Vormittagssitzung.

[371] [Der Zeuge Markov im Zeugenstand.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Erlauben Sie, Herr Vorsitzender?

Zeuge, wann war es genau, als Sie mit den anderen Mitgliedern der Kommission die Sezierung der acht Leichen vornahmen? Wann war es genau?


MARKOV: Es war am 30. April vormittags.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und auf Grund Ihrer persönlichen Beobachtungen sind Sie zu dem Schluß gekommen, daß die Leichen ungefähr ein oder höchstens anderthalb Jahre unter der Erde waren?


MARKOV: Ganz richtig.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bevor ich zur nächsten Frage übergehe, möchte ich Sie bitten, mir kurz folgende Frage zu beantworten: Ist es in der bulgarischen Gerichtsmedizin Brauch, daß bei eingehender Untersuchung einer Leiche durch Gerichtsmediziner diese Untersuchung in zwei Teile zerfällt: Beschreibung und Schlußfolgerung?


MARKOV: Jawohl. Bei uns ist es wie auch in anderen Ländern üblich, daß man, soviel ich weiß, folgendermaßen verfährt; zuerst gibt man eine Beschreibung und nachher die Schlußfolgerung.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Enthält das von Ihnen aufgestellte Protokoll über die Obduktion der Leichen eine Schlußfolgerung?


MARKOV: Mein Protokoll über die Leichenobduktion besteht nur aus einem beschreibenden Teil ohne Schlußfolgerung.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum?


MARKOV: Weil ich aus den Papieren, die sich dort befanden, ersehen konnte, daß man uns von vornherein suggerieren wollte, daß diese Leichen sich schon drei Jahre in der Erde befunden hätten. Das ging aus den Papieren, die uns in dem kleinen, von mir erwähnten Landhaus gezeigt wurden, hervor.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sind Ihnen übrigens diese Papiere vor der Obduktion gezeigt worden oder nachher?


MARKOV: Ja, diese Papiere wurden uns einen Tag vor der Obduktion gezeigt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt, Sie waren...


[371] VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Sie unterbrechen den Dolmetscher immer. Bevor er die Antwort ganz übersetzt hat, stellen Sie schon die nächste Frage. Es ist für uns schwer, den Dolmetscher zu hören.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich danke Ihnen für Ihren Hinweis, Herr Vorsitzender.


MARKOV: Da die Ergebnisse der Sezierung, die ich durchführte, in offensichtlichem Widerspruch zu dieser Fassung standen, habe ich mich einer Schlußfolgerung enthalten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie haben also deshalb keine Schlußfolgerungen gezogen, weil die objektiven Unterlagen der medizinischen Sezierung ergaben, daß die Leichen nicht drei Jahre unter der Erde waren, sondern nur anderthalb Jahre?


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Sie müssen bedenken, daß es eine doppelte Übersetzung ist, und wenn Sie keine größere Pause eintreten lassen, kommt Ihre Stimme mit der Stimme des Dolmetschers zusammen, und wir können den Dolmetscher nicht verstehen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender.


MARKOV: Ja, das ist richtig.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bestand bei den Mitgliedern der Kommission Einigkeit über die Frage, wie lange die Leichen, die aus den Gräbern von Katyn exhumiert wurden, unter der Erde lagen?


MARKOV: Die meisten Mitglieder der Delegation, die die Sezierung der Leichen im Wäldchen von Katyn durchführten, zogen ihre Schlußfolgerungen, ohne die wesentliche Frage darüber, wie lange sich die Leichen bereits unter der Erde befanden, zu berühren. Einige von ihnen, wie zum Beispiel Professor Hajek, sprachen von unwichtigen Dingen. Er sagte zum Beispiel, daß einer der Erschossenen Rippenfellentzündung gehabt hätte. Andere, wie zum Beispiel Professor Birkle aus Bukarest, hatten die Haare von den Leichen entfernt, um das Alter der Leiche festzustellen, was nach meiner Meinung völlig unwesentlich war. Professor Palmieri hat auf Grund der von ihm durchgeführten Autopsie festgestellt, daß die Leiche über ein Jahr unter der Erde gewesen sei, er könne aber keine bestimmte Zeitangabe machen. Der einzige, der eine genaue Aussage machte, daß die Leichen drei Jahre in der Erde waren, war Professor Miroslavitsch aus Zagreb. Aber als das deutsche Buch über Katyn veröffentlicht wurde, habe ich seine objektive Niederschrift gelesen und dabei den Eindruck gewonnen, daß die Leiche, die er sezierte, sich nicht von dem Verwesungszustand der anderen sezierten Leichen unterschieden hat. Dies veranlaßte mich zu der Annahme, daß seine Aussage, daß die Leichen [372] bereits drei Jahre unter der Erde wären, nicht der Tatsachenbeschreibung entspricht.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, folgende Frage zu beantworten: Wurden von den Mitgliedern der Kommission viele Schädel mit Zeichen des sog. »pseudo callus« festgestellt? Nebenbeibemerkt, da dieser Ausdruck in der gewöhnlichen Kriminalistik und in den gewöhnlichen Büchern der Gerichtsmedizin nicht bekannt ist, möchte ich Sie bitten, genau zu erklären, was Professor Orsos aus Budapest unter dem Ausdruck »pseudo callus« verstand?


VORSITZENDER: Wollen Sie Ihre Frage wiederholen, bitte?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wurden viele Schädel mit Anzeichen des sogenannten »pseudo callus« von den Mitgliedern der Kommission festgestellt? Da, nebenbeibemerkt, dieser Begriff in den gewöhnlichen Büchern der Gerichtsmedizin nicht bekannt ist, möchte ich, daß Sie jetzt genau erklären, was Professor Orsos mit diesem Begriff »pseudo callus« meinte?

VORSITZENDER: Was war an den Schädeln? Sie sagten doch, da waren viele Schädel mit irgend etwas?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich begegne diesem Ausdruck selbst zum erstenmal. Das Wort »pseudo callus« ist augenscheinlich ein lateinischer Begriff für eine kleine Erhöhung, die sich auf der Oberfläche des Gehirns bildet.


VORSITZENDER: Können Sie das Wort auf lateinisch buchstabieren?


[Oberjustizrat Smirnow schreibt das Wort nieder und übergibt das Papier dem Vorsitzenden.]


VORSITZENDER: Was Sie hier geschrieben haben ist: p-s-e-r-d-o. Meinen Sie »pseudo«, das »falsch« bedeutet?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, das ist richtig, »pseudo«.


VORSITZENDER: Nun, stellen Sie Ihre Frage nochmals, und zwar ganz kurz.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wurden den Mitgliedern der Kommission viele solcher Schädel mit dem sogenannten »pseudo callus« gezeigt? Bitte erklären Sie genau diesen Begriff des Professors Orsos.

MARKOV: Professor Orsos hat über »pseudo callus« bei einer allgemeinen Besprechung der Delegierten gesprochen; die Zusammenkunft fand am 30. April nachmittags in dem Gebäude statt, in dem sich das Feldlaboratorium von Butz in Smolensk befand. Professor Orsos verstand darunter eine Ablagerung und Aufschichtung von unlöslichen Salzen, Kalzium und anderen Salzen innerhalb der [373] Schädeldecke. Professor Orsos behauptete, daß nach seinen Erfahrungen, die er in Ungarn gemacht hatte, solche Erscheinungen nur beobachtet wurden, wenn eine Leiche mindestens drei Jahre unter der Erde gelegen habe. Als Professor Orsos dies in der wissenschaftlichen Besprechung mitgeteilt hatte, hat sich niemand von den anderen Mitgliedern der Kommission geäußert, weder für noch gegen diese Feststellung. Ich gewann dadurch den Eindruck, daß der Begriff »pseudo callus« den anderen Delegierten ebenso unbekannt war wie mir. Bei derselben Besprechung führte uns Professor Orsos eine solche Erscheinung von »pseudo callus« an einem Schädel vor.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir zu sagen: Unter welcher Nummer war die Leiche registriert, von der der Schädel für die Vorführung des Professors Orsos genommen wurde?


MARKOV: Die Nummer der Leiche, von der der Schädel genommen wurde, war Nummer 526, wie Sie auch in dem Buch, in dem diese Leiche verzeichnet ist, steht. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß diese Leiche schon vor unserer Ankunft in Katyn exhumiert war, da alle anderen Leichen, die wir am 30. April exhumiert haben, Nummern über 800 hatten. Es ist uns erklärt worden, daß, sobald eine Leiche exhumiert wird, ihr die entsprechende folgende Nummer zu geben ist.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte sagen Sie mir, ob auch auf den Schädeln der von Ihnen und Ihren Kollegen sezierten Leichen Erscheinungen von »pseudo callus« zu entdecken waren?


MARKOV: In dem Schädel der Leiche, die ich seziert habe, befand sich anstatt des Gehirns eine breiartige Masse, aber Erscheinungen des sogenannten »pseudo callus« habe ich nicht bemerkt. Auch die anderen Delegierten haben nach den Erklärungen von Professor Orsos nicht gesagt, daß sie eine derartige Erscheinung an den von ihnen untersuchten Schädeln entdeckt hätten. Auch Butz und seine Mitarbeiter, die die Leichen schon vor unserem Eintreffen in Katyn untersucht hatten, haben nicht gemeldet, daß sie diese Erscheinungen bemerkt hätten. Als ich später in dem Buch, das die Deutschen herausgegeben haben, den Bericht von Butz sah, bemerkte ich, daß Butz sich auf die Erscheinungen des »pseudo callus« bezog, um seine Behauptung zu rechtfertigen, daß die Leichen drei Jahre in der Erde waren.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ihnen wurde demnach von 11000 Leichen nur ein Schädel vorgelegt, der die Erscheinung des »pseudo callus« aufwies?


MARKOV: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Beschreiben Sie bitte dem Gerichtshof in Einzelheiten den Zustand der Kleidung dieser Leichen.


[374] MARKOV: Die Kleidung war im allgemeinen gut erhalten, sie war natürlich von der Feuchtigkeit der verwesenden Leichen durchtränkt. Als wir versuchten, den Leichen durch heftiges Zerren die Kleidung und die Stiefel abzunehmen, zerriß die Kleidung nicht, auch platzten die Stiefel nicht in den Nähten. Ich hatte sogar den Eindruck, daß man nach eingehender Reinigung die Kleider wieder ohne weiteres hätte verwerten können. In der Kleidung der Leichen, die ich sezierte, haben wir auch einige Papiere gefunden. Sie waren ebenfalls von der Leichenflüssigkeit durchtränkt. Einige Deutsche, die bei der Obduktion der Leichen anwesend waren, verlangten, ich sollte diese Papiere, vor allem deren Inhalt, beschreiben. Ich lehnte es jedoch ab, da ich der Auffassung war, daß das nicht Aufgabe eines Arztes sei. In Wahrheit habe ich schon am vorhergegangenen Tag bemerkt, daß man sich bemühte, mit Hilfe der Daten auf diesen Papieren bei uns den Eindruck entstehen zu lassen, als wären die Leichen schon drei Jahre unter der Erde gewesen. Deshalb wollte ich mich nur auf die objektive Beurteilung des Zustandes der Leichen beschränken. Einige andere Delegierte, die auch Leichen obduzierten, haben ebenfalls aus der Kleidung der Leichen Papiere entnommen. Jene Papiere, die ich in den Kleidungsstücken der von mir sezierten Leichen gefunden habe, wurden in einen Briefumschlag gesteckt, der dieselbe Nummer wie die Leiche, nämlich 827, hatte. Später habe ich in dem Buch, das die Deutschen herausgegeben haben, gesehen, daß einige der Delegierten den Inhalt der Papiere beschrieben haben, die sie in den Kleidungsstücken der Leichen gefunden haben.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte beantworten Sie folgende Frage: Auf welche objektiven gerichtsmedizinischen Tatsachen stützt sich das Urteil der Kommission darüber, daß die Leichen mindestens drei Jahre unter der Erde gewesen sind?


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die Frage noch einmal stellen? Ich habe die Frage nicht verstanden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe gefragt, auf welche objektiven gerichtsmedizinischen Tatsachen die Schlußfolgerung in dem Protokoll der internationalen medizinischen Kommission gegründet ist, daß die Leichen nicht weniger als drei Jahre unter der Erde waren?


VORSITZENDER: Hat er gesagt, daß dies die von ihm gezogene Schlußfolgerung war? Nicht weniger als drei Jahre?


MR. BIDDLE: Das hat er nicht gesagt.


VORSITZENDER: Das hat er überhaupt nicht gesagt. Er hat niemals gesagt, er sei zu der Schlußfolgerung gekommen, daß die Leichen mindestens drei Jahre in der Erde waren.


[375] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Er hat diesen Schluß nicht gezogen. Aber Professor Markov hat zusammen mit anderen Mitgliedern der Kommission das gemeinsame Protokoll der Internationalen Kommission unterzeichnet.


VORSITZENDER: Ich weiß, gerade deshalb habe ich Sie gebeten, die Frage zu wiederholen. Die Frage, die uns übersetzt wurde, lautete: Woraufhin kamen Sie zu der Schlußfolgerung, daß die Leichen mindestens drei Jahre in der Erde waren? Das ist gerade das Gegenteil von dem, was er sagt. Wollen Sie jetzt die Frage nochmals stellen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Zeuge! Ich frage Sie nicht nach Ihrem persönlichen Protokoll, sondern nach dem allgemeinen Protokoll der gesamten Kommission. Ich frage, auf welche objektiven gerichtsmedizinischen Beweisgründe ist die Schlußfolgerung der ganzen Kommission gegründet, unter der sich unter anderen auch Ihre Unterschrift befindet, daß nämlich die Leichen mindestens drei Jahre in der Erde gewesen sind?

VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte.

Nun Oberst Smirnow! Wollen Sie die Frage noch einmal stellen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich fragte, auf Grund welcher objektiven gerichts medizinischen Unterlagen ist die gesamte Kommission zu der Schlußfolgerung gekommen – nicht das Einzelprotokoll des Dr. Markov, in dem die Schlußfolgerung fehlt, sondern die ganze Kommission –, daß die Leichen angeblich mindestens drei Jahre in der Erde waren?

MARKOV: Das allgemeine Protokoll, das von allen Delegierten unterzeichnet worden ist, ist sehr arm hinsichtlich der wirklichen gerichtsmedizinischen Unterlagen. Über den Zustand der Leichen enthält das Protokoll nur einen Satz, daß die Leichen sich in verschiedenen Stadien der Verwesung befanden. Der Grad der Verwesung wird aber nicht beschrieben. Meiner Meinung nach stützt sich diese Schlußfolgerung auf die vorgefundenen Papiere und die Zeugenaussagen, jedoch keineswegs auf gerichtsmedizinischen Befund. In gerichtsmedizinischer Hinsicht bemühte man sich, diese Schlußfolgerung durch die Feststellungen des Professors Orsos zu unterstützen, der die Erscheinung des »pseudo callus« im Schädel der Leiche 526 gefunden hatte. Nach meiner Überzeugung kann man jedoch aus diesem einzigen Schädel keineswegs einen Schluß über den Zustand Tausender von Leichen ziehen, die in den Gräbern von Katyn lagen. Außerdem wurden diese Beobachtungen des »pseudo callus« von Professor Orsos in Ungarn gemacht, das heißt unter ganz [376] anderen klimatischen Bedingungen und Bodenverhältnissen, wobei die Leichen aus Einzelgräbern und nicht aus Massengräbern, wie diejenigen von Katyn, stammten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie sprachen von Zeugenaussagen. Wurde den Mitgliedern der Kommission die Möglichkeit gegeben, persönlich und eingehend Zeugen zu vernehmen, auch russische Zeugen, oder nicht?


MARKOV: Wir hatten keine Möglichkeit, mit der örtlichen Bevölkerung zusammenzukommen. Im Gegenteil, als wir in Smolensk angekommen waren, hat Butz uns zusammengerufen und uns darauf aufmerksam gemacht, daß wir uns in einem Kampfabschnitt befänden und nicht das Recht hätten, uns in die Stadt zu begeben, ohne von einem deutschen Wehrmachtsangehörigen begleitet zu werden. Auch sollten wir uns nicht mit den Ortseinwohnern in Verbindung setzen oder Aufnahmen machen. Tatsächlich hatten wir während unseres Aufenthalts keinen Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung.

Am ersten Tag unserer Ankunft im Wald von Katyn, das heißt am 29. April vormittags, wurden einige russische Zivilisten, von einer deutschen Wache begleitet, an die Gräber herangeführt. Gleich nach unserer Ankunft in Smolensk wurden uns die Zeugenaussagen einiger Ortsbewohner vorgelegt. Diese Zeugenaussagen waren auf der Schreibmaschine geschrieben. Als diese Zeugen im Katyner Wald erschienen, wurde uns erklärt, daß es dieselben Zeugen seien, deren Aussagen wir bereits gelesen hätten. Eine regelrechte Befragung der Zeugen, die man hätte protokollieren können, wurde nicht durchgeführt. Es wurde überhaupt nichts zu Protokoll genommen. Professor Orsos, der, wie er sagte, der russischen Sprache mächtig war, weil er im ersten Weltkrieg Kriegsgefangener in Rußland gewesen ist, begann ein Gespräch mit einem älteren Mann. Wenn ich mich recht erinnere, so hieß dieser Mann Kiselow. Dann sprach er noch mit einem zweiten Zeugen, dessen Familienname, wenn ich mich recht erinnere, Andrejew war. Das ganze Gespräch dauerte nur ein paar Minuten. Da unsere bulgarische Sprache der russischen ähnlich ist, versuchte auch ich, mit einigen Zeugen ins Gespräch zu kommen...


VORSITZENDER: Diese Einzelheiten sollten für das Kreuzverhör gelassen werden. Können diese Einzelheiten nicht für das Kreuzverhör gelassen werden?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie Sie wünschen, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Zeuge! Ich bitte Sie, Ihre Antwort auf diese Frage zu unterbrechen und auf die folgende Frage zu antworten:

Als Sie das allgemeine Protokoll unterschrieben, das Protokoll der Kommission, war Ihnen damals ganz klar, daß die Ermordungen [377] in Katyn nicht vor dem letzten Viertel des Jahres 1941 stattgefunden haben und daß das Jahr 1940 jedenfalls ausgeschlossen sei?

MARKOV: Ja, das war mir klar, und gerade deshalb habe ich keine Schlußfolgerung in das Protokoll aufnehmen lassen, das ich im Katyner Wald aufgesetzt habe.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum haben Sie dieses allgemeine Protokoll dennoch unterschrieben, das von Ihrem Standpunkt aus nicht richtig war?


MARKOV: Um klarzumachen, unter welchen Umständen ich dieses Protokoll unterzeichnet habe, muß ich sagen, unter welchen Umständen dieses Protokoll zusammengestellt und unterzeichnet wurde.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gestatten Sie eine Frage, die dies klarstellen soll. Wurde dieses Protokoll tatsächlich am 30. April 1941 in Smolensk unterschrieben oder an einem anderen Tage und an einem anderen Ort?

MARKOV: Das Protokoll ist nicht am 30. April in Smolensk unterschrieben worden, sondern am 1. Mai mittags in dem Flughafen, der den Namen »Bela« trug.


OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Unter welchen Umständen? Bitte erzählen Sie das dem Gerichtshof.


MARKOV: Die Zusammenstellung des Protokolls sollte bei derselben Besprechung, von der ich schon gesprochen habe, im Laboratorium von Butz am 30. April nachmittags stattfinden. Bei dieser Besprechung waren alle Delegierten sowie alle Deutschen, die mit uns aus Berlin gekommen waren, zugegen; weiter, Butz und seine Mitarbeiter, der Generalstabsarzt Holm, der Oberarzt des Raumes Smolensk und noch einige mir unbekannte deutsche Wehrmachtsangehörige. Butz erklärte, daß diese Deutschen nur als Gastgeber hier anwesend wären. Tatsächlich aber leitete der Generalstabsarzt Holm diese Konferenz, und die Arbeit der Protokollaufsetzung wurde unter der Leitung von Butz durchgeführt. Als Sekretär fungierte die persönliche Sekretärin von Butz, die ein Protokoll dieser Sitzung aufsetzte. Aber das Protokoll dieser Besprechung habe ich nie zu Gesicht bekommen. Zu dieser Besprechung erschienen Butz und Orsos mit einem Protokollentwurf. Ich habe jedoch niemals erfahren, wer sie beauftragt hatte, ein solches Protokoll aufzusetzen. Dieses Protokoll wurde von Butz verlesen, darauf tauchte die Frage über den Zustand und das Alter der jungen Tannen auf, die in den Lichtungen des Katyner Waldes wuchsen. Butz war der Ansicht, daß in diesen Lichtungen sich auch Gräber befanden.


[378] OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Sind Ihnen irgendwelche Beweise erbracht worden, daß sich in diesen Waldlichtungen Gräber befanden?


MARKOV: Nein. Als wir in Katyn waren, sind keine anderen Gräber geöffnet worden. Da einige Mitglieder der Delegation erklärten, daß sie als Mediziner nicht kompetent seien, das Alter dieser jungen Bäume zu bestimmen, gab General Holm den Befehl, einen Deutschen zu bringen, der ein Fachmann im Forstwesen war. Dieser Sachverständige zeigte uns den Querschnitt durch den Stamm eines Bäumchens, und aus der Zahl der Baumringe in diesem Querschnitt hat er den Schluß gezogen, daß dieses Bäumchen fünf Jahre alt war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie wieder unterbreche. Können Sie persönlich bestätigen, daß dieses Bäumchen tatsächlich von den Gräbern gehauen wurde und nicht irgendwo aus der Waldlichtung?


MARKOV: Ich kann nur sagen, daß im Katyner Wald Lichtungen waren, in denen junge Bäume wuchsen und daß, als wir nach Smolensk zurückfuhren, im Omnibus eines dieser Bäumchen mitgeführt wurde. Ich weiß aber nicht mit Bestimmtheit, ob dort, wo diese Bäumchen wuchsen, noch Gräber waren, da ja, wie Ich bereits gesagt habe, in unserer Gegenwart keine Gräber geöffnet worden sind.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, in Ihrer Antwort so kurz wie möglich fortzufahren, um nicht die Zeit des Gerichtshofs mit unnötigen Einzelheiten in Anspruch zu nehmen.


MARKOV: Dieser Protokollentwurf, der bei dieser Sitzung vorgelegt wurde, enthielt auch einige redaktionelle Bemerkungen, an die ich mich aber nicht erinnern kann. Orsos und Butz wurden dann beauftragt, das endgültige Protokoll zusammenzustellen. Die Unterzeichnung des Protokolls sollte an demselben Abend bei dem Festessen in einem deutschen Militärlazarett stattfinden. Zu diesem Festessen erschien Butz tatsächlich mit dem Protokoll und begann, es zu verlesen. Aber zur Unterzeichnung kam es nicht, und zwar aus Gründen, die mir bis heute nicht klar geworden sind. Es wurde erklärt, daß das Protokoll nochmals redigiert werden sollte, weshalb auch das Festessen bis 3.00 oder 4.00 Uhr nachts hinausgezogen wurde. Professor Palmieri sagte mir dann, daß die Deutschen mit dem Inhalt des Protokolls nicht zufrieden seien, daß man mit Berlin Telephongepräche führte und daß es vielleicht überhaupt gar kein Protokoll geben würde. Nachdem wir die Nacht in Smolensk verbrachten, flogen wir tatsächlich am Morgen des 1. Mai von Smolensk weg, ohne das Protokoll unterschrieben zu haben. Ich persönlich kam zu der Überzeugung, daß man gar kein Protokoll anfertigen würde und war damit sehr zufrieden.

[379] Wie schon auf dem Wege nach Smolensk, so baten einige der Delegierten auch auf dem Rückwege in Warschau Station zu machen, um die Stadt zu besichtigen. Aber man antwortete, daß das aus militärischen Gründen nicht möglich sei.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das gehört nicht zur Sache. Bitte halten Sie sich an die Tatsachen.


MARKOV: Um die Mittagszeit landeten wir auf dem Flugplatz »Bela«. Es war anscheinend ein Militärflugplatz, denn ich sah dort nur leichte Militärbaracken. Dort aßen wir zu Mittag und gleich nach dem Mittagessen – obwohl man uns nicht mitgeteilt hatte, daß die Unterzeichnung des Protokolls auf dem Wege nach Berlin erfolgen sollte – wurden uns Exemplare des Protokolls zur Unterschrift vorgelegt. Bei der Unterzeichnung waren eine Anzahl von Militärs zugegen, da auf diesem Flugplatz überhaupt nur Wehrmachtsangehörige waren. Mich persönlich setzte der Umstand in Erstaunen, daß die Protokolle einerseits schon in Smolensk fertig waren, uns aber dort nicht zur Unterschrift vorgelegt wurden; andererseits wollte man auch nicht warten, bis wir sie einige Stunden später in Berlin unterschreiben konnten. Sie wurden uns gerade auf diesem isolierten Militärflugplatz zur Unterschrift vorgelegt. Das ist der Grund, weswegen ich das Protokoll unterschrieben habe, trotz der Überzeugung, zu der ich bei der Sezierung der Leichen in Smolensk gekommen war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Demnach sind Datum und Ort, die im Protokoll angegeben sind, falsch?


MARKOV: Jawohl, so ist es.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und Sie haben das Protokoll unterschrieben, weil Sie in einer Zwangslage waren?


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Es ist nicht zulässig, Suggestivfragen zu stellen. Er hat doch die Tatsache festgestellt. Es ist unnötig, Folgerungen daraus abzuleiten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender, ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.


VORSITZENDER: Wünscht jemand den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?


DR. STAHMER: Herr Präsident! Ich möchte einige verfahrensrechtliche Fragen voranschicken. Es war ja vorgesehen, daß von jeder Seite drei Zeugen dem Gericht gestellt werden sollten. Nun hat dieser Zeuge nach meiner Auffassung nicht nur Tatsachen bekundet, sondern er hat auch andere Angaben gemacht, die sich als ein Sachverständigengutachten darstellen. Er hat also nicht nur, wie wir das im deutschen Recht nennen, sich als sachverständiger Zeuge geäußert, sondern auch als Sachverständiger. Sollte das [380] Gericht auf diese von dem Zeugen als Sachverständigen gemachten Angaben irgendwelchen Wert legen, bitte ich, mir die Möglichkeit zu geben, daß auch von seiten der Verteidigung ein Sachverständiger benannt wird.


VORSITZENDER: Nein, Herr Dr. Stahmer. Der Gerichtshof wird nicht mehr als drei Zeugen von jeder Seite hören. Sie hätten einen beliebigen Sachverständigen rufen können oder irgendein Mitglied der Sachverständigenkommission, die die deutsche Untersuchung durchgeführt haben. Es stand Ihnen frei, einen von ihnen vorzuladen.


DR. STAHMER: Herr Zeuge! Seit wann sind Sie als Gerichtsmediziner wissenschaftlich tätig gewesen?


MARKOV: Ich arbeitete in der Gerichtsmedizin seit Anfang des Jahres 1927 an der Universitätsfakultät für gerichtliche Medizin in Sofia. Zuerst war ich Assistent, und jetzt habe ich als Professor den Lehrstuhl für Gerichtsmedizin inne. Ich bin kein ordentlicher Professor der Gerichtsmedizin, meine Stellung dort entspricht dem deutschen außerordentlichen Professor.


DR. STAHMER: Ist Ihnen von Ihrer Regierung vor dem Besuch in Katyn gesagt worden, daß Sie an einer politischen Aktion mitwirken sollen, und zwar ohne Rücksicht auf Ihre wissenschaftlichen Verhältnisse?


MARKOV: Nein, das ist mir wörtlich nicht gesagt worden, aber in der Presse ist die Katyn-Frage bereits als eine politische Frage behandelt worden.


DR. STAHMER: Fühlten Sie sich in Ihrem wissenschaftlichen Gewissen damals frei?


MARKOV: Zu welcher Zeit meinen Sie?


DR. STAHMER: Zu der Zeit, zu der Sie sich nach Katyn begaben.


MARKOV: Die Frage ist mir nicht ganz klar. Ich bitte, die Frage zu erläutern.

DR. STAHMER: Hielten Sie Ihre Aufgabe für eine politische oder für eine wissenschaftliche Aufgabe, die Sie dort zu erfüllen hatten?


MARKOV: Ich habe diese Aufgabe von Anfang an als eine politische Aufgabe betrachtet und versuchte daher, ihr auszuweichen.


DR. STAHMER: Waren Sie sich über die eminente politische Bedeutung dieser Aufgabe klar?


MARKOV: Ja, aus den Tatsachen, die in der Presse veröffentlicht worden waren.


DR. STAHMER: Bei Ihrer Vernehmung haben Sie gesagt, daß bei Ihrer Ankunft in Katyn die Gräber bereits geöffnet und [381] bestimmte Leichen zurechtgelegt waren. Wollen Sie damit sagen, daß diese Leichen gar nicht aus den Gräbern stammten?


MARKOV: Nein. Das wollte ich damit nicht sagen und will es auch jetzt nicht sagen, da es offensichtlich war, daß aus diesen Gräbern Leichen entnommen waren und außerdem noch Leichen in den Gräbern sich befanden.


DR. STAHMER: Sie hatten also, wenn ich das mal positiv feststelle, keine Anhaltspunkte dafür, daß die von der Kommission besichtigten Leichen nicht aus den Massengräbern stammten?

VORSITZENDER: Er wußte nicht, woher sie kamen, nicht wahr?


MARKOV: Offensichtlich aus den geöffneten Gräbern.


DR. STAHMER: Sie haben bereits Angaben darüber gemacht, daß über die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchungen dieser internationalen Kommission ein Protokoll aufgenommen worden ist. Sie haben, ferner angegeben, daß dieses Protokoll von Ihnen unterzeichnet worden ist.


[Zum Gerichtshof gewandt:]


Dieses Protokoll, Herr Präsident, ist enthalten, und zwar in vollem Wortlaut, in dem amtlichen Material, das von der Deutschen Regierung herausgegeben ist zu diesen Vorgängen, und ich bitte, dieses sogenannte Weißbuch als Beweismittel zuzulassen.

Ich werde es nachher dem Gericht überreichen.

VORSITZENDER: Wir werden jetzt eine Pause machen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof verfügt, daß Sie den Zeugen über den Bericht ins Kreuzverhör nehmen können. Das Protokoll wird als Beweisstück zugelassen, wenn Sie es als Beweismaterial gemäß Artikel 19 des Statuts anbieten. Das bedeutet natürlich, daß wir von dem Bericht nicht gemäß Artikel 21 des Statuts amtlich Kenntnis nehmen, sondern daß er gemäß Artikel 19 des Statuts angeboten wird. Deshalb können Sie ihn entweder durch das Mikrophon im Kreuzverhör zur Sprache bringen oder diejenigen Teile des Protokolls, auf die Sie Wert legen, übersetzen lassen.

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Ist das Protokoll von Ihnen und den anderen Sachverständigen so unterschrieben, wie es in das deutsche Weißbuch aufgenommen ist?


MARKOV: Ja, das Protokoll, das im deutschen Weißbuch veröffentlicht ist, ist das Protokoll, das ich zusammengestellt habe. Lange Zeit nach meiner Rückkehr nach Sofia wurden mir zwei Exemplare dieses Protokolls von deutscher Seite von Direktor Dietz zugeschickt. Diese Exemplare waren auf der Schreibmaschine [382] geschrieben. Sie wurden mir mit der Bitte übermittelt, falls ich es für nötig fände, Änderungen oder Zusätze zu machen. Ich habe das Protokoll aber in seiner ursprünglichen Form gelassen, und so wurde es auch gedruckt, ohne Schlußfolgerung.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Mir scheint, daß hier eine kleine Verwechslung vorliegt. Der Zeuge gibt Auskunft über sein persönliches Protokoll, während Dr. Stahmer seine Frage über das allgemeine Protokoll stellt. Auf diese Weise antwortet der Zeuge nicht auf die ihm gestellte Frage.


DR. STAHMER: Herr Vorsitzender! Ich hätte diese Sache schon ohnedies geklärt.


[Zum Zeugen, gewandt:]


Meinen Sie Ihr Obduktionsprotokoll?

MARKOV: Ich meine mein Protokoll, das ich persönlich niedergeschrieben habe und nicht das allgemeine Protokoll.

DR. STAHMER: Wie verhält es sich mit diesem allgemeinen Protokoll, wann haben Sie die Abschrift erhalten?


MARKOV: Vom allgemeinen Protokoll habe ich meine Kopie in Berlin erhalten; denn dort wurden ebenso viele Kopien unterschrieben, als Delegierte anwesend waren.


DR. STAHMER: Sie haben vorhin gesagt, es seien der Kommission russische Zeugen im Wald von Katyn zwar vorgeführt worden, es habe aber für die Sachverständigen keine Möglichkeit bestanden, diese Zeugen zur Sache zu hören.

Es findet sich nun in dem Protokoll folgender Vermerk, und ich zitiere:

»Die Kommission vernahm persönlich einige russische einheimische Zeugen, die u. a. bestätigten, daß in den Monaten März und April 1940 fast täglich größere Eisenbahntransporte mit polnischen Offizieren auf dem nahe bei Katyn gelegenen Bahnhof Gnjesdowa ausgeladen, in Gefangenen- Autos nach dem Wald von Katyn transportiert und später nie wieder gesehen wurden. Sie nahmen ferner Kenntnis von den bisherigen Befunden und Feststellungen und besichtigten die aufgefundenen Beweisstücke.«


MARKOV: Wie ich schon gesagt habe, sind an Ort und Stelle tatsächlich zwei Zeugen von Orsos vernommen worden. Sie haben tatsächlich gesagt, daß sie gesehen hätten, wie auf die Station Gnjesdowa polnische Offiziere gebracht wurden und das sie diese nachher nicht wiedergesehen hätten.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der Zeuge Gelegenheit haben sollte, den Bericht selbst zu sehen, wenn Sie ihm Teile davon vorhalten.


[383] DR. STAHMER: Jawohl.


VORSITZENDER: Haben Sie nicht noch ein anderes Exemplar davon?


DR. STAHMER: Es tut mir leid, Herr Präsident, ich habe leider keine Kopie mehr, ich...


VORSITZENDER: Kann der Zeuge deutsch lesen?


MARKOV: Nein, aber ich kann den Inhalt des Protokolls schon verstehen.


VORSITZENDER: Sie meinen, Sie können es lesen?


MARKOV: Ja, ich kann es auch lesen.


VORSITZENDER: Meinen Sie, daß der Zeuge deutsch lesen kann?


MARKOV: Ja, ich kann deutsch lesen.


DR. STAHMER: Herr Präsident! Darf ich einen Vorschlag machen?...


VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Wenn Sie nur eine Kopie haben, dann nehmen Sie sie besser wieder zurück. Es geht doch nicht, daß das Buch von einem zum anderen gereicht wird.


DR. STAHMER: Herr Vorsitzender! Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, und zwar sollte das Kreuzverhör einen Augenblick unterbrochen und der andere Zeuge hereingeführt werden, und ich lasse schnell die Sache auf der Maschine niederschreiben. Das wäre eine Lösung. Aber es sind nur einige Sätze...


VORSITZENDER: Sie können es verlesen. Nehmen Sie das Buch zurück.


DR. STAHMER: Ich lese nur kurz Sätze vor.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie haben gestern ausgesagt, Herr Zeuge, daß die Sachverständigen sich darauf beschränkt hätten, eine Leiche zu obduzieren. In dem Bericht steht nun folgendes; ich zitiere:

»Von den Mitgliedern der Kommission wurden persönlich neun Leichen obduziert und zahlreiche, besonders ausgewählte Fälle einer Leichenschau unterzogen.«

Ist das richtig?

MARKOV: Das ist richtig. Die Mitglieder der Kommission, die geprüfte Mediziner waren, haben mit Ausnahme von Professor Naville jeder eine Leiche obduziert, während Hajek zwei Leichen obduzierte.

DR. STAHMER: Hier kommt es nicht auf die Obduktion an, sondern auf die Leichenschau.


[384] MARKOV: Die Leichen wurden bloß oberflächlich besichtigt während einer schnellen Leichenschau, die wir am ersten Tag durchführten.

Dabei sind die Leichen nicht einzeln obduziert worden, sondern nur angeschaut, so, wie sie gerade nebeneinander lagen.


DR. STAHMER: Ich frage Sie nun: Was versteht man in der medizinischen Wissenschaft unter dem Begriff »Leichenschau«?


MARKOV: Wir unterscheiden zwischen einer äußerlichen Schau, bei weither die Leiche entkleidet und von außen genau untersucht werden muß, und einer inneren Untersuchung, wobei die inneren Organe der Leiche untersucht werden.

Das ist an den Hunderten von Leichen, die dort waren, nicht vorgenommen worden, weil dies auch physisch nicht möglich war. Wir waren dort nur einen Vormittag, so daß ich der Ansicht bin, daß eine gerichtsmedizinische Untersuchung dieser Leichen im eigentlichen Sinn dieses Wortes nicht vorgenommen wurde.


DR. STAHMER: Sie haben vorhin über den Baumbestand gesprochen, der sich auf diesen Massengräbern befunden hat und haben gesagt, daß ein Sachverständiger Ihnen an einem Baumstamm eine Erklärung über das Alter gegeben habe. In dem Protokoll heißt es darüber, ich zitiere:

»Nach dem eigenen Augenschein der Kommissi onsmitglieder und der Aussage des als Sachverständigen zugezogenen Forstmeisters von Herff handelt es sich um wenigstens fünfjährige, im Schatten großer Bäume schlecht entwickelte Kiefern-Pflanzen, die vor drei Jahren an diese Stelle gepflanzt wurden.«

Ich frage Sie nun: Ist es richtig, daß Sie eine örtliche Besichtigung vorgenommen und sich an Ort und Stelle davon überzeugt haben, ob die Angaben des Forstsachverständigen zutreffen?

MARKOV: Unsere persönlichen Eindrücke und meine persönliche Überzeugung in dieser Frage bezieht sich nur darauf, daß im Katyner Wald tatsächlich Lichtungen vorhanden waren, wo junge Bäume wuchsen. Es ist Tatsache, daß ein Sachverständiger, ein deutscher Forstmeister, uns den Querschnitt eines Bäumchens zeigte und uns auf die Wachstumsringe aufmerksam machte.

Ich halte mich nicht für kompetent, um die Schlußfolgerungen, die im Protokoll enthalten sind, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen. Aus diesem Grunde ist es notwendig geworden, einen Sachverständigen im Forstwesen hinzuzuziehen, weil Mediziner in dieser Frage nicht kompetent waren. Die Schlußfolgerung über das Alter der Bäume ist daher ausschließlich die Feststellung eines deutschen Sachverständigen auf diesem Gebiete.

[385] DR. STAHMER: Aber hatten Sie nach dem örtlichen Augenschein Zweifel, ob diese Angaben richtig sind?


MARKOV: Nachdem der deutsche Sachverständige seine Schlußfolgerungen bekanntgegeben hatte, hat bei der Zusammenkunft der Delegierten niemand, weder ich noch ein anderer Delegierter, sich zu der Frage geäußert, ob die Schlußfolgerungen des Forstmeisters richtig seien oder nicht. Sie wurden in das Protokoll in der Form aufgenommen, in der der Forstmeister seine Angaben gemacht hat.


DR. STAHMER: Nach Ihrem Obduktionsprotokoll war die Leiche des von Ihnen obduzierten polnischen Offiziers bekleidet. Sie haben auch die Bekleidung im einzelnen beschrieben. Handelte es sich um eine Sommer- oder um eine Winterkleidung?


MARKOV: Es war eine Winterkleidung, Wintermantel und ein Wollschal um den Hals.


DR. STAHMER: In dem Protokoll heißt es ferner, und ich zitiere:

»Ferner fanden sich polnische Zigaretten und Streichholzschachteln bei den Toten. In einigen Fällen auch Tabakdosen und Zigarettenspitzen mit der Gravierung ›Kosielsk‹.«

Ich frage Sie nun: Haben Sie diese Gegenstände gesehen?

MARKOV: Solche Tabaksdosen mit der Gravierung »Kosielsk« haben wir tatsächlich gesehen. Sie befanden sich in einer Vitrine. die uns in dem Landhaus, nicht weit vom Katyner Wald, gezeigt worden waren. Ich erinnere mich deshalb, weil Butz tatsächlich unsere Aufmerksamkeit auf sie lenkte.

DR. STAHMER: In Ihrem Obduktionsprotokoll, Herr Zeuge, findet sich folgender Vermerk, und ich zitiere:

»In den Kleidern findet man Dokumente. Sie wurden im Umschlag Nr. 827 aufbewahrt.«

Ich frage Sie nun: Wie haben Sie diese Dokumente entdeckt? Haben Sie sie selbst aus der Tasche entnommen?

MARKOV: Diese Papiere befanden sich in den Taschen des Mantels und des Uniformrockes. Soviel ich mich erinnere, waren sie von einem deutschen Helfer aus der Tasche entfernt worden, der die Leiche vor meinen Augen entkleidete.

DR. STAHMER: Waren die Dokumente damals schon in diesem Umschlage?


MARKOV: Sie waren damals noch nicht in dem Umschlag; aber, nachdem sie aus den Taschen genommen wurden, wurden sie in einen Umschlag getan, der die Nummer der Leiche bekam. Uns wurde erklärt, daß das die übliche Art des Verfahrens wäre.


DR. STAHMER: Um welche Dokumente handelte es sich?


[386] MARKOV: Ich habe diese Dokumente, wie ich bereits gesagt habe, nicht untersucht und habe mich geweigert, sie zu untersuchen. Aber nach ihrem Format waren es Ausweispapiere. Man sah einzelne Buchstaben, ob man aber das Geschriebene lesen konnte, kann ich nicht sagen, da ich gar nicht den Versuch gemacht habe, diese Papiere zu entziffern.


DR. STAHMER: In dem Protokoll findet sich folgende Angabe, ich zitiere:

»Die bei den Leichen vorgefundenen Dokumente (Tagebücher, Briefschaften, Zeitungen) stammen aus der Zeit vom Herbst 1939 bis März und April 1940. Das letzte bisher festgestellte Datum ist das einer russischen Zeitung vom 22. April 1940.«

Ich frage Sie nun:

Ist diese Angabe richtig? Entspricht sie Ihren Feststellungen?

MARKOV: Solche Briefe und Zeitungen waren tatsächlich in den Vitrinen vorhanden und wurden uns gezeigt. Einige solcher Papiere wurden von den Kommissionsmitgliedern, die die Leichen obduzierten, gefunden; und, wenn ich mich richtig entsinne, haben diese Kommissionsmitglieder ihren Inhalt im Gegensatz zu meinen Feststellungen beschrieben; ich habe das nicht getan.

DR. STAHMER: Sie haben vorhin bei Ihrer Vernehmung angegeben, es seien nur wenig wissenschaftliche Angaben in dem Protokoll enthalten und man habe wohl absichtlich sich solcher Angaben enthalten. Ich zitiere jetzt aus dem Protokoll folgendes:

»Es finden sich verschiedene Grade und Formen der Verwesung, die durch die Lagerung der Leichen innerhalb der Grube und zueinander bedingt sind. Neben der Mumifizierung an der Oberfläche und an den Rändern der Leichenmasse, findet sich feuchte Maceration in den mittleren Teilen der Leichenmasse. Die Verklebung und Verlötung der benachbarten Leichen durch eingedickte Leichensäfte, insbesondere die durch die Pressung bedingten korrespondierenden Deformationen weisen entschieden auf primäre Lagerung hin.

Es fehlen gänzlich an den Leichen Insekten und Insektenreste, die aus der Zeit der Einscharrung stammen könnten. Hieraus ergibt sich, daß die Erschießungen und die Einscharrungen in einer kalten, insektenfreien Jahreszeit geschehen sein müssen.«

Ich frage Sie nun: Sind diese Angaben richtig? Entsprechen sie Ihren Wahrnehmungen?

MARKOV: Ich habe gesagt, daß in diesem Protokoll wenig über den Zustand der Leichen gesagt worden ist. Tatsächlich, wie dies aus dem Zitat ersichtlich ist, das ich im Sinne hatte, handelt es [387] sich nur um allgemeine Sätze über die verschiedenen Verwesungsstadien der Leichen. Eine konkrete und genaue Beschreibung des Zustandes der Leichen ist nicht gegeben.

Was die Frage der Insekten und ihrer Larven anbetrifft, so steht die Behauptung des kollektiven Protokolls, daß solche an den Leichen nicht gefunden wurden, im absoluten Widerspruch zu den Feststellungen des Professors Palmieri, die in seinem Protokoll über die Sektion der Leiche, die er selbst durchgeführt hat, niedergeschrieben sind. In diesem Protokoll, das in demselben deutschen Weißbuch veröffentlicht worden ist, steht im Gegenteil, daß Reste von Insekten und ihren Larven im Mund der Leichen gefunden worden sind.


DR. STAHMER: Sie haben vorhin gesprochen von den wissenschaftlichen Untersuchungen an Schädeln, die Professor Orsos vorgenommen hat. Darüber findet sich in dem Protokoll folgendes, ich zitiere:

»Eine größere Reihe von Schädeln wurde auf Veränderungen hin untersucht, die nach Erfahrungen von Professor Orsos zur Bestimmung der Zeit des Todes von großer Wichtigkeit sind. Es handelt sich hierbei um eine kalktuffartige, mehrschichtige Inkrustration an der Oberfläche des schon lehmartig homogenisierten Gehirnbreies. Solche Erscheinungen sind bei Leichen, welche weniger als 3 Jahre im Grabe gelegen haben, nicht zu beobachten. Ein derartiger Zustand fand sich unter anderem in einer sehr ausgeprägten Form im Schädel der Leiche Nr. 526, die an der Oberfläche eines großen Massengrabes geborgen wurde.«

Ich frage Sie nun: Ist es richtig, daß nicht nur, wie es hier steht, in dem Schädel einer Leiche, sondern auch an anderen Leichen nach dem Vortrag von Professor Orsos ein derartiger Zustand festgestellt ist?

MARKOV: Auf diese Frage antworte ich kategorisch, daß uns nur ein einziger Schädel gezeigt worden ist, und zwar der Schädel, von dem im Protokoll die Rede ist, Schädel Nummer 526. Mir ist nicht bekannt, daß Untersuchungen an mehreren Schädeln vorgenommen wurden, wie es aus dem Protokoll hervorzugehen scheint. Ich bin der Ansicht, daß Professor Orsos keine Möglichkeit hatte, dies zu tun, das heißt, viele Leichen im Katyner Wald zu untersuchen, da er zusammen mit uns angekommen ist und Katyn auch zusammen mit uns verließ. Demzufolge war er im Katyner Wald genau so lange wie ich und alle anderen Kommissionsmitglieder.

DR. STAHMER: Ich zitiere schließlich aus dem zusammenfassenden Gutachten den Schluß, in dem es heißt:

»Aus den Zeugenaussagen, den bei den Leichen aufgefundenen Briefschaften, Tagebüchern, Zeitungen und so weiter [388] ergibt sich, daß die Erschie ßungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben. Hiermit stehen in völliger Übereinstimmung die im Protokoll geschilderten Befunde an den Massengräbern und den einzelnen Leichen der polnischen Offiziere.«

Ich frage Sie nun: Ist diese tatsächliche Feststellung richtig?

VORSITZENDER: Ich habe diese Feststellung nicht ganz verstanden. Als Sie sie verlasen, da klang es wie: »Aus den Zeugenaussagen, Briefen und so weiter...«

DR. STAHMER: »Hiermit stehen in vollständiger Übereinstimmung die im Protokoll geschilderten Befunde an den Massengräbern und den einzelnen Leichen der polnischen Offiziere.«

Das ist der Schluß des Protokolls.


VORSITZENDER: Es heißt nicht, daß die nachfolgenden Personen alle damit übereingestimmt haben, sondern daß die folgenden Tatsachen völlig übereinstimmen. Ist das richtig?


DR. STAHMER: Nein, deshalb meine Frage: »Wird diese Feststellung von Ihnen gebilligt?«


VORSITZENDER: Ja, ich weiß, aber Sie haben die folgenden Worte verlesen: »Die Folgenden stimmen völlig überein...« Ich möchte wissen, ob das heißt, daß die folgenden Personen völlig übereinstimmen oder ob die folgenden Tatsachen völlig übereinstimmen.


DR. STAHMER: Es sind hier bestimmte Tatsachen festgestellt, ein zusammenfassendes Gutachten, das von sämtlichen Mitgliedern der Kommission unterzeichnet ist. Es handelt sich also um eine wissenschaftliche Begründung mit der tatsächlichen Feststellung.


VORSITZENDER: Bitte hören Sie zu, was ich Ihnen aus meinen Notizen vorlese: »Aus den Zeugenaussagen, aus Briefen und anderen Dokumenten ergibt sich, daß die Erschießungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben. Die Folgenden sind in völliger Übereinstimmung.«

Was ich Sie frage ist...


[Dr. Stahmer versucht zu unterbrechen.]


Einen Augenblick noch, Dr. Stahmer, hören Sie mir zu. Ich frage Sie: Bedeutet diese Erklärung, daß die folgenden Personen völlig übereinstimmen oder daß die folgenden Tatsachen völlig übereinstimmen?

DR. STAHMER: Nein, nein. Die folgenden Leute erklären, daß diese Tatsachen, nämlich, daß die Erschießungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben, in Übereinstimmung stehen mit den Feststellungen, die sie getroffen haben, und zwar aus dem Befund der Massengräber und aus dem Befund an den einzelnen [389] Leichen. Das bedeutet das; es ist der Schluß. Also die tatsächliche Feststellung, die hier getroffen worden ist, steht in Übereinstimmung mit dem, was wir hier wissenschaftlich festgestellt haben. Das soll es bedeuten.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.


DR. STAHMER: Entspricht diese Schlußfeststellung Ihrer wissenschaftlichen Überzeugung?


MARKOV: Ich habe schon gesagt, daß diese Behauptung über den Zustand der Leichen sich auf das Datum stützt, das aus den Zeugenaussagen und den vorhandenen Dokumenten hervorgeht, jedoch in Widerspruch zu dem steht, was ich an den Leichen beobachtete, die ich obduzierte. Das heißt, ich war der Ansicht, daß die Befunde, die sich bei der Leichenobduktion ergaben, tatsächlich das Datum, das aus den Zeugenaussagen oder den Dokumenten über den vermutlichen Todeseintritt hervorgeht, nicht bestätigten.

Wenn ich der Überzeugung gewesen wäre, daß der Zustand der Leichen dem Zeitpunkt des Todeseintritts, der von den Deutschen angegeben worden war, entspricht, so hätte ich meine Schlußfolgerung damals auch in mein persönliches Protokoll aufgenommen. Ich habe immer Zweifel gehabt, nachdem ich das unterschriebene Protokoll in Händen hatte, ob gerade dieser letzte Satz in der Schlußfolgerung, unmittelbar vor der Unterzeichnung, in dem Protokollentwurf gestanden hat, den wir bei der Besprechung in Smolensk vorliegen hatten. Soviel ich verstehen konnte, wurde in dem Protokollentwurf, der in Smolensk ausgearbeitet wurde, nur behauptet, daß uns tatsächlich Papiere vorgelegt und Zeugen verhört worden sind und daß sich daraus ergäbe, daß die Morde anscheinend im März und April 1940 stattgefunden haben. Ich war der Ansicht, daß gerade der Umstand, daß diese Schlußfolgerung sich nicht aus den medizinischen Befunden ergibt und von den medizinischen Befunden und Untersuchungen nicht vollständig gedeckt wird, der Grund dafür war, daß die Unterzeichnung des Protokolls verzögert wurde und daß die Unterschrift nicht in Smolensk erfolgte.


DR. STAHMER: Herr Zeuge! Sie haben bei Beginn meines Verhörs erklärt, daß Sie sich über die politische Bedeutung, die Ihre Tätigkeit hatte, klar gewesen sind. Weshalb haben Sie es dann unterlassen, Widerspruch zu erheben gegen diesen Vermerk, der nach Ihrer Auffassung Ihrer wissenschaftlichen Überzeugung nicht entsprach?


MARKOV: Ich habe schon gesagt, daß ich das Protokoll in der Überzeugung unterschrieben habe, daß die Umstände auf diesem isolierten Flugplatz mir keine andere Möglichkeit ließen und ich daher keinen Widerspruch erheben konnte.


[390] DR. STAHMER: Weshalb haben Sie es später unterlassen, noch irgendwelche Schritte zu unternehmen?


MARKOV: Mein Benehmen nach der Unterzeichnung des Protokolls entspricht vollständig dem, was ich hier darüber ausgesagt habe, daß ich tatsächlich von der Richtigkeit der deutschen These nicht überzeugt war. Ich bin wiederholt aufgefordert worden, von Dr. Dietz in Berlin, von der Deutschen Gesandtschaft in Sofia, von dem bulgarischen Auswärtigen Amt in Bulgarien, öffentlich im Rundfunk und in den Zeitungen zu sagen, was bei unserer Untersuchung festgestellt worden ist. Ich habe das aber nicht getan und habe es jedesmal abgelehnt, weil ich unter den damaligen politischen Umständen in unserem Lande nicht öffentlich hervortreten und erklären konnte, daß die deutsche These unrichtig sei. Wegen dieser Frage gab es zwischen mir und der Deutschen Gesandtschaft in Sofia scharfe Unterhaltungen. Als es einige Monate später für nötig gehalten wurde, erneut einen bulgarischen Vertreter zu entsenden, um in einer ähnlichen Kommission zu fungieren – und zwar handelte es sich um Leichenuntersuchungen in Winniza in der Ukraine –, wurde deutscherseits wörtlich erklärt, und zwar war es der Deutsche Gesandte Beckerle persönlich, der sich an das bulgarische Außenamt wandte, daß die Deutschen nicht wünschten, daß ich als Delegierter nach Winniza entsendet würde. Dies zeigt, daß auch von deutscher Seite meine Stellungnahme und mein Benehmen in dieser Frage sehr wohl verstanden worden war.

In unserem Ministerium des Auswärtigen hat der bevollmächtigte Minister Saratov verschiedene noch erhaltene Stenogramme über Unterhaltungen zu dieser Frage zur Verfügung. Falls der Gerichtshof diese Dokumente zu sehen wünscht, können sie aus Bulgarien angefordert werden.

Infolgedessen entspricht meine Absage, nach der Unterzeichnung des Protokolls noch andere Aufgaben für propagandistische Zwecke durchzuführen, vollkommen dem, was ich gesagt habe, nämlich, daß die Schlußfolgerung im Gesamtprotokoll meiner Überzeugung nicht entspricht. Ich will es hier nochmals wiederholen: Wenn es meine Überzeugung gewesen wäre, daß die Leichen drei Jahre in der Erde gewesen seien, so hätte ich bereits nach der Obduktion einer Leiche diese meine Meinung niedergelegt und hatte nicht das Protokoll unvollständig gelassen, was für eine gerichtsmedizinische Obduktion absolut ungewöhnlich ist.

DR. STAHMER: Das Protokoll ist ja nicht von Ihnen allein unterzeichnet, sondern trägt die Unterschrift von elf Wissenschaftlern, deren Namen Sie wohl gestern schon bezeichnet haben, zum Teil von Weltruf. Es befindet sich darunter ein Neutraler, Professor Naville.

[391] Haben Sie Gelegenheit genommen, sich in der Zwischenzeit mit einem dieser Sachverständigen in Verbindung zu setzen, um eine Richtigstellung des Protokolls zu veranlassen?


MARKOV: Von welchem Gesichtspunkt aus das Protokoll von den anderen Delegierten unterschrieben wurde, kann ich wirklich nicht sagen. Sie haben aber ihre Unterschriften unter denselben Umständen abgegeben wie auch ich.

Wenn ich nun die einzelnen Niederschriften lese, so stelle ich indirekt fest, daß auch sie sich enthalten haben, ein Datum anzugeben, wann der Mensch getötet wurde, dessen Leiche sie obduziert haben. Wie ich bereits gesagt habe, machte darin nur ein einziger eine Ausnahme, und das war Professor Miroslawitsch. Er war der einzige, der behauptete, daß die Leiche, die er obduziert hat, drei Jahre in der Erde gelegen habe.

Nach Unterzeichnung des Protokolls hatte ich keinerlei Verbindung mit irgendeiner dieser Personen, die dieses Gesamtprotokoll unterschrieben hatten.


DR. STAHMER: Herr Zeuge! Sie haben zwei Darstellungen gegeben, eine in dem Protokoll, das wir durchgesprochen haben, eine andere hier vor dem Gericht. Welche ist nun die richtige?


MARKOV: Mir ist nicht klar, um welche zwei Darstellungen es sich hier handelt. Ich bitte Sie, die Frage genauer zu stellen.


DR. STAHMER: In dem Protokoll steht, daß nach dem Befund, den Sie damals festgestellt haben, die Erschießung drei Jahre zurückliegt, während Sie heute bekundet haben, daß diese Feststellung unrichtig sei und zwischen der Erschießung und Ihrer Tätigkeit nur ein Zeitraum von etwa anderthalb Jahren liegt.


MARKOV: Ich habe gesagt, daß die Schlußfolgerung des Gesamtprotokolls meiner Überzeugung nicht entspricht.


DR. STAHMER: Entsprach oder entspricht?


MARKOV: Sie entsprach nicht meiner Überzeugung zu der Zeit als die Untersuchungen durchgeführt wurden, und sie entspricht ihr auch heute nicht.


DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.


VORSITZENDER: Herr Zeuge! Wurden einige Leichen, die von den Mitgliedern dieser Kommission untersucht wurden, in Ihrem Beisein exhumiert?


MARKOV: Die Leichen, die wir sezierten, befanden sich in der obersten Schicht der Gräber, die bereits geöffnet waren. Sie wurden herausgenommen, damit wir sie obduzieren konnten.


[392] VORSITZENDER: Deutete Ihrer Meinung nach irgend etwas darauf hin, daß die Leichen nicht in diesen Gräbern beerdigt waren?


MARKOV: Was die Spuren und die Lage der Leichname in den Gräbern betrifft, so klebten sie so zusammen, daß, falls sie überführt worden sind, dies nicht kurz vorher geschehen sein konnte. Dies konnte nicht unmittelbar vor unserer Ankunft geschehen sein.


VORSITZENDER: Sie glauben also, daß die Leichname in diesen Gräbern beerdigt waren?


MARKOV: Ich kann nicht sagen, ob sie in diese Gräber sofort nach Todeseintritt gelegt wurden, weil ich keine Beweise habe, dies zu bestätigen, aber sie sahen nicht aus, als wenn sie erst kürzlich dorthin gebracht worden wären.


VORSITZENDER: Ist es nach Ihrer Meinung als Sachverständiger möglich, das Datum auf März oder April oder überhaupt auf eine so enge Zeitspanne festzulegen, wenn dies drei Jahre vor der von Ihnen durchgeführten Untersuchung liegt?


MARKOV: Ich glaube, wenn man sich ausschließlich auf die gerichtsmedizinischen Anhaltspunkte stützt, das heißt auf den Zustand der Leichen, so ist es, wenn es sich um Jahre handelt, unmöglich, das Datum mit derartiger Genauigkeit festzustellen, daß diese Tötungen im März oder im April begangen wurden, das heißt auf den Monat genau. Deshalb gründeten sich die Monate März und April ganz offenbar nicht auf medizinische Unterlagen – das wäre unmöglich gewesen – sondern auf Zeugenaussagen und auf Dokumente, die entdeckt worden waren.


VORSITZENDER: Sie sagten, daß, als Sie nach Sofia zurückkamen, Ihnen das Protokoll zur Vornahme von Bemerkungen und Korrekturen zugesandt wurde und daß Sie solche nicht vornahmen. Warum geschah das?


MARKOV: Es handelt sich hier um mein persönliches Protokoll, das ich zusammengestellt hatte. Ich habe die Schlußfolgerungen nicht hinzugefügt, weil es mir von den Deutschen zugesandt wurde und weil die politische Lage in unserem Lande überhaupt so war, daß ich nicht öffentlich erklären konnte, daß die deutsche Auffassung nicht der Wahrheit entsprach.

VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß Ihnen nur Ihr persönliches Protokoll nach Sofia gesandt wurde?


MARKOV: Ja, nur mein persönliches Protokoll wurde mir nach Sofia gesandt. Das Kollektivprotokoll habe ich selbst nach Sofia mitgebracht und unserem Außenminister übergeben.


VORSITZENDER: Ist Ihr persönliches Protokoll mit den gleichen Worten, so wie Sie es abgefaßt haben, in das Gesamtprotokoll aufgenommen und von allen Delegierten unterzeichnet worden?


[393] MARKOV: In meinem persönlichen Protokoll befindet sich nur eine Beschreibung der Leiche selbst und ihrer Bekleidung.


VORSITZENDER: Das habe ich nicht gefragt.


MARKOV: Im Kollektivprotokoll ist nur eine rohe Beschreibung über die Bekleidung der Leichen und den Grad der Verwesung enthalten.


VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß Ihr persönliches Protokoll...


MARKOV: Die persönlichen Protokolle sind in Bezug auf den Zustand der Leichen genauer, und zwar deshalb, weil sie während der Obduktion an Ort und Stelle diktiert wurden.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte meiner Frage zuhören:

Ist Ihr persönliches Protokoll mit den gleichen Worten, wie Sie es abgefaßt haben, in das Kollektivprotokoll aufgenommen, also im gleichen Wortlaut?


MARKOV: Mein persönliches Protokoll ist in dem Kollektivprotokoll nicht enthalten, aber es steht in dem Weißbuch, das die Deutschen gemeinsam mit dem Kollektivprotokoll veröffentlicht haben.


VORSITZENDER: Es ist also in dem Bericht enthalten, in dem Weißbuch?


MARKOV: Ganz richtig, es ist in dem Weißbuch.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


Oberst Smirnow! Haben Sie noch einen anderen Zeugen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich bitte, den Zeugen Viktor Iljitsch Prosorowsky, Professor für gerichtliche Medizin, rufen zu dürfen.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

PROFESSOR VIKTOR ILJITSCH PROSOROWSKY: Viktor Iljitsch Prosorowsky.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgende Eidesformel nach: »Ich, Bürger der UdSSR, in diesem Prozeß als Zeuge gerufen, verspreche feierlich vor diesem Hohen Gericht, alles zu sagen, was ich über diesen Fall weiß, nichts hinzuzufügen und nichts zu verschweigen.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Zeuge! Bevor ich Sie frage, bitte ich Sie, folgendes zu beachten: Bitte lassen Sie nach meiner [394] Frage eine Pause eintreten, damit die Dolmetscher übersetzen können, und sprechen Sie so langsam wie möglich.

Ich bitte Sie, dem Gerichtshof so kurz wie möglich einige Informationen über Ihre wissenschaftliche Tätigkeit und Ihre Tätigkeit als Gerichtsmediziner zu geben.

PROSOROWSKY: Ich bin Arzt von Beruf, Professor der Gerichtsmedizin und Doktor der medizinischen Wissenschaften. Ich bin medizinischer Hauptsachverständiger des Ministeriums für öffentliches Gesundheitswesen der Sowjetunion und Direktor des wissenschaftlichen Forschungsinstitutes für Gerichtsmedizin beim Ministerium für öffentliches Gesundheitswesen der USSR. Meine Tätigkeit ist in der Hauptsache wissenschaftlicher Natur. Ich bin Präsident der gerichtsmedizinischen Kommission des medizinischen Rates im Ministerium für öffentliches Gesundheitswesen der USSR.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Welche Dienstzeit haben Sie als gerichtsmedizinischer Sachverständiger?


PROSOROWSKY: Ich habe 17 Jahre lang auf diesem Gebiet gearbeitet.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Inwiefern waren Sie an den Untersuchungen der von den hitleristischen Verbrechern verübten Massenmorde an den polnischen Offizieren im Walde von Katyn beteiligt?


PROSOROWSKY: Der Vorsitzende der Sonderkommission zur Untersuchung und Feststellung der Umstände bei der Erschießung der polnischen Offiziere durch die deutsch-faschistischen Angreifer, Akademiker Nikolai Iljitsch Burdenko, hat mir Anfang Januar 1944 den Vorsitz in der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission angeboten. Außer dieser organisatorischen Tätigkeit habe ich persönlich an der Exhumierung und Untersuchung dieser Leichen teilgenommen.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Vielleicht wäre dies ein günstiger Zeitpunkt für die Pause?


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 17, S. 371-396.
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