Nachmittagssitzung.

[587] [Der Angeklagte von Schirach im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird dieses Dokument zur Zeit nicht zulassen, wünscht jedoch, daß Sie uns das Originaldokument gleichzeitig mit den Antworten auf die Fragebogen, die vom Gerichtshof angeordnet wurden, vorlegen. Der Gerichtshof wird das Generalsekretariat um einen Bericht über die ganze Angelegenheit ersuchen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Präsident! In der Pause habe ich Gelegenheit gehabt, mit Dr. Sauter zu sprechen, und er erklärte, er werde mir den Fragebogen geben, und wir werden Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Antworten von der Zeugin schnellstens zu erhalten. Ebenso wird auch dem Wunsch des Gerichtshofs entsprechend das Original des Protokolls der Aussagen der Zeugin Vasseau so rasch als möglich vorgelegt werden.

Darf ich nunmehr mit dem Verhör fortfahren?


VORSITZENDER: Ja, bitte!


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich bin bei der Zeugenaussage von Gert Bruno Knittel stehengeblieben. Er hat folgendes über seinen Dienst in der Deutschen Wehrmacht ausgesagt:

»Mindestens zweimal wöchentlich ließ man uns Wälder ›durchkämmen‹, Razzien gegen Partisanen bezw. sonstige dem Deutschen Regime negativ gegenüberstehende Personen in Ortschaften veranstalten, um sie zu verhaften und zu erschießen. Von unserer 3. Kompanie, Feldersatzbataillon 375, wurden im Walde 5 Personen angetroffen und erschossen. Diese Personen waren möglicherweise auch keine Partisanen sondern Ortsbewohner, die im Walde zu tun hatten. Aber bei uns lag der Befehl vor, alle zu erschießen, die uns im Walde in den Weg laufen würden. Ich schoß mit auf diese Angehaltenen samt den übrigen Soldaten meiner Kompanie.

An einer Razzia im Orte Lischaysk im Juni 1943...« wurde »der ganze Ort mit 3-4 Kompanien umstellt, so daß niemand weder ein noch aus konnte.... Außerhalb jedes zu durchsuchenden Hauses...«


VORSITZENDER: Sie vernehmen den Angeklagten von Schirach, der in Wien war, im Kreuzverhör. Was hat dieses Schriftstück damit zu tun?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Es handelt sich um die Zeugenaussage eines Mitgliedes der Hitler-Jugend über seine Teilnahme an den Verbrechen in den besetzten Gebieten während seines Dienstes in der Deutschen Wehrmacht. Dieses Schriftstück ist in die deutsche Sprache übersetzt, und ich könnte vom Verlesen dieser [587] Aussage absehen. Ich möchte aber, daß der Zeuge Schirach sich mit diesem Dokument vertraut macht. Haben Sie dieses Dokument gelesen? Ich frage Sie, Zeuge, haben Sie das Dokument gelesen?


VON SCHIRACH: Ich habe es gelesen. Der Knittel, der hier die Aussage macht, ist aber kein Mitglied der Hitler-Jugend, sondern ein Mitglied entweder des Arbeitsdienstes oder irgendeiner Einheit des Heeres. Er ist in einem früheren Zeitpunkt seines Lebens wie alle jungen Deutschen Mitglied der Hitler-Jugend gewesen. Das gibt er ja an. Aber hier hat er als Angehöriger irgendeiner Wehrmachtseinheit gehandelt, nicht als Angehöriger der Hitler-Jugend. Die ganze Aussage erscheint mir überhaupt wenig glaubhaft. Er spricht zum Beispiel von einer Hitler-Jugend-Partei...


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Haben Sie die ganze hier vorliegende Aussage gelesen?


VON SCHIRACH: Ja.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Geben Sie in diesem Zusammenhang zu, daß die Teilnahme der deutschen Jugend an solchen Greueltaten durch eine entsprechende Schulung bei der Hitler-Jugend bedingt war?

VON SCHIRACH: Nein, das gebe ich nicht zu.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe noch zum Schluß zwei weitere Fragen: Bis zu welchem Zeitpunkt haben Sie Ihr Amt als Reichsstatthalter von Wien und Reichsleiter für die Jugenderziehung innegehabt?


VON SCHIRACH: Ich war Reichsleiter für die Jugenderziehung seit 1931 und Reichsstatthalter in Wien seit 1940.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Mich interessiert zu wissen bis wann, bis zu welchem Moment?


VON SCHIRACH: Ich habe beide Posten bis zum Zusammenbruch innegehabt.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier ausführlich über Ihren Bruch mit Hitler im Jahre 1943 erzählt. Sie erklärten, daß Sie von diesem Zeitpunkt an politisch tot waren. Sie behielten jedoch ihre Ämter bis zum Zusammenbruch. Somit war Ihr Bruch mit Hitler nur theoretisch, denn in Wirklichkeit hat er keine Folgen für Sie gehabt. Ist das richtig?


VON SCHIRACH: Das ist falsch. Die Folgen, die es für mich hatte, habe ich in meiner Aussage am Donnerstag oder Freitag geschildert. Ich habe aber auch zum Ausdruck gebracht, daß ich bis zum letzten Augenblick meinen Hitler geleisteten Eid als Jugendführer, Beamter und Offizier gehalten habe.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Präsident.


[588] DR. SAUTER: Herr Präsident! Damit wir vorwärtskommen, möchte ich nur zwei kurze Fragen an den Angeklagten von Schirach stellen.

Die eine Frage: Herr Zeuge! Sie sind im Verlauf des Kreuzverhörs gefragt worden, ob Sie den Befehl gegeben haben, Wien unter allen Umständen zu halten und bis zum letzten Mann zu verteidigen. Sie haben, soviel ich, weiß, die Frage mit »Nein« beantwortet. Nun würde mich interessieren: Welche Befehle in dieser Beziehung haben Sie damals, also in den letzten Tagen von Wien, Ihren Untergebenen gegeben, wobei ich an den stellvertretenden Gauleiter Scharizer und den damaligen Bürgermeister Blaschke denke?


VON SCHIRACH: Der Befehl für die Verteidigung Wiens erging von Hitler. Die Verteidigung Wiens oblag den militärischen Dienststellen, also dem Stadtkommandanten von Wien, dann dem Armeeführer, der die sechste SS-Panzer-Armee befehligte...


DR. SAUTER: Namens?


VON SCHIRACH: Sepp Dietrich, und dem Führer der Heeresgruppe Süd, Generaloberst Rendulic.


DR. SAUTER: Haben die den Befehl gegeben?


VON SCHIRACH: Sie haben in Vollzug des von Hitler gegebenen Befehls für die Verteidigung Wiens Wien verteidigt.


DR. SAUTER: Und welche Befehle haben Sie, Herr Zeuge, Ihren Untergebenen gegeben in dieser Beziehung?


VON SCHIRACH: Ich habe für die Verteidigung Wiens lediglich Befehle gegeben, die sich auf den Volkssturm bezogen, beziehungsweise auf die Lebensmittelversorgung der Stadt und ähnliche Dinge, die mir oblagen. Ich selbst hatte an sich mit der Verteidigung Wiens nichts zu tun. Denn auch die Zerstörungen, die im Verlauf der militärischen Verteidigung Wiens notwendig waren, sind auf Befehle zurückzuführen, die vom Führerhauptquartier dem Führer der Heeresgruppe beziehungsweise dem Armeeführer und dem Stadtkommandanten gegeben wurden.


DR. SAUTER: Und eine zweite Frage, Herr Zeuge:

Sie sind im Kreuzverhör gefragt worden zu dem Dokument 3763. Ich wiederhole 3763-PS. Es ist dies das Dokument, das sich mit den Liedern der Jugend befaßt und aus denen die Anklagevertretung eine andere Einstellung herausliest, als Sie dargelegt haben. Haben Sie Ihre Aussage zu diesem Punkt noch zu ergänzen?


VON SCHIRACH: Ja, ich muß sie kurz ergänzen.


DR. SAUTER: Bitte.


[589] VON SCHIRACH: Es wird mir von der Anklage ein Lied vorgehalten, das beginnt: »Wir sind des Geyers schwarze Haufen« und den Refrain hat: »Spieß voran, drauf und dran, setzt aufs Klosterdach den roten Hahn«.

Und ein Vers lautet: »Wir wollns dem Herrn im Himmel klagen, daß wir den Pfaffen wolln totschlagen.«

Dieses Lied ist ein christliches Lied.


DR. SAUTER: Wieso?


VON SCHIRACH: Das geht aus der fünften und aus der vierten Strophe hervor. Es ist nämlich das Lied der protestantischen Bauern unter Florian Geyer.

Die vierte Strophe lautet: »Jetzt gilt es Schloß, Abtei und Stift, uns gilt nichts als die Heilige Schrift.«

Und in der nächsten Strophe heißt es: »Ein gleich Gesetz, das wolln wir han, vom Fürsten bis zum Bauersmann.«

Auch der Protestantismus war einmal eine Revolution. Die aufständischen Bauern haben dieses Lied gesungen, und es mag als Beispiel dienen – dieses Lied aus dem 16. Jahrhundert, ebenso wie manche Lieder der französischen Revolution – es mag als Beispiel dienen, wie eben Revolutionen radikal und nicht tolerant beginnen.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Damit beschließe ich meine Vernehmung des Angeklagten von Schirach. Danke sehr, ich habe keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Wer waren Ihre Hauptmitarbeiter in Wien?


VON SCHIRACH: Erstens der Chef meines Zentralbüros, Höpken; zweitens der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge; drittens der Bürgermeister Blaschke; viertens der stellvertretende Gauleiter Scharizer; das sind die wesentlichsten Mitarbeiter.


VORSITZENDER: Das sind vier, nicht wahr?


VON SCHIRACH: Jawohl.


VORSITZENDER: Arbeiteten diese Personen die ganze Arbeitszeit für Sie in Ihrem Amt?


VON SCHIRACH: Nicht alle; der stellvertretende Gauleiter war bereits in seiner Funktion unter meinem Amtsvorgänger Bürckel tätig; der Bürgermeister Blaschke wurde, soviel ich mich erinnere, erst 1943 Bürgermeister; vor ihm war ein Herr Jung Bürgermei ster; der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge wurde Regierungspräsident 1940, nach meinem Eintreffen in Wien. Er wurde mir vom Reich aus zugeteilt.


VORSITZENDER: Also waren diese Männer von dem Zeitpunkt an, da Sie Ihr Amt in Wien antraten, Ihnen unterstellt, nicht wahr?


[590] VON SCHIRACH: Ja, ich muß noch erwähnen, daß der von mir erwähnte Chef des Zentralbüros, Höpken, zunächst als Adjutant bei mir tätig war und seine Stellung als Chef des Zentralbüros erst übernahm, als der frühere Chef dieses Büros, Obergebietsführer Müller, bei einem Luftangriff ums Leben kam.


VORSITZENDER: Wer von diesen Vier hat diese wöchentlichen Berichte, die Ihr Amt bekam, mit seinen Initialen gezeichnet?


VON SCHIRACH: Das war der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge.


VORSITZENDER: Dellbrügge?


VON SCHIRACH: Ja.


VORSITZENDER: Und zu der Zeit, als er die Berichte erhielt, war er in Ihrem Amt als einer Ihrer Hauptmitarbeiter tätig?


VON SCHIRACH: Er war mein Vertreter in der staatlichen Verwaltung.


VORSITZENDER: War das Ihr Amt?


VON SCHIRACH: Das war eines meiner Ämter.


VORSITZENDER: Also eine Abteilung innerhalb Ihres Amtes, nicht wahr?


VON SCHIRACH: Jawohl. Darf ich noch einmal erläutern: Es gab verschiedene Säulen, die staatliche Verwaltung, die städtische Verwaltung, die Parteiführung und das Reichsverteidigungskommissariat. Reichsverteidigungskommissariat und staatliche Verwaltung waren in Personalunion verbunden, was die Vertretung betrifft; zusammengefaßt wurde alles im Zentralbüro.


VORSITZENDER: Gut. In welchem Amt war nun dieser Hauptmitarbeiter, der die Dokumente abzeichnete; von welcher Abteilung war er der Chef?


VON SCHIRACH: Er war leitend tätig in der Reichsstatthalterei, als Chef der staatlichen Verwaltung.


VORSITZENDER: Der Zivilverwaltung?


VON SCHIRACH: Zivil-Staatsverwaltung.


VORSITZENDER: War er auch der stellvertretende Reichsverteidigungskommissar?


VON SCHIRACH: Jawohl.


VORSITZENDER: Und Sie waren der Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis XVII, nicht wahr?


VON SCHIRACH: Ja.


VORSITZENDER: Und er war Ihr Vertreter in diesem Wehrkreis?


VON SCHIRACH: Ja.


[591] VORSITZENDER: Und er hat jene Berichte in diesem Amt erhalten und abgezeichnet, nicht wahr?


VON SCHIRACH: Jawohl.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann in die Anklagebank zurückkehren.


[Der Angeklagte von Schwach verläßt den Zeugenstand.]


DR. SAUTER: Herr Präsident! Mit Ihrer Genehmigung rufe ich dann auf den Zeugenstand den Zeugen Lauterbacher.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Bitte, geben Sie Ihren Vor- und Nachnamen an!

ZEUGE HARTMANN LAUTERBACHER: Hartmann Lauterbacher.


VORSITZENDER: Ist das Ihr voller Name?


LAUTERBACHER: Lauterbacher.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir den folgenden Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Ich habe die Sachen mit Ihnen im Gefängnis bereits besprochen, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Ich bitte, nach jeder Frage etwas zu warten mit der Antwort, damit die Übersetzer nachkommen.


LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SAUTER: Wann sind Sie geboren?


LAUTERBACHER: Am 24. Mai 1909.


DR. SAUTER: 1909?


LAUTERBACHER: 1909.


DR. SAUTER: Sind Sie verheiratet?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Haben drei Kinder?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Was sind Sie von Beruf?


LAUTERBACHER: Drogist.


DR. SAUTER: Drogist, Kaufmann?


[592] LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Sie befinden sich in amerikanischer Gefangenschaft?


LAUTERBACHER: In englischer Gefangenschaft.


DR. SAUTER: Seit wann?


LAUTERBACHER: Seit 29. Mai 1945.


DR. SAUTER: Sind Sie über die Sache schon einmal vernommen worden von der Staatsanwaltschaft?

LAUTERBACHER: Nein.


DR. SAUTER: Wann sind Sie hauptamtlich, also gegen Bezahlung, Angestellter in der Hitler-Jugend geworden?


LAUTERBACHER: Ich bin hauptamtlich, das heißt gegen Bezahlung, Angestellter in der Hitler-Jugend geworden mit meiner Ernennung zum Gebietsführer des Gebietes Westfalen-Niederrhein.


DR. SAUTER: Wann war das?


LAUTERBACHER: Im April 1932.


DR. SAUTER: April 1932, also mit 23 Jahren?


LAUTERBACHER: Mit 23 Jahren.


DR. SAUTER: Waren Sie vorher schon bei der Hitler-Jugend?


LAUTERBACHER: Jawohl. Ich bin...


DR. SAUTER: Immer etwas warten mit der Antwort, wenn die Frage fertig ist, ja?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Ich habe gefragt, waren Sie vorher schon bei der Hitler-Jugend gewesen, bevor Sie dort hauptamtlich im Jahre 1932 angestellt worden sind?


LAUTERBACHER: Jawohl. Ich bin als Dreizehnjähriger im Jahre 1922 in die damalige nationalsozialistische Jugend eingetreten und habe dann als Achtzehnjähriger im Jahre 1927 in meiner Heimat Tirol eine Unterführeraufgabe übernommen...


DR. SAUTER: Und hauptamtlich wurden Sie...


LAUTERBACHER:... habe dann in Braunschweig wiederum ehrenamtlich von 1929 bis 1932 gearbeitet und im Anschluß hauptamtlich.


DR. SAUTER: Also seit 1932?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Was wurden Sie im Jahre 1932; welchen Posten haben Sie damals bekommen?


[593] LAUTERBACHER: Im Jahre 1932 erhielt ich die Führung des damaligen Gebiets Westfalen-Niederrhein.


DR. SAUTER: Wann kamen Sie zum Angeklagten Schirach?


LAUTERBACHER: Am 22. Mai 1934.


DR. SAUTER: Was wurden Sie bei ihm?


LAUTERBACHER: Stabsführer.


DR. SAUTER: Stabsführer? Und wie lange blieben Sie Stabsführer bei ihm?


LAUTERBACHER: Bis August 1940.


DR. SAUTER: Also bis er sein Amt als Reichsjugendführer abgab, wahrscheinlich?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Bevor Sie bei der Hitler-Jugend hauptamtlich wurden, haben Sie da schon beim Militär gedient gehabt?


LAUTERBACHER: Nein.


DR. SAUTER: Sie waren also auch nicht Offizier gewesen?


LAUTERBACHER: Nein.


DR. SAUTER: Sie sagten uns, Sie seien ab 1934, glaube ich, Stabsführer der Reichsjugendführung gewesen. Welche Aufgabe hat denn der Stabsführer der Reichsjugendführung gehabt? Kurz, nur damit man weiß, was Sie für Kompetenzen hatten.


LAUTERBACHER: Wie die Dienstbezeichnung »Stabsführer« schon zum Ausdruck bringt, war ich in erster Linie Führer des Stabes der Reichsjugendführung und hatte die Aufgabe, die allgemeinen Weisungen des Reichsjugendführers, insbesondere der Ämter und der Gebiete der Hitler-Jugend, soweit dies der Reichsjugendführer nicht selbst tat, umzuarbeiten. Ich hatte die Ämter der Reichsjugendführung zu koordinieren und im besonderen organisatorische und personelle Aufgaben.

Außerdem führte ich im Auftrag Schirachs in den Jahren zwischen 1935 bis 1939 eine Anzahl von Auslandsreisen durch.


DR. SAUTER: Bei Verhinderung des Reichsjugendführers, war wer sein Vertreter?


LAUTERBACHER: Im Falle der Verhinderung war ich sein Vertreter.


DR. SAUTER: Sie waren also anscheinend neben Schirach der erste Mann in der Reichsjugendführung?


LAUTERBACHER: Jawohl.


[594] DR. SAUTER: Hat sich Ihr Verkehr mit dem Angeklagten von Schirach nur auf das dienstliche Gebiet beschränkt oder waren Sie darüber hinaus auch befreundet?


LAUTERBACHER: Unser Verkehr beschränkte sich nicht nur auf das Dienstliche, wir waren darüber hinaus auch persönlich befreundet, daher wurden unsere persönlichen Verbindungen auch durch Schirachs Wiener Auftrag nicht unterbrochen.


DR. SAUTER: Glauben Sie, Herr Lauterbacher, mit Rücksicht auf dieses freundschaftliche Verhältnis, daß der Angeklagte von Schirach Ihnen manche Dinge verheimlichte, oder haben Sie die Überzeugung, daß er vor Ihnen in dienstlichen Sachen keine Geheimnisse hatte?


LAUTERBACHER: Ich war immer und bin auch heute noch davon überzeugt, daß mir Schirach alle seine Absichten und erzieherischen Maßnahmen laufend mitteilte.


DR. SAUTER: Also nichts verheimlichte?


LAUTERBACHER: Nichts verheimlichte. Ich bin durch Schirach, wenn er während der ersten Jahre noch Besprechungen mit Adolf Hitler hatte, jeweils anschließend unterrichtet worden.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Im Jahre 1939 ist es dann zum Weltkrieg gekommen. Hat der Angeklagte von Schirach mit Ihnen in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg irgendwelche Besprechungen dahingehend gepflogen, daß die Jugend für den Krieg erzogen werden müsse, daß man also mit anderen Worten bei der Jugenderziehung auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse des kommenden Krieges Rücksicht nehmen müsse? Also, was ist über diese Punkte zwischen Ihnen und Schirach besprochen worden vor dem Kriege?

LAUTERBACHER: Über einen möglichen Krieg ist niemals gesprochen worden. Ich habe gelegentlich in Begleitung Schirachs an Tagungen der Partei teilgenommen, und bei dieser Gelegenheit, wenn Adolf Hitler sprach, immer nur Beteuerungen... gelegentlich dieser Tagungen immer den festen und unumstößlichen Eindruck, daß Adolf Hitler und das nationalsozialistische Reich an Frieden und an einer friedlichen Entwicklung festhalten wollten. Daher ist mir niemals der Gedanke gekommen, die Jugend spezifisch auf den Krieg vorzubereiten.


DR. SAUTER: Haben Sie, Herr Zeuge, in Ihrer Eigenschaft als Stabsführer des Reichsjugendführers auch Einblick m die gesamte Post bekommen, die entweder an Schirach kam oder von Schirach hinausging?


LAUTERBACHER: Ich habe die gesamte Dienstpost auf alle Fälle zur Kenntnis bekommen.


[595] DR. SAUTER: Haben, Sie in dieser Post, die an Schirach kam, irgend etwas wahrgenommen von Direktiven, die die Reichsjugendführung von Hitler oder von der Parteileitung oder vom OKW oder von irgendeiner anderen Stelle, von Staat oder Partei, in Bezug auf Kriegsvorbereitungen bekommen hätte?


LAUTERBACHER: Nein, weder offen noch verschleiert.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wir haben uns schon in den letzten Tagen berichten lassen über die Hauptaufgaben der Jugenderziehung. Ich glaube, Herr Präsident, auf diese Punkte brauche ich wohl im einzelnen nicht mehr einzugehen. Der Zeuge könnte darüber am besten Auskunft geben, aber die Aufgabe der Jugenderziehung darf ich wohl als geklärt betrachten.


VORSITZENDER: Ich glaube es auch, die Tatsachen zu diesem Thema sind genügend behandelt worden.


DR. SAUTER: Danke. Ich kann dann gleich auf ein anderes Kapitel übergehen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sagten, Sie seien nicht gedienter Soldat gewesen. Hat Schirach nicht Wert darauf gelegt, daß unter seinen Mitarbeitern sich soundso viele Offiziere oder wenigstens gediente Soldaten befanden, die bei der Jugenderziehung hätten als Erzieher eingesetzt werden können? Das können Sie noch kurz sagen.

LAUTERBACHER: Nein, zuerst, also in den ersten Jahren der Entwicklung, lehnte von Schirach Offiziere sowohl aus ideologischen wie auch aus erzieherischen Gründen als Jugendführer ab. Das Ziel und die Aufgabe der Hitler-Jugend waren die sozialistische Gemeinschaft und der sozialistische Staat. Denn damit war der Typ des alten, des damaligen Offiziers, der Vertreter einer reaktionären Epoche war, völlig unvereinbar.

DR. SAUTER: Völlig unvereinbar? Wollen Sie sagen mit den...


LAUTERBACHER:... mit den erzieherischen Richtlinien, die Schirach der Hitler-Jugend gestellt hatte.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß Schirach sich stets sehr ablehnend verhielt oder umgekehrt, ist Ihnen bekannt, daß er damit einverstanden war, wenn irgendwelche militärischen Stellen Einfluß auf die Art der Jugendführung nehmen wollten? Auch da können Sie sich vielleicht ganz kurz fassen.


LAUTERBACHER: Es waren schon im Jahre 1933 Versuche, in die Hitler-Jugend Offiziere als Führer zu lancieren, zu verzeichnen. Es waren auch vor meiner Tätigkeit als Stabsführer, soweit ich unterrichtet bin, zwei Offiziere in mehr oder weniger direktem Auftrag Hitlers in der Hitler-Jugend tätig geworden. Sie waren [596] aber am Wesen der Jugend schlechthin gescheitert, und ihr Auftreten war ein, ich kann wohl sagen, hundertprozentiges Versagen.

DR. SAUTER: Wo sind die hingekommen?


LAUTERBACHER: Schirach hat sich dann zu Adolf Hitler begeben und dort die Zurückziehung dieser Herren erreicht, beziehungsweise eine Weisung Adolf Hitlers erreicht, die vorsah, daß Offiziere in der Hitler-Jugend nicht tätig werden sollten.


DR. SAUTER: Sind dann auch keine weiteren solche Versuche mehr gemacht worden, ihm Offiziere von irgendwoher aufzudrängen?


LAUTERBACHER: O doch. Es sind im Jahre 1936 und 1937 und dann wieder 1938 Versuche unternommen worden, über sogenannte Verbindungsoffiziere Einfluß auf die Erziehung der Hitlerjugend zu nehmen. Es sind jedoch auch diese Unternehmungen gescheitert, und es sind bis zuletzt, von den Hitler-Jugend-Führern, die gedient hatten und Offiziere wurden abgesehen, bis zuletzt in der Hitler-Jugend Offiziere, die einer anderen Stelle verantwortlich gewesen wären als Schirach, nicht tätig geworden.


DR. SAUTER: Wenn ich Sie recht verstanden habe, dann wollen Sie sagen, ich bitte das zu beantworten, ob ich Sie recht verstehe, daß Schirach sich gegenüber solchen Versuchen ablehnend verhalten hat. Stimmt das?


LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Warum hat dann die Hitler-Jugend mit Einschluß der Mädchen Uniform getragen?


LAUTERBACHER: Uniform ist vielleicht nicht der unbedingt richtige Ausdruck für die Kleidung, die die Hitler-Jugend trug. Es war doch wohl mehr eine Tracht, wie sie schon vor der Hitler-Jugend und nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten, die Jugendorganisationen trugen. Im übrigen legte von Schirach Wert darauf, daß alle Jungen und Mädel, wie er sich ausdrückte, das Kleid der sozialistischen Gemeinschaft trugen.


DR. SAUTER: Der sozialistischen Gemeinschaft, das heißt also, es sollte die Gemeinschaft aller, die Gemeinschaft aller Jungen und Mädel aus allen Schichten der deutschen Bevölkerung ohne Unterschied...


LAUTERBACHER:... ohne Unterschied der Herkunft, der Konfession, und so weiter.


DR. SAUTER: Ob arm oder reich?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SAUTER: Hat die Hitler-Jugend Waffen besessen, und wurde sie auch mit militärischen Waffen ausgebildet? Sie müssen das ja wissen.


[597] LAUTERBACHER: Nein, sie wurde während Schi rachs und meiner Tätigkeit in militärischen Waffen nicht ausgebildet.


DR. SAUTER: Hatte sie insbesondere Tanks und Panzerwagen und dergleichen, weil im Zusammenhang mit der Frage der Sonderformation auf die Ausbildung der Jungen in der sogenannten Motor-HJ hingewiesen wurde; Tanks, Panzerwagen?


LAUTERBACHER: Nein, die Hitler-Jugend hat meines Wissens niemals, auch nach Schirachs Tätigkeit nicht, eine Ausbildung an Panzerwagen, Tanks und so weiter erfahren, jedenfalls zur...


VORSITZENDER: Dr. Sauter! Die von dem Angeklagten ausgesagten Tatsachen über die Waffen der Hitler-Jugend und ihrer Formationen sind nicht Gegenstand des Kreuzverhörs gewesen. Damit brauchen Sie sich nicht zu befassen. Herr Dodd hat nicht gefragt, ob sie auch Tanks hatten.


DR. SAUTER: Danke sehr, Herr Vorsitzender. Dann kann ich mich da vielleicht etwas kürzer fassen.

Ich komme dann, Herr Lauterbacher, zur Einstellung des Angeklagten Schirach und zu seinem Auftreten hinsichtlich der Judentrage. War die Hitler-Jugend irgendwie bei den Judenpogromen vom November 1938 beteiligt?


LAUTERBACHER: Ich glaube, daß ich Ihre Frage mit einem eindeutigen Nein beantworten kann.


DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Sie haben mir etwas von einer Rede erzählt, die einige Tage nach dem 9. November 1938 der Angeklagte von Schirach wegen dieser Judenpogrome gehalten hat. Sagen Sie, wann und vor wem hat er diese Rede gehalten, und was hat er in dieser Rede ausgeführt?


LAUTERBACHER: Schirach gab mir am 10. November 1938, er war in München und ich selbst in Berlin, telephonisch den Auftrag, die Gebietsführer der Hitler-Jugend anzuweisen, ihre Organisationen unter allen Umständen aus den antijüdischen Demonstrationen herauszuhalten und sie zur Entgegennahme einer speziellen Erklärung zu diesem Punkt, zu einer Tagung der Gebietsführer einzuberufen. Diese Tagung hat dann um den 15. November 1938 herum stattgefunden.


DR. SAUTER: Wo?


LAUTERBACHER: In Berlin.

Schirach forderte zunächst die Gebietsführer auf, zu berichten, und er gab dann seiner Freude Ausdruck, daß er auch über mittlerweile eingegangene Berichte verfügte, daß die Hitler-Jugend an den Ausschreitungen nicht beteiligt gewesen war. Er bezeichnete dann in seiner Rede die Ausschreitungen – ich kann mich an diese Rede, weil sie besonders eindrucksvoll war, noch besonders [598] gut erinnern – als eine Kulturschande und als einen Angriff auf unsere eigene Würde. Er sagte, daß so etwas bei einem unzivilisierten Volk, aber nicht im deutschen Volke hätte vorkommen dürfen. Er erklärte weiter, daß wir uns durch diese Demonstrationen die Welt, darüber hinaus aber auch alle Anständigen in Deutschland selbst zum Gegner gemacht hätten. Er befürchtete ernsthafte innerpolitische Schwierigkeiten und auch Schwierigkeiten in der Partei selbst. Die Partei war sich ja, wie wir wissen, keineswegs einig in der Beurteilung dieser Vorkommnisse. Ein sehr großer Teil der Parteigenossen und der Parteiführung verurteilte die Ausschreitungen.


DR. SAUTER: Jetzt reden Sie weiter von dem, was Herr von Schirach damals gesagt hat, das würde mich sehr interessieren.


LAUTERBACHER: Herr von Schirach gab dann der Jugendführerschaft noch die besondere Anweisung, sich auch in Zukunft unter allen Umständen aus Demonstrationen dieser oder ähnlicher Art herauszuhalten und verurteilte schon aus erzieherischen Gründen jede Gewalt. Er hat dann noch zum Abschluß dieser Tagung den »Stürmer« als Zeitung, die in der Hitler-Jugend etwa bei Heimabenden oder sonstwo Verwendung hätte finden können, verboten.


DR. SAUTER: Hat Schirach bei dieser Gelegenheit, Herr Lauterbacher, auch etwas davon gesprochen, daß so viele Kulturwerte, Kunstschätze, Volksvermögen und dergleichen nutzlos vernichtet worden seien, und hat er in diesem Zusammenhang nicht auch gewisse Beispiele angeführt?


LAUTERBACHER: Ja. Er hat in diesem Zusammenhang als besonders drastisches Beispiel die versuchte oder zum Teil wenigstens durchgeführte Plünderung des jüdischen Kunsthauses Bernheimer in München angeführt.


DR. SAUTER: München?


LAUTERBACHER: Ja, und an Hand dieses Beispiels der Jugendführerschaft aufgezeigt, welche gefährlichen und nicht wiedereinzubringenden Eingriffe in den Schatz unserer Kultur und Kulturgüter durch die Demonstrationen erfolgt waren.


DR. SAUTER: Ist es richtig, daß der Angeklagte von Schirach im Anschluß an diese Berliner Rede, die Sie uns eben erzählt haben, dann von Berlin aus durch Ihre Vermittlung die einzelnen Dienststellen der Hitler-Jugend anrufen und mit bestimmten Weisungen versehen ließ?


LAUTERBACHER: Das ist also schon am 10. November, also am Tag nach der Münchener Tagung erfolgt. Das ist unabhängig von der Tagung der Gebietsführer, die erst am 15. November herum stattfand, geschehen.


[599] DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Ich nehme an, daß Sie im Laufe der Jahre bei manchen Reden, die der Angeklagte von Schirach an seine Unterführer oder an die Hitler-Jugend gehalten hat, dabei waren, und manche dieser Reden selbst angehört haben. Hat bei solchen oder anderen Gelegenheiten der Angeklagte gegen die Juden gehetzt, hat er zu Gewalttätigkeiten gegen die Juden aufgefordert? Wie war das?


LAUTERBACHER: Ja. Ich habe wohl alle wesentlichen Reden, die von Schirach vor dem Führerkorps der Hitler-Jugend gehalten hat, mit angehört, und ich habe gelegentlich dieser Reden niemals Aufforderungen zu Gewalttaten, die schon seinem gesamten Wesen völlig fern lagen, gehört. Jedenfalls kann ich mich nicht entsinnen, daß von Schirach jemals die Jugendführerschaft direkt oder indirekt aufgefordert hätte, sich an Gewalttätigkeiten irgendwelcher Art und gegen irgend jemanden zu beteiligen.


DR. SAUTER: Worüber hat dann eigentlich Schirach meist gesprochen, wenn er eine seiner vielen Reden an die Jugend gehalten hat? Kurz nur das Hauptthema.


LAUTERBACHER: Man muß hier zweifellos unterscheiden zwischen den großen öffentlichen Kundgebungsreden und den Reden vor der Führerschaft der Hitler-Jugend. In den Reden vor der Führerschaft hat er immer über die großen politischen und weltanschaulichen Aufgaben, die sozialpolitischen, kulturpolitischen und berufserzieherischen Aufgaben, die er der Hitler-Jugend gestellt hatte, gesprochen.


DR. SAUTER: Ich komme dann zu einem anderen Kapitel. Herr Lauterbacher. Hat Schirach Sie veranlaßt, aus der Kirche auszutreten?


LAUTERBACHER: Nein.


DR. SAUTER: Sind Sie ausgetreten?


LAUTERBACHER: Ich glaube nicht, daß Herr von Schirach überhaupt wußte, welcher Konfession ich angehörte und ob ich aus der Kirche ausgetreten bin oder nicht. Ich bin im Jahre 1937 oder 1938, ohne daß mich irgend jemand dazu angehalten oder gar gezwungen hätte, aus der Kirche ausgetreten.


DR. SAUTER: Hat Schirach seine anderen Mitarbeiter angehalten, aus der Kirche auszutreten, soweit Sie darüber informiert sind?


LAUTERBACHER: Nein.

DR. SAUTER: Hat Schirach bei den zahlreichen Reden, von denen Sie uns vorhin sagten, daß Sie sie mit angehört haben, gegen das Christentum geschimpft oder gehetzt?


LAUTERBACHER: Schirach predigte der Jugend immer Achtung vor der religiösen Überzeugung und hat bei dieser Gelegenheit nicht [600] einmal sondern häufig jede Gottlosigkeit als Übel bezeichnet. Schirach hat sich in seinen Reden sehr wohl mit den vor 1933 und auch noch anschließend existierenden konfessionellen Sportvereinen, um ein Beispiel zu erwähnen, auseinandergesetzt und die Einheit der Jugend gefordert; aber dabei weder öffentlich noch intern das Christentum als solches und die religiöse Überzeugung anderer angegriffen.


DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Während der Zeit, als der Angeklagte von Schirach Reichsjugendführer war, schwebten die Verhandlungen zwecks Abschluß eines Konkordats mit der Katholischen Kirche, durch das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche vertraglich geregelt werden sollten. Wissen Sie etwas davon, daß Schirach sich wegen dieser Konkordatsverhandlungen einschaltete und ob er sich große Mühe gegeben hat, eine Verständigung mit der Kirche auf einer Grundlage herbeizuführen, die beide Teile befriedigen sollte?

LAUTERBACHER: Ja. Es haben in den Jahren 1933 und auch 1934 sehr viele Besprechungen Schirachs mit den kirchlichen Vertretern, mit dem damaligen Reichsbischof der evangelischen Kirche Müller und dem Vertreter der Fuldaer Bischofskonferenz, Bischof Berning, Osnabrück, stattgefunden. Ich kann mich entsinnen, daß Schirach eine Abgrenzung der Rechte und Zuständigkeiten anstrebte, etwa auf der Basis: Gott sei, was Gottes ist, und dem Staat, was des Staates ist.


DR. SAUTER: Eine andere Frage: Herr Zeuge, wissen Sie, ob Schirach sich tatsächlich bemüht hat, eine Verständigung der von ihm geführten Hitler-Jugend mit der Jugend anderer Völker zu erreichen, und können Sie uns beispielsweise anführen, was er alles in dieser Richtung getan und unternommen hat?


LAUTERBACHER: Die freundschaftliche Verständigung der deutschen Jugend mit der Jugend der Welt gehörte zweifellos zu den Aufgaben, die Schirach seiner Jugendführerschaft immer wieder besonders ans Herz legte, und ich hatte immer den Eindruck, daß diese Aufgabe, ich möchte fast sagen, seine persönliche Passion gewesen ist. Ich bin selbst in seinem Auftrag – und insofern bin ich vielleicht ein Kronzeuge gerade dafür – von 1935 an jährlich mindestens einmal, ja sogar zwei- oder dreimal, in die verschiedensten europäischen Länder gefahren, um dort mit den bestehenden Jugendorganisationen, aber auch mit den Frontkämpferorganisationen des ersten Weltkrieges, Berührung zu suchen.


DR. SAUTER: Welche Staaten?


LAUTERBACHER: Die Hitler-Jugend hat, man kann wohl sagen, mit allen europäischen Staaten diese Beziehungen gesucht, und ich selbst bin in unmittelbarem Auftrag Schirachs mehrere Male [601] in England gewesen und habe dort mit dem Führer der englischen Boy Scouts und seinem Mitarbeiter, aber auch mit anderen...


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß diese Tatsachen hier bestritten werden. Es handelt sich lediglich um die Folgerung aus den Tatsachen, auf die sich die Anklagebehörde stützen will. Es besteht deshalb keine Notwendigkeit für Sie, nochmals auf die Tatsache einzugehen, hinsichtlich der Beziehungen der Hitler-Jugend zu der Jugend im Ausland.


DR. SAUTER: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Herr Zeuge! Sie hören, diese Tatsachen sind an sich unbestritten. Wir können infolgedessen zu etwas anderem übergehen. Sie waren Stabsführer der Hitler-Jugend in der Hitler-Jugend-Führung. Ist Ihnen etwas davon bekannt, ob die Hitler-Jugend-Führung im Ausland Spione oder Agenten und dergleichen unterhalten hatte oder ob sie Leute für die sogenannte Fünfte Kolonne – Sie wissen, was das ist – in anderen Ländern ausbildete, ob sie junge Leute herübergeholt hat, damit sie als Fallschirmspringer bei uns ausgebildet werden und dann zurückgeschickt werden in ihre Heimat. Ist Ihnen so etwas während Ihrer ganzen Tätigkeit als Stabsführer jemals bekanntgeworden?


LAUTERBACHER: Die Hitler-Jugend hatte weder Spione noch Agenten, noch Fallschirmspringer zum Einsatz in irgendeinem Land Europas ausgebildet. Mir hätte eine solche Tatsache oder eine solche Anordnung unter allen Umständen bekannt werden müssen.


DR. SAUTER: Wenn Schirach hinter Ihrem Rücken eine solche Anordnung getroffen hätte, glauben Sie denn, daß Sie dann auf dem Weg der Meldungen über die Gebietsführer und dergleichen unter allen Umständen davon wieder hätten Kenntnis bekommen müssen?


LAUTERBACHER: Das hätte ich gelegentlich meiner vielen Dienstreisen unter allen Umständen in den Gebieten erfahren oder feststellen müssen.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich möchte dann zu einem anderen Kapitel übergehen: Sie haben mir neulich von einem Gespräch erzählt; Sie haben erzählt, daß Sie nach dem Polenfeldzug, also vermutlich Ende September oder Anfang Oktober 1939, und vor dem eigentlichen Frankreichkrieg mit dem Angeklagten von Schirach in Ihrer Wohnung in Berlin-Dahlem eine Zusammenkunft hatten, wobei sich der Angeklagte von Schirach über seine Einstellung zum Krieg aussprach. Wollen Sie das in Kürze dem Gericht erzählen?


LAUTEBBACHER: Jawohl, Herr von Schirach besuchte mich Ende September oder Anfang Oktober 1939 in meiner damaligen Berliner Wohnung. Wir kamen sehr schnell auf den Krieg zu sprechen, und Schirach sagte dann etwa, daß nach seiner Meinung dieser Krieg hätte verhindert werden müssen. Er machte den [602] damaligen Außenminister verantwortlich, Adolf Hitler ungenügend und falsch unterrichtet zu haben. Er bedauerte, daß Adolf Hitler und die maßgebenden Männer des Staates und der Partei Europa und die Welt überhaupt nicht kannten, und daß sie so ohne Kenntnis der Folgen in diesen Krieg hineingesteuert waren. Er meinte damals, daß wir diesen Krieg, wenn er nicht innerhalb kürzester Zeit beendigt werden könnte, verlieren müßten. Er wies in diesem Zusammenhang auf das außerordentliche Kräftepotential Englands und Amerikas hin und sagte – ich kann mich an dieses Wort noch besonders erinnern – daß dieser Krieg ein unseliger Krieg sei, und daß man, wenn das deutsche Volk nicht mit diesem Krieg und durch diesen Krieg ins Unglück gestürzt werden soll, den Führer unterrichten müßte, welche Gefahr für Deutschland entsteht, wenn Amerika, sei es durch wirtschaftliche Lieferungen oder durch den Krieg selbst, eingreift. Wir überlegten damals, wer Adolf Hitler informieren könnte, ja, wer überhaupt Zutritt bekommen kann.

Schirach schlug damals vor, auf irgendeine Weise zu versuchen, Herrn Colin Roß zu Adolf Hitler zu bringen. Colin Roß sollte Adolf Hitler auf die drohende Katastrophe aufmerksam machen und außerhalb der Zuständigkeit und auch außerhalb der Anwesenheit des Außenministers Adolf Hitler informieren. Colin Roß befand sich damals noch nicht in Deutschland. Ich kann mich entsinnen, daß er dann, als er zurückgekehrt war, tatsächlich über Schirach zu Hitler gebracht worden war.


DR. SAUTER: Wollen Sie zuerst vielleicht, Herr Zeuge, noch bei der Unterredung etwas bleiben, 1939, wie Sie uns berichtet haben; und wollen Sie mir die Frage beantworten: Wie kam er denn gerade auf Dr. Colin Roß? Warum ist man gerade auf den Gedanken gekommen?


LAUTERBACHER: Ich erwähnte schon, daß die Führer des nationalsozialistischen Staates und der Partei das Ausland und die Welt so gut wie überhaupt nicht kannten und infolgedessen verfiel man auf diesen Mann, der ja sehr häufig in der Welt gewesen war. Colin Roß hatte in all den Jahren von 1939 gelegentlich dieser oder jener Tagung der Führerschaft der Hitler-Jugend zu ihr gesprochen..


DR. SAUTER: Worüber?


LAUTERBACHER:... und er war somit Schirach und der Jugend bekanntgeworden.


DR. SAUTER: Worüber hat er zur Hitler-Jugend gesprochen?


LAUTERBACHER: Colin Roß sprach über seine Erlebnisse in allen Kontinenten.


DR. SAUTER: Wie war Colin Roß der Hitler-Jugend bekanntgeworden? Ist bei dieser Gelegenheit auch davon gesprochen worden, [603] ob nicht an eine Lösung des Judenproblems herangegangen werden solle, damit man leichter mit dem Ausland zu einer Verständigung komme? Und eventuell auf welcher Basis?


LAUTERBACHER: Jawohl, Schirach wies in dieser Unterhaltung auf die Ausschreitungen vom 9. November 1938 und auf seine anschließende Rede hin und meinte, daß es natürlich unter diesen Umständen außerordentlich schwierig werden würde, mit Amerika überhaupt ins Gespräch zu kommen und daß man unter Umständen vorher versuchen müßte – und das wollte er gelegentlich einer Rücksprache Hitler vorschlagen...


VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof hält die Privatgespräche Schirachs nicht für wichtig genug, als daß Sie den Zeugen darüber befragen sollten. Wenn er etwas darüber aussagen kann, was Schirach getan hat, so mag das etwas anderes sein. Aber augenblicklich gibt der Zeuge ja nur seine Gespräche mit Schirach wieder, nichts als Privatgespräche.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Was hat dann auf Grund dieser Besprechungen zwischen Ihnen und dem Angeklagten von Schirach dieser letztere tatsächlich im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens oder im Interesse einer Abkürzung des Krieges unternommen? Hat er was unternommen und was?


LAUTERBACHER: Jawohl, Schirach hat, wie er mir gelegentlich einer späteren Besprechung erzählte, jede Gelegenheit zu Beginn des Krieges benutzt, Adolf Hitler von der Notwendigkeit, mit Amerika in ein Gespräch zu kommen, zu überzeugen, und er hat ja tatsächlich Herrn Colin Roß, wie er mir selbst erzählte, im Verfolg dieser Absichten zu Hitler gebracht. Und Colin Roß ist ja mehrere Stunden bei Hitler gewesen. Colin Roß hat mir anläßlich eines Besuches, den er bei mir in Hannover durchführte, von dieser Besprechung erzählt und bei dieser Gelegenheit gesagt, daß Hitler sehr nachdenklich geworden wäre. Er sagte allerdings gleichzeitig, daß die geplante zweite Unterhaltung mit Hitler nicht mehr zustande gekommen sei, weil nach seiner Darstellung das Auswärtige Amt gegen diese Art von Information Protest erhoben hatte.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt die Sitzung unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof meint, daß dieser Zeuge sich sehr stark mit Fragen beschäftigt, die von sehr geringer Bedeutung sind. Der Gerichtshof wünscht, daß Sie ihn auf ein Thema von wirklicher Bedeutung hinlenken.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich habe ohnehin nur noch eine Frage.

[604] Herr Zeuge! Eine letzte Frage. Sie haben sich seit 1940 von Schirach getrennt. Sie wurden, glaube ich, Gauleiter.


LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SAUTER: Schirach ging nach Wien. Sie haben aber dann im Jahre 1943 noch einmal eine lange Unterredung gehabt, hauptsächlich über die Frage, warum Schirach von seinem Posten nicht zurücktrat. Ich greife diese Frage deshalb auf, weil einer der Herren Anklagevertreter heute schon auf diese Frage eingegangen ist. Wollen Sie uns kurz sagen, was Schirach damals gesagt hat, warum er auf seinem Posten bleibt, oder warum er nicht zurücktritt, und wie er den Krieg 1943 beurteilt, damals meine ich?


LAUTERBACHER: Ja. Es hat im März 1943 gelegentlich eines Besuches, den ich privat in Wien durchführte, eine sehr lange Unterhaltung zwischen von Schirach und mir stattgefunden. Von Schirach äußerte sich damals über die Kriegsaussichten außerordentlich pessimistisch und erklärte mir, daß wir in Kürze vor Wien, in den Alpen und am Rhein werden kämpfen müssen. Er sagte bei dieser Gelegenheit, daß es ihm schon seit langer, langer Zeit nicht mehr möglich wäre, mit Adolf Hitler zusammenzukommen, daß er keine Gelegenheit mehr hätte, ihn, wie das früher einmal der Fall gewesen war, zu unterrichten, daß der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, ihn von jedem Zutritt und jeder Unterhaltung unter vier Augen mit Adolf Hitler konsequent abschlösse, und daß er so überhaupt nicht mehr Gelegenheit hätte, über Wiener Fragen und über allgemeine Fragen mit Hitler zu sprechen. Er sagte in diesem Zusammenhang auch, daß er von Bormann jeden Tag mit Einsprüchen und mit Beschwerden, mit der Aufhebung von ihm gegebener Weisungen und Befehle in seiner Eigenschaft als Gauleiter in Wien traktiert werde und daß es im Grunde genommen nicht mehr möglich sei, im Amt zu bleiben und die Verantwortung zu tragen.

Er sagte dann im weiteren Verlauf unserer Unterhaltung – wir haben dabei die verschiedensten Möglichkeiten abgewogen –, daß er aber, da er Hitler einmal die Treue geschworen hätte, unter allen Umständen glaube, im Amt bleiben zu müssen und daß er vor allen Dingen glaube, es nicht verantworten zu können, in dieser Situation des Krieges die Bevölkerung, der er als Gauleiter vorgesetzt war, im Stiche zu lassen.

Er sah die Katastrophe kommen, sagte aber, daß ja auch ein Rücktritt oder irgendein Unternehmen irgendeiner Art keinen Einfluß hätte auf die Staatsführung und auf Hitler selbst, und daß er so also, seinem Eid getreu wie ein Soldat, im Amte bleiben wolle.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Damit bin ich bereits am Ende mit der Vernehmung dieses Zeugen.


[605] VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zustellen?


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie waren Gauleiter in Hannover von 1940 an?


LAUTERBACHER: Jawohl, von 1940 an.


DR. SERVATIUS: Sie waren in dieser Eigenschaft auch Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz?


LAUTERBACHER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Waren in Ihrem Gau viele Fremdarbeiter?


LAUTERBACHER: Ja. In meinem Gau waren sehr viele Fremdarbeiter, hervorgerufen im wesentlichen durch die Reichswerke »Hermann Göring«, die in der Nähe von Braunschweig entstanden waren.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie sich um die Betreuung zu kümmern?


LAUTERBACHER: Jawohl. Meine Aufgaben als Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz beschränkten sich ja auf die Betreuung der ausländischen Zivilarbeiter.


DR. SERVATIUS: Bekamen Sie Anordnungen Sauckels hierüber?


LAUTERBACHER: Ja! Ich habe, wie alle anderen Gauleiter der NSDAP, auch laufend Anordnungen Sauckels zum Arbeitseinsatz, das heißt zur Betreuung dieser Zivilarbeiter erhalten.

DR. SERVATIUS: Wie war die Art der Anordnungen?


LAUTERBACHER: Die Anordnungen, die ich als Gauleiter erhielt, beschäftigten sich nahezu ausschließlich mit dem immer wiederkehrenden Aufruf, alles zu tun, die zivilen ausländischen Arbeitskräfte sowohl hinsichtlich ihrer Unterbringung, ihrer Verpflegung, ihrer Kleidung wie auch ihrer kulturellen Betreuung zufriedenzustellen.


DR. SERVATIUS: Wurde das praktisch auch durchgeführt?


LAUTERBACHER: Das wurde natürlich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten durchgeführt.


DR. SERVATIUS: Haben Sie Lager oder Werke inspiziert, wo diese Arbeiter beschäftigt waren?


LAUTERBACHER: Jawohl. Ich habe selbst gelegentlich meiner Dienstreisen solche Lager, vor allen Dingen aber die Industriewerke selbst inspiziert. Ich hatte im übrigen aber in der Person meines Gauobmannes der Deutschen Arbeitsfront einen Mann, der mich bei dieser Gelegenheit in dieser Arbeit unterstützte.


DR. SERVATIUS: Haben Sie selbst oder Ihr Obmann katastrophale Zustände festgestellt?


[606] LAUTERBACHER: Ja. Ich habe nach Luftangriffen, die ja seit 1943 gerade die Stadt Hannover und Braunschweig ganz besonders getroffen haben, in den Lagern ausländischer Zivilarbeiter, wie im übrigen aber auch in den Wohngebieten, der deutschen Menschen, gelegentlich, ich möchte nicht sagen, katastrophale, aber doch ernste Zustände angetroffen, und ich habe mich dann in der Folge im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten bemüht, beispielsweise zerstörte Unterkünfte reparieren zu lassen oder neue errichten zu lassen.


DR. SERVATIUS: Haben Sie Mißstände gesehen, die durch Verschulden seitens der Betriebe oder der Aufsichtsstellen hervorgerufen waren?


LAUTERBACHER: Ja, mir sind zwei Fälle in Erinnerung.

In Hannover hatten sich einige Betriebe zu einer Art Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, zu einer Art Genossenschaft, und ein Lager für ihre ausländischen Zivilarbeiter errichtet. Die Verantwortung für dieses Lager lag bei den Beauftragten dieser Betriebe. Der Gauobmann der DAF hat mir dann eines Tages gemeldet, daß die Unterkunftsbedingungen nicht den Anordnungen entsprächen und hat meine Genehmigung erbeten, eingreifen zu dürfen, das heißt, von der Deutschen Arbeitsfront aus die Verantwortung für dieses Gemeinschaftslager übernehmen zu dürfen. Diesen Auftrag habe ich ihm dann gegeben, und er hat mir einige Zeit später gemeldet, daß die Schwierigkeiten behoben seien.

Ein zweites Beispiel dieser Art sind die Reichswerke Hermann Göring. Ich muß hier, da ich unter Eid aussage, erwähnen, daß dieser Betrieb die Anordnungen Sauckels in mancher Beziehung außer acht gelassen hat. Einmal hat er außerhalb der Zuständigkeit der Arbeitsverwaltung selbständig über seine Filialbetriebe in der Ukraine, aber auch in anderen Ländern, Arbeitskräfte angeworben. Diese Arbeitskräfte sind außerhalb der Kontingente des Generalbevollmächtigten und damit auch außerhalb seiner Verantwortung nach Watenstedt in den Bereich der Reichswerke gekommen.

Ich selbst konnte mir erst über sehr große Schwierigkeiten Eingang in die Werke und in die Lager verschaffen. Es ist nämlich durchaus nicht so gewesen, daß ich als Gauleiter und Bevollmächtigter ohne weiteres...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Was hat das mit dem Angeklagten Sauckel zu tun?


DR. SERVATIUS: Ich habe ihn gefragt über Mißstände, die er festgestellt hat, denn er war ja der Bevollmächtigte für den Einsatz ausländischer Arbeiter und hatte zu kontrollieren, wo solche Mißstände vor liegen. Diese mußte er melden, daß sie zum Schluß an Sauckel gingen. Er ist etwas weit gegangen bei seiner Erzählung und schilderte nun die Hermann-Göring-Werke.


[607] VORSITZENDER: Dann sollten Sie ihn unterbrechen, Dr. Servatius, Sie kennen doch die Fragen, die Sie gestellt haben.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie dort Mißstände festgestellt in diesem Lager?


LAUTERBACHER: Ich konnte das Lager nicht betreten, da das Betreten nicht erlaubt war.


DR. SERVATIUS: Hat Sauckel selbst in Ihrem Gau gesprochen zu den Arbeitern?


LAUTERBACHER: Nein, während meiner Tätigkeit nicht. Er hat aber wiederholt seine Beauftragten entsandt.


DR. SERVATIUS: Ich habe noch einige Fragen für die Politischen Leiter, die ich vertrete. Haben Sie, wie Sie zum Gauleiter ernannt wurden, besondere Instruktionen vom Führer bekommen?


LAUTERBACHER: Nein, ich bin anläßlich meiner Ernennung zum Gauleiter lediglich in einer Gauleitertagung durch Herrn Heß als Gauleiter eingeführt worden, habe aber gelegentlich dieser Tagung keinerlei spezielle Weisungen erhalten und habe auch während meiner...


VORSITZENDER: Zeuge! Die Antwort war »Nein«, und Sie brauchten daher nichts weiter hinzuzufügen.


DR. SERVATIUS: Haben Sie später mit dem Führer gesprochen? Haben Sie spezielle oder geheime Anweisungen bekommen?


LAUTERBACHER: Ich war nur gelegentlich bei Gauleitertagungen beim Führer und hatte niemals dienstliche Besprechungen mit Adolf Hitler.


DR. SERVATIUS: Kennen Sie die Tätigkeit der Blockleiter? Insbesondere habe ich die Frage an Sie: Sind die Blockleiter zu Spitzeldiensten eingesetzt worden?


LAUTERBACHER: Nein.


DR. SERVATIUS: Es ist aber die Ansicht sehr weit verbreitet, daß tatsächlich der Blockleiter gespitzelt hat, und dies ist auch von der Anklage vorgebracht worden. Hat der SD vielleicht die Blockleiter dazu benutzt?


LAUTERBACHER: Der SD hatte seine eigenen Organe, seine eigenen Treuhänder, die der Partei nicht bekannt waren, Die Blockleiter hatten jedenfalls keinerlei Aufträge, für den SD tätig zu sein.

DR. SERVATIUS: Wurde nicht eine Kartei der Parteigegner geführt?


LAUTERBACHER: In den Parteiorganisationen nicht; diese Kartei wurde meines Wissens, wie anläßlich des Anschlags vom [608] 20. Juli 1944 bekanntgegeben wurde, durch die Geheime Polizei geführt.


DR. SERVATIUS: Beschäftigte die Partei Vertrauensleute zur Bespitzelung, die zwar keine Blockleiter waren, aber für Sie als Gauleiter arbeiteten?


LAUTERBACHER: Nein.


DR. SERVATIUS: Ich habe keine weiteren Fragen.


MR. DODD: Wann sind Sie der SS beigetreten, Herr Zeuge?


LAUTERBACHER: Ich wurde anläßlich meiner Ernennung zum stellvertretenden Gauleiter am 2. August 1940 SS-Brigadeführer.


MR. DODD: Ich habe Ihre Antwort, wann Sie der SS beigetreten sind, nicht gehört; bitte, wiederholen Sie.


LAUTERBACHER: Am 2. August 1940.


MR. DODD: Vor diesem Datum gehörten Sie dieser Organisation überhaupt nicht an?


LAUTERBACHER: Ich gehörte vor diesem Datum nicht der SS an, ich hatte allerdings in der Waffen-SS vom 26. Mai 1940 bis September 1940 als Soldat gedient.


MR. DODD: Und später wurden Sie dann SS-Obergruppenführer, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Am 20. April 1944.


MR. DODD: Und wann sind Sie dem Stab Himmlers beigetreten?


LAUTERBACHER: Dem Stab Himmlers habe ich nie angehört.


MR. DODD: Sind Sie nicht im Januar 1944 beigetreten, oder wie würden Sie sonst die Organisation bei dem Reichsführer-SS, der Sie beigetreten sind, nennen? Vielleicht war »Stab« nicht die richtige Bezeichnung. Es gibt auch andere Bezeichnungen dafür. Waren Sie nicht auf irgendeine Art mit Himmler verbunden?


LAUTERBACHER: Nein, ich hatte niemals Aufträge der SS.


MR. DODD: Hatten Sie seit Januar 1944 irgendeine Verbindung mit dem Reichsführer-SS?


LAUTERBACHER: Der Reichsführer-SS war im Oktober 1944 mit seinem Sonderzug bei Bad Pyrmont anläßlich einer Tagung der westdeutschen Gauleiter und Höheren SS- und Polizeiführer. Bei dieser Gelegenheit war ich befohlen und hatte mit ihm im Zuge der offiziellen Tagung eine Besprechung.


MR. DODD: Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich will aber weitergehen. Wurden Sie im Jahre 1944 sowohl SA-Obergruppenführer als auch SS-Obergruppenführer?


LAUTERBACHER: SA-Obergruppenführer wurde ich, ich glaube, 1944 oder 1943.


[609] MR. DODD: Sie waren auch Mitglied des Reichstages im Jahre 1936, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Jawohl.


MR. DODD: Und wie Sie, glaube ich, gesagt haben, Mitglied der Partei seit 1927, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Seit 1927.


MR. DODD: Und Mitglied der Hitler-Jugend oder der NSDAP seit 1923?


LAUTERBACHER: Mitglied der Hitler-Jugend im Jahre 1927. Die Hitler-Jugend wurde erst im Jahre 1927 gegründet.


MR. DODD: Gut, es kommt nicht darauf an, wann es war, ich meine die Jugendorganisation der Partei.

Wie viele Leute haben Sie öffentlich gehängt, als Sie Gauleiter von Hannover waren?


LAUTERBACHER: Ich habe die Frage nicht verstanden.


MR. DODD: Ich habe gefragt, wie viele Leute Sie öffentlich hängen ließen, als Sie Gauleiter in Hannover waren?


LAUTERBACHER: Ich habe niemanden und keinen Menschen öffentlich aufgehängt.


MR. DODD: Sind Sie ganz sicher?


LAUTERBACHER: Jawohl.


MR. DODD: Wieviel Leute haben Sie in die Konzentrationslager gebracht?


LAUTERBACHER: Ich habe vielleicht fünf oder zehn Personen wegen Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsbestimmungen den ordentlichen Gerichten überstellt und habe in einem mir besonders erinnerlichen Falle für zwei Personen, die sich weigerten, Waren...


MR. DODD: Einzelheiten interessieren mich nicht, sagen Sie mir nur, wie viele Sie dorthin hingeschickt haben?


LAUTERBACHER: Das sind zwei Personen gewesen. Ob diese in das Konzentrationslager kamen, weiß ich nicht, da ich sie selbst nicht einweisen konnte. Die Einweisung geschah ja über Berlin.


MR. DODD: Kennen Sie einen Mann namens Huck? H-u-c-k, Heinrich Huck?


LAUTERBACHER: Huck, nein, ist mir im Augenblick nicht erinnerlich.


MR. DODD: Den Polizeikommissar, der Ihrem Gau unterstand oder in Ihrem Gau war?


LAUTERBACHER: Nein, ist mir nicht bekannt.


[610] MR. DODD: Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht einmal, als Sie dort Gauleiter waren, einen ausländischen Arbeiter aus dem Osten haben hängen lassen, und zwar öffentlich auf dem Marktplatz, damit er dort den ganzen Tag überhängen sollte?


LAUTERBACHER: Nein, wo soll das gewesen sein?


MR. DODD: Es soll sich in Hildesheim ereignet haben.


LAUTERBACHER: Nein.


MR. DODD: Und zwar ungefähr im März 1945, kurz vor Kriegsende?


LAUTERBACHER: Nein, das ist mir unbekannt, ich habe niemals solche Weisungen gegeben.


MR. DODD: Haben Sie angeordnet, daß 400 oder 500 Gefangene kurz vor der Einnahme der Stadt durch die Alliierten vergiftet oder erschossen werden sollten?


LAUTERBACHER: Nein, dieser Fall ist mir in London vorgelegt worden, und ich glaube, ihn aufgeklärt zu haben.


MR. DODD: Sie wissen also, worüber ich spreche?


LAUTERBACHER: Ja, über das Zuchthaus in Hameln.


MR. DODD: Sie wissen, daß Ihr Kreisleiter erklärt, Sie hätten befohlen, sie entweder mit Blausäure oder Strychnin zu vergiften oder sie erschießen zu lassen. Sie wissen auch davon, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Das ist mir in London mitgeteilt worden.


MR. DODD: Und nicht nur Ihr Kreisleiter hat so ausgesagt, sondern auch Richard Rother, ein Gefängnisinspektor in Hameln. Er bestätigt, daß der Befehl weitergegeben wurde, daß sie vergiftet oder erschossen werden sollten. Wissen Sie auch das?


LAUTERBACHER: Ich habe diesen Befehl niemals erteilt.


MR. DODD: Ich frage Sie, ob Sie wissen, daß diese Leute, die mit Ihnen in Verbindung standen, geschworen haben, daß Sie das getan haben? Sie haben doch diese Affidavits gesehen, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Das ist mir in London mitgeteilt worden. Es ist mir aber auch mitgeteilt worden, daß diese Zuchthausinsassen nicht vergiftet, sondern zurückgeschickt Worden sind.


MR. DODD: Ja, sie wurden zwar zurückgeschickt, aber nicht, weil Sie es angeordnet hatten, sondern weil Ihre Leute sich weigerten, Ihre Befehle auszuführen; stimmt das nicht?


LAUTERBACHER: Das entzieht sich meiner Kenntnis, weil ich nicht mehr in Hameln beziehungsweise nicht mehr Gauleiter war.


MR. DODD: Sie haben doch diese Affidavits gesehen, ich glaube nicht, daß es notwendig ist, sie Ihnen zu überreichen. Ich möchte Sie aber zum Beweis vorlegen.


[611] LAUTERBACHER: Ich habe in London die Aussage des kommissarischen Kreisleiters Dr. Krämer erhalten und auf diese Aussage geantwortet.


MR. DODD: Gut, dann wissen Sie also, was er sagt?

Herr Präsident! Ich biete das Dokument D-861 als Beweisstück US-874 an. Es ist ein Dokument, das aus sieben eidesstattlichen Erklärungen besteht von Personen, die mit diesem Zeugen in seiner Eigenschaft als Gauleiter in Verbindung standen und mit seinem Verhalten während seiner Tätigkeit als Gauleiter zu tun hatten.


VORSITZENDER: In welcher Hinsicht meinen Sie, daß dieses Beweismaterial erheblich ist?


MR. DODD: Ich lege es als Beweismaterial mit Bezug auf die Glaubwürdigkeit oder besser gesagt, auf die mangelnde Glaubwürdigkeit dieses Mannes vor. Ich glaube nicht, daß es mit diesem Fall direkt etwas zu tun hat, außer daß es zeigt, was für eine Art von Mensch er ist, wie wir behaupten und daß der Gerichtshof diese Information vor Augen haben sollte, wenn er die Zeugenaussage wertet.

Ich wurde gerade von meinem Freund, Herrn Elwyn Jones, darauf hingewiesen, daß dieses Beweismaterial natürlich auch einen Einfluß auf die Beurteilung des Führerkorps der Nazi-Partei haben wird, dessen Mitglied er ja war. Das war mir nicht gegenwärtig. Ich möchte aber diesen Umstand auch als einen der Gründe für die Vorlage dieses Dokuments angeben.


VORSITZENDER: Wo sind die Personen, die diese eidesstattlichen Erklärungen abgegeben haben?


MR. DODD: Danach muß ich mich noch erkundigen. Herr Präsident, ich weiß es nicht. Sie sind in Haft, zum mindesten einige von ihnen, in der Britischen Zone in Deutschland.


VORSITZENDER: Bitte, Dr. Sauter.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Sie haben gerade gefragt, wo diese Leute sind, von denen die eidesstattlichen Versicherungen abgegeben wurden. Ich kann Ihnen vielleicht bei der Aufklärung dieser Frage etwas behilflich sein. Dieser Herr Josef Krämer, den die Anklage gerade als Kronzeugen gegen den Zeugen Lauterbacher anführt, ist vor ungefähr acht oder zehn Tagen von einem englischen Gericht zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, und zwar in derselben Angelegenheit, wie der Herr Anklagevertreter eben erwähnt. Von dieser Sache weiß zwar der Herr Lauterbacher nichts, aber ich habe zufällig in einer deutschen Zeitung den Bericht über diese Verhandlung gelesen, und ich habe diesen Bericht hier. In dem Bericht, datiert vom 2. Mai dieses Jahres, ist erwähnt, daß der ehemalige Kreisleiter von Hameln, Dr. Josef Krämer, vom [612] Gericht der 5. Britischen Division zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Es heißt hier wörtlich: Krämer hatte beim Anrücken der alliierten Truppen den Befehl zur Liquidierung der Insassen des Zuchthauses Hameln gegeben. Es darf kein gefährlicher Gefangener und kein Ausländer in die Hand des Feindes fallen, war sein Befehl, sie müssen alle durch Blausäure vergiftet werden oder, wenn das nicht geht, erschossen werden. So lautete der Befehl des Kreisleiters Josef Krämer, der jetzt als Zeuge gegen diesen meinen Zeugen angeführt wird. Dieser Bericht sagt weiter, daß Beamte dieses Zuchthauses, die als Zeugen vernommen wurden, erklärten, daß sie, trotz dieses Befehls des Dr. Krämer, die Beseitigung der Gefangenen abgelehnt hätten. Das Weitere interessiert nicht, aber ich dachte mir, es ist vielleicht für das Gericht für die Behandlung der Frage von Bedeutung, wenn Sie hier urkundlich lesen können, wie in Wirklichkeit dieser frühere Kreisleiter sich benommen hat. Den Zeitungsausschnitt, wenn er Sie interessieren sollte, Herr Präsident – aber er ist deutsch –, kann ich Ihnen übergeben.


MR. DODD: Ich möchte bemerken, Herr Präsident, daß hiermit das Dokument vollkommen bestätigt wird; das heißt: Krämer sagt aus, was er getan hat, nämlich, daß er die Befehle weitergegeben habe, aber auch, daß er sie von diesem Manne bekommen habe. Es unterstützt also zum mindesten unsere Behauptung und kann uns, was den Wert dieses Dokuments anbelangt, keineswegs schaden. Nach Durchsicht der Affidavits scheint es mir das beste, wenn ich nur das erste und das letzte Dokument vorlege. Dann sind noch einige andere in dieser Gruppe, die meiner Ansicht nach dem Gerichtshof wenig nützen würden. Daher werde ich alle Dokumente bis auf das erste und das letzte zurückziehen und nur das Affidavit von Krämer und das von Huck vorlegen.


VORSITZENDER: Herr Dodd! Der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß diese Dokumente zugelassen werden sollten. Vor allem, soweit die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen in Betracht kommt, glauben wir nicht, daß seine Antworten auf Fragen über Glaubwürdigkeit durch andere Beweismittel in Frage gestellt werden sollten. Was nun das Führerkorps anlangt, so glauben wir, daß diese Dokumente nur Beweismittel für ein individuelles Verbrechen darstellen.


MR. DODD: Sehr gut, Herr Präsident.

Zeuge! Wie ich Sie verstand, sagten Sie, daß Sie den Angeklagten von Schirach niemals etwas Abfälliges über das jüdische Volk haben sagen hören, und daß Sie im Gegenteil gehört haben, wie er sich ganz offen nach den Vorfällen des 9. November 1938 geäußert habe. Habe ich Sie richtig verstanden?


[613] LAUTERBACHER: Ja. Er hat sich in der Tagung der Gebietsführer unmißverständlich gegen die Ausschreitungen ausgesprochen. Er hatte dabei keinen Zweifel, daß...

MR. DODD: Sie brauchen nicht das Ganze zu wiederholen. Ich wollte nur wissen, ob ich Sie richtig verstanden habe.

Ich nehme an, daß Sie als Stellvertreter des Reichsjugendführers das Hitler-Jugend-Jahrbuch für das Jahr 1938 gelesen haben?


LAUTERBACHER: Ich kann mich an dieses Buch im Augenblick nicht erinnern; wenn ich es vielleicht mal ansehen darf?


MR. DODD: Natürlich erwarte ich das auch nicht, aber ich wollte nur feststellen, ob Sie es tatsächlich gelesen haben. Ich nehme an, daß Sie Ihr Jahrbuch immer gelesen haben?


LAUTERBACHER: Nein.


MR. DODD: Wie, Sie haben es nicht gelesen?


LAUTERBACHER: Ich kann mich nicht entsinnen, nein.


MR. DODD: Gut. Wäre es nicht für Sie üblich gewesen, dieses Jahrbuch zu lesen? Wollen wir die Frage so stellen.


LAUTERBACHER: Das Jahrbuch wurde zusammengestellt von dem Presseamt, und auf die Einzelheiten der journalistischen Gestaltung unserer Zeitungen, Zeitschriften, Jahrbücher, hatte ich keinen Einfluß, und ich habe dieses Jahrbuch auch, jedenfalls soweit es antisemitische Ausschreitungen oder soweit es eine Gewaltpolitik forderte, nicht in Erinnerung.


MR. DODD: Gut. Ich werde es Ihnen auf jeden Fall zeigen, und ich will Ihre Aufmerksamkeit auf einen Artikel in dem Jahrbuch lenken, der sich mit den Juden befaßt. Wissen Sie, wovon ich spreche? Von der Stelle, wo sie beschuldigt werden, im Laufe der Geschichte das Blut von Millionen vergossen zu haben. Ich nehme an, daß das nach den mutigen Behauptungen des Angeklagten im November 1938 erschien, da das Buch das ganze Jahr 1938 betrifft. Sie werden den Artikel, von dem ich spreche, auf Seite 192 finden.


LAUTERBACHER: Jawohl.


MR. DODD: Haben Sie den Artikel vorher gelesen?


LAUTERBACHER: Nein, dieses Jahrbuch hat keinen amtlichen Charakter, und ist eine private Angelegenheit der Herausgeber gewesen.


MR. DODD: Einen Augenblick. Was wollen Sie sagen mit »es hatte keinen amtlichen Charakter«? Es war das Jahrbuch der Hitler-Jugend, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Dieses Buch ist nicht Hitler-Jugend-amtlich oder Partei-amtlich. Ich habe dieses Buch immer erst hinterher zur Kenntnis erhalten.


[614] MR. DODD: Es wurde von dem Zentralverlag der NSDAP veröffentlicht, stimmt das?


LAUTERBACHER: Das stimmt, das sehe ich.


MR. DODD: Es hatte den Titel »Jahrbuch der Hitler-Jugend«. Sie haben es eine Reihe von Jahren laufend herausgegeben, nicht wahr? Ich meine nicht Sie persönlich, sondern die Partei und die Hitler-Jugend.


LAUTERBACHER: Nein. Dieses Jahrbuch ist in jedem Jahr von den hier erwähnten Herren, beziehungsweise auch anderen Herren zusammengestellt und herausgegeben worden.


MR. DODD: Das weiß ich. Ich versuche nur zu beweisen, daß es das Jahrbuch der Hitler-Jugend war, und zwar das einzige, das erschien, und daß es jedes Jahr erschienen ist. Stimmt das nicht?


LAUTERBACHER: Dieses Buch ist jedes Jahr herausgekommen, aber es hatte, ich wiederhole noch einmal, keinen amtlichen Charakter, und ich glaube auch nicht, daß...


MR. DODD: Gut. Was glauben Sie, würde dem Buch einen amtlichen Charakter geben?


LAUTERBACHER: Wenn hier stünde: »Herausgegeben von der Reichsjugendführung«, in diesem Augenblick hätte es amtlichen Charakter.


MR. DODD: Und die Tatsache, daß da stand: »Herausgegeben vom Zentralverlag der NSDAP«, genügt dazu nicht, meinen Sie?


LAUTERBACHER: Keineswegs.


MR. DODD: Sie haben keine anderen Veröffentlichungen in der Art eines Jahrbuches außer diesem Jahrbuch herausgegeben?


LAUTERBACHER: Ein Kalender ist jährlich herausgegeben worden.


MR. DODD: Ich spreche durchaus nicht von einem Kalender; ich spreche von einem Bericht oder Buch.


LAUTERBACHER: Nein.


MR. DODD: Und Sie wollen immer noch dem Gerichtshof sagen, daß das nicht das Jahrbuch der Hitler-Jugend war und das einzige, das in Deutschland herausgegeben wurde?


LAUTERBACHER: Ich erkläre noch einmal, daß dieses Jahrbuch keinen amtlichen Charakter hatte.


MR. DODD: Gut, nachdem Sie das Zitat gelesen haben, glauben Sie immer noch, daß von Schirach als Führer der Jugend des Reichs tatsächlich nichts Herabsetzendes über die Juden gesprochen hat oder daß Reden dieser Art unter seiner Führung nicht vorkamen?


[615] LAUTERBACHER: Von Schirach hat an seiner antisemitischen Einstellung, solange er Reichsjugendführer war, nie einen Zweifel gelassen.


MR. DODD: Kennen Sie die Rede, die er im Jahre 1942 gehalten hat und worin er sich das Verdienst, die Juden von Wien deportiert zu haben, zuschrieb? Kennen Sie diese Rede?


LAUTERBACHER: Nein, diese Rede kenne ich nicht. Während dieser Zeit war ich ja in Hannover und von Schirach in Wien.


MR. DODD: Ja, er war um diese Zeit einer Ihrer Gauleiterkollegen. Erhielten Sie jemals irgendwelche SS-Berichte über das, was im Osten mit den Juden geschah?


LAUTERBACHER: Niemals. Mir sind niemals SS-Berichte oder SS-Rundschreiben, oder Befehle zugänglich gewesen.


MR. DODD: Haben Sie irgendwelche Juden aus Ihrem Gau deportieren lassen?


LAUTERBACHER: Als ich den Gau bekam im Dezember 1940, waren die Juden bereits abgewandert.

MR. DODD: Sie waren schon fort, als Sie hinkamen?


LAUTERBACHER: Ja.


MR. DODD: Haben Sie jemals von Gauleitern gehört, die Berichte von Heydrich oder von Himmler bekamen über das, was mit den Juden im Osten geschah? Hat irgendeiner Ihrer Gauleiterkollegen Ihnen jemals erzählt, daß er diese Berichte regelmäßig erhielt, sagen wir monatlich oder wöchentlich?


LAUTERBACHER: Nein, die Berichte Himmlers waren den Gauleitern ebensowenig zugänglich wie den Ehrenführern der SS. Ich habe als Obergruppenführer der SS niemals einen Bericht oder eine Anordnung von Himmler erhalten.


MR. DODD: Mit diesen Himmler-Berichten wurde doch sehr sorgfältig umgegangen, nicht wahr? Und nun frage ich Sie – und ich nehme an, daß Sie als SS-Obergruppenführer etwas darüber wissen – ging man mit diesen Himmler- und Heydrich-Berichten nicht sehr sorgfältig um?


LAUTERBACHER: Ich habe als SS-Obergruppenführer niemals Berichte von Himmler erhalten, und ich weiß, daß Himmler alle Berichte über vertrauliche oder interne SS-Angelegenheiten lediglich den SS-und Polizeiführern, also den im Dienste der SS stehenden Führern, zuleitete, aber niemals den Ehrenfüh rern.


MR. DODD: Nun, was ich Sie wirklich fragte, war, ob die Berichte, wenn sie abgesandt wurden, nicht sehr sorgfältig behandelt wurden. Können Sie mir darauf antworten?


[616] LAUTERBACHER: Das weiß ich nicht. Wie diese Berichte behandelt wurden, weiß ich nicht.


MR. DODD: Was war Ihrer Ansicht nach Heydrichs Ruf im Jahre 1942? Hatten Sie eine sehr gute oder eine sehr schlechte Meinung von ihm, bevor er getötet wurde?


LAUTERBACHER: Ich habe Heydrich nur aus einigen Begegnungen in der Reichsjugendführung kennengelernt und hatte persönlich von ihm einen guten Eindruck. Meine Meinung über ihn muß heute zwangsläufig eine andere sein, aber erst heute, nachdem ich seine Maßnahmen kenne.


MR. DODD: Was tat er bei den seltenen Begegnungen, die Sie mit ihm im Amt der Reichsjugendführung hatten? Was hatte er dort zu tun?


LAUTERBACHER: Er hat von sich aus in Fällen der Homosexualität durch seine Organe eingegriffen, und das hat sich von Schirach verbeten und erklärt, daß auch diese Fälle zunächst seiner Zuständigkeit unter liegen.


MR. DODD: Sie haben doch allen Besprechungen mit Heydrich beigewohnt, ganz gleich wie viele es waren, nicht wahr?


LAUTERBACHER: Ich habe bei einer Konferenz über die Frage der Homosexualität in der Hitler-Jugend teilgenommen.


MR. DODD: Sagen Sie uns, hatten Sie nach dem, was Sie dort sahen und hörten, den Eindruck, daß Heydrich und Schirach sehr befreundet waren oder auf sehr freundschaftlichem Fuße standen?


LAUTERBACHER: Diese Besprechung hat nicht mit von Schirach stattgefunden, sondern mit einem Beauftragten der Reichsjugendführung, der als Chef der HJ-Gerichtsbarkeit mit Heydrich die Besprechungen führte.


MR. DODD: Waren Sie jemals anwesend, wenn Heydrich mit Schirach sprach? Waren Sie jemals dabei?


LAUTERBACHER: Nein.


MR. DODD: Sprach Heydrich jemals zu Ihnen oder besser gesagt, sprach Schirach jemals zu Ihnen über Heydrich?


LAUTERBACHER: Nein, darauf kann ich mich nicht besinnen.


MR. DODD: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Dr. Sauter?


DR. SAUTER: Ich habe keine weiteren Fragen, danke sehr.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


DR. SAUTER: Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten rufe ich als nächsten Zeugen Gustav Höpken.


[617] [Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.

ZEUGE GUSTAV DIETRICH HÖPKEN: Gustav Dietrich Höpken.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SAUTER: Herr Höpken! Ich habe Sie zum Falle Schirach bereits im Gefängnis vernommen, nicht wahr?


HÖPKEN: Ja, Sie haben mich bereits vernommen.


DR. SAUTER: Wie alt sind Sie?


HÖPKEN: Ich bin 36 Jahre alt.


DR. SAUTER: Was ist Ihr Vater?


HÖPKEN: Mein Vater ist Hafenarbeiter.


DR. SAUTER: Was sind Sie selbst von Hause aus?


HÖPKEN: Ich war Zeitungsjunge, Hafenarbeiter, Werkstudent und Sportlehrer.


DR. SAUTER: Sportlehrer. Sie befinden sich jetzt in amerikanischer Gefangenschaft?


HÖPKEN: Ja, ich befinde mich in amerikanischer Gefangenschaft.


DR. SAUTER: Seit wann?


HÖPKEN: Seit dem 19. Mai 1945.


DR. SAUTER: Sind Sie schon einmal in dieser Sache von der Staatsanwaltschaft vernommen worden?


HÖPKEN: Ich bin bisher von der Staatsanwaltschaft nicht vernommen worden.


DR. SAUTER: Wann sind Sie denn zur Hitler-Jugend gekommen?


HÖPKEN: Ich bin im Jahre 1933 zur Hitler-Jugend gekommen.


DR. SAUTER: Im Jahre 1933 sind Sie zur Hitler-Jugend gekommen Damals waren Sie wie alt?


HÖPKEN: Damals war ich 23 Jahre alt.


DR. SAUTER: Als was sind Sie zur Hitler-Jugend gekommen, in welcher Eigenschaft?


HÖPKEN: Zunächst als einfacher HJ-Junge, und im September 1933 wurde ich Unterbannführer der Hitler-Jugend.


[618] DR. SAUTER: Unterbannführer, 1933?


HÖPKEN: 1933, im September.


DR. SAUTER: 1933, waren Sie da hauptamtlich, oder war das ehrenamtlich?


HÖPKEN: Ich habe von 1933 bis 1935 als Sportlehrer in der Hitler-Jugend gearbeitet.


DR. SAUTER: Und 1935?


HÖPKEN: Im Jahre 1935 kam ich zur Regierung nach Potsdam als Sachbearbeiter für das Schulturnen.


DR. SAUTER: Das hat mit der Hitler-Jugend nichts mehr zu tun gehabt?


HÖPKEN: In Potsdam habe ich nebenamtlich den Bann Potsdam und den Standort Potsdam der Hitler-Jugend geführt.


DR. SAUTER: Sie waren also damals Staatsbeamter... Sie waren also dann in der Folgezeit Staatsbeamter und nebenbei ehrenamtlich Führer bei der Hitler-Jugend.


HÖPKEN: Ich war von 1935 bis zum Jahre 1939 Beamter an der Regierung in Potsdam und habe nebenamtlich und ehrenamtlich den Bann Potsdam und den Standort Potsdam der Hitler-Jugend geführt.


DR. SAUTER: Im Sommer 1939 kamen Sie dann zur Reichsjugendführung?


HÖPKEN: Im Juni 1939 kam ich zur Reichsjugendführung und wurde begleitender Adjutant des damaligen Reichsjugendführers Baldur von Schirach.


DR. SAUTER: Vom Jahre 1939 an. Wie lange blieben Sie dann?

HÖPKEN: Geblieben bin ich bis zum August 1939, und dann bin ich Soldat geworden.


DR. SAUTER: Eine Frage dazwischen: Hatten Sie vorher bevor Sie zu Schirach kamen, nicht beim Militär Dienst gemacht?


HÖPKEN: Bevor ich zu Schirach kam, im Jahre 1939, hatte ich eine pflichtmäßige Achtwochenübung bei der Luftwaffe gemacht.


DR. SAUTER: Sonst waren Sie nicht ausgebildet?


HÖPKEN: Sonst war ich nicht militärisch ausgebildet.


DR. SAUTER: Waren Sie Offizier?


HÖPKEN: Offizier war ich nicht bis dorthin.


DR. SAUTER: Hat Schirach bei seinen anderen Mitarbeitern Wert darauf gelegt, daß sie Offiziere oder ausgebildete Soldaten seien?


HÖPKEN: Meines Wissens hat Schirach keinen Wert darauf gelegt, daß seine Mitarbeiter Soldaten oder Offiziere waren, im [619] Gegenteil, er war der Auffassung, die er mir wiederholt gesagt hat, daß Soldaten und Offiziere nach seinem Dafürhalten weniger geeignet seien zur Führung der Jugend.


DR. SAUTER: Auf die Frage der Ausbildung der Hit ler-Jugend möchte ich im allgemeinen nicht eingehen, sondern nur eine einzige Frage in dieser Beziehungstellen, und zwar deshalb, weil Sie Sportlehrer von Beruf sind. Und zwar eine Frage nach der Ausbildung der Hitler-Jugend im Schießen. Ist die Hitler-Jugend mit Militärgewehren ausgebildet worden, oder womit wurde sie ausgebildet im Schießen?


HÖPKEN: Die Hitler-Jugend wurde ausgebildet im Schießen mit Luftgewehren oder Kleinkaliberbüchsen. Mit Militärwaffen wurde nicht geschossen in der Hitler-Jugend.


DR. SAUTER: Ich will dann auch an Sie keine weiteren Fragen bezüglich der Frage der Uniform stellen, denn diese Fragen sind bereits geklärt. Mich würde aber dies interessieren, bezüglich des Verhältnisses zur Kirche: Ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, daß der Angeklagte von Schirach im Jahre 1937, und zwar in der Nummer vom 14. Januar 1937, in der Berliner Zeitung »Berliner Tageblatt« einen Artikel erscheinen ließ, der von seinem Pressereferenten Günther Kaufmann stammte und der die Überschrift trug »Ist die Kluft zu überbrücken?« Dieser Artikel, der mir in Abschrift vorliegt, beschäftigt sich mit einem Problem, das mich interessiert und darum würde ich Sie fragen:

Wissen Sie, was Schirach in diesem Artikel durch seinen Referenten über die Frage schreiben ließ, ob die Hitler-Jugend auf die gottesdienstlichen Bedürfnisse der Jugend Rücksicht nehmen soll oder nicht?


HÖPKEN: Der Artikel ist mir bekannt.


DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt?


HÖPKEN: Ich kenne auch den Befehl des damaligen Reichsjugendführers, daß an Tagen, das heißt an Sonntagen, kein Hitler-Jugend-Dienst stattfinden soll für all die Jungen und Mädels, die das Bedürfnis haben, den Gottesdienst zu besuchen. Es solle jedem Jungen und jedem Mädel der damaligen HJ die Möglichkeit gegeben werden, den Gottesdienst nach eigenem freien Willen zu besuchen, und er hat es den HJ-Führern damals zur Pflicht gemacht, sich in keinerlei Diskussionen über irgendwelche Streitfragen über HJ und Kirche einzulassen. Er hat es verboten.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Das ist das Wesentliche in diesem Artikel vom 14. Januar 1937. Sie wissen aber, daß wegen dieses Artikels der Angeklagte von Schirach dann gewisse Schwierigkeiten seitens Hitler bekam. Wollen Sie das kurz erzählen, was Sie darüber wissen?


[620] HÖPKEN: Unmittelbar, nachdem die Vereinbarung zwischen Kirche und HJ getroffen war, erschien dieser besagte Artikel im »Berliner Tageblatt«. Am Tage des Erscheinens dieses Artikels befand sich von Schirach zu einer Besprechung im Büro Rosenbergs. Zu dieser Zeit wurde Schirach von Hitler ans Telephon gerufen. Schirach wurde von Hitler erstens wegen der Vereinbarung zwischen Kirche und HJ, zum zweiten wegen der Veröffentlichung dieses Artikels energisch zur Rede gestellt mit dem Ziel, die Vereinbarung rückgängig zu machen und den weiteren Druck der Zeitungen sofort einstellen zu lassen. Beides ist nicht geschehen.


DR. SAUTER: Hat Schirach es abgelehnt, den Zeitungsartikel zurückzunehmen?


HÖPKEN: Meines Wissens, ja.


DR. SAUTER: Sie sind dann im Jahre 1940 mit Schirach nach Wien gegangen?


HÖPKEN: Nein, das bin ich nicht.


DR. SAUTER: Sondern?


HÖPKEN: Ich bin erstmalig im September 1941 nach Wien gekommen.


DR. SAUTER: Wo waren Sie in der Zwischenzeit?


HÖPKEN: Ich sagte bereits, daß ich im August 1939 Soldat geworden bin in der Luftwaffe; ich war in der Zeit Soldat, und zwar Truppenfluglehrer bei einer Fliegerschule der Luftwaffe.

DR. SAUTER: Und kamen dann erst wieder 1941 zu Schirach, und zwar jetzt nach Wien?


HÖPKEN: Ja, im September 1941 kam ich zu Schirach nach Wien.


DR. SAUTER: Der oberste katholische Geistliche von Wien ist Kardinal Innitzer?


HÖPKEN: Ja.


DR. SAUTER: Wissen Sie, wie Schirach sich zu dem Kardinal Innitzer stellte, insbesondere... , um Ihnen gleich zu sagen, weshalb ich Sie frage... Ob es richtig ist, daß Schirach gegen Belästigungen des Kardinals Innitzer durch Hitlerjungen Stellung nahm? Was er da getan hat und so weiter?


HÖPKEN: Schirach hat mir gegenüber wiederholt gesagt, daß er gern einmal mit dem Kardinal Innitzer sich aussprechen würde. Er dürfe das aber nicht tun, erstens gäbe es einen Erlaß des früheren Chefs der Parteikanzlei, Bormann, der es Gauleitern verbiete, mit höheren Würdenträgern der Kirche zu konferieren. Zweitens war es Schirach bekannt, daß er selbst unter Überwachung stand.


[621] DR. SAUTER: Wer, Schirach?


HÖPKEN: Daß Schirach unter Überwachung stand und der Auffassung war, daß, wenn er eine solche Besprechung durchführen würde, es am nächsten Tage sicherlich Bormann erfahren hätte, und das wäre für beide, das heißt sowohl für von Schirach als auch für den Herrn Kardinal Innitzer sehr abträglich gewesen. Umgekehrt war Schirach der Auffassung, daß sicherlich der Herr Kardinal Innitzer auch gern einmal mit von Schirach sich ausgesprochen hätte, und Schirach meinte, das wäre sicherlich nicht der Fall, wenn der Herr Kardinal Innitzer von seiner toleranten Haltung gegenüber der Kirche und der christlichen Religion nichts wissen würde. Mir ist auch bekannt, ich glaube, es war im Winter 1944/1945, daß der Herr Kardinal Innitzer auf dem Rückweg von einer gelesenen Messe von jugendlichen Zivilisten belästigt worden ist. Der Herr Kardinal Innitzer ließ durch die Polizei die Namen dieser Jugendlichen feststellen. Es stellte sich heraus, daß es HJ-Führer waren. Noch am selben Tage bestellte Schirach den zuständigen Gebietsführer der HJ zu sich und hat ihn schärfstens zur Rede gestellt mit der Forderung, daß die betreffenden HJ-Führer sofort abgesetzt werden sollen. Dies ist meines Wissens auch geschehen. Ich glaube, mich auch erinnern zu können, daß Schirach entweder selbst oder durch einen seiner Mitarbeiter einen Entschuldigungsbrief an den Herrn Kardinal Innitzer schreiben ließ.


VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre besser, wenn wir jetzt die Sitzung vertagen würden.


[Das Gericht vertagt sich bis

28. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 14, S. 587-623.
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