2. Die Dörenschlucht.

[78] Nach Rehme rekognoszierten Herr Schuchhardt und ich auch die Dörenschlucht, wobei uns Herr Professor O. Weerth aus Detmold unterstützte und sich nicht bloß vermöge seiner Orts- und Altertums-, sondern namentlich auch vermöge seiner Naturkunde als ein rechter Führer zeigte. Er machte uns darauf aufmerksam, daß sich bei Salzufeln der geologische Charakter der Landschaft ändere, und wußte, was er mir nachträglich noch aus den Lippeschen Kammerakten bestätigt hat, daß man erst im 18. Jahrhundert angefangen hat, die bis dahin freiliegenden Sand- und Heideflächen südlich von Salzuflen mit Kiefern zu bepflanzen. Wenn dieses Gebiet noch im 18. Jahrhundert waldfrei war und erst künstlich angepflanzt worden ist, so wird der Schluß nicht zu kühn sein, daß es auch in der Urzeit frei war, und daraus ergibt sich die Übereinstimmung des[78] Dionischen Berichts mit den Waldverhältnissen zwischen der Porta und der Dörenschlucht.

Auch den Hinweis auf die Hünengräber und ihre Bedeutung für das Alter des Straßenzuges verdanke ich Herrn Weerth. Eine Karte der damals noch vorhandenen Gräber findet man in der im Jahre 1820 erschienenen Abhandlung »Die wahre Gegend und Linie der dreitägigen Hermannsschlacht« von Wilhelm TAPPE.

Die Schilderungen, die in der bisherigen Literatur von der Dörenschlucht selbst gemacht worden sind, widersprechen sich hier und da oder geben ein unzutreffendes Bild, so daß ich noch einige Worte darüber hinzufügen möchte.

Außer dieser Schlucht führt noch ein zweiter Weg von der oberen Lippe über den Osning an die Port Westphalica, die Bielefelder Schlucht, durch die heut die Eisenbahn geht. Sie kommt jedoch für uns nicht in Betracht, da von Aliso aus der Weg durch die Döre erheblich näher ist.

»Beide Schluchten«, schildert sie Major DAHM, Die Hermannschlacht S. 26, »sind gleich gut passierbar; sie bilden 500-600 Schritt breite Einsattelungen, in denen man fast ohne Steigung durch die steile Gebirgskette gelangt«. Oberstleutnant VON STAMFORD, »Das Schlachtfeld im Teutoburger Walde,« berichtet davon abweichend (S. 86 und S. 111), daß in der Döre selbst der Weg doch ziemlich steil herauf- und heruntergehe und eine »böse Stelle« habe, wo für schwer beladenes Fuhrwerk die Steigung zu groß ist.

Dahm hat insofern nicht unrecht, als der heutige chaussierte Weg auf dem östlichen Hange der Schlucht nur geringe Steigungen hat; auch in der sandigen Tiefe ist die Erhebung über die Ebenen südlich und nördlich der Bergkette nicht gerade erheblich. Trotzdem gibt allein die Schilderung Stamfords das richtige Bild, da jene Straße ihre geringen Steigungen zum Teil erst durch die Kunst erlangt hat und die Mitte der Schlucht durch die Dünenhügel und Wasserrisse ungleich und dazu sehr sandig, also schwer zu passieren ist.

Knoke (S. 96) sagt, »von Sümpfen kann weder innerhalb des Lippeschen Waldes, noch nördlich desselben die Rede sein«. Auch Dahm (S. 29) sagt etwas Ähnliches, wennschon mit dem vorsichtigeren Zusatz »Sümpfe, die einer Armee verderblich werden konnten«. Daß die Sümpfe so unmittelbar der Armee verderblich geworden seien, ist in den Quellen nicht gesagt (vgl. EDM. MEYER, Untersuchungen z. Schlacht i. Teut. W. S. 216); daß aber Sumpfstellen im ganzen Teutoburger (Lippeschen) Walde vorkommen, ist von Stamford festgestellt und kann keinem Zweifel unterliegen. Gerade vor der Dörenschlucht, nördlich, liegt der Hörster Bruch mit tiefen, sumpfigen Schluchten, und auch im Dörenpasse selbst sind Sumpfstellen (Stamford, S. 85 und 86).[79]

Die Erdwälle, die etwas nördlich der engsten Stelle quer über den ganzen Paß gehen, bis an die Stelle, wo rechts und links der Laubwald auf den Höhen beginnt, sind vermutlich späteren, wohl erst mittelalterlichen Ursprungs.

Auf einer »Charte des Teutoburger Waldes und der Hermannsschlacht«, die i. J. 1820 PRINZ FRIEDRICH ZUR LIPPE herausgab, ist dicht nördlich vor der Dörenschlucht ein Lager verzeichnet. Ungefähr in dieser Gegend muß in der Tat das letzte Varus-Lager gewesen sein. Die Wallreste, um die es sich handelt, liegen aber dem Eingang der Schlucht schon zu nah und haben mit römischen Befestigungen nichts zu tun; es sind, nach Herrn Schuchhardts Feststellung, Reste einer mittelalterlichen Landwehr. Sie liegen auf der Hammer Haide, rechts von der Straße, die von Pivitsheide nach Hörste führt, dicht hinter der Straßengabelung, und sind jetzt im Verschwinden begriffen, da sie von den Bauern abgegraben werden. Ich erwähne sie, um zukünftige Forscher vor dem Irrtum zu bewahren, daß sie auf Grund der Karte des Prinzen Lippe hier das Römerlager suchen.

Wie man auf Grund von Münzfunden den Platz der Schlacht bei Varenau, nördlich von Osnabrück gesucht hat, so fühlt man sich versucht, für die Bestimmung des letzten Lagers eine Notiz des sehr zuverlässigen Oberstleutnants F. W. SCHMIDT in der Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde (Westfalens), Jahrg. 1859 S. 299, zu verwerten. Sie lautet: »In der Gegend von Stapelage, 11/2 Stunde nordwestlich von der Dörenschlucht, besonders auf den Feldern der großen Höfe Hunecken und Krahwinkel, werden häufig römische Münzen ausgepflügt, welche, soweit sie dem Verfasser bekannt geworden, nicht jünger als Augustus sind.«

Ich entnehme dieses Zitat der Untersuchung »Die Örtlichkeit der Varusschlacht« von H. Neubourg S. 50. Da die Münzen indessen nicht vorliegen, so ist eine Kontrolle des entscheidenden Punktes, daß sie nämlich nicht jünger als Augustus waren, nicht mehr möglich. Auch wenn es damit seine Richtigkeit hat, wird man doch wohl nur schließen dürfen, daß es sich um Beutestücke eines hier ansässigen cheruskischen Geschlechts aus der Teutoburger Schlacht handelt. Die angegebenen Orte liegen schon zu sehr in den Bergen, als daß man hier das römische Lager selbst annehmen dürfte.

Generalmajor Wolf hat gelegentlich die Vermutung ausgesprochen, daß von Aliso in der Gegend des Dorfes Elsen bei Paderborn deshalb keine Spur mehr zu finden sei, weil der dafür geeignete Platz eine Sanddüne bilde, die alles verschlungen habe. Dasselbe könnte auch mit der Gegend vor der Dörenschlucht vor sich gegangen sein, wo die Jahrtausende vielleicht in der Konfiguration des Dünen- Geländes größere Veränderungen bewirkt haben, als man nach dem heutigen Anblick vermuten sollte.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 78-80.
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