Rückblick.

[373] Überblicken wir vom Standpunkt der Geschichte der Kriegskunst diese fast hunderjährigen Kämpfe, so erkennen wir bald, daß die italienischen Städte ein Fußvolk nach Art des antiken, der griechischen Phalanx, der römischen Legion nicht hervorgebracht haben. Zwar spielt das Fußvolk zuweilen eine wesentliche Rolle, namentlich bei Legnano, aber doch nicht die entscheidende: so zahlreich es ist, bleibt es doch nur eine Hilfswaffe der Ritterschaft. Selbst wenn die direkten Quellen-Aussagen über den Verlauf der Schlacht von Legnano nicht sicher genug oder verschieden auslegbar erschienen sollten: der weitere Fortgang der Dinge gibt die Entscheidung und läßt keinen Zweifel: hätte das Fußvolk bei Legnano eine Wirkung nach Art der antiken Infanterie ausgeübt, so würde sich daran irgend eine Entwickelung geknüpft haben. Davon findet sich aber nichts. Die Mailänder haben nicht im entferntesten aus ihrem Siege den Schluß gezogen, daß sie jetzt im Besitz eines neuen überlegenen Kriegswesens den deutschen Kaiser nicht mehr zu fürchten hätten, sondern sie haben auf sehr bescheidene Bedingungen hin Frieden geschlossen, und in der nächsten Generation wie in den folgenden, die wir noch kennen lernen werden, unterscheidet sich ihr Kriegswesen in nichts von dem in anderen Ländern und in dem Jahrhundert vorher oder nachher.

Zu dem bürgerlichen Kriegertum, wie es in den alten Zeiten etwa Athen und Rom gezeitigt haben, daß die gesamte Bürgerschaft nach dem streng durchgeführten Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in Masse ausgerückt wäre und Schlachten geschlagen hätte, ist es also in den italienischen Kommunen nicht gekommen. Es fehlte dazu, ganz abgesehen davon, ob die nötige[373] kriegerische Tüchtigkeit sich gefunden hätte, die eine wesentliche Vorbedingung, die jenen antiken Republiken eigentümlich war, die politische Einheit von Stadt und Land, das Zusammenhalten von Bürgertum und Bauernschaft. Nicht sowohl die städtischen Bewohner von Athen und Rom, als die Bauern, Köhler und Fischer von Attika und die Bewohner der ländlichen Tribus rings um Rom haben die Masse der Phalanx und der Legionen gebildet. Die italienischen Bauerndörfer aber wurden wohl beherrscht von den Städten, bildeten aber nicht mit ihnen einen einheitlichen Körper, waren nicht Mitbürger der Städter, und die Kommunen selber haben trotz ihres republikanischen Charakters die ritterliche Kriegsverfassung im wesentlichen stets behalten. Wie der Kriegsdienst im einzelnen bestimmt worden ist, ist nicht überliefert; in der Hauptsache wird es wohl über ein Aufgebot von Freiwilligen nicht hinausgegangen sein, was aber in Zeiten großer Not oder großer politischer Erregung einen sehr erheblichen Teil der Bürgerschaft, wenigstens zu kurzen Expeditionen und ganz besonders zur Verteidigung der Mauern in die Waffen gebracht haben wird. Für den letzteren Zweck mag auch die allgemeinen Wehrpflicht praktisch geworden sein.

Für die Kriegführung draußen im Felde aber sandte man rittermäßig bewaffnete Reiter, verstärkt durch Schützen und Spießer. Indem sich zu diesen Kriegsfahren die Elemente, die einen angeborenen kriegerischen Sinn in sich verspürten, an das überlieferte Kriegertum anschlossen und sich an ihm und mit ihm fortbildeten, gab das, solange ein lebendiger Kommunal-Patriotismus das Ganze beseelte, eine ganz brauchbare und tüchtige Kriegerschaft, die es auch mit den deutschen Rittern, die von ihren Königen über die Alpen geführt wurden, aufzunehmen wagte, wennschon die stolzen Deutschen spotteten über die Krämer und Handwerker, die man in Italien zu Rittern schlage.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 373-374.
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