Vormittagssitzung.

[342] [Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]


PROF. DR. EXNER: Herr Generaloberst! Wir haben gestern angefangen, von den Kriegsverbrechen zu sprechen, und ich möchte zuvor noch einige Vorfragen behandeln. Welche Stellung und welche Aufgaben hatten Sie in der Zeit des Krieges?

JODL: Ich hatte die gesamte Generalstabsarbeit zu leisten für die strategische operative Kriegführung. Mir war daneben die militärische Propagandaabteilung unterstellt, der die Zusammenarbeit mit der Presse oblag, und ich hatte als Drittes eine Dienststelle, die, im großen gesprochen, die Nachrichtenmittel auf die einzelnen Wehrmachtsteile zu verteilen hatte. Dieses ganze Aufgabengebiet füllte mich derart aus, daß eine Durcharbeit Nacht für Nacht bis 3.00 Uhr morgens die Regel war. Mich um andere Dinge noch zu kümmern, blieb gar keine Zeit. Ich mußte schon die Zusammenarbeit mit der Presse, die ja täglich informiert werden mußte, fast ausschließlich meinem persönlichen Generalstabsoffizier überlassen.

PROF. DR. EXNER: Diese Aufgaben, von denen Sie eben gesprochen haben, waren alle Aufgaben Ihres Amtes, und das war, nicht wahr, der Wehrmachtführungsstab, dessen Chef Sie waren?


JODL: Dessen Chef ich war.


PROF. DR. EXNER: Und eine Abteilung des Führungsstabes, die erste und wichtigste, war die operative?


JODL: Die operative.


PROF. DR. EXNER: Und das war Ihr Hauptaufgabenkreis. Die Anklage nennt Sie Stabschef des Feldmarschalls Keitel. Was sagen Sie dazu?


JODL: Das ist nicht richtig und ist ja schon durch die Gliederung dargelegt worden, die im Falle des Feldmarschalls Keitel hier vorgelegt wurde. Das ist ein großer Unterschied. Als Stabschef wäre ich ein Gehilfe des Feldmarschalls Keitel gewesen für dessen sämtliche Obliegenheiten. Ich war aber nur der Chef einer der vielen Dienststellen, die dem Feldmarschall Keitel unterstanden.

Es hat sich nun seit dem Jahre 1941 der Brauch herausgebildet, daß ich mit meiner Operationsabteilung dem Führer unmittelbar die gesamten operativen Dinge vortrug, während der Feldmarschall Keitel unter Benützung meiner Quartiermeisterabteilung – also [342] eine Art persönlicher Arbeitsstab – alle übrigen Aufgaben übernahm.


PROF. DR. EXNER: Hatten Sie als Chef des Wehrmachtführungsstabes eine Befehlgewalt?


JODL: Nein, oder besser gesagt, nur über meine Arbeitsstäbe. Ich unterstand dem Feldmarschall Keitel, und auch dieser war nicht Befehlshaber, sondern nur Chef eines Stabes. Aber selbstverständlich habe ich in diesem Kriege viele operative Einzelheiten selbst entschieden und selbst unterschrieben. Es gab darüber niemals den geringsten Konflikt mit den Oberbefehlshabern, weil ich ihr Vertrauen besaß und im allerbesten Einvernehmen mit ihnen arbeitete.


PROF. DR. EXNER: Nun ist es für den Außenstehenden nicht ganz einfach zu verstehen, daß, obwohl Sie keine Befehlsgewalt haben, doch, weiß Gott wie viele Befehle hier vorliegen, die von Ihnen unterschrieben sind, und zwar in verschiedener Weise unterschrieben, teils mit Ihrem ganzen Namen, teils mit einem »J«, dem Anfangsbuchstaben Ihres Namens. Bitte, erklären Sie uns diese Verschiedenheit.


JODL: Man muß unterscheiden: Die Befehle, die der Führer selbst unterschrieben hat; waren sie operativer Art, dann findet sich bei diesen Befehlen am Schluß unten rechts mein Anfangsbuchstabe, das heißt, daß ich an der Formulierung dieses Befehls mindestens mitgearbeitet habe. Dann gab es Befehle, die stammten ebenfalls vom Führer, aber sie waren vom Führer nicht selbst unterschrieben, sondern »im Auftrage Jodl«. Dann hatten sie aber stets zu Beginn den Satz: »Der Führer hat befohlen«, oder der Satz kam im Verlaufe des Befehls vor, es ging ihm eine Präambel voraus, meist eine Begründung, und dann hieß es: »Der Führer hat daher befohlen«.


PROF. DR. EXNER: Und welcher Unterschied besteht jetzt zwischen den zwei Gruppen? Warum waren die einen vom Führer unterschrieben, die anderen nicht unterschrieben, sondern nur von Ihnen?


JODL: Der Unterschied ist lediglich der, daß diese von mir unterschriebenen Befehle von geringerer Wichtigkeit waren.


PROF. DR. EXNER: Nun gibt es aber auch Befehle, welche nicht anfangen mit »Der Führer hat befohlen« und doch von Ihnen unterzeichnet sind. Was ist mit diesen?


JODL: Bei diesen Befehlen lautet die Unterschrift in der Regel: »Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, im Auftrage Jodl.« Das sind Befehle, die gehen von mir aus, daß heißt, ich habe sie formuliert, oder mein Stab hat sie formuliert. Der Führer selbst[343] und Feldmarschall Keitel waren vielleicht darüber unterrichtet, aber nicht immer. Und dann gibt es noch Befehle, da findet man auf der ersten Seite oben rechts meine Paraphe, das sind Befehle von anderen Stellen; mein »J« auf der ersten Seite das bedeutet ausschließlich einen Bürovermerk, daß diese Befehle mir vorgelegen haben. Ein Beweis, daß ich sie gelesen habe, ist das nicht; denn wenn ich beim Überfliegen der ersten Seite gesehen habe, daß es sich um eine Angelegenheit handelt, die meine Arbeit nichts angeht, habe ich den Befehl abgezeichnet und beiseitegelegt, denn ich mußte Zeit sparen.


PROF. DR. EXNER: Nun gibt es noch eine große Gruppe von Dokumenten, die Ihnen teilweise zum schweren Vorwurf gemacht werden, welche nicht Befehle sind, sondern Vortragsnotizen. Erklären Sie, was nun das bedeutet?


JODL: Die Vortragsnotiz war eine Einführung in Höheren Stäben, bestimmt für Menschen, die nicht die Zeit haben Riesenakte zu studieren. Eine Vortragsnotiz enthielt deshalb in ganz kurzer komprimierter Form die Schilderung irgendeines Vorganges, oft die Stellungnahme anderer Dienststellen, manchmal auch einen Vorschlag; aber, was das Entscheidende ist, es war kein Befehl, es war kein Befehlsentwurf, sondern es bildete die Unterlage für einen Befehl.

PROF. DR. EXNER: Vielleicht wird es am besten klar, wenn Sie dem Gericht an Hand des gestern besprochenen Vortragsentwurfs bezüglich der Kommissare dies erklären. Das ist 884-PS, Exhibit USSR-351, gestern schon besprochen, zweiter Band meines Dokumentenbuches, Seite 152.

Bevor Sie anfangen, möchte ich das Gericht auf einen Übersetzungsfehler aufmerksam machen: Da heißt es auf Seite 152 unter I:

»OKH hat einen Entwurf für ›Richtlinien betreffend Behandlung politischer Hoheitsträger und so weiter‹« – betreffend Kommissare – »vorgelegt.«

In der englischen Übersetzung heißt es:

»Army High Command presents a statement.« Es ist ein Entwurf.

Und im Französischen – das ist mir gar nicht recht verständlich – heißt es:

»Confirmation des instructions«. Es müßte offenbar heißen: »Projet«.

Das deutsche Original lautet jedenfalls:

»OKH hat einen Entwurf für Richtlinien betreffend Behandlung politischer Hoheitsträger und so weiter für die [344] einheitliche Durchführung des bereits am 31. 3. 1941 erteilten Auftrages vorgelegt....«

Das sind die Kommissare. Das Ganze ist eine Vortragsnotiz, und bitte erklären Sie jetzt, was das bedeutet?

JODL: Dieses Dokument ist ein typisches Beispiel. Zuerst enthält es den Entwurf einer anderen Dienststelle des OKH, aber auch nicht im Wortlaut, sondern nur in einer kurzen, komprimierten Form. Dann zweitens enthält es unter dem Abschnitt II auf Seite 153 die Auffassung einer anderen Dienststelle, nämlich des Reichsleiters Rosenberg. Dann enthält es einen Vorschlag meines Stabes selbst unter III.

Das Ganze ist also noch lange kein Befehl, sondern es soll ein solcher werden; und auf eine solche Vortragsnotiz habe ich natürlich unzählige von kurzen, ich möchte sagen, saloppen Randbemerkungen gemacht als Stichwort für die weitere Behandlung und Besprechung oder Erledigung dieses ganzen Vorganges. Das kann man also nicht mit denselben Maßen messen, wie die wohlüberlegten Worte, die dann in einem endgültigen Befehl kommen.


PROF. DR. EXNER: Soviel also über die Vortragsnotiz und Ihre Bemerkungen da.

Nun gehen wir über zu dem höchst heiklen Kapitel des Kommandobefehls. Er hat das Gericht schon mehrfach beschäftigt, und er geht ja über die Bedeutung und über die Wirkung dieses Verhandlungssaales noch hinaus, wie wir aus der Zeitung wissen.

Ich möchte von Ihnen etwas über die Vorgeschichte hören. Der Befehl ist 498-PS, US-501. Ich habe ihn nicht in meinem Dokumentenbuch, habe aber Herrn Generalsekretär gebeten, ihn dem Gericht in den verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, daß das geschehen ist. Zu diesem Befehl kommt noch ein Erläuterungsbefehl, beide vom Führer unterschrieben. Das ist 503-PS, Exhibit US-542.


MR. ROBERTS: Es ist 498-PS. Es ist im Dokumentenbuch von Keitel und Jodl Nummer 7, Seite 64.


PROF. DR. EXNER: Der erste Befehl ist an die Truppe gerichtet; der zweite ist eine Erläuterung, an die Befehlshaber gerichtet. Der erste Befehl bedroht feindliche Soldaten bei banditenhafter Kampfführung mit der Vernichtung und beruft sich dabei auf den Wehrmachtsbericht. Bitte sagen Sie zunächst, in welchem Zusammenhang steht der Kommandobefehl mit dem Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942?


JODL: Ich bitte das Gericht, daß ich in diesem Ausnahmefall etwas ausführlicher werden darf. Es dreht sich bei diesem Befehl um sehr viel, nicht um mich; meine Person spielt in diesem Prozeß gar keine Rolle. Es dreht sich um die Ehre der deutschen Soldaten [345] und der deutschen Offiziere, die ich hier auch in meiner Person vertrete.

Der Kommandobefehl ist mit dem Zusatz im Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 untrennbar verbunden, denn es ist der Ausführungsbefehl zu dieser Ankündigung im Wehrmachtsbericht.

PROF. DR. EXNER: Von wem stammten diese Ankündigungen im Wehrmachtsbericht? Wer hat sie verfaßt?


JODL: Dieser Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 – das heißt, es ist ein Zusatz zum Wehrmachtsbericht – stammte im Hauptteil von mir. Er beschäftigt sich mit der Widerlegung einer Mitteilung des englischen Kriegsministeriums, auf die ich nicht näher eingehen will, denn es ist ein sehr heikler Punkt. Die Anklagebehörde besonders wünscht ihn nicht aufzugreifen.


PROF. DR. EXNER: Nun der Zusatz aber...


VORSITZENDER: Dr. Exner! Wir wissen nicht, zumindest ich habe das Dokument vom 7. Oktober 1942 nicht gesehen. Die Anklagevertretung hat, soviel wir wissen, keine Einwendung gegen irgendeine Antwort auf ein englisches Dokument erhoben.


PROF. DR. EXNER: Ja, ich wollte dieses Dokument vorlegen; es wurden aber Objections gemacht.


VORSITZENDER: Was meint der Angeklagte, wenn er sagt, die Anklagevertretung wünscht nicht, daß er das vorbringt oder darauf antwortet?


PROF. DR. EXNER: Ja, das bedeutet wahrscheinlich, daß wir eben diesen Wehrmachtsbericht nicht vorlegen durften. Aber er kann ja kurz den Inhalt sagen.


VORSITZENDER: Nun, es mag eine Frage der Übersetzung sein. Wenn er aber nur meint, daß von der Anklagebehörde kein Beweismaterial zu diesem Gegenstand vorgelegt wurde, so ist nichts dagegen einzuwenden, daß er das sagt. Aber wenn er behauptet, daß die Anklagevertretung nicht wünscht, daß er die Sache vorlegt oder zu dem Dokument Stellung nimmt, so ist das eine ganz unangemessene Erklärung.


PROF. DR. EXNER: Ah so, ja.


[Zum Zeugen gewandt:]


Vielleicht sagen Sie uns ganz kurz den Inhalt des Wehrmachtsbefehls vom 7. Oktober 1944. Ich glaube, Sie haben ihn selber in Ihrem Dokumentenbuch.

VORSITZENDER: Nein, Dr. Exner, ich meine das nicht ganz so. Der Angeklagte sagte, daß die Anklagevertretung nicht wünscht, daß er sich mit diesem Thema befaßt.

PROF. DR. EXNER: Jawohl.


[346] VORSITZENDER: Wenn das die Bemerkung war, die er machte, so war das eine sehr unangemessene Bemerkung. Die Anklagevertretung hat sich wegen dieses Themas mit der Verteidigung vermutlich nicht in Verbindung gesetzt, außer daß sie Beweismaterial für diesen Fall vorgelegt hat.


PROF. DR. EXNER: [zum Zeugen gewandt] Haben Sie verstanden? Sie dürfen hier nicht behaupten, daß Sie diesen Gegenstand nicht berühren dürfen. Wollen Sie vielleicht selber erklären, was Sie gemeint haben?


JODL: Der Wehrmachtsbericht steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kommandobefehl. Auch nur dieser letzte Absatz des Wehrmachtsberichtes ist wichtig, der vom Führer selbst verfaßt wurde, wie der Feldmarschall Keitel ausgesagt hat und den auch Professor Jahrreiss hier im Gericht verlesen hat. Es ist nämlich der Satz, der lautet:

»In Zukunft werden sämtliche Terror- und Sabotagetrupps der Briten und ihrer Helfershelfer, die sich nicht wie Soldaten, sondern wie Banditen benehmen, von den deutschen Truppen auch als solche behandelt werden, und wo sie auch auftreten, rücksichtslos im Kampf niedergemacht werden.«

Dieser Zusatz stammt Wort für Wort vom Führer persönlich.

PROF. DR. EXNER: Nun, und jetzt wurde von Ihnen ein Ausführungsbefehl gefordert.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, einen Augenblick. Angeklagter! Der Gerichtshof möchte folgendes von Ihnen wissen: Sie sagten, daß der Kommandobefehl ursprünglich in einem Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 erschien, der hauptsächlich von Ihnen stammt und daß dieser Bericht eine Erklärung des britischen Kriegsministeriums zurückwies, welche die Anklagevertretung nicht von Ihnen besprochen haben will. Was meinen Sie damit?


JODL: Ich meinte damit, daß mein Verteidiger beabsichtigte, den gesamten Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 als Dokument, als Beweismittel vorzulegen. Er hat davon Abstand genommen als die Anklagebehörde gegen dieses Dokument Einspruch erhob.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Ich habe bestimmt gegen dieses Dokument niemals Einspruch erhoben. Ich habe Herrn Roberts befragt und er sagt mir, daß auch er niemals Einspruch dagegen erhoben hat. Soweit wir wissen, hat niemand von der Anklagebehörde je Einspruch dagegen erhoben. Ich persönlich habe bestimmt überhaupt nichts dagegen. Obwohl ich Mitglied der Englischen Regierung zur Zeit der Veröffentlichung dieser Angelegenheit war, habe ich niemals früher etwas davon gehört, doch habe ich absolut keine Einwendung dagegen.


[347] PROF. DR. EXNER: Darf ich etwas sagen?


VORSITZENDER: Jawohl.


PROF. DR. EXNER: Falls ein Irrtum hier vorliegt, so ist das umso erfreulicher für uns, und wir werden heute nachmittag oder morgen den Wehrmachtsbefehl vorlegen.

Darf ich nur noch etwas aufklären zu der Frage, die der Herr Präsident an den Angeklagten gerichtet hat?

Der Angeklagte hat gesagt, der Wehrmachtsbefehl stammt in seinem Hauptteil von ihm, der Zusatz vom Führer...


VORSITZENDER: Dr. Exner! Wenn Sie etwas richtigstellen wollen, was ich gesagt habe, so muß dies durch den Zeugen geschehen und nicht durch Sie. Sie sind nicht berechtigt, Aussagen zu machen. Führen Sie Ihren Beweis nur durch den Zeugen.


PROF. DR. EXNER: Ja.


[Zum Zeugen gewandt:]


Also bitte, erklären Sie noch einmal, welcher Teil des Wehrmachtsberichts von Ihnen verfaßt ist, und welcher vom Führer verfaßt ist und was der Inhalt dieses Führerzusatzes ist.

JODL: Der ganze erste Teil dieses Wehrmachtsberichtes hat mit Kommandotrupps gar nichts zu tun, sondern er befaßt sich mit der berühmten Affäre der Fesselung deutscher Kriegsgefangener am Strande von Dieppe. Ich werde darauf noch zurückkommen.

VORSITZENDER: Sie meinen also, ich hatte recht, daß er hauptsächlich von Ihnen stammte?


JODL: Das absolut. Den ersten Teil dieses Wehrmachtsberichtes habe ich formuliert, und er enthält die nachweisbare Widerlegung einer englischen Rundfunkerklärung, die das britische Kriegsministerium abgegeben hat.

Diese Erklärung des britischen Kriegsministeriums war falsch. Warum sie falsch war, das habe ich hier zusammengestellt auf Grund unserer, bei uns vorliegenden Protokolle, Photographien und eidlichen Aussagen. Mit Kommandos, mit Repressalien hatte diese Angelegenheit zunächst noch nichts zu tun. Das ist erst in diesen Wehrmachtsbericht hineingekommen durch den Zusatz des Führers, der mit dem Satz beginnt:

»Das Oberkommando der Wehrmacht sieht sich daher gezwungen, folgendes anzuordnen.«


PROF. DR. EXNER: Nun wurde es für notwendig befunden, diese Ankündigung im Wehrmachtsbericht auszuführen. In einem Ausführungsbefehl. Hat der Führer von Ihnen Entwürfe über einen Ausführungsbefehl verlangt?

[348] JODL: Nachdem der Führer diesen letzten Zusatz geschrieben hatte, wandte er sich an den Feldmarschall Keitel und an mich und forderte nun einen Ausführungsbefehl zu dieser allgemeinen Ankündigung im Wehrmachtsbericht. Er gab dabei gleichzeitig die Parole, »aber ich wünsche keine Kriegsgerichte«.

PROF. DR. EXNER: Haben Sie dann einen Entwurf gemacht?


JODL: Ich hatte nun eine Menge von Zweifeln, die mir auch eine genaue Durchsicht der Haager Landkriegsordnung keineswegs beseitigen konnte. Weder der Feldmarschall Keitel noch ich haben einen derartigen Entwurf angefertigt; wohl aber hat mein Stab aus eigener Initiative von verschiedenen Dienststellen Entwürfe und deren Ansichten eingefordert. Und so entstand das Dokument 1263-PS, auf das ich später noch zurückkomme.


VORSITZENDER: 1263-PS?


PROF. DR. EXNER: 1263; das ist Seite 104 des zweiten Bandes meines Dokumentenbuches, 1263-PS, RF-365; aber davon sprechen wir später.


VORSITZENDER: Sagten Sie Seite 204?


PROF. DR. EXNER: Nein, 104. Zweiter Band, 104.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ja, bitte setzen Sie fort.

JODL: Mein Wunsch war nun ein ganz anderer. Meine Absicht war, einen Befehl überhaupt zu vermeiden. Ich erwartete eigentlich, daß auf die Ankündigung im Wehrmachtsbericht hin, die ja nicht verheimlicht worden ist, sondern die offen durch den Äther in die ganze Welt ging, das englische Kriegsministerium, sei es unmittelbar, sei es auf dem Wege über Genf, erneut an uns herantreten würde, wie es vorher schon einige Male geschehen war. Damit hoffte ich, die ganze Angelegenheit auf die Ebene des Auswärtigen Amtes zu schieben. Das geschah aber nicht. Das englische Kriegsministerium blieb stumm. Inzwischen waren zehn Tage vergangen und es war nichts geschehen. Da kam am 17. Oktober der Chefadjutant des Führers, General Schmundt, zu mir und sagte, der Führer verlangt den Ausführungsbefehl. Ich gab ihm wörtlich folgende Antwort:

»Sagen Sie ihm einen schönen Gruß, einen solchen Befehl mache ich nicht.«

Schmundt lachte daraufhin und sagte: »Das kann ich aber nicht sagen.« Darauf meine Antwort:

»Gut, dann melden Sie dem Führer, ich wisse nicht, wie man einen solchen Befehl völkerrechtlich begründen solle.« Damit ging er. Ich hoffte, nun zum Führer bestellt zu werden, um endlich [349] einmal wieder seit vielen Monaten persönlich mit ihm sprechen zu können.


PROF. DR. EXNER: Das fiel gerade in die Winnizakrise?


JODL: Das war die Winnizakrise. Ich wollte dadurch entweder die Möglichkeit erreichen, meine Bedenken vorzutragen oder hinausgeworfen zu werden. In beiden Fällen war mir geholfen; aber keines von beiden geschah. Nach wenigen Minuten rief mich Schmundt an und teilte mir mit, der Führer mache die Befehle selbst. Am 18. Oktober brachte mir nun wieder Schmundt persönlich die beiden Befehle des Führers, den Befehl an die Truppe und die Begründung dazu für die Kommandeure.


VORSITZENDER: Sprechen Sie von den beiden Dokumenten, die uns vorliegen?


JODL: Es sind die beiden Dokumente 498-PS und 503-PS. Das heißt, das, was das Gericht als diese Dokumente hat, das sind nicht die Originale des Führers. Diese Originale habe ich aber in Flensburg persönlich abgegeben. Das, was dem Gericht vorliegt, sind Abschriften dieser Originale oder Vervielfältigungen meines Stabes.


PROF. DR. EXNER: Nun eine Zwischenfrage. Sie erwähnten, daß Ihr Stab etwas ausgearbeitet hat, und haben sich auf 1263-PS berufen, was dem Gericht auch vorliegt, und zwar unter Seite 104 des zweiten Bandes. In dieser Urkunde haben Sie auf Seite 106 zwei Bemerkungen gemacht. Die erste Bemerkung auf dieser Seite heißt »nein«. In der französischen Übersetzung fehlt dieses »non«. Bitte das zu ergänzen. Und auf derselben Seite unten steht von Ihnen handschriftlich »das geht auch nicht J« – Jodl.

Bitte erklären Sie, um was es sich da im ganzen dreht.


JODL: Wie ich dem Gericht schon erklärte, hat mein Stab, wie in der ersten Ziffer auf Seite 104 zu lesen ist, von sich aus Vorschläge einverlangt, und zwar von dem Amt Ausland/Abwehr, Canaris, denn bei ihm befand sich die völkerrechtliche Gruppe, und zweitens von der Wehrmachtsrechtsabteilung, das heißt der WR, da es sich ja immerhin um eine rechtliche Angelegenheit handelte.

Auf der Seite 106 findet das Gericht nun unter Absatz »a« den Vorschlag den das Amt Ausland/Abwehr gemacht hat, und zwar die Auslandsabteilung dieses Amtes:

»Angehörige von Terror- und Sabotagetrupps... die... ohne Uniform oder in deutscher Uniform angetroffen werden, werden als Banditen behandelt.... Oder fallen sie außerhalb von Kampfhand lungen in deutsche Hand, so sind sie sofort einem Offizier zur Vernehmung vorzuführen. Danach ist standgerichtlich mit ihnen zu verfahren.«

[350] Das war ganz unmöglich, denn wenn man einen Soldaten in Zivil antrifft, ohne Uniform, dann konnte ja niemand wissen, um was es sich dabei handelt. Das konnte ein Spion sein, das konnte ein entwichener Kriegsgefangener sein, das konnte ein feindlicher Flieger sein, der durch Absprung sein Leben gerettet hat und nun in Zivil unterzutauchen hoffte. Das mußte festgestellt werden durch einen erfahrenen Untersuchungsrichter und nicht durch ein Standgericht, bestehend aus irgendeinem Leutnant und zwei Unteroffizieren und zwei Soldaten. Im Absatz »b...«

PROF. DR. EXNER: Aus diesem Grunde haben Sie »nein« hingeschrieben?

JODL: Aus diesem Grunde habe ich »nein« hingeschrieben.

Im Absatz »b« war vorgeschlagen, daß, wenn solche Sabotagetrupps in Uniform festgenommen würden, an den Wehrmachtführungsstab zu berichten sei, und der sollte darüber zu entscheiden haben, was zu geschehen habe. Damit war dem Wehrmachtführungsstab die Rolle eines Kriegsgerichts zugeschoben, was er niemals sein konnte.

Also ich muß schon für mich in Anspruch nehmen, daß ich dank meiner größeren Erfahrung diese Probleme etwas genauer durchschaut habe als manche meiner Untergebenen.


PROF. DR. EXNER: Sie haben also diesen Vorschlag abgelehnt. Aber gegen den Führerbefehl hatten Sie, wie Sie gesagt haben, auch Ihre schweren Bedenken. Jetzt sagen Sie zunächst mal, welche Bedenken hatten Sie denn?


JODL: Ich hatte zunächst eine Reihe von rechtlichen Zweifeln. Dann war der Befehl mehrdeutig. Und dann war er zu unklar für die Praxis. Gerade in diesem Falle hielt ich Kriegsgerichte für unbedingt notwendig. Ich bin mir dessen bewußt, daß auch die Richter manchmal bewußt oder unbewußt unter einem Zwang stehen können und nicht nur nach dem Recht urteilen. Aber eine gewisse Gewähr gegen Fehlentscheidungen bilden sie doch.


PROF. DR. EXNER: Daher wollten Sie also ein gerichtliches Verfahren einschalten, wenn ich recht verstehe. Was meinten Sie mit unklar und mehrdeutig?


JODL: Der Gedanke war doch, daß die Soldaten, die sich in ihren Handlungen außerhalb des Kriegsrechtes stellen, auch keinen Anspruch darauf haben, nach Kriegsrecht behandelt zu werden, ein Grundsatz, der im Völkerrecht zum Beispiel bei dem Begriff des Spions oder des Franktireurs absolut anerkannt ist. Durch diesen Befehl sollte eine gewisse Abschreckung erzielt werden gegenüber solchen Kampfmethoden der englischen Kommandotrupps. Aber der Befehl das Führers ging ja weiter. Er sagte nämlich, alle [351] Kommandotrupps sind niederzumachen. Und dagegen hatte ich meine ernsten Bedenken.


PROF. DR. EXNER: Welche rechtlichen Zweifel hatten Sie denn?


JODL: Ich hatte eben diesen Zweifel, daß auf Grund dieses Befehls auch Soldaten niedergemacht würden...


VORSITZENDER: Angeklagter! Es ist nicht notwendig, so langsam zu sprechen. Sie können ein bißchen schneller sprechen.


JODL: Ich hatte Sorge, daß nicht nur feindliche Soldaten niedergemacht würden, die sich, um den Führerausdruck zu gebrauchen, wirklich wie Banditen benommen haben, sondern auch anständige Soldaten. Es kam als zweites dazu, und das stieß mich besonders ab, daß in dem allerletzten Zusatz im Dokument 503-PS befohlen war, auch Soldaten zu erschießen, nachdem sie gefangengenommen waren und nachdem man sie verhört hatte. Was mir aber völlig unklar war, das war die allgemeine Rechtslage, ob ein Soldat, der sich vorher banditenhaft benommen hat, durch seine Gefangennahme überhaupt in den Rechts zustand des Kriegsgefangenen überführt wird, ob er in diesen Rechtszustand überhaupt eintritt oder ob er sich nicht durch seine Handlung vorher bereits außerhalb dieses Rechtszustandes gesetzt hat.


PROF. DR. EXNER: Sie meinen damit wohl die Genfer Konvention?


JODL: Ich meine damit die Genfer Konvention.


PROF. DR. EXNER: Daß feindliche Kämpfer, die sich unsoldatisch benommen hatten, nicht als Soldaten behandelt werden, war Ihnen das an sich verständlich?


JODL: Das war mir absolut verständlich und nicht nur mir; der Führer hatte nämlich sehr bittere Meldungen. Wir hatten die sämtlichen Befehle der kanadischen Landungsbrigade von Dieppe erbeutet. Sie sind im Original vor mir gelegen. In diesen Befehlen war befohlen, daß, wo immer es möglich sei, deutschen Gefangenen die Hände zu fesseln sind. Aber nach einiger Zeit bekam ich durch den Oberbefehlshaber West gerichtliche Protokolle und Zeugenaussagen, mit Photographien belegt; daraus ging für mich jedenfalls eindeutig hervor, daß mehrere Leute, die der Organisation Todt angehörten, Familienväter, unbewaffnet, alte Leute, aber mit einer Hakenkreuzbinde am Arm – das war nämlich ihre Ausstattung – so gefesselt worden waren, daß eine Schlinge um ihren Hals war und das Ende des Strickes um die zurückgebogenen Unterschenkel, so daß sie sich selbst erdrosselt hatten.

Ich darf dazu sagen, daß ich diese Photographien, diese für mich als Tatsache erschwerenden Vorgänge, dem Führer verschwiegen habe. Ich habe sie dem deutschen Volke verschwiegen und deshalb [352] dem Propagandaministerium verschwiegen. Es kam dann die englische Mitteilung durch den Rundfunk, die lautete, es werde nachdrücklich in Abrede gestellt, daß irgendein deutscher Soldat in Dieppe gefesselt worden ist.

Nach einiger Zeit gab es einen Überfall durch einen Kommandotrupp auf der Insel Sercq. Wieder bekamen wir amtliche Protokolle, daß dabei Soldaten gefesselt worden waren, deutsche Gefangene. Und endlich erbeuteten wir die sogenannte englische Nahkampfvorschrift, und diese schlug beim Führer dem Faß den Boden aus. Auch sie habe ich genauestens studiert. In ihr war in Abbildungen dargestellt, wie man Menschen fesseln kann, daß sie sich selbst durch die Fesselung töten, und es war genau registriert, in welcher Zeit der Tod eintritt.


PROF. DR. EXNER: Also haben die Begründungen, die Hitler, seinem Befehl 498 voranstellte, auf verläßlich gemeldeten Tatsachen beruht. Ich erinnere daran, Hitler beruft sich zunächst einmal auf Gefangene, die gefesselt worden sind, auf Gefangene, die getötet wurden und darauf, daß die Kommandos wie Verbrecher...


VORSITZENDER: Sie fassen die Aussage unrichtig zusammen, da der Angeklagte eben gesagt hat, daß er diese Dinge von Hitler ferngehalten hat. Sie sagen jetzt, daß Hitler davon wußte. Das hat der Zeuge nicht gesagt.


PROF. DR. EXNER: Ja. Ich muß Sie also nun fragen, ob die Tatsachen, auf die der Befehl sich beruft, Ihnen gemeldet waren.


JODL: Ich glaube, das Gericht hat das Dokument 498-PS vor sich. Das erste, was der Führer hierin anführt, ist, daß er allgemein sagt, seit längerer Zeit bedienen sich unsere Gegner in ihrer Kriegführung Methoden, die außerhalb der Internationalen Abmachung von Genf stehen. Diesen Satz muß ich nach den Meldungen, die wir bedauerlicherweise seit dem Sommer 1941 bekommen haben, als richtig unterstellen. Ich will auf die einzelnen Fälle nicht eingehen. Es war ein unerhörter Vorfall eines englischen Unterseebootes in der Ägäis, es war der Befehl, in Nordafrika deutschen Kriegsgefangenen kein Wasser zu geben, bevor sie vernommen sind; also es waren eine Menge solcher Meldungen.

VORSITZENDER: Angeklagter! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es sehr schwierig ist, auf einzelne Zwischenfälle einzugehen, die sich ereigneten, lange bevor dieser Befehl entworfen wurde. Sie haben uns mitgeteilt, worauf sich Ihrer Ansicht nach der Befehl bezog, nämlich auf die Fesseln, und nun sprechen Sie von anderen Zwischenfällen, die sich angeblich schon lange vorher ereignet haben. Es scheint dem Gerichtshof nicht möglich, alle diese Dinge zu untersuchen, die sich viel früher ereignet haben.


[353] JODL: Ich will auch nicht weiter davon sprechen. Ich will nur – und das muß ich wohl nachweisen –, daß im allgemeinen die Begründungen, die der Führer für den Befehl gegeben hat, nicht nur einer krankhaften Phantasie entsprungen sind, sondern daß er schon sehr reale Unterlagen dafür hatte, und wir auch. Denn es ist ja ein großer Unterschied, ob auch ich innerlich eine gewisse Berechtigung für diesen Befehl zugeben mußte oder ob ich den ganzen Befehl für einen offenen Skandal hielt. Das ist doch für mein Verhalten sehr wesentlich. Aber ich will es ganz kurz machen. Daß vielfach Vorbestrafte und Verbrecher mit bei den Kommandos, die ja aus verwegenen Menschen bestanden, beteiligt waren, darüber lagen Gefangenenaussagen vor. Daß sie Gefangene gefesselt hatten, dafür hatten wir erbeutete Befehle, Zeugenaussagen.


VORSITZENDER: Das haben Sie uns schon gesagt. Wir haben es mehr als einmal gehört, daß Sie Beweise dafür hatten, daß Gefangene gefesselt worden waren und daß Sie den kanadischen Befehl dazu vorliegen hatten.


PROF. DR. EXNER: Vielleicht sagen Sie einige Worte über das Thema »Töten«?


JODL: Abschließend möchte ich sagen, ich habe keinen Befehl gesehen, keinen erbeuteten Befehl, wonach befohlen worden wäre, deutsche Kriegsgefangene zu töten, was auch als Begründung in dem Führerbefehl enthalten ist. Aber ich darf erklären, daß das englische Kriegsministerium uns mitgeteilt hat – ich weiß nicht mehr sicher, über Genf oder durch den Rundfunk –, daß es sehr wohl Fälle geben könne, in denen man Kriegsgefangene töten müsse, – nein, in denen man Kriegsgefangene fesseln müsse, weil man sonst gezwungen wäre, sie zu töten. Wenn der Führer also zum Schluß hier noch schreibt, es sind Befehle gefunden worden, daß die Gefangenen grundsätzlich durch die Kommandos zu töten seien, so hatte er das meiner Auffassung nach auf die englische Nahkampfvorschrift bezogen, wo ja Fesselungen beschrieben waren, die zum Tod führen mußten.


PROF. DR. EXNER: Nun sagen Sie, worin bestand Ihre eigene Beteiligung an diesem Kommandobefehl?

JODL: Meine persönliche Beteiligung bestand nur darin, daß ich diesen Befehl auf ausdrückliche Anordnung hin verteilt habe oder verteilen ließ.


PROF. DR. EXNER: Die Anklagebehörde hat nämlich einmal mündlich behauptet, Sie hätten auch den Befehl, einen dieser beiden Befehle – ich weiß nicht welchen – unterschrieben. Das ist nicht richtig?


[354] JODL: Nein, ich habe nur eine allgemeine Geheimhaltungsverfügung zu einem Befehl unterschrieben.


PROF. DR. EXNER: Ja, davon reden wir gleich. Sagen Sie, hätten Sie die Weitergabe des Befehls verweigern können?


JODL: Nein, wenn ich die Weitergabe eines Befehls vom Führer persönlich verweigert hätte, wäre ich auf der Stelle abgeführt worden, und da muß ich auch sagen, mit Recht. Aber wie gesagt, ich war mir ja gar nicht sicher, ob dieser Befehl, sei es in seiner Gesamtheit wie auch nur in Teilen, wirklich rechtswidrig war, ich weiß es auch heute noch nicht, und ich bin überzeugt, daß, wenn man ein Konzilium von Völkerrechtslehrern hier einberufen würde, wahrscheinlich jeder darüber eine andere Ansicht hätte.


PROF. DR. EXNER: Herr Generaloberst! Sie können schneller sprechen. Hätten Sie einige Gegenvorstellungen machen können.

JODL: Zu anderen Zeiten wahrscheinlich ja. In dieser Zeit, die ja eine Konfliktzeit mit dem Führer war, habe ich ihn überhaupt persönlich gar nicht sprechen können. Während des allgemeinen Lagevortrages dieses Problem anzuschneiden, war ganz unmöglich. Ich hatte daher die Absicht, bei der Ausführung dieses Befehls eine möglichst weitherzige Praxis zu befolgen, und ich war sicher, daß auch die Oberbefehlshaber das tun würden.


PROF. DR. EXNER: Was meinen Sie mit weitherziger Praxis? Läßt denn der Befehl verschiedene Auslegungen zu?


JODL: Ja, der Befehl gab zwei Handhaben, um zu vermeiden, daß wirklich anständige Soldaten wie Verbrecher behandelt würden. Wenn nämlich ein solcher Kommandotrupp in einem meist nächtlichen Kampf von der Truppe nicht niedergemacht worden war, sondern, wie es beinahe die Regel war, gefangengenommen wurde, so war das schon ein gewisser Beweis, daß die Truppe diese Kämpfer nicht als Banditen empfunden hat. Es war nun durch die Oberbefehlshaber zu prüfen: Handelte es sich um ein reines Erkundungs- oder Aufklärungsunternehmen, dann fiel die ganze Kampfhandlung überhaupt nicht unter den Begriff des Kommandobefehls. Es wurde gar nicht als Kommandounternehmen gemeldet. War es aber ein wirklicher Sabotage- und Zerstörungstrupp, so mußte geprüft werden, wie ist er ausgerüstet, hat er Zivil unter der Uniform, hat er die berühmte Achselpistole, aus der sich der Schuß löst, wenn man die Hand hochhebt, um sich zu ergeben, hat er sich sonstwie im Kampf gemein benommen, und je nachdem diese Prüfung ausfiel, konnten die Oberbefehlshaber handeln. Ich glaube, daß nach diesem Gesichtspunkt es durchaus möglich war – und so ist es vielfach oder, ich möchte beinahe sagen, vorwiegend auch geschehen –, die Erschießung von tapferen anständigen Soldaten zu vermeiden.


[355] PROF. DR. EXNER: Haben Sie selbst Einfluß auf die Praxis der Truppe nehmen können?


JODL: Ich habe verschiedentlich Einfluß genommen. Wenn mir gemeldet worden war, daß ein solcher Trupp gefangengenommen wurde – was ja eigentlich nach dem Führerbefehl gar nicht geschehen durfte –, dann habe ich das nicht beanstandet und habe nicht zurückgefragt. Ich habe Kommandounternehmen überhaupt, wenn sie nicht einen großen Sprengerfolg hatten, dem Führer nicht vorgetragen. Und ich habe ihn letzten Endes von manchen zu schroffen Auffassungen abgebracht wie im Falle Pescara, den der Feldmarschall Kesselring schon hier geschildert hat, wo es mir gelang, den Führer zu überzeugen, daß das wirklich nur ein Erkundungstrupp war.


PROF. DR. EXNER: Sind tatsächlich viele Trupps niedergemacht worden?


JODL: Die Kommandounternehmen sind durch die öffentlichen Ankündigungen im Wehrmachtsbericht sehr stark zurückgegangen. Ich glaube nicht, daß in der Gesamtheit mehr als acht oder zehn Fälle vorkamen. Wenn eine Zeitlang im Wehrmachtsbericht – es handelt sich um die Monate Juli und August 1944 – immer größere Zahlen gemeldet wurden von getöteten Terroristen, so sind das keine Kommandotrupps, sondern es sind die Toten in den Kämpfen mit den Aufständischen in Frankreich. Und das wird bewiesen, wenn das Gericht in dem Dokument Nummer 551-PS, Ziffer 4 nachliest. Dort ist es nämlich befohlen... Es ist US-551 auf Seite 117.


MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Es ist Seite 70 in Buch 7.


JODL: Oder Seite 117 unseres zweiten Bandes. Da ist nämlich befohlen...


PROF. DR. EXNER: Was ist befohlen? Ich möchte jetzt noch ein anderes Dokument mit Ihnen besprechen, nämlich das Dokument 532-PS.


VORSITZENDER: Es ist jetzt Zeit für eine Pause.

[Pause von 10 Minuten.]


PROF. DR. EXNER: Zum Thema »Kommandobefehl« gehört noch das Schriftstück 532-PS, RF-368, unser Dokumentenbuch II, Seite 113.

Dieses Dokument ist schon einmal vorgelegt gewesen und war Anlaß für einen Protest meinerseits, weil das Dokument nicht unterschrieben ist oder weil das Dokument durchstrichen ist, nicht wahr?

[356] Nun erklären Sie uns, warum Sie diesen Befehlsentwurf – darum handelt es sich ja – durchstrichen haben.


JODL: Diesem Befehlsentwurf ging ein Antrag des Oberbefehlshabers West voraus, nunmehr, nach der Invasion, den Kommandobefehl überhaupt aufzuheben. Und mit diesem Vorschlag stimmte ich überein. Nun war mir hier ein Entwurf vorgelegt worden, der nur eine teilweise Aufhebung enthielt, nämlich für den unmittelbaren Landekopf und in der Bretagne – also etwas abgesetzt vom Landekopf –, wo zu dieser Zeit täglich Fallschirmjäger abgesetzt wurden.


VORSITZENDER: Wurde das Dokument nicht zurückgewiesen als Sie Einspruch erhoben? Sie sagten, Sie hätten gegen das Dokument Einspruch erhoben. Ich frage Sie, was tat der Gerichtshof auf Ihren Einspruch? Wurde ihm stattgegeben, oder wurde er zurückgewiesen?


PROF. DR. EXNER: Ja, der Einspruch wurde aufrechterhalten, und das Dokument wurde gestrichen. Ich glaube, mich nicht zu irren.


VORSITZENDER: Warum legen Sie es jetzt vor?


PROF. DR. EXNER: Ich habe damals nicht die Streichung des Dokuments beantragt, sondern ich habe nur beanstandet, daß nicht angegeben war, daß dieses Dokument durchstrichen ist und daß es eine ablehnende handschriftliche Bemerkung von Jodl enthält, die ja hier steht.


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Entweder wurde das Dokument als Beweisstück angeboten oder nicht, entweder hat es eine Beweisstücknummer oder es hat keine. Wenn ich richtig verstehe, ist Ihr Einspruch abgewiesen worden.


MR. ROBERTS: Dr. Exner hat in der Tat Einspruch dagegen erhoben, nachdem es die französische Beweisstücknummer RF-368 erhalten hatte. Nach Erörterung darüber wurde es dann aus dem Protokoll gestrichen; der entsprechende Vermerk findet sich in der Sitzung vom 30. Januar 1947, nachmittag (Band VI, S. 397).

Herr Vorsitzender! Ich glaube, daß sowohl die Anklage als auch die Verteidigung darin übereinstimmten, daß Jodls Handschrift darauf ist, und ich bin daher sicher, daß weder für die Anklage noch für die Verteidigung ein Zweifel über die Zulässigkeit bestehen kann. Herr Vorsitzender, ich habe die feste Absicht, mit Genehmigung des Gerichtshofs ihn darüber ins Kreuzverhör zu nehmen, und ich habe nicht das geringste dagegen einzuwenden, daß mein Freund, Dr. Exner, es vorlegt.


VORSITZENDER: Sehr wohl.


PROF. DR. EXNER: Nun setzen Sie fort.


[357] JODL: Es war also zu diesem Zeitpunkt meine Absicht, von dem ganzen Kommandobefehl freizukommen. Deswegen habe ich neben dem Satz in Ziffer 4 die Bemerkung geschrieben: »Das sollen sie eben nicht« – nämlich als Kommandoangehörige behandelt werden und habe die ganze erste Seite durchstrichen. Das nützte aber nichts, denn noch am selben Tage hat der Führer auf Grund dieses Antrages des Oberbefehlshabers West anders entschieden, und was er entschieden hat, das ist niedergelegt in dem Dokument 551-PS.


PROF. DR. EXNER: 551-PS, US-551. Das ist bei mir im zweiten Band, Seite 115; ein Befehl betreffend Behandlung Kommandoangehöriger.

Bitte setzen Sie fort.

Dieser Befehl nämlich, der enthält einen handschriftlichen Zusatz von Ihnen: »Auf dem italienischen Kriegsschauplatz ist sinngemäß zu verfahren.« Das ist Seite 117.

Bitte, erklären Sie kurz den Inhalt dieses Befehls und den Grund Ihres Zusatzes.


JODL: Das ist kurz zu erklären: In diesem Befehl ist eine räumliche Einschränkung gemacht worden für die Anwendung des Kommandobefehls, insofern nämlich, als er nur durchzuführen sei gegenüber feindlichen Unternehmungen rückwärts der Korpsgefechtsstände, aber nicht im Kampfgebiet des Landekopfes. Das war eine räumliche Einschränkung, die bisher noch nicht gegeben war und noch nicht angeordnet war, und ich übernahm sie sofort für den italienischen Kriegsschauplatz; denn dort war ja auch eine Kampffront an Land. Wenn man diesen Befehl nun in die Praxis von Italien übersetzt, so bedeutete er, daß überhaupt kein Kommandounternehmen mehr, das mit einer Landung an der Küste begann, als Kommandounternehmen betrachtet zu werden brauchte, denn alle diese Anlandungen, die fanden ja vor den Korpsgefechtsständen statt. Infolgedessen war es von mir außerordentlich erwünscht, dieselbe Erleichterung auch für den ganzen italienischen Kriegsschauplatz anwenden zu können.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte nur einen Absatz verlesen von Seite 116, der zweite Absatz unter Nummer 1. Im ersten Absatz nämlich heißt es: »Der Befehl bleibt aufrechterhalten.«

Im zweiten Absatz heißt es:

»Ausgenommen bleiben feindliche Soldaten in Uniform im unmittelbaren Kampfgebiet des Landekopfes, das heißt im Bereich der in vorderer Linie kämpfenden Divisionen sowie der Reserven bis einschließlich Generalkommandos, gemäß Ziffer 5 des grundlegenden Befehls...«

[358] Das Wort »Generalkommando« bedeutet soviel wie Korpskommando, und das ist auch im Englischen und Französischen nicht ganz richtig übersetzt; diese Einschränkung, diese örtliche Einschränkung der Gültigkeit des Befehls sollte nun nach dem Zusatz von Jodl auch in Italien gelten.

Nun möchte ich Sie zum Abschluß...

Ja, da habe ich ja noch eine wichtige Frage...

VORSITZENDER: Was sagen Sie über die Übersetzung?

PROF. DR. EXNER: Ja, das Wort »Generalkommando« ist im Französischen übersetzt mit »Region Militaire«. Das versteht man nicht recht »Region Militaire«.


VORSITZENDER: Ist das im englischen Text?

PROF. DR. EXNER: Und im Englischen heißt es »Corps Command«. Das ist richtig. Im Englischen heißt es richtig »Corps Command«. Das ist dasselbe wie Generalkommando.


VORSITZENDER: Dr. Exner! Der Gerichtshof sieht es lieber, wenn Sie ihn nur auf etwas aufmerksam machen, was Ihrer Meinung nach eine falsche Übersetzung ist, als daß Sie es gleich als falsche Übersetzung bezeichnen. Ich nenne es eine Meinungsverschiedenheit, ob es eine falsche Übersetzung ist oder nicht. Es ist nicht Ihre Aufgabe, uns zu sagen, daß es eine falsche Übersetzung ist. Sie sollen uns nur aufmerksam machen und erklären, daß Sie es für eine falsche Übersetzung halten. Aber jetzt sagen Sie uns bitte noch folgendes: Ein Exemplar dieses Dokuments 551-PS erscheint von Warlimont unterschrieben oder paraphiert zu sein; in der anderen – in Ihrer Fassung der Übersetzung erscheint es als vom Angeklagten Keitel unterschrieben. Wie erklären Sie das?


MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Darf ich einen Vorschlag machen? Ich denke der Gerichtshof sollte sich das Original aus dem Dokumentenraum kommen lassen. 551-PS besteht tatsächlich aus drei Dokumenten. Das erste ist ein Entwurf, der mit Bleistift geändert ist. Das zweite ist ein Entwurf, paraphiert »W« – das ist Warlimont – und trägt Jodls Bleistiftanmer kung am Ende, die seine Geltung auf Italien ausdehnt. Das dritte ist der endgültige Befehl, welcher die Bleistiftnotiz von Jodl und die Änderung der Verteilung auf Italien enthält.

Es sind also tatsächlich drei Dokumente, und das letzte Dokument ist vervielfältigt und trägt die vervielfältigte Unterschrift Keitels. Das ergibt sich aus dem Originalentwurf.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Exner.


PROF. DR. EXNER: Nun, die Anklage betont ganz besonders, daß Sie die Geheimhaltung dieses Befehls so dringend angeordnet [359] haben, daß Sie gesagt haben, er dürfe nur bis zu den Kommandeuren verteilt werden, daß er keinesfalls in Feindeshände fallen solle. Das haben Sie alles angeordnet für den zweiten Befehl, für den Begründungsbefehl 503-PS. Sagen Sie mir, warum Sie eine so strenge Geheimhaltung befohlen haben?


JODL: Diese Geheimhaltungsverfügung bezieht sich tatsächlich nur auf Dokument 503.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte hinzufügen, das ist in meinem Dokumentenbuch, zweiter Band, 102. Das ist der Befehl der Geheimhaltung, von Jodl unterzeichnet. Bitte fortsetzen.


JODL: Für diesen Befehl war eine besondere Geheimhaltung unvermeidbar. Denn erstens richtete er sich ja überhaupt nur an die Kommandeure, zweitens war in diesem Befehl in aller Ausführlichkeit dargestellt, welche großen Schäden durch diese Kommandounternehmen der deutschen Wehrmacht schon erwachsen waren und welche unter Umständen noch eintreten konnten. Fiel dieser Befehl in Feindeshand, so bildete er ja geradezu einen Anreiz, diese Art der Kriegführung in verstärktem Maße fortzusetzen; und drittens, der Befehl 498-PS konnte als eine Repressalie angesehen werden. Aber der allerletzte Satz im Dokument 503-PS, ein Satz, aus dem man unschwer erkennen kann, daß er nachträglich hinzugesetzt worden ist – denn der Befehl schien vorher schon abgeschlossen –, dieser Satz, muß ich sagen, der empörte mich; und das war mit ein Grund, warum ich diese besonders strenge Geheimhaltung für diesen Befehl angeordnet habe.


VORSITZENDER: Auf welchen Satz beziehen Sie sich?


JODL: Ich beziehe mich auf den letzten Satz des Dokuments 503-PS, der lautet:

»Sollte sich die Zweckmäßigkeit ergeben, aus Vernehmungsgründen einen oder zwei Mann zunächst noch auszusparen, so sind diese nach ihrer Vernehmung sofort zu erschießen.«

Ich kann es nicht beweisen...

VORSITZENDER: Das ist doch nicht 503, oder?

PROF. DR. EXNER: 503-PS.


VORSITZENDER: Sie haben nicht den ganzen Inhalt von 503 in Ihrem Dokumentenbuch abgedruckt. Ist es das?


PROF. DR. EXNER: Nein, 503-PS habe ich leider nicht drin, sondern nur den Geheimhaltungsbefehl, Seite 102. Aber ich habe ausdrücklich gebeten, er soll dem Gericht vorgelegt werden.


JODL: Ich darf ergänzen, daß dieser Satz überhaupt die Quelle allen Übels geworden ist. Denn diesen Satz benützte die Truppe, [360] um grundsätzlich oder in der Regel die Kommandotrupps nicht niederzumachen, sondern gefangenzunehmen.


PROF. DR. EXNER: Sie sagen, dieser letzte Satz habe Sie empört. Sagen Sie, waren Sie auch zweifellos auf dem Standpunkt gestanden, daß er völkerrechtswidrig ist?


JODL: Auch darüber könnte man Zweifel haben. Aber der berührte mich menschlich unangenehm. Denn wenn man schon einen Menschen erschießt, dann empfinde ich es als unanständig, ihn vorher noch auszupressen.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte noch mit einer Frage auf das zurückkommen, was Sie uns vor der Pause gesagt haben. Sie sagten, daß Sie dem Führer nicht alles gemeldet haben, nicht alle Kommandounternehmungen gemeldet haben. Das war ganz klar. Aber, daß Sie auch die Dinge nicht gemeldet haben, die Sie von der Feindesseite gehört haben, die Tötungen und so weiter. Was meinten Sie damit?


JODL: Ich habe die Ergebnisse, will sagen, die Völkerrechtsverletzungen nach unserer Ansicht bei Dieppe – die Fesselung deutscher Gefangener –, die habe ich alle gemeldet. Ich habe nur eines nicht gemeldet, die Fesselung einiger Leute der Organisation Todt, und zwar auf eine Weise, daß sie sich selbst erdrosselt haben. Das ist das, was ich nicht gemeldet habe, und das ist auch in keinem Befehl und in keinem Wehrmachtsbericht enthalten.


VORSITZENDER: Der Angeklagte hat uns davon doch schon erzählt. Warum Sie ihn also nochmals fragen, verstehe ich nicht.


PROF. DR. EXNER: Es schien mir nicht ganz klar.

Nun gehen wir zu einer anderen Sache über, zu dem Befehl bezüglich Leningrad und Moskau. Sagen Sie, wie ist der Befehl Hitlers betreffs des Schicksals der Städte Leningrad und Moskau zustande gekommen? Es ist C-123, zweiter Band, Seite 145 meines Dokumentenbuches, vorgelegt als USSR-114. Es ist der Befehl, daß eine Kapitulation nicht anzunehmen ist. Nun sagen Sie, wie ist der zustande gekommen?


JODL: Bei Beginn des zweiten Absatzes wird das Gericht den Satz finden:

»Die moralische Berechtigung zu dieser Maßnahme liegt vor aller Welt klar.«

Das will ich nun tun. Der erste Anlaß war eine Meldung des Generalfeldmarschalls von Leeb, also des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Nord vor Leningrad. Er meldete nämlich, daß die Bevölkerung von Leningrad bereits anfange, gegen seine Linien nach Westen und nach Süden herauszudrücken. Er machte darauf [361] aufmerksam, daß es ihm ganz unmöglich sei, diese Millionenbevölkerung von Leningrad zu ernähren oder zu versorgen, wenn sie irgendwie in seine Hand käme. Denn die Versorgungsverhältnisse zu dieser Zeit, die Nachschubverhältnisse der Heeresgruppe, waren katastrophal. Das war der erste Anlaß. Nun war kurz vorher Kiew von den russischen Armeen aufgegeben worden und wir hatten kaum die Stadt besetzt, da ereignete sich eine große Sprengung nach der anderen. Der größte Teil der Innenstadt ist abgebrannt. 50000 Menschen wurden obdachlos. Deutsche Soldaten waren zur Bekämpfung des Brandes eingesetzt. Wir hatten erhebliche Verluste dabei, denn bei diesem Brand flogen weitere riesige Sprengkammern in die Luft. Der örtliche Kommandant von Kiew dachte zunächst an Sabotage durch die Bevölkerung, bis wir eine Sprengkarte erbeuteten. Diese Sprengkarte enthielt etwa 50 oder 60 Objekte von Kiew, die zur Sprengung langfristig vorbereitet waren und die, wie die Untersuchungen durch Pioniere sofort ergaben, auch richtig war. Es waren mindestens noch 40 solcher Objekte sprengfertig vorhanden, und großenteils sollte die Sprengung durch Fernzündung von außen her mittels Funkwellen ausgelöst werden. Diese Originalsprengkarte habe ich selbst in meiner Hand gehabt. Damit war festgestellt...

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir auf die Einzelheiten von Kiew eingehen müssen. Hier handelt es sich um Leningrad. Der Angeklagte mag kurz das Wesentliche von dem, was sich, wie er sagt, in Kiew ereignete, wiedergeben, aber wir können Einzelheiten davon nicht untersuchen.

PROF. DR. EXNER: Herr Vorsitzender! Der Angeklagte wollte nur geltend machen, daß dasselbe, was in Kiew geschehen war, für Leningrad befürchtet wurde.


VORSITZENDER: Das verstehe ich ganz gut; aber wenn er sagt, er hätte Pläne für die Sprengung von Leningrad gehabt, so wäre das etwas anderes, und er könnte uns Einzelheiten darüber erzählen. Ich sage aber, daß wir uns nicht mit den Einzelheiten von Kiew befassen können.


PROF. DR. EXNER: Ja, ich möchte in diesem Zusammenhang, ohne zu verlesen, nur auf mein Dokument AJ-15 hinweisen. Das ist Seite 149 vom zweiten Band. Es ist ein Bericht eben über diese Sprengungen in Kiew. Wir werden jetzt nicht mehr darüber sprechen; ich möchte das nur dem Gericht zur Kenntnis bringen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Bitte, setzen Sie fort.

JODL: Ich brauche da nur noch abschließend zu sagen, daß, was sich in Kiew, in Charkow, in Odessa ereignet hat, das erwartete der Führer auch in Leningrad und eventuell auch in Moskau. Das war der ausschlaggebende Grund, warum er diesen Befehl, der schon [362] vorher mündlich an das Oberkommando des Heeres gegeben wurde, schriftlich fixierte. Er war noch besonders bestärkt dadurch, daß der russische Rundfunk ja ohnehin mitgeteilt hatte, daß Leningrad unterminiert sei und bis zum letzten Mann verteidigt würde. Um ausschließlich also die deutschen Truppen vor derartigen Katastrophen zu bewahren, wie sie schon eingetreten sind – denn es waren ganze Stäbe in Kiew und Charkow in die Luft geflogen –, aus diesem Grunde hat er jenen Befehl erlassen, den ich noch einmal auf seinen besonderen Wunsch hin schriftlich niedergelegt hatte. Der Befehl beginnt deshalb auch mit den Worten: »Der Führer hat erneut entschieden«, das heißt »nochmals«, »zum zweitenmal«.

PROF. DR. EXNER: Warum wurde befohlen, in der Einkreisung der Stadt Leningrad und Moskau nach Osten Lücken zu lassen?


JODL: Wir wollten ja diese Massenbevölkerung nicht haben. Wir hatten unsere Erfahrungen in Paris gemacht. Dort war es deswegen sogar notwendig geworden, den Transportraum von vier Divisionen und den ganzen Hilfszug Bayern, der Zehntausende verpflegen konnte, dafür einzusetzen, die Bevölkerung vor Hunger zu bewahren. In Leningrad war das vollkommen unmöglich, denn erstens waren die Bahnen zerstört, die Schienen waren noch nicht umgenagelt auf die andere Spurweite, die Versorgung war außerordentlich schwierig. Es war unmöglich, dieser Massen- und Millionenbevölkerung irgendwie zu helfen. Es hätte wirklich eine Katastrophe gegeben und deswegen der Gedanke, sie nach Osten hinauszudrücken in den russischen Raum hinein, ein Gedanke, der im übrigen der These widerspricht, die hier schon aufgetreten ist, wir hätten die Slawen ausrotten wollen.


PROF. DR. EXNER: Nun komme ich zu etwas anderem. Der französische Ankläger hat Ihnen vorgeworfen, Sie hätten in UK-56 – das ist RF-335, in meinem Urkundenbuch zweiter Band, Seite 153 – die Deportation von Juden befohlen und dadurch als Chef eines militärischen Stabes einen politischen Befehl gegeben. Bitte, erklären Sie, wie es zu diesem Befehl kam.


VORSITZENDER: Ich glaube, die Übersetzung muß falsch durchgekommen sein. Sie sagten, wenigstens notierte ich es so, Seite 153?


PROF. DR. EXNER: 155, entschuldigen Sie, Seite 155 des zweiten Bandes meines Dokumentenbuches; der Befehl selber steht auf Seite 156.


[Zum Zeugen gewandt:]


Bitte antworten Sie.

JODL: Zu diesem Dokument ist zu erläutern: Die Deportation von Juden aus Dänemark ist in einer Besprechung, an der ich nicht teilgenommen habe, durch Himmler dem Führer vorgeschlagen [363] worden und vom Führer bewilligt oder angeordnet worden. Mitteilung darüber erhielt ich entweder durch den General Schmundt oder durch den Botschafter Hewel. Ich habe nun auf Anordnung, von Schmundt übermittelt, den Militärbefehlshaber in Dänemark von dieser Anordnung verständigt, und aus der Überschrift, oder besser, aus der Anschrift dieses Fernschreibens geht hervor, daß es an zwei Stellen gerichtet ist: An das Auswärtige Amt und an den Befehlshaber der deutschen Truppen in Dänemark. Das sind die Stellen, die es, ich möchte sagen, hauptamtlich empfangen haben. An den Reichsführer-SS ist das Schreiben nur nachrichtlich gegangen, wie nach unserem Bürogebrauch vorne dran steht. Er hat daraufhin nichts zu machen, für ihn ist es kein Befehl, für ihn ist es nur eine Unterrichtung, denn er kannte ja die Entscheidung des Führers schon.

Nun habe ich aber keineswegs die Deportation von Juden befohlen, sondern ich habe geschrieben:

»Die Judendeportation wird durch Reichsführer- SS durchgeführt...«


PROF. DR. EXNER: In Punkt 2?

JODL: Punkt 2. Wäre das ein Befehl gewesen, so hätte er ja an den Reichsführer-SS gerichtet sein müssen, und der Wortlaut hätte gelautet: »Reichsführer-SS hat die Juden aus Dänemark zu deportieren.« Genau das Umgekehrte ist der Fall: Diese Ziffer 2 teilt dem General Hannecken in Dänemark mit, daß er mit dieser Geschichte nichts zu tun hat, sondern daß es durch den Reichsführer-SS durchgeführt wird. Das mußte aber der General von Hannecken in diesem Augenblick wissen, denn es war militärischer Ausnahmezustand. Er hatte die vollziehende Gewalt in Dänemark, und wenn ohne sein Wissen etwas Derartiges geschehen wäre, so hätte er womöglich sofort dagegen Einspruch erhoben und es nicht geduldet. Nun schien mir die Angelegenheit derart dringlich, damit es keinen Zwischenfall gibt, daß ich ohne Rücksicht auf die Geheimhaltung den Befehlshaber in Dänemark durch das Telephon offen von dieser Angelegenheit verständigte. Und wenn die Französische Anklagebehörde von einer Indiskretion sprach, die es den meisten Juden in Dänemark ermöglichte, nach Schweden zu entkommen, so ist dies vermutlich auf dieses Telephongespräch zurückzuführen.

Ich habe also, um es abschließend nochmals zu sagen, nicht im entferntesten daran gedacht, eine Judendeportation zu befehlen, sondern nur den zuständigen Militärbefehlshabern mitzuteilen, das geht dich nichts an. Im übrigen sind, wie ich nachträglich gehört habe und mich erkundigt habe, diese Juden nach Theresienstadt gekommen; sie sind durch das Rote Kreuz betreut und besucht worden und sogar der Dänische Gesandte hat sich mit ihrer Behandlung zufrieden erklärt.


[364] PROF. DR. EXNER: Ich möchte hier das Gericht noch auf einen Punkt hinweisen, den ich für eine mangelhafte Übersetzung des Englischen und Französischen halte. In Punkt 1 auf Seite 156, zweiter Band, ist in der Übersetzung nicht das Wort »freiwillig« aufgenommen. Es heißt hier:

»Der Reichsführer-SS hat die Genehmigung, aus den zu entlassenden ehemaligen dänischen Wehrmachtangehörigen Freiwillige zu werben...«

Das Wort »freiwillig« fehlt im Englischen; im Französischen heißt es einfach »hommes« – »Männer«.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sagen Sie, Sie hatten ja eigentlich mit den Dingen in besetzten Gebieten nichts zu tun, das fiel doch außerhalb Ihrer Zuständigkeit. Wieso kamen Sie dazu, diesen Befehl da zu unterzeichnen?

JODL: Diese Angelegenheit ging mich eigentlich gar nichts an. Ich habe sie unterschrieben, weil an diesem Tage Feldmarschall Keitel nicht da war.

PROF. DR. EXNER: Nun sagen Sie, da wir gerade von Juden sprechen, was wußten Sie überhaupt von Judenvernichtung? Ich erinnere Sie dabei an Ihren Eid.


JODL: Ich weiß, wie unwahrscheinlich alle diese Erklärungen klingen, aber sehr oft ist eben auch das Unwahrscheinliche wahr und das Wahrscheinliche unwahr. Ich kann nur im vollsten Bewußtsein meiner Verantwortung hier zum Ausdruck bringen, daß ich niemals, mit keiner Andeutung, mit keinem Wort, mit keinem Schriftstück, von einer Vernichtung von Juden gehört habe. Ich bin ein einziges Mal mißtrauisch geworden und das war, als Himmler über den Aufstand im jüdischen Ghetto vortrug. Ich glaubte nicht recht an diesen heroischen Kampf, aber Himmler legte daraufhin sofort Photographien vor über die Bunker, die dort gebaut waren, er sagte: »Ja, das sind auch nicht nur die Juden, da haben sich polnische. Nationalisten hineingerettet, es ist ein erbitterter Widerstand.« Und damit beseitigte er zunächst meinen Argwohn.


VORSITZENDER: Sprechen Sie von Warschau?


JODL: Ich spreche von dem Aufstand im Ghetto in Warschau, den ich erfahren habe durch eine persönliche Meldung Himmlers in unserer Gegenwart, in Gegenwart der Soldaten beim Führer und in der er kein anderes Wort sprach als von einem Aufstand mit erbitterten Kämpfen. Über die Tätigkeit der Polizei, dieser sogenannten Einsatzgruppen und Einsatzkommandos – übrigens ein Begriff, den ich erst hier genau kennengelernt habe –, über diese Polizeikräfte ist durch den Führer selbst niemals eine andere Erklärung abgegeben worden, als daß sie dazu notwendig wären, [365] Aufstände, Rebellionen, Partisanenkrieg in der Entstehung zu verhindern; das könne die Wehrmacht nicht, das sei eine polizeiliche Aufgabe, und deswegen müßte die Polizei auch in das Operationsgebiet des Heeres hinein. Ich habe niemals eine private Mitteilung über die Vernichtung von Juden gehört, sondern ich habe alle diese Dinge, so wahr ich hier sitze, zum erstenmal nach Beendigung des Krieges erfahren.


PROF. DR. EXNER: Was wußten Sie von den Konzentrationslagern...


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie nicht darüber sprechen können, daß dem Führer keine Aufklärung gegeben wurde; Sie können nur sagen, daß Ihnen selbst keine Aufklärung gegeben wurde.

Die Übersetzung, die ich bezüglich dieser Einsatzgruppen hörte, war, daß keine Erklärung an den Führer abgegeben wurde.


JODL: Ich habe gesagt, daß der Führer den Zweck der Polizei uns gegenüber nie anders begründet hat als mit der Notwendigkeit polizeilicher Maßnahmen.


VORSITZENDER: Ich hatte die Übersetzung falsch verstanden.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie etwas von Konzentrationslagern gewußt, oder wieviel haben Sie davon gewußt? Bitte, sich kurz zu fassen.


JODL: Ich kann kurz sagen, von Konzentrationsla gern wußte ich von Dachau und Oranienburg. Oranienburg hatten im Jahre 1937 auch einmal Offiziere einer Abteilung besucht und mir sehr begeistert davon berichtet. Den Namen Buchenwald habe ich im Frühjahr 1945 zum erstenmal gehört. Ich hielt ihn für einen neuen Truppenübungsplatz, wie das Wort gefallen ist, und habe mich danach erkundigt. Über die Insassen ist niemals eine andere Darstellung gegeben worden, als daß sich die deutschen Berufsverbrecher und einige politische erbitterte Feinde dort befinden, die aber, wie zum Beispiel Schuschnigg oder Niemöller, in einer Art Ehrenhaft dort lebten. Niemals ist auch nur mit einem Wort die Rede gewesen von Quälerei, von Deportierten, die dort sind, von Kriegsgefangenen, von Verbrennungsöfen, von Gaswagen, von Martern wie in Zeiten der Inquisition, von medizinischen Versuchen. Ich kann nur sagen, selbst wenn ich es gehört hätte, ich hätte es nicht geglaubt, bevor ich es mit eigenen Augen gesehen hätte.


PROF. DR. EXNER: Es ist vom französischen Anklagevertreter eine Aussage des deutschen Polizeigenerals Panke verlesen worden. Nach der seien Sie bei einer Besprechung am 30. Dezember 1942 mit [366] Hitler anwesend gewesen, und da habe es sich gehandelt um Gegenterror gegen Terror und so weiter in Dänemark, um Ausgleichsmorde; was sagen Sie dazu?


JODL: Ich glaube, es war am 30. Dezember 1943.


PROF. DR. EXNER: So?


JODL: Diese Aussage ist in manchem richtig, in manchem ist sie falsch. Es ist bei dieser Erörterung, wenigstens solange ich dabei war, das Wort »Mord« überhaupt nie gefallen. Der Führer hat auseinandergesetzt: »Den jetzt einsetzenden Terror durch Sabotage und Überfälle in Norwegen wünsche ich genau mit denselben Mitteln zu bekämpfen. Also, wenn ein für Deutschland arbeitender dänischer Betrieb in die Luft gesprengt wird, was geschehen ist, dann wird auch ein Betrieb in die Luft gesprengt, der nur für die Dänen arbeitet; wenn einzelne Stützpunkte von uns durch Terroristen überfallen werden, was auch geschehen ist, dann werden diese Terroristen aufgesucht, dann werden sie auch umstellt, daran werden sie auch im Kampf niedergemacht, und ich wünsche keine Kriegsgerichte, die nur Märtyrer schaffen.« Aber mit keinem Wort hat er davon gesprochen, daß man unschuldige Dänen nun zum Ausgleich ermorden solle. Ich kann nur feststellen: so ist in meiner Gegenwart und in der des Feldmarschalls Keitel gesprochen worden und nicht anders; und es ist wieder völkerrechtlich höchst fraglich, ob eine Wehrmacht nicht berechtigt ist, die Kampfmethoden der Gegenseite auch ihrerseits bei der Gegenbekämpfung zu übernehmen gerade in diesem Franktireurkrieg, in dieser Rebellion; das erscheint mir höchst zweifelhaft.


PROF. DR. EXNER: Sie sagen, in Ihrer Anwesenheit. Waren Sie vielleicht nicht während des ganzen Gesprächs anwesend? Wissen Sie das?


JODL: Ich glaube nicht, daß auch in meiner Abwesenheit irgend etwas anderes gesprochen worden ist. Ich war einmal kurz, vielleicht für eine Viertelstunde zum Telephonieren, nicht dabei.


PROF. DR. EXNER: Nun kommen wir zur Bandenbekämpfung. Es ist hier viel vom Bandenkrieg, von Banditen und so weiter die Rede gewesen. Sagen Sie mal kurz, was waren diese Banden?


JODL: Es ist nicht einfach, diesen Begriff bei den Kampfformen, die dieser Weltkrieg angenommen hatte, klar zu umreißen. Aber fünf Merkmale müssen doch vorliegen,

  • 1. es muß eine Kampfgruppe sein, die sich hinter der eigenen Front gebildet hat;

  • 2. sie ist nicht oder nur teilweise uniformiert;

  • 3. sie gehört nicht organisch zur Wehrmacht, auch wenn sie von ihr Befehle bekommt;

  • [367] 4. sie muß in der Lage sein oder ist in der Regel in der Lage, unter der Bevölkerung...

VORSITZENDER: Wir brauchen keine Vorlesung über diese Angelegenheit.

PROF. DR. EXNER: Also über den Begriff der Banden ist man sich ungefähr im klaren, und ich möchte Sie jetzt über den Kampf gegen die Banden befragen. Dazu muß ich allerdings zuerst vorlesen, was wir über die Banden gehört haben. Das ist ein Dokument L-180, US-276, bei mir im zweiten Band, Seite 121. Das ist ein Gesamtbericht einer Einsatzgruppe im Bandenkampf, und zwar eine Anlage 9 dazu. Und da scheint mir einiges, was auf Seite 122 zusammengestellt ist, doch von Bedeutung; zunächst einmal unter I, Punkt 5, da heißt es:

»In den größeren Städten, insbesondere solchen mit Industrieanlagen, wurden von den Sowjets vor dem Einmarsch der deutschen Truppen sogenannte Istribitjelni-Bataillone (das heißt Vernichtungsbataillone) gebildet.«

Und dann unter III heißt es:

»Die Aufgaben und die Kampfesweise der verschiedenen Partisanengruppen ist teils aus den Erfahrungen der Bekämpfung, teils aus den erfaßten Kampfesanweisungen der Partisanen selbst bekanntgeworden. Bezeichnend ist die Aussage eines gefangenen Partisanen: ›Der Partisan muß alles vernichten, was er erreichen kann‹.«

Und dann, in einer vom Befehlshaber für das rückwärtige Heeresgebiet Nord übermittelten »Kampfesanweisung für Partisanengruppen« heißt es:

»daß ›in den vom Feind besetzten Gebieten für ihn und seine Mithelfer unerträgliche Bedingungen zu schaffen sind. Alle Maßnahmen des Gegners sind zu stören‹.«

Und dann heißt es, Brücken sprengen, Straßen zerstören und so weiter. Ich werde das nicht alles verlesen. Im letzten Absatz, den ich auf Seite 123 abgeschrieben habe, ist noch ausdrücklich gesagt, daß die Partisanen sich sehr geschickt tarnen, daß sie manchesmal als Bauern verkleidet erscheinen oder sich mit Feldarbeiten beschäftigen, sobald deutsches Militär in die Nähe kommt.

Der Zeuge von dem Bach-Zelewski hat hier ausgesagt, es sei der Kampf gegen die Banden chaotisch durchgeführt worden. Er meinte damit, ohne Regelung von oben her durchgeführt worden. Darüber müssen Sie ja orientiert sein. Ist das richtig?

JODL: Das ist nicht richtig. Dieser Sachverständige für den Bandenkampf hat offenbar ein schlechtes Gedächtnis. Ich verweise auf das Dokument F-665 im Dokumentenbuch II, Seite 126. Hier [368] ist die erste Seite einer Kampfanweisung gegen die Banden wiedergegeben. Es nennt sich »Merkblatt für die Bandenbekämpfung«, das ich persönlich am 6. Mai 1944 unterschrieben habe. Und das Gericht wird finden, daß es im zweiten Satz heißt...

PROF. DR. EXNER: Seite 126.

JODL: »Das Merkblatt« – Nummer so und so – »Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten« –, herausgegeben vom Oberkommando der Wehrmacht, Wehrmachtführungsstab, vom 11. November 1942 – »tritt damit außer Kraft.« Damit ist der Beweis geliefert, daß zumindest seit 11. November 1942 im Besitz der Truppe eine vom Wehrmachtführungsstab ausgegebene Vorschrift war, wie man den Bandenkampf zu führen hatte.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte da auch hinweisen auf mein Dokument AJ-1, Seite 133. Das ist ein Affidavit eines Pfarrers Wettberg. Ich will es nicht verlesen; der Mann hat sich bei mir gemeldet, weil er selber im Bandenkampf tätig war, und bestätigt auch, daß es einen ganz geregelten Bandenkampf schon vor dem neuen Merkblatt, also von 1942 an, gegeben hat. Sie haben dieses neue Merkblatt im Jahre 1944 ohne Genehmigung Hitlers herausgegeben, nicht wahr?


JODL: Ja.


PROF. DR. EXNER: Was veranlaßte Sie dazu? Das ist doch ungewöhnlich.


JODL: Ich muß dazu sagen, daß dieses Merkblatt weder dem Feldmarschall Keitel noch dem Führer von mir vorgelegt wurde, denn dieses Merkblatt widerspricht allen bisher gegebenen Befehlen. Es behandelt nämlich, wie ich im einzelnen später noch nachweisen werde, von diesem Zeitpunkt an die gesamten sogenannten Banden in Frankreich und in Jugoslawien. Die russischen Bandengebiete waren inzwischen vor unserer Front. Sie behandeln diese Banden als reguläre Truppen und damit als Kriegsgefangene. Ich habe diesen ungewöhnlichen Schritt getan, weil mir aus der vorausgegangenen Erschießung der englischen Fliegeroffiziere von Sagan klar geworden war, daß sich der Führer von diesem Zeitpunkt an um menschliche Rechtsbegriffe nicht mehr kümmerte und weil ich mich seit dem 1. Mai 1944 verantwortlich fühlte für Völkerrechtsfragen, denn das Amt »Canaris« war am 1. Mai aufgelöst worden und die Abteilung »Ausland« mit der Völkerrechtsgruppe war am 1. Mai unter meinen Befehl getreten. Ich war entschlossen, keine derartige Völkerrechtsverletzung unsererseits zu dulden und mitzumachen. Das habe ich von diesem Tage an bis zur Beendigung des Krieges getan. Ich habe mit dieser Vorschrift die gesamten Banden und die Bandenhelfer, ja sogar die in Zivil, als reguläre Truppen und Kriegsgefangene [369] erklärt, lange bevor Eisenhower diese Stellung der Terroristen in Frankreich von uns gefordert hat. Das geschah nämlich erst am 7. Juli 1944.


PROF. DR. EXNER: Die Anklage behauptet, der Bandenkampf sei nur ein Code gewesen, um die Juden und Slawen zu vernichten. Ist das richtig?


JODL: Der Bandenkampf war eine ungeheuerliche Realität. Ich darf nur, um eine Zahl zu nennen, darauf hinweisen, daß im Juli 1943 1560 Eisenbahnsprengungen in Rußland vorkamen, im September 2600. Das sind im Tage 90. Es ist das Buch von Ponomarenko erschienen, aus dem eine amerikanische Zeitung zitiert hat, daß 500000 Deutsche durch diese Banden getötet worden sein sollen. Wenn man eine Null wegstreicht, so ist das immerhin noch eine beachtliche Leistung für eine friedliche Sowjetbevölkerung. Aber in diesem Buch soll ja stehen, daß die Bevölkerung unaufhörlich feindseliger wurde, Mord und Terror nahmen zu und die friedlichen, die Quisling-Bürgermeister wurden getötet. Also es war schon ein ungeheuerlicher Kampf, der sich hier im Osten abspielte.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte in diesem Zusammenhang noch aufmerksam machen auf einen Eintrag im Tagebuch Jodls, 1807-PS. Das ist Seite 119, zweiter Band meines Dokumentenbuches. Da heißt es am 25. Mai:

»Gen. Oberst Halder macht den Führer aufzunehmende Partisanentätigkeit...«


VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte. Der Angeklagte hat ausgesagt, glaube ich, daß seine Anweisung vom 6. Mai 1944 einen Befehl enthielt, daß die Partisanen als Kriegsgefangene zu behandeln sind. Wollen Sie uns die Stelle angeben?

PROF. DR. EXNER: Wollen Sie das sagen?


JODL: Das steht in der Ziffer 163, auf Seite 131.


PROF. DR. EXNER: Seite 131 des zweiten Bandes.


JODL: Wenn ich es vorlesen darf.


PROF. DR. EXNER: Ja.


JODL:

»Als Kriegsgefangene sind grundsätzlich alle Banditen zu behandeln, die in feindlicher Uniform oder in Zivil im Kampf ergriffen werden oder sich im Kampf ergeben. Das gleiche gilt für alle Personen, die im unmittelbaren Kampfgebiet angetroffen werden und als Bandenhelfer anzusehen sind, auch wenn ihnen keine Kampfhandlungen nachgewiesen werden können. Banditen in deutscher Uniform oder der Uniform einer verbündeten Wehrmacht sind nach sorgfältiger Vernehmung zu erschießen, wenn sie im Kampf gefangengenommen [370] werden. Überläufer, gleichgültig in welcher Bekleidung« – also auch in deutscher Uniform, setze ich dazu –, »sind grundsätzlich gut zu behandeln. Die Banden sollen dies erfahren.«


VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte! Es ist jetzt 13.00 Uhr, vielleicht unterbrechen wir jetzt.

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15, S. 342-372.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Das Leiden eines Knaben

Das Leiden eines Knaben

Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon