Kunersdorf[413] 450.

12. August 1759


Die Russen mit Loudon stehen vor den Toren Frankfurts auf dem rechten Charakter. Friedrich ist, von Süden kommend, an ihnen vorbeimarschiert, nördlich von ihnen über die Oder gegangen und da sie nördlich durch eine sumpfige Niederung gedeckt waren, abermals um sie herummarschiert, so daß er sie von Südosten her umfassend angriff.

Als reiner Flankenangriff angesetzt, war er zunächst sehr wirksam und schien die russische Schlachtlinie aufrollen zu müssen. Er scheiterte schließlich dennoch, da die russische Front auch von Süden durch einige Teiche und Wasserläufe so gedeckt war, daß die Preußen nur auf einem sehr schmalen Raum angreifen konnten und namentlich die Kavallerie, die 13000 Pferde stark war, nicht zu ausgiebiger Aktion zu gelangen vermochte. Um den Zusammenhang der Schlachtordnung nicht aufzuheben, hatte der König seinen linken Flügel nicht um jene Fronthindernisse herumgreifen lassen wollen; infolge dessen konnten die Russen von der nicht angegriffenen Hälfte ihrer Schlachtlinie immer neue Truppen auf den Kampfplatz ziehen, die mit ihrer Überlegenheit die Preußen endlich überwältigen. Clausewitz (X, 99) drückt das so aus: »man kann wohl sagen, daß der König hier in die Schlinge seines eigenen Systems der schiefen Schlachtordnung gefallen ist«, und das Generalstabswerk bestätigt das.

Bei Kunersdorf ist der Flankenangriff noch schärfer ausgeprägt als bei Leuthen, insofern die Preußen ganz um den russischen Ostflügel herumgreifen. Das Zahlverhältnis ist in beiden Schlachten[413] ungefähr das gleiche. Die Unterschiede, die den Preußen bei Leuthen den Sieg, bei Kunersdorf die Niederlage brachten, waren erstens die sehr große Ausdehnung der österreichischen Front bei Leuthen, die die Verstärkung des angegriffenen Flügels durch die Truppen des nicht angegriffenen verzögerte, zweitens das für die Verteidigung so sehr viel vorteilhaftere Gelände, das die Russen bei Kunersdorf inne hatten, sowohl innerhalb ihrer Front (Kuhgrund), wie vor ihrer Front, drittens die Befestigungen und Verhaue, die die Russen, die schon acht Tage in dieser Stellung standen, angelegt hatten, viertens daß infolge der Fronthindernisse das russische Zentrum nicht angegriffen wurde und es deshalb den Russen so leicht wurde, dem angegriffenen Flügel Verstärkungen zuzuführen.

Es ist dem König oft, namentlich von Napoleon zum Vorwurf gemacht worden, daß er sich zur Entscheidung bei Kunersdorf nicht stärker gemacht habe. Das Generalstabswerk (X, 84) legt treffend die Gründe dar, weshalb er es nicht getan habe, verschleiert dabei aber die Hauptsache, nämlich daß diese Gründe wirklich hinreichend und durchschlagend sind nur unter der Voraussetzung, daß Friedrich nach den Grundsätzen der Ermattungsstrategie handelte und handeln mußte. Hätte Friedrich es darauf ankommen lassen wollen, Sachsen vorläufig preiszugeben, so hätte er die Truppen des Prinzen Heinrich schon Wedel bei Kay zu Hilfe schicken können, und hätte er ein Stück von Schlesien riskieren wollen, so hätte er Fouqué nach Schmottseifen heranziehen können und dafür selber so viel mehr Truppen mit sich nehmen zur Entscheidung bei Kunersdorf. Am allerwenigsten aber ist der Satz des Generalstabswerkes S. 85 zu billigen, daß Friedrich es nicht hätte darauf ankommen lassen dürfen, daß etwa Daun ihm »mit dem größten Teil seiner Armee auf den Fersen folgte.« Man dürfte diesen Satz sogar direkt umkehren. Wenn Daun Friedrich unmittelbar folgte, so kam er heraus aus seiner befestigten Stellung und bot dem Preußenkönig endlich die Gelegenheit, nach der er sich schon so lange sehnte, ihn in offenem Felde anzugreifen. Die Russen hätten nicht eingreifen können, die standen ja noch jenseits der Oder. Dann hätten wir ein Bild etwa wie Napoleon 1815, der mit derselben Armee binnen zwei Tagen erst die Preußen und dann die Engländer zu schlagen gedachte. Friedrich aber traute seinen Truppen eine[414] solche Leistungsfähigkeit nicht zu. Ganz ebenso ist die Vorgeschichte von Zorndorf zu beurteilen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 413-415.
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