Exkurs über die Feuergeschwindigkeit im 18. Jahrh.


Exkurs über die Feuergeschwindigkeit im 18. Jahrh.

[329] Die grundlegende Untersuchung ist in der »Taktischen Schulung« (Kriegsgeschichtliche Einzelschritten, Heft 28/30), S. 434. Da aber mehrere wichtige Zeugnisse noch nicht herangezogen sind, ist doch noch Einiges hinzuzufügen. Die Frage ist nicht nur sachlich, sondern auch methodisch interessant, da man daran ermessen kann, wie leicht sich über solche an sich einfachen technischen Fragen auch bei Sachkennern falsche Vorstellungen bilden und Traditionen entstehen, die kaum angreifbar scheinen und denen man doch nicht trauen darf. Ich denke dabei an das unbedingte Vertrauen, daß man den Aussagen des Polybius über militärische Dinge entgegenzubringen pflegt.

Das Ergebnis der Untersuchung in der »Taktischen Schulung« ist, daß kurz vor dem Siebenjährigen Kriege ein geschickter Musketier ohne Kommando in einer Minute 4-5 mal laden, das Peloton nach Kommando in zwei Minuten fünf Salven geben konnte, was noch bis auf beinahe drei in der Minute gesteigert wurde.

Die Schrift fügt hinzu: »Man vergegenwärtige sich nur die große Anzahl der einzelnen Verrichtungen, die beim damaligen Laden notwendig waren, nämlich: Gewehr an die rechte Seite, Hahn in Ruhrast bringen, Patrone ergreifen, abreißen, Pulver auf die Pfanne schütten, Pfanne schließen, Gewehr nach der linken Seite (Fuß) herumwerfen, ohne Pulver aus der offenen Patrone zu verschütten, Patrone in den Lauf bringen und das Pulver rein ausschütten, Ladestock herausziehen, verkürzt anfassen, in den Lauf stecken, zweimal stark hinunterstoßen, Ladestock an den Ort und das Gewehr in die Höhe, das heißt vor die Mitte des Leibes bringen, um je nach dem nun folgenden Kommando anzuschlagen, oder zu schultern, falls nicht sofort gefeuert werden sollte. Daß dies Alles, einschließlich des Feuerns nicht fünfmal in der Minute möglich war, wird alsdann sofort klar.«

Als der zylindrische Ladestock und das konische Zündloch eingeführt war, wurden nach einem Bericht des Grafen Guibert 1773 bei einem Manöver, also ohne Kugeln, 30 Patronen in 81/2 Minuten, also 31/2 Schüsse in der Minute, erreicht. Der zylindrische Ladestock hatte zwar den Vorteil, daß er nicht umgedreht zu werden brauchte, sonst aber, ebenfalls nach Guibert, sehr große Nachteile.

In dem Reglement von 1779 wird verlangt, daß mit Laden und Feuern der Rekruten mit Pulver »täglich und so lange continuiret werden muß, bis die neuen Leute viermal in einer Minute feuern können«.[329]

Nach Berenhorst brauchte man »zu Ladung und Schuß mit Kugelpatronen wenigstens 15 Sekunden«, konnte also nicht ganz 4 Schuß in der Minute herausbringen; »mit Exercierpatronen kam man auf 6 mal in der Minute.«

Hierzu füge ich aber noch folgende Zeugnisse:

Der Generalinspektor Generalleutnant Graf ANHALT hat bei seiner Anwesenheit in Breslau im Jahre 1783 in einem Befehl (Archiv in Zerbst) an die dort stehenden sämtlichen Regimenter verlangt, daß in einer Minute der »Bursche mit Pulver (nämlich mit Pulverpatronen ohne Kugel) 7 mal feuert und 6 mal ladet, und ohne Patronen (d.h. also blind) muß er vollkommen 8 mal feuern und 8 mal geladen haben, wenn er gehörig ausgearbeitet ist.«

SCHARNHORST in seinem Handbuch (Taktik S. 268, Ausgabe von 1790) gibt an, daß erfahrungsgemäß mit dem neuen Gewehr die Truppe 5 bis 6 mal in der Minute feuern könne. Seine eigene Rechnung nach Sekunden führt aber nur auf 5 mal.

In seiner Schrift »Über die Wirkung des Feuergewehrs«, die er 1813 erscheinen ließ, ist gesagt (S. 80), daß bei einem Versuch, wo 10 Infanteristen hintereinander 20 gezielte Schüsse abgaben, der geschwindeste dazu 71/2 Minuten, die langsamsten 13 bis 14 Minuten gebraucht hätten. Und S. 95 bei einem anderen Versuch wurden für 10 gezielte Schüsse 5 bis 8 Minuten gebraucht. Im besten Falle wurden also in der Minute noch nicht drei, bei dem zweiten Versuch nur zwei Schüsse abgegeben.

In dem wertvollsten Buche »Denkwürdigkeiten zur Charakteristik der preußischen Armee unter dem großen König Friedrich II. Aus dem Nachlaß eines preußischen Offiziers« (v. Lossow), Glogau 1826, S. 259, ist gesagt, daß man nach »Erfindung der trichterförmigen Schwanzschraube« dahin gelangt sei, in der Minute 6 mal zu schießen und das 7. Mal zu laden. »Da dieß aber übertrieben wurde, schaffte König Friedrich Wilhelm II. dasselbe wieder ab.«

DECKER, Taktik der drei Waffen (1833), S. 138, berichtet, daß man es auf 7 bis 8 Schuß in der Minute gebracht habe.

GANSAUGE, Das brandenburg-preußische Kriegswesen (1839), S. 132, ist gesagt, »nach dem Hubertusburger Frieden verlangte man von der preußischen Infanterie, daß sie in der Minute ihr Gewehr 4 mal abschösse«.

Um diese krassen Widersprüche zu verstehen, muß man unterscheiden zwischen dem Schießen des einzelnen Mannes und der geschlossenen Abteilung; der Leistung Einzelner, besonders Talentierter, und der Durchschnittsleistung; der Übung ohne Pulver, mit Pulver, mit Pulver und Kugel; dem Schießen ohne Kommando und dem Schießen ganzer Abteilungen auf Kommando.[330]

Kriegsgeschichtlich bedeutsam ist natürlich nur das scharfe Schießen, das erheblich langsamer geht als das Schießen mit Platzpatronen, weil die Kugel in den Lauf heruntergedrückt werden muß. Ferner scheidet aus das Einzelschießen. Es handelt sich um das Feuern ganzer Pelotons mit Kugeln, sei es mit, sei es ohne Kommando.

Hiernach scheiden von den obigen Zeugnissen einige aus.

Berenhorst berichtet »6 mal« ausdrücklich nur von Exerzierpatronen. Graf Anhalt spricht ebenfalls nur von Exerzierpatronen.

Demgemäß dürfen wir von Decker und Lossow annehmen, daß sie ebenfalls nur Exerzierpatronen im Auge haben.

Es bleibt das gewichtige Zeugnis von Scharnhorst in seiner Taktik, der zweifellos vom scharfen Schießen sprechen will, und »5 mal« oder sogar »5 bis 6 mal« angibt.

Scharnhorsts Zeugnis steht gegenüber die Aussage von Berenhorst, der für den Schuß »wenigstens« 15 Sekunden in Anspruch nimmt, also für die Minute noch nicht ganz vier Schüsse, und Gansauge, der vier Schüsse bezeugt. Berenhorst schreibt als Zeitgenosse, Gansauge ist 1813 in die Armee eingetreten, hatte also noch eine lebendige Tradition zur Verfügung.

Es fragt sich, ob wirklich die Erfindung des konischen Zündlochs, wodurch das Ausschütten des Pulvers auf die Pfanne, und des zylindrischen Ladestocks, wodurch das zweimalige Umdrehen erspart wurde, so viel ausmachten, daß die Steigerung von höchstens dreimal (zur Zeit des Siebenjährigen Krieges) bis auf fünfmal erreicht werden konnte?

Wer würde es wagen, ein Zeugnis Scharnhorsts anzuzweifeln, wenn uns nur dieses erhalten wäre? Aber ihm stehen nicht nur die Zeugnisse von Bernhorst und Gansauge gegenüber, sondern in der von Hoyer besorgten dritten Auflage seiner Taktik ist die Angabe der ersten Auflage auch auf »4 bis höchstens 5 Feuer in der Minute« herabgesetzt.

Als Scharnhorst sei Werk schrieb, war er hannoverscher Artillerie-Leutnant. Ich kann mich daher der Annahme nicht entziehen, daß er durch einen Bericht, der das gewöhnliche Übungsschießen mit Platzpatronen im Auge hatte, getäuscht worden ist.

Wenn in seiner Schrift von 1813 bei einem noch verbesserten Gewehr doch nur zwei bis noch nicht drei Schüsse in der Minute bei den besten Schützen herauskommen, so ist zu beachten, daß es sich auf gezieltes Feuern bezieht.

Das Ergebnis ist also, daß die Preußen in den Siebenjährigen Krieg eintraten mit der Kunst, in der Minute 21/2 bis 3 ungezielte Salven feuern zu können, was durch technische Verbesserungen am Gewehr nachher bis auf annähernd 4 Salven gesteigert und auch 1806 noch geleistet wurde.

Nicht nur die 10 oder 8 mal in der Minute sind abzulehnen, sondern auch KOSER, Friedr. d. Gr., III, 377, der 5-6 mal annimmt, und[331] BRONSART V. SCHELLENDORF, der spätere Kriegsminister, in der Streitschrift »Ein Rückblick auf die Taktischen Rückblicke« (1870) ist schon zu weit gegangen, als er schrieb (S. 5): »Vergegenwärtigt man sich, daß das Vorderladungsgewehr die Infanterie des großen Königs nicht hinderte, in der geschlossenen Ordnung pro Minute 4 bis 5 mal zu feuern, eine Geschwindigkeit des Feuerns, welche mir mit dem Zündnabelgewehr jedenfalls nur unmerklich überschritten haben, so ist es eigentlich schwer, aus der Einführung des Hinterladungsgewehrs eine radikale Umgestaltung der Taktik abzuleiten.«

Noch größer aber war der Irrtum im ersten Bande des Generalstabswerks über die Kriege Friedrichs des Großen, wo schon für jene Zeit, wo nur 21/2 mal in der Minute geleistet wurde, gesagt ist (S. 140): »So wurde es bei unausgesetzter Übung möglich, daß bis zu 5 mal in der Minute geladen und gefeuert werden konnte, eine Leistung, die dreimal so groß war, als die sonst gewöhnliche, und die daher der preußischen Infanterie eine unstreitige Überlegenheit sichern mußte.«

General v. Caemmerer erzählte mir einmal, mit dem alten Zündnabelgewehr habe eine gute Truppe 5 mal in der Minute schießen können, und ein Unteroffizier, der von Schießschule kam, sei sehr bewundert worden, daß er es 7 mal fertig brachte.

Mit dem Minié-Gewehr, das die preußische Armee eine kurze Zeit lang vorher geführt, habe man 11/2 Schuß in der Minute herausgebracht.[332]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 329-333.
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