Vellejus Paterculus


Vellejus Paterculus.

[90] Kaum hatte Tiberius den pannonischen und dalmatischen Krieg beendet, als fünf Tage danach die unseligen Nachrichten aus Germanien über den Tod des Varus und die Niedermetzelung von drei Legionen, ebenso viel Alen und sechs Kohorten anlangten. Nur darin erwies uns das Schicksal sozusagen eine Gunst, daß der Feldherr, der eine solche Niederlage rächen konnte, nämlich Tiberius, da war. Die Ursache des Unglückes und die Person legt mir Verzug auf. Quinctilius Varus, einer angesehenen, wennschon nicht einer altadligen Familie entstammend, war ein Mann von[90] milder Gesinnung und ruhigem Temperament. An Geist und Körper etwas schwer beweglich, war er mehr die Lagermuße als den Kriegsdienst gewohnt. Wie wenig er das Geld verachtete, bewies das vorher von ihm verwaltete Syrien, eine reiche Provinz, die er arm betreten und reich als armes Land verlassen hatte. Mit dem Oberbefehl über das Heer in Germanien betraut, hielt er die Bewohner für Menschen, an denen außer der Stimme und den Gliedern nichts Menschliches sei, und die Leute, die mit dem Schwert nicht gebändigt werden konnten, glaubte er durch das römische Recht zähmen zu können. Mit diesem Vorsatz ging er nach Germanien hinein, als käme er zu Männern, die sich der Segnungen des Friedens erfreuten, und brachte die Zeit im Sommerlager mit feierlichem Rechtsprechen von seinem Richtersitz zu.

Aber diese, was kaum jemand glauben möchte, der es nicht selbst erfahren hat, sind bei aller Wildheit höchst schlau und zum Lügen wie geboren; sie spannen erdichtete, langwierige Prozesse fort, indem sie sich bald einander verklagten, bald dem Varus dankten, weil er mit römischer Gerechtigkeit entscheide und so ihre Wildheit durch eine neue und unbekannte Zucht mildere und an die Stelle der Gewalt das Recht setze. So wiegten sie den Quinctilius in die größte Sorglosigkeit, so daß er sich vorkam, als ob er als Stadtprätor auf dem Forum Recht spräche, nicht als ob er inmitten Germaniens ein Heer kommandiere. Unter den Germanen befand sich damals ein junger Mann von edlem Geschlecht, tapferer Hand, geschwindem Geist und einer Klugheit, wie man sie einem Barbaren nicht zutraut; er hieß Arminius, ein Sohn des Sigimer, eines Fürsten jenes Volkes; sein feuriger Geist leuchtete aus seinem Blick und seinen Augen. Er hatte in unserem Kriegsdienst gestanden, war auch mit dem römischen Bürgerrecht und Ritterrang beliehen worden und benutzte nun die Trägheit des Feldherrn zu einer Untat, richtig berechnend, daß niemand schneller vernichtet wird, als der, der nichts fürchtet, und daß Sicherheit sehr oft der Anfang des Unglücks ist. Zuerst also teilte er seinen Plan nur wenigen, bald mehreren mit; er setzte ihnen eindringlich auseinander, man sei durchaus in der Lage, die Römer zu überwältigen. Dem Beschluß folgt auf der Stelle die Ausführung, man setzt die Zeit für den Anschlag fest.[91]

Dies wird dem Varus durch einen getreuen Mann dieses Stammes von vornehmem Geschlecht, den Segestes, hinterbracht. Aber schon hatte das Geschick seine Einsicht verblendet und ließ keinen Raum mehr für klugen Rat. So verhält es sich ja, daß meistenteils die Gottheit deren Vernunft umwölkt, deren Glück sie vernichten will, und bewirkt, daß, jammervoll genug, was geschieht, nach Verdienst geschehen zu sein scheint und das Unglück zur Schuld wird. Varus also versagt den Glauben und versichert, er wisse diesen Beweis der Freundschaft nach Verdienst zu schätzen, und schon bleibt nach dem ersten Angeber keine Frist für einen zweiten.

Ausführlich werde ich dieses furchtbare Unglück, das schlimmste, das die Römer nach der Niederlage des Crassus bei fremden Völkern befiel, in einem eigenen Buch darstellen. Für diesmal sei es mit dem beweinenswerten Auszug genug. Das über alles tapfere Heer, ausgezeichnet unter römischen Kriegern durch Disziplin, Mut und Kriegserfahrung, wird durch die Unfähigkeit des Führers, die Treulosigkeit des Fein des, die Ungunst des Schicksals umringt, nicht einmal zu kämpfen oder auszubrechen ist die Möglichkeit, es wurden sogar diejenigen, die römische Waffen und römischen Mut gebrauchen wollten, bestraft und, eingeschlossen in Wälder, Sümpfe und feindlichen Hinterhalt, wird es von eben dem Gegner bis zur Vernichtung hingemetzelt, den es ehedem selbst wie das Vieh hingeschlachtet hatte, so daß Leben und Tod nun von seinem Grimm oder seiner Gnade abhängig war. Der Feldherr hatte mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen; er folgte dem ihm vom Vater und Großvater gegebenen Beispiel und durchbohrte sich selbst. Von den beiden Lagerpräfekten gab der eine, Lucius Eggius, ein herrliches Beispiel, der andere, Cejonius, ein ebenso schimpfliches, indem er, nachdem der größte Teil des Heeres im Kampf gefallen, lieber hingerichtet als fechtend sterben wollte und kapitulierte. Vala Numonius, ein Legat des Varus, sonst ein besonnener und wackerer Mann, gab ein schauderhaftes Beispiel, indem er das Fußvolk im Stich ließ und mit der Reiterei floh, um den Rhein zu erreichen. Doch das Schicksal rächte dies Verhalten, denn er überlebte die Verlassenen nicht, sondern starb als Ausreißer. Den halbverbrannten Körper des Varus zerriß der wilde Feind; er[92] schnitt ihm das Haupt ab und brachte es dem Marbod, der es dem Kaiser schickte, so daß es in dem Familienbegräbnis ehrenvoll beigesetzt werden konnte.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 90-93.
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