Zweites Kapitel

227-221
Kleomenes König in Sparta – Sein erster Kampf gegen die Achaier – Schlacht am Lykaion – Schlacht bei Leuktra – Kleomenes' Plan – Kleomenes' Reform – Innerer Zwiespalt der Eidgenossenschaft – Arat unterhandelt mit Antigonos – Schlacht am Hekatombaion – Die Achaier für Kleomenes – Arats Gegenbemühungen – Erneuerung des Krieges – Abfall der achaiischen Städte – Arats diktatorische Gewalt – Antigonos' erster Feldzug – Kleomenes' Bund mit Ägypten – Seleukos gegen Kleinasien – Antigonos' zweiter Feldzug – Megalopolis' Fall – Die Empörung in Medien und Persien – Koilesyrischer Krieg – Antigonos tritt Karien ab – Antigonos' dritter Feldzug – Schlacht bei Sellasia – Die Restauration in Sparta – Die Einheit Griechenlands – Kleomenes in Ägypten – Schluß

[346] Es waren schöne zwei Jahre für Sparta, als die lakonische Jugend, König Agis an ihrer Spitze, die alte Herrlichkeit des Vaterlandes zu erneuen mit froher Zuversicht unternahm. In jene begeisterte Zeit fielen die ersten Jünglingsjahre des Kleomenes, und sein ganzes Leben gibt Zeugnis davon, wie tief die Eindrücke, unter denen er herangewachsen war, in seiner Seele hafteten. Sein Vater Leonidas war es, der jene Bewegung erstickt, das Furchtbarste über Agis verhängt hatte; dann zwang er des Ermordeten junge Witwe Agiatis, ungerührt durch ihr Flehen, sich seinem Sohn zu vermählen; mit ihr kam das Knäbchen, das sie Agis geboren und welches vielleicht den Königsnamen des Proklidenhauses trug, in des Jünglings Haus. Die Erinnerung an den Toten, an seine Pläne und Hoffnungen war das erste Band, welches die gewaltsam Verbundenen in Herzlichkeit einigte; mit ihr, mit seiner edlen Mutter Kratesikleia trauerte Kleomenes um die neue tiefere Versunkenheit Spartas, die das Werk seines Vaters war. Unter dessen und seiner Freunde Regiment wucherte der alte Unfug mit völligster Sicherheit; die Schwelgerei, die Zuchtlosigkeit, die Habgier der Reichen, das Weiberregiment war ärger denn je; an die verfassungsmäßige Gleichheit der Bürger, an die alte Gemeinsamkeit der Übungen und des Mahles, an die große Zeit Spartas durfte auch nicht mit einem Wort erinnert werden. Aber in Kleomenes lebten diese Erinnerungen; war auch die Masse der Bevölkerung, durch den vergeblichen Versuch des Agis nur desto tiefer hinabgedrückt, ohne Hoffnung, so war doch in der Jugend die Begeisterung jener Jahre nicht ganz verklungen. In Sparta lebte damals der Borysthenite Sphairos, einer der ersten Schüler Zenons; der Titel seiner Schriften: Lykurg und Sokrates, Über das Königtum, Über die Verfassung Spartas, geben Zeugnis von der Richtung seines Interesses; um[346] die männliche Lehre des Stoikers sammelten sich die Epheben Spartas; vor allem den hochherzigen Königssohn zog er an sich, entzündete noch mehr in ihm den Ehrgeiz würdiger Taten.

So stand er mit dem, was ihn drinnen bewegte, im stärksten Gegensatz gegen das Tun und die Ansicht des Vaters, den zu ehren ihm heiligste Pflicht gebot; man begreift, wie sich in ihm jener Zug der Herbigkeit und Geschlossenheit entwickeln konnte, den später auch nicht das Lächeln des Glückes zu tilgen vermocht hat. Aus der stärksten Spannung geistiger Kräfte wurde Kleomenes' Charakter, was er war; selten wohl ist heftigere Leidenschaftlichkeit durch stärkere Willenskraft beherrscht, kühneres Streben durch kältere Besonnenheit geleitet worden. Seine moralische Kraft war es, die die Kühnheit seines Strebens rechtfertigte.

Leonidas starb. Wie brannte Kleomenes, nun Spartas König, vor Begier, das große, längst durchdachte Werk zu beginnen! Er vermochte es über sich, sie noch Jahre lang zurückzuzwingen; behutsam, allmählich, mit größter Umsicht bereitete er die Ausführung vor. Er mußte erkennen, daß schon nicht mehr auf dem Wege, den Agis versucht hatte, Sparta zu retten sei; Agis hatte umsonst auf die nachhaltige Teilnahme der Masse, die er erlöst und von neuem erhoben, gerechnet; gleichgültig hatte sie ihn stürzen sehen. Sollte das Ziel erreicht werden, so mußte die Macht der Ephoren gebrochen werden, in der die Oligarchie stets von neuem eine Stütze fand. Vermochte er Sparta zu regenerieren, so war es wie in alter Zeit berufen, an der Spitze des Griechentums zu stehen, und stark genug, es gegen jede fremde Macht zu vertreten. Die innere Wiederherstellung Spartas, die Vereinigung des Griechentums unter spartanischer Hegemonie, das waren die großen Zielpunkte, nach denen Kleomenes strebte. Sie zu erreichen, mußte er sich eine persönliche Stellung innerhalb Spartas, wie sie das Königtum ihm nicht mehr gewährte, zu erwerben suchen. Mochte er auch auf die Hingebung der Armen und Entrechteten rechnen können, sie gewährten nicht das, was er bedurfte; er mußte sich gegen die faktische Gewalt der Oligarchie eine Macht bilden, die an seine Person, an seinen Willen gefesselt war; eine Militärmacht mußte die Grundlage seiner Reform werden, wie ja die ursprüngliche Gründung und Verfassung des dorischen Staates keine andere gewesen war. Und die oligarchischen Gewalten, die vorhanden waren, mußten selbst ihm die Befugnis zu deren Bildung zuweisen; er mußte sie bis zu dem Augenblick, da er derselben gewiß war, über seine Pläne zu täuschen wissen. So begann Kleomenes behutsam, schrittweise den Staat in Verwicklungen zu führen, die zu dauernden Kämpfen nötigten.

Der nächste Gegner konnte nur die achaiische Eidgenossenschaft sein; gar sehr mit Recht hatte der Megalopolite Lydiadas als Stratege den Angriff[347] gegen Sparta gefordert; er ahnte, welche Zukunft sich dort entwickelte. Aber er drang gegen Arat nicht durch; Arat zog es vor, den Abfall der kaum gewonnenen Mantineier zu den Aitolern, die Aufnahme der Tegeaten und Orchomenier in deren Bund ruhig geschehen zu lassen; es ist unbegreiflich, daß ihm die Anordnungen im südlichen Thessalien nicht die Augen öffneten; er mochte sich die Umwandlung, die in der Stimmung des jenseitigen Bundes und in den dortigen Parteiverhältnissen vor sich ging, nicht eingestehen, mochte die Aitoler mit jenem großen Zugeständnis in Arkadien von neuem und völlig verpflichtet zu haben glauben. Wenn irgend etwas, so mußte die Schwäche und Besorglichkeit, die Arats Politik gerade jetzt am stärksten zeigte, die Partei, die für ihn im Aitolischen Bunde sprach, schwächen; warum hatte Arat nicht Athen in den Bund genommen, warum nicht sich auf Theben geworfen, während die Aitoler sich in Thessalien festsetzten? Warum nicht Tegea und Orchomenos zum Beitritt gezwungen? Und daß er den Abfall Mantineias zugunsten der Aitoler geschehen ließ, konnte unmöglich anders als zur Minderung seiner schon erschütterten Achtung wirken. So war es möglich, daß der Plan entstand, den Polybios mit Übergehung jener Mittelglieder auf das schroffste hervorhebt. Er sagt: »Die Aitoler sahen, wie Antigonos Makedonien schnell gesichert hatte45; sie setzten als gewiß voraus, daß Makedonien den Achaiern die Wegnahme von Akrokorinth nicht vergessen habe; sie hofften durch eine Verbindung mit Antigonos und Kleomenes die Achaier leicht bewältigen und dann eine Teilung des Achaiergebiets vornehmen zu können«. Man darf mit Bestimmtheit annehmen, daß Antigonos dies Projekt als wenigstens für den Augenblick unausführbar zurückwies; nicht sowohl wegen der karischen Expedition, als vielmehr, um sich nicht die Hände zu binden und der schon erkennbaren Verwicklung in der Peloponnes, die ihm ganz andere Vorteile gewähren sollte, vorzugreifen. Spartanischerseits, so stellt es Polybios dar, wurden eben jetzt die drei arkadischen Städte plötzlich und gewaltsamerweise genommen, ohne daß die sonst bei kleinstem Anlaß zur Rache bereiten Aitoler auch nur einen Einspruch dagegen erhoben hätten; vielmehr erkannten sie diese Besitznahme förmlich an, zufrieden, Sparta zum Kampf gegen die Achaier desto gestärkter zu sehen. Man wird annehmen dürfen, daß diese Besitzergreifung nicht ohne vorhergehende Verständigung mit den Städten selbst geschah; den Aitolern mußte sie, wenn sie sie auch nachher billigten, unerwartet gekommen sein; Polybios hätte das Entgegengesetzte nicht unterlassen anzudeuten. Durch sie war plötzlich das Spartanergebiet tief in den achaiischen Bereich hinein vorgeschoben; die Eidgenossenschaft mußte[348] inne werden, daß sie auf das gefährlichste bedroht sei. In einer Beratung der Bundeshäupter wurde dies anerkannt und beschlossen, zwar keinen Krieg zu beginnen, aber doch dem Umsichgreifen der Spartaner entgegenzutreten.

Auf der Grenze Lakoniens und des Gebietes von Megalopolis, am Fuß des Gebirges, die Straße beherrschend, die beide Landschaften verbindet, liegt das Städtchen Belbina, um dessen Besitz schon lange Streit gewesen zwischen den Spartanern und Megalopoliten. Die Ephoren – es mußte leicht sein, sie zu überzeugen, daß jener Beratung von Aigion irgend eine Bewegung gegen die drei arkadischen Städte folgen werde, und daß es notwendig sei, sich vor Ausbruch der Feindseligkeiten des Punktes, der den Weg nach Lakonien beherrsche, zu versichern – gaben dem König Kleomenes den Befehl, den Platz zu nehmen, der in früheren Zeiten stets und unzweifelhaft zu Lakonien gehört habe. Und Kleomenes nahm den Platz, befestigte das Athenaion neben der Stadt. Dies geschah im Anfang des Jahres 227, ehe noch Arats elfte Strategie zu Ende war46. Arat schwieg zu jener Befestigung; er hatte heimliche Verbindung in Tegea und Orchomenos angeknüpft, bei nächtlicher Weile nahte er der einen und andern Stadt, um sie aus den Händen der Verräter entgegenzunehmen. Aber sie verloren den Mut, unverrichteter Sache zog der Stratege ab; er meinte, es werde unbemerkt geblieben sein. Als Kleomenes Erklärung über den nächtlichen Auszug der Achaier forderte, erwiderte Arat, sein Marsch sei gen Belbina gewesen, um die Befestigung zu hindern, eine Erklärung, deren Zweideutigkeit Kleomenes' Gegenfrage: »Wozu dann die Sturmleitern und Fackeln?« hinlänglich aufdeckte. Arat schien den Krieg vermeiden zu wollen, und die Ephoren, zufrieden, jenen Grenzplatz gewonnen zu haben, gaben dem König, der mit dreihundert Mann und wenigen Reitern im Arkadischen lagerte, Befehl zum Rückzug. Kaum war er hinweg, so nahm Arat Kaphyai am Westende des Sumpfes von Orchomenos. Da sandten die Ephoren Kleomenes von neuem aus; er nahm Methydrion, das südwärts an Kaphyai grenzt, er machte einen Einfall in das argolische Gebiet; der Scheinfriede war nicht länger zu erhalten.

Die neue Strategenwahl hatte den ehemaligen Tyrannen von Argos, Aristomachos, an die Spitze des Bundes gebracht; auf die Kunde von Kleomenes' Angriff, so scheint es, wurde nach den üblichen Vorberatungen ein[349] Bundesrat der Gemeinde der Achaier berufen, der Krieg gegen Sparta beschlossen47. Arat befand sich in Athen, Aristomachos lud ihn ein, zurückzukehren, um den Einfall nach Lakonien, der sofort erfolgen sollte, mitzumachen. Arat bemühte sich auf alle Weise abzumahnen; da es nicht gelang, kam er zurück, mit ins Feld zu ziehen; 20000 Mann Fußvolk und 1000 Reiter stark rückten die Achaier gen Pallantion nahe der lakonischen, näher der Tegeatengrenze. Nur 5000 Mann stark eilte Kleomenes dorthin; er und sein Heer brannte vor Begier, sich mit der feindlichen Übermacht zu messen. Solchem Feinde gegenüber glaubte Arat, es nicht zu einer Schlacht kommen lassen zu dürfen; er veranlaßte den Befehl zum Rückzug. Unter den Achaiern äußerte sich laut der Unwille; Kleomenes hatte ohne Kampf mehr als gesiegt.

Über das, was bis zur nächsten Strategenwahl vor sich ging, sind wir ohne Nachricht, aber bewegt genug mag die Stimmung in der Eidgenossenschaft gewesen sein; es waren herrliche Elemente in derselben, aber solche Leitung mußte den Bund demoralisieren; und in der Verfassung derselben war die Möglichkeit nicht, daß sich die Stimmung, die vor allem in den größeren Städten vollkommen unzweideutig sein mußte, gegen Arat wirksam erheben konnte. Lydiadas klagte ihn an, aber vergebens, und in der neuen Strategenwahl im Frühling 226 erlag der edle Megalopo lite den Wahlumtrieben Arats; Arat wurde erwählt.

Gleich darauf finden wir Arat mit dem Achaierheere von einem Zug gegen Elis zurückkehren. Die Aitoler haben ihren alten Verbündeten keinen Beistand geleistet; war es nur ein Raubzug, den Arat gemacht? Oder versuchte er auch die Eleier zum Eintritt in den Bund zu nötigen? Kleomenes eilte den Gefährdeten zu Hilfe; er traf die schon zurückkehrenden Achaier am Fuß des Lykaion auf dem Gebiet von Megalopolis; mit geringer Mühe jagte er das Heer auseinander; viele wurden getötet, gefangen, Arat, hieß es, sei gefallen. Er hatte sich geflüchtet, die Nacht hindurch irrte er weiter; dann sammelten sich die Flüchtlinge um ihn, und er eilte, mit denselben einen Handstreich gegen Mantineia auszuführen, der völlig gelang und Griechenland in Erstaunen setzte. Allerdings nicht geplündert wurde die Stadt: sie wurde von neuem in die Eidgenossenschaft aufgenommen. Aber der Aufnahme ging eine innere Umformung bedeutender Art voraus; die Metoiken der Stadt wurden zu Bürgern gemacht;[350] erst so gewann man hier eine eidgenössische Partei. Eine Besetzung von Achaiern und Söldnern wurde in die wiedergewonnene Stadt gelegt, sie völlig zu sichern.

Die Oligarchie von Sparta hatte bereits im vorigen Jahre durch die Heimberufung des Kleomenes gezeigt, daß sie gegen ihn auf ihrer Hut war; hatte sie je den Sohn des Leonidas sich und ihren Interessen ergeben glauben können? Sein ganzes äußeres Leben, das den stärksten Gegensatz gegen ihren Prunk bildete, sein Verhältnis zu Sphairos, zu der Jugend, die sich mit ihm der altspartanischen Weise hingab, konnte kaum noch als bedeutungslose Enthusiasterei gelten. Um ihn bildete sich schon eine ihm völlig ergebene Militärmacht von Einheimischen und Söldnern, auf ihn mußten sich die Hoffnungen der Unterdrückten wenden, und die Zeit des Agis lag nahe genug, um die Verarmten, Entrechteten, Verschuldeten, um Perioiken und Heloten an die Möglichkeit einer plötzlichen Verwandlung aller Verhältnisse denken zu lassen; je glänzender Kleomenes, schon der Mann des Volkes, kämpfte, desto bedrohlicher wurde diese Bewegung in der Masse, die er mit so fester und ruhiger Kraft beherrschte. Die Oligarchie konnte ihm nicht trauen. Warum entledigte sie sich seiner nicht? Er war nicht zu entbehren; wer sollte den Krieg gegen die Achaier führen? Wenn man auch Söldnerscharen in Masse gegen sie warb, von der Menge daheim war dann das äußerste zu fürchten; ohne Kleomenes wurde Sparta die Beute der eidgenössischen Demokratie. Die Politik der Oligarchie mußte sein, ihn zu benutzen, aber ihn stets zu hemmen. Der Fall von Mantineia gab den gelegensten Anlaß: man nannte den Verlust größer als er war; die Ephoren, so scheint es, schlossen Waffenstillstand mit den Achaiern48, riefen Kleomenes heim. Es war eben der junge Eurydamidas, Agis' Sohn, gestorben; es hieß, vergiftet von den Ephoren; ein unsinniges Gerücht hat Kleomenes als Anstifter bezeichnet49. Er lud des Agis Bruder Archidamos, der landesflüchtig in Messenien lebte, ein, heimzukommen und das ihm gebührende Königtum zu übernehmen; Phylarch, der begeisterte Verehrer des Königs, bezeichnet als Grund, daß Kleomenes in dem verfassungsmäßig geordneten Königtum der Gewalt der Ephoren desto entschiedener gegenübertreten zu können gehofft habe; wenn es wahr ist, was Polybios berichtet, daß erst infolge eines förmlichen Vertrages[351] Archidamos des Königs Einladung annahm, so darf man daraus entnehmen, wie Kleomenes' Stellung noch keineswegs unzweideutig war. Die Rückkehr des Archidamos war für die Oligarchie, die seinen Bruder ermordet, ihn selbst zu fliehen gezwungen hatte, in hohem Maße bedenklich, sie hatte Grund, seine Rache zu fürchten; kaum in die Stadt zurückgekehrt, ward er ermordet. Kleomenes hat nach Phylarchs Zeugnis keinen Teil an dem Morde, nach Polybios' Annahme hat er selbst ihn veranlaßt, nach anderen hat er Archidamos auf den Rat der Freunde preisgegeben50. Es ist nicht mehr möglich, das Richtige mit Bestimmtheit zu erkennen; allerdings die Zurückberufung wirft einen zweideutigen Schein auf ihn, und unter seinen Gegnern, besonders in der Eidgenossenschaft, wird man sich dieses Argumentes gegen den König gern bemächtigt haben. Nur daß er, wenn er seiner los sein wollte, nicht dieser kläglichen List bedurft hätte; ja auch wenn er den Mord durch die Oligarchen wollte ausführen lassen, hätte er sie ebenso leicht veranlassen können, nach Messenien ihre Meuchelmörder zu senden. Aber es ist klar, daß Archidamos' Mord an sich für Kleomenes in keiner Hinsicht wünschenswert war; er konnte ihm nicht gefährlich werden, solange es noch den Kampf gegen die Oligarchen galt, ja er konnte seiner tätigsten Mitwirkung gegen sie gewiß sein. Vielleicht glaubte er sich schon einflußreich genug, dessen gutes Recht durchzusetzen; seine Zurückberufung war der erste offenbare Schritt, den er gegen die Oligarchie wagte. Aber noch war sie im Besitz der Gewalt; wenn sie diese gegen jenen zu wenden beschlossen, so hatte Kleomenes nur ein Mittel, ihn zu retten, die Revolution; aber hatte er Aussicht, sie durchzuführen? Sollte er die Masse der Bevölkerung aufrufen, die in mannigfacher Abhängigkeit gegen die Reichen, ihre Brot- und Schuldherren, stand? Sollte er unter den Augen der Ephoren, deren Wink genügte, denselben Mord an ihm zu wiederholen, eine Bewegung veranlassen, deren Resultat im besten Falle unberechenbare Verwirrung bringen und gerade das stören mußte, was er als sein Ziel erkannt hatte? So gewiß er diesem Ziel zuliebe, wenn er es für notwendig erkannt hätte, Archidamos mit kaltem Blute selbst durchstoßen haben würde, so wenig konnte er es, um ihn zu retten oder zu rächen, dahingeben. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Die Oligarchen forderten jenen Mord; auch dies schwerste Opfer brachte er, auch den Schein verräterischer Verträge nahm er über sich; er ertrug es, ein Genosse der frevelfrechen Oligarchie zu scheinen. Sie wieder mochten sich seiner völlig zu versichern glauben, wenn sie ihm, da die königliche Linie des Proklidenhauses nun verödet war, ein alleiniges[352] Königtum ließen. Er konnte es nur benutzen wollen, den entscheidenden Schritt zu zeitigen. Durch jenen Mord, durch solche Zugeständnisse hatten sie ihre innere Schwäche offenbar werden lassen; es gelang mit Bestechungen, sie weiter zu teilen. Kleomenes' Mutter Kratesikleia, die Vertraute seiner Pläne, benutzte ihren persönlichen Einfluß und ihre Reichtümer, die Besorglichen zu beruhigen, die Schwankenden zu gewinnen; auf des Sohnes Wunsch vermählte sie sich einem durch sein Ansehen und sein Vermögen besonders einflußreichen Spartiaten, Megistonus, zog ihn völlig zu den Interessen ihres Sohnes hinüber. Endlich gelang es, die Ephoren durch reichlich gespendetes Geld zu bewegen, daß sie Kleomenes die Fortsetzung des Krieges befahlen; dies war etwa im Sommer 226.

Der König wandte sich gegen das Gebiet von Megalopolis; Leuktra, ein früher spartanischer Ort, zwei Stunden im Süden der Stadt, wurde genommen. Indes war der Stratege Arat mit dem Achaierheere herbeigeeilt, Megalopolis zu schützen; Kleomenes rückte gegen ihn an, bis auf wenige Stadien im Süden der Stadt; er schien ein entscheidendes Zusammentreffen zu suchen. Arat wünschte es zu vermeiden, er hatte nicht mehr eine drei- oder viermal größere Truppenmasse gegen den Feind zu führen, er fürchtete die unwiderstehliche Gewalt des tollkühnen Spartaners; vergebens forderten die Megalopoliten eine Schlacht. Die Achaier brannten vor Begier, ihre Waffenehre zu retten; ein Ausfall der leichten Truppen glückte vollkommen; sie warfen die gegen sie gestellten Scharen des Feindes, verfolgten sie bis an dessen Lager; ein allgemeiner Angriff der Achaier hätte alle Aussicht auf Erfolg gehabt. Es rückte die Phalanx vor, aber ehe die feindliche Linie erreicht war, ließ Arat vor einer Tiefe Halt machen; er hatte ja nun eine feste Position. Lydiadas war außer sich; sein Bitten, sein Zürnen war umsonst, so entschloß er sich, auf eigene Gefahr den schon halb gewonnenen Sieg zu erringen. Schnell sammelte er die Reiterei um sich; nach kurzer begeisterter Anrede stürzte er sich an ihrer Spitze auf den rechten Flügel des Feindes, drängte ihn weit und weiter zurück; die Heftigkeit der Verfolgung riß ihn hin, ein Weingelände mit Mauern, ein Gräberplatz daneben gab dem Feind Gelegenheit, die so behinderte und zerteilte Reitermacht hart und härter zu bedrängen; Kleomenes sandte seine Tarentiner, seine Kreter51; es war ein schwerer Kampf, und Arat stand ruhig in seiner sicheren Position. Endlich stürzte Lydiadas auf den Tod verwundet, seine Reiter wandten sich; mit lautem Jubel drangen die Feinde nach, die Fliehenden verwirrten auch die Linien des Fußvolks, bald war die Unordnung allgemein, die Niederlage vollkommen. Viele Tote[353] deckten das traurige Schlachtfeld bis an die Tore der Stadt; sie hatte ihren besten Mann verloren; und Kleomenes ehrte ihn und sich, indem er Lydiadas' Leiche zu sich bringen, ihn mit dem Purpur und dem Kranz geschmückt in feierlichem Trauerzug an die Tore seiner Vaterstadt geleiten ließ52.

Diese Niederlage, dieser Tod riß endlich die Eidgenossenschaft aus ihrer Betörung; die Erbitterung gegen Aratos war laut, allgemein: er habe Lydiadas absichtlich preisgegeben, sein Neid sei schuld, daß man schimpflich bewältigt worden, wo man des Sieges gewiß gewesen. Man hörte auf seinen Befehl nicht weiter, man zwang ihn, mit heimzuziehen; in Aigion ward eine Bundesversammlung gehalten, beschlossen, ihm die Geldmittel zur weiteren Fortsetzung des Krieges zu entziehen. Was blieb ihm nach solchen Vorgängen übrig, als das Bundessiegel abzugeben, die Strategie niederzulegen? Allerdings wollte er es auch; dann überlegte er weiter, dann fand er es besser, Stratege zu bleiben: ein Entschluß, der nicht möglich war, wenn nicht im Bunde eine große und verfassungsmäßig überwiegende Partei bestand, welche der allgemeinen Stimmung Trotz zu bieten ihm möglich machte oder ihn aufforderte. Welche innere Zerspaltung mußte da in der Eidgenossenschaft um sich greifen; sie war in dieser schwierigsten Zeit, da es des treuesten Zusammenhaltens bedurft hätte, in sich gelähmt; die klägliche Unzulänglichkeit ihrer Verfassung mußte auf das bitterste empfunden werden, sie gewährte keinen Schutz, kein gleiches Recht mehr, ihre Achtung war dahin. Sie sollte noch tiefer sinken, noch schmerzlicher gefährdet, endlich so gut wie verraten werden durch Aratos.

Wie anders Sparta. Allerdings war dort ein nicht minder starker Gegensatz der Parteien oder des Interesses, – der Masse Verarmter, Entrechteter, Besitzloser gegenüber die Oligarchie, in deren Hand die Gerusia, das Ephorat, eine Machtvollkommenheit war, von der das Königtum selbst vollkommen abhing. Aber Kleomenes hatte es, entschlossen, es aus den oligarchischen Fesseln zu lösen, des Heeres gewiß, kühn genug, das schon Begonnene stark und völlig durchzuführen. Nach dem Siege vor Megalopolis ging er daran; mit Megistonus besprach er es, daß man das Ephorat aufheben, eine Güterverteilung vornehmen, Sparta in sich neu begründend die Hegemonie über Hellas wieder gewinnen müsse; zwei oder drei Freunde wurden in das Geheimnis gezogen. Freilich erkennen wir in den Überlieferungen nicht mehr, was ihn gerade diesen Zeitpunkt zu wählen bestimmte.[354] Am wenigsten war es Rücksicht auf gewisse politische Verbindungen, die von Kleomenes nicht gesucht und selbst erst Resultat der weiteren Verwicklungen wurden. Vielleicht entschieden die inneren Verhältnisse. Oder sollte die Oligarchie ohne allen Verdacht, ohne Vorkehrung zu treffen, die offenbare Umwandlung der öffentlichen Stimmung mit angesehen haben? Mußte nicht jeder neue Sieg des Kleomenes den Argwohn wider ihn steigern? Konnten die Bestechungen, welche der eine und der andere genommen hatte, ihn mehr als für den Augenblick beruhigen? Doch die Überlieferung verläßt uns hier gänzlich; sie berichtet Unwesentliches, zum Teil Schiefes. Nach altem Brauch habe einer der Ephoren im Heiligtum der Pasiphaë geschlafen, im Traum gesehen, wie von den fünf Ephorenstühlen vier umgestürzt seien, eine Stimme gehört, es werde so für Sparta besser sein; er habe es dem König berichtet, der, in der Besorgnis, sein Plan sei verraten, man stelle ihn auf die Probe, weiter geforscht, sich von des Mannes Unbefangenheit überzeugt habe. Sofort sei er von neuem ins Feld gezogen, habe besonders diejenigen, von welchen er vermutet habe, daß sie seinem Plan entgegen sein würden, mit dazu gezogen, habe den Achaiern Heraia an der elischen, dann Asea an der argivischen Grenze entrissen, dann wieder in das gefährdete Orchomenos Vorräte geschafft, dann Mantineia umlagert, kurz mit Kreuz- und Querzügen die Spartaner völlig ermüdet, und auf ihr Bitten, ihnen endlich Rast zu gönnen, ihnen in Arkadien zu bleiben erlaubt, um sich mit den Soldtruppen zu dem entscheidenden Unternehmen zu wenden. Die Seltsamkeit dieser Darstellung liegt auf der Hand; und so begeistert der Schriftsteller, aus dem sie unzweifelhaft stammt, für Kleomenes ist, so verleugnet sich doch auch hier nicht seine Unfähigkeit, die wesentlichen Zusammenhänge hervorzuheben, oder seine Manier, sie mit oberflächlichen und anschaulichen Motiven der Vorstellung näherzurücken. Das von Orchomenos Gesagte wird eine Andeutung des Wesentlichen enthalten. Arat und sein Anhang mußten alles daran setzen, die Schmach von Megalopolis irgendwie wieder gutzumachen. Dem Strategen war ein Überfall gegen eine Spartanerschar in der Nähe von Orchomenos geglückt; wie es scheint, aus Arats Berichten ist die Angabe, daß da dreihundert Feinde getötet, Megistonus gefangen wurde53; auf ernstliche Gefährdung für Orchomenos deutet jene Versorgung mit Lebensmitteln; mit jenem Gefecht mochte die spartanische Deckung der Landschaft vernichtet, wenigstens in die Stadt zurückgedrängt sein, und Mantineia in der Achaier Gewalt sperrte die unmittelbare Verbindung mit derselben; die Wegnahme eidgenössischer Städte[355] konnte dazu dienen sollen, Arat von Orchomenos abzuziehen. Die Entfernung des Königs aber und die Gefangenschaft des Megistonus muß in der Oligarchie von Sparta bedenkliche Entschlüsse gezeitigt haben, zu deren Ausführung die Ephoren ihre Amtsgewalt zu brauchen bestimmt gewesen sein werden. Nur so ist die Gewalttat, zu der Kleomenes schritt, erklärbar.

Mit den Söldnern hatte er sich von dem übrigen Heere getrennt; er marschierte auf Sparta. Der Stadt nahe sandte er Eurykleidas voraus an die im Syssition vereinten Ephoren, ihnen Mitteilungen vom Heere zu überbringen. Therykion, Phoibis und zwei Mothaken (Helotensöhne), die mit dem König erzogen waren, folgten mit einer kleinen Schar Truppen. Dann brachen sie in das Syssition, stürzten sich auf die Ephoren, streckten sie zu Boden; nur einer, der wie tot niederlag, raffte sich dann auf, flüchtete sich in den Tempel der Furcht; von denen, die den Ephoren zu Hilfe geeilt waren, fanden etwa zehn den Tod, andere, die fliehend die Stadt verließen, wurden nicht gehindert. So verging die Nacht; am anderen Tage berief Kleomenes, nachdem er achtzig Männer der Oligarchie geächtet und die Stühle der Ephoren bis auf einen, den er, der König, selbst einnehmen wollte, gestürzt hatte, eine Volksversammlung, sich über das Geschehene zu rechtfertigen, die Usurpation der Ephoren nachzuweisen, eine neue Güterteilung, Tilgung der Schulden, neue Anordnung des Bürgertums anzukündigen.

So war der entscheidende Schritt geschehen. Polybios, der, obschon als Achaier dem Kleomenes abgeneigt, seinen hohen königlichen Eigenschaften die höchste Anerkennung nicht versagen kann, bezeichnet ihn als einen Tyrannen. Und in der Tat, in vollkommen gewaltherrischer Art war es, daß er diese Umwälzung begann und durchführte; er konnte nicht anders. Agis hatte geglaubt, durch das Ephorat die Reform Spartas bewirken zu können, und es war sein Untergang. Kleomenes stürzte es mit seiner Militärmacht, zersprengte die Oligarchie, erneute eine Machtvollkommenheit des Königtums, die ihm für alt und echt spartanisch gelten mochte und welche doch nur die Prinzipien des Königtums, wie sie die neue Zeit entwickelt hatte, freilich in reinster und edelster Gestalt zur Darstellung brachte. Es ist im hohen Grade bedeutsam, daß der Stoiker Sphairos bezeichnet wird als ihm in seinen Bemühungen zur Seite stehend. Das einseitige Vorherrschen der Staatsidee, welche alle anderen Beziehungen des Lebens absorbierte, war von früh her allerdings das Eigentümliche des Spar tiatenstaates; die monarchischen Entwicklungen seit Philipp und Alexander hatten dieselbe Idee, welche in den Theorien stark und stärker hervorgehoben wurde, freilich in mannigfaltigen Trübungen, zu verwirklichen gesucht; in Sparta trat sie nun mit dem Namen einer Wiederherstellung[356] des alten guten Rechtes, von einer ungewöhnlichen Persönlichkeit getragen, in völligster, man möchte sagen kristallinischer Reinheit hervor; in rationeller Weise wurde der Staat neu gemacht, alles Partikulare, das sich im Verlauf der Zeiten an denselben angesetzt hatte und das schon durch Agis' Reformversuch erschüttert war, abgetan, eine Form geschaffen, welche jene Idee und nur sie aussprechen sollte, – nur daß die Füllung jener Form, die Bildung, das Interesse, die Berechtigung des neuen Bürgertums, eine völlig neue war.

Denn diese Absicht wird man aus der kläglichen Dürftigkeit der Überlieferungen von Kleomenes' Verfassung entnehmen dürfen. Es sind insbesondere zwei Momente, die als charakteristisch hervortreten und diese allgemeine Ansicht empfehlen. Kleomenes ließ einen der Ephorenstühle, um ihn selbst einzunehmen; er nahm damit für das Königtum die gesamte Machtvollkommenheit in Anspruch, welche diese Behörde gehabt hatte: das Recht zu strafen, wen sie wollten, wie ein alter Schriftsteller sagt, die volle Gewalt über alle Beamtete, die Entscheidung über Krieg und Frieden, die exekutive Gewalt im ausgedehntesten Maße. Sodann, heißt es, hob er die Gewalt der Gerusia auf und berief statt deren Patronomen54; man hat diese Angabe bezweifelt; Kleomenes, der ja überall die Herstellung der alten Verfassung bezweckt habe, werde jenes echt spartanische Institut nicht aufgegeben haben; aber in der folgenden Zeit sind Patronomen in Sparta, und auf Kleomenes führt eine ausdrückliche Angabe ihre Begründung zurück; ihre Befugnis ist nicht zu ermitteln, aber aus der Bezeichnung, daß sie dem Namen nach in die Stelle der zerbrochenen Macht der Gerusia eingesetzt seien, ergibt sich, daß ihre Befugnis eine ungleich mindere war; es scheint, daß er jede Zwischenstufe zwischen Königtum und Volk hinwegzutun suchte, und es ist wohl denkbar, daß auch dies der Auffassung der altspartanischen Verfassung, wie man sie damals haben mochte, nachgemodelt war; denn Sparta war ursprünglich ein Heerkönigtum,[357] wie es die neue Zeit in so vielen merkwürdigen Gründungen wieder dargestellt hatte; ein Beirat der Ältesten, gleichsam ein Kriegsrat um das Königtum, mochte konsequent erscheinen, aber eine Machtvollkommenheit war ihm nicht zuzugestehen; die Souveränität mußte in der Vereinigung des Königtums mit der zu den Waffen verpflichteten Gemeinde dargestellt erscheinen, und auch da trat eine althellenische Form, die sich in Makedonien und den makedonischen Gründungen dem wesentlichen nach wiederholte, hervor.

Die weiteren Angaben, die vorliegen, sind höchst ungenügend. Daß eine Schuldtilgung in irgendeiner Form vorgenommen wurde, ist klar. Das gesamte Besitztum wurde von neuem geteilt; auch für die Geächteten wurden Lose bestimmt; wenn die neue Anordnung gesichert sei, sollte ihnen die Heimkehr freistehen; es wird nicht gesagt, ob und in welcher Ausdehnung für die Perioiken gesorgt wurde. Dann ergänzte Kleomenes das Bürgertum aus den Perioiken, so daß das Spartiatenheer fortan aus 4000 Hopliten bestand, und diese bewaffnete er nach makedonischer Weise mit der langen Sarissa statt des bisherigen Speeres. Damit wich der letzte Rest der alten spartanischen Mora dem »Gewalthaufen der Phalanx«. Es scheint kaum zweifelhaft, daß der neuen Gründung des Bürgertums eine neue und zwar topographische Einteilung des Volkes zur Seite ging; in fünf Kreise war nach dieser Zeit Lakonien geteilt; an Stelle der altspartanischen drei Stämme wurde die Lokalteilung des Landes die Grundlage aller politischen Beziehungen. Überall, sieht man, umgibt sich dies Königtum mit Formen, welche demokratischer Art sind, nur daß diese Demokratie nicht die der alten Zeit, sondern eine völlig andere, rationalistische ist. Mit Sphairos' Hilfe wurde dann besonders für die Zucht der Jugend nach alter Weise gesorgt, die gemeinsamen Übungen und Mahlzeiten hergestellt. Endlich, um den Namen der Alleinherrschaft nicht verletzend erscheinen zu lassen, heißt es, habe Kleomenes seinen Bruder Eukleidas als zweiten König berufen; entweder eine Inkonsequenz aus Rücksicht auf die einmal vorhandene Gewohnheit oder eine äußerliche Anbequemung an die altspartanische Weise, oder eine Bezeichnung mehr von der besonderen und gleichsam abstrakten Auffassung des Königtums. Es gehört mit zu der Charakteristik desselben, daß Kleomenes, weit entfernt von glänzender Repräsentation und der gesuchten Feierlichkeit der Majestät, wie sie in den hellenistischen Reichen gepflegt wurde, ohne Kabinett und Hof in soldatischer Einfachheit gleichsam nur des königlichen Amtes Verwalter erschien. In gewöhnlichem Kleide empfing er jeden, frei in seinem Benehmen, offen in seiner Unterhaltung; wenn er Fremde oder Gesandte bei sich sah, so wurde der gewöhnlichen Spartanermahlzeit ein wenig Besseres hinzugefügt:[358] man müsse gegen Fremde nicht zu sehr lakonisieren55; Polybios selbst sagt, er sei der liebenswürdigste und anziehendste Privatmann gewesen; die herbe Anmut seiner Unterhaltung, die freie und kecke Klarheit seines Wesens war unwiderstehlich. Wenn je ein König, so schien er würdig, an der Spitze des freien, aufgeklärten, bürgerlichen Griechentums zu stehen; und er ging daran, die nationale Einheit zu begründen, die die Sehnsucht aller Gutgesinnten war.

Ihm gegenüber stand Aratos. Wohl hatte er Grund, jenen König und die wachsende Bewunderung des Griechentums für ihn zu fürchten; wo er noch mit ihm zusammengetroffen, hatte er schimpflichste Niederlagen erlitten, im Kampf gegen Sparta waren die heillosen Schwächen der Eidgenossenschaft offenbar geworden. Arat selbst hatte den besten Teil seiner Popularität eingebüßt; er mußte fühlen, daß ihn auch die Unterstützung der Begüterten, die in ihm den Vertreter ihrer Interessen sahen, gegen die wachsende Mißstimmung der Menge nicht auf die Dauer schützen werde. Was hatte der Angriff auf Orchomenos im Sommer 226 gefruchtet? Während dann Kleomenes mit rascher Energie die inneren Verhältnisse Spartas umgestaltete, scheint Arat in der Voraussetzung, daß Sparta, im Inneren voll Erschütterung, unfähig sein werde, sich nach außen zu wenden, neue Angriffe versucht zu haben. Ein plötzlicher Einfall in das Gebiet von Megalopolis, den Kleomenes im Frühling 225 machte, konnte ihm zeigen, wie Sparta nur kühner und kräftiger denn zuvor war; das Land wurde durchplündert, mit reicher Beute zogen die Spartaner zurück, und um dem Feinde zu zeigen, wie wenig man ihn fürchtete, machte Kleomenes einen Tag Rast, um von den vorüberziehenden dionysischen Künstlern aus Messenien seinen Kriegsleuten Schauspiele aufführen zu lassen. Und eben jetzt erhob sich Mantineia zum Abfall von der Eidgenossenschaft; zum Schutz der neuen Bürgerschaft dort und auf ihren Antrag war die eidgenössische Besatzung mit 300 Achaiern und 200 Söldnern verstärkt worden. Die Altbürger der Stadt werden es gewesen sein, welche sich und ihre Stadt dem Kleomenes antrugen; über Nacht kam er, mit ihnen vereint erschlug oder verjagte er die Achaier, stellte die frühere Verfassung wieder her, gab den Bürgern ihre alte selbständige Politie zurück, trat dann sofort den Rückmarsch nach Tegea an. Er zeigte damit, wie das neue Sparta nicht erobern und unterwerfen, sondern freie, selbständige Staaten unter seiner Hegemonie vereinen wolle; es war ein Prinzip der Vereinigung, das dem bundesstaatlichen, die freie und unmittelbare Selbständigkeit der Politien absorbierenden[359] der Eidgenossenschaft eben jetzt um so gefährlicher gegenübertrat, je ohnmächtiger sich der Schutz, den dieser Bundesstaat gewährte, gezeigt hatte und je weniger der zusammenhaltende Einfluß der Begüterten in den eidgenössischen Angelegenheiten die Bedürfnisse, die Ansprüche, die laut ausgesprochene Stimmung der Menge in den einzelnen Gemeinden aufkommen ließ.

Arat konnte sich die Schwierigkeit seiner Stellung nicht verbergen; er wird sich nicht eingestanden haben, daß er selbst und seine Leitung der eidgenössischen Angelegenheiten allein sie hervorgerufen. Es waren im Bunde Elemente kriegerischer Tüchtigkeit vorhanden gewesen; er hatte sie zurückgedrängt, er hatte die Begeisterung niedergeschlagen, so oft sie sich erheben wollte; er hat die Möglichkeiten freier politischer Bewegung, die in dem Bunde lagen, zerbröckelt, den Begüterten allein Einfluß gelassen, auf die gestützt er, der Verfassung gemäß und zuwider, die alleinige Leitung des Bundes in seiner Hand zu behalten gewußt hatte. Alles, was Kleomenes mit rascher und glänzender Kühnheit seinen Spartanern schuf, Besitz und Schuldfreiheit für die Armen, Wetteifer für eine neue und kräftige Ordnung im Innern, Begeisterung zum Kämpfen und Siegen, glänzenden Waffenruhm, alles das zu entbehren, durch Arat und seine Partei zu entbehren, fühlte die Menge in den Städten auf das schmerzlichste. Wie wenig sie und die öffentliche Stimme gegen jene bevormundenden Führer vermöge, hatte die Erfolglosigkeit der allgemeinen Entrüstung über die Schlacht von Leuktra erwiesen; wie mußte es erbittern, daß Arat, statt nach jener beschimpfenden Erklärung von Aigion abzutreten, in der Strategie geblieben war, daß er nicht einmal Megalopolis zu schützen vermochte, daß Mantineia verloren ging; eine Last, eine Schande mußte diese Eidgenossenschaft scheinen, die von den Städten Geldbeiträge und Kriegsleistungen forderte, ohne Schutz zu gewähren oder dem armen Bürger aufzuhelfen, – die zweimal im Jahre auf drei Tage die Gemeinde berief, um in aller Eile bereits vorberatene Fragen und nur solche zur Entscheidung vorzulegen oder Wahlen anstellen zu lassen, und in den einen oder andern den Ausschlag in die Hände der Begüterten legte, – die auch in die Kommunalangelegenheiten der einzelnen Gemeinden souverän eingriff und befahl und forderte, was nicht die Gemeinde, sondern der unerreichbare Bundesrat, die entscheidende Stimme der Begüterten im Bunde bewilligt hatte. Wahrlich, den Gemeinden mochte die Aussicht, in freier Weise sich unter der glänzenden und schützenden Hegemonie des bewunderten Kleomenes zu vereinen, mit jedem Siege desselben im Innern und nach außen lockender werden. Wie, wenn der Makedone diese Zeit benutzte, das alte, gräßliche Regiment der Stadttyrannen und der Besatzungen zurückkehren zu lassen? Je bitterer man in immer neuen Verlusten[360] und Niederlagen der eigenen wachsenden Ohnmacht inne werden mußte, desto näher lag jene furchtbare Möglichkeit; wohin sollte man sich wenden, auf wen hoffen? Kleomenes, und nur er mit seinen siegesstolzen Spartanern konnte die Freiheit schützen, ja eigentlich erst sie schaffen.

Noch ein anderes Moment wirkte, in jener Stimmung der Menge eingehüllt, nur zögernd wage ich es zu bezeichnen: aber es fehlt nirgends, wo die soziale Bildung den Punkt erreicht, nach dem Bruch des Herkommens und der Autorität, nach der Anerkenntnis vernunftrechtlicher Prinzipien allen Anteil an ihren allgemeinen Gütern zuzusprechen, ohne doch die Mittel, diese Ansprüche zu befriedigen, gewähren zu können. Armut war längst in der Welt, war überall; aber nur in den hellenischen Verfassungen und ihrer Anerkenntnis der Freiheit konnte sie als Pauperismus an das Licht treten. Schon bei Agis' Schuldtilgung hatte er das Haupt emporgereckt; Kleomenes' Schuldtilgung und Güterteilung erweckte nun allerorten gleiches Verlangen, Bewegungen tief unten in der grollenden Masse, der die eidgenössische Freiheit so wenig gerecht geworden war56.

Arat mußte sehen, daß er im Innern nicht minder als von außen bedroht war, daß eben die Erhebung, welche Sparta plötzlich so stark machte, die Bewegungen in den Städten hervorrief. Es gab für ihn nur zwei Möglichkeiten, entweder mit dem Spartaner Frieden zu schließen, oder den Kampf mit ihm fortsetzend fremde Hilfe zu suchen. Aber Kleomenes hätte den Frieden nimmermehr gewährt ohne Anerkenntnis seiner Hegemonie, vielleicht nicht ohne bedeutende Verminderung der eidgenössischen Verbindung, ohne Abtrennung von Korinth, von Megalopolis; und welche Veränderungen im Bunde selbst hätten der Berührung mit Sparta folgen müssen! Arat hatte schon, da er mit Agis bei Korinth zusammengestanden,[361] erkennen können, welches Gift dieser nahe Verkehr mit dem neuspartanischen Wesen in sich trug; alle die ausschweifenden Ideen, die Arat sein Leben lang bekämpft, um deren Willen er die philosophischen Freunde von Megalopolis beiseite geschoben und den Enthusiasten Lydiadas niedergehalten hatte, sie kamen dann in aufregendster Gestalt in seine Eidgenossenschaft; dann war Güterteilung und Schuldtilgung das erste Geschrei, dann hatte die billige Überlegenheit der Begüterten ihr Ende, ja sie mußten wohl gar fürchten, etwas von ihrem Besitz oder ihren Anleihen einzubüßen, dann war die ganze ruhige Bürgerlichkeit und wohlnormierte Gesetzlichkeit unrettbar verloren; dann war jener König, der stolz darauf war, mit dem armen Mann an Entbehrungen und mit dem ungebildeten Kriegsknecht in Ertragung der Strapazen zu wetteifern, der die Jugend für die rohe Spartanertugend vergangener Zeiten begeisterte und das Recht der Reichen daheim mit Füßen getreten hatte, er war dann die Sonne, zu der sich alles wandte, und das Beispiel, dem man nachzueifern trachtete, er, der den leeren Theorien der Ideologen und Stoiker das glückliche Behagen eines gebildeten und genußreichen Gesellschaftszustandes hinzuopfern bereit war, um nichts als seiner Herrschsucht zu frönen. So mochte Arat denken; aber seine Gedanken beschönigten nur die geheimeren Empfindungen, die ihn peinigten; also nach zwanzig Jahren einer, wie er überzeugt sein mochte, ruhmvollen Leitung der Eidgenossenschaft sollte er dem Größeren weichen, dem kaum zum Manne Gereiften, dem, dessen Überlegenheit an Willenskraft, Kriegskunst, staatsmännischem Talent er so bitter empfand, der seine politischen Finten mit stolzer Faust durchhieb und seine Ameisenwege mit der Sohle zertrat, der ihn, den alten Meister diplomatischer Kunst, hetzte und jagte und verwirrte, und endlich wie einen Schulknaben dem Mitleid oder dem Unwillen seiner sonst so loyalen und geduldigen Eidgenossen preisgab? Gar wohl begreiflich ist es, daß Arat sich von Erregungen bestimmen ließ, die der Brust des Staatsmannes ewig fremd bleiben müssen; die Eidgenossenschaft sah er für sein Werk an, und er nahm keinen Anstand, sie seinen persönlichsten Mißstimmungen zum Opfer zu bringen.

Er war entschlossen, den Krieg gegen Kleomenes durchzuführen; aber wo Hilfe finden? Wohl zahlte noch immer der ägyptische König sein Jahrgeld, aber Antigonos' karische Okkupation band ihm einigermaßen die Hände; sein Interesse konnte am wenigsten sein, daß Arat und Sparta kämpften; jedenfalls forderte die ägyptische Politik nicht sofort Begünstigung der Eidgenossen, sondern nur Unterstützung einer den Makedonen feindlichen Macht, und schon waren die Achaier zu ohnmächtig, um dazu noch dem ägyptischen Interesse zu genügen. In Griechenland gab es keine Macht, ihnen Hilfe zu leisten, außer den Aitolern; aber hatten sie[362] nicht dem Kleomenes die drei arkadischen Städte abgetreten, hatten sie nicht eine förmliche Teilung des eidgenössischen Gebietes in Makedonien wie in Sparta beantragt? Allerdings waren sie seitdem, so schien es, ohne unmittelbare Teilnahme an dem, was in der Peloponnes vorging; wenn Kleomenes auch ihren Freunden von Elis hilfreich war, so mußte doch zu erkennen sein, daß er es nicht war, um den Aitolern gefällig zu sein; Arat konnte nicht übersehen, daß die Aitoler in dem Maße gegen Kleomenes zurückhaltender wurden, als sich seine Macht mehrte, ja seine Begünstigung der Eleier mußte sie eher entfremden als nähern. Aber was half das ihm? Gewann er wirklich die Aitoler zum Beistand, so war darauf zu rechnen, daß sich Makedonien sofort für Sparta erklären, sich mit aller Gewalt auf das aitolische Thessalien und die Thermopylen werfen werde; dann waren die Aitoler ganz mit dem makedonischen Krieg beschäftigt und die Achaier erlagen den Spartanern57. Es gab nur ein Bündnis, welches das gewährte, was Arat wünschte; freilich er mußte erwarten, daß es nicht ohne bedeutende Opfer zu gewinnen sein, daß es die Eidgenossen überraschen, den Hof von Alexandrien beleidigen, ihn selbst harter Beurteilung aussetzen, die Freiheit und Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft gefährden, ja sie leicht zerbröckeln werde; aber es gewährte, was für Arat das Wichtigste war, die Sicherheit, den stolzen Spartaner zu Boden getreten zu sehen. Und so suchte Arat ein Bündnis mit – Makedonien!

Es gibt plötzliche Gefahren oder Verwicklungen, die auch einen ehrenhaften Mann verwirren und zu übereiltem Entschluß verleiten können; der Hochverrat, den Arat jetzt allerdings mit gewohnter diplomatischer Vorsicht einzuleiten begann, war nicht das Resultat einer plötzlichen, betäubenden, überstürzenden Lawine von Gefahren; er sah deutlich voraus, was für Übel er zu schaffen im Begriff stand. Mit kalter Besonnenheit faßte er den Entschluß, der die Eidgenossenschaft preisgab, das schon freie Griechenland in die Hände des Feindes überantwortete, ihn selbst, den Begründer[363] der eidgenössischen Freiheit, zum Diener des makedonischen Herrentums machte.

Mit dem Herbst des Jahres 225, als die Verfassungsveränderung in Sparta bereits durchgesetzt war und Kleomenes mit doppelter Energie den Krieg weiter geführt hatte, begann Arat die Unterhandlungen anzuknüpfen. Es geschah durch Megalopolis. Seit Philipps und Alexanders Zeit hatte Megalopolis in mannigfacher Verbindung mit Makedonien gestanden; auch durch den Eintritt in die Eidgenossenschaft waren nicht alle Beziehungen dorthin aufgehoben. Die Männer, welche sie vertraten, mochten in dem Maße wieder Einfluß gewinnen, als unter den immer neuen Angriffen der angrenzenden Spartaner, gegen welche die Eidgenossenschaft schon keinen Schutz mehr gewährte, das achaiische Interesse matter wurde; der Gedanke, sich hilfebittend an Makedonien zu wenden, lag nahe. Arat hatte in der Stadt zwei väterliche Gastfreunde. Nikophanes und Kerkidas58, letzterer vielleicht jenes Kerkidas' Nachkomme, der vor hundert Jahren, dem makedonischen Interesse treu ergeben, die Verfassung der Städte geordnet hatte; mit diesen beiden beriet er in aller Stille und bestimmte sie, in ihrer Gemeinde den Antrag zu machen, daß Megalopolis bei der Eidgenossenschaft um die Befugnis nachsuche, sich Hilfe bittend an Makedonien zu wenden. Die Stadt nahm den Antrag an, sandte beide Männer an die Eidgenossenschaft mit dem Auftrag, im Fall der Genehmigung sofort nach Makedonien zu gehen. Allerdings war mit solchen besonderen Verhandlungen einer einzelnen Gemeinde das Wesen der Eidgenossenschaft und ihrer Verfassung gefährdet, aber Arat empfahl ja das Zugeständnis; die Gesandtschaft wurde gestattet. Sie hatte die geheimen Instruktionen Arats mit sich; demgemäß legte sie dem König dar59, »wie die Verbindung des Kleomenes und der Aitoler nicht bloß für die Achaier gefährlich sei; beide vereint seien zu stark, als daß die Eidgenossenschaft widerstehen könne; sei sie einmal vernichtet, so werde die Raubgier der Aitoler bald auch nach anderen Seiten hinausgreifen, Kleomenes aber strebe nach der Hegemonie des Griechentums, und nur auf Kosten Makedoniens könne er sie erreichen; der König möge erkennen, daß er bald nur die Wahl haben werde, entweder mit den Achaiern und Boiotern vereint Kleomenes in der Peloponnes zu bewältigen oder in Thessalien gegen die Aitoler und Kleomenes, denen dann auch die Boioter, die Achaier zu folgen gezwungen sein würden, einen zweifelhaften Kampf zu erwarten; noch seien die Aitoler – denn die ihnen von den Achaiern im Demetrischen Kriege gewährte[364] Hilfe sei noch zu frisch in der Erinnerung, als daß sie nicht wenigstens den Schein der Dankbarkeit bewahren müßten – nicht offenbar feindlich aufgetreten; die Eidgenossenschaft hoffe noch, den Spartanern allein gegenüber, sich selbst helfen zu können; aber wenn sie es nicht vermöge, wenn dann die Aitoler offen hervorträten, dann sei es Zeit, daß sich Makedonien der Gefährdeten annehme; Antigonos werde an der vollkommenen Redlichkeit der eidgenössischen Politik nicht zweifeln, Arat selbst werde, wenn die Verhältnisse sich zu dem Punkte hin entwickelt hätten, die nötigen Garantien für Makedonien ermitteln und antragen, sowie er auch wünsche, mit seinen Eröffnungen den Zeitpunkt bezeichnen zu dürfen, wo makedonische Hilfe not tue«.

Diese Eröffnungen zeigten, wie richtig die makedonische Politik gerechnet hatte; es nahten die Verwicklungen, auf welche ihre Kombinationen gegründet waren. Mochte in den Instruktionen, die Arat gegeben, die starke Besorgnis vor den Aitolern mehr als eine diplomatische Phrase sein, Antigonos übersah die Verhältnisse viel zu klar, als daß er sich über das wesentliche Moment in Arats Annäherung hätte täuschen können; je sorgfältiger er den Schein selbstsüchtiger Bereitwilligkeit mied, desto sicherer war der Erfolg. Er antwortete den Gesandten auf die zuvorkommendste Weise, gab ihnen an Megalopolis die schriftliche Antwort mit, daß er zu Hilfeleistung bereit sei, wenn es auch der Eidgenossenschaft genehm sei. Der Bericht der Gesandten erweckte in Megalopolis die größte Freude und neue Zuversicht; sie entschlossen sich, bei der eidgenössischen Versammlung auf sofortige Berufung der Makedonen anzutragen. Arat erhielt außerdem geheime Mitteilungen, die ihn überzeugten, daß der König keineswegs ihm persönlich abgeneigt sei; und er freute sich über seine wohlgelungene Diplomatie um so mehr, da der Eifer, mit welchem die Megalopoliten das makedonische Bündnis ergriffen, demnächst ihn vor der Unannehmlichkeit sicherte, dasselbe beantragen und schließlich verantworten zu müssen. Denn allerdings wurde nun von den Megalopoliten beim Bundesrat, unter Vorzeigen jenes wohlwollenden Schreibens und Erhebung der edlen Gesinnung des Königs, der Antrag gemacht, ihn um sofortigen Aufbruch nach der Peloponnes zu bitten. Es war eine Sache, die nach der Vorberatung im Bundesrat der eidgenössischen Gemeinde vorgelegt werden mußte. Die Megalopoliten erklärten, die Menge sei dem Antrag geneigt; Arat sprach sich beifällig über diesen Beweis verständiger Einsicht der Menge aus, rühmte den guten Willen des Königs, ermahnte, zuerst mit aller Anstrengung zu versuchen, ob man die Städte und das Land nicht mit eigenen Kräften verteidigen könne, wenn aber das nicht gelänge, die so edelmütig angebotene Hilfe anzunehmen. Arats Vorschlag wurde der Gemeinde vorgelegt; sie beschloß demgemäß, vorläufig dem Antrag der[365] Megalopoliten nicht Folge zu leisten, sondern den bevorstehenden Krieg mit eigener Kraft zu führen60.

Allerdings war mit diesen Verhandlungen die politische Stellung der Eidgenossenschaft nicht allein, sondern zugleich der übrigen griechischen und mit Griechenland in Beziehung stehenden Mächte wesentlich modifiziert. Seit es eine makedonische Politik gegeben, hatte sie stets eine Opposition in Griechenland sich gegenüber gehabt, in der sich die moralischen Kräfte des Griechentums gegen die materiellen des Reiches zusammenfanden, oder richtiger, die, soweit sie dies zu vereinen verstand, erfolgreich war. Hätte sich die delphische Amphiktyonie zu einer nationalen Verfassung auszubilden vermocht, so würde Philipp nicht bei Chaironeia gekämpft haben; aber so dürftig war dies einzige Analogon einer verfassungsmäßigen Nationaleinigung, daß Philipp selbst die neue Form eines Bundes in Korinth versucht hatte, die Nation oder die nächsten Kreise derselben zu einigen. Dieser Bund zerfiel, der Kampf gegen Makedonien erneute sich. Die Aitoler wurden die ersten Vorkämpfer; wie wenig verstanden sie ihre Aufgabe; sie bemächtigten sich der Amphiktyonie, aber sie verdrängten aus derselben die Repräsentanten der übrigen Stämme; das Griechentum schreckte vor ihrer Herrschsucht, ihrer Gewaltsamkeit und Roheit nicht minder zurück als vor der Königsgewalt. So konnten sich schnell und entschieden die Achaier erheben, an die Spitze der bewegenden Gedanken zu treten. Die aitolische Politik schwankte seitdem unsicher tappend her und hin; aber die achaiische Verfassung gab jenen Gedanken keine Stätte, sie verlor oder richtiger sie fand nicht ihr Prinzip; nicht aus der Stärke, sondern aus den Schwächen des Griechentums begann sie eine Einheit zu bauen. Da erhob sich Sparta, überholte in raschem Emporsteigen die Eidgenossenschaft; schon stand es an der Spitze einer neuen, energischen Opposition, freilich in entschieden monarchischer Weise gestaltet, aber eben jetzt mit allen Mitteln ausgerüstet, eine »aufrichtige« Nationaleinheit zu begründen. Aber statt sich ihr anzuschließen, wandte sich die Eidgenossenschaft in völligster Verblendung an Makedonien. Wie mehrte sich damit der Machtbereich Makedoniens; erinnern wir uns, daß Antigonos die seit mehr als einem Jahrzehnt so gut wie aufgegebene asiatische Politik mit bedeutendem Erfolg wieder aufgenommen hatte; es war für Ägypten von[366] höchster Wichtigkeit, der hellenischen Opposition allen Vorschub zu leisten; durch jene Annäherung an Makedonien hatte Arat die alte Verbindung mit Alexandrien kompromittiert; sofort trat der Lagide in Verbindung mit Kleomenes, trieb ihn zur Fortsetzung des Kampfes an, unterstützte ihn mit Subsidien.

Kleomenes selbst war voll Eifers, den Kampf fortzusetzen; er mußte wissen, daß er es keineswegs mit der vollen Kraft der Eidgenossenschaft zu tun haben werde; er rechnete mit Recht auf die Stimmung der Menge in den meisten Städten; daß Arat nicht den Makedonen rief, solange er noch bei leidlichem Einfluß war, gab die sichersten Aussichten auf Erfolg. Kleomenes wandte sich mit einem plötzlichen Einfall auf das altachaiische Gebiet gen Pharai; wenn er dort, wie er hoffte, Arat aus dem Felde schlug, so mußte die moralische Wirkung desto stärker sein, je mehr hier in den alten Orten Arats Partei ihren rechten Anhalt hatte. Arat war zwar nicht Stratege, sondern Hyperbatas, aber die Leitung des Bundes lag ganz in seiner Hand. Mit dem Gesamtaufgebot der Eidgenossenschaft war er gen Dyme gezogen, vielleicht nicht ohne Rücksicht auf die Aitoler, deren gleichzeitigen Angriff er entweder fürchtete oder zu fürchten scheinen wollte. Kleomenes eilte kühn dorthin, lagerte sich zwischen der feindlichen Stadt und der Stellung der Achaier, griff sie an, siegte vollkommen. Das war die Schlacht beim Hekatombaion, etwa im Frühjahr 224. Der Verlust der Achaier an Gefangenen und Toten war sehr bedeutend. Kleomenes hätte, wenn er weiterdringen wollte, kaum noch bedeutenden Widerstand gefunden; er zog vor, sich zurück nach Arkadien zu wenden; er begnügte sich, die eidgenössische Besatzung aus Lasion zu treiben und die Stadt den Eleiern zurückzugeben. Seine Absicht war, die in den Gemeinden schon vorhandene Bewegung sich weiter entwickeln und zur entgegenkommenden Äußerung werden zu lassen.

Die Berichte über das, was achaiischerseits nach jener unglücklichen Schlacht geschah, sind nicht hinreichend klar. Man wird annehmen müssen, daß sich vielleicht noch stärker als nach der Schlacht von Ladokeia der Unwille der Menge gegen Arat äußerte. Die Zeit der Strategenwahl war nahe; er erklärte, daß er nicht gewählt sein wolle; nicht als ob er gefürchtet hätte durchzufallen; die die Wahl machten, waren ja eben die Begüterten, und deren war er gewiß; sie baten ihn, sich nicht zu weigern, aber vergebens. Auch nicht die Mißstimmung der Menge schreckte ihn zurück; schon sonst in nicht minder schlimmen Zeiten hatte er ihr Trotz geboten. Ihn bestimmte die unerwartete Schwierigkeit der makedonischen Verhandlungen. Er hatte gleich nach der Schlacht am Hekatombaion seinen Sohn Aratos an Antigonos geschickt, die im vorigen Herbst angeknüpften Verhandlungen wegen Hilfesendung zum Abschluß zu führen;[367] es hatten sich da die ernstlichsten Schwierigkeiten erhoben; der König forderte, daß ihm Akrokorinth als Stützpunkt für den Krieg in der Peloponnes gegeben werde, aber es schien vollkommen unmöglich, die Korinther wider ihren Willen der Gewalt der Makedonen zu überantworten; die Unterhandlungen wurden einstweilen aufgehoben, um zuvor andere Unterpfänder für Makedonien ausfindig zu machen. Durch das Mißlingen der Unterhandlungen in diesem Augenblick war Arat außer Stand, gegen Kleomenes irgend etwas zu leisten, und er zog es vor, die Verantwortlichkeit der Strategie einem anderen, Timoxenos, zu überlassen.

Unter solchen Verhältnissen mußte die Arat gegenüberstehende Partei Raum gewinnen. Nach jener Niederlage waren, gewiß auf Arats Anlaß, der Zeit zu den makedonischen Verhandlungen zu gewinnen suchen mußte, an Kleomenes Gesandte geschickt worden; dessen Forderungen waren hart, wie sie es sein mußten, wenn eine makedonische Dazwischenkunft zu befürchten stand; aber nun war Arat und seine Partei ohne Aussicht auf Hilfe; jene erfolglosen Unterhandlungen waren für sie eine neue, empfindlichere Niederlage; Kleomenes hatte ihn nicht mehr zu fürchten. Er sandte die Botschaft: er fordere jetzt weiter nichts, als daß die Achaier ihm die Hegemonie übertrügen, von den früher aufgestellten Grundlagen des Friedens solle nicht mehr die Rede sein; vielmehr werde er sofort, wenn seine Forderung genehmigt werde, die Kriegsgefangenen ausliefern, die den Achaiern genommenen Plätze zurückgeben. Es war natürlich, daß diese Eröffnungen den größten Jubel verbreiteten; vergebens widersprach Arat, er vermochte den Beschluß der Annahme nicht zu hindern. Man lud den hochherzigen König gen Lerna, wohin die eidgenössische Gemeinde angesagt war, dort ihm feierlich die Hegemonie zu übertragen; und er sandte schon im voraus die Vornehmsten der Kriegsgefangenen heim, um seinerseits ein Zeichen vollsten Vertrauens zu geben. Er war daran, das Entscheidende zu gewinnen; mit froher Hast eilte er gen Lerna; ein unglücklicher Trunk, ein Blutsturz darauf warf ihn nieder, er mußte nach Sparta zurückgebracht werden.

Endlich genas der König; eine neue Versammlung wurde nach Argos angesagt, die Übertragung der Hegemonie vorzunehmen; Kleomenes kam über Tegea heran. Arat hatte indes seine Zeit benutzt, schon durfte er entschiedener aufzutreten wagen61. Er schickte dem König, der bereits in Lerna angekommen war, entgegen: Kleomenes möge, da er ja zu Freunden[368] und Bundesgenossen komme, seine Truppen zurücklassen und allein nach Argos hineinkommen; wenn er es wünsche, könnten ihm dreihundert Geiseln für seine persönliche Sicherheit gestellt werden; wenn er aber mit seinen Truppen erscheinen werde, müsse er beim kyllarabischen Gymnasion vor der Stadt Halt machen und solle dort mit ihm verhandelt werden. Kleomenes war auf das äußerste erzürnt; ein bitterer Briefwechsel mit Arat führte zu nichts; Kleomenes setzte in einem Sendschreiben an die Eidgenossenschaft das unwürdige, Treu und Glauben verletzende Benehmen Arats mit rücksichtslosester Indignation auseinander. Dann brach er von Lerna auf, sandte einen Herold, den Achaiern von neuem Krieg anzukündigen, nach Aigion, wie Arat in seinen Denkwürdigkeiten angab, nicht nach Argos, wo man sofort Beschlüsse zu Verteidigung hätte fassen können.

Die erneute Kriegserklärung brachte die Gärung in der Eidgenossenschaft zum Ausbruch. Wenn ihre Verfassung so schnöden Mißbrauch persönlichen Einflusses möglich machte, wie ihn Arat sich erlaubt hatte, wer mochte ihr da länger angehören? Ausdrücklich bezeugt wird, daß auch die Vornehmen sich großenteils von ihm wandten; es war nicht bloß die schändliche Mißachtung gefaßter Beschlüsse und schon eingegangener Verträge, die ihm zur Last fiel; der laut sich aussprechenden öffentlichen Meinung für Kleomenes hatte er Hohn gesprochen, und waren schon seine früheren Verhandlungen mit Antigonos im höchsten Maße zweideutig, so erschien er jetzt, indem er den Friedensabschluß, der die Peloponnes gegen jede makedonische Einmischung sicherzustellen schien, eigenwillig zerstört hatte, als offenbarer Verräter. Die Gemeinden, wird gesagt, wären besonders empört gewesen, weil ihnen die Aussicht auf Schuldtilgung und Güterteilung entrissen sei; auf eine Verbesserung der eidgenössischen Verfassung hätten sie mit Gewißheit rechnen können, sobald mit der spartanischen Hegemonie der Einfluß Arats und der Partei der Begüterten gebrochen gewesen wäre. Jetzt waren sie ohne Hoffnung, – zum Abfall bereit; es bedurfte nur des Herannahens der Spartaner, und eine Stadt nach der andern fiel von dem unseligen Bunde ab.

Gleich in den ersten Tagen dieser wachsenden Gärung warf sich Kleomenes[369] auf Sikyon; nur mit Mühe gelang es den Freunden Arats, die Übergabe der Stadt zu hindern. Dann eilte er nach Pellene; die Bürger erhoben sich für ihn, trieben mit ihm vereint den Strategen samt der Besatzung von hinnen. Ebenso kam Pheneos, Pentelion, Kaphyai in seine Gewalt. Schon waren die östlichen Gebiete der Eidgenossenschaft durch jene Okkupationen ganz von den westlichen getrennt; man fürchtete den Abfall Korinths, Sikyons, man sandte aus Argos Reiter und Söldner dahin, um die Städte in Gehorsam zu halten. Argos, so scheint es, blieb der Sammelplatz derer, die es mit Arat hielten; es mochte um so notwendiger sein, hier stark beieinander zu bleiben, da Aristomachos, einmal Stratege, dann sichtlich zurückgesetzt, in der Stadt, deren Tyrann er gewesen, gefährlich war. Es kam die Zeit der Nemeen; man sah sich genötigt, sie nach Argos zu verlegen; man hatte die treuen Reiter und Söldner fortsenden müssen. Aristomachos machte Kleomenes heimliche Mitteilungen. Während der Festfeier kam der König heran, besetzte über Nacht die Felshöhen der Aspis über dem Theater. Mehr bedurfte es nicht; niemand griff zu den Waffen; die Stadt nahm willig eine spartanische Besatzung. Jede Art politischer Verfolgung vermied Kleomenes; nur stellte Argos zwanzig Geiseln, trat als freie Politie in die Bundesgenossenschaft und Hegemonie Spartas: eine Erwerbung, die nicht bloß politisch im höchsten Maße wichtig war, sondern zugleich, indem sie an Pyrrhos, der hier vergeblich kämpfend den Tod gefunden hatte, und an die früheren vergeblichen Versuche Spartas erinnerte, erkennen ließ, welche Macht eben dies spartanische Königtum besaß, indem es die lebendigen Ideen der Zeit zu vertreten verstand62. Nach dem Fall von Argos öffnete Phlius, Kleonai freudig die Tore. In Korinth, in Sikyon, überall war dieselbe Stimmung; von den alten zehn Achaierstädten war Pellene, die bedeutendste, schon abgefallen; es war ein vollkommen rettungsloser Zustand.

Arat hatte sich nach Sikyon begeben, den förmlichen Abfall seiner Vaterstadt zu hindern; aus eigener Machtvollkommenheit legte er sich diktatorische Gewalt bei63, ließ diejenigen, welche mit Kleomenes in Verbindung zu stehen in Verdacht waren, ergreifen, hinrichten. Dann eilte er nach Korinth, dort in derselben Weise die Lakonisierenden aufzuspüren und zu strafen; aber er imponierte hier schon nicht mehr, die Menge der reichen Handelsstadt war in stärkster Gärung. Nun kam die Nachricht,[370] daß Kleonai, Phlius sich den Spartanern angeschlossen; das Volk strömte beim Heiligtum des Apollon zusammen, dem Buleuterion zu, schrie nach Arat; es war die Absicht deutlich, sich seiner Person zu bemächtigen. Er konnte nicht mehr wagen zu fliehen; er kam, das Pferd am Zügel, sie durch den Schein vollkommenster Zuversicht zu beschwichtigen; und wie sie ihn mit Geschrei und Schimpfen empfingen, von ihren Plätzen aufsprangen und durcheinander rannten, sprach er mit freundlicher Miene und sanftem Wort: sie möchten nur ruhig sitzen und weniger lärmen und die noch draußen Stehenden auch erst herein lassen; und dann ging er ruhigen Schrittes hinaus, wie um sein Pferd abzugeben, und wem er draußen begegnete, den beschied er, in das Heiligtum zu gehen, wo die Verhandlungen sofort beginnen würden. So kam er aus den belebtesten Straßen, in die Nähe der Akropolis, schwang sich auf das Pferd, sprengte hinauf und, dreißig Mann von der Besatzung zum Schutz mit sich nehmend, entkam er glücklich nach Sikyon; die Korinther aber sandten eiligst an Kleomenes, sich und die Stadt ihm zu ergeben. Er hatte Recht, zu beklagen, daß sie sich Arat hatten entschlüpfen lassen; nur dann wäre alle weitere Sorge vorüber gewesen, Akrokorinth nicht länger in der Hand der eidgenössischen Besatzung geblieben. Kleomenes versuchte wenigstens die Burg zu gewinnen; noch von Argos aus sandte er Megistonus an Arat mit sehr glänzenden Anerbietungen für die Abtretung der Burg: er wolle ihm statt der sechs Talente, die er aus Alexandrien bezog, zwölf Talente jährlicher Pension zahlen. Arat antwortete das armselige: »Nicht er beherrsche die Verhältnisse, sondern die Verhältnisse ihn«. In Sikyon fand sich eine kleine Schar achaiischen Volkes zusammen; sie hielten die eidgenössische Gemeinde, sie übertrugen dem Arat eine unumschränkte Strategie, diktatorische Gewalt, wie er sie sich aus eigener Machtvollkommenheit schon beigelegt hatte; aus den ihm ergebenen Bürgern bildete er sich eine Leibwache64.

Indes war Kleomenes von Argos aufgebrochen; auf dem Wege ergaben sich Troizen, Epidauros, Hermione freiwillig; so kam er nach Korinth. Sofort begann er, da die achaiische Besatzung der Burg sich weigerte zu weichen, die Einschließung. In der Stadt hatte Arat Besitzungen; er befahl, sie zu schonen, forderte dessen Freunde auf, dieselben in Verwaltung zu[371] nehmen; er sandte von neuem Botschaft an Arat: er biete den Frieden noch einmal, wenn die Eidgenossenschaft seine Hegemonie anerkenne und in Akrokorinth zur Hälfte spartanische Besatzung eingelassen werde. Arat wies alles zurück; der Übertritt Korinths hatte ihn der schwersten Sorge entbunden, seine Achaier hielten noch die Burg, und um sie allein handelte es sich zwischen ihm und Antigonos; nur ein Wort, und die makedonische Hilfe war auf dem Marsch.

Und doch zögerte Arat noch mit dem Entschluß; fühlte er endlich, daß Makedoniens Hilfe anzurufen einem politischen Selbstmord gleich sei? Je länger er zögerte, desto ohnmächtiger trat der armselige Rest der Eidgenossenschaft in das makedonische Bündnis, desto völliger war die politische Nichtigkeit ihrer Zukunft. Und doch zögerte Arat noch monatelang; hoffte er vielleicht, daß Akrokorinth fallen, daß er selbst so gezwungen sein werde, das ungeschehen zu lassen, womit er den schönsten Ruhm seines Lebens vernichten mußte? Fühlte er die innere Qual eines verhängnisvollen Irrtums, so besaß er die Seelenstärke nicht, ihn zu bekennen. Er war eitel, aber kein Verräter, war auf Kleomenes eifersüchtig, aber doch ein Hellene; jetzt mochte er mit Grausen an die Bilder seiner Jugend, an die Tyrannen und Besatzungen zurückdenken, – und sein Verstand war in der peinlichen Alternative, zwischen dem kecken, stolzen Nebenbuhler und dem makedonischen Herrentum zu wählen. Er zögerte mit dem Entschluß, er überließ die Entscheidung dem Zufall, ob Akrokorinth fallen werde oder nicht; er suchte neue und neue Wendungen, die Möglichkeit des Falles offen zu halten, – und das Glück versagte ihm die kleine Gunst, die Entscheidung zu erzwingen, die er nicht die Stirn hatte auszusprechen. Inmitten der jähsten Entwickelung stand plötzlich alles still; es war die letzte Stille vor dem furchtbaren Wetter.

Arat hatte, nun unumschränkter Stratege, dahin, dorthin seinen Blick gewandt, als ob es noch möglich sei, den Makedonen zu vermeiden; er bat in Aitolien um Hilfe und wurde zurückgewiesen; in Athen, an die Befreiung durch ihn erinnernd, man hielt es mit Sparta; – er hätte selbst in Boiotien Beistand gesucht, aber Megara war, sich von der Eidgenossenschaft lossagend, dem Boiotischen Bunde beigetreten. Er hatte Kleomenes' Anträge zurückgewiesen; nun erschien der König mit Heeresmacht vor Sikyon, verwüstete die Gegend, belagerte die Stadt; drei Monate lang bedrängte er sie, und noch immer schwankte Arat, dem Makedonen Akrokorinth zu überantworten. Arat selbst hat so die Verhältnisse dieser Zeit dargestellt65; er hat seine Schuld in milderem Licht erscheinen lassen wollen;[372] aber häuft er nicht neue Vorwürfe gegen sich? Was spartanisch gesinnte Städte in der Eidgenossenschaft gewesen waren, sie standen nun auf Kleomenes' Seite; aber Stymphalos, Megalopolis, die alten Achaierorte oder die noch herrschende Partei in ihnen, mit Ausschluß von Pellene, hielten noch zusammen; wie konnte es der Stratege verantworten, sie seiner Unentschlossenheit zu opfern? Akrokorinth war für den Bund jetzt nichts als ein verlorener Posten, es gab keinen Grund, die Übergabe an Antigonos zu verzögern; längeres Säumen konnte die Burg in Kleomenes' Gewalt geben, und dann waren die Megalopoliten und die alten Achaierstädte ohne Rettung an Sparta verfallen. So versammelten sie sich zu Aigion, sie luden den Strategen ein, von Sikyon dorthin zu kommen; umsonst baten und beschworen ihn, so erzählte er in seinen Denkwürdigkeiten, die Bürger der umlagerten Stadt, an die Gefahr erinnernd, die ringsher seiner Reise drohe; Weiber und Kinder kamen, sein Gewand zu fassen, seine Knie zu umschlingen, unter Tränen ihn festzuhalten als den Vater und einzigen Retter aller. Er ermutigte sie, dann riß er sich los; von zehn Freunden und seinem Sohne begleitet ritt er an den Strand hinab, bestieg dort ein Schiff, kam glücklich nach Aigion zur Versammlung. Und dort wurde der Beschluß gefaßt, Antigonos' Hilfe anzurufen, ihm Akrokorinth zu übergeben. Arat hatte den Trost, daß die Gemeinde, nicht er das Wort gesprochen, das Todeswort für die Hoffnungen eines freien Griechentums.

Sofort wurden mit diesem Beschluß die verabredeten Geiseln an Antigonos gesandt; Arat fügte seinen Sohn hinzu; nachdem einmal der entscheidende Würfel gefallen war, konnte er kein anderes Interesse haben, als sich der königlichen Gunst auf jede Weise zu versichern. Man denke sich die Spannung aller Verhältnisse, um zu begreifen, welche Erbitterung jener Beschluß bei allen denen hervorrufen mußte, welche auf seiten der Spartaner standen; in Korinth namentlich ging die Wut des Volkes so weit, daß man in der Besitzung Arats alles zerstörte, das Haus selbst wurde nach öffentlichem Beschluß Kleomenes geschenkt. Kleomenes selbst hatte bei der Nachricht von jener Verhandlung sogleich die Belagerung von Sikyon aufgegeben, war nach Korinth zurückgeeilt, lagerte sich auf dem Isthmos, schloß ihn gegen die Oneischen Berge mit einer Reihe von Verschanzungen, welche vollkommen hinreichend schienen, den[373] Makedonen das Durchbrechen unmöglich zu machen. Antigonos stand schon marschfertig in Thessalien, als die Gesandtschaft der Achaier erschien; aus den weiteren Berichten, die er erhielt, glaubte er abnehmen zu dürfen, daß Kleomenes nach Hellas und vielleicht bis Thessalien vorzudringen suchen werde; wie leicht konnte das den Aitolern, die doch nur erst den Süden Thessaliens besaßen, Anlaß sein, die künstliche Untätigkeit, in die sie die makedonische Politik gebracht, aufzuheben und mit Kleomenes anzugreifen; überdies mußte dem König alles daran liegen, sich möglichst bald Akrokorinths zu bemächtigen. So eilte er, da die Aitoler seinen Antrag, ihm den Marsch durch ihr Gebiet, über den Othrys und durch die Thermopylen, zu gestatten, zurückwiesen, über Euboia nach dem Isthmos; er führte ein Heer von 20000 Mann Fußvolk und 1400 Reitern mit sich. Arat und die Damiurgen der Eidgenossenschaft fuhren über See nach Pagai im megarischen Gebiet, den König zu begrüßen; namentlich gegen Arat zeigte er sich im höchsten Maße zuvorkommend und offen. Nachdem hier alles weitere verabredet war, wurden die Feindseligkeiten eröffnet.

Das war etwa im Sommer 223. Kleomenes' Stellung war in dem Maße fest, die Tüchtigkeit seines Heeres und der Eifer der Korinther so zuverlässig, daß er jeden Versuch der Makedonen, seine Linie zu durchbrechen, zurückzuschlagen vermochte. Die Besatzung auf Akrokorinth konnte ihn für den Augenblick nicht besorgt machen; aber freilich, da er Sikyon nicht genommen, da er nicht im Besitz einer Seemacht war, konnte dort Antigonos landen, ihn von der Flanke her fassen; Akrokorinth hatte dann eine furchtbare Bedeutung. Kleomenes' Stellung in Korinth war unhaltbar; aber die Ehre und die Rücksicht auf die Korinther forderte, daß er sie so lange als möglich behauptete. Antigonos hatte sich so ernstlichen Widerstandes nicht versehen; es begannen ihm die Vorräte zu mangeln. Ein neuer Versuch, bei nächtlicher Weile über Lechaion vorzurücken, mißlang ihm. Es schien unmöglich, auf dem Landweg über den Isthmos vorzudringen; und schon entschloß sich Antigonos, seine Truppen von dem Vorgebirge Heraion aus nach Sikyon überzusetzen, als sich unerwartet ein anderer höchst gelegener Ausweg zeigte.

In Argos hatten die heimlichen Verbindungen mit den Achaiern und Aratos keineswegs aufgehört; Kleomenes hatte, besonders von Megistonus bestimmt, bei der Einnahme der Stadt gegen die Verdächtigen keine weiteren Maßregeln getroffen, sich mit zwanzig Geiseln begnügt. Und sofort hatten sie ihre heimlichen Umtriebe begonnen; auch die Menge war unzufrieden; sie hatte sich von Kleomenes Schuldtilgung und Güterteilung erwartet, aber es war nichts derartiges geschehen; sie war leicht der Sache der Spartaner abwendig gemacht. Einer von Arats Freunden, Aristoteles,[374] betrieb die Sache mit gutem Erfolg; er sandte über See Boten an Antigonos: die Ankunft einiger Truppen werde genügen, die Sache in Argos zu entscheiden. Sofort ging Arat mit 1500 Mann über See nach Epidauros, von dort nach Argos zu eilen. Noch ehe er kam, war der Aufruhr gegen die Kleomenisten zum Ausbruch gekommen; Aristoteles griff an der Spitze des Volkes die schwache Besatzung der Burg an; Timoxenos war bereits von Sikyon mit einer Schar Achaier herbeigekommen, seinen Angriff zu unterstützen. Die Besatzung war in der größten Gefahr; sofort wurden Boten nach Korinth gesandt; um die zweite Nachtwache erhielt Kleomenes die Nachricht; Megistonus mit 2000 Mann marschierte eiligst nach Argos, während Kleomenes mit doppelter Vorsicht die Bewegungen der Makedonen beobachtete. Aber bald kamen neue, üblere Botschaften von Argos: Megistonus sei in die Stadt gerückt, im Gefecht gefallen, die Burg stehe in höchster Gefahr, sei nicht länger zu halten. Wenn Argos fiel, war Kleomenes abgeschnitten, im Rücken bedroht; denn Stymphalos, das entschieden zu den Achaiern hielt, grenzte an die Gebiete von Sikyon und Argos, und der Zug des Timoxenos hatte gezeigt, daß diese Verbindung völlig in Feindes Hand war; Antigonos konnte über Sikyon oder über Epidauros die Linien des Isthmos umgehen; dann stand ihm der Weg nach Sparta offen. Kleomenes mußte Korinth aufgeben. Er eilte mit seiner gesamten Streitmacht nach Argos; gleich vom Marsch aus griff er an, vereinigte sich glücklich mit der noch Widerstand leistenden Besatzung, drängte die Achaier und die tobende Menge aus den nächsten Straßen hinweg. Aber schon rückte auch Arat heran; Antigonos war gleich nach Kleomenes' Abmarsch über den Isthmos vorgerückt, hatte sich Akrokorinth übergeben lassen, eilte mit seinen Truppen nach Argos. Schon sprengten einzelne seiner Reiter in die Stadt hinein, die Phalangen erschienen auf den nahen Höhen. Kleomenes erkannte die Unmöglichkeit, sich hier zu halten. Er zog sich in bester Ordnung über Mantineia zurück; die neugewonnenen Bundesgenossen Spartas eilten, sich der makedonischen Übermacht zu unterwerfen. So stürzte hinter Kleomenes alles zusammen, was er auferbaut; in Tegea erhielt er die Nachricht, daß sein geliebtes Weib gestorben sei. Schlag auf Schlag traf ihn; alles Glück, alle Hoffnungen waren ihm in überschnellem Wechsel zertrümmert. Aber seine Spartaner blieben ihm noch.

Gleich nach Kleomenes' Abzug hatte die freie Stadt Argos Arat zu ihrem Strategen erwählt; Polybios sagt es, daß Antigonos die Verhältnisse der Stadt ordnete. Auf des neuen Strategen Antrag wurde beschlossen, die Güter der Tyrannen, sowie der Verräter dem Könige als Geschenk der Dankbarkeit zu überweisen; Aristomachos wurde angeblich wegen gewisser Vorfälle in Kenchreai gefoltert, in das Meer versenkt. Nur zu wahrscheinlich[375] ist es, daß Arat es war, der dem einstigen Strategen der Achaier diesen Tod bereitete; wenigstens ihn allein traf der laute Vorwurf des gesamten Griechentums66.

Schon jetzt zeigte der König rücksichtslos die Stellung, die er hinfort in der Peloponnes einzunehmen gedachte: er ließ in Argos die umgestürzten Statuen der Tyrannen wieder aufrichten, die der Achaier, welche Akrokorinth genommen, umstürzen; nur die Arats blieben stehen; dessen Einwände waren vergebens gewesen. Dann zog Antigonos durch Arkadien nach Megalopolis; die Festen, die Kleomenes im belbinischen und aigytischen Gebiet errichtet hatte, wurden gebrochen, die Gebiete selbst den Megalopoliten zurückgegeben. Das waren die letzten Bewegungen dieses Feldzugs. Antigonos begab sich zu der Achaierversammlung nach Aigion, über das, was bereits geschehen und was noch zu tun sei, den Eidgenossen Mitteilung zu machen; man hatte nicht mehr viel zu beraten, man hatte zu gehorchen; daher der Beschluß, der ihm die Hegemonie des Bundes übertrug, und der andere, ohne Bewilligung des Antigonos keinem anderen König Zuschriften oder Gesandte zu schicken; auch die Verpflegung und Löhnung der makedonischen Truppen, die in Sikyon und Korinth die Winterquartiere bezogen, mußte der Bund übernehmen. Die schöne Erhebung der Hellenen, die vor dreißig Jahren eine neue Zeit über Griechenland führen zu wollen geschienen, wie war sie zu Schanden geworden! Es ist zum Ekel, wie diese einst freien Eidgenossen den König ehrten, der, stark und klar in seinem Tun, ihnen nicht einmal vorspiegelte, daß er ihre Freiheit wolle, wie sie ihm Korinth zum Geschenk machten, als wäre es das erste beste Dorf, ihm Feierzüge, Festspiele, Opfer wie einem Gott dekretierten; und Arat war es, der sie so leitete.

Aber Kleomenes stand ja noch an der Spitze seiner Spartaner; war denn nirgends für ihn ein Beistand, eine Aussicht?

Erinnern wir uns der Verhältnisse in Asien. Mit dem Jahre 225 war dort Seleukos Kallinikos, da er das einst syrische Kleinasien dem Reich wieder zu vereinen über den Tauros gezogen war, umgekommen, sein Heer bewältigt worden, alles innere Land bis zum Tauros in der Gewalt des Pergameners Attalos, während die Küste des Westens und Südens, sowie Seleukeia an der Orontesmündung unter ägyptischer Herrschaft stand. Freilich jene rasche Rüstigkeit seiner ersten Königsjahre besaß Ptolemaios Euergetes nicht mehr; wie hätte er, dessen Flotten die Meere beherrschten,[376] es sonst mit angesehen, daß der Makedone das keck okkupierte Karien behauptete, oder die Wirren in Griechenland zu dem Punkte kommen lassen, daß sie Makedonien zur Entscheidung zufielen? Man scheint im Kabinett von Alexandreia die Achaier, Aitoler, Spartaner, Epeiroten ganz aus den Augen verloren zu haben; da plötzlich war Aratos, den man noch immer als Vertreter aller antimakedonischen Interessen in Griechenland ein Jahrgehalt beziehen ließ, mit dem makedonischen König in geheimer Unterhandlung; dies war im Herbst und Winter desselben Jahres 225. Nun mußte man eiligst die verlorene Position in der hellenischen Politik wieder zu gewinnen suchen; man trat mit Kleomenes in Verbindung, man mochte mit Vergnügen seine raschen und glänzenden Erfolge sehen; Makedonien blieb ja selbst, so schien es, bei der Einnahme Korinths gleichgültig. Welche Erfolge hätte Kleomenes zu gewinnen vermocht, wenn im Frühling 223 eine ägyptische Flotte seine Bewegungen gedeckt, oder auch nur in den befreundeten Häfen der Athener Station genommen hätte! Erst die vollständige Umwandlung aller griechischen Verhältnisse, die dem Fall von Argos folgte, scheint dem Lagiden die Augen geöffnet zu haben; es war nicht bloß, daß Antigonos Akrokorinth besetzt, Korinth zum Geschenk genommen, in Argos großen Besitz erworben hatte, über die Eidgenossenschaft verfügte; in Aigion, wie es scheint, war ein förmlicher Kongreß hellenischer Völker gehalten, eine Bundesgenossenschaft errichtet, welche außer den Achaiern die Boioter mit Megara, die Epeiroten, Akarnanen, Phoker, Thessaler umfaßte und deren Hegemonie Antigonos hatte; wohl standen die Aitoler nicht in derselben, aber sie waren so umstellt, in ihrer Politik so gebunden, daß sie zufrieden sein mochten, neutral bleiben zu können. Wenn jetzt nicht Ägypten eifrigst den Spartanern beistand, so war in kurzem die ganze Peloponnes unter makedonischer Gewalt, dann war für die ägyptische Herrschaft an der thrakischen Küste hohe Gefahr, dann erst begann die karische Okkupation ihre Wichtigkeit zu entwickeln.

Allerdings machte der Lagide dem König Kleomenes Eröffnungen und Anerbietungen, wir wissen nicht, von welcher Art; er scheint sich dafür ausbedungen zu haben, daß Kleomenes nicht ohne seine Beistimmung Frieden schließe; er forderte des Königs Mutter Kratesikleia und den Knaben, den ihm Agiatis geboren, als Geisel. Wohl zu glauben ist der Schilderung Phylarchs, daß der Spartaner sich schämte, so unwürdige Anträge der Mutter mitzuteilen, daß er, von der Notwendigkeit, die Hilfe zu nehmen, gedrängt, wiederholt zu ihr kam, mit ihr zu sprechen, und doch immer wieder sich nicht zu entschließen vermochte; sie ahnte den Grund seiner Unruhe, versuchte ihn von den Freunden zu erforschen. Endlich sprach er, und die edle Mutter tadelte ihn nur, daß er so lange gezögert.[377] Dann ward alles zur Abfahrt bereitet; sie wanderten nach Tainaron hinab, das ganze Spartanerheer in Waffen geleitete sie; drinnen im Tempel des Poseidon nahm Kleomenes von Mutter und Sohn Abschied, die Menge sollte ihre Tränen nicht sehen. Mit dem Knaben an der Hand eilte Kratesikleia dann auf das Schiff und fuhr hinweg.

Antigonos mußte erwarten, daß für den nächsten Feldzug eine bedeutende ägyptische Unternehmung nach Griechenland beabsichtigt werde. Athen stand dann gewiß dem Lagiden zur Verfügung, da die beiden Redner Eurykleides und Mikion, die den bestimmenden Einfluß hatten, dem reichen König Ägyptens sehr gern gefällig waren. War Athen auch nicht als Macht des Nennens wert, so boten die Häfen und die militärische Lage des Landes doch einer ägyptischen Einmischung Vorteile entscheidender Art. Noch bedenklicher war dann das Verhältnis zu den Aitolern; dem Kleomenes hatte sie dessen kühnes Umsichgreifen entfremdet, nicht minder hatten sie die makedonische Einmischung mit Besorgnis gesehen, im entscheidenden Moment waren sie neutral geblieben; trat nun die Lagidenmacht, mit der sie durch ihre Reisläufer stets in nahem Verkehr standen, in Hellas ein, so hatten sie Aussicht, mit deren Beistand die Hegemonie Makedoniens abzuwenden, ohne Kleomenes allzusehr gehoben zu sehen; und Akarnanien wie Epeiros, beide jetzt unter der makedonischen Hegemonie, waren ihr sicherer Lohn. Antigonos mußte erkennen, daß, wenn so von Attika und Aitolien aus Angriffe wider ihn den Kampf des kühnen Spartanerkönigs unterstützten, er im höchsten Maße gefährdet sei. Es mußten diese Gefahren um jeden Preis abgeleitet werden; aber wie war es möglich? Nur so, daß die ägyptische Macht, an irgend einem fernen Punkt bedroht, genötigt wurde, dorthin bedeutende Anstrengung zu wenden; dann mußte sie starke Werbungen machen, und Aitolien war stets einer ihrer bedeutendsten Werbeplätze; es war zu erwarten, daß die Aitoler in Masse dem reichlichen Sold Ägyptens und der Aussicht auf einen beutereichen Krieg im Osten nachgehen würden, während daheim vielleicht nicht einmal ein Krieg für sie, gewiß keiner, der bedeutende Beute für den einzelnen versprach, zu erwarten war.

Daß die Politik des Antigonos in so weitem Umblick berechnet war, zeigt die Gleichzeitigkeit eines neuen großen Krieges im Osten, der eben da losbrach, als Antigonos selbst aus seinen Winterquartieren gegen Tegea marschierte. Oder wie sonst wäre es zu erklären, daß Seleukos Soter67 erst[378] jetzt, im dritten Jahre seines Königtums, sich zum Kampf erhob? Am Tauros standen die pergamenischen Vorposten, am Libanon, ja in Seleukeia am Orontes ägyptische Besatzungen; nur aus dem Zusammenhang mit der makedonischen Politik ist es zu erklären, daß er, ohne sich um die drohende Stellung der Ägypter an der Orontesmündung zu kümmern, die ganze Gewalt seines Angriffs auf Kleinasien warf. Gelang es, die Pergamener auch nur über Phrygien zurückzuwerfen, so bot die makedonische Besatzung Kariens einen Stützpunkt, so waren die ägyptischen Besitzungen im Süden und Westen Kleinasiens vom Binnenlande her bedroht, so hatte Ägypten alle Anstrengung nötig, wenn es dort nicht ganz verdrängt werden wollte; es mußte dann wohl das unmittelbare Eingreifen in Griechenland lassen, und mit den bloßen Geldsendungen war Sparta auf die Dauer nicht zu retten.

Allerdings erschöpfen diese Betrachtungen nicht den ganzen Kreis möglicher Rücksichten; aber weiterzugehen verbietet die Art der vorliegenden Nachrichten; Polybios, der nur einleitungsweise die wichtigsten kriegerischen Begebenheiten bis zum Hannibalischen Kriege resumiert, hält absichtlich diese größeren Zusammenhänge entfernt, da er nur die Lage der einzelnen Mächte für den Zeitpunkt, da seine eigentliche Aufgabe beginnt, ins Licht zu stellen beabsichtigt. So übergeht er auch die Geschichte des Krieges, der eben jetzt in Kleinasien anhob, und begnügt sich mit der Angabe eines hauptsächlichen Resultates. Versuchen wir, die wenigen Nachrichten über diesen Krieg, bis an dessen Schwelle wir früher die syrischen Verhältnisse begleitet haben, hier zusammenzustellen.

Der König Seleukos Soter zog mit dem Anfang des Jahres 222 mit sehr bedeutender Heeresmacht über den Tauros; seiner Mutter Bruder, der kühne Achaios, war mit ihm, derselbe, dessen Vater in Alexandreia gefangen war. Der Pergamener wurde zurückgedrängt; bereits in Phrygien stand das seleukidische Heer; mag es wahr sein, daß der junge König es nicht zu führen verstand, er wurde von Nikanor und dem Galater Apaturios ermordet. Eine Angabe läßt vermuten, daß es auf Anstiften der ihm Nahestehenden geschah; jedenfalls Achaios war ohne Schuld, er ließ sofort die Mörder ergreifen, hinrichten; er wies das Diadem zurück, das ihm das Heer, dessen vollste Hingebung er besaß, anbot; er führte den Krieg mit rascher Entschiedenheit weiter. Es war ein Sohn des Seleukos vorhanden, aber er war noch ein Knabe68; so riefen die Truppen, die in Syrien[379] zurückgeblieben waren, des Königs Bruder, der bisher die östlichen Satrapien in Babylon residierend unter sich gehabt hatte, zum Thron. Antiochos, den man als den dritten Syrerkönig dieses Namens zu nennen pflegt und dem bald glänzende Erfolge den Beinamen des Großen erwerben sollten, übergab, von Seleukeia am Tigris nach Syrien eilend, zwei Männern, auf deren besondere Treue er baute, den Brüdern Molon und Alexandros, die Satrapien Medien und Persien; Achaios war mit der Gewalt über die Länder jenseits des Tauros, die er eben jetzt dem Reich wiedereroberte, betraut. In der Tat über Erwarten schnell waren die Erfolge, die Achaios gewann; selbst die feste Burg von Sardeis fiel in seine Gewalt, Attalos wurde auf das kleine dynastische Gebiet seiner Vorgänger zurückgeworfen, ja in Pergamon selbst eingeschlossen. Die freien Städte in Ionien und Aiolis bis in die Nähe des Hellespont schlossen sich teils freiwillig, teils gezwungen dem Sieger an, selbst Smyrna vermochte sich nicht zu halten; nur in Ephesos und Samos behauptete sich die ägyptische Herrschaft. Wir wissen nicht, was Ptolemaios tat, der Gefahr, die dem Rest seiner Besitzungen in Kleinasien drohte, entgegenzutreten. Bald feierte Antiochos in Seleukeia beim Zeugma am Euphrat seine Vermählung mit Laodike, der Tochter des pontischen Mithradates, eine Verbindung, die der syrischen Macht eine neue bedeutende Stütze gab; ein Angriff auf das ägyptische Syrien wurde mit Eifer vorbereitet.

Unter solchen Verhältnissen scheint Ptolemaios Euergetes seine ganze Tätigkeit dem Osten zugewendet zu haben; wenigstens ist auch nicht eine Spur dafür zu finden, daß eine ägyptische Flotte an den griechischen Küsten erschienen oder sonst etwas zur Erleichterung des Kleomenes unternommen worden wäre; die Gefahr im Osten schien ja mit den syrischen Rüstungen gegen Koilesyrien erst recht im Anzug zu sein. Irre ich nicht, so hat sich Antigonos im Feldzug dieses Jahres durch die Rücksichten auf jene östlichen Verhältnisse bestimmen lassen; es ist auffallend, wie langsam er zu Werke geht; er scheint absichtlich den Krieg in die Länge zu ziehen, nicht bloß, um die neue Abhängigkeit in der Peloponnes desto vollständiger zu gründen, sondern um den Lagiden in seinen Subsidienzahlungen ermüden, durch die neuen Angriffe in Asien ganz in Anspruch genommen zu sehen, um dann den völlig erschöpften und verlassenen Kleomenes zu erdrücken.

Antigonos hatte den Feldzug von 222 früh, noch vor Frühlingsanfang begonnen; er marschierte auf Tegea, eben dahin waren die Truppen der Achaier beordert. Er begann sofort die Belagerung der Stadt; den Minierungen der Belagerer verzweifelten die Tegeaten Widerstand leisten zu können; sie ergaben sich. Antigonos festigte den wichtigen Platz, der namentlich Orchomenos und Mantineia isolierte, durch eine makedonische[380] Besatzung; dann rückte er an die lakonische Grenze. Kleomenes erwartete ihn dort; man stand einander gegenüber, es gab kleine Gefechte her und hin; Antigonos vermied ein entscheidendes Zusammentreffen. Die Nachricht, daß die spartanische Besatzung von Orchomenos heranziehe, sich mit Kleomenes zu vereinen, gab ihm Anlaß aufzubrechen; er warf sich auf die Stadt, nahm sie beim ersten Sturm. Dann wandte er sich gegen Mantineia; bald wurde die Stadt zur Übergabe gezwungen. Da dem Strategen Aratos und den Achaiern die furchtbare Mißhandlung, welche die unglückliche Stadt erfuhr, zum Vorwurf gemacht wurde, so ist es wahrscheinlich, daß Antigonos, wenn nicht den Eidgenossen die Strafe ihres zweimaligen Abfalles überließ, so doch, von ihren und Arats Forderungen bestimmt, über sie Ähnliches verhing wie einst Alexander über Theben. Phylarch hatte es mit den stärksten Farben geschildert, wie die bedeutendsten Männer der Stadt hingerichtet, die übrigen Bürger teils verkauft, teils gefesselt nach Makedonien abgeführt wurden, wie man Weiber und Kinder von ihren Männern losriß und in die Sklaverei trieb. Wohl versucht es Polybios, die Achaier gegen solche Vorwürfe zu verteidigen, nachzuweisen, daß das Entsetzen, welches ganz Griechenland erfüllte, die Gerechtigkeit einer exemplarischen Bestrafung verkannt habe; aber daß viel mehr als das Kriegsrecht gegen Mantineia geltend gemacht worden, kann selbst er nicht leugnen. Nach der Vernichtung der Einwohnerschaft wurde die Stadt geplündert, der Rest an fahrender Habe verkauft, ein Drittel des Erlöses an die Achaier gegeben, das übrige floß in die makedonische Kriegskasse. Wie scheußlich geplündert und gestohlen sein muß, erhellt daraus, daß der ganze Erlös, der für die verkauften Menschen mit eingerechnet, nur 300 Talente betrug69. Dann schenkte Antigonos das Gebiet an Argos, und dieser Staat beschloß, dort eine neue Ansiedlung zu gründen, übertrug seinem Strategen Aratos die Ehre, Gründer der neuen Stadt zu sein; er nannte sie zu Ehren des makedonischen Königs Antigoneia70.

Polybios versäumt es darzustellen, was Kleomenes gegen die Bewegungen des Feindes zu tun versuchte; nur ein einzelnes Faktum bezeichnet er obenhin. Ob Kleomenes Versuche gemacht hat, Tegea, Mantineia zu entsetzen,[381] ob er sich zu schwach fühlte, ob er durch das ägyptische Bündnis gehindert wurde, das alles ist vollkommen unklar. Nach dem Verlust von Tegea mußte er, wenn es ihm irgend möglich war, auf der zweiten Hauptstraße, die aus Arkadien nach Lakonien führt, vorzudringen suchen. Megalopolis hatte, besonders seit es durch Antigonos wieder in Besitz der Grenzpunkte war, welche die Wege nach Lakonien beherrschten, das Spartanergebiet mehrfach mit dreisten Überfällen heimgesucht; der junge Philopoimen zeigte in ihnen zuerst sein glänzendes Talent und seine Kühnheit. Nirgends war der Haß gegen die Spartaner und gegen das Regiment des Kleomenes heftiger, als unter den hochgebildeten und erprobten Männern dieser Stadt, und wenn auch in den Kämpfen am Lykaion und bei Ladokeia ein beträchtlicher Teil der waffenfähigen Bürgerschaft umgekommen war, so fühlte sie sich noch immer stark genug, neben dem Kriege des Antigonos und der anderen Eidgenossen auf eigene Hand den Feind zu beunruhigen. Freilich teilten nicht alle Megalopoliten jene Stimmung; den vorsichtigeren mochte es nicht entgehen, daß bei weiteren Erfolgen des Antigonos die Stadt die starke und selbständige Stellung nicht werde behaupten können, die sie bisher als Vormauer des Bundes gegen Lakonien gehabt hatte; manche neigten sich der Sache des Spartaners zu, traten mit ihm in heimliche Verbindung71. Kleomenes glaubte, daß ein Angriff unmittelbar auf die Stadt günstigen Erfolg verspreche, da die zusammengeschmolzene Bürgerschaft bei weitem nicht ausreichen konnte, die weitläufige Ummauerung, die einen Umfang von fünfviertel Meilen hatte, zu verteidigen. Die ihm Ergebenen in Megalopolis verpflichteten sich, in einer bestimmten Nacht, wenn sie die dritte Wache bei dem Kolaion hätten, ihn einzulassen. Es war um die Zeit des Plejadenaufgangs im Mai, als Kleomenes mit Sonnenuntergang aufbrach; er kam bei der Kürze der Nacht zu spät; er drang zwar in die Stadt ein, aber bald war die Bürgerschaft unter den Waffen; es begann ein überhaus heftiger Kampf, Kleomenes mußte sich mit schwerem Verlust zurückziehen.

Es ist auffallend, daß Antigonos nach diesem Vorgang nicht etwa eine starke Besatzung nach Megalopolis sandte, sondern, nachdem er Heraia und Telphusa genommen, die sich beide bei seinem Herannahen ergaben, bereits gegen den August den diesjährigen Feldzug schloß, seine Makedonen nach Hause marschieren ließ und nur die Söldner um sich behaltend nach Aigion ging, um, wie Polybios sagt, mit den Achaiern zu verhandeln[382] und zu beraten. Es ist nicht möglich, die Gründe dieses Verfahrens vollständig nachzuweisen, namentlich sind die Vorgänge im Osten nicht im einzelnen genug bekannt, um erkennen zu lassen, wie sie etwa einwirken mochten; aber man wird unwillkürlich auf die Vermutung geführt, daß andere näher liegende Rücksichten den König bestimmten. Die makedonische Politik konnte ihre Herrschaft in Griechenland nicht anders wiedergründen und sichern, als wenn jede Konzentrierung politischer Kraft sich zerbröckelte; sie mußte die moralische und materielle Stärke der griechischen Politien herunterbringen. Schon war Korinth von der Eidgenossenschaft abgelöst, ebenso das innerlichst demoralisierte Argos, das durch die Überweisung von Mantineia die politische Erschlaffung und Ohnmacht über einen wichtigen Distrikt Arkadiens ausdehnte; die Eidgenossenschaft selbst war bereits in völliger Abhängigkeit. Arat garantierte dieselbe, und nie hat Makedonien in Griechenland einen eifrigeren Förderer seiner Interessen gehabt. War er es oder Antigonos, der Megalopolis, natürlich als stark genug, sich gegen den dreisten Spartaner selbst zu schützen, und im Notfall nah genug, um von Aigion aus Hilfe zu erhalten, ohne starke Deckung ließ? Derselbe Sinn edler Unabhängigkeit und eigener politischer Kraft, der, dort seit Ekdemos und Lydiadas von neuem erstarkt, von Philopoimen jetzt vertreten, in einer noch immer bedeutenden Stadtbevölkerung lebendig, dem Makedonen bedenklich sein mußte, war für Arat lange schon ein Ärgernis; des Erfolges gegen Kleomenes konnte man im allgemeinen gewiß zu sein glauben; wie, wenn dann die unbequemen Männer von Megalopolis Rechenschaft von Arat forderten oder der makedonischen Oberherrlichkeit gegenüber den Anhaltspunkt für die Unzufriedenheit bildeten, welche nicht ausbleiben konnte? Man wird es nicht gesagt haben, daß man Megalopolis ein wenig preisgeben wolle, aber daß es der Erfolg dessen war, was man tat und unterließ, ist vollkommen deutlich.

Der Verlust, den Kleomenes im Mai bei Megalopolis erlitten hatte, war sehr bedeutend gewesen; es wird erwähnt, daß er den Heloten gestattet habe, sich für fünf Minen Attisch freizukaufen, und daß so 500 Talente eingekommen seien. Es ist fast undenkbar, daß in Lakonien in dieser Zeit eine so bedeutende Masse bares Geld und gar in den Händen der Heloten gewesen sein sollte; auch war der hauptsächliche Zweck jener Maßregel wohl kaum finanzieller Art; glaublicher ist, daß jene 6000 Heloten für das Heer genommen wurden; und dies scheint der Ausdruck in jener Angabe, Kleomenes habe noch 2000 Mann dazu nach makedonischer Art bewaffnet, zu bestätigen72. Aber wenn jene Angabe doch richtig wäre – und[383] unser Zweifel ist in der Tat durchaus nicht anders als in einer allgemeinen Voraussetzung über die mutmaßlichen Verhältnisse Lakoniens begründet –, so erhielten wir für die inneren Zustände Lakoniens nicht unbedeutende Erläuterungen; wenn Leibeigene so bedeutende Summen baren Geldes besaßen, so war es von doppelter Wichtigkeit, ihre bürgerliche Stellung mit den Mitteln, die sie besaßen, auszugleichen; wenn 6000 unter den Leibeigenen so wohlhabend waren, so muß die Zahl der Leibeigenen überhaupt bedeutend gewesen sein; wenn sie so bedeutende Zahlungen aufbrachten, so muß für sie das Aufhören der Leibeigenschaft einen verhältnismäßigen Wert gehabt haben. Ich unterlasse die Ausführung dieser Folgerungen, da auch so schon eine Bestätigung für die allgemeine Fassung der Zeit und der öffentlichen Meinung, wie sie im Verlauf unserer Darstellung angedeutet ist, in die Augen springt.

Das makedonische Aufgebot war bereits entlassen und Antigonos mit seinen Söldnern in Aigion, als Kleomenes seinen Angriff auf Megalopolis erneute. Er rückte mit seinem Heere über Sellasia hin, als ob er einen Einfall nach dem Argolischen beabsichtigte. Dann wandte er sich plötzlich gen Westen, in der Nacht war er vor Megalopolis. Mag ihm Verrat Eingang verschafft oder die nachlässige Bewachung der weitläufigen Befestigungen das Eindringen möglich gemacht haben73, ungehindert besetzte er einen Teil der Mauern, drang bis auf den Markt vor, ehe bedeutender Widerstand geleistet wurde. Dort entspann sich endlich, während die Masse mit ihren Habseligkeiten flüchtete, ein heftiger Kampf, in dem sich namentlich Philopoimen auszeichnete; Kleomenes war in Gefahr, mit seinem Heere vernichtet zu werden: endlich gelang es ihm, die tapferen Bürger zum Rückzug zu zwingen; langsam und stets fechtend zogen sie sich, von Philopoimen geführt, nach den Westtoren zu; sie verließen die Stadt, sie zogen mit den vorausgeflüchteten Weibern und Kindern und dem, was[384] von der Habe gerettet war, nach dem befreundeten Messenien. Nur etwa tausend Menschen sollen in der Stadt zurückgeblieben, von den Bewaffneten nur wenige gefangen worden sein; nach anderer Angabe waren es zwei Drittel der bewaffneten Mannschaft, die sich glücklich nach Messenien retteten. Jedenfalls hatte Kleomenes einen Vorteil von höchster Wichtigkeit gewonnen; er versuchte durch einen ebenso klugen wie hochherzigen Entschluß, ihn völlig auszubeuten. Zwei edle Megalopoliten, Lysandridas und Thearidas, sollen, da sie gefangen zu ihm geführt wurden, ihn zu demselben bestimmt haben; er sandte sie sogleich nach Messenien an die Geflüchteten mit der Botschaft: ihre Stadt sei vollkommen unversehrt; Kleomenes fordere sie auf, ohne alle Gefährde zu vollkommen freiem Besitz von Stadt und Land zurückzukehren, unter der einzigen Bedingung, daß sie hinfort Freunde und Bundesgenossen Spartas seien.

In der Tat mochte den Geflüchteten, die nichts anderes als Plünderung, Zerstörung der Stadt, eine Vergeltung für den Untergang von Mantineia erwartet haben konnten, das Anerbieten des Königs gar sehr annehmbar erscheinen, aber Philopoimen widersetzte sich dem Beschlusse: Kleomenes wisse sehr wohl, daß er die große Stadt nicht werde behaupten können, darum wolle er die Bürger um jeden Preis zurückhaben, damit sie ihm die Stadt sicherten; nicht auf Bedingungen, sondern mit den Waffen in der Hand müsse man Megalopolis wiedergewinnen. So wußte er die Menge aufzuregen, daß jene Boten, als wären sie Verräter, Gefahr liefen, gesteinigt zu werden. Philopoimen hatte Recht; Kleomenes vermochte nicht, die weitläufigen Mauern mit hinreichenden Verteidigern zu versehen; er mußte einen Angriff der Achaier erwarten, ihm blieb nichts übrig, als die Stadt, die einst Epameinondas gegründet hatte, um Sparta in Zaum zu halten, unschädlich zu machen. Was irgend noch Wertvolles da war, Geräte, Kunstwerke, Warenlager, ließ er nach Sparta schaffen, dann die Mauern, die öffentlichen Gebäude zerstören, mit der Stadt so hart verfahren, daß es, wie Polybios sagt, unmöglich schien, sie je wieder herzustellen74. Arkadien[385] lag nun dem Spartaner offen, und Kleomenes mag rasch zur Hand gewesen sein, dort seine Partei wieder zu sammeln.

Von seiten des Antigonos und der Achaier geschah nichts. Freilich als Arat in Aigion die Nachricht von der Zerstörung der Stadt erhalten hatte und in die Versammlung kam, stand er lange weinend, das Antlitz verhüllend, und als er dann das furchtbare Wort gesprochen, stürzte die Versammlung entsetzt auseinander; Antigonos ließ sofort die Söldnerhaufen sich sammeln, es schien etwas unternommen werden zu sollen, aber bald erfolgte der Befehl an die Söldner, in den Standquartieren zu bleiben. Antigonos selbst ging mit einer kleinen Bedeckung nach Argos; die große Landschaft von Megalopolis blieb in des Spartaners Gewalt oder wenigstens seinen nun gerechtfertigten Plünderungen offen.

Es müssen im Herbst und Winter mannigfaltige und wichtige Unterhandlungen zwischen den Mächten nah und fern gepflogen worden sein. In Alexandreia war einmal das Gerücht, daß von den Achaiern an Kleomenes Friedenserbietungen gesandt worden seien, und Kratesikleia soll in der Besorgnis, daß ihr Sohn aus Rücksicht auf ihre Sicherheit nicht wagen werde, ohne des ägyptischen Königs Beistimmung den Krieg zu enden, ihn dringend ermahnt haben, sich durch keine andere Rücksicht als die auf das Wohl und die Ehre Spartas bestimmen zu lassen. Dann wieder sind makedonische Legationen am Lagidenhofe. Weitere Beziehungen wird ein Hinblick auf die syrischen Verhältnisse erkennen lassen.

Nicht die unmittelbare Erbfolge hatte, als König Seleukos III. während des Feldzuges in Kleinasien ermordet worden war, seinen Bruder Antiochos zum Thron berufen, sondern der Ruf derjenigen Truppen, welche in Syrien zurückgeblieben waren. Seleukos hatte bei seinem Ausmarsch die Leitung der heimischen Angelegenheiten Hermeias übertragen; es ist vielleicht von Bedeutung, daß dieser ein Karer war, also aus der Landschaft, die seit einigen Jahren vom makedonischen König den Ägyptern entrissen war; man wird annehmen dürfen, daß Hermeias jene Berufung des Antiochos zum Diadem insbesondere gefördert hatte; Polybios schildert ihn als grausam, mißtrauisch, eifersüchtig auf seinen Einfluß, voller Hinterlist und Intrige gegen jeden, dessen Rivalität er irgend zu fürchten hatte, vor allem gegen den wackeren und bei dem Heere sehr beliebten Epigenes, der eben jetzt die Truppen, welche mit Seleukos in Kleinasien gewesen waren, zurückführte.

Schon hatten sich die beiden Brüder Molon und Alexandros, die der junge König zu Satrapen von Medien und Persien bestellt hatte, empört,[386] wie Polybios sagt: die Jugend des neuen Königs verachtend, die Teilnahme des Achaios in Kleinasien erwartend, vor allem von der Furcht vor der Grausamkeit und der Abscheulichkeit des Hermeias bestimmt. Wie konnten sie die Mitwirkung des Achaios erwarten? Wie nahmen sie, da sie gleich die glänzendsten Erfolge hatten, nicht das Diadem? Es ist nur erklärlich, wenn der Sohn des Seleukos, der durch Antiochos verdrängte Thronerbe, der Vorwand ihrer Empörung war75. Auf die Kunde von ihrem Abfall forderte der König Antiochos im Synhedrion die Ansicht seiner Räte, wie gegen sie zu verfahren sei. Epigenes erklärte: man müsse sofort Entscheidendes unternehmen; wenn der König selbst mit hinreichender Heeresmacht dort erscheine, so würden beide Satrapen sich entweder gleich zur Ruhe geben, oder, wenn sie zu widerstehen wagten, von den Untertanen verlassen und der gerechten Strafe überantwortet werden. Hermeias sprach mit Heftigkeit dagegen: lange genug habe Epigenes über seine verräterische Gesinnung zu täuschen verstanden; man müsse ihm Dank wissen, daß er mit diesem Rat endlich den Schleier zerrissen; denn was wolle er anders, als des Königs Person auf diese Weise den Rebellen in die Hände spielen? Solche Worte, von dem so mächtigen Manne gesprochen, entschieden die Ansicht des Synhedrions; demgemäß wurde Xenon und Theodotos Hemiolios mit Kriegsmacht nach dem Osten gesandt, die Ruhe dort herzustellen. Hermeias setzte seinen ganzen Einfluß daran, einen Krieg gegen Ägypten hervorzurufen; Polybios gibt als Grund an, daß er nur so, wenn der junge König von allen Seiten durch Kriege bedrängt sei, habe hoffen können, seinen Einfluß zu behaupten und der mannigfachen Verantwortlichkeit zu entgehen, die auf ihm lastete. Er hörte nicht auf, den König daran zu mahnen, daß jetzt der günstige Zeitpunkt sei, Koilesyrien wiederzugewinnen, ja er legte dem König Briefe vor, – Polybios hält sie für untergeschoben –, in denen Achaios angab, daß er von Alexandreia aus aufgefordert sei, sich der Gewalt zu bemächtigen, daß ihm jede mögliche Unterstützung an Geld, Truppen und Schiffen versprochen sei, wenn er das königliche Diadem annehme. Daß Ägypten um jeden Preis gern Achaios gewonnen hätte, war zu natürlich, als daß Antiochos nicht an die in jenen Briefen bezeichneten Tatsachen hätte glauben sollen; so setzte Hermeias es durch, daß der Feldzug nach Koilesyrien für den kommenden Frühling beschlossen wurde. Allerdings, die Empörung im Osten abgerechnet, waren die Verhältnisse von der Art, daß man sich von einem Angriff gegen Ägypten wohl ein Resultat versprechen konnte. An Achaios'[387] Treue, wie glänzende Anerbietungen ihm auch von Alexandrien aus gemacht würden, war nicht im entferntesten Grund zu zweifeln; seinen Erfolgen in Kleinasien hatte man es zu danken, daß Ägypten dort auf der Westküste außer Ephesos und Samos nichts mehr behauptete, daß Attalos auf seine Residenz zurückgedrängt war, daß die freien Städte der syrischen Hoheit zurückgegeben waren.

Freilich hatten die Angelegenheiten im Osten noch vor Ende des Jahres 222 eine bedenkliche Wendung genommen: Molon von Medien, von seinem Bruder Alexandros treulich unterstützt, bald auch durch alte Verbindungen oder reichliche Geschenke der Befehlshaber in den nächstliegenden Landschaften gewiß, war an der Spitze einer großen Streitmacht den von Syrien ausgesandten Feldherren entgegengezogen, und sie waren vor ihm in die festen Städte am Tigris zurückgewichen, die Landschaft Apolloniatis preisgebend; Molon drang bis an den Tigris vor, ja er war daran, hinüberzugehen, Seleukeia zu belagern; nur die Vorsicht des Zeuxis, der die Fahrzeuge fortgeschafft hatte, rettete die Stadt; aber Molon lagerte mit seinen Heeren der Stadt gegenüber in Ktesiphon, dort zu überwintern; über den Ausgang des nächsten Feldzugs schien bei seiner Macht und der kühnen Zuversicht seiner Truppen kein Zweifel sein zu können.

Auf die Nachricht von diesem Vordringen der Empörer wollte König Antiochos den schon beschlossenen Feldzug gegen Koilesyrien aufgeben, um, wie gleich im Anfang Epigenes geraten, sich in Person an den Tigris zu begeben; aber Hermeias verstand ihn zu überzeugen, daß der König nur gegen Könige und um große Erfolge kämpfen müsse; er setzte es durch, daß gegen die Empörer der Achaier Xenoitas an der Spitze neuer Truppen mit unumschränkter Vollmacht gesandt wurde, während zum Feldzug nach Koilesyrien unter des Königs eigener Führung sich bereits die Truppen in Apameia am Orontes zusammenzogen.

Polybios wird mit seiner Charakteristik des Hermeias vollkommen Recht haben76; aber der Vorwurf, er habe den König mit immer neuen Kriegen und Gefahren umgeben wollen, erscheint doch gar sehr wunderlich; so unverständig war Antiochos keineswegs, daß er das nicht hätte durchschauen sollen. Es sind zwei Möglichkeiten denkbar: entweder ist jener Karer, vom vorigen König mit höchster Autorität betraut, als er jenen Zug über den Tauros machte, den wir in Zusammenhang mit der makedonischen Politik fanden, den makedonischen Interessen völlig ergeben und drängt immer wieder auf diesen Angriff gegen Ägypten, der für Makedonien eben[388] in diesem Jahre, da der entscheidende Schlag in der Peloponnes fallen sollte, im höchsten Grade wichtig sein mußte, – oder er weiß von den makedonischen Verhandlungen in Alexandreia, die schon in der Mitte dieses Jahres ein unerwartetes Resultat bringen sollten, er sieht, daß Syrien nur eben jetzt noch eine vielleicht nicht wiederkehrende Gelegenheit hat, die Länder des Libanon wiederzugewinnen, daß man eilen muß, sie zu nehmen, ehe der Abschluß zwischen Makedonien und Ägypten weitere Vornahmen unmöglich macht. Freilich Polybios – denn von anderen wird alles dies gar nicht erwähnt – geht in diesen einleitenden Teilen seiner Darstellung weder auf die allgemeinen politischen Kombinationen ein, noch bietet er hinreichend vollständiges Material, daß wir in den Stand gesetzt wären, auch hier die hochentwickelte Diplomatie jener Zeit verfolgen zu können; aber da und dort ist sie bereits deutlich genug hervorgetreten, um uns zu überzeugen, daß wir sie überall vorauszusetzen und als wesentlich und charakteristisch für die Politik dieses Zeitalters zu betrachten haben.

Mit dem Frühling 221 brachen die syrischen Heere von Apameia auf, zogen nach Laodikeia am Libanon. Die Wüste, welche sich zwischen dieser Stadt und dem gen Westen anstoßenden Tal Marsyas hinzieht, scheint die Grenze zwischen dem syrischen und ägyptischen Gebiet gebildet zu haben. Antiochos überschritt sie, brach ein in das Tal Marsyas; drang, die einzelnen Städte des Tales unterwerfend, vor bis zu der Stelle, wo sich Libanon und Antilibanon, zwischen denen es sich hinaufzieht, einander so weit nähern, daß die beiden Festen Gerrha und Brochoi den Weg völlig sperren. Sie waren von ägyptischen Truppen unter Befehl des Aitolers Theodotos besetzt; der König versuchte, den Durchgang zu erzwingen, er fand hartnäckigen Widerstand; nach nicht geringem Verlust zog er sich zurück.

Eben jetzt kamen Botschaften aus Babylonien. Der Stratege Xenoitas hatte den Eparchen von Susiana, Diogenes, und den der Landschaft am Persischen Meerbusen an sich gezogen; sodann von Überläufern aus dem Heere Molons benachrichtigt, daß die dortigen Truppen unzufrieden seien und beim ersten Angriff in Masse abfallen würden, hatte er beschlossen, über den Fluß zu gehen. Mit auserlesenen Truppen, indem er die zurückbleibenden unter Zeuxis' und Pythiades' Befehl stellte, bewerkstelligte Xenoitas etwa zwei Meilen unterhalb des feindlichen Lagers bei Nacht den Übergang, lagerte, vom Fluß auf der einen, von Sumpf und Moor auf der anderen Seite gedeckt. Die Reiterhaufen, welche Molon den Übergang zu hindern sandte, vermochten in dem schwierigen Terrain sich nicht zurechtzufinden; viele verirrten im Röhricht, versanken, der Rest zog sich zurück. Sobald es Tag war, rückte Xenoitas, auf die Stimmung im feindlichen Heere vertrauend, vor, Molon erwartete den Angriff nicht, zog sich[389] auf dem Wege nach Medien zurück; sein Lager ward von den Königlichen genommen. Xenoitas eilte, auch die übrige Reiterei aus dem jenseitigen Lager nachkommen zu lassen; er ließ die Truppen den Tag noch rasten und sich pflegen, um am nächsten Tage den fliehenden Feinden nachzusetzen; das reiche Seleukeia lag nah genug, um das Lager mit allem Nötigen und Unnötigen zu versorgen; und so wurde denn in recht babylonischer Weise gezecht und geschmaust bis in die Nacht hinein.

Indes war Molon von seiner Scheinflucht mit einem raschen Marsch zurückgekehrt; beim Anbruch des Tages überfiel er das Lager, er fand kaum den geringsten Widerstand; wer noch Zeit hatte aufzuwachen, flüchtete, unzählige wurden auf ihrer Streu ermordet; die Flucht stürzte dem Fluß zu, man suchte das jenseitige Ufer schwimmend zu erreichen, bald war der reißende Strom mit Menschen, Pferden, Waffen, Gepäck, Schwimmenden, Ertrinkenden, Leichen in wüster Verwirrung erfüllt. Niemand hinderte mehr Molons Übergang; das Lager diesseits, aus dem Zeuxis sich zurückzuziehen für nötig befunden, fiel gleichfalls in seine Hand, dann warf er sich auf Seleukeia; beim ersten Anlauf fiel die mächtige Stadt. Damit war das Schicksal der umliegenden Landschaften entschieden, ganz Babylonien unterwarf sich, ebenso die Landschaft am Persischen Meere; dann wandte sich Molon nach Susiana, nur auf der Burg dort behauptete sich der Stratege Diogenes; Molon ließ Truppen zur Einschließung der Burg dort, eilte nach Seleukeia zurück, auch stromaufwärts die Land- schaften zu okkupieren; die Parapotamie bis Europos, Mesopotamien bis Dura mußte sich unterwerfen77.

Die Nachrichten von diesen Erfolgen der Empörer trafen den König Antiochos, nachdem er sich bereits von Gerrha zurückgezogen; er berief das Synhedrion, die Meinung seiner Großen zu vernehmen. Epigenes wiederholte, daß man den unseligen Krieg gegen Ägypten aufgeben, sofort nach dem Tigris aufbrechen müsse; Hermeias widersprach mit Heftigkeit und die Absichten des Epigenes verdächtigend; er beschwor den König, Koilesyrien nicht aufzugeben, sich durch den ersten erfolglosen Versuch nicht abschrecken zu lassen. Der König bemühte sich, den Wortwechsel beider zu beruhigen; er und die meisten Anwesenden entschieden sich für Epigenes' Ansicht. Hermeias selbst sprach sofort seine Bereitwilligkeit aus, den einmal gefaßten Beschluß, wenn er ihn auch beklage, mit allen seinen Kräften zu unterstützen.

In Apameia wurden die Truppen zusammengezogen; wegen der rückständigen Löhnung begannen sie unruhig zu werden, die Unordnungen[390] nahmen einen höchst bedenklichen Charakter an. Der junge König war in der äußersten Verlegenheit, da erbot sich Hermeias, die ganze Zahlung an die Truppen zu leisten, wenn der König genehmige, daß nicht Epigenes mit ihnen ausziehe: nach dem, was vorgefallen, sei es unmöglich, daß er mit jenem zusammen tätig sei, ohne den größten Nachteil des gemeinen Besten. Der König kannte die militärische Tüchtigkeit des Epigenes, er hätte ihn um jeden Preis gern in dem schwierigen Feldzug bei sich gehabt; aber teils war es dringend notwendig, jenes Anerbieten wegen der Zahlung anzunehmen, teils sah sich der König noch so ganz in der Gewalt jenes Mannes, der über die Wachen, über die Beamteten, über alle Mittel der Administration verfügte, daß er nachgeben zu müssen glaubte. Epigenes erhielt den Befehl, in Apameia zu bleiben, zum großen Schrecken des Synhedrions, das nun die Allgewalt des Karers völlig und für immer festgestellt zu sehen glaubte. Die Truppen wurden zufrieden gestellt, Hermeias schien auf ihre Ergebenheit rechnen zu können; nur die Kyrrhestier, etwa 6000 Mann, verharrten in ihrem Aufruhr, und es währte wohl noch ein Jahr, ehe sie überwältigt wurden. Bald ließ Hermeias den Epigenes seine Allgewalt fühlen; er fand Mittel, unter seine Papiere einen vertraulichen Brief von Molon zu bringen, dann wurde durch den Kommandierenden der Burg von Apameia, als habe man Kunde von solcher Verbindung, Nachforschung angestellt, jener Brief gefunden, Epigenes sofort als Hochverräter hingerichtet. Der König war von der Unschuld des Strategen überzeugt, aber er wagte nichts gegen den gewaltigen Wesir; der ganze Hof ahnte das Verbrechen, das geschehen sei, aber die Furcht vor Hermeias hielt jede Äußerung nieder. Unter solchen Verhältnissen unternahm Antiochos den Zug gegen die Empörer. Erst mit dem Beginn des Winters war er über den Euphrat gegangen, im mygdonischen Antiochien nahm er die Winterquartiere. Im nächsten Frühling 220 sollte der gefährliche Kampf beginnen.

Ich breche hier die Darstellung der syrischen Verhältnisse ab, weil mit dem glücklichen Kampf gegen Molon und Alexandros eine neue Phase derselben beginnt. Antiochos befreit sich der Abhängigkeit von jenem Karer, ergreift selbst und mit glücklicher Entschiedenheit die Zügel der Herrschaft, und in kurzer Zeit erhebt sich die Seleukidenmacht zu neuer Energie, nicht wenig begünstigt durch die Umwandlung am Hofe und im Reich der Lagiden.

Es wird nicht möglich sein, die Bezüglichkeit der Verhältnisse in Griechenland und in Syrien in jedem Moment zu verfolgen; aber in dem entscheidenden entzieht sie sich der aufmerksamen Beobachtung nicht.

Wir sahen, wie Antigonos bereits im August des vorigen Jahres (222) seine Milizen entlassen hatte. Der Untergang von Megalopolis hatte gezeigt,[391] wie völlig hilflos die Eidgenossenschaft ohne makedonischen Beistand war. Freilich Kleomenes hatte wieder ein wenig freie Hand gewonnen; die Beute aus Megalopolis und der Landschaft, mehr noch die Subsidien und Zufuhren von Alexandreia setzten den Spartaner in den Stand, immer neue Anstrengungen zu machen; es war ihm möglich, im Feldzug des nächsten Jahres, nach Besetzung der verschiedenen Pässe Lakoniens, noch 20000 Mann zur entscheidenden Schlacht zu führen; etwa 6000 von diesen waren Söldner; man wird annehmen dürfen, daß die Landschaft Lakonien für diesen Krieg im ganzen etwa 14000 Mann stellte78. Um solche Anstrengungen und ihre Wirkungen zu würdigen, muß man sich erinnern, daß das Gebiet des damaligen Lakoniens nicht ganz 90 Quadratmeilen umfaßte; und welche Verluste hatte die aitolische Invasion dem Lande gebracht, welche Verluste der mehrjährige Krieg, namentlich der erste mißglückte Versuch gegen Megalopolis! Frankreich hatte in den Revolutionskriegen bei der ersten levée en masse ungefähr 1/25 der Gesamtbevölkerung in Waffen; für den Krieg von 1813 hatte Ostpreußen bis zur[392] Weichsel bei einer Gesamtbevölkerung von nahe an 900000 Seelen 38000 Bewaffnete gestellt, also auf nicht ganz 24 Seelen einen Bewaffneten, und Gneisenau schreibt in einem Briefe an den Grafen Münster: »Das ist ungeheuer viel für eine fabriklose, bloß ackerbauende Provinz«. Freilich wird man diese Verhältnisse nicht ohne weiteres auf Lakonien übertragen können; Kleomenes wird von seinem Lande ungleich größere Opfer gefordert haben79. Bei solchen Anstrengungen mußte das Land schwer leiden;[393] durch die Aufnahme von Perioiken und Heloten in den Heerdienst mußten dem Ackerbau unverhältnismäßig viele Hände entzogen werden, und schon jene aitolische Invasion hatte die Arbeitskraft des Landes dezimiert. Man wird hervorheben dürfen, daß unter solchen Verhältnissen Lakonien nur durch Einfuhren die nötigen Subsistenzmittel erhalten konnte, und eben daher wird nur durch das ägyptische Bündnis die Fortsetzung des Krieges, sobald er auf die Landschaft Lakonien zurückgedrängt war, möglich gewesen sein80.

Antigonos, der vom Sommer 222 bis in den Sommeranfang 221 völlig untätig in Argos mit seinen Söldnern lag, unterhandelte in Alexandreia um die Auflösung jenes Bündnisses. Es kümmerte ihn nicht, daß Kleomenes mit dem Beginn dieses Frühlings einen plötzlichen Überfall nach dem Gebiet von Argos machte, daß die Bürger der Stadt murrten, ihre bestellten Äcker verwüstet zu sehen, ohne daß Antigonos mit seinen Söldnern auch nur einen Ausfall zu machen wagte. Er war des Resultates seiner Unterhandlung wohl schon gewiß, als seine und der Bundesgenossen Truppen sich zum neuen Feldzuge sammelten81.[394]

Von diesen Unterhandlungen findet sich bei Polybios nur eine beiläufige Notiz; er spricht von der übertriebenen Angabe Phylarchs über die Beute von Megalopolis; und doch sage derselbe, daß zehn Tage vor der entscheidenden Schlacht an Kleomenes eine ägyptische Botschaft gekommen sei, des Inhalts: daß der König ihm ferner nicht Unterstützung senden werde, sondern ihn ermahne, sich mit Antigonos zu verständigen; Kleomenes habe sich entschlossen, eine Schlacht zu wagen, bevor jene Kunde sich unter der Menge verbreite, denn aus eigenen Mitteln sei es ihm unmöglich gewesen, den Krieg fortzuführen, seine ganze Hoffnung habe auf der Unterstützung von Ägypten geruht. Polybios widerspricht nicht dieser Angabe des Phylarch, sondern der über die Beute von Megalopolis; also jene Botschaft und damit, denke ich, das Resultat der makedonischen Unterhandlungen steht durch Polybios' Autorität gebilligt fest.

Aber durch welche Mittel konnte Antigonos dahin gelangt sein, das ägyptische Kabinett zur Aufopferung des Kleomenes zu veranlassen? Wir sahen, wie im vorigen Jahre die Seleukidenmacht in Kleinasien durch Achaios auf das glänzendste hergestellt, Ägyptens Verbündeter Attalos zurückgedrängt, Ägypten selbst auf den Besitz von Ephesos und Samos reduziert war; wir mußten annehmen, daß Karien, vor sechs Jahren von Antigonos erobert, noch immer in makedonischer Gewalt war; mit dem neuen Frühling 221 kam die koilesyrische Expedition zur Ausführung, auf die Hermeias drängte; der siegreiche Achaios bedrohte vielleicht die letzten Besitzungen der Lagiden in Kleinasien, Ephesos, Lykien, Pamphylien; wie sollte man unter solchen Gefahren von Alexandrien her die thrakischen Küsten schützen zu können hoffen, wenn Antigonos sie von Makedonien aus angriff? Unter solchen Verhältnissen konnten Anerbietungen des Makedonen, wenn sie Ägypten wesentlich erleichterten, wohl ein so bedeutendes Zugeständnis für die hellenischen Angelegenheiten, wie das Preisgeben des Kleomenes war, veranlassen. Und nun ergibt sich aus späteren Verhältnissen, daß Karien wieder an Ägypten gekommen ist. Es liegt nahe, zu mutmaßen, daß Antigonos es eben jetzt zurückgab, unter der Bedingung, daß Ptolemaios Euergetes den Spartanern seine Unterstützung entzöge. Ob etwa die Kunde von den immer drohender werdenden Erfolgen der Empörer am Tigris, welche Syrien notwendig hindern mußten, Ägypten mit nachhaltiger Energie zu gefährden, oder ob die Voraussicht, daß Achaios über kurz oder lang seine Macht in Kleinasien zur Begründung einer Selbständigkeit führen werde, die ihn entschieden zum Verbündeten Ägyptens machen mußte und dann die fernere Behauptung Kariens unmöglich machte, – ob diese Betrachtungen Antigonos zur Hingabe Kariens bestimmten oder allein die klare Einsicht, daß Makedoniens Größe auf der völligen Herrschaft in Griechenland zu gründen sei und dieser[395] Rücksicht jede andere nachgesetzt werden müsse, bleibt unklar. Nur das darf mit aller Zuversicht behauptet werden, daß Antigonos' umfassender Blick ebenso sicher die Verwicklungen im Westen erkannte wie die des Ostens berechnete. Daß ein Kampf Roms mit Karthago bevorstand, konnte niemandem entgehen; daß Makedonien bei der römischen Politik bereits beteiligt war, darüber kann kein Zweifel sein, wenn man an Korkyra, Apollonia, Dyrrhachion, an die ganze Lage der illyrischen Küste denkt, wie sie sich seit acht Jahren gestaltet hatte. Den Beweis, daß Antigonos auch nach dieser Seite hin den Blick wandte, wird man in einem Bündnis finden dürfen, das er eben jetzt schloß. Demetrios von Pharos war, wie berichtet worden, von den Römern mit der Dynastie über die meisten illyrischen Stämme betraut worden, während die Königin Teuta namens ihres Stiefsohnes und Mündels Pinnes nur einen kleinen Bereich der früheren Herrschaft behalten hatte; Demetrios hatte gegen die Römer bereits während ihres gallischen Krieges (225-223) eine unabhängigere Stellung genommen; Antigonos schloß mit ihm ein Bündnis, und zum Krieg von 221 zogen 1600 Illyrier unter Demetrios nach der Peloponnes.

Außer den makedonischen Truppen und den Söldnern (10000 Mann Phalanx, 3000 Peltasten, 300 Reiter, je 1000 Agrianer und Galater, 3000 Mann Fußvolk und 300 Reiter Söldner) kamen die Kontingente der Bundesgenossen, von den Achaiern 3000 Mann zu Fuß, 300 Reiter, auserlesene Truppen; 1000 Megalopoliten, von Antigonos nach makedonischer Art bewaffnet, unter Kerkidas' Führung; von den Boiotern 2000 Mann zu Fuß, 200 Reiter; von den Epeiroten 1000 Mann zu Fuß und 50 Reiter; ebenso viele von den Akarnanen; endlich jene Illyrier82. Mit dieser Streitmacht rückte Antigonos über Tegea den Grenzen Lakoniens zu.

Kleomenes soll bei der Nachricht vom Anrücken der Feinde auf Tegea noch einen kühnen Zug nach Argos gemacht, sich verwüstend bis an die Mauern der Stadt gewagt haben, dann über Phlius auf das Kastell Oligyrton losgegangen sein, die feindliche Besatzung daraus vertrieben haben, endlich an Orchomenos vorüber nach Lakonien zurückgekehrt sein. Es ist[396] möglich, daß er durch diese kühnen Märsche den Zuzug der Achaier zu hindern versuchte; aber gewiß ist, daß das Wagnis ohne weiteren Erfolg war, wenn es ja so kurz vor dem Einfall der Makedonen gemacht worden ist. Nun eilte er in die heimischen Pässe, den Feind zu erwarten. Während er die übrigen Zugänge zu Lakonien mit Wall und Graben, Verhauen, hinreichenden Besatzungen sicherte, konzentrierte er seine Hauptmacht, gegen 20000 Mann, in den Pässen von Sellasia.

Die Wege von Tegea und der Thyreatis nach Sparta vereinen sich in der Nähe des Oinos an einer Stelle, wo die Berge auf der Westseite dieses Bergwassers ein wenig zurückweichen; es bildet sich hier auf dem rechten Ufer des Oinos eine kleine Ebene von etwa 1000 Schritt Breite und etwas größerer Länge, an deren südlicher Seite ein Bach Gorgylos zum Oinos hinabfließt. Beherrscht wird dies kleine Tal im Westen durch den Euas, dessen Ansteigung vom Gorgylos hinauf wenigstens für Pferde unzugänglich ist, und im Osten durch eine breite, vom Oinos rasch aufsteigende Berghöhe, die sich fast eine halbe Stunde an dem Wasser hinaufzieht, sich da zum Olympos zu gipfeln; im Süden der Ebene erhebt sich der südwärts streichende Bergrücken, auf dessen Höhe, eine halbe Stunde vom Gorgylos entfernt, die Feste Sellasia liegt. Zwischen dem Euas und Olympos, an der rechten Seite des Oinos, durch die Breite jenes kleinen Tales, den flachen Gorgylos durchsetzend, führt die vereinte Straße nach Sparta, und zwar zunächst, wenn sie den Gorgylos überschritten, an der Ostseite des Bergrückens von Sellasia im weiten Bogen dem Oinos folgend, während ein näherer, schwierigerer Weg zwischen diesem Bergrücken und dem Euas langsam ansteigt, bis er das Joch der Höhe, das er zu übersteigen hat, erreicht und unter den höheren Felsen von Sellasia im Westen vorüber zum Eurotas hinabführt83.

In dieser Stellung beschloß Kleomenes den Angriff zu erwarten. Die Perioiken und Bundesgenossen ließ er unter Befehl seines Bruders Eukleidas den Euas besetzen, er selbst nahm, mit den Spartanern und Söldnern den rechten Flügel bildend, den Olympos ein; beide Stellungen wurden mit Wall und Graben gedeckt; unten in der Ebene zu beiden Seiten des Weges stellte er die Reiter mit dem leichtbewaffneten Teil der Söldner auf. Als Antigonos anrückte, fand er die Stellung des Feindes so überaus stark und[397] drohend, daß er nicht sofort zum Angriff zu schreiten wagte. Er lagerte sich gegenüber, gedeckt durch den Gorgylos; er beobachtete einige Tage die Feinde, machte sich mit seinen eigenen Streitkräften, unter denen fast die Hälfte bundesgenössische Truppen, näher bekannt. Nirgends ließ der Feind irgend eine Blöße, eine Unachtsamkeit im Dienst erkennen. Antigonos entschloß sich endlich zum Angriff. Es konnte natürlich nicht seine Absicht sein, das Zentrum der feindlichen Linie zu durchbrechen, da es von den beiden Bergen aus auf das stärkste gedeckt war; er mußte vielmehr den einen oder den anderen zu forcieren suchen und zu dem Ende die gesamte feindliche Stellung zugleich bedrohen. Er stellte auf seinen rechten Flügel, dem Euas gegenüber, die Peltasten und Illyrier in alternierenden Haufen, sodann die Akarnanen und Epeiroten, und hinter dieser Angriffsmasse als Reserve 2000 Achaier; gegen das feindliche Zentrum wurde die gesamte Reiterei nebst 1000 Achaiern und den ebenso vielen Megalopoliten aufgestellt; die Hauptmasse endlich, 15000 Mann Makedonen, Söldner, leichte Truppen, führte der König selbst gegen den Olympos, dessen Absenkungen zum Oinos Raum zum Angriff boten.

Schon in der Nacht vor dem Schlachttage war auf dem rechten makedonischen Flügel der Gorgylos und der Fuß des Euas von den Illyriern besetzt worden. Sie sowie die Reiterei im Zentrum sollten am nächsten Morgen die Signale zum Angriff von Antigonos, also von der Seite des Olympos her, erwarten. Sobald das Zeichen für die Illyrier und den gesamten rechten Flügel gegeben war, begannen sie bergan zu steigen; Eukleidas blieb auf der Höhe; aber die Leichtbewaffneten im Zentrum eilten, sobald sie die Angreifenden so weit von den eidgenössischen Reserven sich entfernen sahen, sich ihnen in die Flanke und den Rücken zu werfen; eine Bewegung von der Höhe des Euas hinab würde hier das Gefecht entschieden haben. Noch war das Zeichen zum Angriff für das makedonische Zentrum nicht gegeben, aber Philopoimen erkannte, daß der Augenblick dringend sei; er forderte die Befehlshaber auf, vorzugehen; da sie sich weigerten, warf er sich auf eigene Gefahr an der Spitze der eidgenössischen Reiter auf das durch jenes Vorbrechen nach links geschwächte Zentrum der Spartaner. Das Gefecht, das sich hier entspann, zwang die leichten Truppen, vom Euas zurück in ihre Stellung zu eilen. Die Illyrier und Peltasten, im Rücken frei, konnten weiter drängen; Eukleidas erwartete sie auf der Höhe, damit sie, dort geworfen, die ganze Höhe des Berges hinab ohne Schutz, desto völliger vernichtet würden. Aber sobald sie die Höhe gewonnen hatten, drängte ihr erster ungestümer Angriff ihn selbst zurück; er verlor mit seinen Verschanzungen die beherrschende Stellung, er selbst wurde von ihr aus stärker und stärker gedrängt, bald völlig geworfen, die Abhänge hinab getrieben; der linke Flügel der Spartaner war vernichtet,[398] Eukleidas selbst fand den Tod. Noch währte das heftige Gefecht in der Mitte der Schlacht, namentlich Philopoimen und die eidgenössischen Reiter kämpften mit der höchsten Anstrengung. Am Olympos waren bisher nur die leichten Truppen und Söldner, von beiden Seiten gegen 5000 Mann, im einleitenden Gefecht; sie kämpften im Angesicht der beiden Könige mit der höchsten Anstrengung. Sobald Kleomenes sah, daß sein Bruder vom Euas geworfen war, daß sein Zentrum nur noch mit Mühe widerstand, daß er selbst Gefahr laufe, in seiner Stellung umgangen und von allen Seiten zugleich angegriffen zu werden, beschloß er, alles auf einen Wurf wagend, den Feind anzugreifen. Er öffnet seine Verschanzungen, läßt seine Schwerbewaffneten in Linie aufrücken; die Signale rufen die leichten Truppen aus dem Gefecht zurück; die Absenkung des Olympos ist zum Kampf der Phalangen frei. Unter lautem Kriegsruf beginnt nun ihr mächtiges Andrängen her und hin; bald weichen die Makedonen vor den kühnen Stürmen der Spartaner, bald diese vor der gewaltigen Masse der feindlichen Doppelphalanx. Endlich formiert Antigonos das entscheidende Vorgehen; die ganze Masse der Schwerbewaffneten, in ein dichtgeschartes Viereck zusammengedrängt, etwa 300 Mann in der Front, die Sarissen der fünf ersten Glieder vorstarrend, die der folgenden auf die Schultern der Vordermänner gelehnt, dringt mit der ganzen Wucht von 10000 Menschen im Sturmschritt vorgehend auf die feindliche Linie; sie vermag den furchtbaren Stoß nicht auszuhalten, sie ist auseinandergesprengt, die Schlacht verloren.

So Polybios' Bericht; Phylarch hatte angegeben, daß der Euas umgangen, durch Verräterei genommen sei; es bedarf solcher Erklärungen der Niederlage auf dem Euas nicht. Die Position dort war die ungleich stärkere, und der Feind hätte sie nimmermehr zu forcieren vermocht, wenn sich Eukleids nicht zu ängstlich an der allgemeinen Bestimmung, die Defensive nicht zu verlassen, gehalten hätte. Die Vereinigung der größeren Streitmittel unter Kleomenes' eigenem Befehl zeigt, daß er den Olympos für die schwierigere Position hielt; dort mußte der entscheidende Angriff erwartet werden, um so mehr, als der Feind da seine Hauptstärken konzentrierte. Die Verschanzungen, die Kleomenes vor seiner Linie aufgeworfen, mußten alle Aussicht auf glücklichen Widerstand gewähren; und wenn er nicht gelang, so blieb ihm, wenn sein Bruder den Euas hielt, noch immer der Rückzug auf das Joch, das der Weg von der Ebene herauf zu übersteigen hatte; dort, auf dem linken Flügel den Euas, mit dem rechten auf Sellasia gestützt, hätte er dem Feind noch einmal in nicht minder starker Position Trotz zu bieten vermocht. Eben darum griff Antigonos jenen Berg zuerst an; hätte er dort nicht Erfolg gehabt, so würde er unfehlbar gegen Kleomenes selbst nicht weiter zu kämpfen gewagt, sondern sich vielleicht[399] ganz aus diesen schwierigen Defileen zurückgezogen, andere Wege, den Feind anzugreifen oder zu ermüden, gefunden haben. Aber sobald Eukleidas geschlagen war – und der kühne Angriff des Philopoimen allein machte es möglich –, war alles verloren. Man hat es getadelt, daß Kleomenes nach dem Fall seines Bruders sich nicht in der Defensive gehalten, sich nicht zurückgezogen habe; das eine wie andere war nicht mehr möglich; der Weg nach Sparta war in Feindes Hand; er hatte nicht mehr wohin sich zurückziehen. Ebensowenig konnte er den Feind sich auf seine Verschanzungen auflaufen lassen; er war in Gefahr, umzingelt zu werden; sollte er sich hier auf der Felsenplatte einschließen lassen, wo er weder hinreichenden Unterhalt, noch die Aussicht auf Ersatz hatte? Ihm blieb nichts übrig als das tollkühne Wagnis, sich auf die Übermacht des Feindes zu stürzen; nur ein unerwartet glücklicher Erfolg hier hätte es ihm möglich gemacht, den siegenden rechten Flügel des Feindes abzuschneiden und so noch den Sieg zu ertrotzen. Und doch hätte er auch da nur für den Moment einen Gewinn gehabt; es waren die letzten und äußersten Anstrengungen, die Lakonien gemacht hatte, während dem Feinde sich immer neue Hilfsquellen an Truppen und Geld öffneten. Antigonos würde im schlimmsten Fall sich nach Tegea zurückgezogen und in kurzer Frist mit neuen Truppen den Krieg gegen die zusammenschmelzenden Reste des Spartanerheeres erneut haben.

Der Erfolg der Schlacht zeigte die völlige Erschöpfung Spartas. Übertrieben ist es unzweifelhaft, daß von 6000 Spartanern nur 200, von dem ganzen Heere nur 4000 Mann entkommen seien; es ist möglich, daß in Sparta nach der Niederlage die feste und zu weiteren Anstrengungen bereitwillige Stimmung war, die Phylarch mit Begeisterung geschildert hat; aber Kleomenes, der, von wenigen Reitern begleitet, fliehend nach Sparta kam, ermahnte die Bürger, sich Antigonos ohne weiteres zu unterwerfen; ohne Speise oder Trank zu nehmen, ohne niederzusitzen, nachdem er eine Weile, an eine Säule gelehnt, sich geruht und gesammelt, eilte er mit wenigen Freunden nach dem Gytheion, wo die Schiffe zur Flucht schon lange bereit lagen. Man sieht, daß Kleomenes sich seiner verzweifelten Lage völlig bewußt war; in dem Augenblick, da eine griechische Partei die Makedonen in die Peloponnes gerufen, da nicht mehr die Vertretung der griechischen Freiheit seine Basis war, mußte er sich auf die ägyptischen Subsidien stützen; und als Ägypten ihn preisgab, blieb ihm nur noch übrig, seine und Spartas Ehre bis auf den letzten Punkt zu vertreten. Selbst Polybios hat nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß wenige Tage nach der Schlacht dem Antigonos die Botschaft von einem Einfall der Illyrier nach Makedonien gekommen sei, daß Kleomenes nur diese wenigen Tage die Schlacht zu verzögern oder in Lakonien zu bleiben gehabt hätte, und[400] sein Königtum wäre gerettet, alles anders geworden84. Diese Ansicht ist im hohen Grade dürftig; Kleomenes war keineswegs bloß taktisch und strategisch, er war politisch völlig überwunden. Man kann nach der großen Sicherheit und Umsicht, die der makedonische König überall bewährt hat, mit völliger Zuversicht behaupten, daß er sich durch jenen Einfall der Illyrier nicht würde haben bewegen lassen, die völlige Entscheidung der griechischen Verhältnisse, deren er, selbst nach einem entgegengesetzten Ausgang der Schlacht, gewiß geblieben wäre, aufzugeben; es wäre unsinnig gewesen, wenn er sich von einem illyrischen Einfall, der höchstens arge Verwüstung über einige Landschaften Makedoniens bringen konnte, hätte wollen abhalten lassen, das große und für die politische Stellung Makedoniens dauernd entscheidende Resultat langer Bemühungen zu vollenden.

Antigonos zog nach der Schlacht nach Sparta; beim ersten Anlauf fiel die Stadt. Es ist gewiß, daß er sie mit Mäßigung und Vorsicht behandelte, keine Plünderung, keine Zerstörung oder Gewaltsamkeit erfolgte: er habe mit Kleomenes, nicht mit Sparta Krieg geführt, es werde ihm zu ebenso großem Ruhm gereichen, allein Sparta gerettet, wie es allein erobert zu haben, er verschone den Boden des Landes und die Häuser der Stadt, da Menschen, denen er seine Schonung bewähren könne, nicht mehr übrig seien; das mögen Wendungen der damaligen diplomatischen Sprache gewesen sein. Das Wesentliche war, daß er die spartanische Verfassung herstellte oder, wie es auch ausgedrückt wird, daß er Sparta befreite. Es kann damit nur die Aufhebung der militärischen Herrschaft, die Kleomenes gegründet hatte, die Wiedereinführung der Oligarchie, wie sie vor den Reformen des Kleomenes bestanden, gemeint sein. Vor allem kehrten jene verwiesenen achtzig Männer der Oligarchie zurück, und mit ihnen der Anspruch, den früheren Besitzstand herzustellen, wozu der ungeheure Verlust an Menschen, den die Stadt erlitten, allerdings Gelegenheit geben konnte. Daß das Ephorat hergestellt wurde, ist gewiß, wahrscheinlich auch die Gerusia; die Patronomen, so wie die topographischen Einteilungen der Landschaft mochten belassen werden. Das Königtum war durch die Flucht und, wie man voraussetzen darf, nachträgliche Verdammung des Kleomenes und den Tod seines Bruders und Mitkönigs erledigt; es wurde nicht wiederbesetzt, vielleicht auf ausdrücklichen Befehl des Königs; denn Sparta trat in die allgemeine hellenische Symmachie, die Makedonien vor zwei Jahren begründet hatte, und Antigonos setzte den Boioter Brachyllos als makedonischen Epistates in der Stadt ein. Wahrlich man sieht, daß es die[401] wiederhergestellte Oligarchie in Sparta sein konnte, die den König Antigonos feierlichst als Befreier und Retter Spartas pries.

Nach dreitägigem Aufenthalt in Sparta – er erhielt hier die Kunde von der illyrischen Invasion – kehrte Antigonos nach Tegea zurück; auch hier stellte er die alte Verfassung wieder her, zog seine Besatzung zurück. Das zerstörte Megalopolis sollte wiedererbaut werden; der König bestellte den hochgeachteten Peripatetiker Prytanis, die Gesetze der Stadt neu zu ordnen; bald sollte sich zeigen, wie man auf Schwierigkeiten stieß, in Zerwürfnis geriet, vor allem über die von Prytanis gemachte Legislation und die Teilung des Grundeigentums; es ist bezeichnend, daß Philopoimen, dem der König den Sieg von Sellasia zu verdanken bekannte, dessen Aufforderung, nach Makedonien mitzugehen, ausschlug und, in seinen Hoffnungen über die hellenische Freiheit enttäuscht, nach Kreta ging. Orchomenos, das von Antigonos erobert worden war, wurde nicht hergestellt, sondern blieb in makedonischer Gewalt, so wie Mantineia oder, wie es jetzt hieß, Antigoneia, im Besitz von Argos belassen wurde; Taurion wurde vom König zur Handhabung der makedonischen Interessen zurückgelassen. In Argos feierte Antigonos die Nemeischen Spiele; die ausschweifendsten Ehren- und Dankbezeugungen wurden ihm hier von der Eidgenossenschaft wie von den einzelnen Städten zuteil; alle menschliche und göttliche Ehre wetteiferte man ihm zu erzeigen.

Dann ging der König in Eilmärschen nach Makedonien; er sandte seinen Neffen Philippos nach der Peloponnes, damit er, der künftige Thronerbe, sich mit den dortigen Bundesgenossen bekannt mache; er wies ihn besonders an Aratos. Dann ging er selbst, die Feinde von den Grenzen zu treiben; er fand die Illyrier noch im Lande85; schon krank, griff er sie an, schlug sie vollkommen. Es war seine letzte Tat. Die Anstrengungen der Schlacht, das laute Rufen und Befehlen während des Gefechtes brachte ihm einen Blutsturz; nicht lange nach dem Siege starb er.


Bis zu diesem Zeitpunkt, dem Ausgang des Jahres 221, habe ich die makedonisch-griechische Geschichte und die des hellenistischen Staatensytems überhaupt verfolgen wollen, und nur in Beziehung auf Kleomenes werde ich ein wenig vorgreifen. Es bleibt nur noch übrig, die allgemeine Lage der Verhältnisse in eben dieser Zeit zu bezeichnen.

Beginnen wir mit Makedonien und Griechenland. Des Königs Glück alexandrisiere, hatte ihm ein Schmeichler in Sparta gesagt. Allerdings hatte Antigonos, der Versprecher, wie man ihn nannte, eine Stellung gegen[402] und in Griechenland gewonnen, wie sie seit Alexander kein König Makedoniens, und selbst dieser nicht gehabt hatte. Wir glaubten zu erkennen, wie nach den furchtbaren Wirren der Diadochenzeit, den Invasionen der Kelten, den Eroberungen des Pyrrhos Makedonien durch Antigonos Gonatas gleichsam von neuem gegründet, zu einer Monarchie im Sinne der hellenistischen Zeit gemacht war. Die Erinnerungen einer großen Vergangenheit, die Ausdehnung und Weltstellung des Landes beriefen Makedonien dazu, eine Großmacht im Bereich des hellenistischen Staatensystems zu sein; nur in dem Maße, als es über Griechenland mächtig war, konnte es solche Machtstellung behaupten. Bisher war sie fort und fort durch die Einmischungen der Lagiden behindert worden; jede Opposition gegen Makedonien hatte in Alexandreia Rückhalt gefunden. Jetzt begann sich dem weiter schauenden Blick eine neue, drohendere Gefahr zu enthüllen; schon hatte sich Rom diesseits des Adriatischen Meeres festgesetzt, besaß schon die Angriffspunkte an der Küste von Issa bis Korkyra; in der Unvermeidlichkeit eines Begegnisses mit der römischen Politik lag für die makedonische Herrschaft die dringende Mahnung, alle in ihrem Bereich liegenden Machtmittel möglichst stark an sich zu knüpfen, die Opposition, in welcher Form immer sie sich darstellen mochte, zur Ruhe zu zwingen. Nur in einer möglichst vollständigen Einigung des diesseitigen Griechentums und mit demselben war die Möglichkeit, jener herandrohenden Gefahr zu begegnen86.

Aber wie dies zersplitterte Griechentum einigen? Gelang es, so war es auf Grund der Schwäche, und so weit sie reichte; und es nahte die Zeit, wo starke und stark geeinte Kräfte allein hätten retten können. Es wäre für Griechenland ein Glück gewesen, wenn Philipp und Alexander es völlig zu einem Staate mit Makedonien zu verschmelzen vermocht hätten. Freilich Demosthenes nannte Philipp und seine Makedonen Barbaren, ähnlich wie in den kleinen deutschen Staaten wohl Friedrich des Großen Volk noch undeutsch genannt wird, weil der größte Teil seiner Völker vor Jahrhunderten ihre wendische Sprache und Sitte hingegeben für die deutsche, die doch seitdem keinen treueren Vorkämpfer gehabt hat. Wie das zerrissene Deutschland zwischen Frankreich und Rußland, so stand zu Antigonos' Zeit das zerrissene Griechentum zwischen Ägypten und Rom; und Antigonos ahnte dieselbe drohende Gefahr, vor der unser Vaterland sich ohne Schutz und Halt fühlt, solange es nicht aus einer nur »völkerrechtlichen«[403] Einigung zu einer wahrhaften nationalen gelangt. Die unbeschreiblich reichen Früchte, die von dieser Zerrissenheit dem geistigen Leben Griechenlands wie Deutschlands geworden sind, mögen freilich als eine Entschädigung für die politischen Folgen derselben gelten; nur daß wir uns noch der Hoffnung getrösten, in ihnen einen unzerstörbaren Halt gegen diese, einen Hort der doch gemeinsamen idealen Güter unseres Volkstums zu haben; – auch Griechenland hatte einen gleichen Hort, an Kleinodien der Kunst und Wissenschaft überreich, mit gerechtem Stolz gehegt, mit sinnigem Fleiß gepflegt, und er rettete nicht. Man sehe nur, was dann ward; Rom, das schon das griechische Italien und Sizilien verschlungen, gleichsam die Ostseeprovinzen des Griechentums, bald zertrat es auch den alten Kriegsruhm Makedoniens und die Ohnmacht ungeeinter Freiheit, schleppte in rohen Triumphzügen die Plünderungen der hellenischen Städte zum Tiberstrom, putzte sich auf mit ihren Tempelsäulen und Götterstatuen, übertünchte sich mit eben jener Bildung, der edelsten Errungenschaft des edelsten Volkes, dessen besten Männern hinfort der neideswerte Beruf blieb, als Freigelassene, als Informatoren, Bibliothekare, Gesellschafter in den Häusern der stolzen Optimaten zu dienen, um mit ästhetischen und literarischen Unterhaltungen ihnen die satte Muße nach den Staatsgeschäften zu würzen, oder den Alten wie den Jungen etwas modische Konversationswissenschaft enzyklopädisch beizubringen.

Antigonos gewann allerdings durch den Kleomenischen Krieg eine Vereinigung des Griechentums, soweit sie den Umständen nach gewonnen werden konnte. Schon Philipp und Alexander hatten einen »griechischen Bund« zu begründen gesucht, der ihnen für die Zeit des Krieges in Asien die Ruhe daheim garantieren sollte. Es hatte seitdem das geistige Leben Griechenlands wesentliche Umwandlungen erfahren; Verfassungsideen der verschiedensten Art hatten das öffentliche Interesse in die neue Spannung gebracht; zu den Resten alter historischer Zustände waren die Gedanken, wie sie die Wissenschaft gefunden hatte und empfahl, die Prinzipien neuer Gestaltungen getreten; und in demselben Maße, als die faktischen Zustände, die materiellen Grundlagen, Glaube, Sitte und Herkommen auf der einen, jene allgemeinen Prinzipien und Bestrebungen auf der anderen Seite ihres inkommensurablen Verhältnisses inne wurden, ward die Notwendigkeit gefühlt, neue staatliche und rechtliche Grundlagen zu konstituieren. Dies hohe Interesse der Verfassungsfrage ist das merkwürdigste Dokument für den Geist des Griechentums in dieser Zeit; nur daß da, wo die Verfassung, nicht mehr der lebendige Ausdruck dessen, was ist, ausspricht, was sein sollte, wo sie nicht als das Resultat des unmittelbaren Gesamtlebens, sondern als Postulat für dessen Weiterführung erscheint, keine staatliche Form mehr alle Ansprüche und Interessen befriedigt, keine[404] zu einer abschließenden und beruhigenden Zuständlichkeit führt, sondern jede in ihrem nur vermittelnden Verhalten, gleichsam in der Diagonale der Kräfte wirkend, sich je länger desto mehr von ihrem Ausgangspunkt und damit von den Quellen ihrer Energie, den Impulsen ihrer Wirksamkeit entfernt. Dann entstehen jene wüsten Oszillationen in dem öffentlichen Leben, welche ohne eine starke Vertretung nationaler Einheitlichkeit nach außen den höchsten Gefahren den Zugang öffnen; dann erheben sich die materiellen Interessen und die vorwärtsdrängenden Gedanken in wetteifernder Unabweisbarkeit, bald in teilweiser Einigung, bald widereinander kämpfend, stets darauf gewandt, das Bestehende in seine künstlich vereinten Elemente zu zersetzen, und nur in dem einen oder anderen Äußersten scheint noch die Möglichkeit einer energischen Erneuerung übrig zu sein; gelingt sie nicht, so wuchert noch eine Weile das Sonderinteresse und die Theorie über den schon absterbenden Stamm hin, um den sie sich ranken sollen, bis sie dann mit dem abgemorschten zugleich beim ersten Anstoß zu Boden stürzen und verkommen.

Es wird sich in diesen allgemeinen Zügen das Bild des Griechentums dieser und der nächsten Zeit erkennen lassen. So hatte Athen im Chremonideischen Kriege seine letzte Anstrengung gemacht; so war schon lange Boiotien, Thessalien verkommen, und die Epeiroten endeten eine kurze und glänzende Geschichte mit einer Befreiung, der die Kraft zu weiteren Bildungen gebrach. Wie vielverheißend hatte die Eidgenossenschaft der Achaier begonnen; aber trotz der ernsten, begeisterten Bestrebungen freisinniger Männer nicht über die ersten Formen hinaus entwickelt, verlor sie eine Stadt nach der anderen an jenen Kleomenes, der eine Machtbildung, man möchte sagen, in den doktrinären Begriffen der Zeit mit den Formen einer bewunderten Vergangenheit zu begründen versuchte; und er wieder verlor alles, indem er nur die Hegemonie Spartas, nicht die Verfassung, die er dort geschaffen, durchzusetzen suchte, den Beistand derjenigen Kräfte, die er daheim so erfolgreich zu wecken verstanden, von sich weisend. Man mußte wohl empfinden, daß ein Trieb zu Gesamtbildungen vorhanden war; die Stärke der Achaier war in der Vereinigung der Politien zu gleichem Recht gewesen, die Schwäche Spartas war, daß es die alte Vorstellung der Hegemonie in die neuen Bewegungen übertragen wollte. So gründete Antigonos die neue Form eines Staatenbundes, der sich mit dem gleichen Recht wie der unseres Vaterlandes einen Bundesstaat nennen, und auch von sich sagen mochte, »sein Zweck sei Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen Staaten«. Es ward ein Bundesfriede errichtet, ein Friedenszustand gegründet, der die Peloponnesier namentlich mit Freude und Bewunderung für den großmütigen König erfüllte; man[405] glaubte einer glücklichen Zukunft entgegenzugehen, man dankte die Truppen ab, tat die Waffen zur Seite, wandte allen Fleiß auf Verkehr und Gewerbe und Feldbau; man wollte nun den dauernden Frieden mit vollen Zügen genießen. Antigonos' schneller Tod und die neuen Verwicklungen nach demselben haben die Form, die er beabsichtigte, nicht zur völligen Ausbildung kommen lassen, aber das Bundesprinzip, das er begründet hatte, erkennt man in dem, was dann geschah; es unterschied sich von dem ehemaligen Synhedrion in Korinth vornehmlich dadurch, daß nicht ein Bund mit und unter Makedonien geschlossen, Makedonien zur Hegemonie bestimmt wurde, sondern Makedonien selbst als Bundesstaat und mit formell gleichem Recht wie die kleinen und kleinsten Gebiete in diesen Verein souveräner Staaten trat; Thessalien wird als eigenes Bundesglied aufgeführt, ebenso Sparta, wennschon dort der makedonische König, hier ein makedonischer Epistates gebietet; ferner die Eidgenossenschaft der Achaier, der Bund der Epeiroten, der Akarnanen, der Boioter, der Phoker; schon bittet auch Messenien um Aufnahme; es wird nicht überliefert, aber es versteht sich von selbst, daß auch Argos mit dem ehemaligen Mantineia, auch Tegea, Epidauros, die kleineren Orte, die nicht mehr zu den Achaiern gehörten, in den Bund traten, vielleicht in ihren Verpflichtungen zur gemeinsamen Verteidigung durch Makedonien vertreten, das durch den Besitz von Akrokorinth und Orchomenos stark genug in ihrer Nähe beteiligt war. Nur Athen, die Aitoler und von ihnen bestimmt die Eleier fehlten noch: Athen kaum mehr der Rücksicht wert, die Aitoler jetzt noch durch Antigonos' kluge Politik gezügelt; es ist sehr wahrscheinlich, daß er selbst bereits den Plan, auch sie mit Güte oder Gewalt heranzuziehen, einleitete, einen Plan, den dann sein Nachfolger mit nicht völligem Glück weiter verfolgt hat. Darum ward der Bundesgenossenkrieg gekämpft, und in derselben Zeit, da der junge Sieger der trasimenischen Schlacht Rom nah und näher umspannte, ward jener Krieg mit einem Gesamtfrieden zwischen den Bundesstaaten und den Aitolern geendet, dessen ausgesprochene Absicht war, zum großen Kampf gegen Rom geeint zu sein87.

Wenden wir uns zu Ägypten. Ich will nicht den Verlauf der ägyptischen Politik seit dem Anfang des zweiten Lagiden rekapitulieren; unter dem dritten gewann sie ihren Höhepunkt. Polybios bezeugt, wie die Könige, des völlig geordneten und blühenden Nillandes gewiß, die auswärtige Politik mit dem umsichtigsten Eifer handhabten; Herren von Kypros und Koilesyrien – er konnte hinzufügen: im Besitz der Orontesmündung – bedrohten sie Syrien von der Land- und Seeseite; sie dominierten über die[406] Dynasten Kleinasiens und über die Inseln, indem sie die bedeutendsten Städte, Landschaften, Häfen von Pamphylien bis zum Hellespont und Lysimacheia in ihrer Gewalt hatten; sie beobachteten Thrakien und Makedonien durch ihren Besitz von Lysimacheia, Ainos, Maroneia, anderen Städten der thrakischen Küsten; sie hatten auf diese Weise »ihre Hände weit hinausgestreckt«; wie »weit vorgeschobene Außenwerke« waren diese Herrschaften. Aber es zeigt sich zugleich, daß mit dieser Ausdehnung ihrer unmittelbaren Herrschaft die Schwierigkeit, sie zu schützen, sich mehrte. Polybios unterläßt zu bemerken, wie schon in dem letzten Jahrzehnt des Ptolemaios Euergetes die Lagidenmacht das Mißverhältnis ihrer Ausdehnung und ihrer natürlichen Grundlage zu büßen begann. Um den Seleukiden in Schach zu halten, mußte sie die Macht des Pergameners fördern, es geschehen lassen, daß er die Griechenstädte vom Kaystros bis zum Hellespont an sich zog; sie hatte nicht hindern können, daß sich Antigonos Kariens bemächtigte; mit den Siegen des Achaios fiel die ganze Westküste Kleinasiens mit Ausnahme von Ephesos wieder in die Gewalt der Seleukiden, und, wie wir nachzuweisen versucht, erkaufte Ptolemaios, schon in Koilesyrien von den Seleukiden angegriffen, um den Preis seines letzten Einflusses in Griechenland den Besitz von Karien, ohne welchen auch Lykien und Pamphylien nicht weiter hätten behauptet werden können.

Es liegt klar vor, daß nur eine stete und großartige Anspannung der Land- und Seemacht Ägyptens im Stande gewesen sein würde, jene schwierige und exzentrische Herrschaft zu behaupten, und daß Ptolemaios Euergetes je länger desto mehr die eine wie die andere verfallen ließ, um sie durch diplomatische Mittel zu ersetzen, welche doch erst durch jene Nachdruck gewinnen konnten. Man möchte die Erschlaffung, welche die ägyptische Macht mehr und mehr überschlich, in dem Charakter des Königs selbst gegründet finden; denn nirgends war so wie in Ägypten durch Ptolemaios Soter und Philadelphos das Reich mit der Person des Monarchen identifiziert worden. Eben in der Zeit des Kleomenischen Krieges gewannen die beiden Rivalen Ägyptens, Makedonien und Syrien, neuen Aufschwung, und sie gewannen ihn auf Kosten Ägyptens; wenn der alternde König nicht völlig betört war, mußte er erkennen, daß es hohe Zeit sei, sich aufzuraffen und jenen aufstrebenden entgegenzutreten.

Daß es geschah, zeigen die Vorgänge in Alexandreia nach der Schlacht von Sellasia. Kleomenes war nach derselben nach Ägypten gekommen, wohl völlig überwältigt, aber in seinem starken Sinn nur auf das eine gewandt, wie er den Kampf gegen Antigonos von neuem beginnen könne. Der erste Empfang seitens des ägyptischen Königs war nicht viel mehr als gleichgültig; dann aber imponierte ihm die Hoheit, die Willensstärke, die kühne Umsicht des Spartaners; er zeichnete ihn und seine Gefährten auf[407] jede Weise aus, er ging auf seine Pläne ein; mit starker Rüstung sollte Kleomenes nach Griechenland zurückkehren, gegen Antigonos zu kämpfen. Es ist keine Frage, daß der Hof von Alexandreia mit Achaios in Unterhandlung getreten war; wenn es gelang, ihn zu gewinnen, wie war dann Syrien von neuem auf der empfindlichsten Seite gefährdet; schon war Antiochos' Angriff auf Koilesyrien mißglückt, am Tigris breitete sich die Empörung Molons aus, noch war Seleukeia, die Orontesmündung in ägyptischer Gewalt; wahrlich Ptolemaios konnte sich mit der Hoffnung schmeicheln, einen nicht minder glänzenden Krieg zu beginnen, als jener seiner jungen Jahre gewesen war, da er sich aus den Armen seiner kühnen Berenike riß, nach Assyrien zu ziehen.

Da starb er noch vor dem Herbst desselben Jahres; das Königtum ging über auf seinen älteren Sohn Ptolemaios, der sich Philopator nannte. Wenn er von Anfang her die Zuneigung der Söldner für seinen Bruder Magas, die Entschlossenheit seiner Mutter Berenike fürchtete, so mag man annehmen, daß schon seine Jugend in jener geistreich zügellosen Liederlichkeit verbracht war, wie sie nirgends mehr als in Alexandrien blühte. Daß es nicht die stumpfsinnige Brutalität der Wollust war, die er liebte, sieht man aus manchen Einzelheiten; er dichtete eine Tragödie Adonis, und Agathokles, der später mit seiner Schwester, der Pompadour jenes Hofes, den größten Einfluß gewann, schrieb einen Kommentar zu dem Gedicht; in seiner belletristischen Liebhaberei stiftete er den glänzenden Tempel Homers, geschmückt mit den Statuen der Städte, die sich rühmten, seine Heimat zu sein; er suchte den Stoiker Kleanthes an seinen Hof zu ziehen, und Sphairos, den jener sandte, fand die gütigste Aufnahme; als Stoiker mußte er sagen, daß der Weise König sei; also sei es nicht Ptolemaios, ward ihm entgegnet; und er darauf: weil er ein solcher, sei er König. Man erkennt den Kreis von Interessen, in denen sich der König bewegte; es galt, das Leben in allen Skalen des Genusses, des geistigen wie des materiellsten, durchzukosten, und die Gelage der Lustigen (Geloiasten) sind nur ein einzelner Zug aus der überschwenglich luxurierenden Weise des Königs und seiner Residenz. Was sollte er sich um den Ernst und die Langeweile der Geschäfte kümmern? Er überließ sie seinen guten Freunden Sosibios und Agathokles, und sie sorgten, daß des jungen Königs Lust nicht gestört werde. Sie fürchteten die Mutter; sie, die dem Gemahl jene leichtsinnige Unterzeichnung des Todesurteils verwiesen hatte, sah unmöglich gleichgültig das wüste Leben des Sohnes und die wachsende Gewalt seiner Vertrauten; auf die Neigung der Söldner für ihren zweiten Sohn baute sie einen Plan. Sosibios sah die Gefahr, die ihm drohte; sie mußte beseitigt werden; aber Magas war ja der Truppen gewiß. So wandte sich Sosibios an Kleomenes; er versprach ihm die glänzendste Ausrüstung zur Heimkehr,[408] wenn er ihm seinen Beistand leisten wolle. Kleomenes weigerte sich dessen; aber solange Magas lebe, sprach Sosibios, sei man der Söldner nicht gewiß; Kleomenes verbürgte sich für sie: es seien 3000 Peloponnesier da und 1000 Kreter, auf jeden Fall seien die zu seinem Willen. So schien Kleomenes doch ein Rückhalt; es ward Magas, es ward Berenike ermordet; auch des Königs Oheim Lysimachos fand den Tod durch Sosibios.

Nun kam die Nachricht von Antigonos' Tod, von neuen Bewegungen in Griechenland; ein König, kaum dem Knabenalter entwachsen, hatte das Regiment Makedoniens; von Sparta ausluden dringende Mahnungen den Kleomenes zur Heimkehr. Alle Hoffnungen erwachten in Kleomenes mit neuer Stärke, er dachte nur an die Heimat; als beim Mahle schöne Gedichte rezitiert wurden und man nach seinem Urteil fragte, sagte er, man möge die anderen fragen, seine Gedanken seien in Sparta. Er versuchte es, den König, die Hofherren für seinen Plan zu gewinnen; er zeigte, wie günstig der Zeitpunkt sei, Großes zu gewinnen; er bat, man möge ihn jetzt ausrüsten, dann: man möge ihm gestatten, mit seiner Dienerschaft wenigstens heimzueilen. Was kümmerte sich der König darum? Er überließ es Sosibios zu entscheiden. Und der besprach die Sache im Synhedrion: der Tod des Antigonos, hieß es, habe alle Gefahr in Griechenland beseitigt, es sei jetzt am wenigsten nötig, großen Aufwand zu Rüstungen zu machen; ja es sei gefährlich, einem so kühnen und bewunderten Mann Vorschub zu einer Unternehmung zu leisten, deren Ausgang kein anderer sein werde, als daß in ihm für Ägypten eine neue, gefährlichere Rivalität in Griechenland, als die makedonische je gewesen, entstehen werde, eine um so gefährlichere, da Kleomenes nur zu tiefe Blicke in die Verhältnisse des Hofes und des Reiches getan habe; andererseits ihn eben nur zu entlassen, sei darum noch bedenklicher, da seine gewissen Erfolge ihm die Gelegenheit bieten würden, sich für eine so zurücksetzende Behandlung zu rächen; ihn wider Willen zurückzuhalten sei der einzig mögliche Ausweg. Dagegen erhoben sich alle ohne weiteres: wie werde man den Löwen in der Hürde behalten? Sosibios selbst erinnerte an jene Äußerung des Kleomenes über sein Verhältnis zu den Söldnern; es gebe keine andere Sicherheit, als den gefährlichen Mann, ehe er entkomme, festzunehmen und als Gefangenen zu behandeln.

Eine unvorsichtige Äußerung des Kleomenes gab den Vorwand. Ein Messenier, Nikagoras, kam nach Alexandrien, Kleomenes kannte ihn von früher her; Nikagoras hatte die Verhandlungen wegen Archidamos' Rückkehr nach Sparta geführt, er war zugegen gewesen, als jener ermordet worden; er hielt sich überzeugt, daß Kleomenes der Anstifter jenes Mordes gewesen[409] sei88. Kleomenes ging mit Panteus und Hippotas am Hafen, als eben Nikagoras landete. Er begrüßte ihn, fragte, was er bringe; »Rosse«, sagte der Messenier, »zum Verkauf«. »Knaben und Lautenschlägerinnen hättest du bringen sollen«, antwortet Kleomenes, »denn nur um dergleichen kümmert sich der jetzige König.« Nikagoras lachte dazu; in den nächsten Tagen verhandelte er mit Sosibios, wurde mit ihm bekannter, sagte ihm die Worte des Spartaners. Da ward er mit Geschenken und Gnaden überhäuft, mit Vertrauen geehrt; es ward der Plan geschmiedet, daß er abreisend ein Schreiben an ihn zurücklassen solle, des Inhalts, daß Kleomenes, wenn ihm nicht eine Ausrüstung zur Heimkehr, wie er sie verlange, gewährt werde, einen Aufruhr zu veranlassen beabsichtige. Diese Denunziation legte Sosibios dem König und dem Synhedrion vor; sie überzeugten sich, daß Vorsichtsmaßregeln nötig seien; man beschloß, Kleomenes in Haft zu nehmen; man bestimmte ihm einen Palast, der mit hinreichenden Wachen versehen wurde, zum ferneren Aufenthalt. Der Löwe fühlte, daß er im Käfig sei; nun war alle Hoffnung dahin; für sie auch noch den letzten Versuch zu wagen, den Ruhm eines würdigen Lebens nicht mit ägyptischer Schmach zu beflecken, entschloß sich Kleomenes zu einem tollkühnen Wagnis.

Der König war nach Kanopos gegangen. Man verbreitete im Palast die Nachricht, daß an einem der nächsten Tage der Befehl zur Aufhebung der Haft erfolgen werde; es pflegte dann dem Staatsgefangenen aus der Hofhaltung ein Gastmahl und Geschenke zugestellt zu werden. Die Spartaner, die mit Kleomenes gekommen waren, sorgten für diese Zusendungen, die die Wachen hinlänglich beruhigten; man teilte ihnen reichlich Wein und Speisen mit. Dann, als sie trunken waren, um die Mittagszeit, brach Kleomenes mit seinen Freunden – es waren ihrer dreizehn – mit Dolchen bewaffnet hervor. Der erste, der sich ihnen entgegenstellt, Ptolemaios, Chrysermos' Sohn, wird niedergestoßen; auf der Straße kommt ihnen der Befehlshaber der Stadt, Ptolemaios, auf seinem Wagen, von Dienern und Lanzenträgern umgeben, entgegen; die Begleiter werden auseinandergejagt. Mit dem Ruf: »Freiheit!« durchziehen die spartanischen Männer die Stadt; die Menschen staunen, niemand schließt sich den Tollkühnen an. Sie wenden sich nach der Akropolis, sie wollen dort die Gefängnisse erbrechen, aber die Tore sind schon hinlänglich verwahrt, der Angriff wird zurückgewiesen. Was nun? Sich zu retten ist nicht mehr möglich; sollen spartanische Männer den Tod von der Hand des Büttels erwarten? Sie beschließen, von eigener Hand zu sterben; nur den jugendlichen Panteus bittet der König, zuletzt zu sterben; sein brechendes Auge soll noch einmal[410] den Liebling sehen. So führt jeder ruhig und sicher den Dolch gegen das eigene Herz; dann geht Panteus, den Freunden den letzten Liebesdienst zu leisten, prüft, mit dem Dolch ritzend, ob jeder tot; noch einmal zuckt Kleomenes unter dem Dolch des Treuen, dann ist er verschieden; Panteus küßt seines Königs Leiche, durchbohrt sich neben ihr. Der König Ptolemaios und seine Räte erfahren, was geschehen; Kleomenes' Mutter und Kinder sind noch da, an ihnen Rache zu üben; es erfolgt der Befehl, sie und die Frauen jener Spartaner hinzurichten. Unter ihnen ist Panteus' schöne Witwe, vermählt erst kurz vor der unseligen Schlacht; dann hatten ihre Eltern sie, da sie um jeden Preis ihres Mannes Flucht teilen wollte, mit Gewalt daheimgehalten, bis er hinweg war; aber in der Nacht war sie geflohen, nach dem Tainaron geeilt, mit dem nächsten Schiff nach Alexandreia gesegelt. Nun geht sie mit der greisen Kratesikleia Hand in Hand den Weg zum Tode. Nur eins hat Kleomenes' Mutter gebeten, sie vor den Kindern zu töten; die Henker versagen ihr die letzte Bitte; sie sieht der Kinder Tod, dann trifft sie, dann die anderen Frauen der Todesstreich, Panteus' Witwe ist die letzte; sie schürzt sich, bestellt die Leichen der Kinder, der Frauen, dann ordnet sie ihr Gewand, dann empfängt sie festen Blickes den Streich des Büttels. Es bedarf nichts weiter, um das ägyptische Regiment, wie es Ptolemaios Philopator begann, zu bezeichnen. In den Händen der Feigheit, Verruchtheit und Ohnmacht war nun das Reich, das die drei ersten Lagiden mit größter Vorsicht gegründet, mit umsichtigster Klugheit weitergeführt hatten, war es eben jetzt, da Makedonien stärker als je über Hellas waltete, da Syrien in dem dritten Antiochos einen Fürsten gewonnen hatte, der, jung, kühn und glücklich, die Machtfülle seiner Vorfahren wiederzuerwerben begann, da der neue Kampf zwischen Karthago und Rom, der beginnende zwischen Rom und Makedonien dem Hofe von Alexandreia eine Rolle von unberechenbarer Wichtigkeit zugewiesen hätte, wenn nicht Maitressen und Favoriten, Kabalen und Schurkereien dort das Ruder geführt hätten. Bald sollte sich zeigen, welche Wirkungen nach innen dies degenerierende Regiment hatte.

Schon früher ist angedeutet, wie die Seleukidenmacht nach den unbeschreiblichen Drangsalen der drei letzten Jahrzehnte sich jetzt rasch und keck wieder erhob. Freilich diese vielen griechischen Politien innerhalb des Reiches, alte wie neugegründete, ließen nicht jene starke Konzentration der Gewalt, jene widerstandslos bis tief hinabdringende Energie des höchsten Machtgebotes zu, wie sie die drei ersten Lagiden zu so großen Erfolgen zu handhaben verstanden hatten; aber dafür bewahrten diese Politien einen selbständigen Sinn und eine eigene Lebensfähigkeit, die sich zu erhalten vermochte, wenn auch die Höhen des Reiches wankten[411] und stürzten, die eine bereite Hilfe gewährten, wenn sich das Reich von neuem zu erheben begann. Freilich das Seleukidenreich hatte seit dem Tode des Gründers Verlust auf Verlust erlitten, während sich Ägypten auf die glänzendste Weise mehrte; aber diese Mehrungen schwächten das Reich, das doch nur in Ägypten seiner eigenen Weise gewiß war, während das syrische zum Teil durch eben jene Verluste, man darf sagen, gekräftigt wurde. Denn es war nur eben eine momentane Gunst der Verhältnisse, die eine Vereinigung aller Länder vom Hellespont bis zum Indus möglich machen konnte; erst wenn das Reich auf einen gewissen Kern von Gebieten, wie ihn die natürlichen Verhältnisse der Länder deutlich vorzeichneten, zurückgeführt war, konnte es eine starke und in sich einige Macht zu entwickeln beginnen. Ich habe nicht schon jetzt die negative Seite an dieser wiederhergestellten Seleukidenmacht unter dem dritten Antiochos hervorzuheben; die Geschichte hat nicht lange gesäumt, sie mit allen ihren Konsequenzen geltend zu machen. In dem Augenblick, da wir unsere Darstellung abbrechen, ist durch Achaios die Macht des Königtums in Kleinasien vertreten und der jugendliche König selbst auf dem Wege, mit dem Kampf gegen Molon die beherrschenden Gebirgslandschaften jenseits des Tigris und bis zum Indus dem Reich von neuem zu sichern; ein Fürst von großen Entwürfen und kühner Energie, sie auszuführen. Nach glänzenden Erfolgen im Osten erlahmte seine Kraft an den Verwicklungen im Westen.

Schon das Auftreten des Pergameners Attalos bezeichnete uns eine bedeutende Wendung in der Entwicklung des hellenistischen Staatensystems, dieselbe, welche jenseits des Meeres Kleomenes erfolglos versuchte, welche Rhodos in demselben Maße dreister verfolgte, als die ägyptische Meerherrschaft erschlaffte. Die bestimmende Überlegenheit der drei großen Staaten, welche fast fünfzig Jahre hindurch allein der Politik ihre Gestalt gegeben, beginnt eben jetzt, da für Makedonien und den hellenischen Staatenbund eine neue gefahrvollere Rivalität im Anzug ist, in Asien einer selbständigen Politik der Staaten zweiten Ranges Raum zu geben; in Asien schließt sich an Rhodos und Pergamon bald eine Reihe politischer Verhältnisse an, die mehr und mehr, um die Großmächte unbekümmert, ihre eigenen, oft eigenwilligen Wege gehen; gleich in den nächsten Jahren ist Bithynien, Rhodos und Byzanz, ist Sinope und der pontische König in selbständiger Aktion, und die Attaler finden den Weg zur Freundschaft mit Rom.

Sodann ein zweites. Die altheimischen Dynastien Kleinasiens hätten möglicherweise ihren Nationalitäten treu bleiben, Widerstand gegen die neue Bildungsweise leisten können; aber man erkennt es in jedem Zuge, wie sie mehr und mehr von derselben ergriffen, hellenisiert werden. Bis Armenien hinauf können wir die sicheren Spuren davon verfolgen; nur[412] das Königtum von Atropatene bleibt, so scheint es, in strenger Sonderung davon. Wie glänzend sind die Städte, die diese Könige gründen; nicht die Attaler allein wetteifern mit den Lagiden, Kunst und Wissenschaft zu fördern; schon beginnen sich diese Fürsten Kleinasiens selbst in literarischer Tätigkeit zu gefallen und ihr Diadem mit dem beneideteren Ruhme wissenschaftlicher Auszeichnung zu schmücken.

Es muß späteren Darstellungen vorbehalten bleiben, die Literatur und Wissenschaft dieser Zeit in ihrem Zusammenhang zu verfolgen; aber es ist notwendig, schon hier auf diese Sphäre von Entwicklungen hinzuweisen; da die ungemein fragmentarische Überlieferung der staatlichen Geschichte, wie sie uns vorliegt, weit entfernt, ein volles und anschauliches Bild zu gewähren, vielleicht die Vorstellung erwecken könnte, als habe in so unablässig wüstem Hader alles andere Mögen und Können spurlos untergehen müssen. Und doch wie großartig, umfassend, an neuen, für immer bedeutenden Resultaten reich ist die wissenschaftliche Tätigkeit dieser Zeit, wie rasch und tief eindringend deren Beziehung zu den Ansichten und Überzeugungen der Mitlebenden, in mannigfachster Abspiegelung erkennbar bis in die Alltäglichkeit des geselligen Verkehrs und die Denkweise der Menge hinab; ja man wird behaupten dürfen, daß die geistigen Interessen überhaupt nie zuvor so weit verbreitet, so lebendig, von so persönlich und allgemein bedeutsamem Inhalt gewesen sind; sie sind ein Gemeingut der gesamten hellenistischen Welt geworden; sie scheinen nur um so lebendiger zu werden, je bunter das Kämpfen her und hin, je unruhiger und wechselvoller die Politik und ihre Resultate werden. Vergesse man in der Gesamtanschauung dieser Zeit über den dunklen Bildern von Bruderkriegen, Städtezerstörungen, blutiger Gewaltherrschaft, höfischer Verworfenheit nicht die lichteren Seiten, – den Glanz unzähliger aufblühender Städte, die fröhliche Pracht mannigfaltigster künstlerischer Produktionen, die tausend neuen Genüsse, mit denen sich das Leben schmückt und bereichert, unter ihnen auch jene edleren, die der wachsende, belebende Umsatz einer ebenso geschmackvollen wie vielseitigen Literatur zu befriedigen sucht. Und alles dies in den weiten Gebieten, die der Hellenismus umfaßt, verbreitet und sie verbindend. Man denke sich jene Scharen dionysischer Künstler und ihr fröhlich wandernd Leben, jene Feste und Wettspiele der alten und neuen Griechenstädte bis in den fernen Osten hin, zu denen sich aus aller Ferne her die festlichen Theoren zur gemeinsamen Feier vereinen. Bis zu den Gründungen am Indus und Jaxartes hat man Verwandte, findet man Landsleute; der Kaufherr sucht am Serenturm die Waren für den Markt von Puteoli und Massilia, und der kühne Aitoler versucht am Ganges und in Meroë sein Glück. Die Männer der Wissenschaft durchforschen die Fernen, die Vergangenheiten, die Wunder[413] der Natur; zum ersten Male erschließen sich der besonnenen Forschung die Jahrtausende rückwärts, der Wandel der Sterne, die Sprachen und Literaturen immer neuer Völker, die das stolze Griechentum sonst als Barbaren mißachtet, deren alte Monumente es unverstanden angestaunt hat; in den festen Lichtern des gestirnten Himmels findet die Wissenschaft zum ersten Male das Maß für die Erde, deren Fernen sie nun mißt, deren große Formen sie ordnend überschaut; die unvordenklichen Erinnerungen der Babylonier, der Ägypter, der Inder versucht sie verbindend zu ordnen und ausgleichend zu neuen Resultaten auszubeuten. Alle diese vereinzelten, teils versiegten, teils in wüster Uferlosigkeit hinschleichenden Ströme der Völkerbildungen, in dem großen Becken der hellenistischen Bildung und Wissenschaft werden sie nun vereint und für alle Zeiten dem Gedächtnis bewahrt89.

Man wird in diesen glänzenden Zügen das trübe und öde Bild nicht wiedererkennen, das man sich von der hellenistischen Zeit zu machen gewohnt ist; nur glaube man ein derartiges Vorurteil nicht berechtigt, sich der Prüfung zu entziehen, und in der Erkenntnis seines Ursprungs wird man die Unsicherheit seiner Begründung erkennen.

Mit Recht staunt man die künstlerische Herrlichkeit des alten Griechentums an; aber der ästhetische und gar pädagogische Standpunkt hat die Altertumswissenschaft von ihrem historischen Boden gedrängt; man hat sich gewöhnt, jene klassische Zeit, statt sie sich in ihren Wirklichkeiten zu vergegenwärtigen, nur in der Sonnenhelle ihrer idealsten Anschauungen zu sehen; dem Adel sophokleischer Helden, der Schönheit vollendetster Götterbilder entlehnt man den Typus für jene Menschen, von denen man sich das alte Griechenland bevölkert denkt; auf diese »Blütezeit des Menschengeschlechtes« überträgt man alles Edelste und Schönste, verschwendet man alle Prädikate wahrer und falscher Bewunderung; dem Zweifel, dem nüchternen Hinschauen wehrt man als einer Profanation, tritt man entgegen mit einer Art moralischen Entrüstung; man will sich nicht darin stören lassen, zu schwärmen für die lieblichen Gaukeleien der eigenen Phantasie; und man übersieht, daß man so auch nicht einmal das erfaßt, worin jene Zeit ihr eigenstes Wesen hat, worin sie bewundernswürdig und eine stets neue Erquickung für den Betrachtenden, die edelste Pädagogik für jedes neu heranwachsende Geschlecht ist; die gesunde Fülle[414] und Straffheit aller Gestaltungen, die kecke Frische und Nähe aller Beziehungen, die dreiste Ursprünglichkeit und Zuversicht in allem Wollen und Können. So utopisch und unhistorisch in der Betrachtung des alten Griechentums, – höchstens ein Pflanzenleben mag es heißen, was man von dessen mächtig ringender und tatenreicher Entwicklung anerkennt, indem man es als »organisch« preist, – vermag man den Zusammenhang desselben mit dem Hellenismus in keiner Weise zu begreifen; wenn die Blume attischer Schönheit verblüht ist, kann ja, so meint man, nichts mehr als Verwelken und Entartung, nichts als die Zeit einer öden, ekelhaften Fäulnis folgen, dumpfe, trostlose Jahrhunderte, als deren einziger Adel die schmerzlich sorgsame Pflege aller Erinnerungen jener großen Vorzeit gilt. Da freilich ist es der Mühe nicht wert, weiter als bis zum Ausgang der »klassischen« Zeit zu forschen; kaum einen Blick der Teilnahme hat man für die unpoetischen, nüchternen, gelehrten Zeiten, die dann folgen; was soll man sich mühen, auch ihre Weise, ihre Berechtigung und Leistung zu erkennen?

Es kann die Absicht nicht sein, die Zeit des Hellenismus mit Zierden übertünchen zu wollen, die ihr nicht zukommen; im entferntesten nicht ist sie dazu angetan, eine Vorliebe zu erwecken, die der Betrachtung einen tieferen und willkommeneren Impuls zu dem des historischen Interesses hinzufügte; aber die Lieblosigkeit, der häßliche Schatten jener Parteilichkeit, hat nur zu sehr das Gedächtnis jener Zeit, die Erbin so großer Vermächtnisse, Trägerin größerer Aufgaben war, verdunkelt. Erst wenn man ihre Stärken weiß, vermag man ihrer Schwächen innezuwerden; man muß die ganze Bedeutung jener erkennen, um gegen diese gerecht zu sein.

Vor allem sie hat nicht mehr jenes gediegene, jenes naturkräftig erwachsene oder die naturwüchsigen Stoffe unmittelbar beseelende Leben früherer Jahrhunderte. Was sie davon noch zeigt, ist nur ein noch nicht zersetzter Rest, aber nicht mehr in lebendigem organischen Zusammenhang mit der übrigen Gegenwart, ist überholt durch andere, neue Gestaltungen, denen sich alle Anerkenntnis der Mitwelt und die strebende Förderung der Besten zuwendet.

In den alten Religionen, der griechischen, wie denen der hellenisierten Völker, ist nicht mehr die stille, sinnige Lebensgemeinschaft mit der Gottheit; wo sie nicht ganz zerfallen und sich verflüchtigen, schrumpfen sie zusammen zu Lehre und äußerem Gesetz, oder verkümmern in totem Dienst oder dunklen Künsten. Aber schon regen sich die Keime eines neuen tieferen Verlangens, und aus der wirren Trübung bunt gemischter Einflüsse beginnt sich ein innigeres Leben des suchenden Gemütes allgemach zu klären. Man fühlt es, wie eine durchaus andere Basis des religiösen Lebens zu gewinnen die Aufgabe ist; nicht umsonst drängt sich die gesamte philosophische[415] Tätigkeit oder richtiger die Gesamtheit jener höheren Interessen, welche der alte positive Glaube nicht mehr zu befriedigen vermag, mit steigender Energie auf das ethische Gebiet, und das Bild des Weisen, das ethische Ideal, darzustellen, wird der lebendige Mittelpunkt des weiteren Strebens.

Wir sahen im Früheren, wie dieselbe Tendenz individueller, persönlichster Entwicklung, die in sich aufzunehmen der unendliche Vorzug der Hellenen gegen die Barbaren war, die hellenische Politie von innen heraus zu zerstören begann. Eine fünfzigjährige Revolution hat die Welt durchzogen; wie durchrissen und verwandelt sind nun alle staatlichen Verhältnisse. Wohin irgend die griechische Eroberung gedrungen, und drüber hinaus, ist das Alte in jäher Zertrümmerung oder nach langsamer Verwitterung gestürzt; aus den Fragmenten, oft in wüster Eile, sind dürftig gegründete, unfest gefugte Neubauten aufgetürmt, zum Teil schon wieder halb in Trümmern, oder, ehe fertig, zerfallend, nirgends mehr aus dem ureigenen Wesen der Völker gestaltet, und wo es doch durchzudringen scheint, ist es sich selbst nicht mehr ähnlich. Wir sahen, welche seltsamen neuen Gestaltungen Griechenland so versuchte; so wenig sie dem entsprachen, was man erstrebte, so bestimmt zeigten sie den verwandelten Geist der Zeit, aus dem sie hervorgingen. Am stärksten und bewußtesten freilich war dort der Ausdruck einer neuen Zeit, aber von andern anders gedeutet und ausgesprochen, schien sie in wachsendem Zerwürfnis auch den Rest gesunder Ursprünglichkeit, der sich in den trägeren Schichten der Gesellschaft noch gerettet hatte, hinwegzuzehren. Nur in monarchischen Massenbildungen mochte man hoffen, die Möglichkeit kräftiger staatlicher Gestaltung zu finden; und je tiefer unter der geistigen Überlegenheit der neuen Herrschaft die bewältigten Völker standen, desto dreister und scheinbar sicherer gründete sich unumschränkte Regierungsgewalt und freies Schalten mit den materiellen Kräften der Untertänigen. Aber auch nur scheinbar; eben unter solchen Einflüssen entwickelten sich unerwartet an entlegenen Punkten oder in staatlich unbeteiligten Beziehungen Reaktionen, die auch jene Massenbildungen bald anzubröckeln oder von innen heraus zu zersetzen begannen.

Es wird eine tiefere Bedeutung haben, wenn sich in dem Formellen dieses Verlaufes gewisse Analogien mit dem zeigen, was in dem Bereich der christlichen Welt spät, aber dann in raschem Fortschreiten und endlich in unserem Jahrhundert in voller Schärfe hervortritt. Auch die Gegenwart ist aus dem festen Bestande ursprünglicher, naturgemäßer Verhältnisse völlig hinweggedrängt, von den umsonst angepriesenen »historischen Grundlagen« provoziert sie auf das Vernunftrecht als das edelste und lebenskräftigste Resultat historischer Entwicklung; über den verworrenen[416] oder gewaltsam gehaltenen Wirklichkeiten breitet sich ein weites Netz von Theorien und Idealen, die doch nirgend die Kraft haben, sich in dauernder, alldurchdringender Gestaltung zu verwirklichen oder das Tiefe und Tiefere drunten zu fassen und emporzuheben; – im religiösen Leben vorherrschend dieselbe Kühle oder Äußerlichkeit, dasselbe Überwiegen der Lehre und im besten Fall des äußeren Dienstes, nur daß den Inbegriff tiefster sittlicher und intellektueller Interessen in positivem Ausdruck eben doch unser Glaube umfaßt, und wir uns, solange jene Interessen nicht aufhören, das geistige Leben zu bewegen, nach aller Entfremdung und Verirrung doch immer wieder zu demselben zurückgewiesen sehen, ja, wenn nur im Irren und Suchen redlich, für ihn selbst neue und neue Bereiche finden und erwerben; – in der Philosophie, nachdem sie in ähnlicher Weise den nur historischen Glauben, die nur empirische Wirklichkeit mit großartigster Energie überwältigt hat, dieselbe Forderung der bewußten subjektiven Beteiligung, und nun endlich dieselbe Wendung zu einer ethischen Gestaltung, in der allein jener Dualismus, an dem sie sich selber krank fühlt, überwunden werde, nur daß eben die Religion selbst, in der sie ihre Lebenswurzeln hat, diese Versöhnung in unmittelbarster Gewißheit hat und weiß; – im Staatlichen dieselbe wirre, beängstigende Unruhe, die Kontinuität aller nationalen Rechtsbildungen ebenso völlig durchrissen, die klaren kristallinischen Formen eines autonomen Werdens ebenso zertrümmert und verwitternd, statt deren ebenso Gestaltungen zufälliger Siegesgewalt, willkürlich wohlmeinender Verständigungen, Bevormundung da, wo das Gefühl der Mündigkeit sich laut und lauter ausspricht, theoretische, doktrinäre Versuche, unfähig, die vorhandenen Ansprüche und Bedürfnisse zu befriedigen, gegen so irrationale Staaten- und Rechtsbildungen dann Auflehnung konfessioneller, ständischer, nationaler Oppositionen, – Erscheinungen, die denen der hellenistischen Zeit mannigfach ähneln, nur daß es in unserer Zeit die sozusagen privatrechtlichen, aus dem überwiegend sozialen Leben des Mittelalters überdauernden Trümmer ständischer, korporativer, territorialer Verhältnisse sind, gegen welche sich die rationellen Tendenzen der neuen Zeit zur Verwirklichung der reinen Staatsidee, zur definitiven Feststellung des Verhältnisses zwischen Volk, Staat und Kirche drängend erheben, während eben der Staat in seiner unmittelbarsten Ursprünglichkeit, der patriarchalische, die Theokratie, die in sich ungegliederte Politie, dem Hellenismus vorauslagen, und ihre Trümmer sein Erbe sind.

Eben das ist sein Wesen. Mit ihm zum ersten Mal erfüllen und durchdringen die Welt gemachte Zustände, Formen, die Verstandeswillkür schuf, Tendenzen, mehr von dem, was gesucht wird, als von dem, was gegeben ist, bestimmt. Es ist eine Zeit der Absichtlichkeit, des Bewußtseins,[417] der Wissenschaft, des verschwundenen Jugendhauches der Poesie, des zerstörten historischen Rechtes. Das ist die ungeheure Revolution, die seit Alexander und Aristoteles der griechische Geist über die Welt verbreitet hat. Die Zeit des Naturstaates ist dem Prinzip nach überwunden, wie in der Geschichte des Erdkörpers ähnliches geschehen; die erste granitene Schale der Menschheit in ihren starr gewaltigen Formen ist zersetzt und zerbröckelt, es beginnt sich ein Boden zu weiterer, reicherer Lebensentwicklung zu bilden. Eine völlig neue Weise des Daseins, man könnte sagen, ein neuer Aggregatzustand der Menschheit ist errungen; es gilt, demselben einen dauernden Ausdruck, eine sichernde Gestalt zu erringen, ihn tief und tiefer alle Lebenskreise durchdringen zu machen.

Und eben hier drängt sich noch ein Kreis von Verhältnissen der Betrachtung auf, den wir mit dem Namen der materiellen Interessen zusammenzufassen pflegen. Nicht als hätten sie zuvor in der Welt gefehlt, aber jetzt erst – so scheint es – werden sie eine Macht und ein Hauptgesichtspunkt administrativer Kunst. Man sehe nur, mit wie umfassender Konsequenz das Kabinett von Alexandrien die merkantile Bedeutung des Roten Meeres geltend zu machen und auszubeuten weiß, wie eine Kanalverbindung vom Kaspischen zum Schwarzen Meer projektiert wird, um der zweiten großen Straße des Weltverkehrs ihre Bedeutung neben der durch das Rote Meer zu sichern; wie Antiochos III. mit seinem glänzenden Kriegszug bis Arachosien und Karmanien vor allem den indischen Handel nach dem persischen Meer zu ziehen, mit seinen Kriegen gegen Ägypten den Warenzug aus Arabien, besonders den des Weihrauchs und der Spezereien, der bis dahin über Petra nach Alexandrien gegangen ist, seinen syrischen Küsten zuzuwenden sucht. Man sehe nur, wie sich die Bodenkultur zu einer Art rationeller Landwirtschaft erhebt, wie Könige, so Hieron von Syrakus, der dritte Attalos, Bücher darüber schreiben, welche noch lange unter den besten Büchern des Faches aufgeführt werden; wie die Seleukiden indische Gewächse in Arabien, die Lagiden karmanische, hellenische in Ägypten heimisch zu machen suchen. Bis zu welcher Vollkommenheit sich die technischen Fertigkeiten, die Maschinenkunst erhoben, dafür genügt es, an das Wunderschiff Hierons, an Archimedes und seine Verteidigung von Syrakus zu erinnern. Statt alles Weiteren darf hier ein einzelnes Faktum um so mehr aufgeführt werden, da es zugleich in den Verlauf der politischen Geschichte eingreift.

Rhodos war durch ein Erdbeben heimgesucht, das den berühmten Koloß niederwarf, die Häuser der Stadt, die Mauern, die Schiffslager zerstörte. Die eigentümliche Stellung, welche Rhodos als Freistaat, als Stapelplatz für den Handel zwischen Westen und Osten hatte, und die großartige Teilnahme, die sich von allen Seiten her zu beteiligen wetteiferte,[418] fordert zu einer Vergleichung mit den ähnlichen Schicksalen Lissabons 1755, und des größten Emporiums Deutschlands in neuster Zeit auf, und erhält durch sie erst ihr volles Licht. Die Rhodier, sagt Polybios, wußten das Unglück, welches sie betroffen, auf die eindringlichste Weise darzustellen, und ihre Legationen zeigten sowohl in den amtlichen Eröffnungen wie in Privatzirkeln die ernste Haltung und die Würde der Trauer, wie sie Vertretern eines solchen Staates bei solchem Unglück ziemte. Nur um so größer wurde der Eifer zu helfen, und Fürsten wie Städte glaubten mehr selbst zu Dank verpflichtet zu sein, als ihn für sich in Anspruch nehmen zu können. Polybios führt wenigstens von den bedeutendsten Fürsten die Zusendungen an Rhodos auf; es sind in der Tat erstaunenswürdige Spenden. Der König Hieron von Syrakus sandte teils gleich, teils wenig später 100 Talente Silber90, außerdem fünfzig Katapulten; zugleich erließ er ihnen für den Handel nach seinen Häfen den Einfuhrzoll91; endlich, als habe er zu danken, ließ er auf dem Deigma des rhodischen Hafens ein Monument errichten, den Demos von Rhodos darstellend, wie er von dem syrakusischen gekränzt wird. Ptolemaios bot unbeschreiblich glänzende Gaben, 300 Talente Silber, 100000 Artaben Getreide, Bauholz zu sechs Penteren und zehn Trieren, dann außer einer Menge anderer Materialien92 3000 Talente[419] Kupfer zur Herstellung des Kolosses, 100 Bauleute, 350 Handlanger und 13 Talente zu ihrem Unterhalt für ein Jahr. Das meiste wurde sogleich übermacht, von dem baren Gelde sofort das erste Drittel gezahlt. Dann Antigonos von Makedonien: 10000 Stück Pfähle (zu Pfahlrosten) von 24 und mehr Fuß Länge, 5000 Deckbalken von 10 Fuß, 3000 Talente Eisen, 1000 Talente Pech, 1000 Maß Teer sandte er; außerdem 100 Talente Silber; seine Gemahlin Chryseis fügte 100000 Maß Getreide, 3000 Talente Blei hinzu. Der Syrerkönig (es war noch Seleukos Kallinikos) gewährte vor allem freie Einfuhr in alle Häfen seines Reiches, schenkte zehn ausgerüstete Penteren, 200000 Maß Getreide, 10000 Ellen Holz, je 1000 Talente Harz und Seilhaar. Ähnlich diesen die Könige Prusias, Mithradates, die Dynasten Lysanias, Olympichos, Limnaios93; die Städte, fügt Polybios hinzu, die nicht minder wie die Fürsten zur Unterstützung von Rhodos nach ihrem Vermögen leisteten, möchte nicht leicht jemand aufzuzählen im Stande sein. Es ist zu bedauern, daß er nicht wenigstens einige mit ihren Leistungen aufgeführt hat; es würde zu den lehrreichsten Vergleichungen Anlaß geben. Aber auch so schon ist Material genug zu mehreren Folgerungen da, welche die staatswirtschaftlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse jener Zeit beleuchten und namentlich gegen das zweite Buch der sogenannten aristotelischen Ökonomik mit seiner Blumenlese staatswirtschaftlicher Monstrositäten ein Gegenstück bilden, unzweideutig genug, um uns zu überzeugen, daß auch in dieser Beziehung dies erste Jahrhundert des Hellenismus weit entfernt war, so roh zu sein, wie man vorauszusetzen pflegt. Vor allem wird man anerkennen müssen, daß sich eine hohe Stufe politischer Humanität darin ausspricht, wenn die verschiedenen Könige ohne Rücksicht auf gegenseitige Verfeindung oder Rivalität und ohne irgend eine Art selbstsüchtiger Benutzung des fremden Unglücks zusammenwirken zur Herstellung eines Staates, dessen Politik stets die einer energischen Neutralität war; denn bei weitem die meisten unter Polybios' Angaben sind Hilfen für den rhodischen Staat und die öffentlichen Institute. Und dies ist ein zweiter beachtenswerter Umstand. Hamburgs Schicksal94 erweckte überwiegende Teilnahme für das Einzelunglück,[420] dem Staate überließ man es, durch Anleihen für seine Einbußen zu sorgen; auch das Altertum kennt Staatsanleihen und Staatsschuld, aber es fehlt ihm die Entwicklung eines Kreditsystems, kraft dessen der Schuldschein des Staates mit dem Metallwert des üblichsten Tauschmittels und dessen Produktivität hätte konkurrieren können. Beachtenswert ist ferner der Umstand, daß Ägypten zwar die bei weitem reichsten Gaben schickt, aber nicht wie Hieron und Seleukos die zollfreie Einfuhr gewährt, und gerade diese mußte in der eigentümlichen merkantilen Stellung von Rhodos von der ausgedehntesten Wirkung sein. Dann aber endlich, was veranlaßte die Fürsten und Städte zu so überreichen Hilfen? Der König des kleinen syrakusischen Gebietes hat außer der Zollfreiheit und den fünfzig Geschützen ein Geschenk an Silber gemacht, das die reichste Gabe eines Königs an Hamburg reichlich um die Hälfte übersteigt; und der Ausdruck des Polybios von der unzähligen Menge der beisteuernden Städte darf wohl so ausgedeutet werden, daß keineswegs diese Art der Beihilfe geringfügig war, etwa in dem Maße geringfügiger, als sie in den Hamburger Beiträgen bedeutender erscheint. Woher also dieser Eifer zu unterstützen? Man wird doch nicht meinen dürfen, daß das heidnische Altertum und gar diese Zeit mehr Nächstenliebe besaß als die Gegenwart; und waren die Verluste von Rhodos, wie wahrscheinlich, ungleich größer, so kann dies ja auch nur in dem Maße größere Anstrengung zu helfen hervorgerufen haben, als außer dem Bedürfnis des Wohltuns bei Königen und Städten Beweggründe, dem Notstand der Rhodier abzuhelfen, vorhanden waren. Man wird nicht irren, wenn man diese Beweggründe namentlich in der merkantilen Bedeutung von Rhodos sucht; sie war zugleich der Hauptinhalt der politischen Wichtigkeit der Insel. Ich wage es auszusprechen, daß in den Geschenken der Könige, wie sie Polybios anführt, wenigstens ein ungefährer Maßstab für die merkantile Wichtigkeit von Rhodos gegeben ist; wie bei dem Unglück Hamburgs wird man die Möglichkeit einer allgemeinen Erschütterung aller Handelsverhältnisse zu fürchten gehabt und alle Anstrengungen machen zu müssen geglaubt haben, dem vorzubeugen. Wenn dieser Gesichtspunkt richtig, ja wenn er es auch nur zum Teil ist, so ergibt sich ein überraschendes Resultat für die Ausdehnung der Merkantilinteressen in dieser Zeit. Mag immerhin Rhodos ein Hauptpunkt des damaligen Weltverkehrs gewesen sein, wenn von allen Seiten solche Anstrengungen zur Erhaltung dieses einen Platzes gemacht wurden, so liegt darin gewiß ein hinreichender Beweis, daß seine merkantile Tätigkeit nicht ausschließend oder niederdrückend,[421] sondern fördernd, ja eine Lebensbedingung für diejenigen Gebiete war, von denen aus so reiche Unterstützungen flossen; die Blüte von Rhodos beweist die gleichzeitige Blüte des mittelländischen Verkehrs überhaupt. Und diese steht durch anderweitige Notizen nicht minder fest. Um von Karthago nicht näher zu sprechen, das imstande war, sich von den ungeheuren Verlusten des ersten römischen Krieges in zwei Jahrzehnten völlig zu erholen, Massilia, Alexandreia, Smyrna, Byzanz, Herakleia, Sinope waren Mittelpunkte eines Verkehrs, der seine Lebensadern bis zu den arabischen Küsten, dem reichen Indien, ja, wie es Münzfunde zu bewähren scheinen, bis an die Küsten des Bernsteinmeeres hin ausdehnte.

Diese Vorstellungen alle wird man sich gegenwärtig halten müssen, um vom ersten Jahrhundert des Hellenismus ein richtiges Bild und für seine weltgeschichtliche Stellung den rechten Gesichtspunkt zu gewinnen. In solchen Resultaten bewährt sich die hohe Bedeutsamkeit jener weltumfassenden Einheit, die seit Alexanders Eroberung und durch den Geist griechischer Bildung sich zu entwickeln begonnen hat, und die, weit hinaus über die sporadische Blüte alter Kulturvölker wie über die tote Uniformität gleich erniedrigter Nationen unter persischem Joch, vor allem in dem kosmopolitischen Charakter der griechischen Bildung, die die stolze Scheidung von Griechen und Barbaren von der Hand zu weisen gelernt hat, ihre Energie weiß. Wie anmaßlich auch der Name der Makedonen an den Höfen der Könige auftreten, wie bald entartet die Königsherrschaft selbst die alten Geleise morgenländischer Despotie wiederfinden, wie für das Gemüt öde und der wüsten Unruhe rein egoistischer Interessen, rein endlicher Gewalten verfallen das Leben der Masse und der Einzelnen erscheinen mag, – die große Errungenschaft der Geschichte ist dem Menschengeschlecht nicht mehr zu entreißen, und alle Entartung, Bedrückung und Zertrümmerung dient nur, sie desto stärker zu entwickeln, desto fester zu bewahren.

Hierüber zum Schluß noch ein Wort; die Verhältnisse des Hellenismus im fernen Osten mögen zur Anknüpfung dienen.

Jenseits der Kaspischen Pforten hat sich bereits eine Reihe neuer Bildungen begründet, in denen der dortige Hellenismus schneller, aber auch oberflächlicher seine Stadien durchlaufen zu wollen scheint. Der Hellenismus ist ja eben die Vermischung des Hellenisch-Makedonischen mit dem lokalen, dem ethnischen Leben anderer und anderer Bereiche. Dann scheint es zu gelten, welcher von beiden Faktoren das bestimmende Übergewicht gewinnen soll; aber in eben diesem Ringen erzeugt sich das völlig Neue, das auch da sich herausstellt, wo nicht einmal die Bildungsformen, die das Griechentum erarbeitet hat, sich durchzusetzen vermögen.

Vielleicht die Arsakiden in Parthien, gewiß die Satrapen vom Jaxartes[422] bis zum Indischen Meere, die sich zu selbständiger Fürstengewalt erhoben, sie mit ihrer Macht waren Fremdlinge in den Bereichen ihrer Herrschaft, Fremdlinge der Masse der Bevölkerung gegenüber, über welche sie herrschten. Aber während die Satrapen sich überwiegend auf die griechischen Elemente innerhalb ihrer Gebiete stützen und sie begünstigen mußten, hatten die Partherkönige, wenn sie sich auch Philhellenen nannten und sich selbst in gewissen Formen dem Hellenistischen anschlossen, doch eine nähere Verwandtschaft zum Einheimischen, und spätere Darstellungen werden zu zeigen haben, wie sie bald darin ihre rechte Bedeutung finden, das Einheimische gegen jenes Fremde zu vertreten. Ja man darf sagen, die Parther selbst sind nur die erste Welle jener turanischen Überflutungen, welche im Verlauf der nächsten zwei Jahrhunderte die Gesamtheit hellenistischer Bildungen zwischen dem Jaxartes, dem Ganges und dem Indischen Meere überdecken werden, Überflutungen, in denen noch geraume Zeit die Scheiter und Trümmer der hellenistischen Zeit auf der Oberfläche treiben.

Denn das ist hier wie überall in den Ausgängen des geschichtlichen Altertums das merkwürdige Verhältnis, daß nicht etwa die alt ursprüngliche Heimatlichkeit den Sieg über das Fremde gewinnt. Die Parsenfürsten in Atropatene vermögen nichts gegen die vordringende Parthermacht, und nicht die großen Könige am Ganges siegen über die hellenistischen Fürsten an beiden Ufern des Indus. Soweit der Pulsschlag der Alten Geschichte fühlbar ist, haben die Bevölkerungen die alte naturgeborene, die ethnische Kraft ihres Volkstums verloren, haben sich zu einer wie auch immer denaturalisierten Bildungssphäre zersetzt, die, unfähig, dem mächtigen Ansturz noch ungeschwächter Staaten, Völker, Horden zu widerstehen, besiegt dann doch wieder die Sieger überschleicht und überwindet mit eben jener nicht mehr äußeren Gewalt, die das Resultat ihrer zersetzten ethnischen Kraft und selbst von zersetzender Kraft ist.

In den Religionen konzentriert sich am augenfälligsten der Umschwung der verwandelten Welt. Aus der alten Brahmanenlehre entwickelt, erhebt sich der Buddhismus, um, aus seiner Heimat nach langem Kampf unter furchtbarster Verfolgung vertrieben, den Osten der Welt mit seinen stillen Siegen zu durchziehen. Aus der alten Lehre des Zoroaster erhebt sich ein völlig reformiertes, von neuen Gedanken durchwehtes Parsentum, den Gesamtbereich der iranischen Feste spät noch einmal mit dem reinen Feuer zu schmücken und in geklärter Läuterung und spekulativer Vertiefung endlich das Königtum der Sassaniden, »der Ormuzdverehrer«, zu gründen. Die mathematische Selbsttäuschung der Chaldäerkunst, die trüben Mysterien des Sarapis und der Isis durchdringen sich mit der ernüchternden Abklärung des Euhemerismus zu jener schillernden Giftluft der Bildung, die das sieggewaltige, in gesunder Kraftfülle strotzende Rom mit steigender[423] Begier einsaugt; bis dann zuletzt aus der alten Jehovahlehre unter dem jähen Konflikt mit den hellenistischen Mächten die messianischen Ideen sich in immer lauterer, dringenderer Mächtigkeit emporarbeiten, das Erscheinen des Retters, die Menschwerdung des »Wortes«, das Gott selbst ist, erharrend, – eine Hoffnung, wie sie, schon nicht mehr der Lehre des alleinigen Gottes getreu, mit Deutungen hellenistisch infizierter Exegese aus den Büchern des Gesetzes bestätigt wird.

Und hier zum ersten Male ist es, daß wir die Jehovahlehre in Beziehung auf die hellenistische Entwicklung zu nennen haben; hier ist der Punkt, wo sie mit der ganzen Energie ihrer Bedeutung in den Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung eintritt. Seit unvordenklicher Vorzeit steht sie, auf kleinen Raum beschränkt, einsam da inmitten der Religionen heidnischer Völker, sie allein in der zentralen Mächtigkeit ihres Gottesbewußtseins gegenüber der peripherischen Fülle und Unruhe jener, deren Blicke die Welt umfangen hielten. Sie hat das unmittelbar und als Ausgangspunkt, was jenen als Resultat ihrer Entwicklung und eben darum so völlig anders aufzugehen beginnt, – während sie selbst das entbehrt oder als Abfall und Entartung und doch vergebens verdammt, worin jene ihre Kraft und Berechtigung hatten. Nun endlich tritt dieser letzte und tiefste Gegensatz der Alten Geschichte Stirn an Stirn widereinander; es beginnt die letzte, die entscheidende Arbeit des sich erfüllenden Altertums; es vollendet sich, »als die Zeit erfüllet war«, in der Erscheinung des menschgewordenen Gottes, in der Lehre des Neuen Bundes, in dem jener letzte und tiefste Gegensatz überwunden sein, in dem Juden und Heiden, die Völker aller Welt, in ihrer ethnischen Kraft gebrochen und auf den Tod erschöpft, endlich, wie die Propheten verhießen, die Weisen geahnt, die Sibyllen, der Völker Mund, laut und lauter gerufen, Trost und Ruhe und für die verlorene Heimat hienieden eine höhere, geistige, die in dem Reiche Gottes, finden sollten.[424]


Quelle:
Johann Gustav Droysen: Geschichte des Hellenismus. Tübingen 1952/1953, Band 3, S. 346-425.
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