Zweites Kapitel

311-308
Der junge König Alexander in Kassandros' Haft – von Kassandros ermordet – Mutmaßlicher Krieg des Antigonos und Seleukos – Ptolemaios als Befreier der Griechen – Abfall des Strategen Polemaios – Wanderung der Autariaten – Herakles als Prätendent des Reiches – Ptolemaios' Rache gegen Nikokles von Kypros – Ptolemaios an der Küste Kleinasiens – Herakles' Ermordung – Tod des Strategen Polemaios – Gründung von Lysimacheia – Ptolemaios in Griechenland – Agathokles von Syrakus – Ophellas von Kyrene – Ophellas' Tod vor Karthago – Kyrene von Magas unterworfen – Kleopatras Tod.

[255] Es gibt aus dem Ende des Jahres 311 ein merkwürdiges Monument, eine hieroglyphische Inschrift22, in welcher die Priester von Pe und Tep erzählen, wie Se. Heiligkeit der Statthalter von Ägypten Ptolemaios ihren Tempeln das Landgebiet Potanut auf der libyschen Seite des Delta, das ein ägyptischer König – in der Zeit des Dareios und Xerxes – geweiht, von neuem geschenkt habe. Die Inschrift erzählt, wie es geschehen: der Satrap,[255] der sich immer wie ein Held bewährt und schon Großes an den Tempeln Ägyptens getan, sei eben ausgezogen nach dem Lande der Syrer, die mit ihm in Krieg verwickelt waren, »er ging auf sie los mächtigen Mutes, wie der Geier unter den Vögeln; nachdem er sie allzumal gepackt, führte er ihre Fürsten, ihre Pferde, ihre Flotten und alle ihr Kunstwerk ab nach Ägypten«. Man erkennt die Schlacht von Gaza und ihre nächsten Folgen; die weiteren werden übergangen. Es heißt sogleich darauf: »Hernach, als er aufgebrochen war nach dem Gebiet der Mer-mer-ti, packte er sie zu einer Zeit und führte ab ihre Leute, Männer und Weiber samt ihren Rossen als Vergeltung dessen, was sie getan hatten, an Ägypten.« In dem genannten Volke hat man, wohl mit Recht, die Marmariden zu erkennen geglaubt, die im Süden der Kyrenaika und bis gen Ägypten hin wohnten. Also diese hatten – wohl im Zusammenhang mit dem Abfall des Ophellas in Kyrene und während des schweren Krieges Ägyptens gegen Antigonos – Frevel gegen Ägypten geübt, für die sie gezüchtigt werden mußten. In welchem Zusammenhang mit diesen Vorgängen – etwa verwüstenden Einfällen der Mer-mer-ti – die Schenkung an die Tempel von Pe und Tep steht, erhellt aus der Inschrift nicht. Die Schenkung selbst ist auf dem Inschriftstein bildlich dargestellt: rechts bringt ein König mit dem Diadem geschmückt dem Gott Horos von Pe, links derselbe König der Göttin Buto von Tep sein Geschenk dar; der König ist auf beiden Seiten mit den sogenannten Königsschildern bezeichnet, aber sie sind unbeschrieben. Die Inschrift beginnt mit den Worten »Im Jahre 7 im Monat Thoth unter der Regierung des Königs Alexander, des immerdar lebenden« usw.

Warum steht in den Königsschildern nicht des Königs Name, warum doch in der Datierung des Monumentes? Die Antwort wird sich aus dem Zusammenhang der gleichzeitigen Begebenheiten ergeben.

In dem Frieden des Jahres 311 war ausdrücklich der jetzt zwölfjährige Alexander als König anerkannt, überdies bestimmt worden, daß bis zu seiner Mündigkeit Kassandros als Stratege von Europa für ihn sorgen solle. Kassandros hatte den Knaben und seine Mutter Roxane seit dem Jahre 316 in seiner Gewalt; er hatte sie zu Amphipolis in Haft gehalten, und wenn im Laufe des Krieges von dem Gegner verkündet worden war, er vertrete das Interesse des königlichen Knaben, so mochte das nicht gerade dazu gedient haben, dessen Lage zu verbessern. Es ist wahrscheinlich, daß in dem Frieden des näheren bezeichnet worden war, Alexander[256] solle aus der unwürdigen Haft befreit, königlich gehalten, seiner Bestimmung entsprechend erzogen werden. Und das auszuführen, war Kassandros bestimmt! Er gewann nichts, wenn er es tat; wohl aber konnte er voraussehen, daß sich sofort alles, was ihm feind war, als Partei um den königlichen Knaben sammeln werde, daß, während die übrigen Machthaber, fern vom König, ihre fast unumschränkte Herrschaft behielten, selbst sein Einfluß in Makedonien auf das Spiel gesetzt, daß selbst seine persönliche Sicherheit gefährdet sei, da er stets Alexanders Namen und Geschlecht mißehrt und verfolgt, hatte. Und was vermochte er dagegen? Zu groß war die Anhänglichkeit des Volkes für das Gedächtnis des großen Königs, als daß er sich dem Sohne desselben gegenüber hätte behaupten können; und hätte er wider den Knaben auswärtige Hilfe heranziehen wollen, so suchte und fand dessen Partei bei dem übermächtigen Antigonos Rückhalt und Unterstützung. Sein Haß, seine Herrschsucht, die Sorge für die eigene Sicherheit verbot ihm, den Frieden zu erfüllen; er ließ den königlichen Knaben in Haft.

Seit vier Jahren mochte der Name des jungen Königs in Makedonien nicht vergessen, wohl aber gemieden sein; Kassandros herrschte despotisch und gewaltig; er wird gesorgt haben, daß nirgends eine Äußerung der Teilnahme für den unglücklichen Knaben laut wurde, daß sein Volk ebensowenig von ihm sah und hörte, wie er selbst verborgen, traurig, teilnahmslos, ohne von der Welt, seinem Reiche, seinem Volk zu wissen, aufwuchs. Jetzt gab der Friede seinen Namen den Makedonen zurück, jetzt hatte jeder das Recht, ihn den alleinigen und rechtmäßigen König zu nennen. Auch ohne ausdrückliche Angaben darüber wird man sich vorstellen dürfen, wie lebhafte Teilnahme für ihn rege wurde; er war der Erbe, der Sohn des großen und glorreichen Königs; ein schuldloses Kind, hatte er endloses Unglück erduldet, und doch war alles Große und Herrliche des makedonischen Namens sein Erbteil; nun hatte ein schwerer Krieg sein Recht als das einzige, in welchem Frieden und eine sichere Zukunft sei, besiegelt, nun endlich durfte man ihn den einzigen festen Punkt, auf den sich der Blick zu richten habe, die Hoffnung des Reiches nennen, man durfte sich von ihm, von seiner Schönheit, den Äußerungen seines vielversprechenden Geistes erzählen, durfte an seines großen Vaters Knabenzeit zurückdenkend in dem Sohne des Vaters Bild wiederfinden, durfte ihn preisen und ihm zujauchzen als dem, dessen Schläfe bald das Diadem Asiens und Europas schmücken, in dem sich die Herrlichkeit des makedonischen Namens erneuen werde, – es mußte sein, als wenn aus den blutigen Kämpfen, die seit seines Vaters Tod gewütet, aus diesem nächtigen und wildstürmenden Meere, in ihm der Morgen eines friedlichen und schöneren Tages emporsteige.[257]

In unseren abgeblaßten Überlieferungen heißt es: es sei die Rede gegangen, daß es sich gebühre, den königlichen Knaben der Haft zu entlassen und ihm das väterliche Königtum zu übergeben. Kassandros zögerte, es zu tun; um so lauter mögen sich solche Stimmen erhoben, sie mögen bald einen bedenklichen Charakter angenommen haben; es schienen, wie eine Andeutung in der Überlieferung erkennen läßt, bestimmte, gewiß nicht unbedeutende Männer zu sein, die in diesem Sinne aufregten; es mochte scheinen, als wenn, falls nicht bald gewillfahrt würde, das Ärgste drohe. Um so minder glaubte Kassandros weichen zu dürfen; er hatte zu lange gesäumt, um noch gewähren zu können, es war zu weit gekommen, als daß er länger hätte versagen dürfen; ihm blieb nichts als das furchtbarste Mittel. Er sandte an Glaukias, den Befehlshaber in Amphipolis: »In aller Stille morde den Knaben und die Mutter; verscharre die Leichname; sage niemandem, was geschehen ist.« Die blutige Tat wurde vollbracht, und unter dem Dolche fiel der Knabe Alexander und seine schöne Mutter.

Keine Überlieferung sagt uns, wie die Tat von den Makedonen aufgenommen worden; eine schnelle, sichere Kunde hätte vielleicht plötzliche Wirkung hervorgerufen; das Geschehene wurde verheimlicht, allmählich bekannt, dann bezweifelt, geglaubt, beklagt, wirkungslos. Wie die anderen Machthaber die Tat aufgenommen? Es ist zweifelhaft, ob sie von ihnen gebilligt worden, noch zweifelhafter, daß sie Kassandros mit ihrer Beistimmung oder gar nach einer geheimen Klausel im Frieden hat vollbringen lassen. Freilich war sie im Interesse des Ptolemaios, des Seleukos, des Lysimachos; mit dem Tode des letzten rechtmäßigen Erben Alexanders hätte Antigonos kein besseres Recht mehr auf das Ganze als jeder in der Koalition gegen ihn und auf seinen Teil des Ganzen; mit welchem Vorwand hätte er jetzt noch die Parition fordern können, die er bisher nicht die Macht gehabt hatte, von ihnen zu erzwingen? Aber wie hatte Antigonos das junge Leben, dessen Erhaltung ihm so Großes bedeutete, in der Hand dessen lassen können, von dem er genug wissen mußte, um ihm zu mißtrauen? Vielleicht, um mit diesem Pfande, das er in dessen Hand ließ, eine Handhabe mehr zu haben, ihn zu zügeln und zu halten. War der königliche Knabe in den feierlichen Formen jenes Friedens in seinem Recht als König gleichsam von neuem bestätigt, so mußte sich um ihn eine Partei bilden, die, wesentlich gegen Kassandros gewandt, dem Reichsverweser, in dem sie ihren Rückhalt suchen mußte, einen wachsenden Einfluß sicherte; gewiß nicht ohne solchen Zusammenhang waren die Umtriebe bedeutender Männer zugunsten des königlichen Knaben, die dessen Tod nur zu beschleunigen gedient hatten. Mit diesem Morde waren nun die wesentlichen Basen des Friedens von 311 gebrochen; jetzt wäre[258] der Reichsverweser befugt gewesen, nicht bloß selbst Rechenschaft von dem zu fordern, dem der königliche Knabe anvertraut gewesen war, sondern diejenigen, mit denen er jenen Frieden geschlossen, zu gemeinsamer Aktion gegen denselben aufzurufen.

Wir erfahren nichts von Schritten der Art, von diplomatischen Verhandlungen aus Anlaß dieser Ermordung, weder von seiten des Antigonos, noch der anderen Machthaber. War etwa auch Antigonos zufrieden, daß es so gekommen? Und wenn er es nicht war und nicht sein konnte, warum ergriff er nicht die Initiative zu gemeinsamen Schritten? Warum benutzte er den geschehenen Frevel nicht, gegen den Frevler einzuschreiten? Warum brach er nicht sofort auf nach Makedonien, wo er den größten Anhang gerade jetzt zu finden hoffen durfte? Oder hat er es getan, und es schweigen nur die Überlieferungen davon?

Letzteres erscheint am mindesten wahrscheinlich. Beachtet man, in welchem Verhältnis Antigonos seit dem Frieden zu Seleukos stand, so wird man zu einer anderen Vermutung veranlaßt. Nirgends erwähnt der Schriftsteller, der für diese Zeit unsere Hauptquelle ist, in welcher Weise sich jenes Verhältnis gelöst hat; und doch erscheint Seleukos bei Diodor, sobald er wiederum seiner erwähnt, als Herr Babylons und der oberen Provinzen; auch kein anderer Schriftsteller erwähnt eines Krieges um Babylon, und doch war seit dem Winter 31211 die Landschaft durch Demetrios wiedererobert und mit einer bedeutenden Besatzung gesichert worden, und Antigonos selbst, so mußten wir voraussetzen, schloß den Frieden besonders in der Absicht, um den Krieg gegen Seleukos, der sich der oberen Provinzen versichert hatte, zu führen. Dieser Krieg scheint während des folgenden Jahres geführt, durch ihn Antigonos gehindert worden zu sein, unmittelbar in die Verhältnisse des Westens einzugreifen. Seleukos scheint auf die Nachricht vom Fall Babylons aus den oberen Satrapien heimgekehrt zu sein; die Babylonier haßten das Regiment des Antigonos, dessen Sohn so gräßlich in ihrem Lande gehaust hatte; sie werden sich sofort ihrem früheren Herrn angeschlossen haben. Während für den Westen Friede geschlossen wurde, muß um Babylon ein Krieg geführt worden sein, auf den allein ein paar Andeutungen zu beziehen sind, welche sonst ohne Zusammenhang dastehen. Es heißt bei Arrian23: »Die dem Seleukos Nikator von dem Lagiden Ptolemaios nach Babylon zugeschickten Leute zogen, nachdem sie in acht Tagen einen Isthmos durchschritten hatten, durch ein wasserloses und ödes Land in größter Eile auf Kamelen, indem sie Wasser auf den Kamelen mit sich führten und bei Nacht reisten.« Allerdings hat Ptolemaios in dem Frieden die[259] Sache des Seleukos, den er verloren glaubte, preisgegeben; aber da er ihn mit bedeutender Macht zurückkehren sieht, so ist nichts natürlicher, als daß er ihm Hilfe zusendet, da er mit ihm in Antigonos seinen gefährlichsten Gegner kennt. Antigonos selbst scheint dann gegen Seleukos zu Felde gezogen zu sein; Polyän erzählt24: »Seleukos ordnete dem Antigonos gegenüber sein Heer, ein Treffen erfolgte; ehe es entschieden war, kam der Abend; mit dem nächsten Morgen schien der Kampf erneut werden zu müssen; Antigonos ließ sein Heer lagern, nach dem anstrengenden Tage auszuruhen; Seleukos dagegen befahl den seinen, in der Schlachtordnung zu bleiben, die Waffen nicht abzulegen, so auszuruhen; mit dem nächsten Morgen stand er kampfbereit da, überfiel den Feind, als er sich zum Ausrücken anschickte, und gewann mit leichter Mühe den Sieg.« So seltsam dieses Strategem ist, so zeigt es doch, daß ein Kampf vorgefallen ist, in welchem Seleukos Sieger blieb25. Hierauf wird ein Friede gefolgt sein, in welchem an Seleukos Babylon und die oberen Landschaften abgetreten wurden; derselbe dürfte frühestens in das Jahr 310 zu setzen sein.

Wenn Antigonos durch einen förmlichen Friedensschluß den ganzen Osten aufgab, so geschah es in der Tat nicht ohne die dringendste Notwendigkeit; die Verhältnisse im Westen hatten eine Wendung genommen, die ihn auf das schwerste gefährdete.

Wenn es unzweifelhaft Antigonos gewesen war, der im Frieden von 311 die Freiheit der hellenischen Städte gefordert und zugestanden erhalten hatte, so war dies in erster Reihe für ihn eine Friedensgarantie gewesen, die ihn und den geschlossenen Frieden gegen Kassandros sicherstellte; sowie dieser sich nicht in dessen Schranken hielt, hatte Antigonos mit jenem Artikel die Befugnis und als Reichsverweser die Kompetenz, Kassandros' Macht an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen; und er selbst sicherte sich mit den erregten Freiheitshoffnungen der Hellenen einen unermeßlichen Einfluß auf die öffentliche Meinung der Griechenwelt. Gewiß sahen seine Gegner nicht ohne Sorge auf sein Unternehmen gegen Seleukos; wenn dieser ihm erlag, wenn er seine Macht um die Satrapien des Ostens vermehrte, so hatten die drei westlichen Machthaber allen[260] Grund, für ihr künftiges Schicksal besorgt zu sein. Der kluge Lagide erkannte die Gefahr und fand das sicherste Mittel, ihr zu begegnen.

Wie viel oder wenig seine unmittelbare Hilfesendung nach Babylon bedeutet haben mag, von unendlich größerer Wirkung war die Diversion, die er im Rücken des Antigonos machte und machen konnte, ohne den mit ihm geschlossenen Frieden zu brechen. In diesem war die Autonomie und Freiheit der griechischen Städte ausgesprochen; unsere Überlieferungen sagen nicht, in welchem Umfang. Aber hatte Antigonos nicht denen am Pontos, als sie 314 gegen den Satrapen von Thrakien ihre Autonomie geltend zu machen versucht, Truppen und Schiffe zu Hilfe gesandt? Hatten so gut wie diese nicht alle hellenischen Städte das Recht, die Anerkennung ihrer Freiheit zu fordern? Widersprach nicht Antigonos sich selbst, wenn er mit seinen Besatzungen die Städte der kleinasiatischen Küste sowie die Inseln bis Hellas hinüber in Botmäßigkeit, sein Stratege Polemaios die wichtigsten Positionen in Hellas besetzt hielt? Die Macht des Antigonos schwer zu treffen, gab es kein besseres Mittel und keinen populäreren Vorwand, als jenem Artikel von 311 die Bedeutung eines allgemeinen Prinzips zu geben, die Berechtigung aller griechischen Städte zur Freiheit auszusprechen und für sie einzutreten; eine Maßregel, mit der Ägypten nichts verlor, da die Städte der Kyrenaika unter Ophellas abgefallen und in dem Frieden von 311, wie es scheint, in ihrer Autonomie anerkannt waren.

Das war die große politische Diversion, die der Lagide machte. Er sandte an die Städte, die unter dem Einfluß des Kassandros und Lysimachos standen, er forderte sie auf, die Sache der Freiheit mit ihm zu vertreten: Antigonos habe diese schönste Bedingung des Friedens nicht erfüllt, seine Besatzungen aus den freien Staaten nicht entfernt; er werde es noch weniger tun, wenn er den Kampf im Osten glücklich beendet habe und dann doppelt mächtig sei; jetzt sei es noch Zeit, die Freiheit zu verwirklichen. Zu gleicher Zeit ging sein Feldherr Leonidas nach dem Rauhen Kilikien unter Segel, nahm die Städte dort, die sich in Antigonos' Gewalt befanden; sie konnten ja allenfalls als griechische gelten.

Um dieselbe Zeit traf des Antigonos Sache in Hellas ein zweiter schwerer Schlag. Sein Neffe Polemaios, der Stratege am Hellespont war und während des letzten Kriegsjahres mit vielem Erfolg in Griechenland gekämpft hatte, glaubte sich von seinem Oheim nicht hinreichend belohnt; es scheint, daß er sich Hoffnung auf die Strategie in Griechenland gemacht hatte, die der alte Polyperchon behielt, daß ihm geheißen wurde, in seine Strategie am Hellespont zurückzukehren. Im Besitz einer bedeutenden Heeresmacht und Herr in dem größten Teil Griechenlands, glaubte er Höheres gewinnen zu können, wenn er die Sache seines Oheims verriet[261] und zu Kassandros übertrat; an Phoinix, dem er während seiner Abwesenheit den Befehl am Hellespont überlassen hatte, sandte er Truppen und die Weisung, die Städte und Festen des Landes wohl zu bewahren, Antigonos sei nicht mehr sein Herr.

Um dieselbe Zeit, so scheint es, gelang es Lysimachos, Kallatis, das sich so lange auf das tapferste verteidigt hatte, durch enge Einschließung zum Äußersten zu bringen; die Not in der Stadt wuchs so, daß 1000 der Bürger, um nicht Hungers zu sterben, aus der Stadt zum König Eumelos am Bosporos flüchteten26; aber daß er die Stadt genommen, wird nicht berichtet. Diese thrakische Pentapolis scheint sich, mit dem Skythenreich des Eumelos als Rückhalt, immer wieder in ihrer Selbständigkeit gegen Lysimachos behauptet zu haben.

Auch Kassandros hatte mit Erfolg gekämpft; Audoleon, der Fürst der Paionen, hatte, von den Autariaten, die aus ihrem Gebiet ausgewandert waren27, gedrängt, ihn um Hilfe gebeten; er war ihnen entgegengezogen, hatte sie bewältigt und siedelte den ganzen Volksstamm, an 20000 Menschen, im Orbelos an. Durch die Verbindung mit dem Strategen Polemaios war seine Macht bedeutend verstärkt, im Inneren wagte die Partei, die für den jungen Alexander aufgetreten war, nicht mehr ihr Haupt zu erheben, und Ptolemaios von Ägypten war trotz seines Kampfes für die Freiheit der hellenischen Städte, die auch ihn hätte beeinträchtigen können, sein natürlicher Verbündeter.

Diese Verhältnisse scheinen sich im Westen entwickelt zu haben, während Antigonos noch im Osten kämpfte. Sofort sandte er seinen jüngeren Sohn Philippos nach dem Hellespont gegen Phoinix, den älteren Demetrios nach Kilikien, die von Leonidas besetzten Küstenstädte möglichst bald wiederzunehmen; es gelang diesem, die ägyptischen Truppen mußten Kilikien räumen. Größeren Erfolg noch schien die Verbindung,[262] die Antigonos mit dem König Nikokles in Kypros anknüpfte, zu versprechen. Das wichtigste war, was – vielleicht nicht ohne Wissen und Willen des Antigonos – in Griechenland geschah. Dort trat plötzlich Polyperchon auf, für Herakles, den Sohn Alexanders und der Barsine, das Königtum in Anspruch zu nehmen. Er lud ihn ein, von Pergamon, wo er mit seiner Mutter lebte, zu ihm nach Hellas zu kommen; er forderte alle, die er dem Königshause ergeben, dem Kassandros feind wußte, auf, sich mit ihm zu vereinigen, um dem Letzten vom Blute Alexanders das Reich zu retten; er schrieb an den Bund der Aitoler, ihn mit Heeresmacht zu unterstützen, versprach ihnen vielfachen Lohn, wenn Herakles im Besitz des Reiches wäre. Gern und mit bedeutender Macht kamen die Aitoler, da es galt, gegen den verhaßten Kassandros zu kämpfen, da Beute und bedeutender Lohn lockten; von allen Seiten her sammelten sich die Anhänger des königlichen Hauses, die Feinde des Kassandros; bald war ein Heer von 20000 Mann Fußvolk und fast 1000 Reitern beieinander, zu weiteren Rüstungen Geld, Waffen, Kriegsvorräte aller Art bereit; auch aus Makedonien kamen Nachrichten, die glücklichen Erfolg hoffen ließen.

Indes hatte Ptolemaios von Ägypten von den geheimen Verhandlungen des Fürsten Nikokles von Paphos28 mit Antigonos Kunde erhalten; er fürchtete für den Besitz der Insel, da er auch andere Fürsten zum Abfall geneigt wußte und diejenigen, welche schon früher gegen ihn gestanden hatten, Zusammenkünfte hielten; er eilte, die Gefahr im Keime zu ersticken. Er sandte Argeios und Kallikrates von den Freunden nach Kypros, mit dem Befehl, den Fürsten Nikokles aufzuheben. Beide segelten nach der Insel, empfingen dort von dem Strategen Menelaos Truppen, umringten mit diesen unerwartet den Palast des Fürsten, traten ein, verkündeten ihm, daß alles entdeckt sei, daß Ptolemaios ihm befehle, sich sofort umzubringen. Der Fürst versuchte, sich zu rechtfertigen; es half ihm nichts; er erhenkte sich; auch des Fürsten Brüder, an Rettung verzweifelnd, nahmen den Tod. Als das des Fürsten Gemahlin Axiothea hörte, eilte sie mit dem Dolch in das Gemach ihrer Töchter und durchbohrte sie, damit ihr jungfräulicher Leib nicht den Feinden zur Schande preisgegeben werde; dann berief sie ihrer Schwäger Gemahlinnen in den Palast: nun sei es nicht mehr wert zu leben, der gräßliche Blutdurst des Ägypters dränge sie alle in den Tod, so möchten sie ihn freiwillig nehmen. Sie verschlossen die Pforte der Frauengemächer, sie eilten auf das Dach des Hauses; unten hatte das Volk auf die gräßliche Kunde sich versammelt; vor den Augen des Volkes erwürgten sie die Kinder in ihren Armen, legten dann Feuer in das Gebälk, und als die Feuersbrunst emporschlug,[263] warfen sich die einen in die Flammen, andere durchbohrten sich mit dem Dolch, Axiothea selbst verwundete sich tödlich, stürzte sich sterbend in die Glut. So endete das Fürstengeschlecht von Paphos.

Wenn zu diesen Vorgängen aus dem Jahre 310 wohl noch der mutmaßliche Friede zwischen Antigonos und Seleukos hinzuzufügen ist, so war nun freilich im ganzen Reiche Alexanders dem Namen nach Friede; denn des Polyperchon Unternehmen für Herakles konnte offiziell von Antigonos schwerlich anerkannt sein; seines Sohnes Philippos Zug nach dem Hellespont galt einem Empörer; des Lagiden Bemühungen, die Freiheit der griechischen Städte ins Werk zu setzen, hatte in dem Frieden von 311 ihre Rechtfertigung; und wenn Demetrios die Besatzungen, die der Satrap von Ägypten in die Städte des Rauhen Kilikiens gelegt hatte, von dannen trieb, so wird er die höhere Kompetenz der Reichsgewalt, die Freiheit der hellenischen Städte im Reich zu schützen, geltend gemacht haben.

Es waren Zustände seltsamer Art, so verschobenen und explosiven Verhältnissen entsprechend. Auch das nächste Jahr hindurch hielt sich der Friede in dieser Weise. Den Verlust Kilikiens zu ersetzen, führte der Lagide seine Flotte nach Phaselis, erstürmte die Stadt, ging nach Lykien, eroberte auch Xanthos, wo eine Besatzung des Antigonos lag; weitersegelnd überfiel er Kaunos, nahm die eine der beiden Burgen der Stadt mit Gewalt, die andere durch Kapitulation; alles dies namens der Befreiung der griechischen Städte. Darauf segelte er nach der Insel Kos hinüber, um von hier aus einen Versuch auf Halikarnaß zu machen.

Währenddessen hatten sich die Sachen im Westen entschieden. Polyperchon war, wie es scheint, mit dem Anfang des Jahres an der Spitze einer bedeutenden Macht aufgebrochen, den jungen Herakles als König nach Makedonien zurückzuführen; ihm war Kassandros entgegengezogen; er lagerte in der tymphaiischen Landschaft, nicht weit von ihm der Gegner29. Deutlich sprach sich unter den Makedonen in Kassandros' Heer die Neigung für Alexanders Sohn aus; es schien gefährlich, mit ihm einen Kampf zu wagen, dessen Ausgang nicht bloß durch die bedeutende Truppenzahl auf seiten des Gegners bedenklich war. Kassandros versuchte den Weg der Unterhandlung; er sandte an Polyperchon: was es ihm nützen[264] werde, wenn er für Herakles den Sieg erkämpfe? Er werde dann tun müssen, was ihm von anderen geboten werde; er selbst werde ihm ein nützlicherer Freund sein; ihnen beiden, wie allen sei der Bastard Alexanders im Wege, er möge ihn irgendwie beseitigen; dann würden sie beide alle Macht in Europa besitzen und miteinander teilen; Polyperchon solle seine Besitzungen in Makedonien wiedererhalten, ein hinreichendes Heer ihm zur Verfügung stehen, um mit demselben als Stratege der Peloponnes aufzutreten; niemand werde dann ihre vereinigte Macht anzutasten wagen. Solche Vorschläge begleitete Kassandros mit reichen Geschenken, reichere versprach er; für 100 Talente war Polyperchon erkauft, er schloß den geheimen Vertrag. Er lud den jungen Fürsten zu einem Mahl; Herakles mochte Böses ahnen, er entschuldigte sich mit Unpäßlichkeit; und Polyperchon ging zu ihm, machte ihm Vorwürfe, daß er ihm mißtraue, ihn meide. Herakles ging mit ihm zum Mahle; nach der Mahlzeit wurde er erdrosselt, der letzte männliche Nachkomme aus dem makedonischen Königshause. Dann vereinigten beide Feldherren ihre Heere; Polyperchon erhielt seine makedonischen Besitzungen wieder, dazu dem Vertrag gemäß 4000 Mann makedonisches Fußvolk, 500 thessalische Reiter; er warb außerdem alle an, die mit ihm ziehen wollten; mit solcher Heeresmacht brach er auf, durch Boiotien nach der Peloponnes zu ziehen. Die Boioter weigerten ihm den Durchzug; er sah sich genötigt, in das Gebiet der Lokrer zu ziehen und dort den Rest des Winters zu verweilen.

Wie sich nach diesem Vertrag zwischen Polyperchon und, Kassandros der Stratege Polemaios, der die Sache seines Oheims verraten und sich an Kassandros angeschlossen hatte, verhalten, wird nicht überliefert; jedenfalls war es mit seinen Hoffnungen auf ein hellenisches Fürstentum übel bestellt; darf man auch die Vermutung wagen, daß die Peloponnesier und Boioter, von ihm unterstützt, dem Heere des Polyperchon den Durchzug weigerten, so ist doch nicht erkennbar, ob er auf Veranlassung des Kassandros oder auf eigenen Antrieb, um anderswo sein Glück zu versuchen, Griechenland verließ. Er ging mit seinen Truppen von Chalkis aus in See, zum Lagiden nach Kos; dieser nahm ihn mit besonderen Ehren auf. Bald aber mißfiel ihm des Strategen große Leutseligkeit gegen die Truppen, seine Geschenke an die Hauptleute, sein sichtliches Bemühen, sich die Gunst der Menge zu gewinnen; er glaubte, gefährlicheren Umtrieben zuvorkommen zu müssen; er ließ den Strategen festnehmen und zwang ihn, den Giftbecher zu trinken; seine Truppen wurden durch Geschenke beruhigt und unter die ägyptischen gesteckt. Man wird annehmen dürfen, daß der Lagide im besten Einverständnis mit Kassandros handelte; beiden hatte der Neffe des Antigonos hinreichend genützt, als er seines Oheims Sache verriet; fortan konnte er nur hindern.[265]

Verstärkt durch die Truppen des Strategen Polemaios, wandte sich der Satrap von Ägypten zum Angriff auf Halikarnaß, in welcher Stadt eine Besatzung des Antigonos lag; es mag gegen Ende des Jahres 309 gewesen sein, daß er die Belagerung begann. Demetrios eilte zum Entsatz herbei; Ptolemaios sah sich in kurzem genötigt, sich auf Myndos zurückzuziehen.

Hatte Antigonos in Europa durch den Verrat des Polemaios und Polyperchon die bedeutendsten Verluste erlitten, so waren seine Söhne Demetrios und Philippos in Asien mit bestem Erfolg tätig, der eine, die Befreiungsversuche des ägyptischen Satrapen zurückzuweisen, der andere, die Gegenden am Hellespont, wo sich Phoinix empört hatte, wiederzuerobern. Dem Namen nach war immer noch Friede, aber in jedem Augenblick konnte das Wetter losbrechen. Es war zu erwarten, daß Antigonos seinen alten Plan, nach Europa überzugehen, ausführen werde; für Lysimachos war dann die nächste und größte Gefahr; leicht wäre der Hellespont überschritten worden, von der Chersones ausstand der Weg nach Thrakien offen, da die Befestigungen von Kardia nur zur Deckung der reichen Halbinsel gegen die Thraker angelegt waren; von dieser Seite her war nun nichts weiter zu fürchten, da die thrakischen Stämme unterworfen waren. Lysimachos beschloß, auf der Landenge, die die Halbinsel mit dem Festland verbindet, eine Stadt zu gründen; er legte sie in die Mitte zwischen Kardia und Paktye, so daß sie auch die Straße vom Hellespont nach dem Inneren des Landes sperrte; der größere Teil der Kardianer wurde in die neue Stadt Lysimacheia übersiedelt.

Es kam das Jahr 308. Sobald die Jahreszeit es erlaubte, verließ Ptolemaios mit seiner Flotte die Station von Myndos, segelte durch die kykladischen Inseln, befreite Andros von der feindlichen Besatzung, die sich dort noch hielt, landete am Isthmos von Korinth. Korinth und Sikyon hatte noch Kratesipolis, Alexandros' Witwe, inne; Ptolemaios ließ sie auffordern, sich ihm zu ergeben; ihre Söldner erklärten, die Plätze müßten behauptet werden. Sie war in Korinth, sie lobte die treffliche Gesinnung ihrer Kriegsleute, die sie schon sonst erprobt habe, sie werde um keinen Preis weichen; um desto sicherer zu sein, wollte sie Verstärkung aus Sikyon heranziehen. Sie sandte insgeheim an Ptolemaios; über Nacht erschienen vor Akrokorinths Toren Bewaffnete; man meinte, es seien die von Sikyon; sie wurden eingelassen, es waren ägyptische Truppen, die Kratesipolis herbeschieden hatte. So kamen Korinth und Sikyon in Ptolemaios' Gewalt. Von hier aus verkündete Ptolemaios, er sei gekommen, die hellenischen Städte zu befreien, sie möchten ihn in seinem Beginnen unterstützen; er forderte von den Peloponnesiern Lebensmittel und Geld; er hoffte, daß das lockende Wort der Freiheit die Griechen sofort für ihn[266] enthusiasmieren werde. Aber zu oft schon waren sie getäuscht worden, sie sandten weder Lebensmittel noch Subsidien. Darüber erbittert, so heißt es, gab Ptolemaios das Werk der Befreiung auf, schloß mit Kassandros einen Frieden, daß jeder im Besitz dessen bleiben solle, was er habe, ließ in Sikyon und Korinth eine starke Besatzung unter Kleonidas, ging nach Ägypten zurück. Die Angabe der Motive ist unmöglich richtig, selbst wenn sich Ptolemaios in einer Proklamation an die Griechen so geäußert hätte; immerhin wird Ptolemaios, wenn es möglich schien, seine Macht auch über Griechenland auszudehnen, das Interesse seines Verbündeten nicht geachtet haben; da aber gerade jetzt Kassandros die Peloponnes dem Namen nach an Polyperchon abgetreten hatte, so handelte Ptolemaios vielleicht mit Kassandros in Übereinstimmung, dem alten Polyperchon einen Besitz vorzuenthalten, der ihm von neuem einigen Einfluß gewährt hätte; er würde, wenn es unmittelbar Kassandros' Besitz gegolten hätte, sich nach Athen gewendet und dort gewiß mehr Anklang gefunden haben als in der Peloponnes. In keinem Fall war das Mißvergnügen über die Gleichgültigkeit der Peloponnesier der Grund, daß er keinen weiteren Versuch machte, die Halbinsel sich zuzueignen. Daß er jenen Vertrag mit Kassandros schloß und eiligst nach Ägypten heimkehrte, dazu bewog ihn ein Vorfall in den afrikanischen Ländern, der in der Tat für ihn von höchster Wichtigkeit war. Es ist das erste Mal, daß Alexanders Nachfolger in Verhältnis mit dem fernen Westen treten.


In Sizilien hatte sich eine Griechenmacht eigener Art gebildet. Seit fast hundert Jahren hatte auf der Insel und in Großgriechenland der Kampf zwischen Tyrannis, Oligarchie und Ochlokratie furchtbarer als in irgendeinem Lande hellenischer Bevölkerung gewütet; jede der Parteien bedurfte der Söldnerscharen, die ohne Heimat, ohne Anhänglichkeit, nur durch Beute und Gewinn gelockt, das Kriegshandwerk trieben und jedem Abenteurer Gelegenheit boten, sein Talent und sein gutes Glück zu versuchen. Ein solcher war Agathokles, des Karkinos Sohn, seinem Handwerk nach ein Töpfer, seinem Geiste nach zu allem Kühnsten und Erstaunlichsten befähigt, von glänzendem militärischen Talent, von jener Stärke des Willens, jener Härte und Konsequenz im Handeln, die das Ziel zu erreichen gewiß ist; in dieser an bedeutenden und schroffen Charakteren, an seltsamen und gleichsam exzentrischen Vorkommnissen so reichen Zeit findet sich kaum ein bedeutenderer Charakter, eine keckere Usurpation, ein tollkühneres Erobern als das des Agathokles. Die Liebe eines Syrakusiers, der für den Krieg gegen Akragas zum Strategen gewählt wurde, beförderte ihn zum Hauptmann, des Strategen Tod und die Hand seiner Witwe gaben ihm bedeutendes Vermögen und Ansehen in der[267] Stadt. Syrakus hatte noch die von Timoleon eingerichtete Demokratie, aber innerhalb derselben herrschte die oligarchische Partei des Herakleides und Sosistratos; ein neuer Krieg, den Agathokles als Befehlshaber mitmachte, schien ihm eine günstige Gelegenheit, gegen die Oligarchen etwas zu versuchen; seine Sache fiel, er wurde vertrieben. Mit einer Anzahl Leute trieb er sich, neue Dienste suchend, umher; die Krotoniaten, die Tarentiner jagten ihn aus dem Dienst; so wollte er versuchen, auf eigene Hand sich Kriegsarbeit zu machen. Sosistratos belagerte Rhegion; sofort erließ Agathokles einen Aufruf an alle von den Oligarchen Vertriebenen, sich mit ihm zum Schutz der Freiheit zu vereinen; er entsetzte Rhegion, er rückte vor Syrakus; dort war entsetzliche Verwirrung, heftigster Kampf der Parteien; endlich drang das Volk darauf, daß Agathokles zurückberufen, zum Strategen und Wächter des Friedens bestellt werde. Grausam sind die Mittel, durch die er sich festsetzte; alles, was der früheren Regierung anhing, gerade die vornehmsten und begütertsten Bürger, Hunderte wurden hingerichtet oder verbannt, eine vollendete Schreckensherrschaft. Die Söldner, der Pöbel plünderten und vergeudeten den Besitz der Reichen; sie ernannten Agathokles, den sie bewunderten, zum unumschränkten Feldherrn; auf sie, auf das Volk der kleinen Landstädte verließ er sich; fortan sorgte er unermüdlich und mit hervorragender Einsicht für die Förderung seiner Untertanen, für die Befestigung seiner Macht.

Bald genug sollte sie eine schwerere Probe bestehen. Die aus Syrakus vertriebenen Oligarchen hatten in Akragas Aufnahme gefunden, das Volk zum Kriege gegen Agathokles zu treiben gewußt; man machte große Anstalten, suchte Bundesgenossen, gewann einen Spartanerfürsten zum Feldherrn, mit 20 Schiffen unterstützten die Tarentiner ihn, wie es hieß, Sizilien zu befreien. Aber die Gewaltsamkeit des Spartaners und die Uneinigkeiten der Verbündeten lähmten das Unternehmen, der Karthager Hamilkar vermittelte einen Frieden zwischen Akragas und Agathokles, in dem Karthago Himera, Selinus, Herakleia gewann, Syrakus die Hegemonie über die übrigen Städte der Insel sich vorbehielt; dies war 313. Die herrschende Oligarchie in Karthago verwarf diesen Frieden ihres Feldherrn, der ihrem kühnen und schon so mächtigen Nebenbuhler in Sizilien gefährliche Macht in die Hand gab; sie rüstete zum Kriege, er nicht minder; ein Angriff des Agathokles auf Messana brachte den Krieg zum Ausbruch im Jahre 312; mit dem nächsten Jahre sandten die Karthager ein großes Heer nach Sizilien; anfangs kämpfte Agathokles mit Glück, dann ward er geschlagen, von allen Bundesgenossen verlassen, gezwungen, sich nach Syrakus zurückzuziehen; ganz Sizilien mit Ausnahme der einen festen Stadt war in den Händen der Punier. Da faßte Agathokles den[268] kühnen Plan, nach Afrika überzusetzen und die Karthager in ihrem Lande anzugreifen, während eine hinreichende Besatzung unter Befehl seines Bruders Antandros Syrakus verteidigen sollte. Er beschaffte so viel Geld, als er konnte; die Schätze der Tempel, das Vermögen der Waisen, die Kassen der Kaufleute, der Überfluß der Reichen, alles wurde eingezogen, jedes Murren mit härtester Strenge gestraft; es wurden Schiffe und Vorräte zusammengeschleppt; es wurden die Tüchtigsten von den Söldnern ausgewählt, den Reitern geboten, sich mit Waffen, Rüstung und Zaumzeug zu stellen; im Sommer 310 ging dieser abenteuerliche Zug mit 60 Schiffen in See; glücklich entkam er der punischen Flotte. Bei den sogenannten Steinbrüchen an der libyschen Küste wurde gelandet, den Göttinnen Siziliens, Demeter und Persephone, ein Opfer gefeiert, ihnen zu Ehren die Flotte verbrannt. Nun galt es, zu siegen. Alles war geeignet, dem kühnen Eroberer die Sache leicht, sein Söldnerheer auf Beute lüstern zu machen; die ganze Landschaft war wie ein Garten, mit den prächtigen Landhäusern der reichen punischen Kaufherren bedeckt; hier Weinberge, Olivenwälder, Parkanlagen mit künstlich geleiteter Bewässerung, dort schöne Wiesen, grasige Triften mit Rinderherden von ausgesuchter Schönheit, Getreidefluren, wohlgehaltene Wälder, die Berge im Hintergrund, die ganze städtereiche Landschaft ein heiteres Bild des tiefsten, Friedens. Bald waren die nächsten Punkte erobert; Agathokles eilte ins Feld, die Karthager zur Schlacht zu erwarten. Der Staat, unter einer aristokratisch strengen Regierung, durch die Eifersucht einer kleinen Zahl fürstlich begüterter Familien stets in Parteien zerspalten, durch eine Art von Staatsinquisition, wie sie sich unter ähnlichen Verhältnissen zu Venedig gebildet hat, mit höchster Vorsicht und mißtrauischer Strenge geleitet, stellte ein Heer unter zwei Feldherren aus feindlichen Familien ins Feld; es sollte ein General den anderen beobachten. Hanno fiel, Bomilkar floh, um, nach Karthago zurückgekehrt, desto sicherer die alleinige Führung zu gewinnen. Der Sieg gewährte dem Syrakusier ungeheure Beute, neue Eroberungen; er rückte zur Belagerung gegen Tunis, 309. In Karthago war die höchste Bestürzung; man sandte die goldenen Zieraten aus den Tempeln nach der Mutterstadt Tyros, man glaubte die Götter erzürnt, weil man seit langem ihnen statt der Lieblinge unter den eigenen Kindern fremde Kinder genährt und hingeopfert habe; zweihundert Kinder der vornehmsten Geschlechter wählten die Behörden aus, legten sie in die glühenden Arme des punischen Moloch; an dreihundert andere wurden von ihren Eltern freiwillig geopfert.

Schon hatte Agathokles das flache Land inne, die Berge um Karthago besetzt, mehr als 200 Städte auf der Küste huldigten ihm. Noch wagte er nicht, die höchst volkreiche und stark befestigte Hauptstadt anzugreifen;[269] er zog in die oberen Gegenden, auch diese zu unterwerfen. Aus Sizilien kamen die besten Nachrichten: Syrakus hatte sich nicht bloß gehalten, die Belagerer waren zurückgeschlagen, ihr Feldherr gefangen, hingerichtet, sein Haupt an Agathokles geschickt. Dieser umschloß die Hauptstadt eng und enger; die Karthager versuchten einen Ausfall, sie wurden auf das blutigste zurückgeschlagen. Ein zweiter Sieg des Agathokles im nächsten Jahre, der den 1000 Griechen, dem Kern des karthagischen Heeres, den Untergang brachte, schien endlich die Macht der Gegner so erschöpft zu haben, daß Agathokles an einen Sturm auf Karthago selbst denken zu können meinte. Sein Heer mochte zu diesem letzten und schwersten Kampfe nicht mehr hinreichend erscheinen, er bedurfte neuer Söldner in bedeutender Zahl; woher diese so bald nehmen? Noch war das Meer von der punischen Flotte beherrscht, so daß er weder von Sizilien und Großgriechenland, noch von der Peloponnes her Leute herüberzuschaffen hoffen konnte; und aus den afrikanischen Stämmen zu werben, schien unrätlich, da diesen die Hauptsache, die militärische Übung, fehlte. Agathokles fand einen trefflichen Ausweg.

Im Jahre 312 hatte sich, wie erwähnt ist, des Lagiden Ptolemaios Statthalter in Kyrene, Ophellas30, die oft geäußerte Abneigung der Kyrenaier gegen die ägyptische Herrschaft benutzend, empört; die Verwicklungen des Ptolemaios mit Antigonos hatten es ihm möglich gemacht, seine Stellung zu behaupten; es mochte im Frieden von 311 die Freiheit der Pentapolis wie aller griechischen Staaten anerkannt worden sein, womit sich dann immerhin vertrug, daß Ophellas des Landes Herr war. Während der nächsten Jahre hatte Ptolemaios nicht Muße gehabt, an die Wiedererwerbung der Kyrenaika zu denken; es war für ihn wichtiger, zunächst die hellenischen Staaten in Kleinasien und Griechenland als Befreier zu gewinnen. Indes erhob sich Ophellas' Macht, schon herrschte er bis zu dem Altar der Philainer, der punischen Grenze, im Südostwinkel der großen Syrte; ein bedeutendes Söldnerheer war in seinem Dienste; er dachte daran, seine Herrschaft weiterhin auszudehnen. Da kam Orthon von Syrakus als Gesandter nach Kyrene, ihn namens seines Herrn zum Kriege gegen die Barbaren aufzufordern: Agathokles sei geneigt, ihm dafür ganz Libyen abzutreten, ihm genüge Sizilien, und er habe den Krieg in Afrika nur begonnen, um in dem Besitz jener schönen Insel nicht weiter[270] durch die Punier beeinträchtigt oder gefährdet zu sein; denn wenn er nach Größerem strebe, sei ihm ja Italien näher, seine Herrschaft auszudehnen, Libyen aber sei durch ein großes und gefahrvolles Meer von Sizilien getrennt, und es sei seine Absicht nicht, was die Natur geschieden, vereinigen zu wollen; wohl aber sei Kyrene zur Herrschaft über Libyen berufen. Solche und ähnliche Reden des Gesandten vernahm Ophellas mit großer Freude; er schickte Gesandte an Agathokles mit zurück, das Bündnis mit ihm zu schließen; er rüstete sich auf das eifrigste; er sandte nach Athen, die Stadt zum Bündnis aufzufordern, denn seine Gemahlin Eurydike war eine Athenerin aus dem Geschlecht des Miltiades und die Stadt ihm auch wegen vielfacher Aufmerksamkeit, die er für sie gehabt hatte, wohlgeneigt. Viele Athener, viele auch von den anderen Hellenen folgten seinen Werbern; sie versprachen sich große Beute im Lande der reichen Punier, sie hofften, in der gesegnetsten Landschaft Libyens Kleruchien zu erhalten, sie sehnten sich auszuwandern, auf ewig die unglückliche Heimat zu verlassen, die keine Ruhe, keine Freiheit, keine Hoffnung mehr zu bieten schien.

Als die Vorbereitungen beendet waren, zog Ophellas mit seiner Kriegsmacht gen Westen; ihm folgten mehr als 10000 Mann Fußvolk, 600 Reiter, 100 Kriegswagen mit mehr als 300 Wagenlenkern und Streitern darauf, außer diesen ordentlichen Truppen waren etwa 10000 Mann, wie man sie nannte, außer der Ordnung; viele hatten Weib und Kind und Hab und Gut bei sich, so daß man eine große Kolonie auswandern zu sehen glauben konnte. Mit einem Marsch von achtzehn Tagen erreichte man Automala, die letzte Stadt des kyrenaiischen Gebietes. Dann zog man durch ein Felsental bei der sogenannten Lamiahöhle vorüber in die Wüste der Syrte. Mangel an Wasser, an Lebensmitteln, glühende Sonnenhitze, reißende Tiere, die dem Heereszug folgten und die Nachbleibenden zerrissen, Giftschlangen, die sich, mit dem Sande der Wüste gleichfarbig, dem Auge verbargen, um desto sicherer zu verwunden, bald tödliche Fieber, Erschöpfung der Truppen, schnelles Hinsterben, allgemeine Entmutigung, – das waren die Qualen, unter denen nach einem Marsch von mehr als zwei Monaten Ophellas sein Heer dem Agathokles zuführte. Beide lagerten nebeneinander. Agathokles sandte Lebensmittel in reichster Fülle, damit sich die verbündeten Truppen erholten; er sandte Ophellas gleichsam als Geisel seinen Sohn Herakleides, einen Jüngling von großer Schönheit; er wußte, daß Ophellas der unnatürlichen Liebe zu Knaben ergeben sei; er sagte seinem Sohne, er möge freundlich und doch spröde gegen Ophellas sein, möge bis zum Tage, den er ihm nannte, zögern, dem Fürsten die letzte Gunst zu gewähren. Als nun die meisten kyrenaiischen Truppen sich in der Gegend zerstreut hatten, um Gras und[271] Lebensmittel zu beschaffen, berief Agathokles sein Heer zur Versammlung: Ophellas sei ein Verräter, er mißbrauche den Knaben, der ihm anvertraut worden; nicht zum gemeinsamen Besten, zum eigenen Vorteil wolle er kämpfen; mit solchen und ähnlichen Anklagen rief er seine Truppen unter die Waffen, führte sie gegen das Lager der Kyrenaier; umsonst versuchte Ophellas sich zu verteidigen, kämpfend fiel er. Des Feldherrn beraubt, waren die kyrenaiischen Truppen gezwungen, sich zu ergeben; sie traten in Agathokles' Dienst. Er sandte von diesen die zum Kriege Untauglichen nach Syrakus; ein Sturm zerstreute die Schiffe, so daß viele untergingen, andere auf die Pithekusischen Inseln verschlagen wurden, wenige nach Sizilien gelangten.

Den weiteren Fortgang des Krieges um Karthago zu verfolgen, liegt außer unserem Interesse; es mißlangen hinfort des Agathokles Unternehmungen; im nächsten Jahre sah er sich gezwungen, nach Selinus zu gehen, um Aufstände in Sizilien zu unterdrücken; nach Afrika zurückeilend, erlitt er eine schwere Niederlage, es folgte Empörung seiner Truppen; heimlich von dannen eilend, ließ er seine zwei Söhne zurück; gegen sie empörten sich die kyrenaiischen Truppen; am Jahrestag nach Ophellas' Tod ermordeten sie die beiden Jünglinge.

Durch den Ausgang des Ophellas war die Kyrenaika ihres Herrn und Führers, zum größten Teil auch ihrer Macht beraubt. Die Nachricht davon wird den Lagiden bewogen haben, aus der Peloponnes heimzueilen; sein Vertrag mit Kassandros, nach dem sie sich gegenseitig zusprachen, was sie von den griechischen Staaten besaßen, drückte deutlich genug aus, daß er aufhören wolle, Kämpfer für die griechische Freiheit zu sein. Kyrene war natürlich der nächste Gegenstand seiner Sorgen und Wünsche; es wiederzugewinnen, war die Zeit so günstig wie möglich. Er sandte seinen Stiefsohn Magas31 mit einem Heere, die Landschaft von neuem zu[272] besetzen; ohne bedeutenden Kampf wurde sie wieder unterworfen; bis zum Katabathmos, der Grenze Ägyptens, scheint das Land unter seinen Befehl gestellt worden zu sein. Mit der Rückkehr der Ordnung blühte das reiche Land in kurzem wieder auf.

Dies war für Ptolemaios unstreitig der entscheidende Gewinn. Aber fast nicht minder wichtig war ein zweiter, den ihm sein zweijähriger Seezug gebracht hatte; freilich seine so stolz angekündigten Befreiungen, welche die Griechenwelt mit den größten Erwartungen erfüllt haben mochten, hatten für die Freiheit wenig eingebracht; aber mit dem Vertrag, den er mit Kassandros geschlossen, mit der gegenseitigen Garantie dessen, was sie in Hellas in Besitz genommen hatten, reichten sich Ägypten und Makedonien in Griechenland die Hände, und mit Lysimachos, der gewiß nicht gezögert hatte, sich dieser Verbindung anzuschließen, mit dessen starker Position am Hellespont, mit der ägyptischen Flotte, die sich auf Andros und Kos stützen konnte, bildeten sie eine Defensive, die die europäischen Verhältnisse für immer vor dem anmaßlichen Eingreifen des Antigonos sicherzustellen schien.

Sichtlich ging die Leitung der großen Verhältnisse mehr und mehr in die Hand des Lagiden über. Eine Notiz aus diesem Jahre (308) lehrt, daß die letzten Überbleibsel des königlichen Hauses sich ihm anzuvertrauen geneigt waren. Außer Thessalonike, der Gemahlin Kassandros', lebte von König Philipps Nachkommen nur noch seine Tochter Kleopatra, die Witwe des Königs Alexandros von Epeiros; seit fast fünfzehn Jahren residierte sie in Sardeis. Früher hatte sie durch Vermählung mit Leonnatos, mit Perdikkas Einfluß auf die Angelegenheiten des Reiches gesucht, beide starben vor dem Beilager; dann hatte Kassandros um sie geworben, sie haßte ihn als den Feind ihres Hauses; auch Lysimachos war von ihr zurückgewiesen worden; auch Antigonos und Ptolemaios warben um sie; nach dem Erlöschen der männlichen Deszendenz des Königshauses mochte ihre Hand ein Recht auf das Diadem gewähren zu können scheinen. Der alte Antigonos war ihr widerwärtig, und doch war sie in Sardeis in seiner Hand. Dem Lagiden, dem treuen Kampfgenossen ihres Bruders, verhieß sie jetzt ihre Hand: sie werde aus Sardeis entweichen, zu ihm kommen, sich mit ihm vermählen. Schon hatte Antigonos dem Befehlshaber von Sardeis die nötigen Weisungen gegeben; sie wurde, da sie fliehen wollte, zurückgebracht; in kurzem fand man sie ermordet, einige ihrer Sklavinnen hatten sie umgebracht. Antigonos ließ diese als die Mörderinnen ergreifen, hinrichten, den Leichnam der Königin mit allen ihrem Range gebührenden[273] Ehren bestatten. Und doch zweifelte niemand, daß er die Tat veranlaßt habe32.

Seine Sache stand nicht gut; er war in diesen Friedensjahren durch die geschickte Politik seiner Gegner weit und weiter zurückgedrängt; und jedes weitere Jahr der Unbotmäßigkeit steigerte die Festigkeit und die Anmaßung derer, die er kraft seines Amtes als Reichsverweser zur Parition hatte zwingen wollen; noch ein Schritt weiter rückwärts, und sein Spiel war verloren.

Eben jenes Prinzip, auf das er sich gestellt hatte, war immer von ihnen bestritten worden, jetzt mit doppeltem Recht, da es ein geborenes Haupt des Reiches, dessen Bestand und Majestät er vertrat, einen legitimen Erben des Diadems, in dessen Namen er das Reich hätte verwesen können, nicht mehr gab. Die Reichseinheit, die er noch in dem Frieden von 311 als Prinzip hatte durchsetzen können, galt seinen Gegnern, seit das echte Blut des Königshauses zu Ende war, als abgetan; was blieb noch als die Territorialität?

So standen die beiden Tendenzen in nacktestem Widerspruch einander gegenüber. Es war keine bloße Titelfrage, um die es sich handelte; die höchsten praktischen Interessen, die ganze rechtliche Fassung der großen politischen Verhältnisse des Alexanderreiches, die Zukunft der Länder und Völker, die dasselbe zusammengefügt hatte, knüpfte sich an die Entscheidung dieser Frage; auf der einen wie anderen Seite mußte man empfinden, daß es die Frage über Sein oder Nichtsein gelte; und es gab keine Stelle, keine Form, keine anerkannte Regel, über sie zu entscheiden.

Es ist kaum möglich, daß nicht diplomatische Verhandlungen zwischen den Machthabern über diese Dinge gepflogen worden sein sollten. Sie konnten nur dienen, den Gegensatz zu steigern. Wenn etwa von der einen Seite ein Kongreß vorgeschlagen wurde zu schiedsrichterlicher Entscheidung oder zu einer Vereinbarung, wie sie gleich nach dem Tode Alexanders zwischen den vornehmsten Offizieren getroffen worden war, so konnte es nicht fehlen, daß von der anderen die Kompetenz eines Schiedsgerichts ebenso abgelehnt werden mußte wie die Angemessenheit eines Kongresses, für den man so wenig eine unpräjudizierliche Form wie eine anerkannte Basis hatte. Und wenn es nahe lag, auf die althergebrachte Befugnis der Makedonen, durch ihre Huldigung erst das Recht dessen zu bestätigen, der das Diadem erbte, hinzuweisen und nach dieser Analogie jetzt, da kein Erbe[274] vorhanden war, den Makedonen in Waffen das Recht der freien Wahl eines neuen Hauptes zuzusprechen, so lag ja darin offen die petitio principii der Reichseinheit, die nach der Ansicht ihrer Gegner mit dem königlichen Blute aufgehört hatte. Und welchen Makedonen sollte diese Befugnis zustehen? Etwa nur dem sogenannten Reichsheer, das Antigonos führte? Freilich war von Antigonos' Makedonen seinerzeit Kassandros verklagt und von ihnen geächtet worden; aber weder Kassandros noch dessen Freunde hatten dies Urteil anerkannt, und Antigonos selbst hatte es mit dem Frieden von 311 tatsächlich aufgeben müssen; – oder sollten alle Makedonen in Waffen berufen werden? Jeder der Machthaber hatte in seinem Heere, in seinen Territorien bis zu den Katarakten des Nil und den Grenzfesten am Indus und Jaxartes Makedonen; wie hätte er seinen Makedonen gestatten sollen, sich als unmittelbar zum Reich gehörig zusammenzutun, um eine höchste Autorität herzustellen, zu der niemand mehr legitimiert und deren Recht und Kraft auf die Teilstücke übergegangen war?

Es hätte einen Weg gegeben, dem furchtbaren Zusammenstoß, der sichtlich bevorstand, auszuweichen. Man darf dem Lagiden zutrauen, daß er nicht unversucht gelassen haben wird, diesen zu empfehlen. Antigonos hatte mit dem, was er festhielt, die schwerere Aufgabe, diejenigen, welche er als Usurpatoren ansehen mußte, zu seinem Willen zu zwingen, während sie, einfach in der Defensive gegen ihn, durchaus bereit sein konnten, ihn in dem, was er an Territorien inne hatte, zu demselben Recht anzuerkennen, das sie für sich selbst in Anspruch nahmen. So wahrscheinlich es ist, daß dem Reichsverweser Erbietungen in solchem Sinne gemacht worden sind, ebenso gewiß ist, daß er sie zurückgewiesen hat.

Wie sehr er darauf brannte, das Diadem Alexanders um seine Schläfe zu legen, er hatte Klugheit und Selbstbeherrschung genug, den Schritt, der seinen Rivalen sofort Anlaß und Rechtfertigung zu der gleichen Selbsterhebung gewesen wäre, zu unterlassen oder noch zu verschieben. Daß man nach den Jahren des jungen Alexander, des ermordeten, weiterzählte und seine Münzen weiterprägte, dokumentiert die Rechtsfiktion, mit der Antigonos nichts gewann und seine Rivalen nichts verloren, als daß die theoretische Frage bis auf weiteres in der Schwebe blieb.

Sie war schon nicht mehr nach rechtlichen Motiven, nicht mehr diplomatisch zu lösen; sie war zu einer einfachen Machtfrage geworden und mußte mit den Waffen entschieden werden.

Antigonos hatte die Gegner nicht wenig Vorsprung gewinnen lassen. Seleukos hatte den ganzen Osten, mit Babylon einen mächtigen Mittelpunkt, vielleicht das Gebiet bis zur Euphratlinie im Westen. Mit seiner[275] Herrschaft in Kypros, in Kyrene, schon auch im Aigaiischen Meer, mit seiner bedeutenden Seemacht, die schon auch der Süd- und Westküste Kleinasiens sich fühlbar gemacht hatte, war der Lagide ein doppelt gefährlicher Gegner, seit er seine Differenzen mit Kassandros ausgeglichen. Dieser hatte zu Makedonien Thessalien, und Epeiros unter Alketas stand so gut wie zu seiner Verfügung, Euboia, Theben, Athen, Megara unter seinen Phrurarchen. Daß Ptolemaios Andros, Akrokorinth, Sikyon besetzt hielt, daß er und Kassandros sich gegenseitig garantiert hatten, was sie in Hellas besaßen, schloß die verbindende Kette zwischen ihnen und stellte die Mittel und die Werbungen in den hellenischen Staaten zu ihrer Verfügung. Daß Lysimachos zu ihnen hielt, daß er mit Lysimacheia den Hellespont deckte, daß sein Einfluß in Byzanz maßgebend war, vollendete die politische Umstellung des Antigonos.

Daß er es nicht unbeachtet ließ, daß er klug und sicher seine Gegenmaßregeln traf, ist wenigstens aus einem Zuge erkennbar. Demnächst finden wir ihn mitten im Bau seiner neuen Stadt Antigoneia am Orontes; daß er dahin den Mittelpunkt seiner Macht verlegt, in die Offensivstellung gegen das Euphrat- und Nilland zugleich, zeigt, wie er seine Politik auffaßte. Noch ein zweites Antigoneia hatte er begründet, wie es scheint, in jener Zeit (313), als er die Absicht hatte, nach Europa zu ziehen; diese Stadt legte er an der Stelle der troischen Küste an, wo die Beschikabai, der Einfahrt in den Hellespont nahe zur Seite, vor dessen starken Strömungen eine sichere Station bietet. Von da aus hatte er es leicht, Thrakien trotz Lysimacheia in Respekt zu halten; Thrakien hätte, wie in Philipps und Alexanders Zeit, mit Makedonien in einer Hand sein müssen, um über die propontische Küste Kleinasiens zu dominieren; gefährlich konnte es jetzt dadurch werden, daß Lysimachos von den Verbündeten Kassandros und Ptolemaios auch zur See unterstützt werden konnte. Daß sich Makedonien und Ägypten in Hellas die Hand reichten, war für Antigonos das bedrohlichste Moment. Dort durfte er die Dinge nicht fest werden lassen; dort die Kette zu sprengen, mit der man ihn umzogen, mußte der Anfang seiner Offensive sein. Er konnte sich dorthin wenden, ohne den Frieden von 311 zu brechen; und er verfuhr recht eigentlich im Sinne und kraft der Autorität des Reiches, wenn er für die Freiheit der Hellenen eintrat, die jener Friede anerkannt hatte.[276]


Quelle:
Johann Gustav Droysen: Geschichte des Hellenismus. Tübingen 1952/1953, Band 2, S. 255-277.
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