29. Der erste Schritt zum Kriege gegen die Römer.

[820] Von der Revolution, welche dem großen Krieg gegen die Römer voranging, kann man auch sagen: c'est toujours le premier pas qui coûte. Josephus berichtet (jüd. Kr. II, 17, 2), daß das Unterlassen des Opfers für den Kaiser, zu dem Eleasar b. Anania die damals fungierende Priesterabteilung bewogen hat, der erste Schritt zum Krieg gewesen sei: τοῠτο δ᾽ ἦν τοῠ πρὸς Ρωμαίους πολέμου καταβολἠ: τὴν γὰρ ὑπὲρ τούτων ϑυσίαν Καίσαρος ἀπέῤῥιψαν. Er fügt hinzu, daß die hohenpriesterlichen Häupter und die hervorragenden Pharisäer in einer Versammlung vor dem Nikanortor im Tempel davon abgeraten und viele Gründe dagegen geltend gemacht hätten, daß aber die Revolutionäre unter Leitung des Eleasar sich nicht daran gekehrt hätten.

Eine Erinnerung an diesen folgenschweren Vorgang hat sich auch in der talmudischen Literatur erhalten, und sie knüpft sich an eine Persönlichkeit, die durch ihr Verhalten den Ausschlag gegeben zu haben scheint. R. Jose der Gesetzeslehrer, welcher geschichtliche Überlieferungen tradiert hat, bemerkt bei Gelegenheit eines religiösen Brauches seitens eines Zacharia b. Abkulas, seine Bescheidenheit habe Veranlassung zur Tempelzerstörung gegeben (Tossefta Sabbat XVII, 6: הפרש איה סלוקבא ןב [הירכז לש] ותונתונע לכיהה תא). In wiefern kann diese geachtete Persönlichkeit das große Unglück herbeigeführt haben? Und inwiefern kann die Bescheidenheit dieses Mannes eine solche Wirkung gehabt haben? Sein Name wird aber in einer Sage mit dem Unterlassen des Opfers für den Kaiser in Verbindung gebracht. Diese Sage, welche an Kamza und Bar-Kamza anknüpft, ist in zwei gerade in bezug auf diesen Zacharia abweichenden Relationen enthalten. In der einen (Babli Gittin 56a) wird sie wie folgt erzählt: Ein Bar-Kamza, der von einem Jerusalemer, weil er irrtümlich zu einem Mahle geladen gewesen, beschämt worden sei, habe denunziert, daß die Judäer auf Abfall vom Kaiser sännen, und habe seine Angeberei dadurch glaubhaft gemacht, daß er behauptete, ein Opfer für den Kaiser werde nicht angenommen werden. Er selbst habe aber dem Opfer einen unwesentlichen Fehler beigebracht, um es für den Altar untauglich zu machen. Einige hätten nun zwar geraten, des Friedens wegen das fehlerhafte Tier zu opfern. Zacharia aber hätte davon abgeraten. Auch der Absicht, den Angeber umzubringen, hätte er sich widersetzt. Dadurch wäre das Opfer für den Kaiser verschmäht worden, [820] und die Folge davon sei die Tempelzerstörung gewesen; הירכז 'ר לש ותונתונע ןנחוי 'ר רמא ונתלגהו ונלכיה תא הפרשו ונתיב תא הבירחה סלוקבא ןב ונצראמ. In Palästina lautet die Sage, daß Ben-Kamza bei dem Prokurator die Denunziation gegen die Judäer angebracht und durch das Unterlassen des Opfers bewiesen habe, weil eben dieser Zacharia bei dem Mahle anwesend gewesen sei und bei seiner (Ben Kamza's) Beschämung gleichgültig geschwiegen hätte: אלו תוחמל ודיב קפס היהו סלוקבא ןב הירכז 'ר םש היה ןוהתולשב ןיבתי ןייבסמ ןליא הישפנב רמא היל קיפנ דימ, החימ ןוהצרק לוכיא אנא (Midrasch zu Klagelied IV, 2). Die Relation schließt: Daher stammt das Wort: wegen Kamza und Ben-Kamza ist der Tempel zerstört worden, ברח אצמק ןב ןיבו אצמק ןיב :ןירמא אתאירבד אהד אשדקמ und daran wird die Tradition des R. Jose angeknüpft, daß Zacharias' Bescheidenheit den Brand des Tempels verschuldet habe. יבר לש ותונתונע יסוי 'ר רמא לכיהה תא הפרש סלוקבא ןב [הירכז].

Aus diesen sagenhaften Relationen geht mit Bestimmtheit hervor, daß dieser Zacharia bei dem Unterlassen des Opfers für den Kaiser irgendwie beteiligt gewesen sein muß.

Dieser Zacharias wird übrigens auch von Josephus genannt. Er bezeichnet ihn neben Eleasar b. Simon, dem Haupte der jerusalemischen Zeloten, als einen der Führer derselben und als einen Priester (jüd. Krieg IV. 4, 1): Ἦοαν δὲ (ἡγεμόνες) Ἐλεάζαρος μὲν υἱὸς Σίμωνος ... Ζαχαρίας δέ τις υἱὸς Φαλέκου γένος ἐκ τῶν ἱερέων ἑκάτερος. Sie beide luden die Idumäer ein, ihnen und ihrer Partei Beistand zu leisten gegen die Machinationen Anans und der kontrarevolutionären Partei. Zacharia gehörte demnach zu den Zeloten. Die Identität dieses Zelotenführers Zacharia mit dem im Talmud genannten סלוקבא ןב הירכז, welche schon Jost [Gesch. d. Judent. u. seiner Sekten, I, 444] gefunden hat. Ζ. υἱὸς τοῠ Ἀμφικάλου statt Φαλέκου, was zu םלוקבא völlig stimmt [Niese setzt auf Grund der meisten und besten Handschriften Ἀμφικάλλει in den Text].

Aus einem Brauche, der von diesem Zacharia tradiert wird, geht hervor, daß er zu den Schammaïten gehört hat oder eigentlich noch viel strenger und skrupulöser als diese war. (Tossefta a.a.O.): ןב הירכז ללה תיב ירבדכ אלו יאמש תיב ירבדכ אל גהונ היה אל סלוקבא הטמה ירוחאמ (ןיפילקו תומצע) ךילשמו לטונ אלא. Ebenso b. Sabbat 143a: היהש סלוקבא ןב הירכז יבר לע וילע ורמא ןקרוזו הטמה ירוחא וינפ ריזחמ. Er hat also am Sabbat Knochen und Fruchtschalen, sobald sie losgelöst waren, nicht einmal indirekt vermittelst der Tafel bewegen lassen – was doch die Schammaïten gestattet haben. Es ist die strengste Auslegung der Sabbatgesetze, worin die Schammaïten schon sehr weit gingen (o. S. 798). Wir können uns nun danach sein Verhalten zur Frage, ob für den Kaiser noch weiter geopfert werden dürfe, recht gut denken. Die hervorragendsten Pharisäer (οἱ τῶν Φαρισαίων γνώριμοι), zu denen R. Jochanan b. Sakkai gewiß gehört hat (o. S. 814), waren entschieden dafür. Wir dürfen voraussetzen, daß die friedliebenden Hilleliten sich gegen das Unterlassen des Kaiseropfers ausgesprochen haben werden. Gewiß sind bei einem so wichtigen Schritt auch die Anhänger der schammaïtischen Schule über ihre Meinung befragt worden, was Josephus allerdings verschweigt. Aus der Angabe in der talmudischen Literatur kann jedoch nicht daran gezweifelt werden, daß auch der Schammaïte der strengen Observanz Zacharia b. Amphikalos befragt worden ist. Hätte auch er sich in demselben Sinne, wie die hillelitischen Pharisäer ausgesprochen, so hätten wohl die in jener Woche diensttuenden, von dem Agitator Eleasar b. Anania überredeten Priester (οἱ κατὰ τὴν λατρείαν λειτουγροῠντες) das Opfer weiter dargebracht [821] und damit wäre der Umsturzplan in seinem Anfange gescheitert gewesen. Aber der Schammaïte Zacharia hat sich nicht dagegen erklärt. Aus dem an allen Stellen gleichlautenden Ausdruck: סלוקבא ןב הירכז לש ותונתונע scheint hervorzugehen, daß er sich eines Votums enthalten habe. Dieses Schweigen müssen die diensttuenden Priester als eine Zustimmung zu dem Antrage angesehen haben, daß das Kaiseropfer nicht dargebracht werden sollte. Und deswegen ist die Klage tradiert worden: dieses Zacharias Zurückhaltung habe an der Zerstörung des Tempels Schuld getragen. Die Hilleliten, welche für den Frieden waren, haben wohl diese Tradition von Zacharias Verhalten bei dieser wichtigen Frage tradiert. Die Sage von Kamza und Bar-Kamza hat übrigens ebenfalls einen historischen Anhalt. Unter den Römerfreunden in Tiberias zur Zeit der Revolution nennt Josephus (Vita 10) einen Κομψὸς ὁ τοῠ Κομψοῠ.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1906, Band 3.2, S. 820-822.
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