[599] Infolge der Bibelübersetzung ins Griechische hat sich eine eigene literarische Erscheinung herausgebildet, welche man die hellenistische nennt. Sie ist, auch abgesehen von den philonischen Schriften, reichhaltig genug und hat einen Einfluß ausgeübt, der sich wie im Fluidum nicht im einzelnen nachweisen läßt. Die Vorliebe vieler Heiden für Judentum und Christentum (d.h. für Judentum in anderer Form) ist durch diese Literatur gefördert worden. Teilen wir die Erzeugnisse dieser Literatur nach ihrem Fundorte, ihrem Inhalte und ihrer Form ein.
I. Die durch Alexander Polyhistor erhaltenen Bruchstücke von geschichtlichen oder poetischen Bearbeitungen biblischen Stoffes:
Die meisten dieser Bruchstücke sind in Eusebius' Praeparatio Evangelica IX, 17-39, zum Teil in Clemens Alex. Stromata I enthalten, und zusammengestellt in Müllers Fragmenta historicorum graecorum III, 207-230.
II. Apokryphische Schriften in echt griechischem Stil und biblischem Kolorit:
Die übrigen Apokryphen, wie der Brief Baruchs, der Brief Jeremiä, Susanna, können hier ebensowenig in Betracht kommen wie Judith und Tobias, weil es mindestens zweifelhaft ist, ob sie griechisches Original oder Übersetzungen sind. Dasselbe gilt auch von den sogen. Salomonischen Psalmen.
III. An die dichterischen Erzeugnisse schließen sich an pseudepigraphische Verse anderer judäischer Dichter, von denen die quantitativ und qualitativ bedeutendsten sind:
IV. Pseudepigraphische Schriften in Prosa:
Das Alter aller dieser teils vollständig teils fragmentarisch erhaltenen Schriften ist schwierig zu bestimmen, da nur zwei derselben ein chronologisches Datum enthalten, und dieses mit solchen Widersprüchen behaftet auf uns gekommen ist, daß es zweifelhaft erscheint, ob die Schriften dem dritten oder dem zweiten vorchristl. Jahrhundert angehören. Von der Klasse I kann man indessen wenigstens den chronologischen terminus ad quem bestimmen. Alexander Polyhistor hat eben diese Fragmente erhalten, und von diesem weiß man wenigstens so viel, daß er zwischen 82 und 60 in Sullas Zeit als Freigelassener in Rom gelebt und Kollektaneen angelegt hat (vergl. C. Müllers Fragm. hist. Graecc. III, p. 206 ff.). Diese Schriften sind also jedenfalls spätestens im ersten vorchristl. Jahrhundert verfaßt worden; von den übrigen läßt sich nicht einmal eine solche enge chronologische Einschränkung feststellen. Das Zeitalter der letzten drei Gruppen kann daher nur aus Andeutungen, welche gewisse geschichtliche Anhaltspunkte oder Zustände verraten, oder aus Anführungen aus denselben in späteren Schriften eruiert werden. Als Hilfsmittel zur Eruierung einer annähernden Zeitlage kann auch die Tendenz der meisten von ihnen dienen, da sie, wie sich erweisen wird, apologetischer oder polemischer Natur oder beides zugleich ist. Denn selbstverständlich waren die genannten teils anonymen teils pseudonymen Verfasser Judäer und eifrige Anhänger ihres Bekenntnisses. Die Apologie für das Eigene weist, wenn sie sich in einer Schrift kundgibt, sachgemäß auf einen vorangegangenen Angriff gegen dasselbe. Läßt sich dieser chronologisch ermitteln, so kann bei der apologetischen Schrift mindestens der terminus a quo festgestellt werden. Dagegen ist die Untersuchung des Verhältnisses einzelner dieser Schriften zur LXX, die ich selbst in den frühern Ausgaben angestellt habe, wie ich mich jetzt überzeugt habe, ohne den geringsten Belang. Denn abgesehen von der ungewissen Entstehungszeit der griechischen Übersetzung des Pentateuchs – nur diese kann dabei in Betracht kommen – und ferner von der Frage, ob sie der Art kanonisches Ansehen gehabt hat, daß später lebende Schriftsteller sich der darin vorkommenden Phraseologie sklavisch bedient haben müßten, abgesehen davon, sage ich, daß diese Punkte noch problematisch sind, würde dieses Moment für die Schriften, welche Vergleichungspunkte bieten, im besten Falle nur das ergeben, was eigentlich selbstverständlich ist, daß solche Schriften in dem Zeitalter nach der Entstehung der LXX verfaßt wurden. Historisch bezeugt ist eigentlich nur die literarische Produktivität ägyptischer oder richtiger alexandrinischer Judäer in der Zeit Ptolemäus' VII. (Euergetes II.), in dessen 38 stem Jahre der jüngere Sirach in Ägypten eingewandert war und bereits eine Art Schriftstellerei unter den alexandrinischen Judäern angetroffen hat, also im besten Falle im zweiten vorchristl. Jahrhundert. Aus noch älterer Zeit dagegen liegt kein Zeugnis vor [vgl. hierzu jedoch meine Anm. auf S. 582].
Gehen wir mit diesen Voraussetzungen an die chronologische Untersuchung der Abfassung der aufgeführten judäisch-hellenistischen Literatur und beginnen [600] wir mit zwei Schriftstellern, die dem Namen nach bekannt sind und scheinbar chronologische Anhaltspunkte geben, nämlich mit Eupolemos und Demetrios.
1) Eupolemos. Clemens Alexandrinus hat von dem judäisch-hellenistischen Schriftsteller oder Historiker Eupolemos eine chronologische Notiz erhalten, die auf den ersten Blick so zweideutig und so widerspruchsvoll gehalten ist, daß die Forscher sich bisher vergeblich bemüht haben, sie zu erklären. Die Notiz lautet (Stromata I, 21): Ἔτι δὲ καὶ Εὐπόλεμος ἐν τῇ ὁμοίᾳ πραγματείᾳ (περὶ Ἰουδαίων) τὰ πάντα ἔτƞ φƞοὶν ἀπὸ Ἀδὰμ ἄχρι τοῠ πέμπτου ἔτους Δƞμƞτρίου βασιλείας Πτολεμαίου τὸ δωδέκατον βαοιλεύοντος Αἰγύπτου συνάγεσϑαι, ἔτƞ $ερμϑ´. »Von der Zeit, daß Mose die Judäer aus Ägypten geführt bis zu genannter Frist 2580 Jahre«. Es ist allerdings gleichgültig, welche Zählungsweise Eupolemos angewendet hat, um von Adam oder der Weltschöpfung bis zum fünften Jahr eines Königs Demetrios 5149 und vom Auszuge bis zu demselben Jahre 2580 I. herauszubringen. Dieses Moment kann nicht in die Untersuchung genommen werden. Die Schwierigkeit besteht darin, daß dieser Schriftsteller es unbestimmt läßt, ob er bis zum fünften Jahre Demetrios' I. Soter oder bis zu dem seines Sohnes Demetrios' II. Nikator gezählt hat. Der erste regierte von Nov. 162 bis August 150. Der Regierungsanfang des Zweiten ist nicht ganz genau bekannt. Es gibt dafür nur eine einzige Quelle, das erste Makkabäerbuch (10, 67): »Im Jahre 165 (nach der seleuzidischen Ära) kam Demetrios, Sohn des Demetrios, aus Kreta in das Land seiner Väter« (Syrien-Babylonien). Das entspräche dem Jahr 148/147. Das 5te Jahr des ersten Demetrios wäre das Jahr 158/157, das des zweiten 144/143 oder 169 Sel. Noch dazu erweist sich darin ein Widerspruch, wenn man das 5. Jahr mit dem zwölften eines Ptolemäus kongruent machen will. Soll darunter Ptolemäus VI. Philometor verstanden sein, dessen Regierung 181 begann, so fiele sein zwölftes ins Jahr 170. Das stimmt gar nicht. Es müßte also von seinem Bruder Ptolemäus VII. (Euergetes II. Physkon) die Rede sein, welcher mit Philometor gemeinschaftlich vom Jahre 170 an regierte. Sein zwölftes Jahr träfe allerdings ungefähr mit dem fünften des Demetrios I. zusammen, genau genommen zwar mit dem sechsten. Allein, da damals im Jahre 157 Ptolemäus VI. doch noch gelebt haben müßte, und wie man annimmt, auch der Verf. Eupolemos, so bleibt der Umstand auffallend: Warum zählte Eupol. gerade nach den Regierungsjahren des Bruders, obwohl dieser vom Jahre 164 an nicht mehr König von Ägypten war, sondern über Cyrene herrschte, und erst lange später, als er Alleinherrscher von Ägypten geworden war, sich auch die Zwischenjahre zurechnete? Aber ebensowenig wollen die Zahlen stimmen, wenn man an Demetrios II. denkt; denn dann sind die 12 Jahre des Ptolemäus VII. zu wenig, wenn man von seiner ersten Mitregentschaft 170, oder zu viel, wenn man von dem Todesjahre seines Bruders rechnet, da das erste Regierungsjahr dieses Demetrios und das des Ptolemäus VII. als Nachfolgers Philometors, nur um ein Jahr differieren. Das sind die Schwierigkeiten, welche Eupolemos' chronologische Angaben involvieren. C. Müller hat daher die Ausgleichung durch Emendation versucht. Statt τὸ δωδέκατον soll gelesen werden τότε τὸ ἕκτον. Indessen so wenig glücklich auch diese Emendation ist, so hat doch Müller in der Sache das Rechte getroffen, daß Eupolemos als terminus ad quem seiner chronologischen Berechnung das Befreiungsjahr der Judäer vom Joche der Syrer unter Demetrios II. zur Zeit Simons gewählt hat. Er bemerkt (Fragmm. historicc. Graecc. III, p. 208 b). »Innuit vero Demetrium Nicatorem, [601] qui regnum suscepit a. 146 exeunte. Ejus anno quinto, quum libertatem Judaeis rex concesserit, vides, cur ad hunc terminum Eupolemus numeros suos direxerit.« Soweit Müller, dem M. v. Niebuhr folgte. Freudenthal, welcher mit Recht Müllers Emendation verwarf, nahm Demetrios I. wieder auf und stützte diese Annahme besonders auf die Notiz, welche Clemens zu Eupolemos' Berechnung hinzufügte. Diese lautet: »Von dieser Zeit an bis zum römischen Konsul Gajus Domitianus Cassianus sind 120 Jahre abgelaufen. ἀπὸ δὲ τοῠ χρόνου τούτου ἄχρι τῶν ἐν Ρώμς ὑπάτων Γαίου Δομιτιανοῠ Κασιανοῠ συναϑροίζεται ἔτƞ ἑκατὸν εἴκοσι. Masson hat bereits auf die richtigen Namen der hier entstellt genannten Konsuln hingewiesen. Es muß dafür gelesen werden: Γναΐου Δομετίου καὶ Ἀσινίου (hist. crit. I, 35). Es sind das die Konsuln des Jahres 714 Roms, = 40, nämlich Cnaejus Domitius Calvinus und Cajus Asinius Pollio. Während ihres Konsulats wurde Herodes von Octavian und Antonius zum König von Judäa erhoben. Clemens Alexandrinus rechnete also von dem 5 ten Jahre des Demetrios bis zum Jahre von Herodes' Ernennung 120 Jahre. Diese Zahl käme ungefähr heraus, wenn man von Demetrios I. ausgeht, dagegen würde die Zahl zu groß sein, wenn man Demetrios II. darunter verstehen soll. So weit Freudenthal (hellenistische Studien, N. 12, S. 212 fg.). Er entscheidet sich aus diesem und aus anderen Gründen gegen die andere Annahme für Demetrios I. (S. 123) und kommt infolgedessen zu dem Schlusse, daß Eupolemos gerade dieses, zwar durchaus nicht epochemachende Jahr 158 als terminus ad quem gewählt habe, weil er in dieser Zeit unter Philometor seine Schrift verfaßt habe.
Allein diese Annahme ist ganz unhaltbar. Denn, wie bereits bemerkt warum sollte Eupolemos, der doch Zeitgenosse des Philometor gewesen sein soll, nach den Regierungsjahren Physkons datiert haben, der damals 159/158 nicht über Ägypten geherrscht hat, und warum nicht viel einfacher und richtiger nach denen Philometors, der damals faktisch regiert hat? Es wäre ja eine Verkehrtheit ohne Gleichen! Man muß daher durchaus bei Demetrios II. stehen bleiben. Die Einwürfe, welche Freudenthal gegen diese Annahme aufgeführt hat, sind nicht unwiderleglich, man braucht nicht einmal zu Müllers allerdings wenig plausibler Emendation Zuflucht zu nehmen. Erscheint doch der ganze Passus, wie er uns bei Clemens vorliegt, durchaus fehlerhaft. Zunächst erscheint die Konstruktion so unrichtig als nur möglich: ἄχρι τοῠ πέμπτου Δƞμετρίου βαοιλείας, Πτολεμαίου τὸ δωδέκατον βαοιλεύοντος Αἰγύπτου. Sollte man nicht die Konstruktion erwarten: καὶ τοῠ δωδεκάτου Πτολεμαίου? [Notwendig ist das nicht.] Ferner müßte Eupolemos sehr nachlässig geschrieben haben, wenn er den Ptolemäer nicht bestimmt genug bezeichnet haben sollte. Sei es, daß er den VI. oder den VII. Ptolemäus gemeint hat, so hätte er doch entweder die indizierende Zahlreihe oder ein Epitheton zu dem König hinzufügen müssen, um ihn kenntlich zu machen. Ptolemäus schlechthin ist eine grobe Nachlässigkeit. Will man Eupolemos nicht diese zur Last legen, so muß man annehmen, daß er den Ptolemäus präzisiert haben muß. Diese Zahl steckt wohl in dem, die Konstruktion entstellenden τὸ δωδέκατον. Es scheint ursprünglich entweder ein Zahlbuchstabe gewesen zu sein, etwa τοῠ x, oder ein Epitheton, und daraus scheinen Kopisten die irreführende und die Konstruktion nur störende Zahl 12 gemacht zu haben. Eupolemos braucht gar nicht das Regierungsjahr des Ptolemäus, von dem er spricht, angegeben zu haben, sonst hätte das καὶ vorher nicht fehlen dürfen. Er hat lediglich angeben wollen, daß zur selben Zeit der und der Ptolemäus in Ägypten regierte. Wie dem auch [602] sei, das unbeholfene το δωδέκατον kann bei diesem chronologischen Kalkül gar nicht in Betracht gezogen werden. Es ist einfach eine Korruptel.
Was den Einwand von dem 120. Jahr des Clemens betrifft, so ist ja Freudenthal selbst gezwungen, dazu Zuflucht zu nehmen, »daß die Konsularfasten schon zur Zeit der römischen Republik vielerlei Fehler aufwiesen und insbesondere dem christlichen Altertum in arger Verwirrung überliefert worden sind«; denn nach seinem Kalkül kommen nur 118 Jahre von Demetrios I. 5tem I. bis zum angegebenen Konsulat heraus. Es ist ganz richtig, daß die christlichen Annalisten bald einige Konsuln zu wenig, bald zu viel haben, indem sie durch die Namenanhäufung aus einem einzigen mehrere gemacht oder mehrere Namen zu einem einzigen zusammengezogen haben, (vergl. Clinton, introductio zu fasti romani I). Clemens kann also ebensogut 120 Jahre statt 103, wie statt 118 gezählt haben. Dieses Moment kann also ebensowenig in Betracht kommen und die sich selbst aufdrängende Annahme stören, daß Eupolemos bis zum 5. Jahre des Demetrios Nikator gezählt hat, weil es ein wichtiges Datum war, nämlich bis zu dem Jahre, in dem »das Joch von Israel genommen wurde,« und das eine Ära in den Urkunden bezeichnete. Achten wir darauf, daß es das Jahr 169 Sel. war, dasselbe Jahr, in welchem die Jerusalemer das Sendschreiben an die ägyp tischen Judäer erließen, um ihnen das freudige Ereignis der Befreiung mitzuteilen (Note 10). Denn Demetrios II. machte nicht erst im Jahre 170 die Konzessionen an Simon und das judäische Volk, sondern schon im vorangegangenen Jahre. Das erste Makabb. (13, 41-42) will uns sagen, daß im Jahre 170 das Joch der Völker von Israel genommen wurde und das Volk von Simons erstem Jahre zu zählen begann, d.h. faktisch begann die Selbständigkeit im Jahre 170 Sel. (von Nissan an gezäblt). Demetrios' II. Freibrief aber kann mehrere Monate vorher, also 169 Sel., ausgestellt gewesen sein. Geht man davon aus, daß Eupolemos dieses Jahr als terminus ad quem für seine Zählung, von Adam und vom Auszug aus Ägypten bis dahin gebraucht hat, weil es epochemachend war, so begreift man auch, warum Clemens Alexandrinus dasselbe Jahr als terminus a quo angesetzt hat. Bezeichnete das Jahr 169 Sel. = 5 Demetrios II. den Anfang der legitimen, nämlich von den syrischen Königen anerkannten Herrschaft der Hasmonäer, so bildete das Jahr, in welchem Herodes als König von Juda anerkannt war, nämlich das Konsulat von Cn. Domitius und Asinius Pollio, das Ende dieser Herrschaft. Clemens muß durchaus das Datum: Demetrios' 5. I. in diesem Sinne als Beginn der Hasmonäerherrschaft aufgefaßt haben, und er will mit seinem Zusatz nur das aussagen, daß die Herrschaft der Hasmonäer (nach seiner Zählung der Konsulreihe) 120 Jahre39 gedauert habe. Daraus folgt ohne weiteres, daß Clemens selbst nur an Demetrios II. gedacht hat; denn innerhalb der Regierungszeit Demetrios' I. gab es kein für die Judäer epochemachendes Jahr. Der Waffenstillstand mit Jonathan, auf den Freudenthal einiges Gewicht legt, war so wenig bedeutsam, daß Jonathan nicht einmal nach Jerusalem kommen durfte, sondern in Michmas weilen mußte. Den Waffenstillstand gewährte auch nicht Demetrios, sondern sein Feldherr Bakchides, weil er sich nicht mehr durch einen Guerillakrieg [603] erschöpfen mochte. Endlich fand dieser Waffenstillstand keineswegs so sicher im 5. I. Demetrios' I statt, sondern wohl später, wie aus Makkabb. 9, 54-73 leicht zu ersehen ist. [Vgl. hierzu die Ausführungen Alfred v. Gutschmids, Kleine Schriften II, 191, ff. Danach ist die Angabe über Ptolemäus für ein Glossem zu halten und am Schluß ist zu lesen: Γναΐου Δομετίου καὶ Ἀσινίου ὑπὸ Κασιανοῠ συναϑροίζεται. Clem. Alex. hat demnach Demetrios Soter verstanden. Freilich hat er nicht präzis gerechnet. S. auch Schürer III3, 353].
Hat Eupolemos das fünfte Jahr Demetrios' II. wegen seiner epochemachenden Wichtigkeit für die Judäer in Palästina in der Voraussetzung, daß es auch denen anderer Länder bekannt sei, als Endtermin gebraucht, so braucht er nicht gerade in diesem Jahre 169 Sel. = 143 vorchr. Z. geschrieben zu haben, sondern kann ebensogut ein oder zwei Dezennien später sein Buch verfaßt haben. Noch mehr: er muß später geschrieben haben, weil er zu dem von ihm angegebenen Datum den Zusatz machen zu müssen glaubte, um die Zeit deutlich erkennen zu lassen, daß damals der und der Ptolemäus regiert hat. Von einem Zeitgenossen erschiene eine solche Präzisierung als Luxus. Dieser Ptolemäus muß ferner nicht mehr am Leben gewesen sein, sonst würde Eupolemos sich anders ausgedrückt haben. Da nun Ptolemäus Physkon 118 ante starb, so kann Eupolemos nur nach dieser Zeit geschrieben haben. [Zwingend sind alle diese Ausführungen nicht.] Eupolemos hat höchst wahrscheinlich das Sendschreiben an die ägyptischen Judäer gekannt, welches 124 ausgestellt ist (vergl. Note 10). – Es folgt aber auch aus diesem chronologischen Schluß ein Korrelat. Eupolemos muß in Ägypten unter den Ptolemäern gelebt haben. Denn wozu brauchte er sonst des Ptolemäus zu erwähnen? Er hatte aber für alexandrinische oder ägyptische Leser, welche von einem König Demetrios, der damals nicht mehr am Leben war, nichts mehr wußten, nötig, diesen Zusatz zu machen, um diesen kenntlich zu machen. Freudenthals Schlußfolgerung (a.a.O. S. 125 fg.), »daß Eupolemos' Schrift weder in Ägypten, noch im eigentlichen Syrien abgefaßt zu sein scheine,« weil er dort nicht nach einem syrischen und hier nicht nach einem ägyp tischen König datiert hätte, diese Schlußfolgerung ist nicht richtig. Eupolemos mußte das Jahr des syrischen Königs als Datum gebrauchen, weil es von Wichtigkeit und bekannt war, und mußte für ägyptische Leser den zur selben Zeit regierenden ägyptischen König als kenntlich machenden Zusatz hinzufügen. Er war also gewiß ein ägyptischer Judäer oder richtiger ein Alexandriner. [Andere wollen ihn für einen Palästinenser halten und mit dem I. Makk. 8, 17, II 4, 11 Genannten indentifizieren; vgl. Schürer a.a.O.]. Sein griechischer Stil ist barbarisch.
Eupolemos' Schrift über die judäischen Könige (und wie es scheint, auch über die Propheten) muß übrigens einen apologetischen Zweck gehabt haben. Denn er verherrlicht darin Mose als Weisen und als Erfinder der Buchstabenschrift, welche die Phönizier von den Judäern und die Griechen von den Phöniziern angenommen hätten. Er verherrlicht ganz besonders den König Salomo, teilt einen selbstverständlich fingierten Briefwechsel desselben mit dem König von Ägypten Uaphres und mit dem König von Tyrus mit und beschreibt ausführlich den Bau des Salomonischen Tempels. Wozu das? Es ist nur als Apologie erklärlich, und diese scheint gegen einen griechischen Schriftsteller gerichtet zu sein, welcher die Judäer samt und sonders als unwissende Barbaren geschildert hatte. Nun kennen wir keinen judenfeindlichen Schriftsteller vor Apollonios Molo, welcher das judäische Altertum so sehr herabgesetzt [604] hätte. Dieser aber behandelte in seiner Schrift Mose als Zauberer und Betrüger, seine Gesetze als gottlos und menschenfeindlich und die Judäer als das beschränkteste und dümmste der barbarischen Völker, welches nicht den geringsten Beitrag zur Erfindung fürs Leben geliefert hätte (Jos. c. Apionem II, 14). Diesem gegenüber scheint Eupolemos hervorzuheben, daß Mose die Buchstabenschrift erfunden habe, deren sich die Griechen bedienen, und daß Salomo einen so überaus prachtvollen Tempel erbaut und eine goldene Säule dem König von Tyrus zugesandt habe40. Sämtliche darin vorkommende Übertreibungen und Anachronismen haben ihren Erklärungsgrund in der Apologie. Eupolemos, oder wie er sonst geheißen haben mag, hat demnach für griechische Leser geschrieben. Eupolemos könnte also nach Apollonios Molo geschrieben haben, den übrigens Alexander Polyhistor ebenfalls exzerpiert hat. Es ist bereits angegeben (S. 593), daß Josephus Eupolemos, sowie den Chronologen Demetrios, obwohl beide eingehende Kunde von der biblischen Geschichte zeigen, für heidnische Schriftsteller gehalten hat (c. Ap. I, 23).
2) Demetrios. Seine Schrift enthielt Chronologisches für die judäische und wahrscheinlich auch israelitische Königsreihe. Er hat ebenfalls eine chronologische Angabe, die ebenso voller Schwierigkeiten ist und Widersprüche enthält. Clemens referiert nämlich von ihm an derselben Stelle Stromat I, 21 folgendes: Δƞμἠτριος δέ φƞσιν ἐν τῷ περὶ τῶν ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ βασιλέων τὴν Ἰούδα φυλὴν καὶ Βενιαμὶν καὶ Αευὶ μὴ αἰχμαλωτιοϑῆναι ὑπὸ τοῠ Σεναχƞρείμ, ἀλλ᾽ εἶναι ἀπὸ τῆς αἰχμαλωσίας ταύτƞς εἰς τὴν ἐοχάτƞν, ἥν ἐποιἠσατο Ναβουχοδονόσορ ἐξ Ιεροαολύμων, ἔτƞ ἑκατὸν εἴκοοι ὀκτὼ μῆνας ἕξ: ἀφ᾽ οὗ δὲ αἱ φυλαὶ αἱ δέκα ἐκ Σαμαρείας αἰχμάλωτοι γεγόνασιν ἕως Πτολεμαίου τετάρτου ἔτƞ πεντακόσια ἑβδομἠκοντα τρία μῆνας ἐννέα. ἀφ᾽ οὗ δὲ ἐξ Ιερο$ολύμων ἔτƞ τριακόοια τριάκοντα ὀκτὼ μῆνας τρεῖς. Also rechnete er von dem Exil der zehn Stämme bis zu Ptolemäus IV. 573 Jahre und vom Exile des judäischen Reiches bis dahin 338 Jahre.
Die chronologischen Widersprüche liegen auf der Hand. Zwischen der Gefangenschaft der zehn Stämme und der letzten Gefangenschaft unter Nebuchadnezar sollen nach der einen Angabe nur 128 1/2 Jahre liegen, nach der andern dagegen 235 1/2 I., nämlich 573 3/4 I. – 338 1/4 I. = 235 1/2 I. Dadurch ist auch der chronologische terminus ad quem widersprechend. 573 I. seit Gefangenschaft der zehn Stämme – die im ganzen ziemlich festgestellt ist, gleich 719 ante – würde auf das Jahr 146 oder – den Bruch berücksichtigt – auf 145 führen. Aber damals regierte nicht Ptolemäus IV., sondern der VII. Physkon. Nach der anderen Zahl 338 1/4 seit dem babylonischen Exil, das astronomisch-chronologisch auf 586 ante fixiert ist, kommen wir auf das Jahr 247 3/4. Aber damals regierte der dritte Ptolemäus I., Euergetes, möglicherweise sogar noch sein Vorgänger Ptolemäus II. Philadelphus, da dieser zwischen 248-247 starb. Was die sachlichen Schwierigkeiten betrifft, die man auch in diesem Passus gefunden hat, so sind sie unerheblich. Da Demetrios angibt: die drei Stämme Juda, Benjamin und Levi seien nicht unter Sancherib ins Exil geführt worden, und es lägen zwischen diesem Exile (ἀπὸ τῆς αἰχμαλωσίας ταύτƞς) bis zu dem unter [605] Nebuchadnezar so und soviel Jahre, so muß er voraufgehend von dem Exil der zehn Stämme gesprochen haben, wie er auch weiterhin von demselben spricht: ἀφ᾽ οὗ αἱ φυλαὶ αἱ δέκα ... αἰχμάλωτοι γεγὁνασιν. Daraus folgt, daß Demetrios einen historischen Schnitzer begangen hat, indem er den Untergang Samarias und das Exil der zehn Stämme unter Sancherib setzte, während sie unter Salmanassar erfolgten. Denn augenfällig ist es, daß seine Bezeichnungen αἰχμαλωοία, αἰχμάλωτοι, αἰχμαλωτισϑῆναι nichts anderes als »Exil« und »Exulanten« oder »Deportation« und »Deportieren« bedeuten können. Freudenthal hat mit Unrecht, um den Widerspruch zu lösen, diesen Wörtern die Bedeutung »Plünderung« oder »Brandschatzung« untergelegt [Mir erscheinen Freudenthals (S. 58) Nachweise vielmehr höchst beachtenswert]. In dem Passus ἀφ᾽ οὗ δὲ ἐξ Ιεροσολύμων, nämlich αἰχμάλωτοι γεγόνασιν, soll ja das Wort geradezu exules ausdrücken; denn Dem. will damit das babylonische Exil bezeichnen. Durch die unstreitige Voraussetzung, daß Demetrius Sancherib mit Salmanassar verwechselt hat, vereinfachen sich die Widersprüche und werden lediglich auf die chronologischen reduziert.
Um diese zu heben, muß man davon ausgehen, daß die L.-A. Πτολεμαίου τετάρτου durchaus nicht zu halten ist, weil sie so oder so falsch ist. Man darf sich auch nicht verhehlen, daß die unbestimmte Angabe: bis zu Ptolemäus IV. (oder einem andern) bei der Absicht, einen exakt-chronologischen Kalkül zu geben, wunderlich erscheint. Das Regierungsjahr des betreffenden Ptolemäus hätte ja entschieden angegeben werden müssen, wenn die Berechnung genau sein soll! Demetrios will so außerordentlich genau chronologisch berechnen, daß er die Monate mit hineinzieht, und soll den terminus ad quem nach dem Jahre zu bestimmen vergessen haben! Das ist undenkbar. Daraus folgt, daß entweder der Terminus des Regierungsjahres des Ptolemäus fehlt, also der Text defekt ist, oder daß Demetrios diesen Terminus als allbekannt vorausgesetzt hat. Dieses vorausgeschickt, sind die chronologischen Widersprüche nicht so außerordentlich drückend, oder vielmehr: der eine derselben kann gehoben werden. Von den beiden Zahlen 573 3/4 seit dem Exil der zehn Stämme und 338 1/4 seit der Zerstörung Jerusalems ist eine jedenfalls verschrieben, entweder die erstere um ein Jahrhundert zu hoch oder die letztere um ebensoviel zu niedrig angegeben. Ein plus oder minus von 100 Jahren ist um so berechtigter anzunehmen, als ja Demetrios selbst das Intervall zwischen den beiden Exilsepochen auf 128 1/2 Jahre ansetzt. Er kann ja nicht in demselben Atemzuge dieses Intervall auf 235 1/2 Jahre ausgedehnt haben. Faktisch beträgt die Zwischenzeit zwischen den beiden Exilsepochen 133 Jahre, nämlich das assyrische Exil 719 und das babylonische 586 gerechnet. Die kleinere Zahl 128 1/2 kommt also jedenfalls der richtigen näher als die größere 235 1/2. Es bleibt also nur die Frage, ob eine Subtraktion von 100 Jahren von der ersten Zahl oder eine Addition von 100 Jahren zur zweiten berechtigter ist. Aus zwei Gründen empfiehlt sich nun die Umwandlung der Zahl 338 in 438. Denn bliebe die erstere bestehen, so könnte man der Zahl τετάρτου auf keine Weise beikommen. Denn offenbar hat Demetrios, vielleicht von einem variierenden Text geleitet, das Intervall zwischen den beiden Exilsepochen um 2 Jahre zuviel angesetzt, da wie schon angegeben, dieser nach der Königsreihe in unserem Texte vom 6. Jahr Chiskijas bis zum 11. Zidkijas nur 133 Jahre beträgt, und wenn man die 3 Monate Jojachins dazu zählt, 133 1/4. Da nun als die babylonische Exilsepoche unverrückbar 586 feststeht, würde die Subtraktion 338 von 586 auf das I. 248, und wenn man die zwei Jahre Differenz abzieht, [606] immer noch auf das Jahr 246 treffen, d.h. in die letzten Regierungsjahre des Ptolemäus II. oder doch jedenfalls in die des Ptolemäus III. Die Emendation von τέταρτος in τρίτος würde also auch nicht richtig sein. Wenn man dagegen statt 338 setzt 438, so würde der Abzug von dem faktischen Exilsjahre 586 das Jahr 148, beziehungsweise 146 ergeben. Dasselbe Ergebnis folgt auch, wenn man von dem assyrischen Exilsjahre oder vom Untergang Samarias, nämlich von 719, die Zahl 573 abzieht = 146 ante. Dabei ist vorausgesetzt, daß Demetrios wirklich die chronologische Berechnung angewendet habe, die erst von den modernen bedeutenden Chronologen vermittelst komplizierter Kombination gewonnen wurde, nämlich 719 für das assyrische und 586 für das babylonische Exil. Hätte er die beiden Exilsepochen um 4 oder 3 Jahre früher angesetzt, also etwa die assyrische um 723 und die babylonische um 590, so träfen seine beiden Zahlenangaben auf das Jahr 143 oder 142, unter die Regierung Ptolemäus VII., d.h. auf das epochemachende Jahr der erlangten Selbständigkeit Judäas unter dem Hasmonäer Simon. Und es ist wahrscheinlich, daß auch er gleich Eupolemos dieses für die Judäer so hochwichtige Jahr als terminus ad quem angesetzt hat. Das Zahlwort τέταρτος, das doch jedenfalls falsch ist, könnte vielleicht auf [einer m.E. kaum annehmbaren] Verwechselung von δ und ζ beruhen. Wie dem auch sei, man hat durchaus keine Berechtigung als gewiß anzunehmen, daß Demetrios unter Ptolemäus Euergetes I., d.h. in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts geschrieben habe, da diese Annahme lediglich [daß sie nicht »lediglich« auf dieser Emendierung beruht, s. bei Schürer a.a.O. S. 350] auf Emendierung von τέταρτος in τρίτος beruht, und diese durch den Kalkül erschüttert ist. Der Beweis, der von diesem Momente für das höhere Alter der griechischen Pentateuchübersetzung entnommen wird, beruht demnach auf unsicherer Grundlage. Ohnehin ist es mißlich, durch scheinbare Wortparallelen Demetrios' Abhängigkeit von der Septuaginta zu urgieren. An einer bedeutsamen Stelle weicht er geradezu von dem Text der LXX ab. Diese übersetzen in erstaunlicher Ignoranz den Passus (Genesis 28, 20): םש זול םלואו ריעה mit καὶ Οὐλαμλούς [Swete hat: Οὐλαμμαύς] ἦν ὄνομα, Demetrios dagegen hat das richtige εἰς Λουζὰ τῆς Βαιϑἠλ. Er hat demnach [?] unabhängig von der griechischen Übersetzung seine Geschichte und Chronologie ausgearbeitet. Man darf daher keineswegs von Demetrios einen Rückschluß auf das Alter der LXX machen [vgl. jedoch oben S. 582, Anm. 1].
Was von Demetrios' Schrift zu halten ist, läßt sich schwer beurteilen. Sie gibt eine minutiöse, bis auf Monate ausgerechnete Chronologie von den Lebensjahren der Patriarchen, der Nachkommen Jakobs und Moses wie sie auch die Exilszeit der zehn Stämme und Judas bis auf einen Ptolemäer nach Jahren und Monaten ausrechnet. Auch dahinter muß eine Tendenz stecken.
3) Dagegen ist der apologetische Charakter des dritten Schriftstellers, welcher über die alte Geschichte der Judäer geschrieben hat, und der sich Artapanos nannte, nicht zu verkennen (vergl. o. S. 593). Mose macht er zu einem Heldenkrieger, der die Äthiopier überwunden habe. Noch mehr, Mose habe nicht nur eine staatliche Ordnung in Ägypten eingeführt, sondern auch für die Menschen viel Nützliches gelehrt, Schiffsbau, Maschinen, ägyptische Waffen, Wasserwerke und auch noch die Philosophie erfunden. Das ist offenbar Tendenz, gegen die Schmäher der judäischen Stammväter und Gesetzgeber gerichtet, und ganz besonders gegen Apollonios Molo.
Artapanos oder, wie er sonst geheißen haben mag, war ein echter Pseudepigrapheus; seine Schrift zur Verherrlichung Moses will eigentlich von einem[607] ägyptischen Priester geschrieben sein, welcher Mose noch gekannt habe. Daher wird von Mose eine Schilderung der Persönlichkeit gegeben, als wenn der Verf. ihn noch als Zeitgenossen gesehen hätte. Mose sei groß gewachsen, von gesunder Farbe gewesen und habe ein würdevolles Aussehen gehabt: γεγονέναι δέ φƞσι τὸν Μώϋσον μακρόν, πυῤῥακῆ, πολιόν, κομἠτƞν, ἀξιοματικόν. Die Griechen hätten ihn unter dem Namen Musaios, als Lehrer des Orpheus, gekannt und verehrt. Von den Ägyptern sei er als Hermes, als Erfinder der Schrift, verehrt worden. Artapan sagt auch, die Hebräer heißen eigentlich Hermiuth (Ερμιούϑ), und darunter hat er wohl angeben wollen, daß die Ägypter oder die ägyptischen Priester sie als »Menschen Gottes« angesehen (vgl. o. S. 594). Das alles ist augenscheinlich zugespitzte Tendenz, und zwar gegen Molo. Artapan hat höchstwahrscheinlich erst im ersten vorchristlichen Jahrhundert zur Zeit dieses judenfeindlichen Schriftstellers gelebt.
Diese drei Schriftsteller, die den gemeinsamen Zug haben, dem judäischen Altertum Relief geben zu wollen, waren entschieden Ägypter, d.h. Alexandriner. Artapan ist voll von ägyptischen Dingen. Er deutet auch an, daß der Tempel in Heliopolis, d.h. der Oniastempel, von den in Ägypten eingewanderten Hebräern erbaut worden sei: τούτους δὲ ... τὸ ἐν Ηλιουπόλει ἱερὸν καταοκευάσαι τοὺς Ερμιοὺϑ ὀνομαζομένους.
Richtig bezeichnet Hieronymus Eupolemos und Demetrios als polemische, besser als apologetische Schriftsteller (de viris illustribus c. 38): Demetrium et Eupolemum scriptores adversus gentes refert, qui in similitudinem Josephi Ἀρχαιογονίας Moysis et Judaicae gentis asservant. Pseudo-Artapan dokumentiert diesen Charakter in einem noch höheren Maße. Man kann daher diese drei Schriftsteller mit Recht als alexandrinisch-judäische bezeichnen, in der richtigen Voraussetzung, daß die literarische Tätigkeit der ägyptischen Judäer nicht in den kleinen Landstädten, sondern in der Hauptstadt konzentriert war.
4) Ezekielos, der Tragödiendichter, von dessen Drama ἐξαγωγἠ Alexander Polyhistor und Eusebius größere Fragmente erhalten haben. Der Inhalt ergibt gar nichts für die Bestimmung seiner Zeit. Man kann daher nur von ihm sagen, daß er vor Alexander Polyhistor gedichtet haben muß. Vergl. über seine Verse L. Philippson, Ezechiel, des jüdischen Trauerspieldichters Auszug aus Ägypten und Philo des Älteren Jerusalem 1830, Dübner, Anhang zu Euripidis fragmenta, 1846. Vergl. o. S. 595 die Vermutung, daß er wohl identisch mit dem Tragödiendichter Theodektes im Aristeasbrief sei, daß er mehrere Tragödien judäischen Inhalts gedichtet, und daß er an Glaukoma gelitten habe. Seine Senarien sind nichts weniger als rhythmisch. Merkwürdig ist, daß er in einem Vers das Wort Pascha gebraucht:
157. Διχομƞνίᾳ τὰ πάσχα ϑύσαντας Θεῷ,
und daß er für Passahopfer auch Rinder annimmt (V. 176), nach Deuteronomium, wie es wahrscheinlich im Oniastempel üblich war.
5) Älter als diese war wohl der Dichter Theodotos (seine Fragmente bei Eusebius a.a.O. IX, c. 22, 426 fg.). Er preist Sichem, nennt es »die heilige Stadt« und erzählt nach dem Pentateuch die Geschichte, die sich an Sichem knüpft. Er wollte offenbar Sichem und den Tempel auf Garizim auf Kosten des Heiligtums von Jerusalem hervorheben; seine Verse haben entschieden eine apologetische Tendenz. Theodotos war demnach unstreitig ein Samaritaner und hat mit seinen Versen das Heiligtum der Chuthäer gegenüber den Schmähern desselben in Versen glorifizieren wollen. Daraus läßt sich auch [608] sein Zeitalter bestimmen. Der Tempel auf Garizim wurde von Hyrkan I. zerstört vor 112 (o. S. 71), und seit der Zeit wurde er nicht mehr erbaut. Theodotos muß also vor dieser Zeit gedichtet haben. Er hat aber griechischen Lesern den Vorzug des Heiligtums von Sichem dartun wollen; er muß demnach zur Zeit gedichtet haben, als der Streit über die berechtigtere Heiligkeit Sichems oder Jerusalems zwischen Samaritanern und Judäern entbrannt war. Dieser wurde vor Ptolemäus VI. Philometor geführt (S. 44). Folglich hat er wohl um diese Zeit, um die Mitte des 2. Jahrh., gedichtet.
6) Dasselbe gilt auch von einem prosaischen Schriftsteller, dessen Fragment Eusebius (a.a.O. c. 17, 418 fg.) aus Polyhistors Exzerpten unter Eupolemos' Namen erhalten hat. Freudenthal hat mit unwiderleglichen Gründen festgestellt, daß dieses Fragment nicht dem früher genannten Eupolemos gehören könne, sondern daß es von einem Samaritaner stamme (a.a.O. S. 82 ff). Dieses Fragment nennt den Berg Garizim (ἱερὸν Αργαριζίν), »den Berg des Höchsten« und setzt voraus, daß auf demselben noch ein Tempel (ἱερόν) gestanden hat. Der samaritanische Verf., welcher Abrahams Kenntnisse preist, die durch ihn zu den Babyloniern gelangt seien, will zugleich indirekt eine Apologie für den samaritanischen Tempel auf Garizim halten. Dagegen kann mich die Auseinandersetzung Freudenthals (das. 150 fg.) nicht überzeugen, daß das kleine Fragment aus denselben Exzerpten bei Josephus (Altert. I, 15 und Eusebius a.a.O. IX, 20, p. 422 b) über die Söhne Keturas von Abraham und ihren Zusammenhang mit andern Völkern ebenfalls von einem Samaritaner namens Malchos (Malchas), griechisch Kleodemos, der ein Prophet genannt wird, stammen soll. Es ist wohl eine betrügerische oder selbstbetrügerische, auf einer schlechten Etymologie beruhende Ethnographie, daß die Assyrier und Afrikaner von Abraham durch Ketura abstammen, und Nachkommen Abrahams sogar mit Herakles verschwägert wurden, also mit den Herakliden stammverwandt seien. Durch eine ähnliche Insinuation wollten später die Juden in Arabien ihre Stammverwandtschaft mit den Arabern dartun.
7) Die wenigen dunkeln Verse bei Eusebius (das. 20, p. 421; 24, p. 430) die Philo beigelegt werden, verherrlichen Jerusalem und seinen Wasserreichtum, Sie scheinen eine dichterische Entgegnung auf Theodots Panegyricus auf Sichem zu sein. Dieser Philo wird von Josephus »der ältere Philo« (Φίλων ὁ πρεσβύτερος) genannt (c. Apionem I, 23). Josephus hat ihn, sowie Demetrios und Eupolemos, für griechische Schriftsteller gehalten, welche ein wenig gegen die Wahrheit (der biblischen Erzählung) gefehlt hätten (o. S. 593). Dieser ältere Philo, wenn er gegen Theodotos polemisiert hat, mag auch zu Philometors Zeit versifiziert haben. Er würde demnach zu den ältesten Schriftstellern der hellenistisch-judäischen Literatur gehören.
8) Das winzige Fragment über Hiobs Abstammung, das in den Exzerpten unter dem Namen Aristeas oder Aristaios mitgeteilt wird, bietet wegen seiner Kürze und der Harmlosigkeit des Stoffes keine Handhabe für die Untersuchung der Abfassungszeit. Das einzig Abweichende vom Buche Hiob in diesem Fragmente ist, daß Hiobs Freunde zu Fürsten gemacht werden: Eliphas zum König der Thaimaniten, Bildad zum Tyrannen der Sauchäer (יחוש), und Zophar, zum König der Minäer. Sollte seine Schrift ebenfalls eine panegyrische Tendenz gehabt haben?
Bei den bisher behandelten Erzeugnissen der judäisch-hellenistischen Literatur konnte wenigstens noch als Endpunkt für die Chronologie festgestellt werden, daß sie mindestens vor der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen [609] Jahrhunderts geschrieben sein müssen. Bei den übrigen fehlt auch der terminus ad quem, und wir sind, wie gesagt, auf Vermutungen angewiesen. Indessen lassen sich doch noch einige derselben annäherungsweise chronologisch fixieren.
9) Pseudo-Hekataios. Von diesem sind mehrere Fragmente erhalten. Es zirkulierte noch im dritten Jahrhundert eine Schrift περὶ Ἰουδαίων, an deren Echtheit schon Herennius Philo von Byblos zweifelte (Origenes contra Celsum I, 15). Diese Schrift wird auch von Josephus (c. Apionem I, 22) zitiert und daraus ein größeres Fragment mitgeteilt über die Wanderung von Judäern nach Ägypten unter Ptolemäus I., über Leiden der Judäer unter den Persern und ihre Standhaftigkeit und über Jerusalem, den Tempel und den Kultus. In demselben Buche war auch enthalten, was Josephus über Alexander des Großen Verhalten zu den Judäern auszieht (das. II, 4). Die Echtheit dieser Schrift verwirft C. Müller mit Recht, namentlich durch Vergleichung des Urteils, über den echten Hekataios bei Diodor; s. Fragm. histt. Graecc. II, p. 385 und p. 393 fg., wo die Fragmente mitgeteilt werden. Verschieden von der Schrift περὶ Ἰουδαίων scheint eine andere gewesen zu sein, die unter dem Titel περὶ Ἀβράμου oder κατ᾽ Ἄβραμον καὶ τοὺς Αἰγυπτίους ebenfalls von Josephus zitiert wird (Altert. I, 7, 2). Diese war, den Fragmenten nach zu urteilen, nicht historisch, sondern dogmatisch oder apologetisch. Clemens Alexandrinus zitiert daraus 9 Verse angeblich von Sophokles, welche die Einheit Gottes betonen und gegen das Götzentum polemisieren (Stromata V, c. 14, p. 717).
Ο μὲν Σοφοκλῆς, ὤς φƞοιν Ἑκαταῖος, ὁ τὰς ἱστορίας ουνταξάμενος, ἐν τῷ κατ᾽ Ἄβραμον καὶ τοὺς Αἰγυπτίους, ἄντικρυς ἐπὶ τῆς σκƞνῆς ἐκβοᾷ:
Εἷς ταῖς ἀλƞϑείαισιν, εἷς ἐστὶν Θεός.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus Clemens haben es Eusebius (Praep. evang. XIII, 13, p. 860) und andere Kirchenväter entlehnt; bei Justinus Martyr dagegen werden die pseudo-sophokleischen Verse ohne Quellenangabe zitiert (Cohortatio 18 und de Monarchia 2). Das Zitat will also sagen, daß der Verf. der historiae, nämlich de Judaeis, auch eine Schrift über Abraham und die Ägypter geschrieben habe, in welcher die Verse enthalten waren. Daß die Verse und auch die Schrift unecht sind, braucht nicht weiter bewiesen zu werden. Aus dieser Schrift ist ohne Zweifel das Citat in Pseudo-Aristeas: daß sich die griechischen Schriftsteller, Dichter und Geschichtsschreiber von der Erwähnung der Gesetzbücher (Moses) fern gehalten hätten, weil die darin enthaltene Erkenntnis (ϑεωρία) heilig und ehrwürdig sei, »wie Hekataios von Abdera sagte«, ὤς φƞσιν Εκαταῖος ὁ Ἀβδƞρίτƞς (ed. Schmidt p. 19, [ed. Wendl. §. 31]). Ein Judäer hat demnach unter der Maske des unter Alexander und Ptolemäus I. lebenden Abderiten Hekataios zwei Schriften verfaßt: Über die Geschichte der Judäer und über Abraham und die Ägypter. Die Lebenszeit dieses Pseudo-Hekataios läßt sich aus folgenden Momenten eruieren. Da ihn Pseudo-Aristeas zitiert, so muß er vor diesem, d.h. vor der Zeit des Kaisers Tiberius (vgl. o. S. 592) gelebt haben. Aus dem längeren Zitate bei Josephus (a.a.O. I, 22) geht hervor, daß ein Hohepriester damals noch an der Spitze des Gemeinwesens stand: οἱ.. ἱερεῖς τῶν Ἰουδαίων ... καὶ τὰ κοινὰ διοικοῠντες.. Judäa hatte also zur Zeit, als dieser schrieb, kein Königtum mehr. Zur Zeit der makkabäischen Könige hat er sicherlich nicht gelebt, sonst hätte auch Alexander Polyhistor von seinen Schriften Auszüge gegeben, die doch viel interessanter waren, als die sonst von [610] ihm mitgeteilten. So kann Pseudo-Hekataios zur Zeit Hyrkans II., als Pompejus diesen seiner Königswürde entkleidet und ihm nur die Hohepriesterwürde und die Ethnarchie gelassen hatte, geschrieben haben, zwischen 63 und 40 d. vorchr. Zeit. Daß er ein Alexandriner war, ergibt sich aus den Fragmenten. Er teilt nur Fakta mit, welche die nach Ägypten gewanderten Judäer betreffen. Manche seiner Angaben können historisch sein [In einigen Bonner Universitätsprogrammen aus den Jahren 1894 und 1895 hat jetzt A. Elter unwiderleglich nachgewiesen, daß die von Josephus (Ant. I, 7, 2 u. c. Ap. I, 22) angeführten Stellen dem echten Hekatäus angehören, der eine ägyptische Geschichte geschrieben und in dieser an geeigneter Stelle einen besonderen Abschnitt der Geschichte der Juden gewidmet (p. 247, ff.), besondere Bücher περὶ Ἰουδαίων und περὶ Ἀβράμου aber nicht verfaßt hat. Die Verse bei den Kirchenvätern dagegen sind das Werk eines Fälschers, das erst kurze Zeit vor Clemens entstanden sein kann. Vgl. hierzu die Ausführungen Leop. Cohns in der Monatsschrift, Jahrg. 41, S. 286 ff.]
10) Der nächste in der Reihe der hellenistisch-judäischen Schriftsteller ist der Verf. eines Teiles des dritten Buches der Sibyllinen. Sibyllinische Verse kamen überhaupt erst seit der Herrschaft der Römer auf. Die Forscher sind gegenwärtig einig darüber, daß mindestens die Verse 45-92 des dritten Buches, wel che den Anbruch der messianischen Zeit verkünden, zur Zeit des zweiten Triumvirats und der Zaubergewalt Cleopatras auf Antonius gedichtet sein müssen, d.h. vor der Schlacht bei Actium 31, als Antonius halb mit Octavian gebrochen hatte. Vergl. Friedliebs und Alexandres Anmerkungen in ihren Ausgaben der Sibyllinen. Es wird auch mit Recht von diesen angenommen daß das erste Fragment an die Spitze der Sibyllinen zum dritten Buche gehört Ich kann nicht Frankels Annahme beistimmen, die von Badt unterstützt und weiter ausgeführt wurde (Monatsschr. Jahrg. 1859, S. 261; Badt, de oraculis sibyllinis, 1869, p. 60), daß der Ausdruck Σεβαστƞνῶν in V. 64 auf Sebaste-Samaria und auf die chuthäischen Samaritaner hinweise, und daß demgemäß diese sibyllinischen Verse erst nach der Umwandlung Samarias in Sebaste (25 vorchr. Zeit, s.o. S. 218 f.) gedichtet sein könnten. Es ist nämlich dagegen einzuwenden, daß Σεβαστƞνοί eher noch auf die Bewohner oder die Soldaten der Hafenstadt Sebastos bei Cäsarea hinweisen (Jos. Altert. XIX, 9, 1. 2 vergl. o. S. 353, Anm. 1). Diese zeigten sich ganz besonders judenfeindlich und könnten eher der Dichtung Veranlassung gegeben haben, daß der Beliar, der Antimessias, aus ihrer Mitte hervorgehen werde. Ferner sind Bewohner von Samaria Sebaste ohne weiteres noch nicht identisch mit chuthäischen Samaritanern. Diese hatten viel mehr ihren Hauptsitz in Sichem-Neapolis. Auch damit kann ich mich nicht einverstanden erklären, daß unter dem Beliar Herodes gemeint sei. Der Beliar wird in diesen Versen weit eher als ein übermächtiges satanisches Wesen geschildert, welches die Menschen verführt.
V. 64. Ἐκ δὲ Σεβαοτƞνῶν ἥξει Βελίαρ μετόπισϑεν,
V. 65. Καὶ στἠσει ὁρέων ἵψος, οτἠοει δὲ ϑάλασοαν.
V. 67. Καὶ νέκυας στἠσει ...
V. 68. Ἀλλὰ πλάνα, καὶ δὲ μέροπας πολλοὺς πλανἠοει.
Das Wort Σεβαστƞνῶν muß korrumpiert sein, sonst versteht man den Sinn dieser Versreihe nicht [Nach Bleek und Lücke, denen sich Schürer a.a. O 441 anschließt, ist die Erwähnung der Sebastener in V. 63 auf Rechnung eines spätern Interpolators zu setzen]. Zwischen Vers 63 und 64 ist ohnehin eine Lücke erkennbar. In den fehlenden Versen war wahrscheinlich von Unholden die [611] Rede, von welchen der Beliar ausgehen werde. Das von den Fachmännern angenommene Resultat bleibt demnach unerschüttert, daß die messianische Partie im 3. Buche der Sibyllinen aus der Zeit des zweiten Triumvirats stammt. Noch man che Bücher der Sibyllinen oder Teile derselben stammen von judäischen Verfassern oder von der hebräischen Sibylle. Da sie aber durch christliche Hände auf uns gekommen sind, enthalten sie christliche Interpolationen. Daher ist ihr Ursprung nicht leicht zu ermitteln. Der Charakter der judäischen Sibyllinen ist die Androhung von Strafgerichten über die Heidenwelt wegen ihres abscheulichen Götzentums und ihrer noch abscheulicheren Unsittlichkeit und die Prophezeihung eines goldenen Zeitalters durch die Ankunft des Messias. Sie traten polemisch gegen das Heidentum auf. Das Vaterland der Sibyllinen kann nicht auf Alexandrien allein beschränkt werden.
11) Pseudo-Phokylides. Über das unter dem Namen Phokylides vorhandene Gedicht ποίƞμα νουϑετικὸν hat Jakob Bernays eine gediegene und abschließende Monographie gegeben (als Beilage zum Jahresber. des jüd.-theolog. Seminars 1856 [Neu abgedruckt in den gesammelten Abhandlungen von Jakob Bernays, herausg. von G. Usener (Berlin 1885), S. 192-261]. Er hat unwiderleglich nachgewiesen, daß das Gedicht einen judäischen Verf. gehabt, und daß derselbe an der Hand des Pentateuchs die Ethik des Judentums zusammengestellt und versifiziert hat, mit Vermeidung einerseits auch der gelindesten Polemik gegen das Götzentum und andererseits der Erwähnung der lediglich ritualen Gesetze des Pentateuchs. Die Abfassungszeit läßt Bernays unbestimmt, weil der Inhalt keinen Anhaltspunkt dafür biete, nämlich in der Zeit zwischen Ptolemäus Philometor einerseits und einer spätern andererseits, also zwischen etwa 150 vor und 70 nach. Allein zwei Vv. scheinen auf die Abfassungszeit unter dem Kaiser Augustus zu weisen. Der Moraldichter ermahnt, nicht ehelos zu bleiben, sondern Kinder zu erzeugen.
V. 175. Μὴ μείνςς ἄγαμος, μἠ πῳς νώνυμνος ὄλƞαι,
Δός τι φύοει καὐτός, τέκε δ᾽ ἔμπαλιν, ὡς ἐλοχεύϑƞς.
Bekanntlich hatten im römischen Reiche infolge der 20 jährigen Bürgerkriege und des überhandnehmenden Luxus die Ehelosigkeit und die orbitas (die Erzeugung illegitimer Kinder) so sehr überhand genommen, daß Augustus die Unterlassung der Ehe mit Vermögens- und Ehrenstrafen belegte, damit jedoch nicht durchdringen konnte und das mildere Gesetz Papia Poppea erließ (Tacitus Annalen 3, 25; Dio Cassius 54, 16; 56, 1-10, besonders c. 7). In den Strafreden, welche Augustus gegen die Ehelosen hielt, gebrauchte er bei Dio 56, 3 dieselbe Wendung wie V. 176: ἵνα ὤςπερ ὑμᾶς ἐκεῖνοι (οἱ πατέρες) ἐγέννƞσαν, οὕτω καὶ ὑμεῖς ἄλλους τεκνώσƞτε. Folglich ist das Gedicht wahrscheinlich in Augustus' Zeit entstanden.
Wenn der Dichter auch nicht direkt gegen das Heidentum polemisiert, so tut er es doch indirekt, indem er vor den Lastern warnt, welche ein Ausfluß des Heidentums waren, wie die Sibyllinen und das Buch der Weisheit auseinandersetzen.
Gleich im Anfang wird die Buhlerei und die Päderastie verdammt, welche unter den Heiden offen getrieben wurde:
V. 3. Μἠτε γαμοκλοπέειν μἠτ᾽ ἄρσενα κύπριν ὀρίνειν.
Auch V. 189, 190, 193, am stärksten aber V. 213-214:
Παιδὸς δ᾽ εὐμόρφου φρουρεῖν νεοτἠσιον ὤρƞν.
Πολλοὶ γὰρ λυσσῶσι πρὸς ἄρσενα μῖξιν ἔρωτος.
[612] »Behüte die Jugend eines schönen Knaben; denn viele rasen nach einer solchen Sünde«. – Das Gedicht warnt auch vor Verbrechen, die in der römischen Welt im Schwange waren, und die kein Gesetz verbot: Kinderraub (V. 150) und Kindesmord (V. 183-184). Die Mutter vernichte nicht die Frucht im Leibe und werfe nicht Neugeborene Hunden und Geiern zum Fraße vor [Weitere Literatur bei Schürer III3, 473 ff.].
12) Der Zeit nach folgt darauf die Entstehung des Briefes des Pseudo-Aristeas über Entstehung der Septuaginta. Es ist eines der wenigen Bücher aus der judäisch-hellenistischen Literatur, die sich vollständig erhalten haben. Diese Schrift ist gewiß unter dem Kaiser Tiberius verfaßt, vergl. o. S. 583 ff. [und die Bemerkungen dazu].
13) Das Buch der Weisheit oder σοφία Σολομών (Σολομῶντος), die Sapientia. Über die paränetische und polemische Tendenz dieses Buches herrscht kein Zweifel, desto mehr über das Zeitalter seiner Entstehung. Die Kritik hat die Annahmen, daß Salomon oder Serubabel, Sirach oder Philo Verfasser derselben sei, bereits abgetan, ist aber bei dem vagen Resultate stehen geblieben, der anonyme Verfasser habe zu den Zeiten der Ptolemäer gelebt. Bei dieser Annahme beruhigt sich Ewald (III, 554); Zeller ist geneigt, die Abfassungszeit noch früher anzusetzen (Gesch. der griech. Philosophie III., 3. Aufl., S. 271 ff.). William I. Deane limitiert die Abfassungszeit zwischen 217 und 145, von falschen Prämissen ausgehend (Text und Kommentar zu the book of wisdom, 1881, p. 32). Übersehen ist dabei, daß die »Weisheit Salomos« nicht nur gegen das Götzentum, sondern auch scharf gegen die göttliche Verehrung der Menschen und besonders der Herrscher polemisiert. Sie kennt also schon die Divinisierung der römischen Kaiser und scheint geradezu auf Caligulas wahnsinnige Ansprüche auf Göttlichkeit anzuspielen. Dieses Thema behandeln die Verse 14, 16-20: »Die Entfernten, welche verhindert sind, den Herrscher selbst in der Nähe zu verehren, machen sich ein Bild von demselben, um dem Abwesenden zu schmeicheln, als wäre er anwesend«: ἐμφανῆ εἰκόνα τοῠ τιμωμένου βασιλέως ἐποίƞσαν (οἱ ἄνϑρωποι), ἵνα τὸν ἀπόντα ὡς παρόντα κολακεύωσιν διὰ τῆς σπουδῆς. »Und die Künstler tragen zu zu dieser Verkehrtheit bei, indem sie ihre Kunst anstrengen, das Bildnis schön und verführerisch auszustatten.« Darum läßt die Schrift Salomo selbst an seine menschliche Hinfälligkeit erinnern (7, 1-6). Auch er, obwohl König, ist ein sterblicher Mensch (εἰμὶ μὲν κᾀγὼ ϑνƞτὸς ἴσος ἅπασι). Auch der König hat keinen andern Anfang des Lebens, wie jeder andere Sterbliche (οὐδεὶς γὰρ βαοιλεὺς ἑτέραν ἔσχεν γενέσεως ἀρχἠν); denn alle Menschen haben denselben Eingang ins Leben und denselben Ausgang. Man wird einräumen, daß diese zugespitzte Polemik nicht gegen die Ptolemäer, sondern nur gegen Caligula gerichtet sein kann. Wenn Ewald behauptet, daß das Buch mit C. 6, 22 seine Vollendung erreicht hat, so beweist er hiermit nur, daß er seine Tendenz vollständig verkannt hat. Gerade vom 7. Kapitel an geht der Verfasser auf das ihm naheliegende Interesse, die Kaiservergötterung, tiefer ein, weil dieses das den Judäern zugefügte Leid berührt. Auch die Leiden, welche die Alexandriner unter Caligula erduldeten, schildert der Verfasser deutlich (5, 1-4). »Dann wird der Gerechte (Israel) in voller Öffentlichkeit vor das Gesicht derer treten, welche ihn gebeugt und seine Mühen verachtet haben« (τότε στἠσεται ἐν παῤῥƞσίᾳ πολλῇ ὁ δίκαιος κατὰ πρόσωπον τῶν ϑλιψάντων αὐτὸν καὶ τῶν ἀϑετούντων τοὺς πόνους αὐτοῠ). »Das ist also der, werden die Bedrücker sprechen, den wir zum Gespötte, zum Beispiel des Schimpfes, und dessen Leben wir Gedankenlose für Wahnwitz gehalten [613] haben«. Das Buch tritt sogar indirekt den Anschuldigungen der judenfeindlichen Schriftsteller von der Klasse der Apionen entgegen, als wenn das Judentum menschenfeindlich wäre. Es stellt zu diesem Zwecke den Satz auf, Gott habe durch seine Werke sein Volk gelehrt, daß der Gerechte (Israel) menschenfreundlich sein müsse (12, 19): Ἐδίδαξας δέ σου τὸν λαὸν – ὅτι δεῖ τὸν δίκαιον εἶναι φιλάνϑ ρωπον. Wie treffend ist der Leichtsinn und die Genußsucht der Alexandriner geschildert, und wie sie die Judäer wegen der verschiedenen Religionsweise verfolgt haben! »Israel ist ihrem Anblick unerträglich, weil sein Leben und seine Wege von denen der andern so verschieden sind« (2, 15 ὅτι ἀνόμοιος τοῖς ἄλλοις ὁ βίος αὐτοῠ, καὶ ἐξƞλλαγμέναι αἱ τρίβοι αὐτοῠ. »Die Heiden gelten ihm als etwas Unreines, und er rühmt sich Gottes als seines Vaters. Darum wollen sie sehen, ob seine Worte wahr sind. Wenn der Gerechte Gottes Sohn ist, möge er ihn halten und ihn befreien aus den Händen seiner Widersacher« (2, 16). Das ganze 2. und 3. Kapitel spiegeln die Leiden der alexandrinischen Judäer vonseiten des griechischen Pöbels so treu ab, daß es erstaunlich ist, wie man das alles übersehen konnte. Bemerkenswert ist der Vers (19, 16): Die Ägypter haben die mit Feierlichkeit aufgenommenen Judäer, obwohl diese derselben Rechte teilhaftig waren, mit schrecklichen Drangsalen gepeinigt: οἱ δὲ μετὰ ἑορτασμάτων εἰοδεξάμενοι τοὺς ἤδƞ τῶν αὐτῶν μετεσχƞκότας δικαίων δεινοῖς ἐκάκωοαν πόνοις. Scheinbar ist hier von den alten Ägyptern die Rede; aber das Hervorheben der »Gleichberechtigung« und der Verhöhnung derselben vonseiten der Ägypter weist entschieden auf die Vorgänge in Alexandrien unter Caligula und dem Gouverneur Flaccus hin. Der Verfasser war demnach Philos Zeitgenosse. Sein Buch wollte zugleich eine Schutzschrift für seine Leidensbrüder, ein Panegyrikus auf das Judentum und eine Polemik gegen das Heidentum und die Kaiservergötterung sein.
Man hat in dem Buche der Weisheit essäische Spuren entdecken wollen, und war mit dem Urteil bald fertig, den Verfasser zu den ägyptischen Therapeuten zu zählen (Eichhorn, Gfrörer, Dähne und in neuester Zeit auch Zeller). Vor allem hätte man aber christliche Spuren darin entdecken sollen, das heißt nicht etwa, daß der Verfasser ein Christ gewesen, sondern daß christliche Kopisten daran gepfuscht und ihre Dogmatik hineingebracht haben. Vers 14, 7 ist ohne Zweifel ein Einschiebsel von christlicher Hand. Man vergegenwärtige sich den Zusammenhang der VV. 1-7: Die Menschen vertrauen ihr Leben auf dem wogenden Meere einem zerbrechlichen Fahrzeuge an. Gott aber regiert es, denn er macht in dem Meere eine Bahn, darum können die Menschen ihr Leben dem geringsten Holze auf dem Meere anvertrauen. Und als die Giganten untergegangen waren, ist die Hoffnung der Welt (Noah) in ein Schiff geflüchtet und hinterließ durch Gottes leitende Hand den Samen neuer Geburten. Darauf Vers 7: »Darum sei gesegnet das Holz, durch welches die Gerechtigkeit (oder die Rechtfertigung) wird«: »εὐλόγƞται γὰρ ξύλον δἰ οὗ γίνεται δικαιοσύνƞ«. Wie das Holz und die Gerechtigkeit mit der Schiffahrt und der Sündflut zusammenzureimen sind, wird keine gesunde Exegese herausbringen. Die Stelle ist nur als christliche Glosse verständlich. Beim Worte »Holz« dachte ein christlicher Kopist sofort an das »Kreuz« und an die Sündenvergebung durch die Rechtfertigung im Glauben. Deanes Erklärung dieses V., um die Echtheit desselten zu retten, ist geschraubt. Das Buch der Weisheit hat sehr früh in die Kirche Eingang gefunden und ist von den Kirchenlehrern vielfach zur Belehrung der Katechumenen zugelassen worden [614] (vergl. de Wette, biblische Einleitung, § 26. 27). Wie »das Holz mit der Rechtfertigung«, so konnte auch ein christlicher Leser aus seinem eigenen dogmatischen Kreise »die unbefleckte Unfruchtbarkeit und die Kinderlosigkeit mit Tugend«, d.h. das Nonnenkloster, hineinbringen (3, 13; 4, 1), Sätze, die sich auch therapeutisch ausnehmen. Außer diesen Stellen hat man auch in Vers 16, 28 eine essäische Spur finden wollen, weil der Verfasser folgert: man müsse zum Gebete der Sonne zuvoreilen und mit Gott vor dem Aufgehen des Lichtes zusammenkommen. Indessen war diese Eigentümlichkeit des Frühbetens nicht gerade essäisch, sondern auch eine fromme Sitte jener pharisäischen ןיקיתו, welche das Schemâ noch vor dem Aufleuchten der Sonne zu lesen begonnen haben (vergl. Bd II b, S. 419). Zieht man diese wenigen fremden Elemente ab, so erscheint das Buch der Weisheit als ein schönes Erzeugnis des alexandrinischjudäischen Geistes, das unmittelbar nach der Leidenszeit der alexandrinischen Gemeinde unter Caligula in die Welt gesetzt wurde, um die niedergebeugten Judäer aufzurichten und die Götzendiener mit ihrer Lasterhaftigkeit zu beschämen. Der Verf. war indessen mehr Dichter als Philosoph.
14) Das sogenannte dritte Makkabäerbuch gehört mit noch größerer Gewißheit in dieselbe Zeit. Ewald hat das Richtige erraten, daß es nach Herodes' Zeiten verfaßt wurde und an Szenen erinnere, die unter Caligula vorgekommen. ... Das Buch sollte dem Cajus ein weissagendes Geschichtsbild darstellen (Gesch. d. Volkes Israel IV, S. 611-614). Aber seine Beweisführung ist so vage und seine Auffassung des durch und durch abgerundeten Buches so verfehlt, daß er es nur als ein Bruchstück einer größern historischen Schrift ansah. Es hat vielmehr die ausgeprägte Tendenz, die leidenden alexandrinischen Judäer durch Gottvertrauen zu ermutigen und die Apostaten seiner Zeit zu geißeln, und dazu führt es eine fingierte Erzählung aus Philopators Zeit als Analogie vor. Das, was die alexandrinischen Judäer unter Caligula am meisten schmerzte, der Verlust der bürgerlichen Gleichstellung, sollte ihnen schon, will der Verf. offenbar sagen, früher genommen werden (2, 30-32), und durch das Wunder der Elephanten sind sie aus Nöten und Gefahren gerettet worden, weil sie treu geblieben sind (6, 18-41; 7, 1-7). Mehr als dreihundert sind aber, um ihr Bürgerrecht zu behalten, zum Heidentum übergegangen, wurden aber später von dem Könige den Treugebliebenen zur Strafe überlassen und getötet (2, 23; 7, 8-10). Zu diesem Zwecke wird gleich im Eingange der Apostat Dositheos, Sohn des Drimylos, eingeführt (1, 3). Das Buch spielt sogar auf Apions Schmähschrift gegen die Judäer an, »daß sie wegen verschiedener Gottesverehrung und Absonderung von heidnischen Mahlen dem Könige und »dem Heere« (Legionen) gehässig seien, daß sie überhaupt gegen alle Völker Übelwollen hegten, und unter diesem Vorwande hätten die Feinde der Judäer den König überredet, schwere Strafen über sie zu verhängen (7, 4): προφερόμενοι. ... ἔχουοιν οὗτοι πρὸς τὰ ἔϑνƞ δυςμενίαν, während die Judäer doch, wie der Verfasser besonders hervorhebt, stets Treue und gute Gesinnung den Machthabern bewahrt haben (3, 3-4). Auch der Zug von den Zusammenrottungen des alexandrinischen Pöbels, die Philoso anschaulich beschreibt, fehlt in diesem Buche nicht (3, 8).
Tatsächliches liegt allerdings diesem apokryphischen Buche zugrunde, nämlich der Vorfall unter Physkon, welcher betrunkene Elephanten auf nackte und gebundene Judäer hatte hetzen lassen, wobei die Bestien sich auf die Zuschauer stürzten (bei Josephus gegen Apion II, 5). Sogar den Umstand, daß [615] die alexandrinischen Judäer den Tag der Errettung unter diesem König als feiertägigen Gedenktag eingesetzt haben, hat das Apokryphon diesem Vorgang entlehnt, daß die 3 Tage zur Erinnerung an die Errettung (vom 5. bis zum 7. Epiph.) feiertägig begangen werden sollten (6, 36): τὰς προειρƞμένας ἡμέρας ἄγειν ἔστƞσαν εὐφροσύνους. Der Verfasser scheint aber geflissentlich die Begebenheit in Philopators Zeit versetzt zu haben, statt bei der historischen unter Physkon zu bleiben, weil er die Entweihung des Tempels in Jerusalem hineinziehen und es als Ausgangspunkt für die beabsichtigte Verfolgung gegen die Judäer hinstellen wollte, daß Philopator nach einem Siege an der Grenze Judäas nach Jerusalem gekommen sei, das Allerheiligste betreten wollte und, weil er daran verhindert wurde, gegen die ägyptischen Judäer erzürnt gewesen sei. Diese Wendung hätte für Physkons Zeit nicht gepaßt, weil dieser keinen Kriegszug gegen Syrien unternommen hat, was doch den Kundigen unter den alexandrinischen Judäern bekannt war. Philopator paßte aber gut zu dieser Rolle, und dadurch konnte die beabsichtigte Tempelentweihung hineingezogen werden, um eine Parallele zu Caligulas anbefohlener Tempelschändung herzustellen. Kurz, dieses Apokryphon ist ein griechisches Estherbuch, und wollte wie das hebräische die wunderbare Errettung in der Vergangenheit als Trost für die Gegenwart hinstellen. Dadurch läßt sich Jahr und Jahreszeit der Abfassung dieses Buches ziemlich genau limitieren. Denn Caligulas Befehl, eine Bildsäule in das Heiligtum zu stellen, erfolgte erst Herbst 40 post. Die Trauerbotschaft von dieser intendierten Entweihung erfuhren die alexandrinischen Gesandten mit Philo an der Spitze erst im Winter, während ihrer Anwesenheit in Rom (s. Note 21). Die alexandrinische Gemeinde hat es wohl ungefähr in derselben Zeit erfahren. Da nun das Buch von der Tempelentweihung ausgeht, also der Verf. bereits Kunde von dem Vorgang in Jerusalem gehabt haben muß, so kann er sein Buch erst im Winter 40 verfaßt haben. Daß das Ganze nur eine Fiktion oder eine Tendenzschrift ist, kann kein besonnener Forscher übersehen, und wird selbst von orthodoxen Isagogisten (Keil) zugegeben. Nichtsdestoweniger behauptet Deane die Historizität dieses Buches und nimmt an, daß das Buch der Weisheit ebenfalls zur Zeit dieser Begebenheiten verfaßt sein könnte [Auch Abrahams Jew. Qu. Rev. IX, 1897, S. 39 - 58 meint, daß der Verf. in einigen Punkten gute Kenntnisse der wirklichen Geschichte Ptolemäus Philopators besessen habe]. Aber wer Augen hat zu sehen, kann nicht verkennen, daß das dritte Makkabäerbuch im ganzen und einzelnen die Kalamitäten der alexandrinischen Gemeinde unter dem Statthalter Flaccus und unter Caligula treu abspiegelt. Es ermahnt zur Standhaftigkeit im Glauben, vgl namentlich das Gebet des Priesters Eleasar (6, 1-14). Zu diesem Zwecke schließt das Buch so schön: Εὐλογƞτὸς ὁ ῥύοτƞς Ἰοραὴλ εἰς τοὺς ἀεὶ χρόνους. Denselben Schluß mit derselben Absicht hat auch das Buch der Weisheit: »Gott hat sein Volk vergrößert und verherrlicht und nicht verachtet in allen Zeiten und allen Orten«. Beide sind Tendenzschriften unter verschiedener Form und an ein verschiedenes Publikum gerichtet. Das Buch der Weisheit wendet sich an die Mächtigen der Erde, an griechische Leser, das 3. Makkabäerbuch an die gebeugten Judäer, und namentlich an die Lauen unter ihnen. Das letztere ist noch während der Verfolgung entstanden, das Buch der Weisheit spiegelt eher die Zeit nach Aufhören der Verfolgung ab und will einer Erneuerung ähnlicher Anklagen gegen die Judäer vorbeugen. Es ist wohl nach Caligulas Tode verfaßt, als die Selbstvergötterung dieses Kaisers allgemein als Torheit erkannt war und gerügt werden durfte.
[616] 15) Das zweite Makkabäerbuch gibt sich selbst als einen Auszug aus einem größern Werke über die Makkabäergeschichte von einem Jason von Kyrene. Ein solches Werk scheint existiert zu haben und muß quellenmäßige Geschichte nicht bloß über Vorgänge in Judäa, sondern auch anch über solche in Antiochien, Ptolemaïs und Syrien überhaupt zur Zeit der Malkabäerkämpfe enthalten haben (vergl. B. II b, S. 440 fg.). Ob die Legenden von Wundern und Interventionen von Engeln in gefahrvollen Lagen und die langen Gebete in der Urquelle vorgekommen sind, ist schwer zu entscheiden, aber unwahrscheinlich. Derselbe Zweifel erstreckt sich auch auf die Dogmatik dieses Buches, welches öfter die Überzeugung von der Auferstehung, und zwar mit Polemik gegen Leugner derselben, betont (12, 44). So bleibt nur das eine Moment für die relative Entscheidung des chronologischen Punktes übrig, daß der Epitomator das Purimfest unter dem Namen Μαρδοχαϊκὴ ἡμέρα kennt, und daß sein Buch demnach viel später [?]als das I. Makkabb. verfaßt sein muß (vgl. o. S. 577).
Es muß sogar noch jünger als das vierte Makkabäerbuch sein; denn auch dieses kennt das Estherbuch oder die darin erzählte Geschichte nicht. In dem Gebet, das dem frommen Eleasar in den Mund gelegt wird, erinnert dieser an die alten Wundertaten Gottes für sein Volk, führt auch die Wunder aus dem Buche Daniel an, erwähnt auch die Errettung des Propheten Jona (6, 6-8). Warum nicht auch die Errettung des ganzen Volkes zur Zeit Esthers? Diese hätte um so eher betont werden müssen, als die Geschichte derselben doch frappante Ähnlichkeit mit dem Inhalte des II. Makkabäerbuches hat. Ganz gewiß[?] kannte der Verf. des vierten Makkabäerbuches weder das Buch noch die Purimfeier, obgleich diese für alle Länder, wo Judäer angesiedelt waren, angesetzt sein sollte. Das zweite dagegen kennt die Feier.
16) Das vierte Makkabäerbuch. Die Abfassungszeit läßt sich aus folgenden Momenten ermitteln. Der Verfasser führt Onias, den frommen Hohenpriester, folgendermaßen ein (IV, 1): Σίμων γάρ τις πρὸς Ὀνίαν ἀντιπολιτευόμενος. τὸν τότε τὴν ἀρχιερωσύνƞν ἔχοντα διὰ βίου καλὸν καὶ ἀγαϑὸν ἄνδρα. Das heißt doch wohl: Onias habe damals das Hohepriestertum fürs ganze Leben, lebenslänglich inne gehabt. Combesis übersetzt daher diesen Passus: summo per vitam pontifice. So faßt es auch Grimm auf (Exegetisches Handbuch zu den Apokryphen 317, [ebenso Deißmann in E. Kautzschs Apokryphen und Pseudepigraphen des A. T. (Tübingen 1900) II, 156, N. 6.]. Der Beisatz ist nur begreiflich unter der Voraussetzung, daß der Verf. zu einer Zeit schrieb, wo infolge der häufigen Ab- und Einsetzung der H. P. durch die Staatsgewalt, einige dieses Amt nur δι᾽ ἐνιαυτοῠ bekleideten. Dieses war aber der Fall seit dem Sturze der Hasmonäer durch Herodes bis zum Untergange des Staates unter Titus. So hat Combesis diesen Passus verstanden (Annotatio zur St.): »διὰ βίου« ita dictum Josepho suae aetatis morem respiciente, quo pontifices non διὰ βίου per omnem vitam illatum munere fungebantur, sed paene δἰ ἐνιαυτοῠ, annui, saepe pontifices erant«. Wir haben hierdurch einen einigermaßen faßbaren Anhaltspunkt für die Abfassungszeit des IV. Makkab., welches sonst nichts derartiges bietet.
Freudenthal hat dieses Argument dadurch zu erschüttern gedacht, daß er eine Textänderung annimmt und meint, daß nach ἔχοντα das Wort ὄντα zu supplieren sei (die Flav. Jos beigel. Schrift über die Herrsch. d. Vernunft (Breslau 1869), S. 81 und 167, Nr. 15). Diese Emendation ist aber unannehmbar, weil sie das Zeitverhältnis διὰ βίου zu dem folgenden ziehen muß: διὰ βίου καλὸν καὶ ἀγαϑὸν ἄνδρα, Onias sei durchs ganze Leben hindurch ein vortrefflicher [617] Mann gewesen. Das wäre aber ein überflüssiges Lob. Denn wenn einer Person das Epitheton der καλοκἀγαϑία beigelegt wird, so wird ohne weiteres vorausgesetzt, daß sie diese Eigenschaft stets besessen habe, und ihr nicht etwa einmal im Leben untreu geworden sei. Man muß also bei der L A. des gegenwärtigen Textes bleiben, und diese gibt, wie gesagt, über die Abfassungszeit dieser Predigt (denn eine solche ist das ganze Buch, wie Freudenthal unwiderleglich nachgewiesen hat) eine willkommene Handhabe, einmal daß sie während der Periode gehalten wurde, in welcher absetzbare, ephemere Hpp. fungiert haben, also in der Zeit von Herodes abwärts, und dann daß sie der Zeit angehört, in der es noch Hohepriester gab, also noch der Zeit des zweiten Tempelbestandes. Damit wäre die Annahme bestätigt, daß dieses Buch dem ersten christl. Jahrh. angehört, d.h. etwa der Zeit von 30 vor bis etwa 66 nach. Dieser ausgedehnte Zeitraum läßt sich noch mehr einschränken. Freudenthal hat in seiner trefflichen Monographie über dieses Buch nachgewiesen, daß der Verf. einen Gedanken aus dem Buche der Weisheit weiter ausgesponnen hat (a.a.O. S. 93). Es ist also von der Sapientia oder von Pseudo-Salomo abhängig und jünger als dieser. Diese Annahme wird noch durch andere Momente bestätigt. Für den Verfasser von Makkabb. IV. ist das Gesetz des Judentums identisch mit der Weisheit oder der Philosophie. Er läßt sogar Antiochos Epiphanes das Gesetz als φιλοσοφία ὑμῶν, als »eure Philosophie« bezeichnen (c. 5). Der Märtyrer Eleasar geht auf diese Bezeichnung ein (das.): »Du verspottest unsere »Philosophie«, als wenn wir in ihr nicht mit vernünstigem Handeln leben könnten χλευάζεις δὲ ἡμῶν τὴν φιλοσοφίαν« (5, 22). Die Predigt redet den Märtyrer Eleasar apostrophisch als Philosophen eines göttlichen Lebens an: φιλόσοφε ϑείου βίου (7, 7), und indem sie sein Verdienst summarisch kennzeichnen will, weiß sie nichts Prägnanteres von ihm (7, 9) auszusagen als: »Du hast vermittelst Deines Tuns die Worte der Philosophie beglaubigt (das.): ἐπιστοποίƞοας τοὺς τῆς φιλοσοφίας λόγους«. Jakob wird vom Verf. geradezu πάνοοφος, der Hochweise, genannt (c. 3, [2, 4]). Diese übertriebene Potenzierung des Gesetzes, daß es sich mit der Philosophie völlig decke, ist erst in Philos Zeitalter aufgekommen. Der Aristeasbrief aus der Zeit des Kaisers Tiberius ist noch weit von dieser Sublimierung entfernt; er begnügt sich apologetisch nachzuweisen, daß die judäischen Gesetze nicht so abgeschmackt seien, wie sie den Außenstehenden erscheinen. Erst die Sapientia idealisiert das Gesetz und identifiziert es mit der Weisheit. Dem judäischen Volke ist unvergängliches Licht des Gesetzes für die Ewigkeit gegeben (18, 4 u.a. St.). Der Verf. des IV. Makkab. hat also erst nach der Entstehung der Sapientia gesprochen und geschrieben. Diese ist nach der Zeit des Bildsäulenzwanges unter Caligula 41-42 entstanden (vgl. o. S. 614). Folglich ist die Predigt zwischen 41-66 gehalten worden. Der terminus ad quem 66 ist deswegen gerechtfertigt, weil die Predigt keine Spur von kriegerischer oder revolutionärer Aufregung oder von Gefährdung des judäischen Staates verrät. Ihre Tendenz ist auch nicht, die Gemeinde, in der sie gehalten wurde, zu ermahnen, in Prüfungen des Religionszwanges wie die Märtyrervorbilder standhaft zu bleiben, sondern ihr nahzulegen, dem Gesetz zu gehorchen. Diese Tendenz ist zusammengefaßt in Kap. 17 Ende [18, 1]: »O Israeliten, Nachkommen des abrahamitischen Samens, gehorchet diesem Gesetze!« Die Predigt legt mehr Gewicht darauf nachzuweisen, daß der religiöse Vernunftwille (ὁ εὐσεβὴς λογισμός) die Begierde, also das Lustgefühl zu bezähmen im stande sei, als nach der andern Seite, daß er den Schmerz[618] überwinden könne. Sie ist also nicht an solche gerichtet, welche vor dem Märtyrertum standen, sondern an solche, welche das Gesetz geringschätzten.
Es scheint fast, als ob der Prediger von der Macht des religiösen Vernunftwillens geradezu der Theorie des Apostels Paulus habe entgegentreten wollen. Paulus' Sophistereien gingen von dem Axiom aus, daß der Mensch ohne ganz besondere wundertätige Heilsveranstaltung gegen das Fleisch, die Gelüste und die daraus entspringende Sünde nicht zu reagieren vermöge. Der Leib, das Fleisch, sei nicht bloß Sitz der Sünde, sondern Urheber und Anreger derselben. Die Werke des Fleisches seien Ehebruch, Hurerei, Feindschaft, Zorn usw. (Galaterb. 5, 19 fg.). In dem menschlichen Wesen stecke einmal dieser unüberwindliche Gegensatz: »Das Fleisch gelüstet wider den Geist und der Geist wider das Fleisch, dieselben sind wider einander, daß ihr nicht das zu tun vermöget, was ihr wollt« (das. V. 17). Aus sich selbst, aus seiner ethischen Seelenanlage vermöge daher der Mensch wegen seiner fleischlichen Verdorbenheit nichts, gar nichts Gutes und Gottgefälliges zu tun. Nun habe zwar Gott das Gesetz geoffenbart, welches den menschlichen Willen zum Dienste des Guten anleiten und kräftigen solle. Paulus aber leugnete die ethische Kraft des Gesetzes in entschiedener Weise: »Wir wissen zwar, daß das Gesetz geistig ist, ich aber bin fleischlich unter die Sünde (als Sklave) verkauft. Denn ich weiß nicht, was ich tue; denn ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, tue ich. ... Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt. Willen habe ich wohl, aber zu vollbringen das Gute reiche ich nicht aus. ... Ich habe Lust an Gottes Gesetze nach dem inwendigen Menschen, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetze meines Geistes widerstreitet (ἀντισρατευόμενον τῷ νόμῳ τοῠ νοός μου) und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz (Römerbrief 7, 14-23). Paulus ging noch viel weiter in der Ächtung des Gesetzes, um dadurch die christliche Heilsanstalt als notwendig erscheinen zu lassen. Das Gesetz habe nur noch dazu beigetragen, die Sündhaftigkeit zu mehren oder die in Unbewußtheit begangene Übertretung zu einer mit Bewußtsein ausgeführten Sündenschuld zu potenzieren. »Die Sünde erkannte ich nicht, ohne durch das Gesetz. Denn ich wüßte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht gesagt hätte: »Laß dich nicht gelüsten« (Römerbrief 7, 7).
Die Predigt im IV. Makkabb. stellt nun das gerade Entgegengesetzte auf, und dieses bildet ihr Grundthema. Sie stellt die Untersuchung an, ob der religiös durchwehte Vernunftwille Heir der Gemütsbewegung ist (Eingang) und kommt durch mancherlei Beweismittel zu dem Resultate, daß er allerdings alle Leidenschaften beherrschen könne, nicht bloß in inneren, sondern auch in äußeren [Dingen]. Der Mensch vermöge durchaus seine Begierden oder sein Fleisch zu bezähmen, nicht bloß Männer, sondern auch schwache Weiber (c. 16). Das ist der Kernpunkt der Predigt. Unter dem εὐσεβὴς λογισμός versteht die Predigt das von Gott geoffenbarte Gesetz. Dieses sei wohl imstande, die menschlichen Neigungen oder das Fleischliche zu bezähmen (c. 3 [2]). Die Predigt beweist dieses besonders durch Tatsachen aus der biblischen Geschichte. Joseph hat die Wollust besiegt (das.). David hat den brennenden Durst überwunden und das Wasser, das ihn laben sollte, für den Herrn ausgegossen. Jakob, das Ideal der Weisheit, hat den Zornesmut verwünscht. Daniel und seine Freunde haben um des Gesetzes willen die Liebe zum Leben überwunden. Und nun erst die leuchtenden Beispiele der Märtyrer, des Greises Eleasar und der [619] jugendlichen sieben Brüder und ihrer Mutter in der Makkabäerzeit! Die Bedeutung dieser Predigt tritt erst recht hervor, wenn man annehmen kann, daß sie gegen die oder den Gesetzesverächter gerichtet ist, gegen die Behauptung, daß weder die ethische Natur des Menschen noch der von der Religion oder dem Gesetze unterstützte Vernunftwille, der εὐσεβὴς λογισμός, imstande sei, gegen die fleischlichen Regungen des Menschen zu reagieren. Die Predigt wendet sich offenbar an judäische Bekenner, welche die heilige Schrift hochhielten, und will eben daraus und aus anderen Beispielen beweisen, daß es auf diesem Standpunkte absurd sei zu behaupten, der Mensch vermöge sich nicht zu beschränken, der Wille sei nicht stark genug, das Fleisch zu beherrschen. Man beachte folgendes. Paulus behauptete, das Verbot im Dekalog: »Du sollst nicht gelüsten«, habe erst das Gelüste wachgerufen und zum Bewußtsein gebracht, das nun weder durch die natürliche Einsicht, noch durch das Gesetz unterdrückt werden könne. Unser Prediger folgert das Entgegengesetzte daraus (c. 3 Anf. [2,5]): »Das Gesetz sagt »Du sollst nicht nach dem Weib deines Nächsten gelüsten. Da es nun sagt, daß wir nach gar nichts gelüsten sollen, so hat es uns damit überzeugt, daß der λογιομός die Begierden beherrschen kann«. – Man erwäge noch die Auseinandersetzung von der Schöpfung des Menschen (das.): »Zur Zeit als Gott den Menschen geschaffen und ihn doch mit Vernunft und Selbständigkeit (αὐτεξουσιότƞτι) geschmückt hat, da hat er ihm allerdings sowohl Gemütsbewegungen als auch sittliche Anlagen eingepflanzt (τα πάϑƞ καὶ τὰ ἤϑƞ), hat aber den Geist auf den Thron zum Anfuhrer gesetzt. Diesem gab er ein Gesetz, von dem geleitet, er eine besonnene, gerechte, gute und mannhafte Herrschaft auszuüben vermag«.
Klingt das alles nicht geradezu antipaulinisch? Nach dieser Theorie habe Gott in das Innere des Menschen neben den Trieben auch die Fähigkeit, sie zu beherrschen, eingepflanzt, und ihm außerdem noch das Gesetz zur Unterstützung gegeben. Vgl. die prägnante Stelle c. 7 und Freudenthals Ausführung S. 62 ff. Nach Paulus dagegen ist das Fleisch so schwach, daß es sich garnicht zur ethischen Freiheit aufraffen könne, und das Gesetz, weit entfernt, es zu kräftigen, macht es nur noch rebellischer. Ist die Predigt eine antipaulinische Polemik so ist die Apostrophe an die Zuhörer recht prägnant: »O Ihr Israeliten von Abrahams Samen, gehorchet diesem Gesetze, indem ihr erkennet, daß der religiöse Vernunftwille Herr ist«. Paulus hatte behauptet, daß Abraham nicht durchs Gesetz, sondern durch den Glauben gerecht befunden worden sei. Die scheinbare Tautologie τῶν Ἀβραμαίων σπερμάτων ἀπόγονοι παῖδες Ἰσραƞλεῖται könnte gegen diese Sophistik gespitzt sein. Hat diese Predigt Paulus' gesetzesfeindlichen Predigten entgegentreten wollen, so würden drei wichtige Momente daraus gewonnen werden können: 1. Die Predigt muß in den fünfziger Jahren während Paulus' erfolgreicher Thätigkeit, in Kleinasien, Mazedonien und Griechenland gehalten worden sein, als dieser immer offener mit seiner Gesetzesverachtung hervorgetreten war. 2. Sie muß auf einem der Schauplätze, wo Paulus Erfolge errungen hatte, gehalten worden sein, in Antiochien, Ephesus, Philippi oder Korinth, auf keinen Fall in Alexandrien. Man könnte sie also nicht zur eigentlichen alexandrinisch-judäi schen Literatur zählen. 3. Man sieht, daß die gesetzestreuen Judäer den destruktiven Apostel auch mit den Waffen des Geistes bekämpft haben.
Außer dieser Predigt, die wahrscheinlich zur Feier der Tempelweihe gehalten wurde, haben sich noch zwei Predigten erhalten, die Philo zugeschrieben werden: de Sampsone und de Jona. Beide waren ursprünglich [620] griechisch, sind dann ins Armenische übersetzt worden, und der Armenier Aucher hat sie ins Lateinische übertragen (Venedig 1826). Sie sind in der Richterschen Ausgabe von Philos Werke wieder abgedruckt (im B. VII). Der Inhalt gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Entstehungszeit. Von Philo stammen diese Predigten gewiß nicht, obwohl sie seine allegorische Deutungsweise zeigen. Ebensowenig läßt sich ihre Tendenz ermitteln. Es ist ebenso ungewiß, ob sie dem Prediger des IV. Makkabäerbuches angehören. – Außerdem hat Aucher noch das Fragment einer Predigt mitgeteilt unter dem Titel Philonis de Jona, und ein Anonymus hat dabei hinzugefügt Sermo II, was noch weniger Anhalt für die Chronologie bietet [Vgl. unten S. 799].
17.) Die Zusätze zum Buche Esther sind eigentlich selbständige Piecen, die Hieronymus getrennt vom Hauptbuche vorgefunden hat. Es gibt davon zwei Rezensionen, eine längere und eine kürzere, welche Fritzsche als Ἐσϑἠρ duplicem libri textum etc. 1848 ediert hat. Die Haupttendenz dieser Stücke ist, das zu ergänzen, was fromme Leser in der Estherrolle vermißt haben, den Mangel an Wundern, an Gebeten um Rettung, an Eingreifen Gottes in die Entwicklung. Durch den Traum Mardochaïs, sein und Esthers Gebet und die Auslegung des Traumes am Schlusse ist diesem pium desiderium Genüge getan. Auch im Texte wird hin und wieder, abweichend vom Original, Gott als Retter dargestellt. Diese Ergänzung ist wahrscheinlich für griechischredende Gemeinden, bei denen das Vorlesen aus dem Estherbuche ebenfalls Eingang gefunden, hinzugefügt worden, um das Nüchterne und Wunderlose in der Erzählung zu verdecken. Wann Übersetzung und Einführung stattgefunden hat, läßt sich nicht bestimmen, gewiß erst in der zweiten Hälfte des ersten christl. Jahrhunderts, da das vierte Makkabb. vom Jahre 50 post das Buch noch nicht kannte (o. S. 617). Josephus gibt teilweise zwei fingierte Rundschreiben des Ahasverus (Artaxerxes genannt) an die Satrapen wieder (Altert. XI, 6, 6 und 12; das letztere gekürzt aus apokryph. Esther 8, 10; 30). In diesem Sendschreiben ist ein Passus enthalten, daß die Judäer nicht so schlecht seien, wie ihre Feinde sie schildern (οὐ κακοεργοὺς ὄντας) und daß es ihnen gestattet sei, nach ihren Gesetzen zu leben (ἐ'ν τοὺς Ἰουδαίους χρῆοϑαι τοῖς ἑαυτῶν νομίμοις). Dieser Passus hat offenbar apologetische Tendenz und weist wohl auf die Zeit, als offiziös die Gleichstellung der Judäer wegen abweichender Gesetze angefochten wurde, also etwa in die Zeit Caligulas und später. Die Zeitangabe zum Schluß, die sich auf Übersetzung und Zusätze bezieht, erweist sich geradezu als Falsum. Den Brief, d.h. die Estherrolle (τὴν προκειμένƞν ἐπιστολἠν), solle gebracht haben Dositheos und sein Sohn Ptolemäus, welcher sich als Priester und Levite ausgegeben, ὃς ἔφƞ εἶναι ἱερεὺς καὶ λευίτƞς. Das klingt schon befremdlich. Sie sollen sie überbracht haben im vierten Jahre des Königs Ptolemäus und seiner Frau Cleopatra. Aber welcher von den 4 Ptolemäern, deren Frau diesen Namen führte, soll damit bezeichnet sein? Der Epigraphist meinte wohl Philometor, der überhaupt in der hellenistischen Literatur öfter genannt wird. Aber im vierten Regierungsjahre war er noch Knabe und kann nicht mit Cleopatra verheiratet gewesen sein. Indessen ist es möglich, daß die Jahreszahl in diesem Datum ausgefallen ist. Aber der letzte Passus ist noch verfänglicher. Diesen Purimbrief (ἐπιστολὴ τῶν Φρουραὶ) soll übersetzt haben Lysimachos, der Sohn des Ptolemäus, in Jerusalem. Dieses ist aber sonderbar gegeben: ἣν ἔφρασαν εἶναι καὶ ἡρμƞνευκέναι Λυσίμαχον Πτολεμαίου τὸν (Var. τῶν) ἐν Ἰερουσαλἠμ. Ein Jerusalemer konnte schwerlich ins Griechische übersetzen; εἶναι καὶ ist gewiß [621] fehlerhaft; εἶναι ist wohl der Rest eines Infinitiv Perfecti etwa συγγεγραφέναι. Kurz, so undeutlich auch die Nachschrift ist, so will sie doch so viel sagen, daß ein angesehener Mann aus Jerusalem die Übersetzung angefertigt, daß diese früh angelegt wurde, und daß sie ein Dositheos, wahrscheinlich Onias' Genosse gemeint (o. S. 28), zu Philometors Zeit nach Ägypten gebracht habe. Aber diese Angabe ist ebenfalls tendenziös.
18.) Der angebliche judäische Peripatetiker Aristobulos und seine Schriften. Noch immer wird Aristobul, der angebliche Vertreter des Aristotelismus innerhalb der Judenheit, als eine geschichtliche Persönlichkeit behandelt, der unter einem der Ptolemäer gelebt, diesen über das Judentum belehrt und ihm eine Schrift darüber gewidmet haben soll. Von mancher Seite ist zwar seine Existenz bestritten worden, nichtsdestoweniger wird er von angesehenen Schriftstellern noch immer als ein historischer Autor angesehen, der eine gewisse Stufe in der Entwicklungsgeschichte der hellenistisch-judäischen Philosophie vertrete. Aus dieser Annahme werden selbstverständlich für geschichtliche und chronologische Momente Konsequenzen gezogen. Es gilt also, diese Frage über Sein oder Nichtsein eines judäischen Peripatetikers Aristobul zum Abschlusse zu bringen. Zu diesem Zwecke ist es nötig, die Zeugnisse der Kirchenväter, welche seine Schriften vor Augen hatten, Auszuge daraus gemacht und Biographisches über ihn daraus mitgeteilt haben, kritisch zu prüfen. Die Monographie Valckenaers (diatribe de Aristobulo Judaeo) hat diese Frage durchaus nicht kritisch erledigt. Ihm, dem klassischen Philologen, lag mehr daran, nachzuweisen, daß eine ganze Reihe von Versen unter dem Namen griechischer Dichter unecht sei, und daß ein Judäer, und nicht ein Christ, sich solche Falschmünzerei habe zuschulden kommen lassen. Mit einer gewissen Genugtuung suchte der holländische Philologe diese Tatsache zu konstatieren, als wenn es unter den christlichen Gnostikern gar keine Fälscher gegeben hätte, als wenn die Urevangelien von dem Makel der Pseudepigraphie ganz rein wären. Die Untersuchung über Aristobul muß daher noch einmal aufgenommen werden.
Lange Auszüge aus Aristobuls angeblichen Schriften gibt nur Eusebius in seiner praeparatio evangelica an mehreren Stellen. An der einen sagt er von ihm aus: Aristobul habe sich an der Philosophie des Aristoteles beteiligt, unbeschadet seiner väterlichen (judäischen). Philosophie. Er sei derselbe, von dem das zweite Buch der Makkabäer im Anfang spreche. In der Schrift an Ptolemäus habe er diesen König belehrt41. Diese Angabe muß besonders beachtet werden, weil sie für die Kritik entscheidend ist. Auch Clemens aus Alexandrien identifiziert den Peripatetiker Aristobul mit dem, in dem angehängten Sendschreiben an die ägyptischen Judäer des II. Makkabäerbuches genannten Lehrer des Königs (vergl. Note 10). Er bemerkt dabei, daß der Schriftsteller Aristobul unter Ptolemäus Philometor gelebt habe. So weit das Biographische, das nicht gerade viel bietet. Wichtiger sind die Auszüge aus der Schrift selber. Sie war in zwei Bücher eingeteilt. Clemens Alexandrinus teilt ein Fragment aus dem ersten Buche mit (Stromata I, 22, 150, p. 410: Ἀριοτόβουλος δὲ ἐν τῷ πρώτῳ). Der Titel dieser Schrift wird von den Kirchenvätern nicht genau angegeben. Anatolius nennt sie »erklärende[622] Bücher βίβλοι ἐξƞγƞτικαὶ τοῠ Μωϋσέως νόμου«. Die Schrift war so gehalten, als wenn sie eigens für den König verfaßt worden wäre; in zwei Fragmenten daraus wird der König geradezu in zweiter Person angeredet. In dem einen, welches von der Übersetzung des »Gesetzes« und von der Vermittlung des Demetrius Phalereus dabei spricht, und wobei der König Ptolemäus Philadelphus genannt wird, heißt es: »der Philadelphus zubenannte König Ptolemäus, dein Vorfahr« (Eusebius a.a.O. XIII, 12, p 664 B): ἐπὶ τοῠ προςαγορευϑέντος Φιλαδέλφου βασιλέως, σοῠ δὲ προγόνου. In einem andern Fragmente wird das Verhältnis zwischen dem Autor und dem König in folgender Weise dargestellt. Der erstere erinnert den König an eine Unterredung, die sie gepflogen hatten, und an eine Frage, die der König bezüglich der anthropomorphistischen Bezeichnungen von Gott in dem »Gesetze« aufgeworfen habe. Die Schrift knüpft demgemäß an eine vorangegangene Unterredung zwischen dem König und dem Autor über das »Gesetz« und über tiefere Fragen bezüglich der Anthropomorphismen darin an42.
Soweit man nach dem Material der Fragmente urteilen kann, war das Hauptinteresse des Verfassers bei der Ausarbeitung seiner Schrift, dem König zu beweisen, daß griechische Denker und Dichter vieles dem Judentum oder dem »Gesetze Moses« entlehnt hätten. Diese Entlehnung betont die Schrift an zwei Stellen.
In der einen behauptet sie: Es sei unbestreitbar, daß Plato der Mosaischen Gesetzgebung gefolgt sei, und daß Einzelheiten darin ihn außerordentlich interessiert hätten43. »Ferner hat Pythagoras vieles von uns in sein Lehrsystem übertragen und zusammengestellt«44. Aristobuls Schrift behauptete noch weiter, nicht bloß Plato und Pythagoras, sondern auch Sokrates habe aus Moses geschöpft. Er habe daraus Gedanken von der metaphorischen Bedeutung der »Gottesstimme« entnommen, worunter nicht hörbare Artikulationen, sondern eine gewisse Veranstaltung Gottes bei der Schöpfung des Weltalls zu verstehen sei, was Mose in der Genesis mit den Worten: »und Gott sprach und es ist geworden« gemeint habe45. Nach Clemens' Angabe habe Aristobul auch noch in seinen Büchern nachgewiesen, daß die peripatetische Philosophie aus Mose und den Propheten entnommen sei46. Zusammenfassend sagt der Passus in [623] einem Fragment: »diejenigen, welche tiefe Einsicht haben, bewundern seine (Moses) Weisheit und den göttlichen Geist, vermöge dessen er als Prophet berühmt ist. Zu diesen gehören die früher angeführten Philosophen und viele andere und auch Dichter, welche durch ihn bedeutende Stoffe erhalten haben und deswegen bewundert werden«47.
Von den Dichtern, welche nach Aristobuls Annahme Mose gefolgt wären oder von ihm entlehnt hätten, wird Orpheus besonders hervorgehoben. Aus dessen Versen »ἱερὸς λόγος«48 werden 41 Zeilen angeführt, welche ein vollständiges judäisches Glaubensbekenntnis ablegen und Vertrautheit mit der Urgeschichte Israels zeigen49. Diese Verse sind nur bei Eusebius vollständig zitiert, und bei ihm ist auch ausdrücklich angemerkt, daß sie in Aristobuls Schrift enthalten waren. Einen großen Teil derselben mit demselben Eingang hat auch Justinus Martyr50, ferner Clemens Alexandrinus51 und jüngere Kirchenväter. Clemens und Eusebius, naiv-gläubig, wie sie waren, zweifelten nicht einen Augenblick an ihrer Echtheit d.h. daß sie Orpheus gedichtet und damit den Gottesbegriff des Judentums betont und gepredigt habe.
Ob auch Justin das um mehrere Verse gekürzt bei ihm erhaltene Gedicht als aristobulisch angesehen hat, ist nicht ganz klar, ebensowenig ob die Verse über die Heiligkeit des siebenten Tages, die Homer, Hesiod und andern griechischen Dichtern zugeschrieben werden, von denselben stammen, oder von einem christlichen [624] Interpolator (vgl. Joël, Blicke in die Religionsgeschichte des 2t. christl. Jahrh. I. S. 79 Exkurs I).
Die den Namen Aristobul tragende Schrift hatte jedenfalls eine systematische Anlage. Sie behauptete zunächst, daß der tiefere Gehalt der Philosophie und besonders der Gottesbegriff dem Judentume entlehnt sei. Ihre fernere Tendenz war, die Einwürfe zu entkräften, welche von den Anthropomorphismen im Pentateuch gemacht werden konnten und gemacht wurden. Sie läßt daher den König die Frage aufwerfen: warum darin von Gliedern Gottes die Rede sei. Es scheint, daß diese Ausstellung gegen den Pentateuch von griechischen Lesern gemacht worden war. Die Schrift behauptet, die tiefer denkenden Philosophen und Dichter hätten nicht bloß aus Mose entlehnt, sondern ihn auch wegen seiner Darstellung bewundert. Nur denjenigen, welche keinen Geist und keine Einsicht haben und an den geschriebenen Buchstaben sich halten, erscheine Mose, als wenn er nichts Bedeutendes verkündet hätte52. Die Art, wie die Aristobulische Schrift die Anthropomorphismen auslegt oder allegorisiert, zeugt keineswegs von Geist, wie denn auch der Stil Schwerfälligkeit und Unbeholfenheit in philosophischer Terminologie verrät. Der Eingang beginnt damit, den König zu belehren, wie die Darstellung im Pentateuch aufzufassen sei. Aber ohne Beweisführung wird vorausgesetzt, daß hinter dem scheinbar verfänglichen Worte ein sehr tiefer Sinn stecke. »Ich will Dich ermahnen,« so redet Aristobul oder die Schrift den König an, »die Ausdrücke in einem höheren Sinne zu nehmen, einen angemessenen Begriff von Gott festzuhalten, und nicht in eine falsche und menschenähnliche Vorstellung zu geraten, denn oft verkündet unser Gesetzgeber in dem, was er sagen will, wenn er auch von anderartigen Dingen spricht – ich meine dem Scheine nach – eine höhere (philosophische) Darstellung und die Ordnung erhabener Dinge.« Statt eines Beweises für die Notwendigkeit einer höheren Auffassung der Anthropomorphismen wird ein Zirkelschluß gemacht und auf die Bewunderung seitens der Philosophen und Dichter für Moses Weisheit und göttlichen Geist und auf die Entlehnung von demselben hingewiesen.
Sodann geht die Schrift auf drei anthropomorphische Bezeichnungen ein53: auf die »Hand Gottes«, das »Stehen Gottes« und »Herabsteigen Gottes«. Das erstere hört sich wenigstens gut an: »Hand« bedeute »Macht«, was auch in der gewöhnlichen Redeweise gebraucht werde, dagegen erklärt die Schrift das Stehen Gottes außerordentlich gezwungen, und diese Geschraubtheit macht eine weitläufige Auseinandersetzung notwendig. Das Stehen bedeute die von Gott eingesetzte feste Ordnung in der Natur, daß der Himmel niemals Erde werde und umgekehrt, daß Tiere und Pflanzen dieselben bleiben, daß also alles unveränderlich sei und seinen Unterhalt in sich selbst habe.
Neu ist dagegen, was die Schrift von der dritten Anthropomorphie auslegt. Die Auslegung ist ebenfalls schwerfällig gehalten und ergeht sich in Tautologien. Das Niedersteigen Gottes auf den Berg – nach der Schrift – ist zur Zeit geschehen, damit alle die Krafttätigkeit Gottes einsehen sollen: »Denn dieses Niedersteigen ist augenscheinlich, und man könnte es, mit der Wahrung des Begriffes von Gott so auslegen. Es wird im Gesetzbuche erzählt. [625] daß der Berg im Feuer gebrannt, weil Gott herabgestiegen ist, Stimmen von Posaunen seien vernommen worden und loderndes Feuer sei ohne Brennstoff gewesen. Da nämlich nicht weniger als 100 Myriaden der Menge – ohne die Unmündigen – rings um den Berg in einem Umkreise von nicht weniger als fünf Tagereisen versammelt waren, so ist das Feuer von jedem Orte aus, wo sie lagerten, allen diesen sichtbar gewesen, so daß dieses Niedersteigen nicht räumlich anzunehmen ist – denn Gott ist überall. Indem die Macht des Feuers, das doch alles verzehrt, so wunderbar war, daß es ohne Stoff brannte und nicht verzehrte, zeigte es nicht, daß ihm eine göttliche Macht innewohnte? Das auf jenem Berge Wachsende, das doch sehr verbrennlich war, wurde nicht verzehrt, sondern jede Pflanze blieb vom Feuer unberührt. Die Schalle der Posaunen wurden mit dem Erscheinen des blitzenden Feuers außerordentlich vernommen, ohne daß solche Instrumente wahrnehmbar waren, auch nicht einer, welcher Töne ausgestoßen, sondern alles ist durch göttliche Veranstaltung geschehen. Dadurch ist augenscheinlich geworden, daß das Niedersteigen geschehen ist, indem die Schauenden das Einzelnste deutlich wahrgenommen haben, ohne daß das Feuer brannte und ohne daß die Schalle durch menschliche Kraft oder Vorrichtung von Instrumenten erfolgten, daß Gott seine Erhabenheit ohne ein Mittel in allem zeige54.«
Allegorische Auslegung kann man diese Ausdeutung keineswegs nennen; sie will lediglich anthropomorphische Erzählungen von Gott beseitigen. Diese Auslegung hat durchaus keine Ähnlichkeit mit der maßlosen Allegorisierung Philos und seiner Vorgänger, welche dem Wortsinne Zwang angetan und abenteuerliche Etymologien getrieben haben. Auch ein anderes Zitat, das Eusebius erhalten hat, und das als eine Art tropologischer Deutung erscheint, zeigt noch weniger einen allegorischen Charakter. Den Ausgangspunkt desselben hat Eusebius nicht mitgeteilt, so daß es zweifelhaft bleibt, woran es sich knüpfte. Indessen müssen doch allegorische Deuteleien in der Aristobulischen Schrift vorgekommen sein, die vielleicht nur wegen ihres nichtssagenden Charakters von den Kirchenvätern nicht ausgezogen worden sein mögen. Aus Origenes' Replik gegen Celsus geht nämlich hervor, daß sie auch Allegorieen enthalten hat. Auf Celsus' Spott gegen die abgeschmackte allegorische Auslegung des Gesetzes erwidert Origenes, daß dieser Christenfeind von Philos Schriften zu sprechen scheine oder von noch älteren, wie die des Aristobul55.
In dieser Schrift war auch wohl, was Eusebius aus Anatolius von Aristobul über das Paschafest ausgezogen hat, es sei nämlich in die Zeit gesetzt, in welcher nicht bloß die Sonne, sondern auch der Mond den Teil der Tag- und Nachtgleiche des Frühlings durchgegangen ist56. Es sollte wohl damit bewiesen [626] werden, daß das Gesetz eines der Hauptfeste mit dem astronomischen Gange in Einklang gebracht habe.
Nun die Fälschung blickt aus jeder Zeile dieser Schrift heraus. Ein Schriftsteller, welcher behauptet, daß die griechischen Dichter und Philosophen aus Moses Gesetzbuch ihren Gedankeninhalt entlehnt hätten, und um dieses zu beweisen, die Keckheit hat aufzustellen, ein Teil des Pentateuchs sei noch vor Alexander dem Mazedonier und vor der Perserherrschaft ins Griechische übersetzt worden, ein solcher Schriftsteller muß als Fälscher beurteilt werden, dem [627] man gar keinen Glauben schenken darf. Soll man ihm glauben, daß ein Ptolemäus sich so eingehend mit dem Pentateuch beschäftigt hat, daß er Anstoß an den Anthropomorphismen in demselben genommen und Fragen deswegen aufgeworfen oder an den Verfasser gerichtet habe? Verrät der Verfasser nicht seine Fälschung durch die Wendung, daß er einmal bei dem König, an den seine Schrift gerichtet sein soll, die Kunde von der Übersetzung des Pentateuchs durch Vermittlung des Demetrios Phalereus voraussetzt, und doch wieder denselben belehrt, daß diese Übersetzung »unter dem König, Deinem Vorgänger, welcher Philadelphus zubenannt wurde« erfolgt sei? Braucht er das dem Nachkommen dieses Königs zu bemerken, wenn er ihn von dem Vorgange bei der Übersetzung vollständig unterrichtet glaubte? Eine solche Darstellungsweise kann man nur als literarische Spiegelfechterei bezeichnen. Sie wollte nicht für den König, sondern für das lesende Publikum den ägyptischen Herrscher bezeichnen, welcher sich für die vollständige griechische Übersetzung interessiert haben soll.
Alle Kritiker von Kompetenz, Hody und Richard Simon, haben daher mit Recht den Aristobul samt seinem σύνταγμα zu den Pseudepigraphen geworfen. Auch Kritiker der Neuzeit haben die Aristobulische Schrift oder seine Schriften für unecht erklärt, darunter auch Lobeck (Aglaophamus I, 448). Zeller hat dagegen eifrig für die Ehrenrettung derselben plädiert (Philosophie der Griechen III. 23, S. 257 fg. und besonders in den Noten). Er setzt diesen Aristobul mit Valckenaer in Philometors Zeit um 160 ante. Aber einen Beweis für die Echtheit konnte er nicht beibringen, der doch erforderlich wäre, wenn fast jede in dieser Schrift aufgestellte Behauptung auf den ersten Blick Fälschung und Erfindung verrät. Die Widerlegung Zellers gegen den Haupteinwand von der Entstehung der Septuaginta unter Philadelphus' Patronat, ist durchaus unhaltbar. Zeller meint, die Sage von der Beteiligung Philadelphus' und Phalereus' an dieser Übersetzung könnte in Umlauf gewesen sein, und Aristobul habe sie für seinen Zweck benutzt. Allein dieser Einwand beweist zu viel oder gar nichts. Hat man unter den alexandrinischen Judäern noch vor Philometor geglaubt, »daß die Septuaginta durch Anregung des Philadelphus und Demetrios Phalereus entstanden sei,« dann muß dieser Glaube nicht bloß eine Sage, sondern eine Tatsache gewesen sein. Denn zwischen Philadelphus und der Zeit vor Philometor läge vielleicht kaum ein halbes Jahrhundert. Philadelphus starb 248 und Philometor kam 181 zur Regierung. Also innerhalb dieser 50 oder 60 Jahre, in welcher noch einige gelebt haben können, die in der Zeit der Übersetzung bereits gelebt haben, soll die Sage im Umlauf gewesen sein?
Indessen ist das ganze Räsonnement unrichtig. Nicht eine Sage hat Philadelphus und Demetrius Phalereus mit der Septuaginta in Verbindung gebracht, sondern ein einziger Schriftsteller, der Verfasser des Aristeasbriefes, und dieser hat aus einer falschen Kombination den letzteren hineingezogen, weil er aus Unkenntnis der Literaturgeschichte den judäischen Chronographen Demetrios mit Demetrios Phalereus identifiziert hat (vergl. o. S. 591 f.). So lange man im Dunkeln über den Verfasser dieses Briefes tappte, konnte man allenfalls annehmen, die Philadephus-Demetriosgeschichte sei eine Sage gewesen. Jetzt aber ist die Illusion verflogen. Es ist unwiderleglich [vergl. die Bemerkung oben S. 599] erwiesen, daß der Verfasser des Aristeasbriefes in der Zeit des Kaisers Tiberius geschrieben (o. S. 590 ff.), daß er mit seinem Schreiben eine Apologie gegen die Verleumder des Judentums hat geben [628] wollen, daß er aus Ignoranz den atheniensischen Archonten Demetrios Phalereus mit einem für die Judäer günstigen Schriftsteller Demetrios kombiniert hat, und endlich, daß das ganze historische Gewebe als nichts anderes, denn als eine Fiktion anzusehen ist Jetzt läßt sich mit der Annahme einer Sage nicht mehr durchkommen. Es steht vielmehr kritisch fest, daß der. Verfasser der Aristobulischen Schriften den Aristeasbrief bereits vor sich gehabt haben muß, ebenso wie Philo und Josephus, und daß er die in diesem Briefe erzählten Fiktionen als geschichtliche Tatsachen betrachtet und benutzt hat. Darum konnte er, zur Begründung seiner kecken Behauptung, daß die Griechen ihr bestes Teil von den Hebräern entlehnt hätten, den Satz hinstellen, ein Teil des Pentateuchs sei noch vor Philadelphus ins Griechische übersetzt worden.
Hat nun der Verfasser den Aristeasbrief gekannt und darauf weiter gebaut, so muß er unbedingt nach dem Verfasser desselben gelebt haben. Seine Schrift kann also nur in der Zeit nach der Regierung des Kaisers Tiberius geschrieben sein. Er will allerdings zur Zeit des Königs Philometor geschrieben und mit ihm verkehrt haben. Denn diesen Punkt hat Valckenaer zur Gewißheit erhoben, daß der König, an den die Schrift gerichtet ist, der sechste Ptolemäer sein soll. Clemens' ausdrückliche Angabe: »an den König Philometor« (o. S. 621), ist entscheidend gegen Eusebius' Unbestimmtheit: »an den König Ptolemäus,« und gegen Anatolius' von Verwirrung zeugende Darstellung, als wenn die »exegetischen Schriften« Aristobuls den beiden Königen, Philadelphus und seinem Vater, gewidmet gewesen wären. Nun, den König Philometor hat der Verf. zu seiner fingierten Darstellung geradezu ausgesucht, wie er auch mit Überlegung den Namen Aristobul angenommen hat. So viel wußte er aus der Überlieferung seiner Umgebung, daß unter allen Ptolemäern keiner so sehr die Judäer begünstigt hat und mit ihnen in Verkehr war, wie Philometor. Dieser eignete sich demnach am besten zur Rolle eines Fürsten, der sich fürs Judentum und judäische Philosophie interessiert, ein Gespräch darüber mit einem Vertreter des Judentums geführt und die Widmung einer Schrift darüber angenommen haben könnte. Dann hatte der Verfasser auch das Sendschreiben der Palästinenser an die ägyptischen Gemeinden wegen der Feier der Tempelweihe gekannt, das an der Spitze des zweiten Makkabäerbuches steht; vergl. Note 10. Diesem Sendschreiben entnahm die Aristobulische Schrift die Tatsache, daß ein Judäer bei einem Ptolemäer die Funktion eines Lehrers gehabt hat. Wollte der Verfasser die Fiktion durchführen, daß ein judäischer Philosoph einen Ptolemäer über das Judentum belehrt hat, so eignete sich wiederum keiner besser zu dieser Rolle, als eben dieser Aristobul, der Lehrer des Königs Ptolemäus. Clemens Alexandrinus und Anatolius geben ausdrücklich an, daß der Verfasser der Aristobulischen Schrift mit Aristobul, dem Lehrer des Königs, identisch ist. Wahrscheinlich haben diese Kirchenväter diese Identität in der Schrift selbst gelesen. Haben sie bloß kombiniert, so waren sie von richtigem kritischem Takt geleitet. Das Sachverhältnis ist auch nicht anders aufzufassen. Der Verfasser hat sich mit diesem Aristobul, dem Lehrer des Königs Ptolemäus, identifiziert, um seine Fabel von dem Zwiegespräche eines judäischen Philosophen mit einem Ptolemäer glaublicher zu machen. Der Verfasser hieß keineswegs Aristobul; er verdient nur den Namen Pseudo-Aristobul, wie der Verfasser des Aristeasbriefes nur als Pseudo-Aristeas angesehen wird. Die beabsichtigte Eskamotage ist ihm gelungen: nicht bloß die leichtgläubigen Kirchenväter, sondern auch gewiegte Kritiker behaupten noch heute die historische Existenz eines [629] judäischen Peripatetikers Aristobul, der unter Philometor gelebt und sein σύνταγμα oder exegetische Bücher an diesen König gerichtet hätte. Hoffentlich wird die Überzeugung durchdringen, daß an diesem Aristobul, an dem alles falsch ist57, auch der Name eine vorgenommene Maske ist. Selbst die Annahme, daß er ein Anhänger der peripatetischen Philosophie gewesen sei, ist aus den Auszügen aus seinen Schriften nicht erwiesen. Stellen, welche Zeller zum Beweise dafür anführt (a.a.O. S. 222 N. 7) beweisen nur, daß Pseudo-Aristobul die Existenz einer peripatetischen Schule gekannt, aber nicht, daß er selbst dazu gehört hat. Streng genommen kann man ihn nicht einmal als philosophischen Schriftsteller gelten lassen. Aus dem Zitat bei Anatolius, daß Aristobul die Zeit des Pascha oder διαβατἠρια bestimmt habe, gerade zur Zeit der Konjunktion des Frühlingsäquinoktiums nach dem Stande des Mondes und der Sonne, würde allenfalls folgen, daß er zur Zeit gelebt hat, als dieses Opfer noch dargebracht wurde, also vor dem Untergang Jerusalems. In der Zeit zwischen Philo und der Tempelzerstörung, zwischen 50 und 70, war die judäisch-hellenistische Literatur noch fruchtbar. Die unechten Schriften Philos de incorruptibilitate mundi und der Auszug daraus de mundo und andere, ferner das IV. Makkabäerbuch, vielleicht auch einige Sibyllinen gehören dieser Zwischenzeit an.
Fassen wir das bisher Auseinandergesetzte zusammen. Es existierte eine Schrift in zwei Büchern, welche von den Kirchenvätern benutzt wurde, unter dem Autornamen Aristobul oder Agathobul. Der Verfasser gab sich als Lehrer des Königs Ptolemäus VI. Philometor aus, dem diese Schrift gewidmet war. Sie redete den König in zweiter Person an. Der Verfasser gab sich auch, wie es scheint, als Anhänger der peripatetischen Philosophenschule aus. Er behauptete darin, daß die griechischen Philosophen Plato, Pythagoras und selbst Sokrates mehr oder weniger aus Moses Gesetzbuch oder aus dem Judentum geschöpft hätten. Er behauptete ferner, daß auch griechische Dichter aus demselben mancherlei entlehnt hätten. Alle diese Denker und Dichter hätten aus dem Gesetzbuche Moses schöpfen können, weil es sehr früh, noch lange vor der Entstehung der griechischen Übersetzung des Pentateuchs unter Ptolemäus Philadelphus und Demetrios Phalereus von andern übersetzt worden sei. Diese mosaische Gesetzgebung sei daher von den Trägern der griechischen Gedankenwelt als erhaben, heilig und göttlich anerkannt worden. So sei es auch in der Tat. Zwar kämen in ihr Ausdrücke vor, welche scheinbar Gott vermenschlichen; aber man müsse hinter dem Wortlaut etwas Höheres suchen. Um die Anthropomorphismen zu eliminieren, hat die Schrift eine tropische Auslegung angewendet. Noch hat sie manches über die Paschahfeier und über die Zeit, in welche sie falle, enthalten.
Überblickt man das ganze Gebiet der hellenistischen Literatur und nimmt man die Erzeugnisse aus, welche an die eigenen Volksgenossen gerichtet sind, wie die Makkabb. II. III. IV., so scheinen die übrigen in zwei Klassen zu zerfallen und verschiedenen Perioden anzugehören. Die ältesten, Eupolemos, Artapan und auch noch Pseudo-Hekataios haben lediglich eine apologetische [630] Rolle. Sie nehmen das Judentum und seine Geschichte in Schutz, glorifizieren das Altertum des judäischen Volkes oder dieses selbst, oder dessen Lehre, das Gesetz, oder den Gesetzgeber Mose. Sie verfolgen offenbar den Zweck, Angriffe gegen dieselben und Verunglimpfungen abzuwehren. Die zweite Klasse verfährt dagegen polemisch gegen das Heidentum, sie legt die Verworfenheit des Götzentums und der heidnischen Unsitten bloß. Am stärksten tut dieses die judäische Sibylle und die sapientia. In der Mitte stehen Pseudo-Aristeas und Pseudo-Phokylides; das polemische Moment ist hier mehr versteckt. Philo gehört schon zu den geharnischten Polemikern. Pseudo-Aristobulos will noch dazu den Griechen ihren Hauptvorzug, ihre Weisheit, rauben und sie dem Judentum vindizieren, als hätten sie diesem ihr bestes Teil entlehnt. Es scheint, als wenn die Polemik gegen das Heidentum, die doch wohl von Alexandrien ausgegangen ist, erst mit der Herrschaft der Römer über Ägypten begonnen hat; dieser Zeit gehören sämtliche vollständig erhaltene Schriften an. So lange das Ptolemäische Reich, in dem doch das Heidentum die Staatsreligion war, Selbständigkeit besaß, mochten wohl die judäischen Schriftsteller es vermieden haben, mit ihm anzubinden.
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