Florus.

[93] Schwieriger ist es, Provinzen zu halten, als zu errichten; durch Gewalt werden sie geschaffen, durch Recht werden sie gehalten. Die Freude also war kurz. Die Germanen nämlich waren mehr besiegt als gezähmt und blickten mehr auf unsere Sitten als auf unsere Waffen unter dem Kommando des Drusus. Nachdem dieser gestorben, begannen sie die Laune und den Hochmut des Quintilius Varus nicht weniger zu hassen als seinen Zorn. Dieser wagte es, einen Konvent anzusagen, und rühmte sich, unvorsichtig genug, er sei imstande, die Wildheit der Barbaren durch die Ruten des Lictors und die Stimme des Herolds zu bändigen. Aber diese, die schon längst mit Trauer ihre Schwerter rosten und ihre Rosse ungetummelt sahen, als sie erkannt hatten, daß Toga und Gericht böser als die Waffen waren, ergreifen unter Führung des Arminius die Waffen, während die Friedensseligkeit des Varus so groß war, daß er sich nicht einmal rührte, als einer der Fürsten, Segestes, ihm die Verschwörung verriet. So greifen sie ihn, der nichts kommen sieht und nichts fürchtet, unvermutet an, und während er – o die Sicherheit! – vor's Tribunal zitierte, brechen sie von allen Seiten ein. Das Lager wird genommen, drei Legionen werden überwältigt. Varus, nachdem er das Lager verloren, wie Paulus den Tag von Cannä, folgte ihm mit demselben Sinn und Schicksal. Nichts war gräßlicher, als jenes Gemetzel zwischen Sümpfen und Wäldern; nichts unerträglicher, als der Hohn der Barbaren, vorzüglich jedoch gegen die Sachwalter. Einigen stachen sie die Augen aus, anderen schnitten sie die Hände ab; einem schnitt man die Zunge aus und nähte ihm den Mund zu, und der Barbar, der sie in der Hand hielt, rief ihm zu: »Nun, Schlange, ist es aus mit dem Zischen.« Auch des Konsuls Körper, den die Treue der Soldaten der Erde übergeben, wurde ausgegraben. Die Feldzeichen und zwei Adler besitzen die Barbaren noch heute, den dritten brach, eher er ihn in Feindeshand fallen ließ, der Fahnenträger ab, barg ihn unter seinem Gürtel und verschwand[93] mit ihm in dem blutgetränkten Sumpf. Durch diese Niederlage geschah es, daß das Reich, das am Gestade des Ozeans nicht Halt gemacht hatte, am Ufer des Rheinstromes Halt machte.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 93-94.
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