hier so gut wie unüberschreitbar ist, konnte das den Persern nichts schaden.

Ein Stück weiter aufwärts aber, nach Janke 21/2, nach Hoßbach 31/2 Kilometer von der Mündung, findet sich eine Übergangsstelle. Hier muß Alexander mit seinen Reitern den Fluß[193] überschritten haben. Zwar daß er, wie die macedonischen Quellen berichten, im Kavallerie-Chok den Feind geworfen habe, ist durch die Schmalheit des Zuganges, die steile Böschung und den steinigen Boden des Flusses ausgeschlossen und muß als die Ausartung höfischer Beflissenheit abgelehnt werden. Wohl aber ist es möglich und muß deshalb nach dem ganzen Zusammenhang angenommen werden, daß die macedonischen Schützen und Leichten die persische Besatzung der Übergangsstelle vertrieben, nunmehr auch die Reiter schnell die Furt durchmaßen und die nicht sehr zahlreichen Reiter der Perser auf diesem Flügel warfen und verfolgten.

Mittlerweile hatte das Gros der Phalanx schwer zu ringen. Während die Phalangiten in die Schlucht des Pajas herabkletterten, waren sie den Pfeilen der Perser ausgesetzt und als sie auf dem jenseitigen Ufer, durch die Vorwärtsbewegung und die vielfältig unpassierbaren Stellen der Felswände zerrissen, auftauchten, wurden sie von den griechischen Hopliten im persischen Solde angegriffen und wieder heruntergeworfen. Die Quellen betonen wiederholt die Zerrissenheit der macedonischen Schlachtordnung und man hat das bisher allein auf die natürliche Unordnung der Phalanx infolge des Durchganges durch den von ungleichmäßigen Felswänden eingefaßten Fluß bezogen. Nachdem wir uns aber klargemacht haben, daß die Kavallerie des rechten Flügels im Mittellauf des Pajas überhaupt nicht hat hinüberkommen können, sondern zu diesem Zweck sich vom Zentrum lösen und eine Umgehung machen mußte, da werden wir diese Entblößung der linken Flanke der Phalanx ebenfalls zu der so sehr betonten Zerreißung zu rechnen haben. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, wie die Phalangiten das jenseitige Ufer heraufgeklettert sind, um dann von dem Gegenstoß der Griechen und ihrem Angriff in der Flanke getroffen und in den Fluß zurückgedrängt zu werden.

Auf dem linken Flügel hinwiederum, wo die persische Reiterei massiert war, wurde nicht nur der Angriff der macedonischen Kavallerie (wenn es überhaupt dazu kam) abgewiesen, sondern die Perser gingen ihrerseits zum Angriff auf das linke Ufer des Flusses vor und brachten die Thessalier in schwere Bedrängnis.[194]

Die Peripetie der Schlacht wird dadurch bestimmt, daß die feindliche Schlachtlinie umfassende, rechte macedonische Flügel seinem schwer ringenden Zentrum zu Hilfe kam. Der König ließ den Truppen, mit denen er selbst den Übergang erzwungen, noch zwei Taxen der Phalanx durch eben diese Bresche folgen, und während er selbst mit seinen Reitern und den Hypaspisten die Truppen verfolgte, die die Übergangsstelle verteidigt hatten oder ihnen zunächst stehend ebenfalls die Flucht ergriffen hatten (Kardaken), wandten sich jene beiden Taxen gegen die linke Flanke der griechischen Phalanx. König Darius selbst, der wahrscheinlich mit seinem Gefolge hinter den Griechen, oder da, wo die Griechen und Kardaken sich berührten, hielt, hatte, als er seinen linken Flügel geschlagen sah, die Schlacht verloren gegeben und die Flucht ergriffen. Unter dem Eindruck dieser Flucht und des Flanken-Angriffs der Phalangiten gaben die Griechen das Flußufer auf und traten den Rückzug an.

Fast bis zu diesem Augenblick stand eigentlich die Wage noch gleich, insofern die persische Kavallerie des rechten Flügels ihrem Gegenpart ebenso und viel leicht noch mehr überlegen war, als der rechte mazedonische Flügel dem linken persischen. Man könnte sich vorstellen, daß die siegreiche persische Kavallerie von der Meerseite her die mazedonischen Phalanx ebenso in die Flanke gefallen wäre, wie von der Gebirgsseite her die Mazedonier den Griechen in die Flanke fielen. Aber es geschah nicht.

Der Grund wird nicht sowohl in der persönlichen und taktischen Überlegenheit der Mazedonier, in dem stärkeren kriegerischen Geist der Soldaten Alexanders, wie in dem beiderseitigen Schlachtgedanken zu suchen sein. Die Mazedonier lieferten eine Offensiv-, die Perser eine Defensivschlacht. Wir haben erfahren, wie auch die Griechen unter der Führung des Miltiades bei Marathon durch die besonderen Verhältnisse veranlaßt waren, eine Defensivschlacht zu liefern, aber in dem gegebenen Augenblick ging Miltiades aus der Defensive in die Offensive über, und diese Offensive war der Sieg. Die Perser hatten es bei Issus auf eine reine Defensivschlacht angelegt. Sie hatten sich hinter ein so schweres Fronthindernis gestellt, daß die eigene Offensive dadurch[195] von vornherein ausgeschlossen war. Unsere Quellen berichten nicht ausdrücklich, weshalb denn die persische Reiterei des rechten Flügels, der ein tapferes Kämpfen nachgerühmt wird, die unzweifelhaft in der Überzahl war und auch über den Fluß vorging, keinen wirklichen Sieg erfocht. Wir werden unbedenklich aus der ganzen Situation heraus ergänzen dürfen, daß es nicht geschah, weil es nicht in der Absicht der obersten Führung lag. Zunächst zeigt die Erzählung, daß das Gefecht auf diesem Flügel erheblich später begann, als auf dem andern. Wohlberechnet hatte Alexander den Stoß mit seinem rechten Flügel gemacht, wo er, sobald er nur über den Fluß kam, der Überlegenheit sicher war, und den linken verhalten. Überdies ist, wie wir jetzt wissen, daß Flußbett so steinig, daß die Vorwärts- oder Rückwärts-Bewegungen der Kavallerie sehr erschwert waren. Als das Gefecht auf diesem Flügel begann, wird es auf dem andern schon entschieden gewesen sein. Wären die Perser mit demselben frischen Offensivgeist den Mazedoniern zur Schlacht entgegengegangen, wie diese ihnen, so ist nicht abzusehen, weshalb sie nicht auf ihrem rechten Flügel mit ihrer Übermacht ebenso gut hätten siegen sollen, wie Alexander auf dem seinen.

Eine Quelle (Curtius) erzählt von der verstellten Flucht, durch die die thessalischen Reiter ihre Gegner hingehalten: das ist die Auslegung der Reiter selbst, die den Erfolg ihrem eigenen Verdienst zuschrieben: aus der »verstellten« Flucht wäre aber sehr schnell eine wirkliche geworden, wenn der Feind seinerseits mit dem Nachsetzen nicht innegehalten, sondern fort und fort nachgehauen hätte. Aber das Perserheer hatte sich ja hinter einem Fluß und seinen Felswänden aufgestellt und die hohen Ufer noch verschanzt: diesen Vorteil auszunutzen, war die Schlacht angelegt. Kein Wunder, daß auch die Kavallerie, selbst wenn sie erfolgreich war, nicht weit über diese Linie hinausging: ein Zusammenwirken mit den andern Truppenteilen hatte sie ja jenseits des Flusses nicht zu erwarten. Sie begnügte sich also bestenfalls, nach gelungener Attacke wieder in ihre Stellung zurückzugehen.

Ganz aus demselben Grunde wird auch die Flankenstellung des persischen Detachements auf den Bergen unwirksam geblieben sein. Vor dem Angriff mazedonischer Truppen war es sofort auf[196] die Höhen der Berge zurückgewichen und konnte gar nichts anderes tun. Es wäre ja, wenn es das Gefecht angenommen, während das persische Hauptheer unbeweglich in seiner festen Stellung hielt, isoliert geschlagen worden. Wieder vorzugehen und das mazedonische Heer gerade in dem Augenblick im Rücken anzugreifen, wo es sich mit dem persischen Hauptheer engagierte, verhinderten die Truppen, die Alexander im Haken zurückgelassen hatte. So wartete das persische Flankendetachement vermutlich darauf, daß die Mazedonier, zurückgeschlagen und verfolgt, von neuem an ihnen vorbei mußten oder daß wenigstens der Stand der Hauptschlacht sie zum Vorgehen einlade, und da das nicht geschah, trat es überhaupt nicht in Tätigkeit, und die ganze Postierung erwies sich, da Alexander sich nicht dadurch einschüchtern ließ, als eine nutzlose Demonstration. Ein isoliertes Korps in eine Schlacht eingreifen zu lassen, ist ein Unternehmen, welches immer nur sehr selten gelingt, ohne daß man deshalb den Vorwurf der Feigheit erheben darf.

Indem die griechische Phalanx den Rückzug antrat, erkannte auch die persische Kavallerie des rechten Flügels, daß die Schlacht verloren sei, und eilte davon. Die Griechen schienen jetzt in einer verzweifelten Lage. Von den persischen Reitern verlassen, mußten sie, von Fußvolk und Reitern angegriffen, wenigstens anderthalb Meilen zurück über eine Ebene, die dem Rückzug keinerlei Stützpunkt bot, sondern von mehreren tiefen Wasserrissen durchzogen, ihnen noch Hindernisse bereitete. Wenn die mazedonische Reiterei sie stellte und die Phalanx sie angriff, waren sie alle verloren. Sie erlitten auch sehr schwere Verluste; dennoch hat ein großer Teil einen der Gebirgspässe erreicht und ist entkommen. Es waren alte, versuchte Kriegsgesellen, die wußten, was sie zu tun hatten, nicht auseinanderliefen, sondern fest geschlossen noch immer Angriffe abwehren konnten.102 Es wird lange genug gedauert haben, bis das Gros der mazedonischen Phalanx die steilen Felswände des Pinarus überwunden hatte, so daß die Griechen einen Vorsprung gewannen. Alexander selbst, als er sah, daß die Schlacht entschieden war, machte sich auf zur Verfolgung des Perserkönigs[197] selbst. Mit den Griechen zusammen wird der Teil der persischen Bogner, der vor ihnen das Flußufer verteidigt hatte, abgezogen sein und wehrte nun auf dem Rückzug die thessalischen und sonstigen Reiter ab, die etwa mit Geschossen und Wurfspießen der Marschkolonne zusetzten. Noch bei Gaugamela waren Griechen im Heere des Perserkönigs; das Gros aber, nach der einen Quelle (Curtius) 8000, nach der andern (Arrian) 4000 Mann, gaben ihre Sache auf, marschierten nach Phönizien und fanden in der Stadt Tripolis Schiffe, auf denen sie abfuhren.

Der griechische Bericht, wonach die Mazedonier in dieser Schlacht 150 Reiter und 300 Fußgänger an Toten verloren, darf zwar nicht als verbürgt angesehen werden, widerspricht aber nicht der Natur der Dinge und dem Verlauf des Gefechts. Abermals ist das Charakteristische, daß der Verlust der Kavallerie relativ viel größer ist als der der Infanterie. 450 Tote im ganzen lassen auf 2000 bis 4000 Verwundete schließen.

Die mäßige Verlustzahl der Mazedonier führt uns noch einmal zurück zu der wichtigen Frage nach der Stärke des Perserheeres. Wir haben gesehen, daß die Quellen schlechthin nur den Pajas als Schlachtfeld zulassen und dieser wiederum nur annehmbar ist bei der Voraussetzung einer Überlegenheit der Macedonier in der Infanterie. Die Beweiskette, daß in der Tat die Perser, denen das Zeugnis der Tapferkeit auch von den Gegnern nicht versagt wird, in der Schlacht nicht die numerisch Stärkeren waren, enthält ein letztes abschließendes Glied durch die Verlustziffer des Siegers, die zeigt, daß ihm der Sieg in dem eigentlichen Kampf nicht gar zu schwer gemacht worden ist.

So lange man das Gelände nicht so genau kannte, wie jetzt, durfte und mußte man die Schlacht bei Issus wie die anderen Mazedonierschlachten dem einfachen Typus der schrägen Schlachtordnung mit vorgezogenem rechten Flügel zuzählen. Wir haben gesehen, daß dieses Schema wesentlich modifiziert ist dadurch, daß der rechte mazedonische Flügel eine ziemlich weit ausholende Umgehung machen mußte. Diese Umgehung und die Ablösung des rechten Flügels vom Zentrum kommt in unseren Quellen nicht positiv zum Ausdruck. Das ist aber sehr erklärlich. Wir haben die Quellen nur aus zweiter Hand, und die Autoren, besonders Arrian,[198] haben das Gelände schwerlich aus eigener Anschauung gekannt. Die Urquellen aber verschleierten den wahren Zusammenhang durch ihre emphatische Schilderung, wie der König an der Spitze seiner Ritterschaft durch den Pfeilhagel hindurch auf den feindlichen linken Flügel einsprengt und ihn in die Flucht schlägt. Für die moderne Forschung ist die Folge gewesen, daß, als man über die Schwierigkeiten des Geländes unterrichtet wurde, man die Schlacht an dieser Stelle überhaupt für unmöglich erklärte und sie an einen anderen Fluß, dem Deli-Tschai, verlegen wollte. Dadurch aber setzte man sich, wie Dittberner schlagend nachgewiesen hat, in schlechthin unlösbare Widersprüche sowohl mit den Angaben der Quellen über die Beschaffenheit des Geländes, mit ihren sehr genauen Angaben über die beiderseitigen Märsche und mit der strategischen Situation. Es muß dabei bleiben, daß der Pinarus der Pajas ist und wenn wir die glänzende Reiter-Attacke unter der persönlichen Führung des Königs als das entscheidende Moment des Tages zu streichen haben, so gewinnen wir dafür die Tat des Schlachtenleiters, der, als er die Unübersteiglichkeit des Geländes vor seiner Front erkannte, freien Geistes den rechten Flügel von der Mitte losriß, um auf dem Umwege zum Ziel zu gelangen, und wie er vorher einen Teil seiner Kavallerie vom rechten auf dem linken Flügel gesandt hatte, weil er dort nötiger war, so jetzt einen Teil der schweren Infanterie an den Umgehungs-Flügel zog, um die griechische Phalanx durch den Flankenangriff aus ihrer in der Front unbezwinglichen Position herauszuwerfen.

Alexander paßte, darf man sagen, die Methode der Flügelschlacht den tatsächlichen Verhältnissen an, ohne ihrem Geist untreu zu werden. Er siegte ebensowohl durch die Tapferkeit und die Zahl seiner Krieger, wie durch die Tüchtigkeit des Heeresorganismus, der die einzelnen Truppenteile so in die Hand des Führers gab, daß er in jedem Augenblick sicher über sie verfügen und sie nach seinem Willen und seiner Einsicht dirigieren konnte, wie endlich durch die geniale Führung, die mit Umsicht den Aufmarsch leitete, selbstvertrauend die Flankenstellung der Perser und die unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten des Geländes verachtete, weise sich vom Schema emanzipierend den zu verhaltenden[199] Flügel noch nachträglich verstärkte und das ganze Heer mit dem Geiste kühner Offensive erfüllte.


1. Diodor, Durtius und Justin geben als Verlust übereinstimmend 150 Reiter an, Diodor aber 300, Curtius 32 und Justin 130 Infanteristen. Es muß dahingestellt bleiben, ob hier Verderbnis der ursprünglich gleichen Zahl vorliegt (etwa 332?), was bei der Differenz bis zu einem halben Jahrtausend zwischen diesen Autoren und ihren Urquellen möglich und bei der Identität der Angabe über die Kavallerie wahrscheinlich sein möchte. Die höchste Zahl kommt jedenfalls der Wahrheit am nächsten, da Arrian als Verlust der Phalanx im Kampf mit den griechischen Hopliten allein 120 Mann angibt.

Wenn Curtius ferner 504 Verwundete angibt, so ist dieselbe Zahl entweder falsch oder es sind nur die Schwerverwundeten gezählt. Bei modernen Berechnungen wird jede, auch die kleinste Verletzung oder Kontusion mitgezählt.

2. Die eigentliche Quellenuntersuchung, die ich in der ersten Auflage der Darstellung der Schlacht hinzugefügt hatte, lasse ich jetzt fort, da sie durch die genaueren topographischen Feststellungen in dem Jankeschen Buch und die erschöpfende Monographie von DITTBERNER überholt ist. Um einige immer noch bleibende Zweifel in der Topographie zu lösen, wandte ich mich an Herrn Konsul Walter Rößler in Aleppo. Er verschaffte mir einen Bericht von Herrn Oberingenieur Hoßbach, den ich unten abdrucke. Für alle Einzelheiten verweise ich auf Dittberner. Nur das Folgende sei noch hier wiedergegeben.

Der Bericht des Kallisthenes ist uns dadurch erhalten, daß Polybius an ihm demonstriert, wie wenig der Verfasser vom Kriegswesen verstanden habe. Merkwürdigerweise haben nun trotzdem die neueren Gelehrten durchweg die Partei des Kallisthenes ergriffen und aus dem eigenen Bericht des Polybius herauslesen wollen, daß er dem Kallisthenes Unrecht getan, ihn mißverstanden, selbst aber recht arge Versehen begangen habe. Ich glaube ebenfalls, daß man sich der Autorität des Polybius, so hoch ich sie schätze, doch nicht so unbedingt anvertrauen darf, wie noch vielfach geschieht, daß seine Zahlberechnungen oft flüchtig, und daß er selbst von seinen Quellen abhängiger ist, als es so scheint – aber von dem, was er über Issus und Kallisthenes sagt, davon läßt sich doch nur wenig abdingen.

Wir ziehen nur diejenigen Punkte heran, aus denen sich für die Schlacht selber etwas gewinnen läßt.

Nach Polybius hat Kallisthenes gesagt, das Alexander sein Heer, als es aus dem Engpaß herauskam, allmählich aufmarschieren ließ und ihm endlich 8 Mann Tiefe gab; in dieser Formation sei es 40 Stadien (eine deutsche Meile) vorgerückt.

Polybius berechnet das Heer auf 42000 Mann zu Fuß und 5000 Reiter und weist darauf nach, daß eine so große Phalanx in der beschriebenen[200] Formation eine Breite von 40 Stadien haben mußte, während Kallisthenes gleichzeitig behauptet, daß die Ebene nur 14 Stadien breit gewesen, drei davon auf die Reiterei gekommen und noch Raum übrig geblieben sei.

Wie Polybius die 40 Stadien Breite berechnet hat, ist nicht klar103. Drei Fuß auf den Mann ergibt bei 42000 Mann und 8 Mann Tiefe gegen 16000 Fuß = 27 Stadien. Man mag das auf sich beruhen lassen; man mag auch in Abzug bringen, daß Polybius, im Eifer, die Verkehrtheit des Kallisthenes zu beweisen, die Stärke der Infanterie erheblich zu hoch angesetzt hat – in der Hauptsache behält er doch recht, daß nämlich unmöglich die Phalanx nur 8 Mann tief gestanden haben kann.

Bauer hat in der umgekehrten Richtung korrigiert und nachweisen wollen, daß die Phalanx von bloß 8 Mann Tiefe ganz gut in das Gelände passe und daß Kallisthenes nur den Fehler gemacht habe, die Breite der Ebene mit 14 Stadien (21/2 Kilometer) viel zu gering anzugeben. Darin nun hat Bauer recht behalten; seine Auffassung aber ist unmöglich, weil eine Phalanx von 8 Mann Tiefe und fast einer Meile Breite ein Unding ist. Sie könnte sich keine zehn Schritt vorwärts bewegen, ohne auseinanderzureißen, und nach hundert Schritten wäre sie in völliger Unordnung. Es wäre schon schlechterdings unmöglich, sie auch nur annähernd gleichmäßig antreten oder Halt machen zu lassen.

Das Richtige hat bereits K. NEUMANN »Zur Landeskunde und Geschichte Kilikiens« Jahrb. f. klass. Philol. Bd. 127 (1883) S. 544 ausgesprochen, indem er darauf hinweist, daß bei Curtius (auf Ptolemäus zurückgehend) steht, die Phalanx bei Issus habe 32 Mann Tiefe gehabt. Nehmen wir an, daß die Pezetären und Hypaspisten zusammen einige 20000 Mann stark waren, so war die Phalanx (mit den Intervallen) weniger als einen Kilometer, 4-5 Stadien breit. Dazu die Reiterei und die Leichten104. Kallisthenes, der im Gefolge Alexanders einige Tage vor der Schlacht über das Feld gekommen war, hat mit seiner topographischen Angabe zwar nicht ganz, aber doch einigermaßen Recht und deshalb, ganz wie Polybius es darlegt, mit seiner militärischen Schilderung Unrecht. Die Schlacht selber wird er nicht mit angesehen, sondern mit dem bürgerlichen Teil des Hauptquartiers in Myriandos zurückgeblieben sein. Am anderen Tage ließ er sich erzählen, wie das Heer sich allmählich aus dem gefährlichen Engpaß entwickelt habe, zur Phalanx aufmarschiert und gegen den Feind gerückt sei. Da er wußte, daß die Normal- Stellung von[201] Hopliten 8 Mann tief sei, so ließ er in rhetorischer Ausmalung die ganze mächtige Phalanx zu dieser Formation aufmarschieren, und da er sich erinnerte, daß der Paß von dem Fluß etwa 40 Stadien entfernt sei, so ließ er die Phalanx so weit vorrücken. Seine militärischen Kenntnisse gingen nicht so weit, um zu wissen, daß ein solcher Vormarsch unmöglich ist, daß die Phalanx eines großen Heeres tiefer aufgestellt wird als die einer einzelnen Abteilung und daß bei der von ihm selbst angegebenen Breite der Ebene von bloß 14 Stadien die flache Phalanx nicht einmal räumlich hätte Platz finden können.

3. KROMAYER hat in seiner Besprechung von Dittberner (Hist. Zeitschr. 112, S. 348) uns insofern zugestimmt, als auch er feststellt, daß die nächstliegende Auslegung der Quellen auf den Paias als den Fluß führe, an dem die Schlacht geschlagen worden ist. Trotzdem hält er die Annahme für unmöglich, da der Ober- und Mittellauf des Paias für geschlossene Truppenteile schlechterdings ungangbar sei, und die Lücke im oberen Flußrand, die Dittberner auf 300 Meter breit angebe, tatsächlich nur aus zwei kleinen Lücken von 50 und 30 Meter Breite bestehe. Ich erwidere, daß solche Lücken für eine Operation, wie Dittberner und ich es uns vorstellen, durchaus genügend sind. Die Differenz ist im letzten Grunde wieder die Differenz in der Zahl. Wäre das persische Heer so groß gewesen, daß es bis über jene Lücken hinaus eine geschlossene volle Schlachtordnung bildete, so hätte allerdings Alexander unmöglich durchdringen können. Für eine geschlossene Attacke schwerer Kavallerie sind die Lücken zu klein und zu wenig gangbar. Da die Reisenden, die das Schlachtfeld besichtigt haben, immer mit der Vorstellung eines persischen Massenheeres, das den ganzen Flußrand bis ans Gebirge dicht besetzt hielt, an die Untersuchung herangetreten sind, so haben sie naturgemäß die Möglichkeit eines Überganges an dieser Stelle abgelehnt und von vornherein gar nicht ernstlich geprüft. Was nützte denn selbst eine Lücke von 300 Metern Breite für Alexanders Reiterei, sagt Kromayer, wenn die Phalanx nicht gleichzeitig übergehen konnte? Die Antwort lautet: der Übergang war so schwach verteidigt, daß die Reiterei mit den Leichtbewaffneten ihn unter einer so entschlossenen Führung wie der Alexanders, auch ohne die Unterstützung der Phalanx forcieren konnte. Die ungenügende Verteidigung des Übergangs aber war wiederum die einfache Folge der Schwäche des persischen Heeres, das man hinter dem Mittellauf und Unterlauf des Flusses zusammenhielt.

4. Gegenüber der wunderlichen Idee BELOCHS, nicht Alexander selbst, sondern sein Generalstabschef Parmenion sei der eigentliche große Feldherr der Macedonier gewesen, sei an dieser Stelle bemerkt, daß sie nicht nur durch nichts zu beweisen, sondern auch durch den Verlauf der Schlacht bei Issos direkt zu widerlegen ist. Denn die entscheidenden Züge in dieser Schlacht, die Verstärkung der Kavallerie des linken Flügels noch während des Aufmarsches, der Rechtsabmarsch des rechten Flügels, seine Verstärkung erst durch die Truppen in der Hakenstellung, dann durch die zwei Taxen[202] der Phalanx, das alles kann nur Alexanders persönlicher Befehl gewesen sein.

5. Beloch in seiner Griechischen Geschichte, Bd. 2 S. 634, hat die Ansicht aufgestellt, daß Darius nicht zufällig, sondern planmäßig das macedonische Heer umgangen und die Schlacht mit verkehrter Front geschlagen habe, und in der Tat dürfen wir unsern Quellen, so einstimmig sie sind, in diesem Punkt nicht von vornherein unbedingt trauen. Nach der ganzen Art, wie sie die Perser darstellen und charakterisieren, würde ein so kühnes, ja großartiges Stratagem zu schlecht in ihr Bild gepaßt haben, um aufgenommen zu werden, selbst wenn man im macedonischen Lager darüber eine sichere Nachricht gehabt hätte.

Aber ich denke, die Situation selbst und der Zusammenhang im einzelnen schließt doch Belochs Annahme aus.

Darius hätte den Beschluß, die Macedonier zu umgehen, erst fassen können, als diese wirklich in Myriandos angekommen waren. Hätten die Perser den Marsch erst angetreten, während die Macedonier selbst noch auf dem Marsche zwischen Mallos und Issus waren, so hätten sie riskiert, unmittelbar beim Austritt aus den Pässen auf das feindliche Heer zu stoßen und wären damit in eine sehr üble strategische Lage geraten. Auf ein oder zwei Tage konnten sie es im voraus nicht wissen, wie lange sich die Macedonier auf ihrem Marsche aufhalten würden. Die notwendige Ergänzung zu Belochs Hypothese ist also, daß Alexander einen Aufenthalt von mehreren Tagen in Myriandos machte, während dessen die Perser ihren Umgehungsmarsch durch die Amanos-Pässe ausführten. In der Tat drückt sich Arrian nun auch nicht mit unbedingter Bestimmtheit darüber aus, wie lange die Macedonier schon in Myriandos gewesen sind, als sie die Nachricht von der Ankunft der Perser in Issus erhielten. Nach dem ganzen Ton der Erzählung ist es aber sofort am zweiten Tage gewesen, und die Nachricht bei Curtius, daß in einer Nacht die beiden Heere aneinander vorbeimarschiert seien, fällt doch auch trotz ihrer rhetorischen Übertreibung dafür ins Gewicht, daß sich die Dinge Schlag auf Schlag gefolgt sind.

Alle Betrachtungen der Griechen über die unbegreifliche Torheit des persischen Manövers, mit den ungeheuren Massen in die Engpässe zu gehen, haben wir vollständig gestrichen, da weder die Massen der Perser so groß, noch die Ebene am Deli-Tschai so klein war, um irgendwelche wünschenswerten Manöver zu verhindern. Aber aus an deren Gründen wäre doch das Verfahren der Perser schwer zu verstehen, unter der Voraussetzung, daß sie die Ankunft der Macedonier in Myriandos bereits kannten. Wir haben angenommen, daß Darius den Marsch über das Amanos-Gebirge antrat, in der Meinung, daß Alexander mit seiner Offensive nicht über Cilicien hinausgehen werde. War er aber bereits in Myriandos, so war es auch ganz sicher, daß er weiter gehen werde und zwar nicht an der syrischen Küste entlang, wobei er ja seine Operationslinie und sein Lazarett[203] in Issus freiwillig den Persern preisgegeben hätte, sondern über den Bailan-Paß in das Innere, um das persische Heer aufzusuchen. Darius stand bei Sochoi, dessen Lage wir nicht kennen; jedenfalls war es nicht weit vom Ausgang des Bailan-Passes. Der einzig natürliche Entschluß für Darius in dem Augenblick, als er die Nachricht erhielt, daß Alexander in Myriandos sei, wäre gewesen, am Ausgang des Bailan-Passes Stellung zu nehmen und die Macedonier beim Austritt aus dem Paß mit versammelter Kraft anzufallen. Die Idee, jetzt noch die Macedonier zu umgehen, hätte diesen entscheidenden taktischen Vorteil preisgegeben, um den strategischen Gewinn dafür einzutauschen, daß den Macedoniern der Rückzug abgeschnitten wurde. Dieser Gewinn war aber nicht wesentlich, da, wenn die Mazedonier so weit von der Heimat überhaupt eine Niederlage erlitten, sie auf jeden Fall verloren waren, mochte ihnen von vornherein der Rückzug abgeschnitten sein oder nicht.

Unser Gedankengang ist also dieser: Als Alexander in Myriandos angekommen war, können die Perser rationellerweise die Umgehung nicht mehr beschlossen haben, und es liegt deshalb kein Grund vor, die Aussage der Quellen, daß die Märsche der beiden Heere gleichzeitig stattgefunden, zu verwerfen.

Die Perser müssen also den Marsch beschlossen haben, während die Macedonier noch in Mallos waren; dann aber haben sie darauf gerechnet, daß die Macedonier überhaupt nicht weiter vorgehen würden, denn sonst hätten sie riskiert, schon beim Austritt aus den Amanos-Pässen in die Ebene des Deli-Tschai auf die Macedonier zu stoßen. Der Marsch war also kein Umgehungs-, sondern ein einfacher Vormarsch, und es war ein reiner Zufall, daß er zum Umgehungsmarsch wurde, weil gerade an demselben Tage auch die Macedonier den Vormarsch antraten – ganz so, wie unsere Quellen es berichten.

6. Die Erzählung, daß die geretteten griechischen Söldner sich in Tripolis eingeschifft, hat Dittberner (S. 156) auf den Gedanken gebracht, daß sie vielleicht gar die macedonische Phalanx durchbrochen und sich auf dem direkten Weg nach Süden gerettet hätten. Dieser Schluß ist aber nicht nur nicht zwingend, sondern durch die sonstigen Umstände sogar völlig ausgeschlossen. Allerdings führt der Weg aus der Issus-Ebene über das Amanosgebirge nach Phönizien im Halbkreis um die Macedonier herum, aber eine solche Flucht um den Rücken des Feindes herum kommt öfter in der Kriegsgeschichte vor, z.B. entkam auf diesem Wege ein Teil des Burgunderheeres bei Murten, 1476, und ein Teil der Franzosen aus der Schlacht bei Novara, 1513.

Die Macedonier haben selbstverständlich, wie es auch die Erzählung bei Arrian zeigt, den Vormarsch nicht sofort am Tage nach der Schlacht wieder aufgenommen. Wären die Griechen durch die Macedonier durchgebrochen, so wären sie ja auf der Straße abgezogen, auf der Alexander anmarschiert war, wären also durch seine Bagage hindurchgegangen und hätten diese[204] nicht unberührt gelassen. Überdies standen ja bei Myriandos oder am Eingang des Bailan-Passes die griechischen Bundesgenossen Alexanders. Es ist völlig ausgeschlossen, daß sowohl von einem so ungeheuren Ereignis, wie dem Durchbruch selbst, der Überschreitung des Pajas und all' den Vorgängen, die sich auf jener Abzugs-Straße abspielen mußten, nicht die geringste Spur in unseren Quellen sich erhalten hätte.

7. KOEPP, Alexander der Große, S. 31, glaubt, daß die persische Umgehung den Aufklärungsdienst der Macedonier in schlechtem Licht erscheinen lasse. Da ist die Schwierigkeit einer Rekognoszierung zwei Tagemärsche weit über Gebirgspässe im feindlichen Lande unterschätzt. Selbst wenn Alexander in dieser Richtung Patrouillen vorgetrieben hat und diese auf feindliche Gruppen stießen, die ihnen entgegen kamen, so konnten sie doch nicht übersehen, ob es nur ein persisches Streifkorps oder wirklich die ganze Armee sei, die sich nähere. Selbst als Darius schon in Issus war, war Alexander noch im Zweifel und schickte, ehe er umkehrte, erst ein Schiff ab, um näher zuzusehen. Derartige Unsicherheiten und Überraschungen sind im Kriege unvermeidlich und sehr häufig und bedingen nicht notwendig einen Vorwurf.

8. Schilderung des Geländes von Oberingenieur HOSSBACH in einem Brief an den Konsul RÖSSLER vom 21. November 1913.

»Nachdem ich inzwischen den Peyaß-Tschai zweimal von seiner Mündung bis zum Ausbruch aus dem Gebirge besichtigt habe, will ich Ihnen heute eingehend über das Ergebnis berichten:

1. Von der Mündung an flußaufwärts, etwa 500 m lang, ist das Flußbett nur stellenweise von ca. 1 bis 2 m hohen aber steilen Ufern eingefaßt. – Ein Übergang von Reiterei ist auf dieser Strecke, zwar möglich, aber wegen der Strecken mit steilen Rändern und des sehr steinigen Flußbettes beschwerlich.

2. Von km 0,500 bis zur westlichen (neueren) Straßenbrücke (etwa 1,600 km von de Mündung) ist das Flußbett nur ca. 5 bis 15 m breit und stark eingeschnitten. – Ein Übergang von Reiterei in größerer Zahl ist auf dieser Strecke ausgeschlossen, ein Übergang von Fußvolk möglich.

3. Von km 1,60 bis zu der östlichen (älteren) Straßenbrücke (etwa km 3,5 von der Mündung) ist das Flußbett bald schmäler bald breiter. Die Ränder sind hier vielfach durch die späteren Bauten der Stadt Bajä verändert. Der Charakter ist jedoch durchweg steil und auch für Fußvolk schon schwer zu nehmen. Auf eine Länge von ca. 300 m bestehen die Wände bereits aus senkrecht abfallenden ca. 2 bis 4 m hohen Konglomerat-Felsen, die einen Übergang auch für Fußvolk fast unmöglich machen.

4. Vom km 3,5 ab (d.h. unmittelbar hinter der zweiten Brücke) ist eine Stelle von ca. 30 m (nicht 300 m) Länge, auf der ein schmaler Weg durch das Flußbett führt, der vermutlich früher, d.h. vor Erbauung der Brücken (es sind hier neben der jetzigen noch die Überreste von zwei[205] anscheinend sehr alten Brücken vorhanden) als Furt benutzt wurden. Der Weg führt auf der Südseite steil in das Flußbett hinab und auf der Nordseite etwas bequemer an dem abgeflachten Uferrand in die Höhe. Die anliegende Photographie Nr. 1 zeigt diese Nordseite mit dem deutlich erkennbaren Fußpfad, außerdem links unten den Rand der Brücke, von der aus die Aufnahme gemacht wurde und ferner von der Mitte (hinter der weißen Figur) ab nach rechts die hier beginnenden fortlaufenden steilen Felswände (vergl. unter 5). Auch das außerordentlich steinige Flußbett ist deutlich zu erkennen.

5. Von km 3,53 ca. ab ist das Flußbett etwa 15 bis 40 m breit, aber beiderseits fortlaufend bis zum Fuß des Gebirges hin, (d.h. also auf etwa 1,5 km Länge) mit senkrecht abfallenden Felswänden eingefaßt, deren Höhe 3 bis 20 m beträgt und die auch für Fußvolk völlig unpassierbar sind, es sei denn, das dasselbe mit den bei unseren modernen Festungsmanövern gebräuchlichen Sturmleitern usw. ausgerüstet gewesen ist. Abbildung 2 zeigt diese Partie im Anfang, d.h. also ca. 100 m von der Brücke entfernt, wo die durchlaufenden Felsränder mit ca. 3 m Höhe beginnen. Das Wasser bildet hier einen kleinen See, daher die Spiegelung der Büsche.

Ich hoffe, daß die vorstehende Schilderung Herrn Professor Delbrück einen Anhalt für die Beurteilung der Frage über das Schlachtfeld bei Issus gibt. An meiner Besichtigung haben noch zwei Ingenieure, die gute Reiter sind, teilgenommen, und wir waren sämtlich darüber einig, daß ein Übergang von Reiterei in Schlachtordnung an der unter 4. bezeichneten Stelle ausgeschlossen ist.«[206]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 185-207.
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