Viertes Kapitel.

Schlacht bei Gaugamela.

[207] Nach dem Siege bei Issus unterwarf Alexander zunächst Phönizien und Syrien und mußte zwei sehr harte Belagerungen, von Tyrus und Gaza, durchführen. Dann zog er weiter, um auch die Herrschaft über Ägypten zu ergreifen. Man hat diesen letzteren Zug tadeln und sogar finden wollen, die Expedition sei nur erklärbar, wenn man bedenke, daß den Alten die gegenseitige Lage der Länder nicht klar gewesen sei und Alexander daher nicht habe übersehen können, wie sehr er durch das Einschlagen dieser Richtung seine rückwärtigen Verbindungen gegen Babylon preisgab.105

Aber ich denke, Alexander übersah sehr wohl, was er tat. Daß die Perser im nächsten Jahr (332) noch nicht wieder mit einem großen Heer in Syrien erscheinen würden, war anzunehmen, und wenn sie es taten, so war es seine sichere Beute. Um für den bevorstehenden Feldzug in das innere Persien sicher basiert zu sein, bedurfte Alexander nicht nur der Herrschaft über Syrien, sondern auch über Ägypten. Gewiß hätte es genügt, einen General mit einem kleinen Korps dahin zu detachieren, aber es ist keineswegs gesagt, daß es bloß die Eroberung Ägyptens war, um deretwillen Alexander sich aufgehalten und seinem Gegner Zeit gelassen hat zu neuen Rüstungen. Zwar je schneller die Mazedonier in Persien erschienen, desto weniger Zeit blieb Darius, ein neues Heer aufzustellen. Aber auch Alexander verstärkte sich in der Zwischenzeit. Bei Issus hatte er wohl etwas über 30000 Mann um sich; davon gingen ab die Verluste der Schlacht und der Belagerungen und die in Syrien notwendigen[207] Garnisonen. Hätte er also nach Ägypten noch detachiert, so hätte er schwerlich mit mehr als 20000, oder rechnen wir, daß ihn noch Verstärkungen erreichten, 25-30000 Mann den Tigris überschritten. Bei Gaugamela hatte er aber 47000 Mann, und es scheint nicht, daß das zu viel gewesen wäre. Wir müssen also ganz wie bisher die Vereinigung von Kühnheit und Besonnenheit loben, die den jungen König nicht blind hinter dem geschlagenen Gegner herstürmen ließ, sondern vor allem die für das ins Unendliche ausgreifende Unternehmen nötigen Kräfte sammelte und die Zwischenzeit mit der Einrichtung der mazedonischen Herrschaft in Ägypten und der Gewinnung der Bundesgenossenschaft der ägyptischen Götter vorteilhaft ausfüllte.

Darius machte seinem furchtbaren Gegner den Übergang über die Ströme Euphrat und Tigris nicht streitig, sondern erwartete ihn in der großen Ebene jenseits des Zweistromlandes, nicht weit von den Ruinen von Ninive. Noch jetzt sollen griechische Söldner bei ihm gewesen sein, aber so wenige, daß sie in der Schlacht keine Rolle mehr spielen. Es wird auch berichtet (Diodor XVII, 55), der Perserkönig habe seinen Kriegern längere Spieße und Schwerter machen lassen, als sie früher trugen, weil die Mazedonier solche Waffen hatten. Da die Perser früher hauptsächlich mit dem Bogen und Wurfspießen kämpften (auch Herodot erwähnt ja die längeren Spieße der Griechen), so wäre diese Reform wohl so auszulegen, daß Darius aus seinen Asiaten, mit Hilfe seiner griechischen Gefolgsleute, eine Phalanx bilden wollte, denn der lange Spieß ist keine Wurfwaffe mehr, sondern nur Nahwaffe, und daß diese am besten in der strengen Ordnung der Phalanx wirksam sei, wird den Persern nicht verborgen geblieben sein. Aber mag die Nachricht nun authentisch sein oder nicht: ein taktischer Körper wie die Phalanx läßt sich nicht improvisieren; er bedarf der Übung und der militärischen Erziehung.

Es ist, wie Melchior Ruß von Luzern, Gesandter bei König Louis XI. von Frankreich, im Jahre 1480 nach Hause meldete: der König sei dabei, seine Armee zu reformieren und lasse eine große Masse langer Spieße und Hellebarden nach deutscher Weise fabrizieren; wenn er auch Menschen fabrizieren könnte, die sie handhabten,[208] würde er niemandes Dienste weiter gebrauchen.106 Die Kriegskunst bedarf der Waffen, aber sie besteht nicht in den Waffen, und so hören wir denn in der Schlacht von Gaugamela nichts von den Taten einer persischen Phalanx.

Die neue Waffe, durch die Darius, nachdem das Terrainhindernis vor der Front sich bei Issus als unpraktisch erwiesen, den furchtbaren Anprall der Phalanx tatsächlich zu brechen sucht, sind die Sichelwagen und neben ihnen eine kleine Anzahl Elefanten.

Im übrigen besteht die eigentliche Stärke des persischen Heeres, wie das in der Natur der Sache liegt, ganz wie bei Issus, aus der Reiterei, und sicherlich hat aus diesem Grunde Darius Alexander den Übergang über die Ströme freigegeben, um ihn auf einem selbstgewählten Schlachtfelde erwarten zu können, nämlich auf einer weiten Ebene, wo die persische Reiterei sich ungehindert entfalten und ihre Übermacht geltend machen konnte. Wenn Alexander, wie Arrian berichtet, bei Gaugamela 7000 Reiter hatte, so ist anzunehmen, daß Darius vielleicht 12000 zusammengebracht hatte; mehr gewiß nicht: 12000 Reiter auf einem Fleck ist eine so große Masse, daß kaum eine bis zur Virtuosität ausgebildete Kunst der Organisation, der Verpflegung und der Führung sie zu bewältigen und zu dirigieren vermag.107 Von dem Fußvolk des Darius kann man sich schwer eine Vorstellung machen. Bogner, die alte Waffe der Perser, können immer nur wenige Glieder tief aufgestellt sein, um Wirkung zu haben. Lose Scharen unkriegerischen Volkes gegen eine Hopliten-Phalanx aufzustellen, war nutzlos, und die Perser verstanden genug von der Kriegskunst, um das zu wissen und nicht lieber alle Kraft auf die Verstärkung der Reiterei zu verwenden, statt sich durch wertlose Massenaufgebote in unüberwindliche Verpflegungsschwierigkeiten zu stürzen. Haben Versuche zur Bildung einer Hopliten-Phalanx stattgefunden, so zeigt die Schlacht nichts von[209] irgend einem Erfolg. Es ist daher wohl möglich, daß das persische Heer außer den Reitern, Elefanten und Sichelwagen nur eine relativ geringe Zahl Fußsoldaten gehabt hat, das heißt gewiß nicht mehr, eher weniger als die Mazedonier. Die eingeborene persische Reiterei aber war noch durch scythische und angeblich auch indische Söldner verstärkt.

Unsere Quellen, auch die Hauptquelle, Arrian, sind ein Gemisch von sehr genauen aktenmäßigen Nachrichten, namentlich über die Aufstellung, und Wachtfeuermärchen, die aber mit ziemlicher Sicherheit kritisch voneinander gesondert werden können.

Die extremste Form der Lagerlegende ist, daß die Perser bei Gaugamela, ganz wie bei Issus und am Granikus, nach einem Fronthindernis gesucht und diesmal ein solches künstlich aus Wolfsgruben und Fußangeln hergestellt hätten. Schon Arrian aber hat diese Erzählung beiseite gesetzt, er berichtet davon nur als einem Verdacht der Mazedonier und will ganz umgekehrt, daß die Perser das Feld vor ihrer Front künstlich geebnet und Hindernisse weggeräumt hätten, um ihren Sichelwagen freie Bahn zu schaffen.

Da wir nicht hören, daß in der Schlacht irgend ein mazedonischer Soldat in die Wolfsgruben gefallen oder in die Fußangeln getreten ist, so werden wir diese Manipulationen aus der Geschichte streichen; aber auch die künstliche Planierung des Feldes für die Sichelwagen wird man in Anbetracht, daß die Perser doch nicht vorher wissen konnten, wo die Mazedonier angreifen würden und Planierungen sich nicht in ein paar Tagen ausführen lassen, beiseite lassen dürfen. Genug, daß die Perser eine allenthalben freie Ebene mit geringen Bodenwellungen für die Schlacht ausgesucht hatten, wo ihre beiden Hauptwaffen, die Reiterei und die Sichelwagen, ungehindert agieren konnten. Gelang es den Sichelwagen, die mazedonische Phalanx in Unordnung zu bringen und in ihrem Vorgehen aufzuhalten, während die überlegene persische Reiterei die mazedonische umfassend angriff und vertrieb, so war der Sieg für die Perser entschieden. So hatte früher einmal (Xenophon Hell. IV, 1, 19) der Satrap Pharnabazus einen Haufen von 700 Griechen durch zwei Sichelwagen auseinandergesprengt,[210] um sie dann mit seinen Reitern anzufallen und niederzuhauen.108

Des gemeinsamen Angriffs der persischen Reiter und Bogner hätte sich die ihrer Reiterei beraubte Phalanx nicht erwehren können, sondern allmählich dabei verbluten und zu Grunde gehen müssen.

Nach der Erzählung der Griechen hat man die Schlachtordnung der Perser später bei der Beute gefunden, und sie wird uns eingehend überliefert, ergibt jedoch nichts für uns Wesentliches. Bemerkenswert erscheint daraus nur, daß nicht nur die Flügel allem Anschein nach aus Reiterei bestanden, sondern auch im Zentrum Reiter und Fußvolk gemischt waren, was wieder dafür spricht, daß das Fußvolk nicht so sehr zahlreich gewesen ist.

Alexander wußte das übliche Schema seiner Aufstellung wieder mit offenem Blick den Verhältnissen anzupassen. Die große Masse seiner Infanterie benutzte er nicht, die Schlachtlinie zu verlängern, was ihre geordnete Bewegung gar zu sehr erschwert hätte, sondern verdoppelte die Tiefe und gab den hinten stehenden Abteilungen den Befehl, im Falle eines Rückenangriffs Kehrt zu machen. Hauptsächlich aber schützte er sich gegen die Gefahr einer Umfassung seitens der überlegenen feindlichen Reiterei in der freien Ebene durch Abteilungen von Reitern und Leichtbewaffneten, die an beiden Flügeln im Haken angesetzt wurden, also der vorrückenden Linie in einer tiefen Kolonne folgten, von wo aus sie sowohl aufmarschieren konnten, um die Schlachtlinie zu verlängern (die Kolonne hinter dem rechten Flügel war also links abmarschiert), als auch nach der Flanke einschwenkend, einen Haken bilden, um einen Angriff aus der Flanke zu begegnen, als auch schließlich etwaige Lücken in die Phalanx, die beim Vormarsch entstehen konnten, von hinten her schließen.

In dieser Form rückte das mazedonische Heer über die Ebene gegen die Perser vor. Nehmen wir an, daß von den 47000 Mann, die als seine Stärke überliefert sind, noch einige Tausend Mann für Lager-Wachen und Kranke abgehen, so bleibt es immer[211] eine gewaltige Masse, die, einmal aufmarschiert, nur schwer und langsam vorwärts zu bewegen ist, ohne in Unordnung zu kommen.

Der persische Schlachtplan versagte bei den Sichelwagen. Von den Elefanten hören wir im Gefecht nichts. Den Sichelwagen sandte Alexander Schützen entgegen, die vor der Phalanx ausschwärmend, die Lenker der Wagen beim Anfahren herunterschossen oder sie, um die Wagen herumlaufend, herunterrissen. Die führerlosen Pferde ließen sich dann zum Teil zurückscheuchen, und wo sie auf die Phalanx einstürmten, machte man ihnen Platz, so daß nur wenige von den Sicheln ergriffen und verletzt wurden.109 Die Reiterei beider Teile hatte sich mittlerweile, indem die Perser die Mazedonier überflügelten und diese ihnen die Truppen aus dem Haken entgegenschickten, gegenseitig die Flanke abzugewinnen gesucht und war in ein hin- und herwogendes Gefecht geraten. Der Ausgang war noch zweifelhaft, als die Phalanx nach Abschüttelung der Sichelwagen, den Vormarsch wieder aufnahm; der rechte Flügel, von dem linken losgerissen, war voraus, und als er nun der Kavallerie sekundierte und auf die Perser eindrang, ergriffen diese die Flucht.

Wohl brach, als die Phalanx beim Vormarsch durchgerissen war, persische und indische Reiterei durch die Lücke, aber die disziplinlosen Scharen stürzten sich auf das macedonische Lager, statt das mazedonische Heer im Rücken anzugreifen, so daß dieser Zwischenfall auf den Ausgang der Schlacht keinen Einfluß übte.

In Bedrängnis geriet eine Zeitlang der von Parmenion geführte linke Flügel der Macedonier, wurde aber von dem siegreichen rechten Flügel degagiert.

Ganz wie die beiden vorhergehenden Schlachten verlief also auch Gaugamela als Flügelschlacht mit offensiv-siegreichem rechten Flügel. Weshalb bei Gaugamela gerade der rechte Flügel siegte, ist aus der Überlieferung nicht ersichtlich. Aus der Truppenverteilung ist nicht erkennbar, daß der rechte Flügel an Kavallerie stärker gewesen sei als der linke (Rüstow und Köchly haben sogar[212] das Gegenteil berechnet), und es erhellt auch nicht, daß der entgegenstehende persische linke Flügel der schwächere gewesen sei.

Die Angabe Diodors, daß die Mazedonier in der Schlacht etwa 500 Mann an Toten neben sehr vielen Verwundeten verloren hätten, erscheint nicht unglaubwürdig.110


1. RÜSTOW und KÖCHLY und mit ihnen die meisten Erzähler fassen die macedonische Schlachtordnung anders auf, als es oben geschehen ist. Sie sehen in den »ἐσ᾽ ἐπικάμπην« aufgestellten Truppen ein zweites Treffen, das beiden Flügeln folgte. Sachlich wäre das nicht undenkbar; ich glaube jedoch, mit H. DROYSEN, Heerwesen S. 119, daß »ἐσ έπικάμπην« nicht anders als mit »hakenförmig« übersetzt werden kann, und das Folgende läßt diese Auslegung als die allein mögliche zu. Arrian sagt zunächst, wie am äußersten rechten Flügel, bei der Leibschwadron ansetzend, »ἐσ ἐπικάμπην« die Truppen des Attalus (Agrianer, Peltasten), mit diesen (μετὰ τούτων) die des Brison (Bogner), an diese anschließend (ἐχόμενοι δὲ τῶν τοξοτῶν) die des Kleander (Truppengattung unbekannt), aufgestellt wurden. Das ließe sich zur Not noch als ein Nebeneinanderstehen im zweiten Treffen deuten. Nun fährt Arrian aber fort »προετάχθησαν δὲ τῶν Αγριάνων καὶ τῶν τοξοτῶν οἵ τε πρόδρομοι ἱππεῖς καὶ οἱ Παίονες, ὧν ᾽Αρέτης καὶ ᾽Αρίστων ήγοῦντο«. »ξυμπάντων δὲ προτεταγμένοι ἦσαν οἱ μισθοφόροι ἱππεῖς, ὧν Μενίδας ἦρρχε« Unmöglich konnten diese Truppen alle zwischen dem ersten und zweiten Treffen stehen, und Rüstow und Köchly geben ihnen daher mit richtiger Empfindung den Platz neben den Truppen des Attalus und den Bognern und sehen sie als einen debordierenden Teil des zweiten Treffens an. Hätte Arrian das sagen wollen, so hätte er sich zum wenigsten sehr umständlich ausgedrückt. Die Sache ist aber völlig klar, wenn wir uns die Truppen des Attalus, Brison und Kleander als eine tiefe (Marsch-)Kolonne vorstellen, am äußersten rechten Flügel der Hauptfront, bei der Leibschwadron der Hetären im rechten Winkel ansetzend; neben ihnen rechts, in einigem Abstand die beiden andern Kolonnen, erst die des Aretes und Ariston, dann die des Menidas. Dieses »neben« drücken Arrian und seine Quelle mit »πρό« aus, da diese Truppen ja im Haken aufgestellt sind, also ihre eigentliche Front nach der Flanke haben. (Vgl. DITTBERNER, Schlacht bei Jossos S. 10.) Der Unterschied zwischen meiner Auffassung und Rüstow-Köchlys ist also der, daß ich mir die fraglichen Truppen als drei parallele tiefe (Marsch-)Kolonnen, Rüstow- Köchly sie sich schon als nebeneinander aufmarschiert vorstellen.[213]

Die drei parallelen Kolonnen auf dem rechten Flügel hatten den Befehl »εἴ που ἀνάγκη καταλαμβάνοι ᾔ ἀναπτύξαι ἣ ξυγκλεῖσαι τὴν φάλαγγα«. Der Ausdruck »ἀναππύσσειν« ist verschieden übersetzt worden, sowohl mit »explicare« »entfalten«, »entwickeln«, »aufmarschieren«, »deployieren«, wie »replicare«, »umbiegen«. Der Wortbedeutung nach ist beides denkbar. Hat Arrian hier das Zweite gemeint, so bedeutet der Befehl: die Truppen sollen nötigenfalls die Phalanx umbiegen, d.h. einen Haken bilden; sie sind zwar schon in der Stellung »ἐς ἐπικάμπην« zur Hauptfront, aber noch nicht aufmarschiert; erfolgt nun ein Angriff des Feindes in der Flanke, so sollen sie nach dieser Seite eine Front bilden, indem sie einschwenken. Sie sind daher vermutlich links abmarschiert. Andernfalls sind sie da, die Phalanx zu »schließen« »ξυγκλεῖσαι«, d.h. wenn beim Vormarsch Lücken entstehen, in diese einzurücken, resp. auch wohl (was in dem Ausdruck direkt allerdings nicht liegt) die Front nach rechts hin zu verlängern.

Will man festhalten, daß ἀναπτύσσειν »entfalten« heiße, so ist der Befehl so aufzufassen: die Truppen sollen entweder zur Phalanx aufmarschieren, d.h. die Front verlängern, oder aber die Phalanx schließen, d.h. in der Flanke decken. Die Bedeutung der beiden Ausdrücke »ἀναπύσσειν« und »ξυγκλεῖσαι« würde sich also nahezu umkehren, der Sinn des Ganzen aber so ziemlich derselbe bleiben.

Die Stellen, wo sonst in der griechischen Literatur »ἀναπτύσσειν« in militärischem Sinne gebraucht wird, lassen teils beide, teils nur die eine oder die andere Auslegung zu.

In Arrians eigener Schilderung der Schlacht bei Issus (II, 8, 2) läßt Alexander die Armee aus den Pässen debouchieren, und wie sie in die Ebene gelangen, »ἀνέπτυσσεν ἀεὶ τὸ κέρας ἐς φάλαγγα, ἄλλην καὶ ἄλλην τῶν ὁπλιτῶν τάξιν παράγων«. Das kann übersetzt werden: er ließ die Marschkolonnen sich zur Phalanx entwickeln und eine Taxis nach der andern aufmarschieren. Man kann aber auch sagen: er ließ die Marschkolonnen zur Phalanx umbiegen, indem eine Taxis nach der andern aufmarschierte.

Bei Kunaxa wird die griechische Hopliten-Phalanx in der linken Flanke (der ursprünglichen Front) durch die persische Reiterei bedroht, während die rechte durch den Fluß gedeckt ist. Da beschließen die Griechen »ἀναππύσσειν τὸ κέρας καὶ ποιήσασθαι ὄπισθεν τὸν ποταμόν«. Das kann heißen: die Phalanx hat erst die Wendung nach der bedrohten Flanke gemacht und marschiert nun nach dieser Seite auf oder vielmehr deployiert nach dieser Seite, da eine so tiefe Kolonne bei einem einfachen Aufmarsch in völlige Unordnung geraten würde; es bedarf, um ein solches Manöver in Ordnung zu vollziehen, der kunstvollen Form des Deployements, d.h. rechtwinkliger kommandierter Bewegungen der einzelnen Abteilungen. Gegen diese Auslegung spricht, daß die Griechen damit eine Stellung 11/2 bis 2 Kilometer vom Fluß entfernt genommen, also durch diesen eigentlich keine Deckung mehr gehabt hätten. Man hat deshalb auch wohl die Bewegung nach dem[214] andern Flügel zu machen lassen wollen, so daß die Griechen während der Bewegung dem Feind den Rücken gewandt hätten. Xenophon könnte aber auch sagen wollen, daß die Griechen ihren bedrohten Flügel umbiegen, d.h. einen Haken bilden ließen. Auch dies Manöver wäre freilich schwierig auszuführen und die neue Stellung taktisch sehr ungünstig gewesen, da, wenn nun die eine der beiden Fronten einen Offensivstoß machte, die Phalanx zerrissen wurde.

Ein drittes und viertes Mal finden wir den Ausdruck ἀναπτύσσειν bei Xenophon in der Cyropädie VII, 5, 3 und 5. Cyrus will eine sehr lange aber flache Phalanx auf die Hälfte verkürzen und dadurch in der Tiefe verdoppeln. Er befiehlt zu diesem Zweck den auf den Flügeln stehenden Hopliten, sich hinter das stehenbleibende Zentrum zu setzen. Das ist so ausgedrückt: »παρήγγειλεν ἀπὸ τοῦ ἄκρου ἑκατέρωθεν τοὺς ὁπλίτας ἀναπτύσσοντας τὴν φάλαγγα ἄπιέναι παρὰ τὸ ἑστηκὸς τοῦ στρατεύματσς ἕως γένοιτο ἑκατέρωθεν τὸ ἄκρον κατ᾽ αὐτὸν καὶ κατὰ τὸ μέσον«. Will man hier das »ἀναπτύσσοντας τὴν φαλαγγα« auf die schon stehende Phalanx beziehen, so kann man es nicht anders als mit »umbiegen« übersetzen, und das gibt einen klaren natürlichen Sinn. Anders wäre die »Phalanx«, von der hier gesprochen wird, nicht die, in der die Hopliten stehen, sondern die, zu der sie jetzt aufmarschieren sollen. Es wäre also zu übersetzen: »er befahl den Hopliten, von beiden Flügeln zur Phalanx aufzumarschieren und abzuziehen hinter das stehenbleibende Zentrum, bis die beiden Spitzen in der Mitte zusammenträfen.« Eine solche Ausdrucksweise wäre aber doch wohl unerträglich hart. Weiter heißt es »ἀναπτυχθείσης δ᾽ οὕτω τῆς φάλαγγος ἀβάγκη τοὺς πρώτους ἀρίστους εἶναι καὶ τοὺς τελευταίους«. »Ανακτυχθείσης οὕτω τῆς φάλαγγος« kann ebensowohl »bei einer derartig aufmarschierenden Phalanx«, wie »bei einer derartig umgebogenen Phalanx« übersetzt werden.

Plutarch, Pelopidas cap. 23 in der Schilderung der Schlacht bei Leuktra wollen die Spartaner die Thebaner umfassen »τὸ δεξιὸν ἀνέπτυσσον καὶ περιῆγον ὡς κυκλωσόμενοι«. Man kann wohl nur übersetzen »sie bogen ihre Rechte und führten sie herum (oder, sie schwenkten ihre Rechte herum), um ihre Gegner einzukreisen«.

Umgekehrt Dio Cassius IL cap. 29 haben die Römer unter Antonius im Kampf mit den Parthern eine dichte Verschildung gebildet und brechen plötzlich aus dieser hervor »πὰσαν τὴν φάλαγγα ἅμα ἀνέπτυξαν«. Hier kann kaum anders als »entwickelten die Phalanx« oder »ließen die ganze Phalanx aufmarschieren (deployieren)« übersetzt werden.

In der Arrianischen Taktik VIII, 3 (KÖCHLY und RÜSTOW, Griech. Kriegsschriftsteller II, 1, 286) wird dargelegt, daß bei einem Heer, dessen Abteilungen sich stets durch zwei teilen lassen, alle Bewegungen am leichtesten auszuführen sind. Dabei ist auch »ἐκτείνειν ἀναπτύσσοντα« genannt. Auch hier kann auf keine Weise eine Bedeutung wie »umbiegen« gebraucht[215] werden; die Zusammenstellung mit ἐκτείνειν verlangt den Sinn »aufmarschieren« oder »deployieren«.

Vgl. hierzu Köchly und Rüstow, Griech. Kriegsschriftsteller II, 2, 267 und die Anmerkungen zu Xenophons Anabasis I, 10, 9 in den Ausgaben von Schneider, Volbrecht und Krüger, sowie die Anmerkungen von Dindorf zu Xenoph. Cyrop. VII, 5, 3. Ferner Reuß N. Jahrb. f. Philol. Bd. 127, S. 817, Bünger, ebenda 131, 262.

3. Wie die Aufstellung der Truppen hinter den beiden Flügeln als ein zweites Treffen aufgefaßt worden ist, so ist auch die »doppelte Phalanx« im Zentrum als eine Aufstellung in zwei Treffen gedeutet worden. Schon H. Droysen, Heerwesen p. 120, hat Bedenken gegen diese Auffassung geäußert, und gewiß mit Recht. Vor allem fragt man, was für Truppen denn hier gestanden haben; es wäre doch höchst merkwürdig, daß sie gar nicht erwähnt werden, während uns sonst jede kleine Abteilung genannt wird, um so merkwürdiger, da ja diese Truppen eine selbständige Bewegung machen, nämlich die in das Lager eingedrungenen Feinde wieder vertreiben. Niese hat die Vermutung ausgesprochen, die sonst nicht genannten griechischen Bundesgenossen möchten hier gestanden haben, aber wahrscheinlich (Köhler, Sitz-Ber. d. Berl. Akademie 1898) haben diese gar nicht an der Schlacht teilgenommen, und der ganze Gedanke eines zweiten Treffens muß aufgegeben werden. Über die Bedeutung und den Charakter der Aufstellung in mehreren Treffen werden wir noch zu handeln haben; bei Gaugamela ist sie nicht nur nicht genügend bezeugt, sondern wird geradezu ausgeschlossen durch die Erzählung von dem Durchreißen der Phalanx und dem Durchbrechen der feindlichen Reiter durch diese Lücke. Ein Treffenabstand kann nicht wohl unter 100 Schritt betragen; beide Treffen bewegen sich selbstständig. Wenn das erste Treffen zerreißt, was ja sehr leicht geschehen kann, so ist das zweite, das doch nicht zufällig auch ganz an derselben Stelle zerreißen wird, dazu da, die Lücke zu füllen, oder etwa durchbrechende Feinde aufzufangen. Eine ähnliche Funktion sollten ja auch die Reservetruppen hinter den Flügeln eventuell ausüben, denen zu einem zweiten Treffen nur fehlt, daß sie nicht aufmarschiert sind. Im Zentrum, hinter der Phalanx, hat es aber ein zweites Treffen noch weniger gegeben, sonst wären die feindlichen Reiter nicht so glatt durchgekommen. Die doppelte Phalanx ist also nur als eine in der Tiefe verdoppelte aufzufassen, deren hintere Abteilungen instruiert sind, eventuell Kehrt zu machen.

4. Nach Arrians Erzählung hat, als die beiden Heere einander schon so nahe waren, daß die Macedonier drüben den König Darius mit seiner Umgebung erkennen konnten, Alexander sein Heer eine längere Bewegung nach rechts machen lassen. Rüstow und Köchly geben das wieder: »Alexander zog sich in Echelons halb rechts« ... »die Bewegung, welche darauf berechnet ist, die ganze macedonische Armee auf die linke Flanke der Perser zu werfen«. Einen solchen Flankenmarsch mit einer großen Armee zu machen, setzt eine Exerzierkunst voraus, die ich denn doch den Macedoniern[216] nicht zutrauen möchte. Überdies wäre die Bewegung so gefährlich, daß man sie als undenkbar bezeichnen kann: der Gegner brauchte ja nur zuzufahren, um die macedonische Armee in einem Zustand anzugreifen, in dem sie kaum verteidigungsfähig war. Der Flankenmarsch so nah an der feindlichen Front entlang ist nur anwendbar, wenn man sicher sein kann, daß der Gegner in seiner Defensivstellung verharrt. Die Perser aber, deren Kraft in den Reitern und Sichelwagen bestand, warteten nur auf den Augenblick, wo sie vorbrechen konnten. Es möchte jemand an den Flankenmarsch Friedrichs des Großen bei Leuthen denken – aber dieser wurde gemacht, gedeckt durch eine Hügelkette, so daß die Gegner ihn nicht rechtzeitig bemerkten, nicht genügend beobachten konnten und die Bewegung, die sie wahrnahmen, sogar für einen Rückzug hielten. Die Perser aber sollen den angeblichen macedonischen Flankenmarsch unmittelbar vor Augen gehabt und, um ihm zu begegnen, eine der macedonischen parallele Flankenbewegung gemacht haben. Nicht nur kann man den Persern eine solche Exerzierkunst noch weniger zutrauen als den Macedoni ern, sondern die Bewegung ist auch ganz unverständlich: zogen sich die Macedonier nach rechts, so gaben sie damit ja ihre linke Flanke den Persern preis: diese also brauchten bloß geradeaus (auf ihrem angeblich vorher geebneten Boden) zu gehen, die um Macedonier zugleich in der Marschbewegung, in der Flanke und im Rücken zu packen.

Erst als die beiderseitige Flankenbewegung eine Weile gedauert hatte, soll endlich Darius die Einsicht gekommen sein, daß es am besten sei, zum Angriff zu schreiten, aber nicht etwa wegen der ungünstigen Verfassung, in der sich die Macedonier gerade befanden, sondern damit die Heere sich nicht von dem künstlich geebneten Terrain auf ein unebeneres zögen, wo die Wagen unbrauchbar wurden.

Es ist einleuchtend, daß der Vorgang so, wie ihn Arrian schildert und Rüstow-Köchly ihn militärisch analysiert haben, unmöglich sich abgespielt haben kann. Vielleicht sind in der Überlieferung Manöver, die sich beim Anmarsch abspielten, ehe die Heere so nah waren, mit den Bewegungen auf dem Schlachtfeld selbst kontaminiert worden. Eine vorsichtige Kritik darf davon nicht mehr aufnehmen, als oben geschehen ist, daß nämlich die Reiter und Leichtbewaffneten des rechten Flügels sich gegenseitig die Flanke abzugewinnen suchten.

Daß die Phalanx beim Vormarsch durchriß, hing nach Arrian mit dem Flankenmarsch zusammen. Das Zerreißen ist aber selbst dann nicht unnatürlich, wenn gar kein absichtliches Ziehen nach rechts stattgefunden hat, da es überaus schwer, ja fast unmöglich ist, eine breit aufmarschierte Linie ganz gerade vorwärts zu bewegen, und bei längerem Vormarsch das Zerreißen fast unvermeidlich ist. Hat sich die macedonische Armee beim Vormarsch nach rechts gezogen, so lag das ganz gewiß nicht in der Absicht Alexanders, da jede Abweichung von der geraden Linie die Gefahr der[217] Unordnung mit sich bringt, sondern war ein zufälliger Fehler, den die Lagerlegende nachher zu einem taktischen Manöver stempelte.

5. v. SCHWEIGER-LERCHENFELD in seiner Bearbeitung der Studienexpedition des Ingenieurs Cernik (Ergänz.-Heft Nr. 45 zu Petermanns Geogr. Mitteil. 1876 S. 3) sucht den Ort der Schlacht näher zu bestimmen und findet ihn in einer reichen Fruchtebene bei dem Orte Kermelis. Militärisch ergibt sich nichts weiter daraus.

6. Die Schlacht bei Gaugamela scheint die einzige große Schlacht in der Weltgeschichte zu sein, in der die Sichelwagen eine wirkliche, freilich verfehlte Rolle gespielt haben. Xenophon beschäftigt sich in der Europädie (VI, 1, 30. VI, 2, 17, 18. VIII, 1. VIII, 8, 24) wiederholt und ausführlich mit ihnen, wohl nicht bloß, weil sie zu dem Bilde einer persischen Heeresmacht gehörten, sondern weil die abenteuerliche Furchtbarkeit der Waffe seine Phantasie reizte. So ist es auch anderen nach ihm ergangen; Leonardo da Vinci hat sich mit der Konstruktion solcher Wagen abgegeben und gezeichnet, wie sie in die feindliche Masse hineinfahren und die Arme und Beine herumfliegen.

So ausführlich Xenophon die Sichelwagen behandelt, so deutet doch auch er schon an, wo ihre Schwäche liegt. Er läßt die Pferde gepanzert sein, und in der Schlacht (VII, 1) erleiden die Wagenlenker große Verluste, und im Schlußkapitel heißt es, die Perser verständen heutzutage die Sichelwagen nicht mehr zu lenken; sie führen zwar los, aber die Führer sprängen oder stürzten bald heraus, und die führerlosen Gespanne täten oft mehr Schaden bei den Freunden als bei den Feinden.

7. FRIEDR. HACKMANN, Die Schlacht bei Gaugamela, Dissert. (Halle 1902) hat die Schlacht wesentlich anders zu rekonstruieren versucht. Ich habe der Untersuchung jedoch nur einige Verbesserungen im einzelnen entnehmen können, als Ganzes ist sie verunglückt, da dem Verf. die nötigen Kenntnisse von der Elementartaktik und ihren Möglichkeiten gefehlt haben. Vgl. meine Rezension in der Deutsch. Liter. Zeit. 1902 Nr. 51, Sp. 3229.[218]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 207-219.
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