Viertes Kapitel.

Mithridates.

[470] Wilde Parteikämpfe, der Abfall der Bundesgenossen und ein Bürgerkrieg, der durch ganz Italien hin- und herwogte, schienen das römische Weltreich wieder aufzulösen, ehe es noch vollendet war, und gaben einem kappadocischen Teilfürsten den Mut, sich gegen Rom zu erheben, um den griechischen Orient von ihm loszureißen und unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Mithridates war von Abkunft ein Perser, vielleicht ein Verwandter des achämenidischen Königsgeschlechts, nach Bildung und Auftreten eine Grieche, das echte Produkt der Verschmelzung der Völker durch Alexander den Großen. Durch kluge und tatkräftige Politik hatte er sein Reich über die Ufer des Schwarzen Meeres erweitert, und die Griechen, durch die römischen Beamten und Steuerpächter zur Verzweiflung gebracht, traten zum großen Teil auf seine Seite, namentlich auch die Athener.

Der römische Staat schien völlig zerrüttet, Mithridates faßte die Kräfte seiner Länder monarchisch zusammen; wirtschaftlich und finanziell war zweifellos der Orient dem Occident überlegen; das Griechentum und selbst römisches Emitrantentum stellte dem pontischen König militärische und politische Talente und Intelligenzen in Fülle zur Verfügung; die Armeen hüben und drüben hatten wesentlich den Charakter von Söldnerscharen. Es scheint demnach, daß Mithridates, der selber zweifellos eine bedeutende Persönlichkeit war, den Römern wohl hätte die Stange halten können.

Dennoch unterlag er. Die Griechen gingen doch nur zum Teil zu ihm über; einige Staaten, namentlich Rhodos und auch die[470] Macedonier hielten zu den Römern, und die Basis der römischen Macht war zu viel breiter und militärischer als die des Königs. Gaben diesem auch die Griechen Feldherren und konnte er nicht bloß aus seinen Untertanen, sondern auch aus kriegerischen Barbarenvölkern Söldner werben, so weit seine Geldmittel reichten, so fehlte ihm doch das, was jetzt die Kraft Roms machte, der Soldatenstand mit dem Begriff der Disziplin auf der nationalpolitischen Grundlage des römischen Bürgerbegriffes, der römische Centurio. Der römische Staat in all' seinen inneren Wirren hatte Konsistenz genug, um nicht auseinanderzufallen; eine geniale Persönlichkeit, Sulla, trat an die Spitze der Armee, und damit war die Überlegenheit der römischen Waffen entschieden. Wie der Sieg im einzelnen erfochten worden ist, wissen wir nicht, da die Überlieferung nicht mehr Wert hat als die Appianischen Berichte über die Hannibalsschlachten oder die Erzählungen vom Kriege mit den Cimbern und Teutonen. Die Memoiren Sullas selber, die Plutarch und andere benutzt haben, müssen prahlerisch und wenig anschaulich gewesen sein. In der Schlacht bei Chäronea soll Sulla mit 15000 Mann und 1500 Reitern über 120000 oder, nach der bescheideneren Angabe, 60000 Asiaten gesiegt und von ihnen 100000 oder 50000 getötet, selber aber nur 14 Mann vermißt haben, von denen sich noch zwei wiederfanden. Vermutlich ist die ganze Schlacht ein Phantasiestück und reduziert sich (wie auch eine der Quellen berichtet)241 auf einen Überfall, denn kurze Zeit darauf hatte Sulla fast an derselben Stelle, bei Orchomenos, abermals ein asiatisches Heer von 70000 oder 80000 Mann zu besiegen, was Mithridates mitsamt 10000 Reitern zu Schiff auf die Nachricht von der ersten Niederlage nachgeschickt haben soll.242

Später steigen die Heere des Mithridates bis zu 500000 Mann. Es ist aber sehr wohl möglich, daß die Römer nicht bloß die qualitative, sondern auch die numerische Überlegenheit gehabt haben. Daß ein Mann wie Mithridates klug genug war, nicht unkriegerische[471] Massen ins Feld zu führen, die zu verpflegen waren und auf dem Schlachtfeld nichts leisteten, ist selbstverständlich. Tüchtige Söldner aber viele Jahre im Felde zu halten, ist überaus kostspielig, und Mithridates hatte nicht bloß das Landheer, sondern auch eine bedeutende Flotte zu unterhalten. Sulla kam mit einem Heer von 30000 Mann hinüber und belagerte zunächst Athen. Wenn es unbegreiflich erscheint, daß das große königliche Heer, das angeblich in Macedonien stand, keinen Versuch machte, die Stadt, die sich äußerst zäh verteidigte, zu entsetzen, so wird die Erklärung sein, daß jenes Heer nur in der Phantasie unserer Quellen existiert, in Wirklichkeit aber nur eine kleine Truppenmacht vorhanden war, die sich vor Ankunft von Verstärkungen nicht an die Römer heranwagte. In die Einzelheiten dieser Kriege einzutreten, hat bei derartigem Quellenmaterial für uns keinen Wert.

Hervorgehoben möge nur noch werden, wie ähnlich oft die Erzählung von dem Kriege des Marius gegen die Cimbern und Teutonen der von dem Kriege Sullas gegen Mithridates ist. Streckenweise laufen sie ganz parallel. Hier wie dort geraten die Soldaten in Furcht vor der ungeheuren Masse der Feinde; beidemal wird besonders ausgemalt, wie diese die Luft mit ihrem Lärm und Geschrei erfüllen und die Römer hinter ihrem Lagerwall verhöhnen. Marius läßt seine Soldaten einen Kanal graben, um sie abzuhärten; Sulla läßt sie den Kephissos ableiten, damit die harte Arbeit in ihnen selber den Wunsch erweckte, lieber zu kämpfen. Die Soldaten des Marius verlangen endlich den Kampf, nachdem sie sich an den schrecklichen Anblick der Barbaren gewöhnt haben; die Soldaten des Sulla, weil sie des Grabens überdrüssig geworden sind. Weshalb Archelaus, der Feldherr des Mithridates, die Römer bei ihrer Grabenarbeit nicht angreift, wird ebenso wenig erklärt, wie die Untätigkeit des Marius, der die Teutonen 6 Tage lang an seinem Lager vorbeiziehen läßt, ohne die Gelegenheit, täglich ein Sechstel abzutun, zu benutzen.243

Als die Cimbern geschlagen sind und in ihr Lager zurückfluten,[472] werden sie von ihren eigenen Frauen mit Beilhieben empfangen und getötet; als die Asiaten fliehen, läßt Archelaus die Tore des Lagers schließen, um sie zu zwingen, wieder in den Kampf zu gehen, und hilflos zusammengedrängt, wird die Masse von den Römern niedergemetzelt. Um den Eindruck zu erhöhen, haben die cimbrischen Frauen noch Zeit gefunden, schwarze Gewänder anzulegen: die Soldaten des Mithridates haben so viel Gold und Silber auf ihren Kleidern, daß die Furcht der römischen Soldaten vor ihnen dadurch noch besonders erhöht wird. Nicht nur eine ungeheure Überzahl wird von den Römern besiegt, sondern auch ein hervorragend tapferer Feind: die Cimbern haben ihr erstes Glied mit Ketten aneinander geschlossen, und die Bogenschützen des Mithridates wehren sich zuletzt noch, indem sie ihre Pfeile als Schwerter gebrauchen.

Der Parallelismus der Erzählungen ist nicht etwa auf Nachahmung zurückzuführen, sondern entspringt einem psychologischen Vorgang. Um der möglichsten Steigerung der Glorifikation willen haben die Erzähler das eigentlich Historische fast ganz unterdrückt und sind so endlich bei allgemeinen Typen und Bildern angelangt, die bei dem einen Feldherrn und dem einen Kriege fast ebenso aussehen, wie bei dem andern; nur zuweilen scheint es durch, daß es sich dort um den groben Troupier Marius, hier um den blasierten Aristokraten Sulla, dort um die rauhen Söhne des Nordens, hier um den asiatischen König Mithridates handelt.

Es ist derselbe psychologische Prozeß, der auch die Schweizer Erzählung über die Burgunderkriege mit ganz denselben Szenen und Charaktern ausgestattet hat, wie die griechische über die Perserkriege, nur mit dem Unterschied, daß wir hier eine Volksphantasie haben, die reich genug und in all' ihrer Freiheit wahrhaftig und an den Dingen selbst interessiert genug ist, um die wirklichen Vorgänge, indem sie sie umbildet und ausschmückt, doch nicht ganz verschwinden zu lassen, während die römischen Erzählungen über die Siege Marius' und Sullas die Produkte der dürftigen Phantasie eitler Rhetoren sind, die den Dingen selber ganz gleichgültig gegenüberstanden.

Die Überlieferung über die Feldzüge, in denen Lucullus und Pompejus nach Erneuerung des Krieges erst Mithridates und dann[473] den König Tigranes von Armenien endgültig besiegten, hat ganz denselben Charakter und ist für uns wenigstens ohne Wert.244 Der König von Armenien, der beim Anblick des römischen Heeres den berühmten Ausspruch tat, »für eine Gesandtschaft zu viel, für ein Heer zu wenig«, beherrschte selber nur ein mittelgroßes Gebiet, das meist gebirgig, keine starke Bevölkerung ernährt, also auch keine starken Heere aufgebracht haben kann, und den Armeniern sind selten besonders kriegerische Eigenschaften nachgerühmt worden.[474]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 470-475.
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