Die Schlacht bei Ceresole


Die Schlacht bei Ceresole[112] 126.

(14. April 1544.)

Die Franzosen belagern Carignano, südlich von Turin; ein kaiserliches Heer unter del Guasto sucht eine Stellung zu gewinnen, die die Franzosen zwingen würde, entweder die Belagerung aufzugeben oder das Entsatzheer unter ungünstigen Bedingungen anzugreifen. Aber das Manöver, obgleich sehr sorgsam vorbereitet, mißlingt, zum Teil weil Regenwetter die Wege aufweicht und der Heereszug mit seinen großen Proviantkolonnen das Marschziel nicht in der angenommenen Zeit erreichen kann.

Der jugendlich kühne Führer der Franzosen, der Prinz von Enghien, hat, den Entsatzversuch del Guastos voraussehend, von seinem König die Erlaubnis erbeten und erhalten, eine Schlacht zu wagen und, als nun die Kaiserlichen nahen, brechen die Franzosen,[112] rechtzeitig aufmerksam geworden, morgens 3 Uhr aus ihrem Lager von Carignano auf und erscheinen in der rechten Flanke der feindlichen Marschlinien, so daß del Guasto sich entschließen muß, entweder auszuweichen und damit Carignano preiszugeben oder die Schlacht anzunehmen.

Die Kräfte sind ziemlich gleich. Del Guasto hat Überlegenheit an Fußvolk, Enghien Überlegenheit an Gendarmen: noch zuletzt sind ihm über 100 französische Edelleute zugezogen, die auf den Ruf, es stehe eine Schlacht bevor, hingeeilt waren, um in altritterliche Weise mitzukämpfen. Guasto aber glaubte, wie er nachher Jovius erzählt hat, nach der Erfahrung von Pavia, daß die Musketiere den Rittern über seien und dann seine Landsknechte ihm den Sieg bringen würden. Er nahm also die Schlacht an, und beide Heere marschieren an der Stelle, wo sie zufällig in Berührung miteinander geraten, auf.

Beide Heere aber suchen taktisch den Vorteil der Defensive für sich zu gewinnen und dem anderen den Angriff zuzuschieben. Infolgedessen wird die Schlacht in einer an ganz moderne Vorgänge erinnernden Weise durch ein mehrstündiges Schützen- und Artilleriegefecht eingeleitet. Die Tirailleure wogen hin und her und nehmen, wenn sie in Bedrängnis kommen, die Hilfe von Reitern in Anspruch. Sobald diese kommen, müssen die Tirailleure in dem offenen Gelände natürlich zurück.

Endlich ist es del Guasto, der sich zum Angriff entschließt, vielleicht weil er die Wirkung der französischen Artillerie nicht länger ertragen kann, vielleicht in der Meinung, schon einem feindlichen Stoß entgegenzugehen.

Beide Teile haben nach alter Schweizer Art ihre Pikeniere in drei große Haufen aufgestellt, die einfach auf dem gleichmäßig gewellten Gelände nebeneinander stehen. Wenn die Schweizer in alter Zeit ihre drei Haufen staffelweise aufgestellt hatten, so war es geschehen, um bei ihrer stürmischen Offensive wolle Freiheit der Bewegung zu haben. Hier, wo man den Angriff abwartete und jeder Haufen von Reitern begleitet und flankiert war, ergab sich die lineare Aufstellung von selbst.

Beim Zusammentreffen stößt nun der am besten zusammengesetzte Pikenierhaufen der Kaiserlichen, die Vorhut auf dem[113] rechten Flügel, bestehend aus Landsknechten und Spaniern auf eine zwar numerisch überlegene, aber ziemlich lockere Schaar von neugeworbenen Schweizern (Greyerzern) und Italienern, wirft und verfolgt sie und kann auch durch die französischen Gendarmen, die sie attackieren, nicht aufgehalten werden.

Im Zentrum aber trifft ein Haufen von neugeworbenen Landsknechten auf einen entsprechenden Haufen von ganz besonders bewährten Schweizern in französischem Dienst. Von ihrem Hauptmann Fröhlich sorgsam zurückgehalten, stürmt dieser den Landsknechten erst entgegen, als sie, durch Mangel an Kriegsübung und Terrainschwierigkeiten vor der Front etwas auseinandergekommen, ihnen nahe sind. Schon an sich waren diese Schweizer, wenn auch an Zahl wesentlich schwächer, an kriegerischer Tüchtigkeit ihren Gegnern überlegen; es geschah aber auch, daß sie französischen Gendarmen die leichten spanischen Reiter, die die Landsknechte begleiteten, schlugen, und endlich fiel den Landsknechten auch noch der dritte französische Pikenierhaufen, aus Gascognern bestehend, in die Flanke. Das war dadurch möglich geworden, daß der dritte Haufen der kaiserlichen Infanterie, der den Gascognern hätte zu Leibe gehen müssen, das nicht tat, sondern sich zurückhielt. Dieser Haufen bestand aus Italienern, die in der neuen Infanterie-Taktik noch nichts geleistet hatten und war auch nur klein. Del Guasto wird sich darauf verlassen haben, daß diese Italiener sehr stark an Schützen waren, aber die Schützen hatten vor den Reitern weichen müssen, auch die florentinischen Reiter, die sie begleiteten, wurden von den französischen geschlagen, und so war der Spießerhaufen der Gascogner frei geworden und wandte sich, richtig geführt, auf den entscheidenden Punkt. Die Quellen widersprechen sich darüber, in welchem Augenblick die Gascogner auf die Landsknechte gefallen seien: ob sie nur die Niederlage vollendeten, nachdem die Schweizer sie bereits zurückgeworfen, oder ob beide zusammengewirkt, oder gar die Gascogner die eigentliche Arbeit getan. Da die Schweizer nach ihren eigenen Angaben nur 40 Tote verloren haben, von denen doch ein Teil auf das vorhergehende Feuergefecht kommen muß, so kann der Zusammenprall mit den Landsknechten nicht so sehr hart gewesen sein, und die Einwirkung der Gascogner wird sich[114] auch schon geltend gemacht haben, indem man sie herannahen sah, ehe die Waffen gebraucht werden konnten. Monlucs Erzählung, der Zusammenstoß sei so heftig gewesen, daß das erste Glied auf beiden Seiten zu Boden geworfen wurde, wird nicht als eine Realität nacherzählt werden dürfen.

Der ursprünglich siegreiche rechte Flügel der Kaiserlichen, der den fundamentalen Fehler begannen hatte, seinen Sieg gradeaus zu verfolgen, statt erst einmal zu helfen, den feindlichen Haupthaufen, die Schweizer niederzuringen, wurde zum Schuß, als er auf das Schlachtfeld zurückkehren wollte, von allen Seiten angefallen und aufgerieben.

Die Besonderheiten dieser Schlacht scheinen alle durch die Feuerwaffe bestimmt zu werden und zwar sowohl durch das, was sie leistet, als durch das, was man von ihr erwartete, sie aber doch noch nicht leistete. Während wir in den vergangenen großen Schlachten einen deutlich markierten Verteidiger und ebenso deutlich markierten Angreifer haben, haben wir hier die Erscheinung, daß taktisch beide Teile bis zuletzt den Vorteil der Verteidigung für sich zu gewinnen wünschen. Es ist offenbar nicht bloß der Geländevorteil, den man dabei im Auge hat – denn früher haben die Schweizer ja darauf nie Rücksicht genommen – sondern der Vorteil der Fernwaffen. Ferner wird uns berichtet, daß man sowohl bei den Landsknechten wie bei den Gascognern ins zweite Glied Schützen mit Arkebusen oder mit Pistolen eingestellt hatte, die unmittelbar vor dem Zusammenstoß in die feindliche Masse hineinfeuern sollten. Die Wucht und die Geschlossenheit des Spießerhaufens wird dadurch einigermaßen gelockert. Es ist wie der Beginn einer Zersetzung, und die Schweizer zeigen diesen neumodischen Kunstgriff nicht und bleiben trotzdem Sieger. Da auch gegenüber der französischen Ritterschaft das Feuergewehr aus dem Felde weichen mußte, so zeigt Ceresole, daß der Erfolg der Musketiere bei Pavia wesentlich durch die Deckungen bedingt war, die das Gelände des Parks den Schützen bot. Mehr als die Handfeuerwaffe hat, obgleich nicht zahlreich, die Artillerie auf den Gang der Schlacht eingewirkt. Die eigentliche Entscheidung aber geben noch die großen Pikenierhaufen.[115]

Der Verlust der kaiserlichen Armee an Toten und Gefangenen war ungeheuer, etwa die Hälfte des Heeres, davon 5000 tot. Trotzdem war der positive Erfolg des Sieges für die Franzosen nur gering. Sie nahmen nach einiger Zeit Carignano, weiter aber vermochten sie nichts, da sich Kaiser Karl eben von Deutschland aus zum Einfall in Frankreich rüstete und König Franz Truppen aus Italien abrief, sich hiergegen zu verteidigen. Freilich, hätte del Guasto bei Ceresole gesiegt und wäre dann, die Alpen übersteigend, in Frankreich eingefallen, so wäre die Bedrängnis der Franzosen sehr schwer geworden. Aber zu völliger Niederkämpfung hätte es sicherlich auch dann noch nicht gereicht.[116]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 112-117.
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