5. Kapitel. Das sopherische Zeitalter. (420-338.)

[156] Haß der Samaritaner gegen die Judäer. Sanballat baut ein nebenbuhlerisches Heiligtum auf dem Berge Gerisim. Manasse, Hoherpriester dieses Tempels. Die Samaritaner geben sich als Nachkommen Josephs oder Ephraims aus. Ihre verdorbene Sprache. Sie nehmen die Thora als Lebensregel an. Die Judäer formulieren im Gegensatz ihr Bekenntnis als Judentum. Das Jobel- und Sabbatjahrgesetz. Sorge für die Armen. Der hohe Rat mit siebzig Mitgliedern. Die regelmäßigen Vorlesungen aus dem Pentateuch. Die Einführung der assyrischen Schriftzeichen. Einführung des Lehrhauses. Die Tätigkeit des hohen Rates oder der Sopherim. Die »Umzäunungen«. Die Sabbatstrenge. Die Sabbatweihe. Das Passahfest. Die Gebete. Die Vorlesung aus den Propheten. Der geistige und der Opfer-Gottesdienst. Die Engel- und Dämonenlehre. Die Reinheits- und Unreinheitsgesetze.


Der aus Liebe entsprungene Haß ist stärker und leidenschaftlicher als der, welcher aus unerklärlicher Abstoßung, Neid oder aus erfahrener Kränkung entsteht. Sanballat, seine Samaritaner und Genossen, hatten sich aus Vorliebe für den Gott, der in Jerusalem verehrt wurde, herangedrängt, in die judäische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Die Heftigkeit ihrer Feindseligkeit gegen Nehemia, der das Gemeinwesen aus dem Zerfalle aufrichtete, war eigentlich ein ungestümer Liebesantrag, um eine innige Verbindung zu ertrotzen. Da sie aber immer und immer abgewiesen wurden, so verwandelte sich ihre sehnsüchtige Liebe in glühenden Haß. Als Sanballat, welcher durch seine Verschwägerung mit der hohenpriesterlichen Familie das Ziel seiner Wünsche erreicht glaubte, die Zurücksetzung erfuhr, daß sein Schwiegersohn Manasse wegen der Verbindung mit seiner Tochter aus dem Lande verbannt wurde, war das Maß voll. Schlau, wie er war, faßte er den Plan, das judäische Gemeinwesen durch die eigenen Glieder unterwühlen zu lassen. Er und die Seinigen wurden vom Tempel in Jerusalem zurückgewiesen. Wie, wenn er einen Tempel für denselben Gott errichtete, der dem Jerusalemischen nebenbuhlerisch [156] den Rang streitig machen könnte? Hatte er doch Priester von den Nachkommen Ahrons, welche den Dienst in dem zu errichtenden Heiligtume in der gesetzlichen Weise, nach Vorschrift der Thora verrichten könnten. Sein Schwiegersohn Manasse könnte darin die Würde des Hohenpriesters bekleiden und die anderen ebenfalls ausgewiesenen Ahroniden ihm zur Seite stehen. So schien sich alles für ihn zum Besten zu fügen. Seine Sehnsucht nach Anschluß an den Gott Israels und sein Ehrgeiz, an der Spitze eines geschlossenen Gemeinwesens zu stehen, könnten zugleich befriedigt werden. Zur Errichtung eines Tempels brauchte man wohl schwerlich eine besondere Erlaubnis vom persischen Hofe, und wenn erforderlich, so war sie von dem Landpfleger oder dem Satrapen nicht gar so schwer zu erlangen.

So errichtete denn Sanballat auf der Spitze des fruchtbaren Berges Gerisim (Garizim) am Fuße der Stadt Sichem in der Gegend, welche so recht den Mittelpunkt des Landes Palästina bildet, einen Tempel, wahrscheinlich nach dem Tode des Königs Artaxerxes (um 420). Die Wahl des Platzes war von den schriftkundigen Ahroniden, welche aus Jerusalem ausgewiesen worden, getroffen, weil von diesem Berge nach der deuteronomischen Gesetzgebung der Segen für die Beobachter der Gesetze, dagegen auf dem gegenüberliegenden, weniger fruchtbaren Ebal der Fluch ausgesprochen werden sollte (II. 1. Hälfte, S. 286). Unter der Hand gaben die Samaritaner dem Worte eine andere Bedeutung. Sie bezeichneten und bezeichnen noch heutigen Tages den Gerisim als »Berg des Segens«, als wenn überhaupt von ihm Segen und Heil ausginge. Selbst die Stadt Sichem nannten sie danach »Segen« (Mabrachta)1. Indessen verfehlt war doch die Wahl, weil der Gerisim nur von einer einzigen Seite zugänglich ist, [157] von den übrigen aber steil in die Täler abfällt. Selbst für die in der Nähe Wohnenden muß es mühsam gewesen sein, auf den Bergrücken zu dem Heiligtume zu gelangen, wenn es an dem der Stadt entgegengesetzten Platz gestanden haben sollte, wo es die letzten Nachkommen der Samaritaner heute noch zeigen. Ein anderer Einfall war glücklicher und macht demjenigen Ehre, der ihn zuerst gehabt hat, daß dieses Mischvolk nämlich nicht Abkömmlinge jener Verbannten wäre, welche einst von einem assyrischen König in diese Gegend verpflanzt wurden, sondern im Gegenteil echte Israeliten, Überbleibsel der Zehnstämme oder des Stammes Joseph und Ephraim2. Es mögen allerdings unter ihnen wenige Nachkommen der Familien gewesen sein, die nach dem Untergange des Zehnstämmereiches sich noch bei Samaria behauptet hatten; aber daß sämtliche Chuthäer um Sanballat, die Ammoniter um Tobija und die Araber um Gaschmu, alle welche sich um den Tempel auf Gerisim gruppierten, daß alle diese Mischlinge sich als reine Enkel von Joseph und Ephraim ausgaben und Israeliten nannten, war eine jener glücklichen kecken Fälschungen, die gerade wegen ihrer Ungeheuerlichkeiten selbst diejenigen, die vom Gegenteil fest überzeugt sind, stutzig machen. Indes ihre Sprache verriet sie als ein zusammengelaufenes Mischvolk; sie war ein Kauderwelsch aus aramäischen und anderen so fremdartig klingenden Elementen, daß es nicht gelingen will, ihren Ursprung zu ermitteln3, und ihr niedriger Bildungsgrad trug dazu bei, auch das von ihnen gebrauchte aramäische Sprachgut zu verderben, die festesten Mitlaute radebrechend zu verunstalten und die feinen Schattierungen der Selbstlaute zu verwischen.

Indessen der Wurf war gelungen. Die Samaritaner hatten einen Tempel, um den sie sich sammeln konnten, hatten Priester aus dem ahronidischen Hause, setzten keck ihren Hargerisim – wie sie ihren heiligen Berg nannten – dem Morija entgegen, belegten es aus dem Gesetzbuche, daß Gott selbst diesen Berg als heilige Opferstätte angeordnet habe, und nannten sich stolz Israeliten. Sanballat [158] und seine Nachfolger sorgten dafür, recht viele Judäer anzulocken. Denen, welche zu ihnen übergingen, räumten sie Wohnsitze und Äcker ein und unterstützten sie fördersam. Solche, die sich in Juda oder Jerusalem irgendeines Vergehens schuldig gemacht und die Strafe fürchteten, begaben sich zu den Samaritanern und wurden von ihnen mit offenen Armen aufgenommen4. Aus solchen Elementen bildete sich ein neues halbjudäisches Wesen oder eine Sekte, das Samaritertum, in einem abgeschlossenen Gebiete: Samaria, dessen Mittelpunkt entweder die Stadt war, von dem es den Namen erhalten, oder Sichem. Bekenner oder Glieder dieser Sekte wurden ein rühriges, zähes, erfinderisches Völkchen, als wenn Sanballat, der Begründer, ihm seinen Geist eingehaucht hätte. Es hat sich wunderbar trotz seiner Winzigkeit bis auf den heutigen Tag erhalten5. Die Entstehung des Samaritertums war eigentlich ein Sieg der judäischen Gottesverehrung und Lehre, indem ein so zusammengewürfeltes Mischvolk sich unwiderstehlich davon angezogen fühlte, sie zum Leitstern seines Lebens machte und trotz Widerwärtigkeiten und Mißgeschick nimmer mehr davon gelassen hat. Die Thora, das von Mose übermittelte Gesetzbuch, welches die aus Jerusalem verbannten Priester ihnen gebracht hatten, hielten die Samaritaner eben so heilig wie die Judäer, regelten nach deren Vorschrift ihre religiösen und bürgerlichen Lebensäußerungen. Allein ungeachtet dieser Gemeinschaft in dem Grundwesen hatte das judäische Volk keine Freude an dem Zuwachs, der seine Lehre erhalten hat. Diese erste judäische Sekte bereitete ihm vielmehr eben so viele Schmerzen, wie die, welche sich später aus seinem Schoße entwickelt haben. Die Samaritaner waren nicht bloß eine geraume Zeit hindurch seine erbittertsten Feinde, sondern sprachen ihm geradezu die Berechtigung der Existenz ab. Sie behaupteten ganz allein Nachkommen Israels zu sein, stellten die Heiligkeit Jerusalems und des dortigen Tempels in Abrede und erklärten alles das, was das judäische Volk geschaffen und geleistet hat, als eine Fälschung des alt-israelitischen Wesens. Sie haben stets über ihre Grenze geschielt, um das, was in Judäa vorging, auch bei sich einzuführen, und hätten doch, wenn es in ihrer Macht gelegen hätte, mit ihrem glühenden Hasse ihr Musterbild vernichtet. Von der judäischen Seite war der Haß gegen die samaritanischen [159] Nachbarn nicht minder groß. Sie wurden hier »das verworfene Volk, das in Sichem wohnte«6 genannt. Der feindliche Widerstreit zwischen Jerusalem und Samaria aus der Zeit des Bestandes des Zehnstämmereiches lebte abermals auf; er hatte zwar nicht mehr den politischen Charakter, sondern einen inneren, religiösen, aber eben darum war er heftiger und leidenschaftlicher.

Die Entstehung der samaritanischen Sekte hat anregend auf die Judäer zurückgewirkt. Indem sie sich an dem Gegensatze in der nächsten Nähe immer stießen, und von jenseits der Grenze Lehrmeinungen vernahmen, welche ihnen in tiefster Seele zuwider waren, mußten sie sich zusammennehmen, um ihr eigenstes Wesen zu begreifen. Die Samaritaner verhalfen ihnen zur Selbsterkenntnis. Was bedeutet das, was sie nicht bloß von der heidnischen Welt, sondern auch von den, denselben Gott verehrenden und dasselbe Grundbuch anerkennenden Nachbarn unterscheidet? Der Gedanke, daß sie ein eigenes Bekenntnis haben, wurde ihnen dadurch erst recht klar, der Begriff des »Judentums«7 ging ihnen durch den Gegensatz auf. Er bezeichnete nicht mehr das nationale Wesen, sondern das religiöse Bekenntnis. Der Name »Judäer« verlor die Bedeutung der Stammeseigenheit und wurde in der allgemeinen Bedeutung gebraucht als Anhänger des Judentums, gleichviel ob sie dem Stamme Juda oder Benjamin angehörten oder Ahroniden oder Leviten waren8. Zu diesem Bekenntnis gehörte vor allem die Anerkennung des einzigen Gottes, der Himmel und Erde, das Meer und seine Flüsse geschaffen, die Natur im großen und kleinen beherrscht und erhält und zugleich das Volk Israel als seinen Knecht auserkoren.


»Der da sendet seinen Spruch zur Erde,

Aufs eilendste läuft sein Wort,

Der Schnee gibt wie Wolle,

Reif wie Asche ausstreut,

Seine Eisschollen wie Stücke schleudert

Wer kann vor seinem Frost bestehen?

[160] Er sendet sein Wort und macht sie schmelzen,

Läßt seinen Wind wehen, da rinnt Wasser,

Er verkündet sein Wort für Jakob

Seine Gesetze und Bestimmungen für Israel.

Nicht hat er also für irgendein Volk getan,

Bestimmungen hat er ihnen nicht kund getan9


Zu diesem Bekenntnis gehörte auch die Anerkennung des Gesetzbuches der Thora als der unmittelbaren Offenbarung dieses Gottes durch Moses Vermittelung. So groß früher die Gleichgültigkeit des Volkes im allgemeinen bis auf einen kleinen Bruchteil gegen dieses Grundbuch war, eben so groß war die Verehrung und Verherrlichung desselben in der Zeit nach Esra und Nehemia. »Ein verständiger Mann vertraut dem Gesetze, und das Gesetz ist ihm treu wie der Ausspruch der Wahrheit kündenden Urim und Thummim«10, die Thora wurde als Inbegriff aller Weisheit angesehen und verehrt11. Die hebräische Poesie, die noch immer rege war, verherrlichte sie mit überschwänglichem Lobe:


»Die Lehre Gottes ist vollkommen, die Seele erquickend.

Seine Ermahnung ist treu, belehrt den Unerfahrenen.

Seine Befehle gerade, herzerfreuend.

Gottes Gebote lauter, Augen erleuchtend.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seine Bestimmungen sind wahr, allsamt gerecht,

Begehrenswerter denn Gold und viel Edelmetall,

Angenehmer denn Honig und süßer Saft12


Selbstverständlich wurde die Thora infolgedessen das Grundgesetz für den kleinen Staat oder das Gemeinwesen Juda. Bei jedem Tun und Lassen wurde darauf Rücksicht genommen, ob es nach »Vorschrift« sei13. – Die Sklaverei für Einheimische hörte vollständig auf. Wollte sich ein Judäer als Sklave verkaufen, so fand er keinen Käufer. Dadurch war das Jobeljahr, welches den Geknechteten Freiheit bringen sollte, für den wesentlichsten Zweck desselben überflüssig geworden. Dagegen wurde das Sabbatjahr für Personen und Felder [161] streng ausgeführt. In jedem siebenten Jahr verfiel die Schuld14 der Ärmeren, und die Äcker blieben in diesem Jahre brach. Wahrscheinlich hatten es schon früher die judäischen Günstlinge am persischen Hofe erlangt, daß an diesem Brachjahre die Abgaben von den Bodenerzeugnissen ausfallen sollten15. Und so wurde durchweg das öffentliche Leben nach den Vorschriften des Gesetzbuches geregelt. Dem Armenwesen wurde eine besondere Sorgfalt zugewendet, laut der Ermahnung des pentateuchischen Gesetzes, daß kein Notleidender im Lande sein sollte. Almosenspenden galt in dieser Neugestaltung als die höchste Tugend16. In jeder Stadt wurden Gemeindeglieder ausgewählt, welche sich mit dem Armenwesen befaßten17. Die so oft von den Propheten und Psalmisten wiederholten Klagen über Hartherzigkeit gegen die Notleidenden und Hilflosen brauchten fortan nicht mehr wiederholt zu werden. Ihre Rügen hatten denn doch gewirkt, sie hatten des Volkes Herz von Stein in ein weiches Herz verwandelt, und es wurde durch fortdauernde Übung von Mildtätigkeit und Vererbung so weich, daß warmes Mitgefühl für Leidende eine unbestrittene Eigenschaft des judäischen Volksstammes geworden ist. – Das Gerichtswesen wurde aufs vollkommenste geordnet und mit solcher Gewissenhaftigkeit ausgeübt, daß es allen Völkern der Erde als Muster hätte voranleuchten können. Völlige Gleichheit vor dem Gesetze war so selbstverständlich, daß sie nicht einmal besonders betont zu werden brauchte. Zweimal in der Woche wurde öffentliche Gerichtssitzung in allen größeren Städten veranstaltet, am Montag und Donnerstag, sei es, daß an diesen Tagen schon früher Wochenmärkte für die Landleute stattfanden, oder daß sie durch einen anderen Umstand Bedeutung hatten. Diese Einrichtung wurde auf Esra zurückgeführt18, wie alle vortrefflichen Institute, welche in der nachexilischen Zeit eingeführt wurden. War einmal der Anstoß gegeben, das Gemeinwesen im Sinne der Thora oder auf biblischer Grundlage zu ordnen, warum [162] sollten die geistigen Führer des Volkes nicht darauf gekommen sein, eine höchste Behörde zusammenzusetzen, welche gesetzauslegende und gesetzgebende Befugnis haben sollte? Im deuteronomischen Gesetze ist die Einsetzung eines obersten Gerichtshofes, welcher in zweifelhaften Fällen die endgültige Entscheidung geben sollte, zur Pflicht gemacht; ein solcher sollte die höchste Autorität haben, vor dessen Aussprüchen niemand weder rechts noch links abweichen dürfte19. Die Männer, die in der nachnehemianischen Zeit an der Spitze standen und vom Geiste der Thora erfüllt waren, mußten es demnach als eine Pflicht ansehen, eine solche mit Autorität bekleidete hohe Behörde ins Leben zu rufen. Aus wieviel Mitgliedern sollte sie bestehen? Auch dafür war im Gesetze eine Anleitung gegeben. Mose hatte sich mit siebzig »Ältesten« umgeben, welche die Last der Geschäfte mit ihm teilen sollten20: es waren die Vertreter der siebzig Hauptfamilien. Es lag also nahe, den letztentscheidenden und gesetzgebenden hohen Rat aus siebzig »Ältesten« zusammenzusetzen. Dieses eigenartige Institut, dessen Bestand sich die ganze Zeit bis zum Untergang des judäischen Gemeinwesens behauptet hat, Wächter der Gesetze war und zuzeiten eine große Bedeutung hatte, wurde ohne Zweifel in dieser Zeit ins Leben gerufen21. Zu welcher anderen [163] Zeit hätte er sonst entstehen können? Keine war günstiger für eine solche Schöpfung als diejenige, welche auf Nehemia folgte, weil damals der glühende Eifer für die Erfüllung der Thoragesetze und das Streben, diese Thora zum Muster für die Gegenwart zu nehmen, angeregt waren. Aus der großen Versammlung unter Nehemia, die nur einmal zur Übernahme von Verpflichtungen zusammenberufen war, entwickelte sich eine stehende Körperschaft für Beratungen über wichtige religiöse und sittliche Fragen. Die siebzig Mitglieder für den hohen Rat wurden wahrscheinlich aus den verschiedenen Familien gewählt; der Hohepriester durfte wahrscheinlich nicht übergangen werden, oder vielmehr, ob würdig oder nicht, mußte er an die Spitze gestellt werden und den Vorsitz führen22. Die siebzig Mitglieder der Körperschaft mußten deswegen um eins vermehrt werden, und diese Zahl blieb beständig. Der Vorsitzende erhielt den Titel »Vater des Gerichtshofes« (Ab Beth-din).

[164] Sobald die Körperschaft zusammengesetzt war, so zielte ihre Tätigkeit darauf hin, die Richtung, welche mit Esra und Nehemia angebahnt war, zu verfolgen und fortzusetzen, das Judentum oder das Gesetz in das Leben und die Gewohnheit des Volkes einzuführen. Der Hohe Rat der siebzig oder einundsiebzig hat einen völligen Umschwung herbeigeführt. Alle Veränderungen, welche sich zwei Jahrhunderte später in dem judäischen Gemeinwesen zeigten, waren sein Werk; die neuen Einrichtungen, welche die Überlieferung auf Esra zurückführt oder welche unter dem Namen sopherische Bestimmungen (dibré Sopherim) bekannt geworden sind, waren lediglich Schöpfungen dieser Körperschaft. Sie hat einen festen Grund für einen Bau gelegt, der Tausenden von Jahren trotzen sollte. Vor allem wurden in dieser Zeit regelmäßige Vorlesungen aus der Thora eingeführt. Sie, der geistige Schutz des Volkes, das teure Kleinod, dessen Wert wegen der langen Verkennung nur um so höher stieg, das göttliche Wort, die Stimme der Propheten zu ersetzen berufen, sollte nicht mehr verkannt und vernachlässigt, sondern allen vertraut und zu eigen gemacht werden. An jedem Sabbat und an allen Feiertagen, so verordnete die gesetzgebende Körperschaft, sollte ein Abschnitt aus dem Pentateuch der versammelten Gemeinde vorgelesen werden. Aber auch zweimal in der Woche an Werktagen, wenn die Landleute aus den Dörfern sich zu Markte in die nah gelegenen Städte oder zu Gericht einzufinden pflegten, sollten, wenn auch nur wenige Verse, öffentlich vorgetragen werden23. Zuerst besorgten wohl die Kundigen die Vorlesung; allmählich gereichte es zur Ehre, zu ihnen gezählt zu werden, und jedermann drängte sich dazu. Es mußte daher eine gewisse Ordnung eingehalten werden, daß zuerst ein Ahronide, dann ein Levite und dann Männer aus der Laienwelt (Israeliten) zur Vorlesung zugelassen wurden24. Wenn aber jedermann einige Verse vorlesen sollte, so mußte die Schrift leserlich sein. Nun war aber der Text der Thora bis dahin in einer altertümlichen Schrift mit [165] phönizischen oder altbabylonischen Schriftzeichen erhalten, welche nur geübte Schriftkundige zu entziffern vermochten. Für die Judäer im persischen Reiche war die Thora mehr noch als für die einheimischen, ein Buch mit sieben Siegeln. Es war also ein Bedürfnis, die altertümlichen Schriftzeichen, »die hebräische Schrift« (Kethab Ibrit) in eine andere umzuwandeln, die in damaliger Zeit in den Euphrat- und Tigris-Ländern in Gebrauch gekommen war. Diese Schriftart stammte zwar von den Figuren des uralten semitischen Alphabets, ebenso wie der von den Joniern und anderen Völkern gebrauchte Schriftcharakter, und beide, obwohl die Hand der Schreiber in den vielen Jahrhunderten die ursprünglichen Zeichen vielfach gemodelt und verwandelt hatte, konnten die alten Spuren nicht ganz verwischen. Aber die Veränderung war doch so durchgreifend, daß die Züge der Mutter in den Töchtern nicht zu erkennen waren. Diese neue oder gemodelte Schriftart, deren sich die Judäer in der Heimat und mehr noch die in den persischen Provinzen täglich zum praktischen Gebrauch bedienten, wurde auch für die Texte der Thora und der übrigen heiligen Schriften, soweit sie damals vorhanden waren, eingeführt, und sie wurde zum Unterschied von der altertümlichen, die »assyrische« (Kethab Aschurit) genannt, weil sie sich in einer der ehemaligen assyrischen Provinzen ausgebildet hatte25. Die Samaritaner dagegen behielten aus Widerspruchsgeist die alten hebräischen Schriftzeichen für den Text des Pentateuchs bei, obwohl nur wenige unter ihnen, vielleicht nur die zu ihnen übergetretenen Ahroniden sie zu lesen imstande waren, nur um ihren Gegnern den Vorwurf machen zu können, daß diese eine unerlaubte Neuerung eingeführt und die Thora gefälscht hätten. Noch heutigentages ist ihre heilige Schrift in dieser altertümlichen Schriftart gehalten, die selbst den meisten ihrer Priester ein verschlossenes Buch ist. Die Folge davon war, daß während die Judäer durch die Zugänglichkeit jedermanns zu dem belehrenden und erziehenden Schrifttum immer heimischer darin wurden und es als unzertrennlichen Teil ihres Wesens betrachteten, die Samaritaner unwissend blieben und sich zu keinem geistigen Aufschwung erheben konnten; selbst ihre Sprache blieb verwahrlost, ein Gemisch aus verschiedenen Elementen. Selbstverständlich konnte sie zu keiner Zeit eine Schule bilden, in welcher Jünger mit den Buchstaben und dem Geiste des heiligen Schrifttums hätten vertraut gemacht werden können.

Unter den Judäern dagegen entstand durch die regelmäßigen Vorlesungen aus der Thora und durch die Leserlichkeit des Textes [166] eine geistige Regsamkeit und Gewecktheit, welche allmählich dem ganzen Stamm einen eigenen Charakter verlieh. Die Thora wurde ihr geistiges Eigentum, ein Heiligtum in ihrem Innern. Noch ein anderes Institut wurde in dieser Zeit ins Leben gerufen: Lehrhäuser für erwachsene Jünglinge, um ihnen Kenntnis der Lehre und der Gesetze beizubringen und Liebe dafür in ihrem Herzen anzufachen. Die geistigen Führer des Volkes haben der künftigen Generation eindringlich empfohlen: »Stellet nur recht viele Jünger auf26,« und was sie als so wichtig empfohlen haben, haben sie ohne Zweifel selbst mit vielem Eifer betätigt. Eine solche höhere Schule (Bet-Waad) wurde gewiß in Jerusalem eingerichtet27, obwohl die Namen der Leiter derselben unbekannt geblieben sind, sowie überhaupt der Männer, welche still-geschäftig den festen Unterbau zur Erhaltung und zum Fortbestand des Judentums gefügt haben. Die unbeschränkte Lehrfreiheit und der Eifer, Kenntnis der Gesetze zu verbreiten, haben mit der Zeit die Zahl der Jünger vermehrt. Die Lehrer wurden »Schriftkundige« (Sopherim)28 oder »Weise«, die Jünger »Weisenschüler« (Talmide Chachamim) genannt. Die Tätigkeit der Weisen oder Schriftkundigen war doppelter Art, nach der einen Seite, die Gesetze der Thora auszulegen, und nach der anderen, sie für das Leben der einzelnen und der Gesamtheit anwendbar zu machen. Da nämlich manche Vorschriften des Gesetzes[167] nicht deutlich genug abgefaßt sind und Dunkelheiten enthalten, namentlich bezüglich des Umfanges ihrer Verbindlichkeit, ob für sämtliche Volksklassen oder lediglich für einzelne, ob für beide Geschlechter oder lediglich für eins derselben, so war es Sache der Schriftkundigen, solche Vorschriften, Gebote und Verbote zu deuten, zu beschränken oder zu verallgemeinern, die Zeit der Verpflichtung zu bestimmen und überhaupt sie zu ergänzen. Diese ergänzende Schriftauslegung wurde Deutung (Midrasch)29 genannt, die nicht willkürlich sein durfte, sondern wohl von gewissen, wenn auch dunklen Auslegungsregeln bedingt war. Hatte ein Gesetz der Thora im Lehrhause seine Grenzen und seine Anwendbarkeit erhalten, so wurde es in der Versammlung des Hohen Rates zur Gemeingültigkeit erhoben und ihm der Stempel der unbedingten Verpflichtung aufgelegt. Der Rat und das Lehrhaus arbeiteten einander in die Hände und ergänzten einander. Eine unsichtbare, aber tiefeinwirkende Anregung ging davon aus, und sie hat den Nachkommen der Erzväter eine Eigentümlichkeit eingeprägt, die fast wie eine angeborne Eigenschaft wirkt: den Trieb zu forschen, auszulegen, den Scharfsinn anzustrengen, um dem Worte oder der Sache eine neue Seite abzugewinnen. Dieser Trieb bewährte sich zwar nicht stets als Lichtseite, hat vielmehr auch häßliche Auswüchse erzeugt, aber er hat die Denkkraft und das Urteilsvermögen des »Restes Israels« geschärft. Wenn noch eine Spur von der alten Verwandtschaft zwischen diesem und den noch übrigen Völkern semitischer Abstammung geblieben war, so hat sie die neu erworbene Eigentümlichkeit desselben, sich in sein Schrifttum zu vertiefen, zu lesen und zu forschen, völlig verwischt.

Der höchste Rat, von dem nach und nach alle diese Institutionen und Anregungen ausgingen, hat sich indes nicht darauf beschränkt, die in der Thora vorgeschriebenen Gesetze auszulegen und in das Leben einzuführen, sondern gab auch selbständige Gesetze, um das religiös-sittliche Tun des Volkes zu regeln, anzuspornen und zu befestigen. Ein aus alter Zeit stammender Spruch der höchsten Behörde Judäas ermahnte die Mit- und Nachwelt: »Machet einen Zaun um das Gesetz30.« In dieser Ermahnung war die Richtung für die Gesetzgebung vorgezeichnet, erlaubte Fälle zu verbieten, welche an [168] das Unerlaubte anstreifen oder damit verwechselt werden könnten. Diese peinliche Rücksicht, jeder möglichen Übertretung von vornherein vorzubeugen, oder die »Umzäunung« (Sejag), hatte in der Zeit des Überganges ihre Berechtigung. Das Volk im allgemeinen, das noch nicht belehrt war, sollte dadurch an die Befolgung der Gesetze und Erfüllung der Pflichten gewöhnt werden. Aus diesem Grundsatz, es von Gesetzesübertretung fern zu halten, entsprang eine Reihe von Gesetzen, welche dem sopherischen Zeitalter angehört. Die Verwandtschaftsgrade für Eheverbote wurden aufsteigend, absteigend und seitlich weit ausgedehnt31. Der Übertretung der Züchtigkeit wurde vorsorglich vorgebeugt. Ein Mann soll sich nicht mit einer fremden Ehefrau unter vier Augen in einem abgesonderten, wenig besuchten Raume aufhalten32. Der Lauheit, mit welcher Verrichtungen am Sabbat in Nehemias Zeit behandelt wurden, ist eine außerordentliche Sabbatstrenge entgegengesetzt worden. Die verschiedenen Arten von verbotenen Arbeiten wurden näher bestimmt, alle Tätigkeiten des Feldbaues, des Sammelns vom Acker, der Umwandlung der Frucht in genießbare Speise, jede Verwandlung von rohen Stoffen in benutzbare Gegenstände oder Geräte, jedes Umgehen mit Feuer oder Licht, Tierschlachten und Tierhäute bearbeiten, schreiben und eine Schrift auslöschen, nähen und auftrennen, alle diese Tätigkeiten und noch dazu die Beförderung eines Dinges aus einem geschlossenen Raume auf die frei, dem Menschenverkehr gehörige Straße und umgekehrt, im ganzen neununddreißig Hauptarbeiten33, wurden nach der sopherischen Schriftauslegung als verpönt erklärt. Es wurden aber zur Erhöhung der Sabbatfeier auch andere Verrichtungen untersagt, die mit diesen gar keine Ähnlichkeit haben, wie z.B. auf einen Baum klettern, reiten, schwimmen, tanzen, Gericht halten, kaufen und verkaufen, sich verloben. Es sollte dadurch die Sabbatruhe (Schebût) erzielt werden, um diesem Tage und auch den Feiertagen den werktägigen Anstrich zu benehmen34. Die Verschärfung der Sabbatstrenge [169] ging in dieser Zeit so weit, daß sogar verboten wurde, Werkzeuge und Gerätschaften für eine Arbeit oder für eine Verrichtung von einem Ort zum anderen zu bewegen35. Um jeder möglichen Entweihung des Sabbats und der Festtage vorzubeugen, sollte die Arbeit noch vor Sonnenuntergang des vorangehenden Tages eingestellt werden. Zu diesem Zwecke wurde ein Beamter bestellt, der mit einem Horn das Zeichen der Ruhe angeben sollte. Bei dem ersten Zeichen sollten die Feldarbeiter, beim zweiten die Handwerker und beim dritten die am häuslichen Herde Beschäftigten die Arbeit beschließen. Außerdem wurde der Beginn des Sabbats noch besonders durch Hornzeichen angekündigt36.

Der Sabbat und die Feiertage sollten aber eine gehobene, weihevolle Stimmung in der Seele erzeugen und die Mühsal und Plagen der Werktage vergessen machen. Zu diesem Zwecke wurde in der sopherischen Zeit angeordnet, beim Eingang und Ausgang dieser Ruhetage einen Becher Wein zu trinken, beim Beginn sich durch eine Segensformel zu vergegenwärtigen, daß diese Tage heilig und von Gott geweiht worden seien (Kiddusch), und beim Ausgang es zum Bewußtsein zu bringen, daß sie gegen die Arbeitstage eine erhöhte Bedeutung haben (Hawdalah)37. Durch diese Bestimmungen, die nicht toter Buchstabe geblieben sind, erhielt der Sabbat einen weihevollen Charakter, war den Bekennern des Judentums keineswegs eine Last, sondern verlieh ihnen eine freudig-ernste Stimmung, die über die Alltäglichkeit und die Not des Lebens hinweghob und sie stärkte, die Leiden zu ertragen, die ihnen die Zukunft zugedacht [170] hatte. Der erste Abend des Frühlingsfestes, an dem das Passahlamm verzehrt zu werden pflegte, erhielt ebenfalls in der sopherischen Zeit eine hohe Bedeutung, um die Erinnerung an die Erlösung aus Ägypten und das Gefühl der Freiheit mit jedem Jahre zu erwecken und rege zu erhalten. Es war Vorschrift oder Sitte, an diesem Festesabend vier Becher Wein zu trinken – die Zahl hatte von Ursprung an eine beziehungsreiche Bedeutung – und selbst der Dürftigste verschaffte sich Mittel für diesen, »das Herz erfreuenden Genuß« oder empfing sie aus der Sammlung für die Armen. Traulich saßen die Familienglieder und befreundeten Personen am Passahabend um die Tafel, nicht um ein schwelgerisches Mal zu halten, sondern um sich die wunderbare Befreiung aus Ägypten lebhaft ins Gedächtnis zu rufen und in Lobliedern den Gott ihrer Väter zu preisen, aßen bittere Kräuter, brachen ungesäuerte Brote zur Erinnerung an diesen Vorgang, kosteten ein wenig vom Passahopfer und ließen den Wein kreisen, nicht um sich zu berauschen, sondern das Erinnerungsweihfest mit heiterem Herzen zu begehen. Es wurde allmählich Sitte, daß Freunde sich zusammentaten, um mit ihren Familiengliedern gemeinschaftlich den Passahabend zu feiern und das Lamm in genossenschaftlicher Verbindung (Chaburah, φραιρία) zu genießen38. Dabei wurden Psalmen gesungen. Es wurde mit der Zeit ein gemütliches Familienfest. Überhaupt wurde in der sopherischen Zeit durch Einführung von Dank- und Lobsprüchen39 bei Speise und Trank dafür gesorgt, daß diese nicht in tierischer Weise zu sich genommen werden, sondern einen menschenwürdigen Charakter haben sollten. Jedem Genuß sollte ein Dank für den Spender der Nahrung vorangehen und jedes Mahl mit einem Tischgebet beschlossen werden. Feste Formeln waren für die Dankgebete oder Danksprüche nicht eingeführt, sondern es blieb jedem überlassen, sie nach Eingebung seines Inneren auszusprechen.

Die Gebete, welche von der sopherischen Behörde vorgeschrieben wurden, hatten eben so wenig ein festes Gepräge, aber der Gedankengang war da im Allgemeinen vorgezeichnet. Die Gebetweise im Tempel wurde für die Bethäuser oder »Gemeindehäuser« (Beth ha-Khenésset) außerhalb Jerusalems das Muster. Der Gottesdienst begann des Morgens in einer Tempelhalle, die aus großen behauenen Quadersteinen erbaut war (Lischkhat ha-Gasith), mit einem oder mehreren ausgewählten Lob- und Dankpsalmen. Zum[171] Schlusse der Psalmen fiel die Gemeinde mit einer An erkennungsformel ein: »Gepriesen sei Ihwh, der Gott Israels, der allein Wunder tut, und gepriesen sei der Name seiner Herrlichkeit für immer, nnd seine Herrlichkeit möge die ganze Erde erfüllen40«. Darauf folgte ein Dankgebet41 für das Licht der Sonne, das Gott allen Menschen und für das Licht der Lehre, das er Israel geschenkt. Daran reihte sich die Vorlesung mehrerer Abschnitte aus der Thora, der zehn Gebote, des Schemâ, welches die Einheit Gottes und die Liebe zu ihm einprägt, eines zweiten damit verwandten Stückes und des Abschnittes, welcher warnt, nicht den Gelüsten der Augen und der Eingebung des Herzens nachzugehen. Beim Schlusse des Schemâ: »Herr Israel, Ihwh unser Gott ist einzig,« fiel die Gemeinde abermals, mit den Worten ein: »Gepriesen sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches für und für.« Der Übergang von dem Vorlesen der Abschnitte aus der Thora zum eigentlichen Gebete bildete das Bekenntnis, daß das Wort der Thora auf Wahrheit beruhe. Das Hauptgebet (Thephillah) bestand aus sechs kleinen Abschnitten und [172] hatte zum Inhalt: Dank dafür, daß Gott die Väter zu seinem Dienste auserkoren; Anerkennung der göttlichen Allmacht in der Natur durch befruchtenden Regen und unter den Menschen durch dereinstige Erweckung der Toten aus ihren Gräbern; Anerkennung der Heiligkeit Gottes; Gebet um Gewährung der Wünsche jedes Flehenden und um wohlgefällige Aufnahme der Opfer; Dankgebet für Gewährung des Lebens und seiner Erhaltung, und endlich Gebet um Frieden, das sich an den Abschnitt des Priestersegens anreihte. Nachmittags und abends kam die Gemeinde abermals zum Gebet zusammen, verweilte aber nur kurze Zeit dabei, weil die Einleitung der Psalmen und die Leseabschnitte ausfielen.

An Sabbaten und Feiertagen war der Morgengottesdienst nicht wesentlich verschieden, nur daß ein besonderes Gebetstück eingefügt wurde, wodurch die Heiligkeit des Tages hervorgehoben und zum Bewußtsein gebracht werden sollte. Nur dadurch erhielt der Festgottesdienst eine höhere Bedeutung, daß zum Schlusse desselben ein längerer Abschnitt aus der Thora vorgelesen wurde. Dazu kam noch mit der Zeit die Vorlesung aus den Propheten und zwar solcher Abschnitte, welche auf die Tagesfeier Bezug haben und sie zum Ausdruck bringen. Die Veranlassung dazu lag in dem Gegensatz, in den die Judäer zu den Samaritanern getreten waren. Diese stellten die Heiligkeit des Tempels und Jerusalems in Abrede und verwarfen das prophetische Schrifttum vollständig, weil dieses von der »Gottesstadt« und von der Auserwähltheit des Heiligtums in ihrer Mitte voll ist. Um so dringlicher schien es den Vertretern des Judentums, die Propheten als Zeugen für diesen gewissermaßen zu allererst aufgestellten Glaubensartikel anzurufen, dieses Zeugnis hochanzuschlagen und es den Bekennern desselben Sabbat für Sabbat und an allen Feiertagen zur Erkenntnis zu bringen. Infolge dieser Anordnung ertönte das Wort des Propheten, das während ihrer Lebenszeit nur selten Gehör und Beachtung gefunden hatte, aus jedem judäischen Bethause und gab, wenn auch von den meisten kaum halb verstanden, dem Geiste und Gemüte die Anregung zu einer schwunghaften Stimmung. Da die prophetische Vorlesung den Morgengottesdienst zu beschließen pflegte, wurde sie der Schluß (Haphtarah) genannt42. Diese Einrichtung machte es zum Bedürfnis, das prophetische Schrifttum zu sammeln und abzuschließen oder vielmehr zu erklären, welche Bücher dazu gehörten, und welche davon ausgeschlossen werden sollten. Diese Auswahl wurde höchstwahrscheinlich von der gesetzgebenden Behörde der sopherischen Zeit getroffen. Aufgenommen [173] wurden in diese Sammlung die vier geschichtlichen Bücher (Josua, Richter, Samuel, Könige, die älteren Propheten genannt), ferner die drei umfangreichen Schriften, welche den Namen der Propheten Jesaia, Jeremia und Ezechiel trugen, und endlich zwölf kleinere Propheten (Hosea, Amos, Joël, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Chaggaï, Zacharia, Maleachi, mit den größeren drei zusammen die jüngeren Propheten genannt). Zum Gebrauche für die öffentliche Vorlesung wurden alle diese Schriften in eine einzige Rolle eingetragen. Diese Aufnahme und Bestimmung für den gottesdienstlichen Gebrauch, verlieh dem prophetischen Schrifttum den Charakter der Heiligkeit (Kanon, Kanonizität). Während es bis dahin als teures Überbleibsel aus der gnadenreichen Zeit galt, als Gott noch auserwählten Männern seinen Geist eingehaucht und aus deren Mund gesprochen, wurde es infolge der Einreihung in den Gottesdienst als »heilige Schrift« anerkannt, der Thora zwar nicht gleichgestellt, aber ihr nahestehend auf der Rangstufe der Heiligkeit zweiten Grades. –

So wurde der Gottesdienst in der sopherischen Zeit gestaltet; er war einfach und erhebend, hatte nichts Überflüssiges, Störendes oder Ermüdendes und war im Sinn und Geiste der vollen Errungenschaften aus der alten Zeit der Propheten und Psalmisten geschaffen. Nur ein einziges fremdes Element war darin aufgenommen, die Hoffnung und der Glaube an die Auferstehung der Toten nach der Grabesfahrt in einer erwarteten gnadenreichen Zeit des jüngsten Tages. Sonst war alles darin aus der reinen Quelle der uralten Lehre geschöpft. Da die Bewohner der Landstädte, in dem nahen Umkreise der Hauptstadt angesiedelt, auch außerhalb der Festtage nach Jerusalem zu kommen öfter Gelegenheit hatten und hier dem Gottesdienste beiwohnten, so richteten sie ihn in ihrem Kreise auf dieselbe Weise ein. Es bedurfte nicht dazu des Antriebes durch befehlshaberische Verordnungen. So entstanden mindestens in allen Landstädten Gebetshäuser (Synagogen, Maadé-El), welche die Gebetordnung einführten, die bis auf den heutigen Tag in den Gemeinden den Grundstock des Gottesdienstes bildet. Von weittragender Wichtigkeit war der Umstand, daß bei diesem geistigen Kultus für den Priester kein Platz war. Er galt dabei nicht mehr als die übrigen zum Gebete versammelten Gemeindeglieder, von denen je zehn eine volle Gemeinde bildeten43. Jeder Kundige galt im Bethause so viel, wo nicht noch mehr als der Priester; denn nur Schriftkundige konnten als Vorbeter und Vorleser fungieren. Das Prophetentum [174] und das Sängertum, deren Gedanken und Gefühle von den Lippen der Betenden widertönten, hatten das Priestertum aus der Gemeinde wenigstens verdrängt, und diese Beseitigung des Priestertums war für die Zukunft entscheidend.

Es galt aber noch sehr viel im Tempel. Denn neben dem geistigen Gottesdienst in den Synagogen in und außerhalb Jerusalems bestand ein anderer, welcher mit dem Opfer- und Priesterwesen eng verknüpft war. So sehr Propheten und Psalmisten es geringgeschätzt oder wenigstens geringgestellt hatten, es war einmal vom Gesetze als heilig anerkannt und von der Volksmeinung als notwendiges Sühnemittel erkannt und konnte daher in der neuen Ordnung einen weiten Spielraum beanspruchen. Allerdings Opfer in großen Massen wie in der früheren Zeit wurden nicht mehr geschlachtet. Das Gesetz hatte die Zahl derselben auf ein geringes Maß beschränkt. Die einmal vorgeschriebene Regel und Zahl wurden auf das peinlichste, ohne dazu hinzuzutun oder davon hinwegzunehmen, beobachtet. Täglich44 wurden regelmäßig für die Gemeinde und in ihrem Namen nur zwei Lämmer geopfert und auf dem Altar verbrannt, das Morgen- und das Abendopfer (Tamid); am Sabbat wurden noch zwei Lämmer mehr, und an den Festtagen sieben nebst einem oder zwei Stieren und einem Widder geopfert und ein Sündenopfer dargebracht. Solche Feste waren je der erste Monatstag, der fünfzehnte des Frühlingsmonates, das Wochenfest fünfzig Tage später, auch der erste des siebenten Monats, welcher eine erhöhte Bedeutung erhielt, und endlich der Schlußtag nach dem siebentägigen Hüttenfeste. Nur zweimal des Jahres war die Zahl der Opfer größer, an dem siebentägigen Hüttenfeste, an welchem statt eines Stieres am ersten Tage dreizehn mit symbolischer Erinnerung an dreizehn Stämme45 und zweimal sieben Lämmer, und in den folgenden Tagen ein Stier weniger, und ferner an dem großen Sühnetag, an welchem die Sündopfer den Vordergrund einnahmen, ein Bock geopfert und der andere, als Sündenbock in die Wüste geschickt und in einen Abgrund geschleudert wurde, ohne Zweifel eine sinnbildliche Handlung aus alter Zeit, um die Verwerflichkeit des geilen Bockkultus der Ägypter zu betätigen. Am Passahtage wurden zwar Opfer in großer Menge dargebracht, fast jede Familie ein Lamm oder ein Zicklein. Aber die Passahopfer waren nicht Gemeindeopfer im strengen Sinne, sondern lediglich Sache jedes einzelnen.

[175] Zum Opferwesen waren die Priester aus Ahrons Geschlecht unentbehrlich, und dabei nahmen sie eine hervorragende Stellung ein. Die diensttuenden Leviten besorgten zwar das Schlachten der Opfertiere, das Abziehen der Haut und das Reinigen derselben46; aber das Sprengen des Blutes an den äußeren und inneren Altar, die Unterhaltung des immerwährenden Feuers auf demselben, das Anzünden des Leuchters und des Räucherwerkes, das Auflegen der zwölf Brode auf den goldenen Tisch Sabbat für Sabbat gehörten zu den ausschließlichen Befugnissen der Ahroniden, die ihnen in der nachexilischen Zeit nicht mehr streitig gemacht wurden. Sie allein trugen weißleinene Gewänder, die sie nur beim Opferdienste tragen durften47, die Leviten dagegen durften nicht diese äußere Auszeichnung ihres Amtes anlegen48. Für diesen Teil des Gottesdienstes wurde eine feste Ordnung eingeführt, wie die Opferhandlungen aufeinander folgen sollten. Während Wein auf den Altar gegossen wurde, begannen die Leviten von den Sängerklassen die für jeden Tag ausgewählten Psalmen unter Begleitung von Seitenspiel und Hörnerklang der Ahroniden auf den fünfzehn Stufen des Vorhofes, welche von dem Frauenvorhofe höher hinaufführten (o. S. 96), zu singen49; den Schluß bildete täglich der Priestersegen, welcher auf das Darbringen des Räucherwerkes folgte. Sämtliche Ahroniden versammelten sich auf den Stufen der offenen Vorhalle (o. S. 97) und sprachen mit hoch über den Kopf erhobenen Händen den in der Thora vorgeschriebenen Segen für das Volk in einem Absatze. Worauf das Volk mit der Benedeiung einfiel: »Gepriesen sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches für und für50

So bildete der Gottesdienst mit der Ordnung der Opferhandlungen fast einen Gegensatz zu dem Gottesdienst, welcher mit dem lebendigen Worte auf den Geist wirkte. Der eine war im Tempelraum oder richtiger in dem Priestervorhof und der andere in der Quadersteinhalle des Tempels und in den Gemeinden vertreten Sie gingen eine Zeitlang nebeneinander ohne ahnen zu lassen, das sie miteinander in Widerstreit seien, und daß eine Zeit kommen könnte, in der dieser Widerstreit offen zutage treten würde. Ja so lange dieser Gegensatz nicht zum Bewußtsein gekommen war schienen diese beide Formen des Kultus eine Einheit zu bilden, einander [176] zu ergänzen und die eine von der anderen Eigenheiten zu entlehnen. Der geistige Gottesdienst ordnete sich in Betreff der Tageszeit dem Opferdienste unter. Zur selben Zeit, als die Priester die Opfer darbrachten, versammelten sich die Gemeinden zum Gottesdienste in den Bethäusern dreimal des Tages. An Sabbaten und Feiertagen, an denen im Tempel für die Bedeutung des Tages besondere Opfer dargebracht wurden, (Korban-Mussaph), kam die Gemeinde ebenfalls viermal zum Gebete zusammen (Tephillat-Mussaph). Und der Opferdienst konnte sich dem lebendigen Worte nicht ganz verschließen, auch er mußte sich teilweise vergeistigen, mußte Psalmengesang in die Reihenfolge der Handlungen mit aufnehmen, so mächtig war der Einfluß dieser erhabenen Poesie.

An dem Tempel- und Opferwesen war aber eine stark in die Augen fallende Seite, welche den geistigen Hauch, der aus der prophetischen und psalmistischen Poesie wehte, zu verflüchtigen und den idealen Aufschwung zu hemmen geeignet war. Es war die Seite der vorgeschriebenen Reinheit und der zu vermeidenden Unreinheit. Das Gesetz der Thora hatte zwar auch deutliche Bestimmungen darüber verordnet. Ein Unreiner sollte weder Opfer darbringen noch die Räume des Heiligtums betreten noch Opferfleisch und überhaupt Geweihtes genießen. Es gibt auch mehrere Grade der Unreinheit an. Personen, die mit Aussatz oder mit einem ekelhaften Flusse behaftet wären, oder einen Leichnam oder das Aas vierfüßiger höherer oder niederer Tiere berührt oder sich durch nächtliche Befleckung verunreinigt hätten, Frauen, in einem gewissen Zustande oder einige Zeit nach den Geburtswehen, wurden dem Heiligtume gegenüber als Unreine erklärt. Das Gesetz stellte auch Vorschriften auf, wie solche Unreine oder Verunreinigte in den reinen Zustand versetzt werden und welche Mittel dabei angewendet werden sollten. Auch Räume, welche verunreinigt worden, und Gerätschaften, die mit Unreinem höheren Grades in Verbindung gestanden, galten für unrein. Ganz besonders wurde Quellwasser als Reinigungsmittel vorgeschrieben. Besondere Bestimmungen wurden für die häufiger vorkommende Verunreinigung durch Leichname getroffen. Personen, die mit Leichen oder einem Grab oder auch nur Menschengebein in Berührung gekommen, sollten sieben Tage als unrein gelten und am dritten und siebenten Tage mit eigens zubereitetem Sprengwasser vermittelst eines Ysopstengels besprengt werden. Auch verunreinigte Räume und Gefäße, die sich in einem Raume befinden, worin eine Leiche gelegen, sollten durch Sprengwasser mit Ysop gereinigt werden. Die endgültige Reinigung sollte aber durch Baden in Quellwasser bewirkt werden. Alle diese [177] levitischen Reinheitsgesetze hätten indes nicht eine so weittragende und so alle Lebenskreise beherrschende Wichtigkeit erlangt, wenn die Judäer nicht in und außerhalb ihres Landes jahrhundertelang in Berührung mit den Persern gekommen wären, welche noch viel strengere Reinheitsgesetze hatten und sie aufs peinlichste befolgten. Wie die Israeliten in früher Zeit abwechselnd von Ägyptern, Phöniziern und Babyloniern, so nahmen die Judäer auch von den Persern,. ihren Herren, unbewußt Elemente auf und verschmolzen sie mit ihrem eigenen Wesen.

Die persische oder die eranische (iranische) Religionsanschauung, welche jahrhundertelang einen so tiefeingreifenden und umwandelnden Einfluß auf das Judentum ausgeübt hat, bot zugleich eine anziehende und eine abstoßende Seite dar. Die Vorstellung von der Gottheit war zugleich erhaben und albern, und die daraus geflossenen Lehren und Bräuche nährten auf der einen Seite Gesinnungsadel und sittliche Reinheit und auf der andern Seite den wüstesten Aberglauben. Die Parsenreligion, die noch heute besteht und ihre heiligen Schriften Avesta oder Zend-Avesta zu ihrer Grundlage hat, ist selbstverständlich nicht mit einem Male entstanden, sondern hat sich allmählich durch verschiedene Einflüsse ausgebildet. Ursprünglich haben die Völkerschaften, welche man mit dem Gesamtnamen Eranier (Iranier) bezeichnet – zu denen die Meder, Perser, Baktrer, Parther, Skythen, Armenier und noch andere gehörten – dieselben Götter angebetet wie die Inder und ähnliche Religionsgebräuche gehabt. Aber in einer Zeit, welche die Anhänger dieser Religion selbst nicht anzugeben vermochten, hat sich eine durchgreifende Wandlung in ihrer Religionsanschauung vollzogen. Diese Umwandlung ging von dem Priestergeschlechte unter den Medern aus, welches Magier genannt wurde. Als Hauptstifter ihrer neuen Religionsform gaben die Eranier selbst einen ihrer Weisen namens Zarathustra (Zoroaster) aus, den einige in die vorhistorische Zeit, andere in die Zeit der beginnenden Weltherrschaft der Meder setzten. Das Leben, die Taten und Lehren Zarathustras sind aber so sagenhaft erhalten, daß nicht einmal sein Geburtsland und der Schauplatz seiner Tätigkeit bestimmt werden können51. Indessen ist es doch so gut wie gewiß, daß der Religionsstifter der eranischen Völker aus dem Priesterstamme, den Magiern, war; denn die auf ihn zurückgeführte Lehre war nichts anderes als das Magiertum52.

[178] Nach dieser Lehre oder nach dem Gesetzbuche des Avesta gäbe es einen höchsten Gott, der die Lichtnatur habe, Ahura-Mazda (Ormuzd), der Himmel und Erde geschaffen, Leben verbreite und zu erhalten suche und die Reinheit und Lauterkeit fördere. Er sei aber nicht allmächtig, sondern habe einen feindlichen Nebenbuhler an dem Gott der Finsternis, Angro-Mainyus (Ahriman), welcher stets über Verderben brüte und den Tod der Kreaturen und namentlich der Menschen erziele. Durch diesen Gegensatz könne das Gute auf Erden und unter den Menschen nicht durchdringen und bestehen. So sehr auch der Lichtgott das Gute wolle und fördere, so werde es stets durch den Neid und Haß seines Widerparts, des Gottes der Finsternis, bekämpft, niedergehalten oder gar vernichtet. In unklarer Vorstellung oder aus gedankenloser Auswahl nahmen die Eranier neben Ahura-Mazda noch mehrere göttliche Wesen an, die sie in ihren Gebeten anriefen, zunächst Mithra, den Gott der Sonne »der reinen Triften, der tausend Ohren und tausend Augen besitze«, dann noch andere sechs Gottheiten, Amescha-Spentas (Amschaspands) genannt, welche mit dem höchsten Gott vereinigt seien und mit ihm eine Siebenzahl bilden. Zu diesen sechs Amescha-Spentas gehören das Feuer, das Wasser, die Göttin Spenta-Armaiti oder die Erde, die am meisten verehrt wurde. Zudem erkannte die Zendreligion noch himmlische und irdische Geister (Engel) an, die sie Yazatas (Izeds) nennt, die nach Hunderten und Tausenden zählten, deren oberster Herr und Meister Ahura-Mazda sei. In allen diesen Geistern und Leibern dachten sich die Eranier den höchsten Gott anwesend und mitlebend, besonders aber in Feuer, Wasser, in der Erde und Luft. Diese seien nicht Ausflüsse der Gottheit, sondern Teile ihrer selbst. Das Feuer galt besonders bei den Magiern für göttlich, ihm wurden Opfer gebracht, und es wurde im Gebete angerufen: »Opfer und Preis, gute Nahrung gelobe ich dir, o Feuer, Sohn des Ahura-Mazda. Dir ist zu opfern, du bist zu preisen, mögest du stets mit Opfer und Preis versehen sein in den Wohnungen der Menschen53«. Wer das Feuer mit dem [179] Munde anblies oder etwas Totes oder Kot hineinwarf, war des Todes54. Auch das Wasser und die Erde wurden als göttliche Wesen angerufen55.

Mehr noch als der Lichtgott beschäftigte die Eranier der Gott der Finsternis, der Unterwelt. Sie dachten sich ihn stets auf der Lauer, den Menschen Unreinheit, Verderben und Tod zu bringen, und alle ihre Anrufungen an die eingebildete Geisterwelt und alle ihre religiösen Bräuche waren dazu bestimmt, die bösen Wirkungen Angro-Mainyus von sich abzuwehren. Diesem Gotte der Unterwelt gaben sie auch sechs Hauptdiener, Daevas (Dewas) genannt, mit denen zusammen er ebenfalls eine Siebenzahl bildete56. Außerdem nahmen sie eine große Zahl böser Geister an, die sämtlich im Dienste des Höllengottes stünden: Drujas und Pairikas, Unholdinnen weiblichen Geschlechtes, welche den Menschen jeden möglichen Schaden zuzufügen suchen. Unter den männlichen Dämonen galt als der schlimmste Aeschmo, der Böse mit schrecklicher Waffe, als Verderber der Seelen, und Açto-Vidhotus, der Engel des Todes57. Am meisten gefürchtet war die Drukh-Naçus, die Teufelin des Todes, wodurch der Mensch der Gewalt Angro-Mainyus verfalle; daher müsse sie von allem, was dem Lichtgott angehöre, ferngehalten werden. Wo soll der menschliche Leichnam untergebracht werden? Er durfte weder im Feuer verbrannt, noch ins Wasser geworfen werden; denn diese göttlichen Wesen würden dadurch verunreinigt werden. Er durfte auch nicht dem Schoß der Erde, der göttlichen Spenta-Armaiti, anvertraut, noch der Luft ausgesetzt werden. Die Leichname machten daher den Anhängern des Magiertums viel zu schaffen. Mit vieler Peinlichkeit wurde eine Art Begräbnisplatz (Dakhma) eingerichtet, daß die Leichen mit der Gesamterde nicht in unmittelbare Berührung zu kommen scheinen sollen. Folgerichtig hätten sie den Tieren und Vögeln zum Fraß vorgeworfen werden sollen, und es galt in der Tat für ein Glück, wenn die Leichname von solchen zerfleischt wurden58; die Verwandten des Verstorbenen[180] waren unglücklich, wenn dieser unangetastet blieb. Mit der Wegschaffung der Leichname war die daran haftende Unreinheit nicht gebannt. Der Aberglaube der Eranier und Mazdayaçnier wurzelte tief in ihren Gemütern, daß die Dämonin Drukh-Naçus sich beim Tode eines Menschen in der Gestalt einer Fliege stürze und dessen Auflösung und Fäulnis bewirke59. Diese Dämonin stürze sich aber von dem Leichnam auf lebende Menschen, verunreinige sie und führe sie damit dem Reiche Angro-Mainyus zu60. Die Anhänger der Zendreligion mußten sich daher von jeder Berührung mit Leichen, ja, von der Nähe derselben fern halten, und wenn in Berührung gekommen, mußten sie die vorgeschriebene Reinigung vornehmen und gewisse Gebetformeln zur Abwehrung der unreinen Geister hersagen. Die Leichenträger sollten ihr Haar und ihren Körper einer sonderbaren Reinigung unterwerfen, sie mit Urin von Tieren oder von männlichen und weiblichen Verwandten waschen61. Die Wege, auf welchen Leichen getragen worden waren, mußten ebenfalls gereinigt werden.

Die Gesetze der Verunreinigung und Reinigung waren nach dem eranischen Avesta eben so streng, wie ekelerregend. Eine Frau, welche ein totes Kind zur Welt gebracht, wurde förmlich gemartert, weil ihr Leib als eine Leichenbehausung angesehen wurde, an welchem sich auch die später geborenen Kinder verunreinigen könnten. Sie mußte daher von Menschen, von Feuer und Wasser ferngehalten werden, Kuhurin mit Asche genießen und noch andere Quälerei sich gefallen lassen62. Als unrein galten Frauen auch nach der Geburt eines lebenden Kindes und in gewissen Zeiten, weil auch über solche die Daevas Gewalt haben. Sie mußten eine Zeitlang von Menschen, von Feuer und Wasser entfernt eingesperrt werden, daß sie die Sonne nicht sehen könnten und nach einer gewissen Zeit sich mit Kuhurin und Wasser waschen63. Für unrein wurde auch ein Mann angesehen, der während des Schlafes sich befleckt hat, weil er damit der Dämonin Drukhs eine Empfängnis bereite; er mußte sich daher reinigen und gewisse magische Gebete murmeln64. Auch die Haare und Nägel der Menschen wurden als unrein und verunreinigend angesehen. »Es fragte Zarathustra den Ahura-Mazda: »Womit, als der größten [181] Todsünde, verehrten die Menschen die Daevas?« Darauf dieser: »Wenn sie auf der mit Körpern begabten Welt sich die Haare schneiden, die Nägel beschneiden, da kommen an diesen entweihten Plätzen die Daevas zusammen«65. Die Haare und Nägel mußten daher entfernt vom Feuer und Wasser unter magischen Formeln und lächerlichen Bräuchen in ein Loch gelegt werden. Die Reinigung sollte in der Regel mit Kuhurin, bei einigen Fällen mit Weihwasser, selten mit Erde und Wasser und zwar von einem Feuerpriester (Magier, Athrawa) vollzogen werden. Die Priester hatten überhaupt eine bevorzugte Stellung in der Magierreligion, ohne sie durfte kein Opfer und keine wichtige Handlung vollzogen werden. Sämtliche priesterliche Handlungen, wozu Baumrei ser (Barsom, Bereçma), ein Feuerhaken und gewisse, eigens dazu geformte Gefäße nötig waren, dienten dazu, die bösen Geister, die Geschöpfe und Diener Angro-Mainyus' von den Menschen fernzuhalten oder, wenn diese bereits von ihnen besessen wären, zu vertreiben.

In dieser magischen Umgebung lebten die Judäer während der Herrschaft der Perser; die im eigenen Lande und noch mehr die im Auslande hörten täglich von deren Lehren und Gesetzen und sahen deren Gebräuche vor Augen. Es konnte ihnen nicht entgehen, daß manches in derselben auffallende Ähnlichkeit mit ihren eigenen Gesetzen und Bräuchen hatte, nur in anderer Form, und sie erlagen diesem Einflusse. Empfänglichkeit und Aneignungsfähigkeit für Fremdes hatte der judäisch-israelitische Stamm von jeher besessen, und auch Nachahmungssucht, es aufzunehmen und mit seinem eigenen Wesen zu verweben. Diese angestammte Eigenheit hatte das Volk in alter Zeit dahin gebracht, dem Eindringen des götzendienerischen Wesens von den sie umgebenden oder beherrschenden Völkern Tür und Tor zu öffnen, und dieselbe Eigenheit machte es geneigt, auch dem Magiertum sein Inneres zu öffnen und es eindringen zu lassen. Allerdings die Grundüberzeugung von der Gottheit, als einem einzigen, geistigen, vollkommenen Wesen, war im Herzen der Judäer so fest eingewurzelt, daß die, wenn auch vergeistigte Vorstellung von Ahura-Mazda keinen Einfluß darauf üben konnte. Ihre Seher, scharfsichtig, wie sie waren, erkannten sofort den Irrtum, der in der eranischen Religionslehre liegt von der Zwiespältigkeit im Weltall durch den Gott des Lichtes und des Guten, der im Kampfe liege mit einem Widersacher, einem Gotte der Finsternis und des Bösen, einer Lehre, welche die Gottheit zur Ohnmacht verdammt. Sie hatten diesem Gottesbegriff die eigene Überzeugung entgegengesetzt, daß der Gott Israels Licht und Finsternis, [182] das Gute und das Böse geschaffen habe66, daß die Welt und die Menschen nicht von zwei einander feindlichen Mächten hin und her gezogen und gespalten werden, sondern zur Einheit und zum Frieden berufen seien. Dieses Bekenntnis haben, wie es scheint, die geistigen Führer in der sopherischen Zeit im Morgengebet zum ermahnenden Ausdruck gebracht67: Gott ist Bildner des Lichts und Schöpfer der Finsternis, hat die Eintracht geschaffen und das All hervorgebracht. – Allein wenn sie auch den Gottesbegriff des Judentums unangetastet wissen wollten, so haben sie doch einige der persischen Religion entstammende Anschauungen und Gebräuche unbewußt ins Judentum aufgenommen oder wenigstens nicht kräftig genug von ihm ferngehalten. Sie glaubten, die Gottheit dadurch zu verherrlichen, wenn sie ihr nach dem Vorgang der Eranier Myriaden gefügiger, den Willen ihres Gebieters rasch vollstreckender Diener beigaben. Die »Boten Gottes«, welche im biblischen Schrifttum als Sendlinge bezeichnet werden, um dessen Aufträge zu vollziehen – worunter aber auch Menschen, besonders Propheten bezeichnet werden – wurden nach dem Muster der Amescha-Spentas und Yazatas in himmlische Wesen mit eigenem Charakter und mit ausgeprägter Persönlichkeit umgewandelt. Nach der Schilderung des Propheten Jesaia von den beflügelten Seraphim und gemäß der Schau Ezechiels von den bewachenden und beschützenden Cherubim konnte sich die Phantasie diese himmlischen Wesen, die »Engel«68, mit Flügeln versehen denken, da auch die Yazatas auf persischen Denkmälern beflügelt dargestellt wurden. Die Geburtsstunde der Engel fällt in die sopherische Zeit. War ihr Dasein einmal gesichert, so konnten sie auch ins Unendliche vermehrt werden. Man dachte sich Gottes Thron von einer unzähligen Schar solcher himmlischen, eines Winkes gewärtigen und Befehle vollstreckenden Wesen umgeben: »Tausend mal tausend dienten ihm und Myriaden mal Myriaden standen vor ihm«69. Die Engel wurden wie bei den Persern heilige »Wächter« (Irin, Kadischin) genannt70. Die Engel erhielten auch eigene Namen: Michael, der Engel oder himmlische Fürst des Volkes Israel, es zu beschützen besonders beauftragt, ferner Gabriel, der Starke, Raphael, der Krankheit heile, Uriel oder Suriel, Metatoron und andere71.

[183] Wie die Phantasie die Yazatas in Engel umgewandelt und ihnen ein jüdisches Gepräge und hebräische Namen gegeben hat, so hat sie auch die Daevas nachgeschaffen und auch sie im jüdischen Kreise heimisch gemacht. Die Poesie des Buches Hiob72 hatte in einer dramatischen Dichtung unter den Wesen, welche am Rate Gottes teilnahmen, eine interessante Figur aufgestellt, den Satan, dessen Geschäft es sei, so wie bei irdischen Gerichtssitzungen anzuklagen, so auch in den himmlischen die Handlungen und Gesinnungen der Menschen, auch der frömmsten und gerechtesten, zu verdächtigen, ihr Verdienst zu schmälern, um Strafe über sie verhängen oder wenigstens ihren Lohn verkürzen zu lassen. Diesen himmlischen Ankläger (διάβολος), der in der Dichtung des Buches Hiob durchaus nicht als wirkliches Wesen und auch nicht bösgeartet, sondern im Gegenteil als scharfsichtiger und strenger Beurteiler geschildert wird, verwandelte die Phantasie in ein bösartiges Wesen, das die Menschen zum Bösen verführe, um sie hinterher anklagen zu können; sie machte aus Satan eine Art Angro-Mainyus. Sie stellte ihn keineswegs als mächtigen Nebenbuhler Gott gegenüber, dazu stand der Gottesbegriff im judäischen Kreise zu hoch. Er, der Heilige, hoch erhaben und allmächtig, durch dessen Wort alles geschaffen worden, könne nicht durch ein anderes Wesen, das ebenfalls sein Geschöpf sei, beschränkt, und seine Ratschlüsse können nicht durch dieses durchkreuzt werden. Allein der erste Schritt war doch getan, wodurch der böse Versucher nach seinem eranischen Vorbilde immer mächtiger ausgestattet wurde und ein eigenes Reich erhielt, das Reich der Finsternis, in dem Satan zur Schädigung des Guten schaltete. War einmal Satan nach dem Ebenbilde Angro-Mainyus' geschaffen, so mußte ihm eine große Schar Dämonen, böse Geister (Schedim Majekim, Malache Chalalah), beigegeben werden73. Einige unter ihnen wurden persönlich ausgedacht, mit Anklang an eranische Daevanamen, ein Dämon Aschmodaï und Samael, Meister über eine Schar von Plagegeistern. Auch ein Todesengel (Malach-ha-Mawet) mit tausend Augen wurde ausgedacht, der auf das Leben der Menschen lauere und es ihnen entziehe.

Diese Phantasiegeschöpfe beherrschten alsbald die Judäer und ihr Tun, und dadurch sind Bräuche entstanden, welche mit denen des Magiertums entschieden Verwandtschaft haben. Im Schlafe ruhe ein böser Geist auf den Händen; daher wurde eine Vorschrift eingeführt, des Morgens nach dem Erwachen die Hände zu waschen und ebenso [184] nach der Verrichtung eines Bedürfnisses74. Die nächtliche Befleckung wurde ebenso wie im eranischen Kreise als ganz besonders verunreinigend betrachtet, weil ein böser Dämon dahinter gedacht wurde. Wer dadurch verunreinigt würde, sollte sich nicht bloß vom Opfer und Tempel, sondern auch vom Lesen in der heiligen Schrift fernhalten, bis eine Reinigung durch Wasser erfolgt sei75. Überhaupt wurden nach dem Beispiele der eranischen Bräuche die Reinigungsgesetze verschärft. Frauen, die nach gewissen Zeiten sich der Reinigung unterziehen, sollten auch ihr Haar in Wasser bringen76. Selbstverständlich wurden die levitischen Reinheitsgesetze im Verhältnis zum Tempel-und Opferwesen so weit ausgedehnt, daß jede noch so sehr entfernte Berührung mit einer Leiche als verunreinigend wirkend angesehen wurde. Geräte, die in unmittelbare Berührung damit gekommen wären, sollten die Verunreinigung weiter übertragen auf Personen und Geräte, welche mit diesen in Verbindung gekommen sein sollten. Der Einfluß der Lehre des Avesta von der Scheu vor jeder Berührung der Leichname ist dabei nicht zu verkennen77. Das Judentum durfte in der strengen Fernhaltung alles dessen, was mit dem Leichnam auch in unmittelbarer Verbindung steht, nicht hinter dem Magiertum zurückstehen78. Der Lehrsatz der geistigen Führer der sopherischen Zeit: »Machet einen Zaun um das Gesetz«, und das Beispiel der Anhänger Ahura-Mazdahs in der nächsten Nähe haben das Judentum mit neuen Elementen befruchtet, die in folgerichtiger Entwickelung später das Ursprüngliche und Ureigene überwuchert haben.

Auch eine neue Vergeltungslehre hat sich im Judentum unter dem Einfluß der eranischen Vorstellung ausgebildet. Diese schied das ganze Weltall in zwei große Reiche, in die des Lichtes und der Finsternis, und versetzte die Reinen, die Anhänger des Ahura-Mazda, [185] in das Lichtreich, das Paradies, und die Unreinen, die Anhänger des Angro-Mainyus, in das Reich der Finsternis, in die Hölle. Nach dem Tode des Menschen verweile die Seele noch drei Tage in der Nähe des Leibes, dann werde sie, je nach ihrem Wandel auf Erden, von den Yazatas ins Paradies aufgenommen, oder von den Daevas in die Hölle geschleppt79. Auch diese Vorstellung von der Vergeltung nach dem Tode fand im judäischen Kreise Eingang. Der Garten Eden (Gan Eden), in welchen die Schöpfungsgeschichte das erste Menschenpaar im Zustande der Unschuld versetzte, wurde in das »Paradies« umgestaltet und das Tal Hinnom (Ge-Hinnom) bei Jerusalem, in welchem seit Achas Kinderopfer dargebracht wurden, gab den Namen für die neugeschaffene Hölle80. In das Gan-Eden wurden die Frommen und Gesetzestreuen und in das Ge-Hinnom die Frevler und Sünder versetzt. Auf welchem Wege können solche Anschauungen in den Vorstellungskreis des judäischen Volkes eingeführt worden sein? Er kann so wenig nachgewiesen werden, wie der Weg verfolgt werden kann, auf dem ein in der Atmosphäre verbreiteter Krankheitsstoff in die Poren des Leibes eindringt. Die Empfänglichkeit für die Aufnahme solcher Elemente, die mit der Lehre des Judentums verwandt schienen, war in der sopherischen Zeit vorhanden, in welcher der Eifer vorwaltete, mit Gesetz und Lehre Ernst zu machen und sie zu kräftigen. Indessen ist die Vorstellungsweise von Engeln, dem Satan und seiner Schar böser Geister, vom Paradiese und der Hölle nicht im Judentume erstarrter Glaube geworden, an dem zu zweifeln eine Todsünde wäre. Sie blieb vielmehr in dieser und der folgenden Zeit dem Belieben jedes einzelnen überlassen, sie aufzunehmen und sein Tun danach zu richten oder sie abzuweisen. Nur eine damit zusammenhängende Vorstellung aus dem eranischen Kreise von der Auferstehung der Menschen aus ihren Gräbern in der Zukunft hat sich so tief in die Denkweise des judäischen Volkes eingenistet, daß sie zu einem bindenden Glaubensartikel gestempelt wurde. Dieser Glaube schmeichelt zu sehr nicht bloß der Eigenliebe jedes einzelnen und reißt den Stachel aus dem Herzen, [186] das sich von dem Gedanken an völligen Untergang durchbohrt fühlt, als daß er nicht gierig aufgegriffen werden sollte, sobald er von irgend einer Seite dargeboten wurde. Das Magiertum der Eranier hat die Lehre von der Auferstehung des Leibes aufgestellt und festgehalten81. Es verlegte sie in eine zukünftige Zeit, wenn Ahura-Mazda seinen Widerpart überwunden und vernichtet haben werde, dann werde dieser den Raub der Körper, »der reinen Männer«, wieder herausgeben müssen. Diesen hoffnungsreichen und auf die Gesinnung wirkenden Glauben nahm das Judentum in der sopherischen Zeit um so eifriger an, als in seinem Schrifttum Anklänge und Andeutungen dafür vorhanden waren. Der denktiefe Dichter des Hiob hatte zwar die Möglichkeit bezweifelt, daß der Mensch aus seinem Grabe wieder aufleben könnte (o. S. 37 f.). Allein die prophetischen Schriften, die jüngeren wie die älteren, sind voll von der Verheißung eines furchtbaren Tages des Herrn, an welchem eine Läuterung der Menschen vor sich gehen werde. In diesem Hinweis auf den »Tag des jüngsten Gerichts« fanden die Schriftkundigen die Auferstehung angedeutet und nahmen infolgedessen diese Hoffnung als Glaubensartikel an. Im täglichen Gebete wurde Gott dafür Preis erteilt, daß er die Gestorbenen einst wieder zum Leben erwecken werde82. Ein Seher aus der Zeit, als das judäische Volk mit dem Tode rang, tröstete die Leidenden: »Viele von den im Staube Entschlafenen werden erwachen, diese zum ewigen Leben und jene zur ewigen Schmach und zur ewigen Verwerfung.« Daraus gestaltete sich eine eigentümliche Vergeltungslehre mit farbenreicher Ausmalung der Zukunft oder der »zukünftigen Welt« (Olam ha-Ba). Eine Zauberwelt wurde dem Blicke eröffnet und machte ihn trunken. Einst werden alle Mißklänge des Lebens ausgeglichen sein, alle Täuschungen schwinden: die Frommen und Guten, die Gesetzestreuen und Gerechten, die auf Erden so viel gelitten, werden aus dem Grabe auferstehen und ins ewige Leben in Reinheit und Lauterkeit eingehen. Auch die Sünder, die nur aus Leichtsinn und Schwäche gefehlt, werden, in der Hölle durch Büßung geläutert und zur Erkenntnis gelangt, die Freuden des ewigen Lebens genießen, ja sämtliche Israeliten, mit Ausnahme der großen und frechen Frevler, werden Anteil daran haben83. Wie wird aber diese Auferstehung und diese schöne und reine zukünftige Welt gestaltet sein? Darüber Rechenschaft zu geben [187] lag außerhalb des Vorstellungskreises. Der feste Glaube und die sehnsüchtige Hoffnung grübeln nicht. Sie gewähren die Beruhigung in dem Bewußtsein, daß einst eine gerechte Vergeltung stattfinden werde, und beschwichtigenden Schmerz über unglückliche Lebenslagen. Obwohl das Judentum den Keim dieser Lehre von der Umgebung empfangen hat, so hat es ihn doch reicher befruchtet und ihm eine versittlichende Wirksamkeit gegeben. Da es ihn mit seinem von Ursprung an sittlichen Gehalt erfüllt hat, wurde seine Entlehnung aus fremdem Kreise unkenntlich gemacht und als ureigenes Erzeugnis gehegt. Nur die Samaritaner sträubten sich lange gegen die Aufnahme des Auferstehungsglaubens und der damit verbundenen Gestaltung der Zukunft84. Weil er judäischerseits durch die prophetischen Schriften belegt und beurkundet wurde, durften sie ihm in ihrem Bekenntnisse keinen Platz einräumen, sonst hätten sie die Glaubwürdigkeit der Propheten und folgerichtig auch die Heiligkeit Jerusalems anerkennen müssen und wären dadurch mit sich selbst in Widerspruch geraten. Möglich, daß sie auch ohne diese Gedankenverbindung die Auferstehung verworfen haben und zwar aus dem Grunde, weil sie die Judäer in ihr Religionssystem aufgenommen hatten. Es genügte, daß etwas in Jerusalem beliebt wurde, um in Sichem verworfen zu werden.


Fußnoten

1 Es ist bekannt, daß die Samaritaner den Gerisim stets התכרבמ הרוט oder ךירב ריט oder arabisch לבג התכרבלא »Berg des Segens« nennen. Diese Benennung kommt in einer Relation des Midrasch bei einer Unterredung zwischen R'Jonathan (3. Ih.) und einem Samaritaner vor. Dieser fragt jenen, warum gehst du nicht beten אכירב ארוט ןידהב (Genes. Rabba c. 32, Deuteron. Rabba c. 3; hier lautet das Wort שידק ארוט »heiliger Berg«. Diese Benennung ist übrigens alt. Josephus tradiert, daß die Samarit. Sichem Mabrachta genannt hatten (jüd. Kr. IV. 8, 1): παρὰ τὴν Νεάπολιν καλουμένƞν Μαβορϑὰ ὑπὸ τῶν ἐπιχωρίων. Für Μαβορϑὰ muß man Μαβραχϑὰ lesen, was von mehreren emendiert wurde. – Die Zahl der Schriften über die Samaritaner ist Legion. Hier können nur die Quellenschriften, oder die diesen nahe kommen, zitiert werden. Zusammengestellt sind die verschiedenen Nachrichten von Juynboll. commentarii in historiam gentis Samaritanae, Leyden 1846 und Ergänzung dazu, R, Kirchheim ןורמוש ימרכ, Introductio in libr. Talmud de Samaritanis, Frankfurt a.M. 1851.


2 Josephus Altert. XI, 8, 6. Aus den verschiedensten Zeiten klingt diese Behauptung heraus. Im zweiten Jahrh. antwortete ein Samaritaner auf die Frage, »woher stammst du?«: ףסויד ןמ, aus dem Stamme Joseph. Dasselbe behaupteten die Samaritaner im 12. und 17. Jahrh. und behaupten es noch heute. Richtig bemerkt S. Kohn, daß in dem Passus Könige II, 17, 24f. über den Ursprung der Chutäer in V. 34b רשא לארשי ומש םש רשא בקעי ינב תא 'ה הוצ ein polemischer Zug enthalten sei, daß nur die Söhne Jakobs, d.h. die Judäer Israel genannt worden, nicht aber die Samaritaner (Samarit. Studien S. 91 f. Anmerkung).


3 Vergl. über die chuthäischen Wurzeln S. Kohn das. 18 f. und 102f.


4 Josephus, Altert. XI, 8, 2, 7.


5 Es existiert noch heute eine kleine samaritanische Gemeinde von etwa 135 Seelen im Nablus, Neapolis-Sichem, mit einer Synagoge, worin eine alte Pentateuchrolle aufbewahrt wird, und mit einem Hohenpriester, der sich rühmt von Ahron in gerader Linie abzustammen.


6 Sirach 50, 26: ο λαὸς μωρὸς κατοικῶν ἐν Σικίμοις.


7 Die Bezeichnung »Judaismus« Ἰουδαισμός kommt zwar erst in Makkab. II, 2, 11 u.a. St. vor; aber der Begriff desselben ist älter. Im Hebr. wurde »Judentum« durch תידוהיו השמ תד bezeichnet. תד רימה bedeutete das Judentum aufgeben und zu einer anderen Religion übergehen. Vergl. Esther 3, 8: לכמ תונש םהיתדו םע.


8 In Nehemia wird die Bezeichnung םידוהי noch im Unterschiede von םינהכ gebraucht (2, 16) und in der Bedeutung הדוהי תיב, als Angehörige des Stammes Juda. In Esther dagegen wird schon Mardochaï, obwohl vom Stamme Benjamin, ידוהי genannt (2, 5), und so durchweg םידוהי als Bekenner des Judentums.


9 Diese Anschauung, daß der Beherrscher der Natur Israels Gott ist, wird ganz besonders hervorgehoben in Psalm 147-148. Sie sind entschieden aus der nachexilischen, nach 147, 13 wahrscheinlich aus der nachnehemianischen Zeit.


10 Sirach 36, (33) 3. Der vatikanische Text hat ὡς ἠρώτƞμα δικαίων, besser ist die L.-A. des Alexandrinus δἠλων, d.h. םימתו םירוא.


11 Das. 24, 1 f.


12 Ps. 19, 7f. Diese Partie, die vielleicht mit der vorhergehenden nicht zusammenhängt, wird allgemein als nachexilisch angenommen.


13 In Chronik – Esra und Nehemia eingeschlossen – wird schlechtweg gebraucht בותככ und in Verneinung בותככ אלב.


14 Folgt daraus, daß Hillel ein Jahrhundert vor dem Untergang des Staates bei veränderten Umständen eine Modifikation eingeführt hat. Bis dahin bestand also das Schuldentilgungsgesetz.


15 Folgt aus Josephus Altert. XI, 8, 5-6, daß die Judäer von Alexander dem Großen die Abgabenfreiheit für das Sabbatjahr erbaten und erlangten, was voraussetzt, daß sie dieses Privilegium auch von den persischen Königen hatten.


16 Almosenspenden hieß in der nachexilischen Zeit הקדצ, in Daniel 4, 24; Tobit 1, 16; 12, 8; vergl. Esther 9, 19. 22.


17 In der Mischna kommt öfter die Einrichtung der הקדצ יאבג, der Almosensammler, vor, die ohne Zweifel aus alter Zeit stammt.


18 Mischna Ketubot I, 1; Talmud Baba Kama p. 82a; jerus. Megilla IV, p. 85a.


19 Deuteronom. 17, 8 f. vergl. Bd. II. 1. Hälfte, S. 278.


20 Numeri 11, 16-17. 24. Dozys Einfall, daß diese Stelle erst in der nachexilischen Zeit interpoliert worden sei, um die Berechtigung des Synhedrin von 70 Mitgliedern zu belegen (Israeliten zu Mekka, S. 171 f.), braucht kaum widerlegt zu werden. Der Stil dokumentiert diese Partie als uralt. Die 70 Ältesten entsprachen den 70 Familien in der uralten Zeit.

21 Synhedrin I, 6-7, wo von dem Gerichtshofe mit 71 Mitgliedern דחאו םיעבש לש ןיד תיב und vom großen Synhedrin דחאו םיעבש לש הלודג ןירדהנס die Rede ist, wird der Ursprung mit Recht auf die von Mose eingesetzten 70 Ältesten zurückgeführt. Es will nicht etwa sagen, daß sich diese Institution seit Mose erhalten habe, sondern daß bei der Konstituierung des oberen Gerichtshofes das Gesetz zum Muster gedient hat. Daher werden die Mitglieder des Hohen Rates םינקז πρεσβύτεροι genannt, wie die, mit denen Mose sich umgeben hat. Diese Benennung kommt zwar erst entschieden im Makkabäerbuche I vor: 7, 33; 12, 35 πρεσβύτεροι τοῦ λαοῦ : 11, 23 πρ. Ἰσραἠλ; 13, 36. Die anderen Stellen beweisen zwar nicht viel, ebenso wenig wie die γερουσία das. 12, 6, da sie in apokryphen Sendschreiben vorkommen. Mehr beweist der Ausdruck γερουσία in der Urkunde des Antiochus Magnus, Josephus Altert. XII, 3, 3. So viel beweisen diese Stellen, daß die Mitglieder des hohen Rates םינקז genannt wurden, und diese Benennung kann nur der Vorschrift des Pentateuchs entlehnt sein. Daher werden ältere Gesetzesauslegungen und Anordnungen auf die »Alten« zurückgeführt. (B. Sabbat p. 64b): התדנב הודהו... לוחכת אלשו רמא םינושאר םינקז; (Sukkah p. 46a, jerus. Sukkah III, p. 53d) wird םינקז תוצמ לע von Vorschriften gebraucht, die nicht biblischen Ursprungs sind. Jedes Mitglied wurde bis in die späteste Zeit ןקז genannt. Die Mitglieder der großen Versammlung, die nur einmal unter Nehemia zusammengekommen war, und auf die alles zurückgeführt wurde, was der Hohe Rat eingeführt hat, werden ebenfalls an verschiedenen Stellen als »alte« aufgeführt. Josephus nennt bekanntlich an vielen Stellen den höchsten Rat βουλή und die Mitglieder βουλευταί. Diese Benennung ist auch in den Sprachgebrauch übergegangen. Im Talmud ist öfter die Rede von der »Halle der πάρεδροι« (ןורדהרפ תכשל oder ןירדהלפ), in welcher der Hohepriester 7 Tage vor dem Sühntage zurückgezogen zubrachte. Dazu wird bemerkt (Jerus. Joma I, p. 38c): ןירוק ןה ושכעו ןיטוילוב תכשל התוא ןירוק ויה הנושארב ןירדהלפ תכשל התוא; vergl. Babli das. p. 8b. Es waren also schon in früher Zeit eine Halle für die βουλευταί, Mitglieder des Rates. – Allerdings kann diese Benennung in der griechisch-mazedonischen Zeit entstanden sein. – Die Zahl 70 für die Mitglieder wird dadurch bestätigt, daß Josephus bei der Übernahme der Verwaltung in Galiläa »70 Älteste« als Archonten eingesetzt hat (jüd. Kr. II, 20, 5: γƞραιῶν ἑβδομήκοντα), jedenfalls nach dem Muster des Hohen Rates in Jerusalem. Auch die Alexandrinische Gemeinde hatte eine Gerusia nach demselben Muster (j. Sukka V. p. 55a): םינקז םיעבש דגנכ םש ויה... תוארדיתק םיעבשו: (Tosefta Sukka IV): ןקז דחאו םיעבש דגנכ... תוארדתק תחאו םיעבש, (B. das. 13, 51b): ירדהנס לש א"ע דגנכ תוארדתק א"ע הלודג. Der Name συνέδριον mag erst zur Zeit der Römerherrschaft eingeführt worden sein, aber das Institut unter dem einheimischen Namen לודגה ןיד תיב ist ohne Zweifel alt, aus der nachnehemianischen Zeit.


22 Das Präsidium des Hohen Priesters läßt sich durchaus nicht belegen. Denn was Schürer aus Josephus und dem Neuen Testament dafür anführt (Lehrb. d. neutest. Zeitgeschichte 41) beweist gar nichts, denn die neutest. Stellen sprechen lediglich von einem Kriminalkollegium, und Josephus hat entweder den Zustand seiner Zeit im Auge, als die hohenpriesterlichen Familien die Macht an sich gerissen hatten, oder er referiert pentateuchische Verordnungen. Daß die hasmonäischen Fürsten und Könige an der Spitze der βουλή standen, beweist weder für die frühere, noch für die nachfolgende Zeit. Sie waren die Machthaber.


23 Jerus. Megilla IV. p. 75a und b. Baba Kama 82a ist zwar angegeben, daß Esra die wochentägigen Vorlesungen und die an den Sabbatnachmittagen eingeführt habe. Allein in Babli das. führt sie ein anderes Referat auf Propheten zurück. Die Einführung der Vorlesungen an Sabbaten und Festtagen wird gar Mose zugeschrieben. Allein aus der Erzählung in Esra geht mit Entschiedenheit hervor, daß zu seiner Zeit das Vorlesen etwas ganz Neues war (o. S. 139). Dieser Brauch kann daher nur in der Zeit zwischen Esra–Nehemia und der mazedonischen Epoche eingeführt worden sein.


24 Gittin V, 9. Aus Jerus. z. Stelle p. 47b geht hervor, daß diese Ordnung auf einen biblischen V. zurückgeführt wurde, was eben so viel sagen will, als daß sie aus alter Zeit stammt.


25 Vergl. darüber Note 13.


26 Abot I, 1 wird zwar der Spruch םידימלת ודימעה הברה, sowie die beiden anderen der ecclesia magna vindiziert; allein da diese nur ephemer war (o. S. 142), so kann diese Empfehlung nur von dem ןיד תיב לודגה ausgegangen sein, welches durchweg mit der ecclesia magna verwechselt wurde.


27 Abot I, 4 spricht schon José ben Joëser aus der Makkabäerzeit von einem Lehrhaus, wie von einem längst bekannten Institute. Vergl. Note 17.


28 Der Name םירפוס ירבד wird öfter von Gesetzen gebraucht, welche zur Thora hinzugefügt wurden (Synhedrin XII, 3): הרות ירבדמ םירפוס ירבדב רמיח (b. Rosch ha-Schana p. 34a; Sifré No. 73): ירבדמ תחא תועורת 'ג םירפוס ירבדמ םיתשו הרות.(Jebamot II, 4): ירבדמ תוינש םירפוס. Die Gesetzgeber oder Gesetzausleger führten demnach den Titel םירפוס. Josephus nennt sie ἱερογραμματεῖς. Diesen Namen behielten die Gesetzeslehrer, welche zugleich legislatorische Berechtigung hatten, auch in der Zeit nach der Tempelzerstörung; vergl. Sotah 15a: םירפוס וחינה und in den neutestamentlichen Schriften γραμματεῖς. José ben Joëser spricht aber schon von »Weisen«, םימכח, in der makkabäischen Zeit. Sirach identifiziert in der vormakkab. Zeit die »Weisen« mit den Alten (6, 36): ἐν πλἠϑει πρεσβυτέρων στῆϑι, καὶ τὶς σοφός, αὐτῷ προκολλἠϑƞτι. Den Eingang übersetzt die syr. Version durch אבסד אתשונכב, d.h. םינקז להקב: darunter ist also ein geschlossenes Kollegium zu verstehen, das zugleich eine Lehrtätigkeit entfaltet. Über πλῆϑος πρεσβυτ. vergl. noch das. 17, 14. Josephus nennt sie in gezierter Manier σοφισταί (jüd. Kr. I, 33, 2; II, 17, 8-9) und ἐξƞγƞταὶ νόμων (Altert. XVII, 6, 2; XVIII, 3, 5).


29 Der Ausdruck שרדמ kommt in der Chronik zweimal vor, II, 13, 22; 24, 27, hat hier allerdings einen andern Sinn. Er scheint die Bedeutung von »Zusatz« zu haben, nämlich additamentum zu einem Buche, und konnte insofern mit der allgemeiner gewordenen Vedeutung »Interpretation« und »Zusatz« zum geschriebenen Gesetze zusammenhängen.


30 Abot I, 1.


31 Bezüglich der sog. םירפוס ירבדמ תוינש, die aufgezählt sind b. Jebamot p. 21a; Jerus. II. 3d und Derech Erez I, herrschen Differenzen, und daraus geht hervor, daß nicht sämtliche aufgezählte Grade in der sopherischen Zeit verboten wurden.


32 Kidduschin IV, 12. Aus dem Umstande, daß hier lediglich von Ausnahmen die Rede ist, folgt, daß das Verbot des tête-à-tête mit einer Ehefrau, wofür der Terminus דוחי ausgeprägt wurde, sehr alt sein muß. In den beiden Talmuden z. St. ist die Tendenz unverkennbar, dieses Verbot biblisch zu begründen, was das hohe Alter desselben beweist.


33 Sabbat VII, 2.


34 Jom Tob (Bezah) V, 2. Geschäfte am Sabbat zu machen, wird nirgends im Talmud als ausdrücklich verboten aufgeführt, sondern lediglich als bekannt vorausgesetzt. Vergl. darüber Philo de Cherubim, wo dergleichen Geschäfte als zu den Sabbatgesetzen gehörig aufgezählt werden.


35 Sabbat p. 123 ןילטנ םילכ השלש םירמוא ויה הנושארב 'וכו תבשב. Von dieser Erschwerung heißt es: הימחנ ימיב וז הנשמ תינשנ, d.h. genau genommen, unmittelbar nach Nehemia und infolge der früheren Laxheit bezüglich des Sabbat. Vergl. dazu Tosaphot Baba Kama p. 94a.


36 Sukkah IV, 5b. Sabbat p. 35b, jer. Pesachim p. 27d. differierend, Chulin 1, 6. Aus dieser Stelle hat Maimuni interpretiert, daß auch beim Ausgang des Sabbats das Horn geblasen wurde (תבש תוכלה, V, 20), es ist aber ein entschiedener Irrtum und bereits von älteren Kommentatoren widerlegt.


37 Babli Berachot 33a: םהל ונקת הלודגה תסנכ ישנא תולדבהו תושודק תולפתו תוכרב לארשיל. Darunter ist die sopherische Zeit zu verstehen, vergl. o. S. 167. In bezug auf Kiddusch ist die Differenz zwischen den Hilleliten und Schammaiten interessant. ןייה לע ךרבמ השודקל םרוג ןייהש םויה לע ךכ רחאו, das. p. 51b. Tosephta Berachot V. Wein zu trinken am Eingang des Sabbats war demnach als Hauptsache beim Kiddusch angesehen. Vergl. Pesachim p. 106a, wo versucht wird, diese Anordnung auf die Bibel zurückzuführen, was für das hohe Alter dieser Institution zeugt; vergl. o. S. 165. Auch die הלדבה wurde ursprünglich bei einem Becher Wein ausgesprochen.


38 Mechilta Absch. Bo. No. 15, b. Pesachim p. 86a. b; Josephus, Altert. III, 10, 5; jüd. Kr. IV, 9, 3, wo הרובח mit φρατρία wiedergegeben ist.


39 Vergl. o. S. 170.


40 Vergl. darüber Monatsschr., Jahrg. 1872, S. 481 fg., die Doxologien in den Psalmen.


41 Über die Gebetstücke und Gebetformeln in alter Zeit ist Mischna Tamid IV, Ende und V, 1 belehrend. Das letztere muß aber kritisch erläutert werden: רמא םירבדה תרשע וארקו וכרב םהו תחא הכרב וכרב הנוממה םהל ביציו תמא תוכרב 'ג םעה תא וכרב רמאיו, עומש םא היהו, עמש, םינהכ תכרבו הדובעו. Was die erste Eulogie betrifft, so waren die Talmudisten selbst zweifelhaft, was darunter zu verstehen ist (babli Berachot 11a): הכרב יאמ רוא רצוי... הבר הבהא ?תחא. Es scheint aber, daß beides darin enthalten war, die Eulogie für das Licht und für die Thora. Erst später wurden daraus zwei Eulogien formuliert. Die Gebetpartien sind in dieser Relation nicht in der richtigen Ordnung aufgeführt. In Mischna (Rosch ha-Schana IV. 5), werden sechs ausgeprägte Formeln aufgeführt: הדובע... םשה תשודקו תורובגו תובא םינהכ תכרבו האדוהו, diese kamen in jedem Gebete vor. Offenbar fehlen in der ersten Stelle die drei ersten Formeln השודקו תורובגו תובא und auch die zweite der letzten drei, nämlich האדוה. Unverständlich ist überhaupt in dieser Relation der Passus 'ג םעה תא וכרב תוכרב. Unmöglich kann es »mit dem Volke« bedeuten. Offenbar bezieht es sich auf den Priestersegen, von dem es (Tamid VII, 2) heißt: הכרב םעה תא וכרבו תוכרב שלש התוא םירמוא הנידמבש אלא תחא, d.h. der Priestersegen wurde im Tempel beim feierlichen Gottesdienst in einem Stücke, außerhalb desselben aber in drei Stücken gesprochen. Da in der Quaderhalle der Priestersegen nicht von den Ahroniden, sondern von dem Vorbeter rezitiert wurde, so wurde er auch in drei Stücke zerlegt, worauf die Gemeinde »Amen« sprach (vergl. Monatsschr. das. 439). Der ganze Passus muß also emendiert werden: ביציו תמא רמאיו... עמש וכרבו םינהכ תכרבו האדוהו הדובע, םשה תשודקו תורובג תובא תוכרב תוכרב שלש םעה תא, vergl. darüber Tosaphat Berachot a.a.O.


42 Vergl. Graetz, Kohelet S. 171 f.


43 Die Zehnzahl für die Gemeinde ist schon angedeutet in Ruth 4, 2.


44 Über die Opfergesetze vergl. Leviticus 23, 4 f. mit Numeri 28, 1 f., wo einige Differenzen ausgeglichen werden müssen.


45 Vergl. Bd. I. S. 10 Anmerk. 3.


46 Folgt aus Chronik II, 35, 11 f.


47 Tamid I, 1.


48 Josephus Altertümer XX, 9, 6.


49 Tamid VII, 3 f.


50 Das. VII, 2. Vergl. Monatsschrift. 1872 S. 581 f.


51 Spiegel, Eranische Altertumskunde I. S. 682f., II. 171 das. I. – S. 709 und an anderen Orten kommt Spiegel zum Resultate, daß die Sage Zoroasters Leben nach dem Muster der semitischen d.h. jüdischen Propheten ausgesponnen hat.


52 S. Note 14.

53 Herodot III, 16. Yaçna 61 f. Die erhaltenen Teile des Avesta sind: 1. Vendidad, das eigentliche Gesetzbuch; 2. Yaçna, liturgische Gebete; 3. Vispered, Zusätze zum Yaçna. Diese drei bilden zusammen den Hauptbestandteil des Avesta, dessen Text zu liturgischen Zwecken rezitiert wurde. Sie führen zusammen den Namen Vendidad-Sade; 4. Gâthâs; 5. Yasht; 6. Nyais; 7. Afrigan; 8. Siroza. Diese letzten fünf Teile sind Anrufungen und Beichtformeln. Das Avesta wurde zuerst von Anquetil de Perron ins Französische und nach ihm von Kleuker ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung soll aber sehr mangelhaft und textwidrig sein. Spiegel hat eine aus dem Text veranstaltete Übersetzung geliefert (1852-63). I. Teil Vendidad, II. Teil Vispered und Yaçna nebst Gâthâs, III. Teil die übrigen Stücke unter dem Titel Khord--Avesta, das kleine Avesta (vergl. Spiegel zu III. S. LXXIX f.).


54 Strabo XV, 13, p. 732.


55 Vendidad XIX, 116.


56 Spiegel, Eranische Altert. II. S. 126f.


57 Das. Avesta III. Einl. S. XLVIII.


58 Agathias II, 22-23. Vergl. darüber Rapp, Religion und Sitte der Perser nach römischen und griechischen Quellen. Z. d.d.M. Ges. XX. S. 54f., welcher die Widersprüche der Angaben bei gr. Schriftstellern bezüglich der Leichen zu lösen suchte. Spiegel, Avesta II. p. XXVI.


59 Vendidad VII. V. 2f.


60 Das. IX, 168f. XI, 31.


61 Das. VIII, 33f.


62 Das. V, 146f.


63 Spiegel, Avesta II. p. XLIV f.


64 Vendidad XVIII, 101 f.


65 Vendidad XVII, 1 f.


66 Jesaia 45, 6-7.


67 Die Eulogie im Morgengebet: ךשוח ארובו רוא רצוי לכה תא ארובו םולש השוע ist unstreitig aus der sopherischen Zeit und im Gegensatz gegen den eranischen Dualismus formuliert.


68 Über die Engellehre, als ein persisches Element, vergl. Note 14.


69 Daniel 7, 10b.


70 Das. 4, 10. 14. 20.


71 S. Note 14.


72 S. o. S. 31.


73 Vergl. Note 14.


74 Massechet Kallah; Sabbat p. 109; Gittin p. 70.


75 Baba Kama p. 82, a–b. Berachot 22, a–b und jerus. Megillah IV., p. 75a wird ירק ילעבל הליבט auf Esra zurückgeführt, d.h. der Brauch stammt aus sopherischer Zeit. Daß er dem Eranismus entlehnt ist, ist kein Zweifel.


76 Auch der Brauch תפפוח השא wird das. auf Esra zurückgeführt.


77 Die weite Ausdehnung von תמ תאמט (Oholot I, 2-3), ferner טסיה תאמט (Siphre No. 127 und and. St.), endlich die weite Ausdehnung von להא תאמט haben ihren Ursprung im Parsismus. Herodot (I, 187) berichtet, Darius habe sich gescheut, unter dem Tore des Gemaches, in welches die Königin Nitokris ihren Leichnam mit den Schätzen legen ließ, hindurchzufahren. Vergl. damit Oholot VII, 3 u.a. St.


78 Vergl. Nehemia 12, 30: תאו םירעשה תא..ורהטיו המוחה; 13, 9: תוכשלה ורהטיו הרמאי, eine Lustration, welche in den levitischen Gesetzen des Pentateuch keine Analogie hat.


79 Vergl. Spiegel, Avesta III. S. LXXIV. Von dem »Orte der Reinen« ist öfter die Rede in Vendidad XIX, 89-108; Vispered VIII, 8-9; Yaçna XVII, 42-44. Vergl. Agathias II, 23 ψυχὴν ἐς τὸν τοῦ ἀγαϑοῠ χώρου ἀναβƞσομένƞν.


80 Die Bezeichnungen ןדע ןג, als Paradies der Seelen, und םוניהיג oder םנהיג, Γέεννα als Hölle, kommen als ausgeprägte Begriffe in der Mischnah und in den neutestamentlichen Schriften vor und stammen aus der nachexilischen Zeit. Vergl. Josephus Altert. XVIII, 11, 3, wo diese Vorstellungen als Dogmatik der Pharisäer bezeichnet werden.


81 Vergl. darüber Note 14.


82 Die zweite Eulogie im täglichen Gebete aus der alten Zeit (o. S. 172) hat die Formel םיתמ היחמ.


83 Vergl. Note 14.


84 Vergl. Note 14.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1902], Band 2.2, S. 189.
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