Das Treffen bei Pillenreuth.

11 März 1450.

[295] Das Treffen ist uns ausführlich geschildert in einer Sammlung des Nürnberger Bürgermeisters Erhard Schürstab,278 der selber als Kriegshauptmann dabei war und auch von der Gegenseite die besten Nachrichten hatte, da man eine ganze Anzahl Edelleute aus dem Gefolge Albrechts in Nürnberg gefangen einbrachte.

Albrecht hatte die Nürnberger herausgefordert, indem er ihnen sagen ließ, er werde in ihrem Weiher von Pillenreuth, zwei Stunden südlich der Stadt, fischen; sie möchten kommen und ihm helfen die Fische fangen und essen, er erwarte sie. Die Nürnberger erließen einen Aufruf zum allgemeinen Auszuge und kamen an mit 500279 Reitern und 4000 Mann zu Fuß, bewaffnet mit Armbrust, Büchsen und Spießen. Die Stadt hatte damals 20000 Einwohner und beherbergte dazu etwa 9000 ihrer ländlichen Untertanen, die sich vor den Kriegsnöten hinter die Stadtmauern gerettet hatten. Überdies hatte die Stadt Söldner in ihren Dienst genommen, darunter den Ritter Kunz von Kaufungen, der später als Prinzenräuber berühmt wurde, und Heinrich Reiß von Plauen, der den Oberbefehl über die ganze Nürnbergische Kriegsmacht führte. Der Markgraf hatte 500 Reiter.280[295]

Die Einzelheiten der Aufstellung und des Gefechts übergehen wir; was uns an dieser Stelle interessiert, ist die Aufstellung der beiderseitigen ritterlichen Haupthaufen. Heinrich von Plauen forderte den »edlen und männlichen« Heinz Zenger auf, mit vier anderen Rittern die Spitze zu bilden. »Die fünf hielten die Spitze am ersten Glied.« Das zweite Glied bildeten 7, das dritte 9, das vierte 11 Ritter, dann kam der Haufe der Knechte und das letzte Glied bildeten 14 »Ehrbare« (Patrizier) von Nürnberg, »die hielten zu sammen den Haufen«. Die Ritter der ersten Glieder sind alle namentlich genannt. Der Haufe ist im ganzen 300 Mann stark; ob die hinteren Glieder II oder vielleicht 13 oder 14 Mann zählen, ist nicht ersichtlich; es kommt auch nicht darauf an, jedenfalls ist der Haufe 22-25 Mann tief.

Ins Moderne übertragen, würde die Aufstellung also etwa einem Regiment Lanzen-Kürassiere von drei Schwadronen entsprechen, alle drei nebeneinander, jede vier Rotten breit, der Kommandeur mit den Rittmeistern und Leutnants an der Spitze und als Schließende.

Ein moderner Kavallerist, dem man erzählen wollte, ein Oberst habe in dieser Art sein Regiment in den Kampf geführt (denn es handelt sich wohlgemerkt nicht um eine Marsch-, sondern um eine Gefechtsordnung) würde unzweifelhaft antworten, der Mann gehöre vors Kriegsgericht oder ins Tollhaus.

Gerade dadurch wird uns die Erzählung so wichtig, weil man an ihr, je weiter man sie prüft, desto besser den fundamentalen Unterschied zwischen Kavallerie und Ritterschaft erkennen und demonstrieren kann. Denn, daß wir es nicht mit einem Phantasiegebilde zu tun haben, verbürgt uns die Herkunft des Zeugnisses, und daß wir es nicht bloß mit einer Marotte des Herrn Heinrich von Plauen zu tun haben, erhellt daraus, daß nach demselben Zeugnis Markgraf Albrecht seinen haupthaufen ganz ebenso ordnete (auch hier werden uns die Ritter in den einzelnen Gliedern namentlich genannt), und daß wir auch an anderen Stellen Ähnliches erzählt oder vorgeschrieben finden.281[296]

Das Eigentümliche ist die schmale Front (höchstens 14 Rotten) und die Zuspitzung nach vorn. Betrachten wir zunächst die schmale Front, der die große Tiefe korrespondiert. Stellen wir uns vor, daß der Gegner mit ebenso starker Kopfzahl statt dessen zu zwei oder auch zu drei oder auch vier Gliedern aufmarschiert ist, so wird er im Anreiten von beiden Seiten gegen die feindlichen Flanken einschwenken; die Reiter in der tiefen Kolonne werden nicht umstande sein, ihre Pferde plötzlich aus der bisherigen Richtung herauszureißen dem Angreifer entgegen; sie werden von der feindlichen Lanze in der Seite getroffen werden, ohne sich dagegen wehren zu können. Wird dieser Verlust ausgeglichen durch Vorteile, die die Tiefe der Aufstellung mit sich bringt? Beim Fußvolk dringt die Tiefe der Massen den Druck hervor, der den schwächeren Feind niederwuchtet oder durchbricht. Bei Reitern aber findet diese Wirkung nicht statt. Das wußten schon die antiken Theoretiker, von denen Aelian in seiner Taktik (cap. 18 § 8) sagt, daß eine tiefe Aufstellung von Reitern nicht denselben Vorteil habe wie von Fußtruppen, da die hinteren Glieder der Reiter die andern nicht vorwärts drücken könnten, wie beim Fußvolk; Reiter bildeten durch festen Anschluß an die Vorderen nicht etwa eine einzige gewichtige Masse, sondern im Gegenteil, wenn sie sich zusammendrängen wollten, so würden sie ihre Pferde aufregen und in Verwirrung setzen.

Moderne Kavallerie-Reglements schreiben deshalb das gerade Gegenteil der Anordnung der Ritter bei Pillenreuth vor. »Die Linie, heißt es,282 ist die einzige Gefechtsformation geschlossener Kavallerie. In Kolonnen wird daher niemals (oder[297] höchstens als Notbehelf, falls Zeit und Raum zur Entwickelung fehlten) attackiert, da eine gleich starke Kavallerie des Gegners in Linie allein durch diese Form überlegen ist.« »Der Erfolg der Attacke beruht vornehmlich auf der Wucht des Stoßes und auf der Anwendung der blanken Waffen. Die letzteren kommen bei der Linie sämtlich, bei der Kolonne nur zum kleineren Teil zur Anwendung. Die Linie hat ferner vor einer der Zahl nach gleich starken Kolonne den wesentlichen Vorteil der größeren Breite voraus, wodurch es möglich wird, mit den überflügelnden Teilen den Gegner zu umfassen und ihn in der Flanke, seiner schwächsten Seite, zu attackieren. Kavallerie in der Flanke angegriffen, ist ebenso geschlagen wie Kavallerie, welche stehenden Fußes den Gegner erwartet.«

Selbst wenn also bei einer Kolonne wie der Pillenreuther die Spitze die feindliche Front durchbrechen sollte, was nicht einmal sicher ist, so wird damit nichts gewonnen sein, da die Masse des Regiments, wehrlos gegen den doppelten Flankenangriff, mittlerweile vernichtet ist.

Ein Ritterkampf aber ist etwas ganz anderes als ein moderner Kavallerie-Kampf.

Auch bei einem Ritterkampf ist, ganz wie bei einem modernen Reitergefecht, das Abgewinnen der Flanke von wesentlicher Bedeutung, aber es vollzieht sich nicht so leicht, weil alle Bewegungen viel langsamer sind. Erst wenn man sich schon sehr nahe ist, werden die Rosse in lebhaftere Gangart gesetzt und auch dann bleibt sie so mäßig, daß es dem Reiter möglich bleibt, sein Roß dem aus der Flanke anreitenden Gegner entgegenzuwenden. Die tiefe Kolonne von Pillenreuth ist deshalb nicht so gemeint, daß die Masse während des Kampfes in dieser Formation verharren solle, was der großen Mehrzahl die Anwendung ihrer Waffe unmöglich machen würde, sondern es wird angenommen, daß im Augenblick des Anreitens die hinteren Glieder fortwährend rechts und links überquellen, so daß so zu sagen der Aufmarsch im Anreiten und Zusammenprallen stattfindet. Das ist, im Unterschied von der Gegenwart, möglich, weil man sich so langsam bewegt, und vorteilhaft, weil dadurch die Geschlossenheit des Angriffs verbürgt wird.[298] Gewiß wäre es in thesi besser, der Aufmarsch wäre schon vorher vollzogen, aber dann müßte man sich in breiter Front vorwärts bewegen, und das ist sehr schwer; dazu gehört eine Exerzier-Übung, die diesen lockeren Scharen durchaus fehlt. Namentlich gibt das Anreiten in breiter Front leicht Lücken, die gefährlich werden können.

In dem schon angeführten Leitfaden heißt es weiter (S. 46), an die Kavallerie müsse der Anspruch großer Bewegungsfähigkeit gemacht werden. »Die Linie hat dieselbe nicht, da Direktionsänderungen in ihr schwerfällig sind und sich außerdem gangbarer Boden in der Breitenausdehnung, wie sie die Linie erfordert, nur hier und da findet. Deshalb bedarf die Kavallerie zum Manövrieren der Kolonne. Dieselbe muß außer größerer Beweglichkeit im Gelände auch die schnellste und einfachste Entwickelung zur Linie gestatten.« Zu der hier verlangten schnellsten Entwickelung der Linie aus der Kolonne gehört eine Manövrier-Fähigkeit und Exerzier-Übung, über die »Ritter und Knechte« nicht verfügen: deshalb das Anreiten in langsamem Tempo und tiefer Kolonne, aus der sich erst im Augenblick des Zusammenstoßes von selber die Linie entwickeln soll.

Nun versehen wir auch die eigentümliche Spitze. Ordnete man die Schar einfach in einer gleichmäßigen, tiefen Kolonne, sagen wir 12 Mann breit und 25 Mann rief, so waren die ersten Glieder der Gefahr ausgesetzt, von einem etwas breiter formierten Gegner sofort flankiert zu werden. Indem aber das folgende Glied immer um einen Mann debordiert, schützt dieser die Flanke des Vorgliedes, ohne gleich selbst derselben Gefahr ausgesetzt zu sein. Weiter aber als auf fünf oder sechs Glieder erstreckt sich die Gefahr nicht; die folgenden Glieder sind bereits beim Zusammenstoß ganz von selbst so weit im Überquellen, daß sie den gegnerischen Flankenstößen begegnen, und wollte man die allmähliche Verbreiterung der Kolonne bis zum Schluß fortsetzen, so ginge man des Hauptvorteils der schmalen Formation, der leichten, sicheren Führung wieder verlustig.

Der Sinn des Anreitens in der tiefen Kolonne ist also, daß man auf diese Weise die ganze Masse dichtgeschart gleichmäßig an den Feind bringt. Die schließenden Ritter halten auch die etwa[299] weniger zuverlässigen Knechte in der Masse fest. Erst im Kampf selbst oder ganz kurz vorher verbreitert sich die Masse so weit, daß der Einzelne zum Waffengebrauch gelangen kann. Die Reduzierung des ersten Gliedes auf fünf Mann hat den Vorteil, die Kolonne leicht dirigieren zu können und die allmähliche Verbreiterung gewährt den vorstehenden Gliedern eine Flanken-Deckung, wie heute ein debordierendes zweiten Treffen dem ersten.

Eine zur Linie aufmarschierte Front würde gegen solche Kolonne den Nachteil haben, daß sie sehr schwer zu dirigieren ist, und daß sie locker und lückenhaft an den Feind kommen würde, während ihr Vorteil, die Flankierung, nicht wirksam werden würde, da die hinteren Glieder der feindlichen Kolonne fortwährend überquellen, ihr schon entgegenkommen und bei der Langsamkeit der beiderseitigen Bewegungen zu diesem Entgegenkommen Zeit genug haben würden. Die allein wirklich der Flankierung ausgesetzten Glieder sind durch die Spitz-Anordnung geschützt, die ihrerseits zu dem Herausquellen der hinteren Glieder rechts und links nach vorn naturgemäß überleitet.

Die moderne Kavallerie wirkt als einheitlicher taktischer Körper durch den möglichst geschlossenen Stoß und mit besonderer Wucht aus der Flanke, da der geschlossene Körper sich seitwärts nicht verteidigen kann. Die Kolonnen-Aufstellung der Ritter bedeutet nicht einen geschlossenen Stoß von ganz besonderer Massivität und Stärke, sondern ist eine bloße Annäherungs-Formation, aus der sich dann der Kampf der Einzelnen entwickelt.

Ist dies der unzweifelhafte Sinn der Pillenreuther Aufstellung, so scheint darin die Konstruktion der Spitze etwas zu theoretisch, man möchte sagen doktrinär, gedacht, denn es ist klar, daß die beiden Reiter, die rechts und links immer das voraufgehende Glied überragen, ihr Pferd schwerlich so genau um eine Pferdelänge zurückhalten, sondern schon beim Zusammenstoß alle im ersten Gliede sein werden, soweit das verschiedene Temperament und die verschiedene Schnelligkeit der Pferde, auch der verschiedene Eifer der Ritter überhaupt noch eine ausgerichtete Linie hat bestehen lassen. Wir können die Spitze also als eine in der rauhen Praxis[300] verschwindende Überfeinheit, mit der man nur eine kurze Zeit lang283 so zu sagen gespielt hat, beiseite lassen, das Wichtige und Entscheidende ist das mit kavalleristischen Prinzipien im stärksten Widerspruch stehende Anreiten in der tiefen Kolonne, acies, cuneus, Keil, Spitz, wie sie in den Quellen genannt wird.

Sehen wir von der Verminderung der Rottenzahl in den vorderen Gliedern, als einer in der Praxis unwesentlichen Finesse, ab, so bleibt das Anreiten in einer sehr tiefen Kolonne, und dies haben wir in der Natur des Ritterkampfes so gut begründet gefunden, daß wir ohne weiteres annehmen dürfen, es sei auch in den früheren Jahrhunderten der Epoche so geübt worden.

Die Kolonnenordnung ist aber doch nicht die einzig übliche gewesen. Der Vorteil, den man bei einer breiteren und dünneren Aufstellung durch Flankierung gewinnen konnte, war, wenn schon nicht entscheidend, immer vorhanden, und wir haben ein anschauliches Quellenzeugnis, daß man sich dieser Polarität bewußt war und sowohl mehr diesem als jenem Prinzip zuneigen konnte. In der Schlacht bei Worringen (5. Juni 1288) erzählt uns Jan von Heelu (V. 4918), Herr von Liedekerke habe während des Vorgehens ausgerufen: »Der Feind dehnt sich so sehr nach den Seiten aus, daß wir, ehe wir es uns versehn, umringt sein werden. Es wäre gut, wenn wir uns mehr auseinanderzeihen und unsre Haufen flacher werden lassen.« Heelu aber verwirrt das als eine Turniersitte, die auf den ernsten Streit nicht passe und läßt Liebrecht[301] von Dormael, einen der angesehensten barbarischen Ritter, den anderen Standpunkt vertreten. Als dieser »dünne« rufen hörte, rief er wütend: »dicke, dicke und enge! Jeder an seinen Nebenmann heran, so hart wie möglich! und wir werden Ehre einlegen an diesem Tage.« Alles rief nun dicke! dicke! nahe zusammen!

In der Schlacht von Bouvines (1214) berichtet uns umgekehrt Wilhelm der Britte von einem Franzosen, der alle seine Ritter in einem Gliede aufstellte; dazu habe er ihnen gesagt: das Feld ist breit, breitet euch aus, damit euch der Feind nicht umfasse. Es schickt sich nicht, daß ein Ritter sich den andern zum Schilde nehme.284

Als eine besondere Eigenschaft einer breiteren und dünneren Aufstellung muß schließlich hervorgehoben werden, daß sie allein die Mitwirkung von Fußgängern im Mischkampf ermöglichte. Kamen die Reiter in einer so dichten Kolonne wie bei Pillenreuth, so konnten unmöglich weder Schützen noch Spießer ihnen sekundieren: sie wären von den Pferden der eigenen Reiter niedergetreten worden. Die große Masse des Nürnbergischen Fußvolks folgte auch bei Pillenreuth in eigenen Haufen ziemlich weit hinter den Reitern, auch die Schützen, dienten also bloß als Rückhalt. Wollte man die Fußgänger wirklich mitkämpfen lassen, so mußten die Reiter sehr locker stehen, und das geschah ganz von selbst, wenn sie in breiterer Front anritten. Ritten sie aber 20-30 Pferde tief an, wo nun alle nach vorn drängten, so schob sich in jede Lücke, die breit genug war, von hinten ein Reiter ein.285

So stark der prinzipielle Gegensatz zwischen der Aufstellung im Spitz und in der Linie (en haye) ist, so konnten doch beide Formen nebeneinander bestehen, sogar in derselben Schlacht nebeneinander angewandt werden, da es sich ja, wie ich wiederhole, nur um Annäherungs-, nicht um Kampfes-Formen handelt. Auch bei[302] Anreiten in einer tiefen Kolonne wird angenommen, daß die Kolonne sich im Beginn des Kampfes zur Linie verbreitert, weil jeder Einzelne zum Waffengebrauch zu kommen sucht. Der Unterschied, der bleibt, ist, daß die in der Kolonne Herankommenden eine sehr viel engere, geschlossenere Front bilden werden, als die schon aufmarschiert von weit her Ansprengenden.

Bei sehr großen Heeren müssen natürlich mehrere Kolonnen gebildet werden, die mit einer gewissen Distanz nebeneinander aufmarschieren. Blieben sie hintereinander, so würden die Letzten ja erst sehr spät oder gar nicht mehr an den Feind kommen.

Einen gewissen Unterschied zwischen der späteren und früheren Zeit dürfte nur machen, daß die Zahl der Ritter im Verhältnis zu der Zahl der Knechte im 15. Jahrhundert sehr klein geworden ist und daher die Neigung, Massen zu bilden, die von den Rittern zusammengehalten werden, zugenommen haben könnte.

In Widerspruch mit der Nebenordnung der verschiedenen Kolonnen scheint zu stehen, daß wir von früh an immer wieder von Rivalitäten um den »Vorstreit« hören. Schon in der Schlacht an der Unstrut (1075) machten die Schwaben geltend, daß ihnen von Alters her dieses Recht gebühre, und da uns die Erzählung von zwei von einander unabhängigen Quellen (Lambert und Berhold) berichtet wird, so wird man sie für richtig halten dürfen. Noch vor der Schlacht beim Sempach (1386) hören wir wieder davon und Ritterschaften haben sich für gewisse Landschaften das Recht urkundlich verbriefen lassen.286 Was hätte dieses Recht für eine Bedeutung gehabt, wenn die verschiedenen Landsmannschafts-Haufen nebeneinander aufmarschierten?

Die Erklärung wird die sein, daß die Schlachten sehr häufig begannen, ehe die Heere vollständig aufmarschiert waren. Derjenige Haufe also, der zuerst aus dem Lager abrückte und auf den Feind stieß, kam vor den andern ins Gefecht, obgleich diese nicht etwa hinter ihnen hielten, sondern aus der Marsch-Kolonne oder aus dem Lager möglichst schnell an seine Seite zu gelangen suchten. Man kam also staffelweise an den Feind und ins Gefecht und sehr häufig geschah es, daß der Erstfechtende auch der Einzigfechtende blieb, da die Schlachten oft nicht wirklich durchgekämpft,[303] sondern gleich beim ersten Anreiten entschieden wurden, weil die eine Partei im Bewußtsein ihrer Inferiorität ihre Sache verloren gab. Beim Aufmarsch zur Schlacht an der Spitze zu sein, war also in der Tat für eine ruhmliebende Ritterschaft ein begehrenswerter Vorzug, obgleich ideell die Haufen nebeneinander standen.

Das quellenmäßige Zeugnis für die Auffassung, daß der Begriff des »Vorstreits« mit der Nebenordnung der Kontingente sich ausgleicht durch den staffelförmigen Angriff, der ja eine erst allmählich zur Ausführung gelangende Nebeneinander-Ordnung bedeutet, finden wir in den Kreuzzügen. In der Schlacht bei Atharib (1119) berichtet uns Gautier287 von einem Korps (acies) des Heiligen Petrus, das das Recht gehabt hat, voranzuschreiten und zuerst auf den Feind einzuhauen. Diesem folgen die des Gaufrid und des Guido, verstärken aber nicht den Angriff des ersten Corps, sondern greifen, als sie dessen Erfolg sehen, andere Gegner an und besiegen sie ebenfalls. Das läßt keine andere Deutung zu, als daß die drei Heerhaufen staffelförmig in den Kampf gegangen sind.288

Gerade in den Kreuzzügen ist dieses staffelförmige Angreifen wohl deshalb zum Prinzip gesteigert worden, weil man es hier in der Hauptsache mit berittenen Bogenschützen als Gegnern zu tun hatte. Diese begannen ihre Arbeit natürlich möglichst früh; die günstigste Zeitspanne waren für sie die Minuten des gegnerischen Aufmarsches. Wenn im Abendlande der Erstaufmarschierte gewiß oft aus bloßer Ungeduld und ritterlicher Undisziplin losstürmte, so war im Orient ein objektiver Grund vorhanden, nämlich der Verlust, den man von den Bognern erleiden mußte, wenn man ihnen nicht schleunigst zu Leibe ging. Wie klagten in der Schlacht bei Arsuf die Ritter, als Richard Löwenherz aus guten Gürnden das Angriffs-Signal nicht geben ließ: wehrlos seien sie dem Feinde preisgegeben! Und wie stoben die Türken, auch nach dem Bericht, den wir von ihrer Seite, aus der Feder Boaeddins, des Historiographen Saladins, besitzen, auseinander, als die lanzenbewehrten[304] Ritter auf sie einsprengten! Ganz entsprechend wird uns schon von der Ungarnschlacht Heinrichs I. im Jahre 933 berichtet, daß die Sachsen durch ihr schnelles Ansprengen den Feinden keine Zeit zur Entsendung des zweiten Pfeiles ließen,289 und Otto von Freising erzählt von der Ungarnschlacht im Jahre 1146, daß der Herzog Heinrich Jasomirgott durch die Schnelligkeit seiner Attacke den ungarischen Bogenschützen zuvorkam und sie vernichtete, dann aber durch die Ritter des Königs von Ungarn besiegt wurde.290

Hiermit ist bereits das Entscheidende über das Verhältnis von Rittern zu berittenen Bognern ausgesprochen.

Die berittenen Bogner sind die uralte Waffengattung des inneren Asien, der Perser, Parther, Hunnen, Araber, Türken. Sie sind eine furchtbare Waffe, wie die immer neuen Kriegserfolge dieser Völker dartun, aber doch nur unter gewissen Bedingungen. Der Ritterschaft der Kreuzfahrer, die ihnen mit Lanze und Schwert angaloppierend zu Leibe ging, hätten diese Bogenreiter noch viel weniger widerstehen können, als sie es tatsächlich getan haben, wenn sie nicht schließlich außer dem Bogen auch mit blanken Waffen versehen gewesen wären, nicht viel anders als die Abendländer, und so bei genügender Überzahl auch den Nahkampf hätten aufnehmen können. Die volle Kraft kann der Bogenreiter nur entwickeln, wo eine weite Ebene ihm gestattet, beliebig auszuweichen und von neuem vorzugehen, sobald der Gegner ermüdet ist und von der Verfolgung abläßt. Der Ursprung dieser Waffengattung muß deshalb in Steppenländern gesucht werden, wo die Waffe so vorteilhaft war, daß man die große Mühe und Arbeit, die auf die Erlernung und Einübung der nötigen Kunstfertigkeit verwandt werden muß, nicht scheute. Ist die Kunstfertigkeit erst geschaffen und wird sie traditionell fortgepflanzt, so kann die Waffe auch auf andere Gegenden übertragen werden. Die Kreuzfahrer erkannten nur zu bald den Schaden, den diese Reiter ihnen zufügten, und suchten sich zu sichern, indem sie selber Türken in Dienst nahmen. Im Jahre 1115 finden wir die ersten »Turcopolen«, aber schon die Verteidiger der Davidsburg in Jerusalem, die nach der Kapitulation[305] in den Dienst Raimunds von Toulouse traten, mögen als Bogenreiter-Corps gedient haben. Kaiser Friedrich II. hatte sarazenische Bogner zu Fuß und zu Pferd in seinen italienischen Feldzügen in seinem Heer. Das Abendland selber hat die Waffe der Bogenreiter zwischen seinen Bergen, Wäldern und Sümpfen, da sie doch nur eine beschränkte Anwendung hat und nur mit großer Mühe zu schaffen ist, nicht ausgebildet.291

Man hat die Ansicht ausgesprochen und namentlich General Köhler hat sein ganzes Werk darauf aufgebaut,292 daß die Ritterheere sich in drei Treffen aufstellten und zu kämpfen pflegten. Der Ausdruck ist aber zu verwerfen und paßt auf Ritterheere in keiner Weise. Wir werden darauf zurückzukommen haben, wenn wir den Fortgang der Entwickelung bis zur Umwandlung der Ritter in Kavallerie verfolgt und dabei auch festgestellt haben, was technisch unter Treffen zu verstehen ist.

Sehr häufig entscheidet bereits der erste Zusammenstoß, der erste Moment, indem ein Teil sich geschlagen gibt und davoneilt. Ist das nicht der Fall, kommt es zu einem längeren Gefecht, so ist die Aufgabe und die Ehre des Ritters die Kêre, wie es in den deutschen Heldenliedern genannt wird, das ist das Durchreiten, Umkehren und abermals Durchreiten durch den feindlichen Schlachthaufen unter fortwährendem Fechten, wie es uns Cäsar (B. G. VII, 66) schon von den gallischen Rittern erzählt.293 Die Erweiterung dieses Hin- und Wiederreitens jedoch zu einem »roulement perpetuel« von ganzen hintereinander geordneten Abteilungen (Treffen) ist eine phantastische Ausschmückung, die sich am allerwenigsten[306] mit der Vorstellung vereinigen läßt, daß die einzelnen »Treffen« viele Glieder tiefe Kolonnen gewesen seien.294 Auch die Erzählungen von dem Waffenstillstand, den man zuweilen mitten im Kampf schloß, um neue Kräfte zu schöpfen,295 oder daß ein Ritter seinem Gegner, das Gefecht unterbrechend, den Ritterschlag erteilt,296 werden wir mehr der Romantik als der Geschichte zurechnen.

Wie viele Haufen im einzelnen Falle nebeneinander oder hintereinander gestellt wurden und wie tief und breit die einzelnen Haufen waren, das macht, wie sich aus den Grundprinzipien des ritterlichen Gefechts ergibt, nicht so sehr viel aus. Die Entscheidung lag in der Menge, der Tüchtigkeit, der Zuversicht der einzelnen und demnächst daran, daß sie mit einer gewissen Gleichmäßigkeit an den Feind kamen; die Form der Aufstellung ergab sich aus der vorhandenen Zahl und dem Raum, den das Gelände bot, so gut wie von selbst. Am meisten taktische Bedeutung hat es noch, wenn von einem Haufen berichtet wird, daß er bestimmt gewesen sei, Hilfe zu bringen, wo es not tue, also als Reserve zu dienen. Das ist aber nicht zu verwechseln mit der modernen Reserve, die die schließliche Entscheidung geben soll. Wenn bei gleich starken Heeren von zwei modernen Feldherren der eine gleich das Ganze ins Gefecht schickt, der andere, sagen wir, ein Drittel zurückbehält, so rechnet er darauf, daß seine Zweidrittel, obgleich schwächer, doch genügen werden, eine Zeitlang den Kampf zu führen und in diesem Kampf in dem überlegenen feindlichen Heer die taktische Ordnung so weit aufzulösen, daß schließlich ein Angriff noch geordneter Truppen den Kampf entscheidet. Bei einem Ritterheer spielt die Auflösung der Ordnung eine viel zu geringe Rolle, um den Nachteil, zunächst eines Truppenteils im Gefecht zu entbehren, auszugleichen. Die Reserve, die erst eingreift, nachdem das Gros so gut wie besiegt ist, würde wenig mehr ausrichten und den Feldherrn würde der Vorwurf treffen, daß er seine Truppen verzettelt ins Gefecht gebracht habe. Der Zweck einer Reserve ist daher im Ritterheer ein ganz anderer, als in einem modernen,[307] nämlich durch ein kurzes Zurückhalten einer Abteilung die Möglichkeit zu haben, sie gerade dahin zu führen, wo durch irgend einen Zufall eine dünne Stelle, eine Schwäche entstanden ist, während der Feind dort vielleicht gerade sehr gedrängt und stark ist. Es handelt sich also, modern gesprochen, nicht sowohl um eine Reserve, als um eine zurückgehaltene Staffel.

Die Fälle, wo tatsächlich berichtet wird, daß in einem Gefecht der bereits siegreiche Teil durch die plötzlich eingreifende Reserve des Gegners geschlagen wurde, z.B. bei Tagliacozzo sind quellenmäßig zu unsicher überliefert, um daraus prinzipielle Schlüsse zu ziehen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei nicht um vorbedachte Manöver, sondern um Zufalls-Erscheinungen, im besonderen ist es natürlich ausgeschlossen, daß ein Feldherr absichtlich das Gros seines Heeres erst besiegen läßt, in der Hoffnung, dann mit der Reserve sich auf den aufgelösten und ungeordneten Sieger stürzen zu können. Der Plan kann immer nur darauf gehen, mit den letzten Truppen einzugreifen, während das Gefecht noch unentschieden ist.

Die Heranführung der letzten Staffel ist der letzte mögliche Akt der Führung. Nachdem der Feldherr angeordnet oder die verschiedenen Führer verabredet haben, welchen Platz jedes Banner einnehmen soll, hauen die Könige und Herzoge selbst mit drein und suchen ihren Ruhm nicht im Feldherrentum, sondern in der Ritterschaft.297

Wenn wir in nur äußerlich einigermaßen geordneten, vervielfältigten Einzelkämpfen von Rittern mit der Unterstützung der anderen Waffen den eigentlichen Typus des mittelalterlichen Gefechts und der mittelalterlichen Schlacht erkannt haben, so ist mit dieser Feststellung der typischen Erscheinung doch noch nicht die Fülle der Möglichkeiten erschöpft. Es sind Verhältnisse denkbar und wir finden Beispiele, wo entweder auch die Ritter sich veranlaßt sehen, zu Fuß zu kämpfen oder wo die Nebenwaffen zu besonderer und stärkerer Einwirkung gelangen.[308]

Ob man nun diese Art von Gefechtsführung als die Taktik des Rittertums bezeichnen soll oder nicht, ist ein bloßer Wortstreit. Nach Clausewitz' Definition ist Taktik die Verwendung der Streitkräfte zum Zwecke des Gefechts; unzweifelhaft hat danach auch ein ritterliches Heer seine Taktik, und wenn man in Betracht zieht, daß doch auch über die Ordnung der Haufen gewisse Anordnungen getroffen und den Verhältnissen angepaßt werden müssen, daß eine Reserve zurückbehalten und vorgeführt wird, daß über die Aufstellung und das Vorgehen der Schützen und der Fußknechte Befehle erlassen werden, daß unter Umständen auch einmal die Schützen oder die Fußknechte eine besondere Aufgabe erhalten, so ist auch eine Taktik im Sinne einer gewissen Kunst der Führung vorhanden. Immer aber ist diese Leistung so gering, daß im Grunde doch diejenigen, die den Ritterheeren die Taktik abgesprochen haben, sachlich im Recht sind.

Viollet le Duc hat einmal gesagt »Zu behaupten, daß die feudalen Heere jeder Taktik bar gewesen wären, heißt beinah behaupten, daß ein Land keine Literatur hat, weil ihr die Sprache nicht versteht.«298 Der französische Gelehrte glaubt also, daß die Wissenschaft es nur noch nicht verstanden habe, die Geheimnisse der mittelalterlichen Taktik in den Quellen zu finden und aus ihnen herauszulesen, und man hat sich seitdem viel Mühe gegeben, die so gestellte Aufgabe zu lösen und die Lücke unseres Wissens auszufüllen, aber es ist nichts Haltbares dabei zu Tage gekommen.

Freilich aus den mittelalterlichen Quellen dies oder jenes herauszulesen, ist nicht schwer. Aber diese Quellen sind gerade für unsere Zwecke sehr fragwürdiger Natur.

Die meisten mittelalterlichen Schriftsteller haben keinen Sinn dafür, sobald sie ins einzelne gehen, das zu erzählen, was wirklich geschehen ist oder was ihnen selber glaubwürdig schien, sondern sie malen und schmücken aus, und das ganz besonders bei dem spannendsten und aufregendsten aller Ereignisse, der Schlacht. Das Wirkliche wäre ihnen vielleicht nicht der Mühe wert gewesen, aufzuzeichnen; ihre Erzählung macht von vornherein gar keinen anderen Anspruch oder man kann auch sagen, erhebt den Anspruch, Wahrheit[309] und Dichtung zu sein. Auch im Altertum haben wir ja derartige Geschichtsquellen, die unvorsichtigerweise noch immer von modernen Historikern benutzt werden, aber wir haben neben ihnen einige wirkliche Geschichtsschreiber, die es uns ermöglichen, die wahren Zusammenhänge zu erkennen. Wenigstens an einer und an einer besonders wichtigen Stelle, bei Cannä, sind wir in der Lage, die beiden Arten der Überlieferung miteinander konfrontieren zu können, und ich kann nicht genug empfehlen, sich an dieser Konfrontation, so zu sagen, zu üben, und die Schilderung, die uns Appian von der Schlacht von Cannä gibt, wohl im einzelnen zu studieren, um für die Fälle, wo uns die wahre historische Überlieferung fehlt, gerüstet zu sein. Für das Mittelalter ist das besonders nötig, da der Geist der Epoche phantastisch und unkritisch, die Erzähler selten sehr hoch stehend, und endlich der Gebrauch der fremden, der lateinischen Sprache noch eine besonders gefährliche Quelle für Abirrungen von der Wirklichkeit ist. Fortwährend spielen Reminiscenzen aus antiken Schriftstellern hinein in die Erzählungen, und mit den Worten werden Begriffe und Bilder übertragen, die auf die Verhältnisse der Zeit nicht passen. Hat doch der Historiker Barbarossas, Rahewin, kein Bedenken getragen, seine Erzählung der Belagerung Cremas mit allen Einzelheiten, Einteilung des Heeres in sieben Haufen u. dgl. einfach aus Josephus' Erzählung der Belagerung Jerusalems durch Titus abzuschreiben. Der französische Mönch Richter im zehnten Jahrhundert erzählt uns in aller Breite und in eleganter Sprache eine ganze Reihe von kriegerischen Ereignissen, z.B. die Schlacht König Odos gegen die Normannen i. J. 892. Die Schilderungen aber sind reine Phantasiegemälde.

Der einzelne Quellenbericht besagt bei solcher Disposition der Schriftsteller, scheine er auch noch so exakt, überaus wenig, und nur indem man die Berichte durch die ganze Epoche hindurch alle gegenseitig sich kontrollieren läßt, kann man von den typischen Erscheinungen sichere Vorstellungen gewinnen.

Die Erkenntnis der ritterlichen Gefechtsführung macht auch begreiflich, weshalb das Mittelalter nie auf die Erzeugung der eigentlichen militärischen Disziplin ausgegangen ist.[310]

Für den unmittelbaren militärischen Zweck wäre damit nichts zu gewinnen gewesen. Die Schlacht-Entscheidung ruhte ja immer auf der Ritterschaft; wo diese hielt und so lange sie sich hielt, war sie auch für die anderen Waffen der halt, der Nerv, das Knochengerüst; die Ritterschaft aber beruhte auf dem höchstgesteigerten persönlichen Ehrbegriff, der durch eine scharfe Disziplinierung nichts gewonnen, vielleicht sogar eine Beugung erlitten hätte. Es ist für den Ritter nicht genug, daß das Heer siege, er will und muß auch persönlich seinen Anteil am Siege haben; denn die persönliche Auszeichnung ist die Idee, in der er lebt, die der Disziplinierung widerstrebt und ihn zum Einzelkämpfer macht und den byzantischen Kaiser Leo sagen ließ, die Angriffe der Franken zu Pferd und zu Fuß seien ungestüm und unwiderstehlich in ihrer Zähigkeit.299 Wohl sind Gefechte verloren gegangen, weil Ritter in trotziger Tollkühnheit gegen einen Befehl handelten, aber das sind Zwischenfälle, die auch in den bestdisziplinierten Heeren vorkommen, und bei dem außerordentlich geringen Maß von Führung, das, wie wir gesehen haben, bei Ritterheeren Raum hat, können diese Art Verfehlungen nicht so stark ins Gewicht fallen. Die Hauptnachteile der mangelnden Disziplin dürften sein die Auflösung bei der Verfolgung und die sucht, statt überhaupt zu verfolgen, zunächst ans Plündern zu gehen. Auf dem ersten Kreuzzug wurde einmal beschlossen, daß Ohren und Nase demjenigen abgeschnitten werden sollten, der vor dem vollendeten Siege plündere.300 Philipp August verkündete vor der Schlacht bei Bouvines, er habe eine Anzahl Galgen errichtet und werde jeden aufknüpfen lassen, der vor vollständig erkämpftem Siege beim Plündern betroffen werde.301

Gier nach Beute ist auch das Streben nach Gefangenen, die ein Lösegeld versprechen könnten, und diese Neigung potenziert sich durch den mehr und mehr sich ausbildenden Standesgeist der Ritterschaft, der in dem Gegner zugleich den Ordensbruder, beinah den Kameraden sieht, den das natürliche Gefühl vor dem Äußersten zu bewahren und zu schonen sucht. Derartige humane Empfindungen[311] sind für den wahrhaft kriegerischen Geist höchst gefährlich, und wir finden sie schon sehr früh. Orderich erzählt von der Schlacht bei Brémule (1119), wo Heinrich I. von England Ludwig VI. von Frankreich besiegte, es seien von den französischen Rittern nur drei getötet worden, aber 140 gefangen, »weil sie vollständig in Eisen gekleidet waren, und man sich aus Gottesfurcht und Kameradschaft gegenseitig schonte.«302 Ebenso berichtet Giraldus Cambrensis, 100 Jahre später, neben anderen Unterschieden zwischen den Wallisern und den Rittern, daß jene aufs Töten, diese aufs Gefangennehmen ausgingen. In den Kämpfen der östreichischen Ritterschaft gegen die Schweizer hören wir später die Klage, daß die groben Bauern statt gefangen zu nehmen, totschlagen.

Anschauliche Bilder aus dem ritterlichen Kriegsleben und Kriegswesen gewähren uns an vielen Stellen die Statuten der Ritter-Orden, namentlich der Templer.303

Wenn ein Bannern lagern will, wird ein Platz für die Kapelle mit Strecken umschlossen. Dann wird der Platz für den Meister, das Speisezelt, den Komthur der Provinz und den Proviantmeister bestimmt; die anderen Brüder wählen sich ringsum ihren Platz erst, wenn der Ruf ertönt ist »Lagert Euch Ihr Herren Brüder in Gottes Namen«. (Kap. 148.)

Kein Bruder darf sich weiter vom Lager entfernen, als daß er den Ruf oder das Glockenzeichen hören kann; auch von seinen beiden Knappen muß der eine stets in der Nähe bleiben, während der andere auf Holz- oder Futterholen ausgeht (Kap. 149).

Die Ritter sollen nicht eher satteln noch aufsitzen, als bis der Befehl gegeben ist. Sie sollen nachsehen, ob von der Ausrüstung nichts liegen geblieben ist. Im Zuge soll jeder seine Knappen mit der Rüstung vor sich, die die Pferde führen (denn jeder Ritter hat drei oder vier Pferde), hinter sich reiten lassen,304 und niemand darf[312] seinen Platz in der Reihe verlassen, es sei denn, um für einen kurzen Augenblick sein Pferd zu probieren. Niemand, bei Gefahr das Ordenskleid zu verlieren, darf ohne Befehl angreifen oder aus dem Gliede reiten (Kap. 162, 163, 166). Wenn es zum Gefecht geht, nimmt der Marschall das Banner in die Hand und bestellt 5-10 Ritter, sich um ihm zu scharen und das Banner zu hüten. Diese Brüder sollen rings um das Banner auf den Feind einhauen, so gut sie können, und dürfen sich nicht von ihm trennen, noch entfernen, die anderen Brüder aber können vorn und hinten, rechts und links, kurz überall da, wo sie glauben, dem Feinde schaden zu können, angreifen (Kap. 164).305 Ein Komthur trägt ein um eine Lanze gewickeltes Reservebanner, das er entfaltet, wenn etwa dem Hauptbanner irgendwie ein Unfall zustieße. Es ist ihm deshalb verboten, mit der Lanze, um die das Reservebanner gewickelt ist, zuzustoßen, auch wenn er Gelegenheit dazu hätte. (Kap. 165, 241, 611.)

Auch wenn er noch so schwer verwundet ist, darf der Ritter nicht ohne Erlaubnis das Banner verlassen. (Kap. 419, 420.) Auch bei einer Niederlage darf der Ritter das Schlachtfeld nicht verlassen, bei Strafe ewiger Ausstoßung aus dem Orden, so lange noch das Banner weht, und wenn das eigene Banner verloren ist, so soll er sich an das der Johanniter oder an ein anderes christliches Banner anschließen. Erst wenn alle geschlagen sind, darf der Ritterbruder sein Heil suchen, wo Gott ihm rät, hinzugehen. (Kap. 168, 421.)

Wie oben aus der Kolonnen-Aufstellung von Pillenreuth, so könnte man auch aus diesen Ordensregeln, indem man sie mit einem modernen Reglement vergleicht, den ganzen Unterschied zwischen Rittertum und Kavallerie herauslesen. Nicht den leisesten Ansatz finden wir bei den Rittern von Übungen in geschlossenem Reiten, Aufmarschieren, Schwenkungen. Alles was von Führung vorhanden ist, beschränkt sich auf das Verbot, ohne Befehl die Reihen zu verlassen und auf eigene Hand anzugreifen – ein Verbot, das in einem Kavallerie-Reglement schon gar nicht mehr[313] für nötig gehalten wird – und auf die Anordnungen für das Banner. Die Führung will also nichts, als gleichmäßig an den Feind kommen, und nachdem der Kampf begonnen hat, ihn durch das Hochhalten des Banners bis zur äußersten Intensität durchführen.

Das ist das Umgekehrte von dem, was der moderne Kavallerie-Taktiker lehrt. »Der Einbruch« heißt es hier,306 »ist die eigentliche Kampfestat der Kavallerie, er bringt die unmittelbare Entscheidung. Nur bei zweifelhaftem Erfolg des Einbruchs wird das nachfolgende Handgemenge eine besondere Wendung herbeiführen.« Weiter sagt das moderne Reglement: »Kavallerie ist niemals schwächer als nach einer gelungen Attacke« und legt deshalb entscheidendes Gewicht darauf, daß nötigenfalls schnell wieder gesammelt wird307, und womöglich einzelne Abteilungen überhaupt geschlossen bleiben. Bei den Rittern dient die Abteilung um das Banner einigermaßen demselben Zweck; vom Sammeln aber, von Signalen und Befehlen im Gefecht ist überhaupt nicht die Rede, so wenig wie von Flankierungen bei der Attacke oder vom Schutz gegen Flankierungen durch den Feind, von zweiten Treffen oder von Reserven, denn die Entscheidung liegt im Kampf, im Handgemenge. Da gibt es keine Führung mehr: der Kampf ist ausschließlich dem Ritter selbst überlassen, der dem Feinde schaden mag, wo und wie er immer kann.

Die geschlossene Abteilung in der Hand ihres Führers ist das Wesen der Kavallerie. Das Signal »Sammeln« spielt deshalb bei ihren Übungen eine solche Rolle, daß die Gäule sich von selbst nach dem Fleck, von wo sie es ertönen hören, in Karriere setzen. Ritter haben mit solchen Übungen und Signalen nichts zu schaffen und die Trompete nichts mit ihnen.308[314]

Frühere Untersuchungen, die sich mit dem Kriegswesen des Mittelalters beschäftigt haben, haben sich naturgemäß immer von einer gewissen Neigung lenken lassen, die Analogien zu modernen Erscheinungen aufzuspüren, um dadurch das Vergangene anschaulicher zu machen. Das Ergebnis unserer Untersuchung ist vor allem, die fundamentale Verschiedenheit des mittelalterlichen Kriegertums von allem modernen, und ebenso auch vom antiken, ins Licht zu stellen. Eine Ritterschaft ist etwas schlechthin anderes, als eine Schwadron Kürassiere mit Lanzen. Machen wir uns noch einmal systematisch klar, weshalb die taktischen Begriffe, die wir in der Kriegsgeschichte des Altertums kennen gelernt haben, im Mittelalter nicht mehr erscheinen.

Die Kunst der antiken Feldherren zeigt sich, indem sie die besonderen Vorteile der Offensive und der Defensive, die besonderen Vorzüge jeder Waffe und die Besonderheiten der Bodengestaltung ausnutzen und zu ihren Gunsten zu wenden wissen, die Nachteile aber vermeiden.

Bei Marathon haben wir gesehen, wie der Feldherr das ganze Heer bis zu einem bestimmten Augenblick in der Defensive hält, später immer wieder, wie gewisse Teile des Heeres zur Defensive bestimmt werden, um dadurch für die Offensive an einem anderen Punkt einen Kraftüberschuß zu gewinnen. Für ein Reiterheer ist das nicht möglich, da Reiter keine Defensive haben, sondern nur offensiv agieren können.

Damit ist auch die taktische Verwendung des Terrains in den Hintergrund getreten. Ritterheere können nicht anders schlagen, als auf einem Blachfeld.309 Anlehnung der Flügel kann wohl noch[315] unter gewissen Umständen eine Bedeutung haben, aber doch nur eine sehr geringe.310 Die Reiterschlacht wird schnell zum allgemeinen Gewühl, wo Flügel und Front gar keine Rolle mehr spielen. Nicht sowohl eine gute Anlehnung, als genügenden Raum für die Bewegung der Reiterscharen zu gewinnen, war Aufgabe der Führung.

Wohl unterstützen sich im Mittelalter und im Altertum die verschiedenen Waffengattungen gegenseitig, aber nur, indem der Schütze, der Fußknecht, der leichte Reiter dem Ritter sekundiert; von einer Taktik der verbundenen Waffen kann man nicht sprechen, weil den drei Hilfswaffen die selbständige Bedeutung fehlt. Daß die Schützen oder Fußknechte nach Art einer Phalanx oder Legion einen feindlichen Ansturm aufhielten, um derweilen den Rittern eine umgehende Bewegung zu ermögliche, davon kann keine Rede sein; dazu sind sie viel zu schwach.

Die taktische Aufgabe für ein Reiterheer ist also eine schlechthin andere, als sie für ein griechisches oder römisches war. Die Verbindung der verschiedenen Waffen hat nicht den Zweck der Gegenseitigkeit, was erst die wahre Taktik der verbundenen Waffen macht, sondern alle andern Waffen dienen nur der einen, entscheidenden, den Rittern. Deren Bedürfnisse und Charakter allein bestimmen das Schlachtfeld und die Führung, und da diese keine Defensive haben und auch das Gelände nur in einer ganz einseitigen Weise benutzen können, so sind kunstvolle taktische Kombinationen nicht möglich.

Der Punkt, um den sich alles dreht und von dem aus alles anders orientiert wird, ist der geringe Wert der Fußknechte mit[316] der blanken Waffe. Rüstow hat das einst so begründet: das Fußvolk verfiel, weil es nicht angesehen war. Weshalb aber war es nicht angesehen? Bei den Römern galt einst der Legionar mehr als der Reiter. Gewiß kam das Fußvolk nur um so mehr herunter, nachdem es einmal seinen alten Rang verloren hatte, und nun ihm weder besondere Sorgfalt zugewandt wurde, noch die Besten und Tüchtigsten sich hingezogen fühlten. Der entscheidende Grund für die Abwandlung aber ist der Verlust des taktischen Körpers. Der mittelalterliche Fußknecht ist nur er selbst, nicht das Glied einer fest zusammenhaltenden, disziplinierten Cohorte. Es ist deshalb eigentlich ungerecht, wenn man dem Fußvolk vorwirft, es habe nichts getaugt: es konnte gar nicht mehr sein, als es war; man könnte beinah sagen: es sollte gar nicht mehr sein, da ja die Ritter die Entscheidungwaffe sein sollten und wollten. Das Fußvolk, auch viel Fußvolk war deshalb keineswegs überflüssig sondern nützlich und schwer entbehrlich als Ergänzung der Ritter, auch in der Schlacht selbst, und ganz notwendig und unentbehrlich außerhalb der Schlacht, im besonderen bei Belagerungen.

Besonders zusammengefaßt seien hier noch einmal die Einwirkungen, die die Kreuzzüge auf die Kriegsweise der abendländischen Ritter ausübten.

Das Erste ist, daß sie einer Waffe begegneten, die ihnen so gut wie neu war, den berittenen Bognern, und ferner mußten sie selber, bei der Unmöglichkeit der Beschaffung des Ersatzes von Ritterpferden, das Fußvolk in ganz anderer Weise für das Gefecht heranziehen, als es in der Heimat üblich und nötig gewesen war. Beides mußte weitwirkende Folgen nach sich ziehen. Die gegenseitige Unterstützung durch die verschiedenen Waffengattungen mußte sorgfältig studiert und ausgebildet werden, die Praxis des Mischkampfs wurde prinzipiell gepflegt, auch die Waffe der berittenen Bogner selbst suchte man sich anzugliedern; um sich gegen die plötzlichen Überfälle der Bogenreiter zu schützen, mußten die Kreuzfahrer auf ihre Marschordnung viel größere Sorgfalt verwenden, als sie wohl im Abendland üblich war. Mehrfach finden wir erwähnt, daß man in drei Kolonnen nebeneinander zog, um sofort nach allen Seiten zum Kampf bereit zu sein: ein Verfahren,[317] was natürlich nur in Gegenden, die dazu die nötige Wegsamkeit und Bewegungsfreiheit gewähren, möglich ist.311


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 295-318.
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