Nachmittagssitzung.

[116] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte den Hohen Gerichtshof, mir zu gestatten, mich jetzt wegen der Ritualmorde auf zwei weitere Ausgaben des »Stürmer« zu beziehen. Der erste Auszug erscheint auf Seite 32 des Dokumentenbuchs und trägt die Nummer 2700-PS. Es ist die Abschrift von US-260 und betrifft einen Artikel im »Stürmer« vom Juli 1938:

»Wer einmal Gelegenheit hatte, Augenzeuge beim Schächten von Tieren zu sein, oder wenigstens einen wahrheitsgetreuen Film über das Schächten zu sehen, wird dieses schauerliche Erlebnis niemals vergessen. Es ist grauenhaft! Und unwillkürlich wird er an die Verbrechen erinnert, die die Juden schon seit Jahrhunderten auch an Menschen begehen. Er wird erinnert werden an den Ritualmord. Die Geschichte weist Hunderte von Fällen auf, in welchen nichtjüdische Kinder von Juden zu Tode gemartert wurden. Auch sie sind geschächtet worden. Auch sie hatten den gleichen Schnitt durch den Hals erhalten, wie man ihn bei den geschächteten Tieren antrifft. Auch sie waren bei vollem Bewußtsein langsam verblutet.«

Hoher Gerichtshof! Bei besonderen Anlässen, oder wenn er der Welt einen besonderen Gegenstand unterbreiten wollte, gab der Angeklagte gewöhnlich eine Sonder-Ausgabe des »Stürmer« heraus. Der Ritualmord war eines dieser Sonderthemen, dessentwegen er eine Sonder-Ausgabe veröffentlichte, die ausschließlich diesem Gegenstand gewidmet war. Dem Gerichtshof liegt eine Photokopie der vollständigen Ausgabe vom Mai 1939 vor.

Ich habe nicht versucht, alle oder einige der in dieser Ausgabe erschienenen Artikel übersetzen zu lassen. Es genügt vielleicht, wenn der Gerichtshof sich die Bilder und Illustrationen ansieht, und ich nur die Überschriften vorlese. Ich bedauere, daß die Übersetzungen der Überschriften nicht dem Dokumentenbuch für den Gerichtshof beigefügt sind. Ich möchte um die Erlaubnis bitten, mich auf die Bilder zu beziehen und die Überschriften verlesen zu dürfen.

Die Seiten sind mit Rotstift in der rechten Ecke gekennzeichnet. Auf Seite 1 sehen wir das Bild eines Kindes mit Messern in der Seite, Blut spritzt im Bogen aus dem Körper und unter dem Postament, auf dem es steht, sieht man fünf anscheinend tote Kinder am Boden liegen. Die Überschrift dieses Bildes lautet wie folgt:

»Im Jahre 1476 ermordeten die Juden in Regensburg sechs Knaben. Sie zapften ihnen das Blut ab und marterten sie zu Tode. Die Richter fanden in einem unterirdischen Gewölbe, das dem Juden Josfol gehörte, die Leichen der [116] Ermordeten. Auf einem Altar stand eine mit Blut befleckte steinerne Schale.«

Auf der nächsten Seite sind zwei Bilder, die durch Überschriften erläutert werden; das Bild links oben:

»Dieses Bild gab das Weltjudentum als Postkarte zum jüdischen Neujahrsfest 1913 heraus. Die Juden schlachten am Neujahrs- und Versöhnungsfest einen sogenannten ›Kaporeshahn‹ (kapores = tot), dessen Blut und Tod die Juden entsühnen soll. Im Jahr 1913 trug der Kaporeshahn den Kopf des russischen Zaren Nikolaus II. Die Juden wollten mit der Herausgabe der Postkarte sagen, daß ihr nächstes politisches Sühne-Schlachtopfer Nikolaus II. sein wird. Am 16. Juli 1918 wurde der Zar von den Juden Jurowsky und Goloschtschekin ermordet.«

Das Bild am Ende der Seite zeigt wieder Juden, die einen ähnlichen Vogel halten:

»Der ›Kaporeshahn‹ trägt den Kopf des Führers. Die hebräische Schrift sagt, die Juden werden einst ›alle Hitlerleute kapores (= tot) schlagen‹. Dann seien sie (die Juden) von allem Unglück befreit. Die Juden werden dereinst noch erkennen, daß sie sich bei Adolf Hitler verrechnet haben.«

Die nächste Seite der Zeitung enthält die Bilder-Reproduktionen von früheren Artikeln über Ritualmorde mit einem Bild des Angeklagten Julius Streicher oben auf der Seile.

Auf der vierten Seite finden Sie ein Bild unten rechts, das die Unterschrift trägt:

»Jude beim Passahmahl. In dem Wein und in den Matzen befindet sich nichtjüdisches Blut. Der Jude ›betet‹ vor dem Mahl. Er wünscht allen Nichtjuden den Tod.«

Auf der fünften Seite finden Sie Reproduktionen einiger europäischer und amerikanischer Zeitungsartikel und Briefe, die diese Zeitungen während der letzten Jahre zum Protest gegen diese Ritualmord-Propaganda erhalten hatten. In der Mitte finden Sie einen Protestbrief des Erzbischofs von Canterbury an den Herausgeber der »Times«.

Auf der nächsten Seite, Seite 6, sehen wir wieder das scheußliche Bild eines Mannes, dem die Kehle durchschnitten wird; wieder sieht man den nun schon bekannten Blutstrahl in einen am Boden stehenden Behälter fließen. Die Unterschrift zu diesem Bild lautet wie folgt:

»Ritualmord an dem Knaben Heinrich. Im Jahre 1345 schächteten die Juden in München einen nichtjüdischen Knaben. Der Märtyrer wurde von der Kirche selig gesprochen.«

[117] Auf Seite 7 erscheint ein Bild, das drei Ritualmorde darstellt. Auf Seite 8 ein weiteres Bild: »Der Heilige Gabriel« mit der Erklärung:

»Der Knabe wurde von den Juden im Jahre 1690 gekreuzigt und zu Tode gequält. Das Blut wurde ihm abgezapft.«

Ich glaube, wir können die Seiten 9 und 10 auslassen.

Auf Seite 11 sehen wir einen Teil einer Skulptur an einer Wand der Wallfahrtskapelle in Wesel; das Bild stellt einen Ritualmord an einem Knaben namens Werner dar, ein abscheuerregendes Bild dieses Knaben, der, mit den Füßen nach oben aufgehängt, von zwei Juden gemordet wird.

Seite 12 zeigt ein weiteres Bild, dessen Erklärung lautet:

»Die einbalsamierte Leiche des von den Juden zu Tode gemarterten ›Simon von Trient‹.«

Seite 13 zeigt ein weiteres Bild: wieder jemand, der mit einem Messer gestochen wird, und wieder sieht man das Blut in eine Schüssel fließen.

Auf Seite 14 sind zwei Bilder, das eine, das obere Bild, stellt angeblich den Ritualmord an dem Knaben Andreas dar, und das untere Bild zeigt einen Grabstein mit der folgenden Unterschrift:

»Grabmal Hilsners. Dies ist das Ehrenmal für den jüdischen Ritualmörder Leopold Hilsner. Er wurde zweier Ritualmorde überführt und wurde in zwei Gerichtsverhandlungen zum Tode durch den Strang verurteilt. Der bestochene Kaiser begnadigte ihn. Der Judengenosse Masaryk befreite ihn im Jahre 1918 aus dem Zuchthaus. Selbst auf dem Grabstein bezeichnet das verlogene Judentum den zweifachen Mörder als ›unschuldiges Opfer‹.«

Die nächste Seite bringt ein weiteres Bild einer Frau, der ebenfalls auf dieselbe Weise die Kehle durchschnitten wird. Ich möchte sodann auf Seite 17 hinweisen, sie zeigt die Reproduktion eines Bildes des Erzbischofs von Canterbury und ein Bild eines alten Juden; die Unterschrift lautet:

»Dr. Lang. Der Erzbischof von Canterbury, der höchste Würdenträger der englischen Kirche. Und seine Verbündeten. Ein Musterexemplar der jüdischen Rasse.«

Und auf der letzten Seite, Seite 18, sehen Sie ein Bild mit der Unterschrift:

»Der zu Tode gefolterte ›Heilige Simon‹ von Trient.«

Hoher Gerichtshof! Ich bin der Ansicht, daß dieses Dokument nichts anderes ist als eine Aufhetzung des deutschen Volkes, das derartiges las, nichts anderes als eine Aufhetzung zum Mord. Es ist angefüllt mit Mordbildern, mit Morden, die angeblich gegen das deutsche Volk begangen wurden, und es soll Ansporn sein für [118] alle Leser, sich zu rächen, und zwar auf dieselbe Weise. Ich führe dieses Dokument M-10 als GB-173 ein.

DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Der Angeklagte Julius Streicher macht mich eben darauf aufmerksam, daß ihm bisher noch keine Möglichkeit gegeben war, nachzuweisen, woher diese Bilder, auf die eben die Anklage Bezug genommen hat, entnommen sind. Es ist nach Ansicht der Verteidigung notwendig, daß der Ursprung dieser Bilder, dieser Abbildungen dem Gericht klar gemacht wird; es könnte ja sonst die Meinung entstehen, daß diese Bilder eigens für den »Stürmer« aus irgendeiner dunklen Quelle entnommen seien. Der Angeklagte Streicher weist aber darauf hin, daß diese Bilder aus anerkannten Geschichtsquellen geflossen sind. Ich möchte mir daher die Anregung erlauben, die Anklagebehörde zu veranlassen, dieses Material ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Aus den Artikeln des »Stürmer«, auf die Bezug genommen worden ist, müßte sich meines Erachtens ergeben, was die Quellen sind, aus denen der Angeklagte Streicher geschöpft hat.

VORSITZENDER: Geben die Artikel die Quellen an? Geben die Artikel selbst die Quellen an?


DR. MARX: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich hätte erwähnen sollen, daß keine Absicht bestand, diese Angelegenheit falsch darzustellen. Diese Bilder sind Reproduktionen von Originalbildern, die nicht von der Zeitschrift erfunden wurden. In einigen Fällen wurden die Quellen in der Überschrift angegeben. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von mittelalterlichen Bildern und Fresken, die sich mit dieser Sache befassen. Die Zeitung gibt tatsächlich fast in allen Fällen an, woher die Bilder stammen.


DR. MARX: Ich danke Ihnen.


VORSITZENDER: Sie haben uns bereits erklärt, daß die Bilder mittelalterlichen Datums waren.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jawohl, Hoher Gerichtshof! Im Januar 1938, der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß im Jahre 1938 die Verfolgung der Juden im Ansteigen begriffen war, im Januar 1938 wurde aus uns unbekannten Gründen eine andere Sonder-Ausgabe des »Stürmer« veröffentlicht. Wenn sich der Gerichtshof der Seite 34 des Dokumentenbuchs zuwenden will, so werde ich einen kurzen Abschnitt aus dem Leitartikel in dieser Sonder-Nummer zitieren, einem Artikel, der von dem Angeklagten geschrieben wurde.

»Höchster Zweck und höchste Aufgabe des Staates ist es also, das Volk, das Blut, die Rasse zu erhalten. Wenn dies [119] aber die höchste Aufgabe ist, dann muß den Verbrecher gegen dieses Gesetz die höchste Strafe treffen. Der ›Stürmer‹ ist deshalb der Auffassung, daß es für das Verbrechen der Rassenschande nur zwei Strafen geben kann, erstens, lebenslängliche Zuchthausstrafe für den Versuch der Rassenschande, zweitens, die Todesstrafe für das vollendete Verbrechen.«

Und, falls es tatsächlich noch notwendig sein sollte, die Wesensart dieser Zeitschrift weiterhin zu charakterisieren, bitte ich die Herren Richter, sich der nächsten Seite zuzuwenden, auf der Sie die Überschriften einiger der in dieser Ausgabe enthaltenen Artikel vorfinden:

»Jüdische Rassenschänder an der Arbeit.«

»15 Jahre alte Nichtjüdin geschändet«

»Ein gefährlicher Rassenschänder. Er betrachtet die deutsche Frau als Freiwild.«

»Das jüdische Sanatorium. Eine jüdische Anstalt zur Kultivierung von Rassenschande.«

»Schändung einer Schwachsinnigen.«

»Der jüdische Hausdiener. Bestiehlt die jüdische Dienstherrschaft und treibt Rassenschande.«

Ein Exemplar dieser Ausgabe liegt dem Gerichtshof bereits als US-260 vor.

Von der nächsten Seite des Dokumentenbuchs werde ich lediglich die letzten zwei Zeilen erwähnen. Es handelt sich hierbei um einen Artikel, der im »Stürmer« erschien, wobei ich erwähnen muß, daß dieser Artikel nicht von dem Angeklagten Streicher selbst geschrieben wurde, sondern von seinem damaligen Redakteur, Karl Holz:

»... Diese Rache wird eines Tages losbrechen und wird Alljuda vom Erdboden vertilgen.«

Und dann auf Seite 37. Im September 1938 enthielt der »Stürmer« einen Artikel, dessen letzte zwei Zeilen wie folgt lauten:

»Ein Schmarotzer, ein Schädling, ein Tunichtgut, ein Krankheitserreger, der im Interesse der Menschheit beseitigt werden muß.«

Ich darf meine Ansicht hierzu dem Gerichtshof dahin unterbreiten, daß es sich hier nicht mehr länger um Propaganda zur Verfolgung der Juden handelt; sondern dies ist Propaganda für die Vernichtung der Juden, für die Ermordung nicht eines einzelnen Menschen, sondern von Millionen.

Das nächste Dokument im Dokumentenbuch auf Seite 38 wurde bereits als Beweismaterial vorgelegt und dem Gerichtshof vorgelesen. Es ist Beweisstück US-260, das sich im Dokumentenbuch [120] befindet und in das Protokoll Band III, Seite 583 aufgenommen wurde. Es handelt sich um einen kurzen Artikel vom Dezember 1938, der in Nummer 50 des »Stürmer« erschien.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das nächste Dokument lenken, auf ein Bild in der gleichen Ausgabe. Es zeigt den Oberteil eines Frauenkörpers, von den Armen eines Mannes umklammert, der mit seinen Händen ihren Hals würgt. Der Schatten des Gesichts, der sich gegen den Hintergrund abzeichnet, trägt ausgesprochen jüdische Züge. Die Über-und Unterschriften dieses Bildes lauten:

»Entmannung der Rassenschänder.

Nur harte Strafen schützen unsere Frauen vor weiterem Zugriff ekler Judenklauen.

Die Juden sind unser Unglück.«

Ich wende mich nunmehr einen Augenblick vom »Stürmer« ab und einem besonderen Zwischenfall zu, bei dem der Angeklagte Streicher eine führende Rolle gespielt hat.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß am 9. und 10. November 1938 organisierte Demonstrationen gegen die Juden stattfanden. Diese ganze Propaganda wurde immer wilder, und im Herbst des gleichen Jahres organisierte der Angeklagte Streicher anläßlich einer Pressekonferenz in Nürnberg die Zerstörung der Nürnberger Synagogen. Dieser Zwischenfall ist schon früher in diesem Verfahren erwähnt worden. Die damit im Zusammenhang stehenden Dokumente sind 1724-PS, US-266, die in das Protokoll Band III, Seite 586 eingeführt sind.

Gauleiter Julius Streicher hat persönlich den Kran in Bewegung gesetzt, mit dem die jüdischen Symbole von der Synagoge heruntergerissen wurden.

Aus einem weiteren bereits eingeführten Dokument, 2711-PS, US-267, das ebenfalls in Band III, Seite 587 des Protokolls erwähnt ist, verlese ich zwei Zeilen:

»... die Synagoge wird abgebrochen! Julius Streicher leitete selbst durch eine mehr als eineinhalbstündige Rede den Beginn der Arbeiten ein. Auf seinen Befehl löste sich dann, gewissermaßen als Auftakt des Abbruches, der riesige Davidstern von der Kuppel.«

Der Angeklagte hat natürlich persönlich an den November-Demonstrationen dieses Jahres teilgenommen. Ich behaupte nicht, daß er für die Idee dieser Demonstrationen verantwortlich ist. Das Beweismaterial gegen ihn beschränkt sich auf die Rolle, die er hierbei in seinem Gau, in Franken, spielte.

Auf Seite 43 des Dokumentenbuchs befindet sich ein Bericht über die Nürnberger Demonstrationen vom 11. November, wie sie in der [121] »Fränkischen Tageszeitung« gemeldet wurden, die – wie bekannt – seine Zeitung war. Ich zitiere:

»In Nürnberg und Fürth kam es zu Demonstrationen der Volksmenge gegen das jüdische Mördergesindel. Sie dauerten bis in die frühen Morgenstunden an. Lange genug hatte man dem Treiben der Juden in Deutschland zugeschaut.«

Dann gehe ich zu den letzten drei Zeilen jenes Absatzes über:

»Nach Mitternacht hatte die Erregung der Bevölkerung ihren Höhepunkt erreicht und eine größere Menschenmenge zog vor die Synagogen in Nürnberg und Fürth und steckte diese beiden Judenhäuser, in denen der Mord am Deutschtum gepredigt wurde, in Brand. Die sofort verständigte Feuerwehr sorgte dafür, daß das Feuer auf seinen Herd beschränkt blieb. Auch Fensterscheiben der jüdischen Geschäftsbesitzer, die noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben hatten, an dumme Gojims ihren Ramsch zu verkaufen, wurden eingeschlagen. Dank dem disziplinvollen Einsatz herbeigeeilter SA-Männer und der Polizei kam es nirgends zu Plünderungen.«

Das wird Beweisstück GB-174.

Das folgende Dokument im Dokumentenbuch ist der Bericht über Streichers Rede vom 10. November, dem Tage der Demonstrationen. Ich möchte zwei Absätze von dieser Seite verlesen und beginne in der Mitte des ersten Absatzes:

»Der Jude wird von Kindesbeinen an erzogen nicht mit solchen Sätzen, wie wir erzogen werden, ›Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst‹, oder ›Wenn Du auf die linke Wange geschlagen wirst, so halte die rechte auch hin‹; nein, ihm wird gesagt: ›Mit dem Nichtjuden kannst Du tun was Du willst‹. Er wird sogar dazu erzogen, die Hinschächtung eines Nichtjuden als gottwohlgefälliges Werk anzusehen. Seit 20 Jahren schreiben wir das im ›Stürmer‹, seit 20 Jahren predigen wir es der ganzen Welt, und Millionen haben wir zur Erkenntnis der Wahrheit gebracht.«

Ich beziehe mich auf den letzten Absatz:

»Der Jude hat in einer Nacht 75000 Perser geschächtet, er hat, als er aus Ägypten auszog, die Erstgeburt, das heißt, die ganze Nachkommenschaft der Ägypter, umgebracht. Was wäre gekommen, wenn der Jude es fertiggebracht hätte, die Völker in den Krieg gegen uns zu hetzen, und wenn wir den Krieg verloren hätten. Der Jude wäre unter dem Schutz ausländischer Bajonette über uns hergefallen und hätte geschächtet und gemordet. Vergesset nie, was die Geschichte berichtet.«

[122] Hoher Gerichtshof! Nach den November-Demonstrationen hat sich im Gau Franken eine Reihe von Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der organisierten Arisierung von jüdischem Eigentum ereignet. Die Arisierung jüdischen Eigentums wurde natürlich vom Staate geregelt. In einem Erlaß wurde bestimmt, daß der Erlös oder eventuell anfallende Beträge, die aus der Übernahme jüdischen Eigentums durch Arier entstehen, dem Staate zufallen sollten. Anscheinend fand im Gau Franken der größte Teil der Einnahmen niemals seinen Weg bis zum Staatssäckel, und infolgedessen hatte Göring eine Kommission zur Untersuchung des Sachverhalts ins Leben gerufen. Wir sind im Besitz des Berichts dieser Kommission, und ich darf den Gerichtshof auf einige kurze darin enthaltene Absätze hinweisen. Auf Seite 45 ersehen wir ganz deutlich, was sich nach dem Bericht in dem Gau des Angeklagten Streicher zugetragen hat. Ich zitiere von der Stelle, wo gegenüber »Seite 13« steht...

DR. MARX: Der Herr Vertreter der Anklage beabsichtigt zum Beweise für Unregelmäßigkeiten, die sich im Zuge der Arisierungen in Nürnberg nach dem 9. November ereigneten, einen Bericht anzuziehen, den der stellvertretende Gauleiter Holz anläßlich seiner Vernehmung gegenüber der Untersuchungskommission abgab. Ich möchte gegen die Verwertung dieses Berichts protestieren. Zwischen dem Angeklagten Streicher und dem stellvertretenden Gauleiter Holz bestand eine reichliche Spannung, wenn nicht Feindschaft. Der stellvertretende Gauleiter Holz war gerade derjenige, auf den diese Arisierungen zurückzuführen waren. Es ist keinesfalls erwiesen, daß Streicher mit der Vornahme dieser Arisierungen einverstanden war. Es ist vielmehr anzunehmen, daß Holz, um sich selbst zu decken, hier Angaben machte, die er selbst nicht verantworten könnte, wäre er heute als Zeuge hier erschienen. Es handelt sich demnach im Bericht des Holz um Behauptungen eines stark Beteiligten, eines als Mittäter in Betracht Kommenden und eines Mannes, der mit dem Angeklagten Streicher verfeindet war. Holz machte Streicher schwere Vorwürfe, weil Streicher ihn nicht deckte gegenüber der Kommission und gegenüber dem damaligen Ministerpräsidenten Göring. Ich glaube daher nicht, daß man diesen Bericht verwerten kann.

VORSITZENDER: Haben Sie gesagt, was Sie vorbringen wollten?


DR. MARX: Jawohl, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß dieses Dokument, das ein amtliches Dokument ist, unter Artikel 21 zugelassen werden kann, und daß diese Einwände, die Sie hierzu erhoben haben, nicht Einwände sind, welche die Zulassung desselben als Beweismaterial, sondern ihren Inhalt beeinträchtigen.[123] Was diese Einwendungen anbetrifft, werden Sie späterhin Gelegenheit haben, sie vorzubringen, wenn die Verteidigung an der Reihe ist. Der Gerichtshof entscheidet, das Dokument zuzulassen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Herr Vorsitzender! Ich lese von der Mitte der Seite 45 des Dokumentenbuchs:

»In Verfolg der Novemberdemonstrationen griff der stellvertretende Gauleiter Holz die Judenfrage auf. Seine... Beweggründe können hier auf Grund seiner Äußerung vom 25. März 1939 ausführlich wiedergegeben werden:

›Der 9. und 10. November 1938.

In der Nacht vom 9. und 10. November und am 10. November 1938 trugen sich in ganz Deutschland Ereignisse zu, die ich‹« – ich betone, daß es Holz ist, der jetzt spricht – »›als das Signal für eine völlig andere Behandlung der Judenfrage in Deutschland ansah. Es wurden die Synagogen und die jüdischen Schulen niedergebrannt und es wurde das jüdische Eigentum sowohl in den Geschäften als auch in den Privathäusern zerschlagen. Außerdem wurde durch die Polizei eine große Anzahl namhafter Juden in die Konzentrationslager verbracht. Wir besprachen uns gegen Mittag im Hause des Gauleiters über diese Vorgänge. Jeder von uns war der Auffassung, daß wir nun in der Judenfrage vor einer vollkommen neuen Sachlage stünden. Durch die in der Nacht und am Morgen des 10. November vorgenommene große Aktion gegen die Juden waren alle Richtlinien und alle Gesetze auf diesem Gebiet illusorisch gemacht worden. Wir waren (und insbesondere war das meine Meinung) der Auffassung, daß nun in dieser Hinsicht selbständig zu handeln sei. Ich machte dem Gauleiter den Vorschlag, daß man in Anbetracht der bestehenden großen Wohnungsnot am besten die Juden in eine Art Internierungslager stecke. Dann würden die Wohnungen augenblicklich frei und es könne die Wohnungsnot zum Teil wenigstens behoben werden. Außerdem hätte man die Juden unter Kontrolle und unter Bewachung! Ich setzte noch hinzu, unseren Kriegsgefangenen und Kriegsinternierten ist es ja auch nicht anders gegangen‹. Der Gauleiter bezeichnete diesen Vorschlag als zunächst nicht durchführbar. Daraufhin machte ich ihm einen zweiten Vorschlag: Ich erklärte ihm, daß ich es für undenkbar halte, daß die Juden noch jetzt, nachdem man ihnen ihr Eigentum zerschlagen habe, Häuser und Grundstücke besitzen konnten. Ich machte den Vorschlag, daß ihnen diese Häuser und Grundstücke entzogen werden müßten und erklärte mich bereit, daß ich eine derartige Aktion durchführen würde. Ich erklärte, durch diese Arisierung jüdischer Grundstücke [124] und Häuser könnte man aus deren Erlös dem Gau einen großen Betrag zuführen. Ich nannte einige Millionen Mark. Ich erklärte, daß nach meiner Ansicht diese Arisierung ebenso legal durchgeführt werden könne wie die Arisierung der Geschäfte. Der Gauleiter erklärte hierauf etwa dem Sinne nach:

›Wenn Sie glauben, dies durchführen zu können, dann tun Sie es. Der erlöste Betrag soll dann zum Bau einer Gauschule verwendet werden.‹«

Ich wende mich nun der Seite 18 zu, wo es wie folgt heißt:

»Die Arisierungen wurden vollzogen durch Veräußerungen von Grundstücken, Abtretung von Forderungen, insbesondere Hypothekenforderungen und Kaufpreisherabsetzungen.

Die den Juden zugebilligte Gegenleistung betrug grundsätzlich 10 % des Einheitswertes oder Nennbetrages der Forderung. Zur Begründung dieser geringen Preise hat sich Holz in der Berliner Sitzung vom 6. Februar 1939 darauf berufen, daß die Juden ihre Grundstücke zumeist in der Inflation für weniger als 1/10 des Wertes erworben hätten. Diese Behauptung entspricht, wie die stichprobenweise Nachprüfung einer großen Anzahl von Einzelfällen ergeben hat, nicht den Tatsachen.«

Herr Vorsitzender! Ich wende mich nun der Seite 48 des Dokumentenbuchs zu, dem zweiten Teil dieses Berichts, dem Teil, der die Feststellungen der Kommission enthält. Ich zitiere vom Anfang der Seite 48 des Dokumentenbuchs:...

VORSITZENDER: Ist dies noch ein Teil des Berichts?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jawohl, dies gehört noch zum Bericht. Dieser Teil enthält die eigentlichen Ermittlungen der Kommission.

»Gauleiter Streicher liebt es, Menschen mit der Reitpeitsche zu verprügeln, vorausgesetzt, daß er sich in Begleitung mehrerer ihm helfender Personen befindet. Die Verprügelungen gehen meist mit sadistischer Roheit vor sich.«

Am bekanntesten ist der Fall Steinruck, den er zusammen mit dem stellvertretenden Gauleiter Holz und SA-Oberführer König in der Gefängniszelle blutig schlug. Nach Rückkehr von dieser Szene in den ›Deutschen Hof‹ äußerte er: ›Jetzt bin ich erlöst, das habe ich wieder einmal gebraucht!‹ Auch später erklärte er öfters, daß er wieder einmal einen Fall Steinruck brauche, um sich zu ›erlösen‹.

Im August 1938 verprügelte er auf dem Gauhaus zusammen mit dem Gauamtsleiter Schöller und seinem Adjutanten König den Schriftleiter Burker.

[125] Um die Macht und die Autorität, die er in seinem Gau innehatte, zu zeigen, verweise ich auf den letzten Absatz der gleichen Seite:

»Nach Mitteilung zuverlässiger Zeugen pflegt Gauleiter Streicher bei den verschiedensten Gelegenheiten darauf hinzuweisen, daß im Gau Franken nur er zu bestimmen habe. Z.B. sagte er in einer Versammlung im Colosseum in Nürnberg 1935, ihn könne niemand absetzen und in einer Versammlung im Herkules-Saal, in der er schilderte, wie er den Prof. Steinruck geschlagen hat, betonte er, daß er sich von niemanden schlagen lasse, auch nicht von einem Adolf Hitler.

Denn, auch das muß hier festgestellt werden, in Franken handelt erst der Gau und befiehlt dann den absolut willenlosen Behördenstellen, daß sie zu genehmigen haben.«

Hoher Gerichtshof, beide Bände dieses Berichts werden nunmehr als Dokument 1757-PS, GB-175, eingereicht.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist nicht davon überzeugt, daß das etwas mit der Anklage gegen Streicher zu tun hat.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Hoher Gerichtshof, das Dokument hat den Zweck, die Art der Behandlung und Verfolgung zu zeigen, denen die Juden in dem Gau des Angeklagten Streicher ausgesetzt waren, und, um zweitens die absolute Gewaltherrschaft zu beweisen, die der Angeklagte in seinem Gau ausübte. Das war der Sinn dieses Dokuments.

Der Angeklagte wurde im Februar 1940, entweder auf Grund dieser Untersuchung oder wegen anderer Dinge, seiner Stellung als Gauleiter enthoben; er zog sich aber nicht von seiner Propagandatätigkeit zurück und blieb auch Herausgeber seiner Zeitung.

Ich möchte nur noch einen weiteren kurzen Auszug aus dem »Stürmer« anführen, und zwar einen von ihm selbst geschriebenen Artikel vom 4. November 1943, der sich im Dokumentenbuch auf Seite 53, 1965-PS, befindet, und den ich jetzt als GB-176 einführe. Es handelt sich um einen Auszug von besonderer Bedeutung:

»Es ist wirklich Wahrheit, daß die Juden ›sozusagen‹ aus Europa verschwunden sind, und daß das jüdische ›Reservoir des Ostens‹, aus dem die Judenseuche seit Jahrhunderten über die europäischen Völker gekommen ist, aufgehört hat, zu bestehen...

Aber der Führer des deutschen Volkes hat schon zu Beginn des Krieges das nun Gekommene prophezeit...«

Dieser Artikel war von Streicher unterschrieben und zeigt meiner Ansicht nach, daß der Angeklagte wußte, was im Osten vorging, also die Vorgänge kannte, über die der Hohe Gerichtshof bereits unterrichtet ist. Wie es dem Gerichtshof erinnerlich sein[126] dürfte, wurde im April 1943 das Warschauer Ghetto zerstört. Im Zeitraum vom April 1942 bis zum April 1944 wurden ungefähr 1700000 Juden in Auschwitz und Dachau getötet; und ich zitiere jetzt aus dem Verhandlungsprotokoll: »... während der ganzen Periode mußten Millionen Juden sterben.«

Ich behaupte, daß dieser Artikel vom 4. November, den der Angeklagte schrieb, beweist, daß er wußte, was sich ereignete, vielleicht nicht in allen Einzelheiten, aber er wußte, daß die Juden liquidiert wurden.

Ich verlasse nun den »Stürmer« und möchte den Gerichtshof nur noch ganz kurz auf eine Sache hinweisen, die vielleicht ebenso böse ist wie jede andere Tätigkeit dieses Mannes; ich meine hier die besondere Aufmerksamkeit, die der Angeklagte der Schulung, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann, oder vielmehr der Irreführung der Kinder und der Jugend in Deutschland widmete. Es genügte ihm nicht, das deutsche Volk aufzuhetzen. Er erfaßte auch die Kinder in den Schulen und begann so frühzeitig wie möglich, ihr Denken zu vergiften. Der Gerichtshof dürfte sich einiger bereits verlesener Auszüge erinnern, in denen Kinder erwähnt wurden, sowie die Notwendigkeit, sie den Antisemitismus zu lehren. Ich möchte nun von Seite 54 des Dokumentenbuchs vier oder fünf Zeilen aus dem letzten Absatz, und zwar aus der Mitte des letzten Absatzes, verlesen. Es ist der Bericht einer Rede, die Streicher schon im Juni 1925 hielt und in der er sagt:

»Ich wiederhole: Wir fordern die Umgestaltung der Schule in eine deutsch-völkische Erziehungs anstalt. Wenn wir deutsche Kinder von deutschen Lehrern unterrichten lassen, dann ist der Anfang zur deutsch-völkischen Schule gemacht. In dieser deutsch-völkischen Schule muß die Rassenkunde gelehrt werden...«

Ich gehe nun zur letzten Zeile des ersten Absatzes auf der nächsten Seite über:

»Deshalb verlangen wir die Einführung der Rassenkunde in der Schule!...«

Dies ist aus Julius Streicher, »Kampf dem Weltfeind«, Reden aus der Kampfzeit. Stürmer-Verlag 1938. (GB-165, Dokument 030-M)

Das folgende Dokument, M-43, ist ein Auszug aus der »Fränkischen Tageszeitung« vom 19. März 1934, als Streicher eine Mädchenklasse in der Schule Preißlerstraße beim Abschluß ihres Lehrgangs mit einer Ansprache begrüßte. Er hielt beständig Versammlungen von Kindern ab und wohnte dem Unterricht von Kindern bei. Ich verlese den dritten Absatz:

»Dann erzählte Julius Streicher aus seinem Leben, erzählte von einer Schülerin, die einst zu ihm in die Schule ging, die dem Juden verfiel und verloren war für ihr ganzes Leben.«

[127] Ich brauche den Rest nicht zu verlesen. Es ist alles im gleichen Tone gehalten. Ich führe dieses Dokument als GB-177 ein.

Jeden Sommer feierte man in Nürnberg die sogenannten Sonnwendfeiern, ein heidnischer Brauch, zu dem die Jugend von Nürnberg von dem Angeklagten Streicher zusammengerufen, organisiert oder zumindest ermutigt wurde.

Auf Seite 58 des Dokumentenbuchs ist ein Bericht aus seiner Zeitung, der »Fränkischen Tageszeitung«, entnommen, der seine Ansprache an die Hitlerjugend am 22. Juni 1935 auf dem von ihnen sogenannten »Heiligen Berg« bei Nürnberg enthält:

»Buben und Mädel! Schaut auf etwas mehr als ein Jahrzehnt zurück. Ein großer Krieg – der Weltkrieg – war hinweggerast über die Völker der Erde und hat am Ende einen Trümmerhaufen zurückgelassen. Ein einziges Volk blieb in diesem furchtbaren Krieg Sieger, ein Volk, von dem Christus sagte, sein Vater sei der Teufel. Dieses Volk hatte das deutsche Volk an Leib und Seele zugrunde gerichtet. Da stand Adolf Hitler aus dem Volk als Unbekannter auf; wurde ein Rufer zu heiligem Kampf und Streit. Er rief hinein in das Volk, jeder möge sich wieder ermannen und möge aufstehen und mithelfen, dem deutschen Volk den Teufel zu nehmen, auf daß die Menschheit wieder frei werde von jenem Volk, das mit einem Kainszeichen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden über den Erdball hinwandert.

Buben und Mädel! Wenn man auch sagt, die Juden seien einst ein auserwähltes Volk gewesen, so glaubt das nicht, sondern glaubt uns, wenn wir sagen, die Juden sind kein auserwähltes Volk. Denn es kann nicht sein, daß ein auserwähltes Volk heute so wirkt unter den Völkern wie das jüdische Volk.«

Und so weiter mit ähnlicher Propaganda. Dieses Dokument, M-1, führe ich als GB-178 ein.

Das nächste Dokument, M-44, das ich nun nicht verlesen will, führe ich als GB-179 ein. Der Gerichtshof möge sehen, daß es sich hier um einen Bericht über Streichers Weihnachtsansprache an 2000 Kinder in Nürnberg aus dem Jahre 1936 handelt. Er fragt seine atemlos lauschenden Zuhörer: »Wißt Ihr, wer der Teufel ist?« »Der Jud, der Jud«, so schallte es ihm aus tausend Kinderkehlen entgegen.

Aber der Angeklagte gab sich nicht mit Schreiben und Sprechen allein zufrieden. Er verfaßte darüber hinaus ein Handbuch für Lehrer, ein Buch, das von seinem Verlag »Der Stürmer« unter dem Titel: »Die Judenfrage im Unterricht« herausgegeben wurde.

Ich habe nicht das ganze Buch übersetzen lassen. Es ist an Schullehrer gerichtet und als Hilfsmittel für den Unterricht gedacht. [128] Es betont die Notwendigkeit, den Antisemitismus in der Schule zu lehren und gibt Wege an, wie dieses Thema in die Schule eingeführt und behandelt werden kann.

Auf Seite 60 des Dokumentenbuchs, M-46, wird der Gerichtshof einige Auszüge aus diesem Buche finden. Die Einführungsworte lauten wie folgt:

»Der nationalsozialistische Staat hat auf allen Le bensgebieten des deutschen Volkes grundlegende Veränderungen gebracht. Er hat damit auch den deutschen Lehrer vor neue Aufgaben gestellt. Der nationalsozialistische Staat verlangt von seinen Lehrern die Unterrichtung der deutschen Kinder in der Rassenfrage. Die Rassenfrage aber ist für das deutsche Volk die Judenfrage. Wer dem Kind das Wissen vom Juden beibringen will, muß selbst ein Wissender geworden sein.«

Ich lese aus dem Absatz von Seite 5. Das übrige dieser Auszüge sind tatsächlich Anregungen für Lehrer, wie die Einführung der jüdischen Frage in ihrem Lehrplan durchzuführen sei. Auf Seite 5 der Einleitung steht geschrieben:

»Die Rassen- und Judenfrage ist das Kernproblem der nationalsozialistischen Weltanschauung. Die Lösung dieses Problems sichert das Bestehen des Nationalsozialismus und damit das Bestehen unseres Volkes für ewige Zeiten. Die ungeheure Bedeutung der Rassenfrage wird heute vom deutschen Volk fast restlos erkannt. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, mußte unser Volk einen langen Leidensweg gehen.«

DR. MARX: Ich möchte folgendes feststellen: Der Herr Vorredner unterließ in seiner Darstellung, daß das von ihm herangezogene Buch »Die Judenfrage im Unterricht« nicht von dem Angeklagten Streicher, sondern von dem Schulrat Fink verfaßt ist. Wenn der Herr Ankläger den nächsten Satz noch gelesen hätte, so wäre der Gerichtshof über diesen Punkt aufgeklärt gewesen. Mein Klient machte mich auf diesen Punkt aufmerksam, ich selbst nahm das ebenfalls wahr, weil bereits der folgende Satz lautet:

»Schulrat Fink will mit seiner Schrift: ›Die Judenfrage im Unterricht‹ dem deutschen Lehrer auf dem Weg zur Kenntnis und Erkenntnis Helfer sein.«

Es kann also kein Zweifel bestehen, daß dieser Schulrat Fink der Verfasser dieses Buches ist. Es ist immerhin wesentlich zu wissen, daß nicht Streicher, sondern Fink der Autor dieses Büchleins ist.

[129] VORSITZENDER: Haben Sie Ihre Ausführungen beendet?

DR. MARX: Ja, das ist das, was ich sagen wollte.


VORSITZENDER: Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß, obwohl das Buch von Fritz Fink geschrieben zu sein scheint, wie es aus dem ersten Absatz hervorgeht, es mit einem Vorwort von Streicher versehen ist; somit dürfen wir annehmen, daß Streicher es gebilligt hat. Es wurde auch beim »Stürmer« verlegt und gedruckt.


DR. MARX: Richtig! Ich wollte nur dem Gerichtshof gegenüber zum Ausdruck bringen, daß es nicht verständlich erschien, daß gerade dieser Satz nicht ausgesprochen wurde. Man könnte der Meinung sein, daß es sich um ein Originalwerk Streichers handle, wobei die Frage, ob, oder daß Streicher dieses Werk deckt, von geringerer Bedeutung ist.


VORSITZENDER: Aber sehen Sie, Dr. Marx, der Ankläger hat tatsächlich aus dem Vorwort von Streicher vorgelesen. Der letzte verlesene Satz oder fast der letzte war aus dem Vorwort von Streicher. Die letzte Stelle, die ich hier angemerkt habe, steht auf dem Teil der Seite 60 des Dokumentenbuchs, der als »Vorwort« betitelt und von Julius Streicher unterschrieben ist und in dem ausdrücklich erwähnt wird, daß das Buch von Schulrat Fritz Fink geschrieben wurde. Verlieren wir nicht mehr Zeit damit!


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich glaube stehen geblieben zu sein...


VORSITZENDER: Wollen Sie die letzten Worte des Vorworts auf Seite 60 verlesen: »Wer mit dem Herzen in sich aufnimmt...«?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jawohl, Herr Vorsitzender, mit Ihrer Erlaubnis werde ich den Schluß des ersten Absatzes des Vorworts vorlesen:

»Wer mit dem Herzen in sich aufnimmt, was Fritz Fink mit einem Herzen niederschrieb, das sich schon seit vielen Jahren um sein Volk sorgt, der wird dem Schöpfer dieses äußerlich kleinen Werkes dankbar sein.«

Unterschrieben war dies von Julius Streicher, Stadt der Reichsparteitage Nürnberg, 1937. Ich habe den letzten Teil wegen Zeitersparnis ausgelassen.

VORSITZENDER: Jawohl.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Dieses Buch ist Beweisstück GB-180. Ich möchte noch die zwei letzten Zeilen verlesen, da Ich dies infolge der Unterbrechung durch Dr. Marx vorher nicht tun konnte. Die drei letzten Zeilen des Absatzes unter »Vorwort« lauten:

[130] »Es soll und darf in unserem Volke keiner mehr aufwachsen, der nicht den Juden in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit und Gefährlichkeit kennen würde.«

Ich will die Zeit des Gerichtshofs nicht durch weiteres Vorlesen aus diesem Buch in Anspruch nehmen. Ich nehme an, daß der Charakter des Buches offenbar geworden ist. Ich möchte mich nur noch auf die drei letzten Zeilen der nächsten Seite des Dokumentenbuchs beziehen und zitiere:

»Wer zu diesem letzten Wissen vorstößt, wird Zeit seines Lebens zwangsläufig Feind des Juden sein und wird mit diesem Feindsein einmal seine eigenen Kinder sättigen.«

»Der Stürmer« veröffentlichte auch einige Kinderbücher, wobei ich klar herausstellen möchte, daß ich den Angeklagten nicht beschuldige, die Bücher selbst geschrieben zu haben. Sie wurden aber von seinem Verlag herausgegeben und halten sich natürlich auf dem gleichen Niveau wie alles, was in diesem Verlag herausgegeben und veröffentlicht wurde.

Das erste dieser Bücher, auf das ich Ihre Aufmerksamkeit lenken will, lautet in der englischen Übersetzung wie folgt:

»Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid.«

Es ist ein Bilderbuch für Kinder mit Darstellungen von Juden, alles Bilder beleidigender Art; von diesen Bildern erscheint eine Auswahl im Dokumentenbuch; und gegenüber jedem Bild befindet sich eine kleine Geschichte.

Auf Seite 62 des Dokumentenbuchs wird der Gerichtshof die Art der Ausführungen ersehen, die gegenüber jedem Bilde stehen. Gegenüber einem Bilde im Dokumentenbuch des Gerichtshofs steht das Folgende:

»Von Anfang an der Jude ist

Ein Mörder schon, sagt Jesu Christ.

Und als Herr Jesu sterben mußt,

Da hat der Herr kein Volk gewußt,

Das ihn zu tot könnt quälen

Die Juden tat er wählen.

Drum bilden sich die Juden ein,

Das auserwählte Volk zu sein.«

Dann ein anderer Auszug aus dem Buch. Das Gedicht gegenüber dem ersten Bild im Dokumentenbuch, das einen sehr häßlich aussehenden jüdischen Metzger zeigt, der Fleisch zerschneidet, lautet so:

[131] »Der jüdische Metzger

Verkauft statt Fleisch

'nen halben Mist!

Ein Stück liegt auf dem Boden,

Eins ist in Katzenpfoten,

Den Judenmetzger stört das nicht.

Das Fleisch nimmt zu ja an Gewicht

Und – man darf nicht vergessen –

Er braucht's nicht selber essen!«

Wieder ist es im Interesse der Zeitersparnis nicht notwendig, aus dem Inhalt des Buches weiter zu zitieren. Der Gerichtshof ersieht, welcher Art dieses Buch ist, und welcher Art die Belehrung war, die der Gedankenwelt der Kinder eingeprägt wurde. Die Bilder sprechen für sich selbst.

Das zweite Bild im Dokumentenbuch ist ein ziemlich gemeines Bild und zeigt ein Mädchen, das von einem Juden weggeführt wird. Auf der nächsten Seite sehen wir den Angeklagten wohlwollend inmitten einer Kindergesellschaft, und wie er lächelnd die kleinen Kinder begrüßt. Das nächste Bild zeigt Exemplare des »Der Stürmer« als Plakate an einer Mauer und Kinder, die diese Plakate betrachten.

Das folgende Bild erfordert vielleicht eine kleine Erklärung. Es zeigt das Bild jüdischer Kinder, die von einem sehr häßlich aussehenden Vater anscheinend aus einer arischen Schule weggeführt werden, und all die arischen Kinder singen und tanzen und freuen sich über diesen Spaß.

Dieses Buch, Dokument M-32, ist unser Beweisstück GB-181.

VORSITZENDER: Sie werden wohl so bald nicht fertig werden, nicht wahr? Vielleicht schalten wir nunmehr eine Pause ein?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich benötige noch ungefähr zwanzig Minuten.


VORSITZENDER: Gut! Wir wollen nun eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Hoher Gerichtshof! Ich war gerade mit der Beschreibung jenes Kinderbuchs fertig geworden. Es gibt nun noch ein ähnliches Buch, das »Der Giftpilz« heißt und schon als Beweismaterial, US-257, vorgelegt worden ist. Obwohl es dem Gerichtshof schon vorliegt, wurde daraus noch nicht verlesen, und ich möchte es deshalb gern mit einer kurzen Geschichte aus diesem Buche tun, da sie vielleicht treffender als irgendein anderer bisher verlesener Auszug die widerliche Art zeigt, mit der dieser Mann die Herzen seiner Leser und Zuhörer vergiftete.

[132] Es handelt sich wiederum um ein Bilderbuch mit kurzen Geschichten. Auf Seite 69 des Dokumentenbuchs wird eines dieser Bilder gezeigt, und zwar ein junges Mädchen, das in dem Wartezimmer eines jüdischen Arztes sitzt.

Hoher Gerichtshof! Die Geschichte ist nicht sehr erfreulich, aber dieser Mann ist auch keine sehr erfreuliche Erscheinung, und nur durch das Lesen dieser Dinge ist es möglich, sich einen Begriff von der Art der Erziehung zu machen, der deutsche Kinder während dieser Jahre durch diesen Mann ausgesetzt waren.

Ich zitiere aus dieser Geschichte:

»Inge – (das ist das Mädchen) – sitzt im Vorzimmer des Judenarztes. Sie muß lange warten. Sie blättert in den Zeitschriften, die am Tische liegen. Aber sie ist viel zu unruhig, als daß sie nur einige Sätze lesen könnte. Immer wieder muß sie an das Gespräch mit der Mutter denken. Und immer wieder kommen ihr die Warnungen ihrer BDM-Mädelschaftsführerin in den Sinn: ›Ein Deutscher darf nicht zum Judenarzt gehen! Und ein deutsches Mädchen erst recht nicht! So manches Mädchen, das beim Judenarzt Heilung suchte, fand dort Siechtum und Schande!‹

Als Inge das Wartezimmer betreten hatte, hatte sie ein sonderbares Erlebnis gehabt. Aus dem Sprechzimmer des Arztes klang ein Weinen. Sie hörte die Stimme eines Mädchens: ›Herr Doktor! Herr Doktor! Lassen Sie mich in Ruhe!‹

Dann hörte sie das Hohngelächter eines Mannes. Dann war es auf einmal ganz still.

Atemlos hatte Inge zugehört.

›Was mag das alles zu bedeuten haben?‹, fragte sie sich, und ihr Herz klopfte bis zum Halse hinauf. Und wieder dachte sie an die Warnungen ihrer BDM-Führerin. –

Inge wartet nun schon eine Stunde lang. Wieder greift sie nach den Zeitschriften und versucht zu lesen. Da öffnet sich die Türe. Inge blickt auf. Der Jude erscheint. Ein Schrei dringt aus Inges Mund. Vor Schreck läßt sie die Zeitung fallen. Entsetzt springt sie in die Höhe. Ihre Augen starren in das Gesicht des jüdischen Arztes. Und dieses Gesicht ist das Gesicht des Teufels. Mitten in diesem Teufelsgesicht sitzt eine riesige, verbogene Nase. Hinter den Brillengläsern funkeln zwei Verbrecheraugen. Und um die wulstigen Lippen spielt ein Grinsen. Ein Grinsen, das sagen will: ›Nun hab' ich Dich endlich, kleines deutsches Mädchen!‹ Und dann geht der Jude auf sie zu. Seine fleischigen Finger greifen nach ihr. Nun aber hat sich Inge gefaßt. Noch ehe der Jude zupacken kann, schlägt sie mit ihrer Hand in das fette Gesicht des Judenarztes. Dann [133] ein Sprung zur Türe. Atemlos rennt Inge die Treppe hinunter. Atemlos stürzt sie aus dem Judenhaus.«

Ein Kommentar zu einer solchen Geschichte ist überflüssig in Anbetracht der Jugend der Kinder, denen diese Geschichten zum Lesen vorgesetzt wurden.

Ein anderes Bild, das ich in das Dokumentenbuch aufgenommen habe, ist ein Bild des Angeklagten selbst. Die Überschrift, die zu diesem Bild gehört und auf Seite 70 des Dokumentenbuchs aufgenommen ist, besagt folgendes; ich zitiere von dem vorletzten Absatz:

»Ohne Lösung der Judenfrage keine Erlösung der Menschheit«.

Die Geschichte selbst enthält einen Bericht, wie einige Buben, die bei den Reden des Angeklagten anwesend gewesen waren, diese aufgefaßt haben:

»So rief er uns zu. Wir alle verstanden ihn. Und als er am Schluß das Sieg-Heil auf den Führer ausbrachte, da jubelten wir ihm in riesiger Begeisterung zu. Zwei Stunden hat Streicher damals gesprochen. Uns aber war es, als wären es nur wenige Minuten gewesen.«

Man kann die Wirkung aller dieser Dinge den Spalten des »Stürmer« selbst entnehmen. Im April 1936 erscheint nur ein Brief, viele andere von Kindern jeden Alters sind in anderen Ausgaben erschienen. Ich zitiere den dritten Absatz jenes Briefes, der die Unterschrift trug: »Buben und Mädel der nationalsozialistischen Jugendheimstätte Groß-Möllem«:

»Heute haben wir ein Stück gesehen, wie der Teufel den Juden, überredet, einen pflichtbewußten Nationalsozialisten zu erschießen. Im Laufe des Spieles tat der Jude das auch. Den Schuß haben wir alle gehört. Da wollten wir am liebsten aufspringen und den Juden gefangennehmen. Aber da kam der Polizist und der hat ihn auch nach kurzem Kampfe mitgenommen. Du kannst Dir denken, lieber Stürmer, daß wir dem Polizisten kräftig mit Zurufen beigestanden haben. Im ganzen Spiel wurde kein einziger Name genannt. Aber wir wußten doch alle, daß mit diesem Spiel die Mordtat des Juden Frankfurter gemeint war. Wir sind am Abend sehr traurig ins Bett gegangen. Keiner mochte mehr mit dem anderen reden. Es ist uns in diesem Spiel so recht klar geworden, wie der Jude zu Werke geht.«

Hoher Gerichtshof! Dieses Dokument ist bereits als GB-170 M-25 vorgelegt worden.

Um zum Abschluß zu kommen, möchte ich den Gerichtshof nur noch auf die Befugnisse Streichers als Gauleiter aufmerksam [134] machen. Sie sind im Organisationsbuch der NSDAP von 1938 aufgezählt. Das Buch wurde dem Gerichtshof bereits als US-430 vorgelegt. Bei der Beschreibung der Zuständigkeiten und Pflichten eines Gauleiters heißt es in diesem Buch: Der Gauleiter ist dem Führer für das ihm übertragene Gebiet voll verantwortlich. Die Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten des Gauleiters hängen ganz von den Aufgaben und Pflichten ab, die der Führer ihm gestellt hat, und außerdem von besonderen Weisungen.

Seine Verbindung mit dem Führer und den anderen Angeklagten, oder einigen der Angeklagten, kann wiederum am besten aus den Zeitungen ersehen werden. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag stattete ihm der Führer in Nürnberg einen Glückwunschbesuch ab. Das war am 13. Februar 1935. Der Bericht darüber ist im »Völkischen Beobachter« unter diesem Datum veröffentlicht; ich zitiere aus ihm das Folgende:

»... sprach Adolf Hitler in zu Herzen gehenden Worten zu seinem alten Kampfgefährten und dessen Getreuen. Der Führer wies einleitend darauf hin, daß es ihm eine besondere Freude bereite, zu diesem Ehrentag Julius Streichers für kurze Zeit in Nürnberg, der Stadt kampfgehärteter nationalsozialistischer Gemeinschaft, in diesem Kreis der Fahnenträger der nationalsozialistischen Idee durch viele Jahre hindurch, zu weilen.

So wie sie alle in den Jahren der Not unerschütterlich an den Sieg der Bewegung geglaubt hätten, so habe insbesondere sein Freund und Kampfgenosse Streicher allezeit treu an seiner Seite gestanden. Dieser unerschütterliche Glaube sei es gewesen, der Berge versetzt habe.

Es sei für Streicher sicherlich ein erhebendes Gefühl, daß dieser 50. Geburtstag für ihn nicht nur die Wende eines halben Jahrhunderts, sondern wohl eines Jahrtausends deutscher Geschichte sei. In Streicher habe er einen Gefährten, von dem er wisse, daß hier in Nürnberg ein Mann sei, der keine Sekunde wanke und in jeder Lage unbeirrbar hinter ihm stehe.«

Dieses Dokument ist M-8 und wird als GB-182 eingeführt.

Das nächste Dokument (M-22) ist ein Brief Himmlers, der im »Stürmer« im April 1937 veröffentlicht wurde; die Kopie der Zeitung ist bereits als US-258 eingeführt. Ich zitiere:

»Wenn in späteren Jahren die Geschichte der Wiedererweckung des deutschen Volkes geschrieben wird und schon die nächste Generation es nicht mehr verstehen kann, daß das deutsche Volk einmal judenfreundlich gesinnt war, so wird festgestellt werden, daß Julius Streicher und sein [135] Wochenblatt ›Der Stürmer‹ ein gut Teil dieser Aufklärung über den Feind der Menschheit geleistet haben.«

Unterschrieben: »Reichsführer-SS H. Himmler«.

Das war Beweisstück US-258. Eine Anzahl dieser Dokumente wurde bereits in den Büchern zum Beweis vorgelegt. Zum Schluß haben wir einen Brief des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, der im »Stürmer« vom Januar 1938 veröffentlicht wurde, M-45, US-871:

»Es ist das historische Verdienst des Stürmers, die breiten Massen unseres Volkes volkstümlich über die Judenweltgefahr aufgeklärt zu haben. Der Stürmer hat recht, wenn er diese Aufgabe nicht in rein ästhetischer Form erfüllt, da die Juden dem deutschen Volke gegenüber auch keine Rücksicht gezeigt haben. Wir haben daher unserem schlimmsten Feind gegenüber keine Rücksicht walten zu lassen. Was wir heute unterlassen, muß die Jugend von morgen bitter büßen.«

Hoher Gerichtshof, es mag sein, daß dieser Angeklagte weniger unmittelbar als einige seiner Mitverschworenen mit der tatsächlichen Ausführung der Verbrechen gegen die Juden, von denen dieser Gerichtshof schon so viel gehört hat, zu tun hatte. Die Anklagevertretung steht aber auf dem Standpunkt, daß sein Verbrechen deshalb nicht weniger groß ist. Keine Regierung der Welt hatte, bevor die Nazis zur Macht kamen, eine solche Politik der Massenvernichtung in der Weise durchführen können, wie diese Regierung es getan hat, ohne daß hinter ihr ein Volk gestanden hätte, das sie deckte und unterstützte, und ohne daß sie diese große Zahl von Menschen, Männern und Frauen, hinter sich gehabt hätte, die bereit gewesen wären, ihre Hände zu den Morden zu reichen. Und sogar das deutsche Volk der früheren Generationen hätte sich vielleicht zu solchen Verbrechen nicht hergegeben, wie sie dem Gerichtshof beschrieben wurden, und die zu der Ermordung von Millionen und Abermillionen von Männern und Frauen geführt haben.

Streicher hatte sich selbst die Aufgabe gesetzt, das Volk zu erziehen und es mit Haß zu vergiften, damit aus seinen Reihen die Mörder hervorgingen. Fünfundzwanzig Jahre hindurch hat er unnachgiebig diese Erziehung, wenn man es so nennen kann, oder diese Irreführung des Volkes und der Jugend Deutschlands fortgesetzt. Und er ging weiter und weiter, als er sah, daß sein Werk Früchte trug.

In den ersten Tagen predigte er nur Verfolgung. Als die Verfolgung stattfand, predigte er Ausrottung und Vernichtung, und, wie wir es in den Ghettos des Ostens gesehen haben, wo Millionen von Juden ausgerottet und vernichtet wurden, da schrie er nach mehr und mehr.

[136] Das ist das Verbrechen, das er begangen hat. Die Anklagevertretung ist der Auffassung, daß der Angeklagte diese Verbrechen ermöglicht hat, zu denen es niemals ohne ihn und Leute seines Schlages gekommen wäre. Er leitete die Propaganda und die Erziehung des deutschen Volkes auf diesem Wege. Ohne ihn hätten die Kaltenbrunner, die Himmler und General Stroop niemanden gehabt, um ihre Befehle auszuführen. Wie wir gesehen haben, befaßte er sich besonders mit der Jugend und den Kindern Deutschlands. In seiner Ausdehnung ist sein Verbrechen wahrscheinlich größer und weitreichender als das irgendeines anderen Angeklagten. Das Elend, das sie verursacht haben, fand mit ihrer Gefangennahme sein Ende. Die Auswirkung der Verbrechen dieses Mannes, das Gift, das er in die Herzen von Millionen von jungen Knaben und Mädchen, jungen Männern und Frauen gegossen hat, wirkt weiter. Er hinterläßt als Erbschaft fast ein ganzes von ihm verführtes, mit Haß, Sadismus und Mordlust vergiftetes Volk. Dieses Volk bleibt ein Problem und vielleicht eine Gefahr für den Rest der Zivilisation noch für kommende Generationen.

Hoher Gerichtshof! Ich erlaube mir die Feststellung, daß die Behauptungen der Anklagevertretung, wie sie gegen diesen Mann in der Anklageschrift aufgeführt wurden, bewiesen sind.

Hoher Gerichtshof! Leutnant Brady Bryson von der Delegation der Vereinigten Staaten wird Ihnen nunmehr den Fall gegen Schacht vortragen:

LEUTNANT BRADY O. BRYSON, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Wir haben ein Dokumentenbuch vorbereitet und vorgelegt sowie eine entsprechende Anzahl von Abschriften den Angeklagten überlassen.

Wir bitten den Gerichtshof um Erlaubnis, in den nächsten Tagen einen Anklageschriftsatz einreichen zu dürfen, der sich augenblicklich in Vorbereitung befindet.

Unsere Beweisführung gegen den Angeklagten Schacht beschränkt sich auf die Vorbereitung und Planung des Angriffskrieges.


VORSITZENDER: Was sagten Sie über den Anklageschriftsatz?


LEUTNANT BRYSON: Wir bitten um Erlaubnis, in den nächsten Tagen den Anklageschriftsatz einreichen zu dürfen, da er noch nicht fertig ist.


VORSITZENDER: Gut.


LEUTNANT BRYSON: Unsere Beweisführung gegen den Angeklagten Schacht beschränkt sich auf die Planung und Vorbereitung eines Angriffskrieges und auf seine Teilnahme an der Verschwörung zum Angriffskrieg.

[137] Wie weit sich Schachts gesetzliche strafrechtliche Verantwortlichkeit im Hinblick auf das Statut dieses Gerichtshofs erstreckt, wird in unserem Anklageschriftsatz dargelegt werden. Nur wenige von unseren ungefähr fünfzig Dokumenten sind bereits als Beweismittel eingereicht worden. Wir haben uns besonders bemüht, irgendwelche Wiederholungen und doppelte Beweisführung zu vermeiden; um jedoch den Zusammenhang herzustellen, werden wir in einigen Fällen die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs der Einfachheit halber auf früher eingereichtes Beweismaterial und auf die betreffende Stelle der Niederschrift lenken.

Bevor wir unsere Beweisführung beginnen, möchten wir darauf hinweisen, daß uns bekannt ist, daß die von dem Angeklagten Schacht über die deutsche Wirtschaft ausgeübte Kontrolle nach November 1937 im Abnehmen begriffen, und daß zur Zeit des Angriffs auf Polen seine offizielle Stellung lediglich die eines Ministers ohne Geschäftsbereich und eines persönlichen Beraters von Hitler war. Wir wissen ferner, daß ihm manchmal seine Opposition gegen gewisse radikale Elemente der Nazi-Partei zugute gehalten wird; es ist uns weiterhin bekannt, daß er sich zur Zeit seiner Festnahme durch die amerikanische Armee in deutscher Haft in einem Gefangenenlager befand, nachdem er von der Gestapo im Juli 1944 verhaftet worden war.

Wie dem auch sei, unsere Beweisführung wird zeigen, daß Schacht mindestens bis Ende 1937 der beherrschende Kopf in der Aufrüstung Deutschlands und in der wirtschaftlichen Planung und Vorbereitung des Krieges war, daß ohne seine Mitarbeit die Nazis nicht imstande gewesen wären, ihrer notleidenden Wirtschaft die ungeheueren Materialerfordernisse abzuringen, die für den bewaffneten Angriff notwendig waren, und daß Schacht seine Kräfte in voller Kenntnis der Angriffsziele zur Verfügung stellte, denen er sich dienstbar machte.

Die Einzelheiten dieser Beweisführung werden in vier Teilen vorgelegt werden.

Erstens werden wir kurz zeigen, daß Schacht sich die Nazi-Philosophie bereits vor 1933 zu eigen gemacht und Hitlers Aufstieg zur Macht unterstützt hat.

Zweitens werden wir Beweis über die Anteilnahme Schachts an der deutschen Aufrüstung und Vorbereitung des Krieges antreten. Auch dieser Beweisvortrag wird nur kurz sein, da die diesbezüglichen Tatsachen allgemein bekannt und bereits von Herrn Dodd in seiner Darstellung der wirtschaftlichen Vorbereitung des Krieges vorgetragen worden sind.

Drittens wollen wir beweisen, daß Schacht die Nazi-Verschwörung vorsätzlich und bereitwillig und in Kenntnis und mit Billigung ihrer rechtswidrigen Ziele unterstützt hat.

[138] Schließlich wollen wir beweisen, daß der Machtverlust Schachts in der Deutschen Regierung in keiner Weise bedeutete, daß er mit der Politik des Angriffskrieges nicht mehr übereinstimmte.

Wir wenden uns nun der Beweisführung zu, daß Schacht Hitler bei dessen Machtergreifung geholfen hat.

Schacht traf Göring zum erstenmal im Dezember 1930, und Hitler begegnete ihm Anfang 1931 in Görings Haus. Sein Eindruck von Hitler war günstig. Ich unterbreite als Beweisurkunde US-615, 3725-PS, einen Auszug aus einem Verhör Schachts Vom 20. Juli 1945. Ich zitiere zwei Fragen und Antworten, die sich auf diese Zusammenkunft beziehen, ungefähr in der Mitte der ersten Seite des Verhörs.


VORSITZENDER: Können Sie uns die Nummer des Dokuments angeben? Sie haben uns die andere Nummer nicht gegeben.


LEUTNANT BRYSON: Es handelt sich um eine Vernehmung, Herr Vorsitzender, sie hat nicht zwei Nummern.


VORSITZENDER: Haben Sie keine Nummer dafür?


LEUTNANT BRYSON: Die Vernehmung steht am Ende des Dokumentenbuchs unter der Überschrift: »Schachts Vernehmung vom 20. Juli 1945«.

Ich zitiere von der Mitte der ersten Seite:

»Frage: Was hat er« – das heißt Hitler – »gesagt?

Antwort: Nun, er sprach über Ideen, die er schon früher zum Ausdruck gebracht hatte, aber er war voller Energie und Geist.«

Und weiter gegen Ende derselben Seite:

»Frage: Welchen Eindruck hatten Sie am Schluß des Abends?

Antwort: Ich war der Ansicht, daß Hitler ein Mann wäre, mit dem man zusammenarbeiten könnte.«

Nach diesem Zusammentreffen verbündete sich Schacht mit Hitler, und in einem entscheidenden politischen Augenblick, im November 1932, stellte er das Prestige seines eigenen Namens, der in den Bank-, Finanz- und Geschäftskreisen der ganzen Welt wohl bekannt war, der Sache Hitlers zur Verfügung. Ich beziehe mich zum Beweis auf Dokument US-616, 3729-PS. Es besteht aus Auszügen aus einem Verhör Schachts vom 17. Oktober 1945. Ich zitiere vom Anfang der Seite 36 seines Verhörs. Es handelt sich um die Vernehmung vom 17. Oktober 1945, Seite 36. Ich möchte erwähnen, daß, wenn ich die Seitenzahl nenne, ich von der Seite des Dokumentenbuchs spreche.

»Frage: Ja, und damals« – das Verhör bezieht sich auf den Januar 1931 – »wurden Sie Anhänger, ich meine von...

[139] Antwort: Im Verlaufe...

Frage: Ich meine von Hitlers Machtübernahme.

Antwort: Besonders während der Jahre 1931 und 1932.«

Und weiter unten auf Seite 37 desselben Verhörs:

»Frage: Was ich sagen wollte, um es kurz zu machen, haben Sie das Prestige Ihres Namens hergegeben, um Hitler zur Machtübernahme zu verhelfen?

Antwort: Ich habe öffentlich bekanntgegeben, daß meiner Ansicht nach Hitler zur Macht kommen würde, und zwar zum erstenmal, wenn ich mich recht erinnere, im November 1932.«

»Frage: Und Sie wissen, oder Sie wissen es vielleicht nicht, daß Goebbels in seinem Tagebuch mit großer Anteilnahme berichtet über...

Antwort: Ja.

Frage: Die Hilfe, die Sie ihm damals gewährt haben?

Antwort: Ja, ich weiß das.

Frage: November 1932?

Antwort: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei und zurück.

Frage: Das ist richtig, haben Sie das gelesen?

Antwort: Ja.

Frage: Und Sie leugnen nicht ab, daß Goebbels recht hatte?

Antwort: Ich glaube, sein Eindruck war damals richtig.«

Ich darf nunmehr den Gerichtshof auf die Erklärung von Goebbels hinweisen, wie sie im Dokument 2409(a)-PS niedergelegt ist. Das gesamte Tagebuch von Goebbels liegt schon als Beweismaterial vor, und zwar als US-262. Die Eintragung, die ich verlesen will, steht in Dokument 2409(a)-PS und stammt vom 21. November 1932. Ich zitiere:

»In einer Unterredung mit Dr. Schacht stelle ich fest, daß er absolut unseren Standpunkt vertritt. Er ist einer der wenigen, die ganz konsequent zum Führer stehen.«

Man nimmt an, daß Schacht der Partei nur in dem Sinne beitrat, daß er sich mit ihrer Sache verbündete. Dr. Franz Reuter, dessen Schacht-Biographie im Jahre 1937 amtlich in Deutschland herausgegeben wurde, hat erklärt, daß Schacht eine formelle Mitgliedschaft vermieden habe, um der Partei von größerem Nutzen sein zu können. Als Beweis unterbreite ich Dokument EC-460, US-617, das einen Auszug aus Reuters Biographie darstellt. Ich zitiere den letzten Satz dieses Auszugs:

»Dadurch, daß er es nicht getan hat, hat er ihr zumindest bis zu ihrem völligen Durchbruch und Siege mehr helfen können, als wenn er offiziell Parteimitglied geworden wäre.«

[140] Es war Schacht, der in einer Zusammenkunft Hitlers mit einer Gruppe deutscher Industrieller in Berlin die finanziellen Mittel für die entscheidenden Wahlen vom März 1933 organisierte. Schacht spielte bei dieser Zusammenkunft den Paten oder Gastgeber. Es ist dabei ein Kampffonds von mehreren Millionen Mark gesammelt worden. Ohne daraus verlesen zu wollen, biete ich als Beweis die Urkunde EC-439, US-618 an, eine eidesstattliche Erklärung von Herrn von Schnitzler vom 10. November 1945, und verweise den Gerichtshof auf die Verhandlungsniederschrift vom 23. November, Seite 281 bis 283, Band II, Seite 253/54, in welcher der Text dieser Erklärung bereits in dem Gerichtsprotokoll erscheint.

Weiteres diesbezügliches Beweismaterial ist auch in dem Auszug aus dem Verhör Schachts vom 20. Juli 1945 enthalten, aus dem ich soeben einen Teil verlesen habe. Schacht unterstützte Hitler nicht nur, weil er Opportunist war, sondern auch deshalb, weil er mit Hitlers ideologischen Grundsätzen übereinstimmte. Abgesehen von der Eintragung in Goebbels Tagebuch kann man dies auch einem Brief Schachts an Hitler vom 29. August 1932 entnehmen, in dem jener dem Letztgenannten nach dem kläglichen Ausfall der Wahlen vom Juli 1932 weiterhin seine Hilfe zusichert. Ich führe diesen Brief als Dokument EC-457, US-619, ein und zitiere aus der Mitte des ersten Absatzes und weiter aus dem vorletzten Absatz das Folgende:

»Was Ihnen aber vielleicht in diesen Tagen erwünscht ist, ist ein Wort aufrichtigsten Mitfühlens. Ihre Bewegung ist innerlich von so starker Wahrheit und Notwendigkeit getragen, – daß der Sieg in der einen oder anderen Form nicht ausbleiben kann.«

Und weiter unten schreibt Schacht in dem gleichen Brief das Folgende, wobei ich daran erinnern möchte, daß weder Hitler noch Schacht damals der Deutschen Regierung angehörten:

»Wo immer mich die Arbeit in der nächsten Zeit hinführt – auch wenn Sie mich einmal innerhalb der Festung erblicken sollten – Sie können auf mich zählen als Ihren zuverlässigen Helfer.«

VORSITZENDER: Was sollen die Worte oben bedeuten: »Reichsbankpräsident a. D.«? Steht das in dem Brief?

LEUTNANT BRYSON: Jawohl, Herr Vorsitzender, Dr. Schacht war früher Reichsbankpräsident. Zu der fraglichen Zeit befand er sich im Ruhestand; der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß dieser Brief vor Hitlers Machtübernahme geschrieben wurde.


VORSITZENDER: Ja, natürlich.


LEUTNANT BRYSON: Und dann setzte Hitler nach seiner Machtübernahme Schacht wieder zum Reichsbankpräsidenten ein.


[141] VORSITZENDER: Er hat dann das wieder auf seinen Briefkopf geschrieben, nicht wahr?


LEUTNANT BRYSON: Das weiß ich nicht. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß Schacht diesen Brief unterschrieb: »mit einem kräftigen Heil«.

Wir gehen nun zum zweiten Teil unserer Beweisführung über, und zwar zu Schachts Beitrag an der Vorbereitung zum Kriege.

Die ins einzelne gehende Geschichte der amtlichen Laufbahn Schachts innerhalb der Nazi-Regierung, wie sie in dem Dokument 3021-PS dargetan ist, wurde bereits als Beweisstück US-11 eingeführt. Es wird jedoch jetzt zu Beginn zweckmäßig sein, den Gerichtshof daran zu erinnern, daß durch Hitler Schacht am 17. März 1933 wieder als Reichsbankpräsident zurückgerufen wurde, in welchem Amt er bis zum 20. Januar 1939 ununterbrochen verblieb, daß er stellvertretender Minister und später, von August 1934 bis November 1937, Wirtschaftsminister war und im Mai 1935 zum Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft ernannt wurde. Er trat von seinem Amt als Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft im November 1937 zurück und nahm seine Ernennung zum Minister ohne Geschäftsbereich an, ein Amt, das er bis zum Januar 1943 behielt. Seine Stellung als tatsächlicher Wirtschaftsdiktator Deutschlands während der vier kritischen Jahre von Anfang 1933 bis Ende 1936 ist praktisch allgemein bekannt.

Schacht war der führende Kopf bei der nationalsozialistischen Ausweitung des deutschen Kreditsystems für die Zwecke der Wiederaufrüstung. Von Anfang an war er sich darüber im klären, daß der Plan für die deutsche militärische Vormachtstellung sehr große öffentliche Kredite notwendig machte. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die alle Kreditanstalten in Deutschland auf das eine überragende Ziel umstellten, Gelder für die Militärmaschine zu beschaffen. Ich will einige dieser Maßnahmen kurz behandeln.

Durch ein Regierungsgesetz vom 27. Oktober 1933 wurde die für die in Umlauf befindlichen Reichsbanknoten vorgeschriebene statutenmäßige Deckung von vierzig Prozent in Gold und Auslandsdevisen für immer aufgehoben. Durch das Reichsgesetz über das Kreditwesen von 1934 übernahm die Regierung das Verfügungsrecht über sämtliche Kreditanstalten. Die Beaufsichtigung über das gesamte Banksystem wurde in der Person Schachte als dem Vorsitzenden des Aufsichtsamts für das Kreditwesen und als dem Präsidenten der Reichsbank zentralisiert. Dieses Gesetz ermöglichte es Schacht nicht nur, den Umfang des Kredits, sondern auch die Art seiner Verwendung zu kontrollieren. Am 29. März 1934 wurde der [142] deutschen Wirtschaft eine Art zwangsweisen Gemeinschaftsdarlehens an das Reich auferlegt, und am 19. Februar 1935 wurde das Reichsfinanzministerium ermächtigt, Gelder in unbeschränkter Höhe aufzunehmen, wenn diese Kredite vom Reichskanzler, das heißt von Hitler, gebilligt wurden.

Insoweit bitte ich den Gerichtshof, Reichsgesetzblatt 1933, Teil II, Seite 827, Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 1203, Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 295, Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 198, amtlich zur Kenntnis zu nehmen.


VORSITZENDER: Sind diese hier in dem Dokumentenbuch?


LEUTNANT BRYSON: Sie sind nicht in dem Dokumentenbuch, Herr Vorsitzender.

Ich bat nur, sie als veröffentlichte deutsche Gesetze amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Diese Maßnahmen ermöglichten es Schacht, etwas zu unternehmen, was er selbst als »wagemutige Kreditpolitik« bezeichnete, einschließlich der geheimen Finanzierung einer riesigen Aufrüstung durch die sogenannten »Mefo-Wechsel«, deren Beschreibung in der Verhandlungsniederschrift vom 23. November Band II, Seite 263 zu finden ist. Ich unterbreite als Beweismaterial das Dokument EC-436, US-620. Es enthält eine Erklärung Emil Puhls, eines Reichsbankdirektors aus der Zeit, als Schacht Präsident war, und stammt vom 2. November 1945. Ich zitiere den zweiten Abschnitt, der folgendermaßen lautet:

»Zu Beginn des Jahres 1935 ergab sich die Notwendigkeit der Finanzierung eines beschleunigten Aufrüstungsprogramms. Reichsbankpräsident Dr. Schacht schlug nach Überlegung verschiedener Finanzierungsmethoden schließlich die Einführung der ›Mefo-Wechsel‹ zur Beschaffung eines wesentlichen Teiles der für die Aufrüstung nötigen Gelder vor. Für diese Methode sprach der besondere Vorzug, der Geheimhaltung der Aufrüstung während der ersten Jahre, ebenso wie auch die Zahlen durch Anwendung der ›Mefo-Wechsel‹ geheimgehalten werden konnten, die durch andere Finanzierungsmethoden der Öffentlichkeit bekannt gewor den wären.«

Das Ausmaß dieser Kreditausweitung und die Bedeutung der Finanzierung durch »Mefo-Wechsel« ist aus Dokument EC-419 ersichtlich, das ich nunmehr als Beweisstück US-621 vorlege. Es handelt sich hierbei um einen Brief des Finanzministers von Krosigk an Hitler vom 1. September 1938.

[143] Ich zitiere die folgenden Zahlen von der Mitte der ersten Seite:

»Die Reichsschuld entwickelte sich wie folgt:

31. Dezember 1932:

Fundierte Schuld: 10 .4 Milliarden Mark

Schwebende Schuld: 2.1 Milliarden Mark

Nicht veröffentlichte Schuld

(Arbeits- und Mefo-Wechsel): 0.0 Milliarden Mark

30 . Juni 1938:

Fundierte Schuld: 19 .0 Milliarden Mark

Schwebende Schuld: 3.5 Milliarden Mark

Nicht veröffentlichte Schuld

(Arbeits- und Mefo-Wechsel): 0.0 Milliarden Mark

Total:

31 . Dezember 1932: 12 .5 Milliarden Mark

30 . Juni 1938: 35.8 Milliarden Mark

Die Reichsschuld hat sich verdreifacht . . .«


VORSITZENDER: Wollen Sie, bitte, den nächsten Absatz vorlesen, der mit den Worten anfängt: »Für 1938 war die Deckung...«?

LEUTNANT BRYSON:

»Für 1938 war die Deckung der Rüstungsausgaben, bei gleicher Höhe wie 1937, in folgender Weise vorgesehen:

durch 5 Milliarden aus dem Etat, also aus Steuern, durch 4 Milliarden aus Anleihen, durch 2 Milliarden aus 6-Monats-Schatzanweisungen, also Verschiebung der Deckung auf 1939; zusammen 11 Milliarden.«

Die Reichsschuld wurde also unter der Leitung von Schacht verdreifacht. Über ein Drittel der Gesamtsumme würde mit Hilfe der Reichsbank durch »Mefo«- und Handelswechsel heimlich aufgebracht. Es ist klar, daß diese außerhalb der normalen öffentlichen Anleihen finanzierte Summe eine Schuld für Rüstungszwecke darstellt. Ich lese nunmehr weiter aus dem Dokument EC-436, und zwar vom Anfang des letzten langen Absatzes:

»Diese ›Mefo-Wechsel‹ wurden ausschließlich zur Finanzierung der Aufrüstung verwendet, und als im März 1938 ein neues Finanzprogramm von Dr. Schacht angekündigt wurde, durch das die Verwendung der ›Mefo-Wechsel‹ abgestoppt wurde, da betrug die Gesamtsumme der ausstehenden ›Mefo-Wechsel‹ zwölf Milliarden Reichsmark, die zur Finanzierung der Aufrüstung ausgegeben worden waren.«

Der Charakter der Kreditpolitik Schachts sowie der Umstand, daß sie rücksichtslos der Schaffung von Waffen diente, läßt sich voll und ganz aus seiner eigenen Rede erkennen, die er am 29. November 1938 gehalten hat.

[144] Ich biete als Beweis das Dokument EC-611, US-622, an und verlese von Seite 6, Anfang des letzten Absatzes:

»Es ist möglich, daß noch keine Notenbank in Friedenszeiten eine so wagemutige Kreditpolitik getrieben hat wie die Reichsbank seit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus. Mit Hilfe dieser Kreditpolitik aber hat sich Deutschland eine Rüstung geschaffen, die der keines anderen Staates nachsteht, und diese Rüstung wiederum hat die Folge unserer Politik ermöglicht.«

Außerhalb des Finanzwesens übernahm Schacht auch allgemein die totale Kontrolle über die deutsche Wirtschaft, um sie nach dem Rüstungsprogramm auszurichten.

Er erlangte auf Grund des sogenannten »Führerprinzips« großen Einfluß auf die Industrie als Ergebnis ihrer Reorganisierung für militärische Zwecke seitens der Nazis. An dieser Stelle möchte ich den Gerichtshof auf die Verhandlungsniederschrift vom 23. November, Seite 287 bis 290 (Band II,, Seite 257 bis 260) hinweisen, sowie auf das Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 1194, welch letzteres ich den Gerichtshof bitte, amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Schacht besaß auch große Machtbefugnisse als Mitglied des Reichsverteidigungsrats, der am 4. April 1933 im geheimen geschaffen wurde, und dessen Aufgabe in der Vorbereitung des Krieges bestand. Ich verweise den Gerichtshof auf die Verhandlungsniederschrift vom 23. November, Seite 290 (Band II, Seite 260). Weiterhin überreiche ich als Beweis das Dokument EC-128, US-623, einen Bericht vom 30. September 1934, in dem die entsprechenden Befugnisse des Wirtschaftsministeriums aufgeführt sind. Der Bericht enthüllt die Zusammenfassung aller bekannten kriegswirtschaftlichen Probleme, einschließlich der Bevorratung von Material, Herstellung von Mangelwaren, Industrieverlagerung in sichere Gebiete, Treibstoff- und Energiebeschaffung für Kriegsproduktion, Werkzeugmaschinen, Überwachung der Produktionsprioritäten für die Kriegszeit, Rationierung, Preiskontrolle, Versorgung der Zivilbevölkerung und so weiter. Ich möchte hier für den Verhandlungsbericht nur einen Auszug aus dem Dokument EC-128 verlesen, der die Machtbefugnisse des Wirtschaftsministeriums erkennen läßt, und zwar beginne ich oben auf Seite 2:

»Dem Reichswirtschaftsministerium ist mit der Gründung des Reichsverteidigungsrats und seines ständigen Ausschusses die Aufgabe gestellt, die Kriegsführung wirtschaftlich vorzubereiten. Die ungeheure Bedeutung dieser Aufgabe sollte eigent lich keiner näheren Begründung bedürfen. Noch ist [145] die Erinnerung lebendig daran, wie fürchterlich sich im Weltkrieg das Fehlen jeglicher wirtschaftlicher Kriegsvorbereitung gerächt hat.«

Schließlich erhielt Schacht im Jahre 1934 weitgehende gesetzliche Machtbefugnisse, die ihn ermächtigten, als Wirtschaftsminister alle Maßnahmen zu ergreifen, die er für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft für nötig erachtete. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 565, und bitte den Gerichtshof, diese Stelle amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Der von Schacht entworfene sogenannte »Neue Plan« wurde im Herbst 1934 verkündet, kurz nachdem Schacht zum Wirtschaftsminister ernannt wurde. Ich darf den Gerichtshof in diesem Zusammenhang auf Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 816, und auf Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 105, hinweisen und bitten, von diesen Bestimmungen amtlich Kenntnis zu nehmen. Dieser »Neue Plan« war Schachts grundlegendes Programm zur Beschaffung der notwendigen ausländischen Rohstoffe und Auslandsdevisen, die zur Förderung des Aufrüstungsprogramms benötigt wurden.

Wegen der Einzelheiten des Neuen Planes unterbreite ich als Beweismaterial Urkunde EC-437, US-624. Es handelt sich hierbei um eine eidesstattliche Erklärung von Emil Puhl vom 7. November 1945, deren Gesamtinhalt erheblich ist. Aus diesem Grunde bitte ich um die Erlaubnis, diese eidesstattliche Erklärung im ganzen vorlegen zu dürfen, ohne aus ihr zu verlesen, vorausgesetzt, daß die französischen und russischen Übersetzungen fertiggestellt und vorgelegt werden.

VORSITZENDER: Und die deutschen Übersetzungen ebenfalls.

LEUTNANT BRYSON: Wir werden Abschriften zur Verfügung stellen. Ich möchte betonen, daß das Original in englischer Sprache verfaßt ist, jedoch ist die eidesstattliche Erklärung bereits ins Deutsche übersetzt worden.


VORSITZENDER: Jawohl.


LEUTNANT BRYSON: Diese eidesstattliche Erklärung, die von einem Mitarbeiter Schachts stammt, beschreibt in allen Einzelheiten die vielen geistreichen und oft rücksichtslosen Kunstgriffe, die Schacht anwandte, wie zum Beispiel das Zustandebringen von Stillhalteabkommen, die Erzwingung der Zahlung von Zinsen und Schuldtilgungsraten in Reichsmark bei solchen Schulden, die in Auslandswährung stipuliert waren, die Verwendung von Interimsscheinen und Kapitalbonds für den gleichen Zweck; die Einstellung des Zinsendienstes gegenüber ausländischen Gläubigern, die [146] Blockierung von Reichsmark-Guthaben in ausländischem Besitz, die Blockierung von Auslandsguthaben in Deutschland, die Einschränkung unnötiger Ausgaben an das Ausland, die Beschlagnahme von Auslandsdevisen in deutschem Besitz, die Unterstützung der Ausfuhr, die Herausgabe von Registermark, die Vornahme von Tauschgeschäften auf Clearing-Grundlage, die Genehmigung der Einfuhr und die Kontrolle sämtlicher Devisengeschäfte zum Zwecke der Beschaffung von Rohstoffen für Rüstungszwecke.

Der Gerichtshof wird auch gebeten, Reichsgesetzblatt 1934, Seite 997, Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 349, und Reichsgesetzblatt 1937, Teil I, Seite 600 amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Diese Gesetzesstellen beziehen sich auf die Verrechnungskasse, die Konversionskasse und auf den Fälligkeitstermin ausländischer Anleihen; alle diese Anordnungen sind in der eidesstattlichen Erklärung angeführt.

Schacht ging sogar so weit, daß er Reichsmarkbeträge in ausländischem Besitz, die in deutschen Banken deponiert waren, in Aufrüstungspapieren anlegte, so daß er auf diese Weise, wie er sagte, die Aufrüstung mit den Guthaben seiner politischen Gegner finanzierte. Ohne daraus zu verlesen, verweise ich den Gerichtshof auf Dokument 1168-PS, US-37, eine Denkschrift Schachts an Hitler vom 3. Mai 1935, die bereits in dem Verhandlungsbericht auf Seite 412 und 413, Band II, Seite 347 ff. zu finden ist. Als das erschreckte Kapital anfing, aus dem Lande zu fliehen, nahm Schacht darüber hinaus sogar seine Zuflucht zu der Androhung der Todesstrafe, um den Verlust von Auslandsdevisen zu verhindern. In dieser Beziehung verweise ich auf das Gesetz gegen Wirtschaftssabotage, Reichsgesetzblatt 1936, Teil I, Seite 999, das ich den Gerichtshof bitte, amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Schacht war besonders stolz auf die Ergebnisse, die infolge der strengen Kontrollvorschriften unter seinem »Neuen Plan« erzielt wurden. Ich verweise den Gerichtshof auf Urkunde EC-611, die bereits als US-622 vorliegt und aus einer Rede Schachts in Berlin vom 29. November 1938 besteht. Ich möchte für den Verhandlungsbericht einen Auszug von Seite 10 oben verlesen:

»Wenn etwas an dem Neuen Plan wunderbar ist, so ist es auch hier wiederum nur die Tatsache, daß es der deutschen Organisation unter nationalsozialistischer Führung gelungen ist, den ganzen Apparat der Einfuhrüberwachung, der Ausfuhrlenkung und der Ausfuhrförderung in kürzester Zeit aus dem Boden zu stampfen. Der Erfolg des Neuen Planes läßt sich an Hand weniger Zahlen nachweisen. In Mengen gerechnet, ist zwischen 1934 und 1937 die Einfuhr von Fertigwaren um 63 Prozent gedrosselt worden. Dafür konnte [147] erhöht werden die Einfuhr von Erzen um 132, von Erdöl um 116, von Getreide um 102 und von Kautschuk um 71 %«

Während Schacht Reichsbankpräsident und Wirtschaftsminister war, erhielt er noch eine weitere Schlüsselstellung, nämlich die des Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft. Diese Ernennung erfolgte durch Hitler auf Grund des unveröffentlichten Reichsverteidigungsgesetzes, das am 21. Mai 1935 im geheimen erlassen wurde. Dieses Gesetz liegt bereits als Beweismaterial vor, und zwar als 2261-PS, US-24. Es handelt sich dabei um einen Brief des Herrn von Blomberg vom 24. Juni 1935 an die Oberbefehlshaber des Heeres, der Marine und der Luftwaffe, dem Ausfertigungen des Reichsverteidigungsgesetzes und der darauf bezüglichen Denkschrift der Reichsregierung beigefügt sind. Ein entsprechender Kommentar sowie Auszüge aus dieser Urkunde befinden sich in dem Verhandlungsprotokoll vom 23. November auf den Seiten 278 und 292 (Band II, Seite 250 und 261).

Ich möchte hier lediglich feststellen, daß Schacht auf Grund dieser Ernennung die gesamte Kontrolle der wirtschaftlichen Planung und Vorbereitung des Krieges in Friedenszeiten übernahm, mit Ausnahme gewisser unmittelbarer Rüstungsfertigungen, die dem Kriegsministerium unterstanden. Bei Ausbruch des Krieges sollte er der Wirtschaftsdiktator Deutschlands sein, wobei ihm die völlige Kontrolle über die Tätigkeit einer Anzahl der wichtigsten Reichsministerien zustehen sollte.

Schacht ernannte Wohlthat zu seinem Vertreter und organisierte einen Arbeitsstab zur Durchführung seiner Weisungen. In diesem Zusammenhang unterbreite ich als Beweismaterial Auszüge aus einem Vorverhör Schachts vom 17. Oktober 1945. Dieses Dokument 3729-PS ist Beweisstück US-616. Ich mochte für den Verhandlungsbericht nur eine Frage und eine Antwort verlesen, die unten auf Seite 62 des Dokumentenbuchs stehen:

»Frage: Ich möchte eine allgemeine Frage an Sie richten: Übernehmen Sie als Bevollmächtigter für die Kriegswirtschaft die Verantwortung für Schriftstücke und Handlungen, die von Wohlthat und seinen Assistenten stammen?

Antwort: Ja, ich muß wohl.«

Weiterhin unterbreite ich als Beweismaterial Dokument EC-258, US-625, einen von Schachts Vertreter, Wohlthat, unterzeichneten Bericht über den Stand der Dinge im Dezember 1937. Der Bericht trägt den Titel:

»Die Vorbereitung der wirtschaftlichen Mobilmachung durch den Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft.«

Schacht hatte sein Amt kurz vor der Zusammenstellung dieses Berichts niedergelegt; er enthält eine vollkommene Zusammenfassung der Erfolge während seiner Amtszeit. Da der ganze Inhalt [148] erheblich ist, bitten wir um die Erlaubnis, das Dokument ohne Verlesung einzureichen, vorausgesetzt, daß die französischen und russischen Übersetzungen dem Gerichtshof später überreicht werden.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß dies den Regeln des Gerichtshofs entspricht, nach denen die französischen und russischen Übersetzungen zusammen mit dem Original unterbreitet werden sollen. Sie schlagen jetzt vor, daß Sie diese Übersetzungen später vorlegen wollen?

LEUTNANT BRYSON: Hoher Gerichtshof! Jedenfalls wollte ich jetzt nicht aus diesem Dokument verlesen; die Verteidiger haben den deutschen Originaltext.


VORSITZENDER: Meine Einwendung bezog sich mehr auf die Richter als auf die Verteidiger.


LEUTNANT BRYSON: Die russische Übersetzung ist jetzt in Bearbeitung. Wir konnten sie wegen einer Verzögerung nicht rechtzeitig erhalten, aber die Verzögerung wird nur sehr kurz dauern. Das Dokument ist von höchster Bedeutung für unsere Beweisführung.


VORSITZENDER: Wie lange wird es dauern, bis die Übersetzungen fertig sein werden?

LEUTNANT BRYSON: Ich möchte mich nicht genau festlegen, aber vielleicht vier bis fünf Tage.


VORSITZENDER: Was wollen Sie nun tun? Es scheint sich hier um ein langes und sehr kompliziertes Dokument zu handeln, nicht wahr?


LEUTNANT BRYSON: Jawohl, und es zeigt...


VORSITZENDER: Wollten Sie es zusammenfassen?


LEUTNANT BRYSON: Ich wollte den Vorschlag machen, es jetzt inhaltlich zusammenzufassen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß, wenn Sie es jetzt zusammenfassen wollen, Sie dies jetzt tun können, aber Sie können es erst vorlegen, wenn die Übersetzungen fertig sind.


LEUTNANT BRYSON: Ich werde es jetzt zusammenfassen, Herr Vorsitzender. Dieses Dokument zeigt...


VORSITZENDER: Wird die Zusammenfassung lange dauern?


LEUTNANT BRYSON: Nein, nicht sehr lange, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Es ist schon fünf Uhr.


LEUTNANT BRYSON: Ich glaube, daß wir es zusammenfassen und dann Schluß machen können.

Dieses Dokument läßt erkennen, daß Schacht vor seinem Rücktritt in erstaunlichen Einzelheiten seine Pläne und Vorbereitungen [149] für die Wirtschaftsführung in dem kommenden Krieg ausgearbeitet hatte. Zum Beispiel waren 180000 Fabriken in 300 verschiedenen Industrien begutachtet worden, um festzustellen, wie weit sie für Kriegszwecke in Frage kämen. Wirtschaftspläne für die Herstellung von 200 Grundstoffen waren ausgearbeitet worden. Ein System für die Ausgabe von Kriegsbestellungen war entworfen worden. Zuteilungen von Kohle, Treibstoff und Energie waren festgelegt worden. Allein 248 Millionen Reichsmark waren für Lagerhäuser ausgegeben worden. Pläne für die Verlagerung von Kriegsmaterial und Facharbeiten aus militärischen Zonen waren ausgearbeitet worden. 80 Millionen Kriegslebensmittelmarken waren bereits gedruckt und in die verschiedenen Provinzen verteilt worden, und die Spezialkenntnisse von etwa 22 Millionen Arbeitern waren in einer Kartothek zusammengestellt worden.

Damit endigt die Zusammenfassung dieses Dokuments, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

11. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 5, S. 116-151.
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