Viertes Kapitel.

Die Schlacht am Casilinus. (Im Jahre 554.)

[393] Fast noch geringeren militärischen Wert als Procops Schilderung der Schlacht am Vesuv hat die Erzählung, die Agathias von der Niederlage der Franken am Casilinus gibt. Schon der strategische Zusammenhang ist wirr.

Schon mehrfach hatten die Franken in den gotisch-römischen Krieg eingegriffen, mit dem Hintergedanken, dabei für sich selbst zu erwerben; als nun die Goten erlegen waren, erschien ein fränkisches Heer unter den beiden Allemannen-Herzögen, den Brüdern Bucelin und Leuthar. Narses war noch mit der Belagerung und Einnahme der von den Goten besetzten Städte und festen Plätze beschäftigt. Es ist klar, daß er auf die Nachricht von dem Einbruch der Franken nichts Besseres hätte tun können, als ihnen sofort entgegenzugehen, um sie zu schlagen und über die Alpen zurückzujagen. Die fabelhafte Angabe über die Stärke der Franken (75000 Mann) darf uns nicht beirren; wir können von vornherein nicht zweifeln, daß ein solches Hilfsheer, über die hohen Berge gesandt, nicht einmal aus dem ganzen Frankenreiche, sondern nur von einem Bruchteil, erheblich schwächer war, als die Gesamtheit der Ostgoten in ihrem eigenen Lande, die Narses eben besiegt hatte. Moralisch gehoben durch ihre Triumphe, durch den Fall der beiden tapferen Gotenkönige, müßte die römische Streitkraft imstande gewesen sein, auch die fränkischen Eindringlinge zu bewältigen, wenn sie gesammelt auf sie losgegangen wäre.

Hätte Narses das getan und die Franken besiegt, so hätte kein Platz in Italien ihm mehr Widerstand geleistet. Statt dessen sandte er dem neuen Feinde nur einen Teil seines Heeres unter[393] dem Heruler Fulcaris entgegen, nach Agathias mit der Instruktion, den Feind aufzuhalten und ihn nur anzugreifen, wenn er Aussicht auf Erfolg hätte. Der Fehler rächte sich schwer: Fulcaris wurde geschlagen und suchte, da er sich nicht getraute, als Besiegter Narses wieder unter die Augen zu treten, selbst im Kampfe den Tod. Agathias gibt der Unvorsichtigkeit und Tollkühnheit des Herulers die Schild an der Niederlage; ist es aber, wie er weiter sagt, richtig, daß Narses selbst den Feind von vornherein als überlegen ansah, so trifft die eigentliche Schuld offenbar den Feldherrn. Eine Erklärung wäre, daß Narses umgekehrt die Macht der Franken unterschätzt hat und daß die Wendung, er habe Fulcaris zur Vorsicht ermahnt, eine nachträgliche Erfindung ist, um den Oberfeldherrn selbst zu entlasten, weil er eine ungenügende Macht detachiert hatte.

Trotz der Niederlage des Fulcaris setzte Narses die Belagerung von Lucca, mit der er beschäftigt war, fort, aber als er die Stadt endlich bezwungen, wußte er nichts Besseres zu tun, als seine Truppen in verschiedene Städte in die Winterquartiere zu verteilen. Stellen wir uns Cäsar in dieser Lage vor, so können wir nicht zweifeln, daß er noch jetzt von allen Seiten seine Truppen zusammengezogen und den Franken mit möglichster Überlegenheit zu Leibe gegangen wäre. Narses aber überlegte nach Agathias, daß es Winter sei und daß die Franken in der kalten Jahreszeit, an die sie in ihrer Heimat gewöhnt waren, besonders kriegstüchtig seien, verteilte seine Truppen in verschiedene Städte in Winterquartier und duldete es, daß sie, während die römischen Truppen sich hinter den Mauern der Städte sicherten, ganz Italien bis an die Meerenge von Messina durchzogen und aufs Fürchterlichste ausplünderten. Ja, die Franken hielten es nicht einmal für nötig, vereinigt zu bleiben, sondern teilten sich in zwei Heere. Die Goten, neu ermutigt, schlossen sich ihnen vielfach an.

Wir werden Narses kaum zutrauen dürfen, daß er ohne zwingende Gründe das ihm anvertraute Reich diesem Elend ausgesetzt hat. Waren die Franken besonders geeignet für Kriegführung im Winter, so bestanden ja die römischen Truppen ebenfalls aus Germanen.[394]

Vielleicht kann es uns als Fingerzeig für den wahren Zusammenhang dienen, daß einige Truppenteile, als sie aufgefordert wurden, vorzugehen, darauf hinwiesen, daß sie ihren Sold nicht empfangen hätten. Aber es ist nur eine Vermutung, auf die wir damit geführt werden; genug, daß erst im Frühjahr, als die Franken aus dem Süden der Halbinsel zurückkehrten, das Heer, das Narses mittlerweile zusammengezogen, ihnen am Flusse Casilinus (Volturno) in der Nähe von Capua den Weg verlegte. Nach Agathias hatte Narses 18000 Mann; die Franken obgleich es nur die eine Heereshälfte war, sollen noch 30000 Mann stark gewesen sein – eine Zahl, die natürlich keinerlei Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen kann.

Unmittelbar vor dem Aufmarsch zur Schlacht kam es wegen einer Disziplinierung zum Konflikt zwischen dem Feldherrn und dem Kontingent der Heruler unter Sindual, weswegen dieses die Heeresfolge verweigerte. Aber als Narses laut vor dem Heere ausrief, wer an dem Siege Teil haben wolle, solle ihm folgen, und vorwärts marschierte, hielten die Heruler es doch für schimpflich, zurückzubleiben, da es ihnen als Feigheit ausgelegt werden könne, und meldeten, sie würden kommen. Narses ließ antworten, warten könne er nicht auf sie, aber er würde ihnen einen Platz in der Schlachtordnung offen lassen.

Die Schlacht selbst erzählt nun Agathias folgender maßen:

»Als Narses an den Ort gekommen war, wo er zu schlagen gedachte, ordnete er sein Heer sofort ein eine Phalanx, auf beiden Flügeln hielt die Reiterei mit Wurfspießen und runden Schilden, Bogen und Schwert umgehängt, einige auch mit langen Lanzen. Der Feldherr selbst war am rechten Flügel, bei ihm Zandalas, sein Haushofmeister, mit demjenigen Teil des Haushofgesindes, der waffenfähig war. Auf beiden Flügeln standen Valerian und Artabanos, die den Befehl hatten, sich am Rande des Walddickichts verborgen zu halten, um unerwartet auf die Feinde loszustürmen, wenn sie angegriffen, und sie von zwei Seiten zu fassen. Den ganzen Raum in der Mitte nahm das Fußvolk ein. In der Front standen die Vorkämpfer, von Kopf bis zu Fuß in Eisen gehüllt, und bildeten den Schildwall, hinter ihnen die anderen Reihen dicht aufgeschlossen, bis zu der Queue hin; die Leichtbewaffneten und[395] Schleuderer schwärmten dahinter umher und warteten auf die Gelegenheit, von ihren ferntragenden Geschossen Gebrauch zu machen. Mitten in der Phalanx war ein Platz für die Heruler angesetzt und noch leer, denn sie waren noch nicht eingerückt. Zwei Heruler, die dicht vorher zu den Feinden übergelaufen waren, da sie von dem späteren Entschluß Sinduals nichts wußten, trieben die Barbaren an, schleunigst die Römer anzugreifen: ›Denn Ihr werdet sie in voller Unordnung und Verwirrung finden,‹ sprachen sie, ›weil das Herulerregiment in seinem Trotz sich weigert, am Kampfe teilzunehmen, und die andern durch ihren Abfall ganz bestürzt sind‹. In dem Wunsch, daß diese Aussage der Wahrheit entspreche, ließ sich Butilin leicht überreden und führte sein Heer vor. Alle gingen voll Kampfbegier gerade auf die Römer los, nicht ruhigen Schritts und wohlgeordnet, sondern als ob sie gar nicht schnell genug vorwärts kommen könnten, eilfertig und stürmisch, wie wenn sie im ersten Anlauf das feindliche Heer über den Haufen werfen wollten. Ihre Schlachtordnung hatte die Form eines Keils, sah also wie ein griechisches Δ aus: da, wo sie spitz zuging, waren die Schilde dachförmig eng ineinander geschoben, so daß es wie ein Eberkopf aussah. Die Schenkel waren staffelförmig aus Sektionen und Zügen zusammengesetzt und sehr schräg gestellt, so daß sie allmählich bis zu großer Breite auseinandergingen und in der Mitte ein leerer Raum entstand und man die bloßen Rücken der Soldaten reihenweise sehen konnte. Sie hatten nämlich divergierende Fronten, damit sie nach beiden Seiten gegen die Feinde gewendet ständen und, durch ihre Schilde gedeckt, kämpfen könnten, während durch eben diese Aufstellung die Rückendeckung sich von selbst machen sollte.«

»Dem Narses, der sowohl vom Glück begünstigt war, als er auch vortrefflich seien Maßregeln zu treffen verstand, ging alles nach Wunsch. Denn als die Barbaren mit furchtbarem Feldgeschrei im ersten Anlauf mit den Römern zusammenstießen, durchbrachen sie die Mitte der Vorkämpfer und kamen an den leeren Raum, in den die Heruler noch nicht eingerückt waren; die Spitze ihres Keils durchschnitt die Reihen, ohne großen Verlust zu bringen, bis zu der Queue – einige gingen sogar noch weiter, als ob sie das römische Lager stürmen wollten. Da bog und dehnte Narses[396] allmählich die Flügel, so daß sie nach vorn herumgriffen, und befahl den Bogenschützen zu Pferde, von beiden Seiten die Feinde im Rücken zu beschießen, und das geschah sofort ohne Schwierigkeit; weil nämlich die Feinde zu Fuß kämpften, war es den Reitern ein Leichtes, aus der Entfernung die ausgedehnten Linien zu beschießen, die sich nach rückwärts hin nicht wehren konnten. Und es war, scheint mir, für die Reiter auf den Flügeln sehr einfach, über die dicht vor ihnen Stehenden hinweg die Reihen auf der gegenüberliegenden Seite in den Rücken zu schießen. Von allen Seiten werden die Rücken der Franken auf diese Weise bestrichen, da die Römer vom rechten Flügel die eine innere Seite des Keils, die vom linken die andere beschossen. So flogen die Pfeile kreuz und quer und trafen alles, was im Zwischenraum war, ohne daß die Barbaren merkten, woher eigentlich die Geschosse kamen, oder sich dagegen schützen konnten. Denn da sie mit der Front gegen die Römer standen und nur nach dieser einen Richtung ihre Blicke gewandt waren, da sie ferner mit den Schwerbewaffneten, die ihnen gegenüberstanden, kämpften und die Bogenschützen zu Pferde dahinter kaum sehen konnten, endlich nicht in die Brust, sondern in den Rücken die Schüsse empfingen, so wußten sie gar nicht, von wo das Verderben kam. Die meisten hatten übrigens gar nicht Zeit, darüber nachzudenken, weil fast jeder Schuß tödlich war. Denn da immer die äußersten fielen, wurden die bloßen Rücken der nächsten sichtbar, und weil das sehr häufig geschah, schmolz ihre Menge schnell dahin. Mittlerweile waren Sindual und die Heruler eingerückt und traten denjenigen gegenüber, welche die Mitte durchbrochen hatten und dann weiter vorgedrungen waren. Sofort gingen sie zum Angriff über; jene aber waren nicht wenig bestürzt, glaubten in einen Hinterhalt gefallen zu sein und wandten sich zur Flucht, indem sie die beiden Überläufer des Verrats beschuldigten. Sindual und seine Leute ließen jedoch nicht los, sondern drängten nach, bis jene teils niedergestreckt, teils in die Strudel des Flusses hinabgeworfen waren. Als so die Heruler ihren Platz eingenommen hatten, die Lücke ausgefüllt und die Phalanx geschlossen war, wurden die Franken, wie in ein Netz verstrickt, hingeschlachtet. Ihre Schlachtordnung war gänzlich zertrümmert, und sie ballten sich zu einzelnen[397] Knäueln zusammen, die nicht mehr aus noch ein wußten. Die Römer streckten sie nicht nur durch Pfeilschüsse nieder, sondern jetzt griffen auch das schwere Fußvolk und die Leichtbewaffneten ein mit Spießen, Stangen und Schwertern; die Reiter überflügelten sie vollends, griffen sie im Rücken an und schnitten ihnen jeden Ausweg ab. Was dem Schwerte entrann, sah sich genötigt, auf der Verfolgung in den Fluß zu springen, und ertrank. Von allen Seiten ertönte das Wehgeheul der Barbaren, die aufs elendste abgeschlachtet wurden. Der Anführer Butilin und sein ganzes Heer wurde vom Erdboden vertilgt, wobei auch die kaiserlichen Überläufer umkamen, und kein einziger von den Germanen sah den heimatlichen Herd wieder, mit Ausnahme von fünf Mann, die auf irgend eine Weise dem allgemeinen Verderben entronnen waren. Wie sollte man da nicht sagen, daß sie die Strafe erlitten für ihre Missetaten und eine höhere Gewalt über sie gekommen war? Jener ganze große Haufe von Franken und Allemannen und wer sonst noch mit ihnen in den Krieg gezogen war – alles war vernichtet, und von den Römern waren nur 80 Mann gefallen, die den ersten Stoß der Feinde hatten aushalten müssen. In dieser Schlacht kämpften mit Auszeichnung fast alle Römischen Regimenter, von den verbündeten Barbaren taten sich am meisten hervor der Gote Aligern, denn auch dieser kämpfte mit, und der Heruleroberst Sindual, der keinem etwas nachgab, alle aber priesen und bewunderten den Narses, der durch seine Feldherrnkunst sich so hohen Ruhm erworben hatte.«

So weit Agathias. Ich kann den Verdacht nicht unterdrücken, daß diese ganze Erzählung eine freie Phantasie ist, herausgesponnen aus dem einen Wort »Eberkopf«.

Offenbar war Narses numerisch, und besonders an Kavallerie, weit überlegen; seine Schlachtlinie überragte die der Franken auf beiden Flügeln. Ob die beiden äußersten Flügel dabei ursprünglich durch Waldparzellen verdeckt waren, macht wenig aus. Die Franken legten die Schlacht darauf an, daß sie mit ihrem Eberkopf, ihrer starken und tiefen Infanteriekolonne das feindliche Zentrum überrennen und durchbrechen und damit die Schlacht entscheiden würden.[398]

Wäre diese Kolonne spitz gewesen, so wäre diese Spitze sofort umfaßt worden; wäre sie auch noch gar hohl gewesen, so hätte sie keinen Druck von hinten gehabt. Obgleich sie beides gewiß nicht war, obgleich sie mit anderen Worten die beiden Fehler, die ihr Agathias andichtet, spitz und hohl, gewiß nicht hatte, so drang sie dennoch nicht durch; es mag sein, daß das noch im letzten Augenblick einrückende Kontingent der Heruler das schon wankende Zentrum der Römer verstärkte und den Stoß der Franken zum Stehen brachte.

In dem Augenblick, wo das geschah, war die mit Wurfspießen und Bogen ausgerüstete Kavallerie der Römer gegen die beiden Flanken der Sturmkolonne herangesprengt und bearbeitete sie mit ihren Geschossen, bald genug wohl auch von hinten. Man fühlt sich an die Schlacht bei Cannä erinnert.

Die Vorstellung, daß die Reiter immer in hohem Bogen über den ihnen zunächst stehenden Schenkel der feindlichen Aufstellung den Mannschaften des andern in den Rücken geschossen hätten, ist dahin zu reduzieren, daß naturgemäß bei dem Angriff von allen Seiten viele Franken im Rücken getroffen wurden. Bei einem Hohlkeil, wie ihn Agathias konstruiert, wären die römischen Schützen, um so mehr, da sie doch auch an ihre unmittelbaren Gegner nicht ganz nah herangehen konnten, von dem entgegengesetzten Schenkel mehrere hundert Schritt entfernt gewesen, hätten also mit Pfeilen und Wurfspießen keine Wirkung ausüben können.

Wer daran Anstoß nehmen möchte, daß ich einer Quellen-Schilderung eine solche Skepsis entgegensetze, den bitte ich einen Grund anzugeben, weshalb er dieser Schilderung des Agathias mehr Vertrauen schenken will, als der Erzählung von Cannä und Zama (Naraggara) bei Appian.[399]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 393-400.
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