7. Kapitel. Fortbildung der Kabbala und Ächtung der Wissenschaft. (1270-1338.)

[187] Die Kabbala und ihre Fortschritte. Todros Halevi und seine Söhne. Abraham Bedaresi, der Dichter. Isaak Allatif und seine kabbalistische Lehre. Abraham Abulafia, seine Schwärmereien und seine Abenteuer; sein Auftreten als Messias. Ben-Adret, sein Gegner. Die Propheten von Ayllon und Avila. Ben-Adret und der Prophet von Avila. Joseph G'ikatilla und sein kabbalistischer Wirrsal. Der Betrüger Mose de Leon. Die Fälschungen der Kabbalisten. Die Entstehung des Sohar. Sein Lehrinhalt und seine Bedeutung. Die Allegoristen und Afterphilosophen, Schem-Tob Falaquera und seine Leistungen. Isaak Albalag und seine Bedeutung. Levi aus Villefranche und sein Einfluß. Samuel Sulami und Meïri. Abba Mari und sein übertriebener Eifer. Jakob ben Machir Profatius und die Streitigkeiten um die Zulässigkeit der Wissenschaften. Ascheri und seine Einwanderung in Spanien. Die Judenverfolgung in Deutschland durch Rindfleisch. Ascheris gewaltiger Einfluß. Bann und Gegenbann. Der Dichter Jedaja Bedaresi.


Die Geheimlehre der Kabbala, welche bisher bescheiden auftrat und einen harmlosen Charakter hatte, fing in Ben-Adrets Zeitalter an, die Köpfe zu erhitzen, den gesunden Sinn zu berücken und die Schwachen irre zu führen. Was ihr an innerer Wahrheit und Überzeugungskraft gebrach, wollte sie durch lautes, anmaßendes Auftreten und Blendwerk ersetzen. Sie hatte sich bereits von ihrem Ursitze Gerona und von Nordspanien über Segovia nach Südspanien bis nach der kastilischen Hauptstadt Toledo ausgebreitet, in einer Gemeinde, die früher gegen die Verdunkelung des Geistes standhaft angekämpft hatte. Sie genoß schon so viel Berücksichtigung, daß ein Schriftsteller, Bachja ben Ascher1 (aus Saragossa?), der ein exegetisches Sammelwerk anlegte (1291), auch die kabbalistische Auslegung aufnehmen mußte und, wunderlich genug, Mystisches und Rationelles unvermittelt nebeneinander stellte. Die Kabbala hatte in Toledo warme Anhänger gefunden und unter anderen einen Mann, der durch [187] seine edle Abstammung, sein fürstliches Ansehen, seine hohe Stellung, seinen Reichtum und seine Gelehrsamkeit ihr eine feste Stütze lieh. Dieser Mann, dessen Einfluß noch gar nicht gewürdigt ist, war Todros ben Joseph Halevi aus der edlen Toledaner Familie der Abulafia (geb. 1234, starb nach 1304)2. Er war ein Neffe jenes Meïr Abulafia, welcher sich als ein so hartnäckiger Gegner Maimunis und des vernunftmäßigen Denkens überhaupt gebärdete (o. S. 30). Todros Abulafia nahm sich seinen Oheim zum Muster, der ihm in hohem Alter die Hände segnend auf das Haupt gelegt hatte. Herangewachsen, verlegte er sich auf Talmud und Geheimlehre, war aber auch in weltlichen Angelegenheiten heimisch; denn er erlangte eine angesehene Stellung am Hofe Sanchos IV. und war bei der klugen Königin Maria de Molina besonders beliebt als Arzt oder Finanzmann. Von seiten der Juden wurde er als Fürst (Nassi) angesehen und geachtet. Als das Königspaar von Spanien eine Zusammenkunft mit dem König von Frankreich, Philipp dem Schönen, in Bayonne hatte, um die gegenseitige Feindseligkeit zu schlichten (1290), war Todros Abulafia in dessen Gefolge3 und empfing bei dieser Gelegenheit die schmeichelhafteste Huldigung von seiten der südfranzösischen Juden. Der wortschwallreiche Dichter Abraham Bedaresi aus Beziers richtete ein lobhudelndes Gedicht an Todros, worin die Wendung vorkam:


»Die Dichtkunst verstummt in deiner Gegenwart

Und hängt ihre Harfe an die Weide des Baches.«


Todros Halevi machte aber auch die trübe Erfahrung von der wetterwendischen Laune der Hofgunst. Sein königlicher Gönner warf ihn eines Tages in den Kerker und verurteilte ihn zum Tode; die Veranlassung ist unbekannt. Im Traum soll Todros ein Gedicht eingefallen sein, das ihm seine baldige Befreiung verkündete:


»Warum ist dein Herz betrübt,

Weil Könige dich dem Tode weihen?

Der Himmel steht den Schuldlosen bei,

Wenn Erdenkönige ungerecht verdammen«4.


Todros war wie sein Oheim ein entschiedener Gegner der Philosophie und ihrer Jünger. Er hatte nicht bittere Worte genug gegen die Klügler, welche alles, was nicht von der Logik gerechtfertigt erscheint, [188] für unglaublich und unmöglich halten. »Sie wandeln im Dunkeln und können das Dasein der überirdischen Geister nicht begreifen und noch viel weniger den höchsten Geist, der dem menschlichen Verstande vollständig unzugänglich ist«5. Er war voller Entrüstung gegen diejenigen, welche den Gesetzen der Thora handgreifliche Zwecke unterlegten und dem Opferkultus eine so niedrige Bedeutung beimaßen. Selbst an Maimuni, den er sonst doch verehrte, rügte er, daß er das Opferwesen so sehr herabgezogen, es lediglich als Anbequemung an den heidnischen Sinn des Volkes und das Räucherwerk im Tempel als Mittel zur Luftreinigung erklärt habe6. Er kämpfte leidenschaftlich gegen die Philosophie, welche das Dasein von bösen Geistern leugne; das hieß nach ihm auch das Dasein der Engel bezweifeln7. Von einem der älteren Kabbalisten, vielleicht von Jakob aus Segovia, der eine eigene Schule bildete, in die Geheimlehre eingeweiht, betrachtete er sie als eine göttliche Weisheit, deren Schleier zu lüften für Laien mit Gefahr verbunden sei8. Neues hat Todros Abulafia für die Kabbala nicht aufgestellt; er verhielt sich nur empfangend zu ihr, und seine Bemühung ging nur dahin, die kabbalistischen Gemeinplätze von den zehn geistigen Substanzen (Sefirot), ihrem Einfluß nach oben und unten und der Seelenwanderung zur Läuterung der Geschlechter, die für ihn unbestreitbare Lehren des Judentums waren, in den Worten der talmudischen Agada nachzuweisen. Freilich mußte er, wie alle Kabbalisten vor und nach ihm, zur Umdeutung und Verrenkung des einfachen Sinnes Zuflucht nehmen. Er verfaßte im hohen Alter zu diesem Zwecke ein eigenes Werk (Ozar ha-Kabod). Todros war auch talmudisch gelehrt und hat eine rein talmudische Schrift hinterlassen9, was seinem Eintreten für die Kabbala um so größeres Gewicht verlieh.

Die Anerkennung der Geheimlehre durch eine so hochgestellte und gefeierte Persönlichkeit konnte nicht ohne Anregung bleiben. Seine Söhne Levi und Joseph vertieften sich ebenfalls in sie. Zwei von den vier Kabbalisten seiner Zeit, welche die Kabbala weiter führten und ihr die Gemüter unterwarfen, scharten sich um Todros Abulafia und widmeten ihm ihre Schriften. – Diese vier Kabbalisten ersten Ranges, welche mit mehr oder weniger Glück neue Theorien geltend machten, waren Isaak Ibn-Latif, Abraham Abulafia, [189] Joseph G'ikatilla und Mose de Leon, sämtlich Spanier. Sie haben das Geisteslicht, das die Kraftmänner von Saadia bis Maimuni innerhalb des Judentums helleuchtend gemacht, mit dem Düster eines wüsten Wirrwarrs verdunkelt und an die Stelle eines geläuterten Gottesglaubens phantastische, ja gotteslästerliche Wahngebilde gesetzt. Die Verfinsterung der folgenden Jahrhunderte in der Judenheit ist zum großen Teil ihr Werk. Sie haben ihre Zeit und die Nachwelt durch geflissentliches oder unabsichtliches Gaukelwerk in die Irre geführt, und die Schäden, die sie dem Judentume beigebracht, sind noch bis auf den heutigen Tag fühlbar.

Der Unschuldigste von diesen vier war noch Isaak ben Abraham Ibn-Latif oder Allatif (geb. um 1220, starb um 1290)10. Er stammte wohl aus Südspanien, da er noch des Arabischen kundig war. Von seinen Lebensumständen ist gar nichts bekannt, nur das eine, daß er mit Todros Abulafia in Verbindung stand und ihm eins seiner Werke widmete. Seine Schriften nehmen sich aus, als wenn er, wie ein Späterer von ihm urteilte, »mit einem Fuße in der Philosophie und mit dem anderen in der Kabbala gestanden hätte«. Allein Allatif spielte nur mit philosophischen Formeln, ihren Inhalt scheint er gar nicht erfaßt zu haben. Er war überhaupt gedankenleer und hat auch die Kabbala nicht bereichert, wenn er sich auch den Schein zu geben suchte, einen eigenen Weg zu gehen, und die gangbare kabbalistische Sprache geflissent vermied11. Ganz frei von Verstellung war auch er nicht. Auch Allatif ging von dem Gedanken aus, die philosophische Betrachtung des Judentums sei nicht »der rechte Weg zum Heiligtume«12, darum müsse eine höhere Auffassungsweise angestrebt werden; aber anstatt diesen Weg [190] klar zu machen, verhüllte er ihn mit leeren Andeutungen und nichtssagenden Phrasen. Allatif betonte noch mehr als seine Vorgänger den engen Zusammenhang und die innige Verknüpfung zwischen der Geistes- und Leibeswelt, zwischen Gott und seiner Schöpfung: Die Gottheit ist in allem und das All ist in ihr13. Im seelenvollen Gebet erhebe sich der menschliche Geist zum Weltgeiste (Sechel ha-Pöel), vereinige sich mit ihm »in einem Kusse«, wirke hiermit auf die Gottheit und vermöge den Segen auf die niedere Welt herabzuziehen. Nur sei nicht jeder Sterbliche zu einem so seelenvollen, wirkungsreichen Gebet befähigt; daher hätten sich die vollkommensten Menschen, die Propheten, für das Volk im Gebet verwenden müssen14; denn sie allein kannten die Kraft des Gebetes. Die Entfaltung und Selbstoffenbarung der Gottheit in der Welt der Geister, Sphären und Körper veranschaulichte Isaak Allatif durch mathematische Formeln. Es verhalte sich damit, wie sich der Punkt zur Linie, diese zur Fläche und diese sich zum ausgedehnten Körper erweitere und verdichte15. Diese Vorstellung gab wieder eine Handhabe zu neuen Spielereien, da die Kabbalisten immer das Bild mit dem Begriffe und der Sache verwechselten und identifizierten. Fortan operierten sie ebenso mit Punkten und Strichen wie früher schon mit Zahlen und Buchstaben16. – Isaak Ibn-Latif kann aber noch als nüchterner Denker gelten neben seinem schwärmerischen Zeitgenossen Abraham Abulafia, welcher vermöge kabbalistischen Kinderspiels eine neue Weltordnung zu schaffen trachtete.

Abraham ben Samuel Abulafia (geb. 1240 in Saragossa, starb nach 1291)17 war ein exzentrischer Kopf, voll fixer Ideen, und liebte das Abenteuerliche. Mit einem lebhaften Geist ausgestattet und mit mehr als mittelmäßigen Kenntnissen erfüllt, entsagte er dem gesunden [191] Menschenverstande, um sich der Schwärmerei in die Arme zu werfen. Sein ganzes Leben war, seitdem er in das Mannesalter trat, eine Kette von Abenteuern. Seinen Vater, der ihn in Bibel und Talmud unterrichtet hatte, verlor Abraham Abulafia als achtzehnjähriger Jüngling, und zwei Jahre später unternahm er eine abenteuerliche Reise, um, wie er selbst erzählt18, den sagenhaften Fluß Sabbation oder Sambation aufzusuchen und die an dessen Ufern angeblich angesiedelten altisraelitischen Stämme kennen zu lernen, ohne Zweifel in messianischer Absicht. Er steuerte zunächst auf Palästina zu, war aber leichtsinnig genug, sich inzwischen in Griechenland zu verheiraten, verließ, wie ein rechter Abenteurer, seine junge Frau und gelangte nach Akko. Da nun damals die Mongolen Syrien und Palästina verwüstet hatten, so mußte Abraham Abulafia dem Plane entsagen, weiter nach Asien vorzudringen, um den Sabbationfluß zu erreichen. Er kehrte vielmehr um, suchte seine Frau wieder auf, reiste mit ihr nach Italien und setzte sich wieder auf die Schulbank. Von Hillel von Verona (o. S. 162), den er in Capua antraf, erlernte er das Verständnis der maimunischen Religionsphilosophie und vertiefte sich so eifrig in sie, daß er bald imstande war, Vorlesungen darüber zu halten.

Nachdem er mehrere Jahre in Italien geweilt hate, kehrte er wieder nach Spanien zurück. Erst im dreiunddreißigsten Lebensjahre verlegte er sich ernstlich auf die Kabbala (in Barcelona), begann mit dem rätselhaften »Buche der Schöpfung«, verglich zwölf verschiedene Kommentarien dazu, welche zu dessen Erklärung teils philosophische und teils mystische Gemeinplätze heranbrachten, und wurde, wie er selbst gesteht, von wirren Gedanken belagert. Er sah phantastische Bilder und wunderbare Erscheinungen; sein Geist war in einem beständigen Taumel. Er rang nach Klarheit, geriet aber immer tiefer in Wirrnisse und Phantasmagorien. Das eine war ihm indessen klar geworden, daß die Philosophie, mit welcher er sich vielfach beschäftigt hatte, keine Gewißheit und darum für das nach Wahrheit dürstende religiöse Gemüt keine Befriedigung gewähre. Selbst die alltägliche Kabbala mit ihrer Sefirotlehre befriedigte seinen Geist nicht, weil beide nur den Hochmut des Wissens nährten. Er, ein Kabbalist, kritisierte die Haltlosigkeit dieser mystischen Theorie so scharf und richtig19, daß es in Erstaunen setzen muß, wie er auf noch tollere Einfälle kommen konnte. Abraham Abulafia suchte nach etwas Höherem, nach prophetischer Offenbarung, die allein, [192] ohne den mühsamen Weg des stufengängigen Erlernens, den Springquell der Wahrheit öffne.

Endlich glaubte Abulafia das, wonach seine Seele rang, gefunden zu haben. Durch göttliche Eingebung glaubte er auf eine höhere Kabbala gekommen zu sein, gegen welche die niedere Geheimlehre und die Philosophie nur Dienerinnen seien. Diese allein biete das Mittel dar, mit dem Weltgeist in innigen Verkehr zu treten und prophetische Fernsicht zu erlangen. Dieses Mittel war keineswegs neu, aber der feste Glaube an dessen Wirksamkeit und die Anwendung desselben sind ihm eigen. Die Wörter der heiligen Schrift und namentlich des allerheiligsten Gottesnamens in Buchstaben zerlegen, diese als selbständige Begriffe festhalten (Notaricon), oder die Bestandteile des Wortes in alle möglichen Wandlungen umsetzen, um eigene Wörter daraus zu schaffen (Ziruf), oder endlich die Buchstaben als Zahlen behandeln (Gematria), das sei zunächst der Weg, in Wechselverkehr mit der Geisterwelt zu kommen. Jedoch dieses allein genüge nicht. Wer einer prophetischen Offenbarung gewürdigt sein wolle, müsse asketische Vorkehrungen treffen, müsse sich vom Weltgewühl fernhalten, sich in ein stilles Kämmerlein einschließen, seinen Geist von niederen Sorgen befreien, sich in weiße Gewänder hüllen, mit Gebetmantel und Gebetriemen umgeben, die Seele andächtig sammeln, als wenn sie zu einer Unterredung mit der Gottheit erscheinen solle. Dabei müsse man die Buchstaben der Gottesnamen in längeren oder kürzeren Pausen mit Modulationen der Stimme aussprechen oder sie in einer gewissen Reihenfolge niederschreiben, anstrengende Bewegungen, Windungen und Verbeugungen dabei machen, bis die Sinne wirr und das Herz mit einer Glut erfüllt werde. Dann werde der Körper vom Schlafe überfallen und es trete ein Gefühl ein, als wenn die Seele sich vom Leibe löse. In diesem Zustande, wenn er durch Übungen dauernd werde, ergieße sich die göttliche Fülle in die menschliche Seele, sie vereinige sich mit ihr »in einem Kusse«, und die prophetische Offenbarung sei eine ganz natürliche Folge davon20. Dieses Mittel, sich in den Zustand der Verzückung zu setzen, hat Abulafia wohl an sich selbst angewendet und dadurch seinen schwärmerischen Sinn bis [193] zur Überspanntheit gesteigert. Er hielt nun seine Kabbala für prophetische Eingebung, vermöge welcher er allein in die Geheimnisse der Thora eindringen könne. Denn der einfache Wortsinn und die bloße Übung der Religionsvorschriften seien lediglich für Unreife, wie Milch für Kinder. Reifere dagegen fänden in der Zahlenbedeutung der Buchstaben und in den mannigfaltigen Wandlungen der Wörter die höhere Weisheit.

In diesem Sinne lehrte er seine Kabbala – im Gegensatz zur oberflächlichen und niederen, die sich mit den Sefirot abquält und, wie er spöttelte, eine Art Zehneinigkeit21, statt der christlichen Dreieinigkeit, aufstellt. Er trat damit in Barcelona, Burgos und Medina-Celi auf. So sehr war bereits der Sinn getrübt, daß dieser halbverrückte Schwärmer ältere und jüngere Zuhörer fand. Zwei seiner Jünger, Joseph Gikatilla und Samuel, angeblich ein Prophet, beide aus Medina-Celi, gaben sich später als Propheten und Wundertäter aus22. Er scheint aber doch in Spanien Anstoß erregt oder wenigstens keinen rechten Anklang gefunden zu haben, verließ zum zweiten Male sein Vaterland und begab sich wiederum nach Italien, wo er auf einen größeren Anhang rechnete. In Urbino trat er zuerst (1279) mit einer prophetischen Schrift auf, in der er vorgab, Gott habe mit ihm gesprochen. In seinen Schriften aus der Zeit seiner Überspanntheit nannte er sich Rasiel, weil der Zahlenwert seines Namens (Abraham, 248) dem des Namens Rasiel gleichkommt. Aus demselben Grunde nannte er sich ein andermal Zacharia. Zwei Jahre trieb er sich in Italien umher, lehrend und schriftstellernd. Endlich kam er auf den tollen Einfall, den damaligen Papst, Martin IV., zum Judentume bekehren zu wollen (am Rüsttag 1281). Der Versuch kam ihm aber teuer zu stehen. Er wurde zwei Tage später in Rom verhaftet, schmachtete achtundzwanzig Tage im Kerker und entging dem Feuertode nur dadurch, daß, wie er sich ausdrückte, Gott ihm einen Doppelmund (eine Doppelzunge?) habe wachsen lassen23. Möglich, daß er [194] dem Papste gegenüber vorgab, daß auch er die Dreieinigkeit lehre. Er durfte ferner frei in Rom umhergehen. Von da begab sich Abulafia nach der Insel Sizilien in Begleitung eines treuen Jüngers, Natronaï aus Frankreich24. In Messina fand er eine günstige Aufnahme, warb dort sechs Jünger, unter denen er Saadia aus Seǵelmesi (Afrika) am meisten auszeichnete. Hier trat er endlich mit dem Gedanken hervor, er sei nicht bloß Prophet, sondern der Messias, und setzte in einer Schrift auseinander (November 1284), Gott habe ihm seine Geheimnisse offenbart und ihm auch das Ende des Exils und den Anfang der messianischen Erlösung verkündigt. Im Jahre 1290 solle die Gnadenzeit anbrechen25. Die Mystik war von jeher der Boden, auf dem messianische Schwärmereien gediehen.

Durch seine streng sittliche Haltung, seine asketische Lebensweise und seine in dunkle Formeln gehüllten Offenbarungen, vielleicht auch durch seine gewinnende Persönlichkeit und Kühnheit fand Abraham Abulafia in Sizilien Gläubige26, die sich bereits auf die Rückkehr ins heilige Land vorbereiteten. Besonnene Männer der sizilianischen Gemeinde hatten aber Bedenken, sich ihm ohne weiteres anzuschließen. Sie wendeten sich daher an Salomo Ben-Adret, um von ihm Auskunft über Abraham Abulafia zu erhalten. Der Rabbiner von Barcelona, welcher sein Treiben aus früherer Zeit kannte, richtete ein ernstes Schreiben an die Gemeinde von Palermo und an den dortigen Rabbinen Achitub, worin er den angeblichen Messias als Halbwisser und gefährlichen Menschen streng verurteilte27. Abulafia nahm natürlich den Angriff nicht ruhig hin, sondern wehrte sich gegen dieses Verdammungsurteil. In einem Sendschreiben an seinen ehemaligen Jünger Jehuda Salmon in Barcelona rechtfertigte er seine prophetische Kabbala und wies die Schmähungen Ben-Adrets gegen seine Person zurück, »die so unwürdig gehalten seien, daß manche dessen Schreiben für unecht hielten«. Es half ihm aber nichts. Auch andere Gemeinden und Rabbinen, welche durch seine Schwärmerei eine Verfolgung befürchtet haben mochten, sprachen sich gegen Abulafia aus28. Er wurde auf Sizilien so sehr verfolgt, daß er die Insel verlassen und sich auf der Zwerginsel Comino bei Malta niederlassen mußte (um 1288). Hier setzte er seine mystische Schriftstellerei fort und behauptete noch immer, [195] daß er Israel die Erlösung bringen wolle. Die Verfolgung hatte ihn indes verbittert. Er erhob Anklagen gegen seine Glaubensbrüder, die in ihrer Taubheit nicht auf ihn hören wollten: »Während die Christen an meine Worte glauben, bleiben die Juden ungläubig, wollen von der Berechnung des Gottesnamens nichts wissen, sondern ziehen die Berechnung ihrer Gelder vor«29. Von denen, welche sich ausschließlich mit dem Talmud beschäftigten, sagte Abulafia, sie wären von einer unheilbaren Krankheit befallen, und sie stünden sehr tief unter den Kundigen der höheren Kabbala30. Abraham Abulafia hat mindestens zweiundzwanzig sogenannte prophetische Schriften neben anderen sechsundzwanzig verfaßt31, die, obwohl Erzeugnisse eines hirnverbrannten Kopfes, doch von den späteren Kabbalisten benutzt worden sind. Was aus dem prophetischen und messianischen Schwärmer und Abenteurer später geworden ist, ist nicht bekannt geworden.

Seine Überspanntheit blieb aber auch in seiner Zeit nicht ohne traurige Folgen und wirkte, wie eine verpestete Luft, ansteckend. Es traten zu gleicher Zeit in Spanien zwei Schwärmer auf, von denen einer wahrscheinlich Abraham Abulafias Jünger war – jener Prophet Samuel (o. S. 194) – der eine in dem Städtchen Ayllon (im, Segovianischen), der andere in der großen Gemeinde von Avila32. Beide gaben sich als Propheten aus und verkündeten in mystischer Redeweise die Nähe des Messiasreiches. Beide fanden Anhänger. Die Verehrer des Propheten von Avila erzählten von ihm, er sei von Jugend auf unwissend gewesen und habe weder lesen noch schreiben können. Ein Engel, der ihm im Schlafe, zuweilen auch im wachen Zustande erschienen sei, habe ihm aber durch höhere Eingebung mit einem Male die Fähigkeit verliehen, eine umfangreiche Schrift voll mystischen Inhalts niederzuschreiben, unter dem Titel »Wunder der Weisheit« und dazu noch einen weitläufigen Kommentar (ohne den man sich damals [196] ein einigermaßen respektables Buch nicht denken konnte). Darüber waren nun die Avilenser und entfernte Gemeinden, die davon hörten, außerordentlich verwundert. Ein deutscher talmudkundiger Wanderer, namens R. Dan, der sich damals in Avila aufhielt, bestätigte mit seinem Zeugnisse das Wunder des unwissenden Propheten von Avila. Der Vorfall zog die Aufmerksamkeit in außerordentlicher Weise auf sich, und die Gemeindevertreter von Avila wandten sich an die letztentscheidende Autorität jener Zeit, an Salomo Ben-Adret, sie zu belehren, ob sie an diese neue Prophetie glauben sollten.

Der Rabbiner von Barcelona, der, wiewohl halb un halb ein Anhänger der Geheimlehre, doch nur den biblischen und talmudischen Wundern Glauben schenkte, erwiderte darauf, er würde den Vorgang des Propheten von Avila für einen argen Betrug halten, wenn er ihm nicht durch glaubwürdige Männer bezeugt und bestätigt worden wäre. Nichtsdestoweniger könne er den Mann nicht als einen Propheten anerkennen, denn es fehlten ihm die Grundbedingungen, unter denen der Talmud die Prophetie für möglich ausgebe. Außerhalb Palästinas sei die Prophezeiung überhaupt unmöglich. Auch sei das Zeitalter nicht würdig für prophetische Offenbarung, und endlich könne der prophetische Geist nicht auf einem ganz Unwissenden ruhen. Es sei unglaublich, daß jemand als Idiot zu Bette gehe und als Prophet aufstehe. Die Geschichte bedürfe der sorgfältigsten unparteiischen Untersuchung. Haben es doch die Israeliten bei Moses Auftreten in Ägypten, in jener gnaden- und wunderreichen Zeit, an Prüfung und Zweifel an seiner Sendung nicht fehlen lassen, und er mußte seine Verkündigung durch Wunder bewähren; um wie viel mehr sei man genötigt, in dieser »verwaisten« Zeit einen solchen Vorfall zu prüfen, zumal in der letzten Zeit auch Betrüger und Abenteurer mit Wundertuerei aufgetreten seien.

Doch trotz dieser Warnung von seiten des angesehensten Rabbinen setzte der Prophet von Avila sein Treiben fort und bestimmte den letzten Tag des vierten Monats (Tebet oder Tammus? 1295) als Beginn der messianischen Erlösung. Die leichtgläubige und unwissende Menge bereitete sich darauf vor, fastete und spendete reichlich Almosen, um im eintretenden Messiasreiche würdig befunden und dessen teilhaftig zu werden. Am bestimmten Tage eilten die Betörten, wie am Versöhnungstage gekleidet, in die Synagoge und erwarteten dort die Posaunen der messianischen Erfüllung zu vernehmen. Aber es zeigte sich weder der erwartete Messias, noch ein Zeichen von ihm. Statt dessen sollen sie an ihren Gewändern kleine Kreuze bemerkt haben, auf die sie nicht gefaßt waren, und die sie teils erschreckt, teils ernüchtert hätten. Möglich, [197] daß die Ungläubigen in der Gemeinde ihnen Kreuze an die Gewänder heimlich angeheftet hatten, um entweder einen Spaß mit den Leichtgläubigen zu treiben oder sie aufmerksam zu machen, wohin die messianische Gaukelei am Ende führen würde, und sie solchergestalt von ihrem Wahne zu heilen. Einige seiner Gläubigen sollen infolge dieses Vorgangs zum Christentum übergetreten, andere in Schwermut verfallen sein, weil sie sich die Erscheinung der Kreuze nicht hätten erklären können. Was aus den Propheten oder betrogenen Betrügern von Ayllon und Avila geworden ist, wird nicht erzählt. Sie sind, wie Abraham Abulafia, verschollen und haben auch nur als Auswüchse eines krankhaften Zustandes einige Bedeutung.

Es ist möglich, daß auch ein anderer Jünger Abulafias, Joseph Gikatilla, der ebenfalls als Wundertäter33 galt und nicht weit von Ayllon seinen Wohnsitz hatte, bei dem wahnsinnigen oder betrügerischen Spiel der Propheten von Ayllon und Avila eine Rolle spielte. Joseph ben Abraham Gikatilla (geb. in Medina-Celi, starb in Penjafiel nach 1305)34 hörte als Zwanzigjähriger die sinnverwirrende Geheimlehre Abulafias und verfaßte, während dieser noch in Spanien weilte, seinerseits eine kabbalistische Schrift »Der Nußgarten«, in welcher er dieselbe Verschrobenheit wie sein Meister an den Tag legte. Auch er beschäftigte sich mit der Buchstaben- und Zahlenmystik, mit Buchstabenversetzung, und führte eine Spielerei, die schon Abulafia angestellt hat, den hebräischen Vokalzeichen eine mystische Bedeutung zu geben, noch weiter. Joseph Gikatilla zerarbeitete sich, die verschiedenen Gottesnamen in der Bibel mit den zehn Ursubstanzen (Sefirot) in Verbindung zu bringen, und setzte zur Begründung seiner Kabbala eine Menge Schriften in die Welt. Er genügt eigentlich, [198] um ihn zu charakterisieren, daß der halb wahnsinnige, von Ben-Adret und einigen Gemeinden verdammte Abulafia ihm nachrühmt, er habe seine Lehre gefördert und aus eigenem Antriebe viel hinzugefügt (o. S. 194, Anmerk. 2). In der Tat sind Joseph Gikatillas Schriften nur ein Widerhall von Abraham Abulafias Phantasien; es ist derselbe Wahnwitz.

Aber bei weitem einflußreicher und verderblicher als diese drei Kabbalisten Allatif, Abulafia und Gikatilla, wirkte auf die Zeitgenossen und die Nachwelt Mose de Leon, dem es gelungen ist, obwohl ein Zeit-und Fachgenosse sein Treiben entlarvt hat, in die jüdische Literatur und Denkkreise ein Buch einzuführen, welches der Kabbala eine feste Grundlage und eine weite Verbreitung gab und ihr mit einem Worte die Krone aufsetzte. Mose ben Schem-Tob de Leon (geb. in Leonum 1250, starb in Arevalo 1305)35 war ein Mann, bei dem man nur in Zweifel sein kann, ob er ein eigennütziger oder ein frommer Betrüger war; aber täuschen und irreführen wollte er sicher. Er steht darum viel niedriger als Abulafia, der in seinem Wahne jedenfalls ehrlich und naiv war. Ein Halbwisser, der weder Talmud, noch Wissenschaften gründlich getrieben hatte, besaß er nur eine Fertigkeit, nämlich die, das Wenige, was er wußte, geschickt zu benutzen, leicht und fließend zu schreiben, die entferntesten Dinge und Schriftverse, wie sie in der Kammer seines Gedächtnisses aufgeschichtet lagen, in Verbindung zu setzen und sie mit spielendem Witze zusammenzukoppeln. Selbst die Kabbala war ihm nicht als ein System gegenwärtig; er kannte lediglich ihre Formeln und Schlagwörter und verarbeitete diese in geschickter Weise.

Ein sorgloser Verschwender, der alles, was er hatte, ausgab, ohne zu bedenken, was ihm für den andern Tag bleiben würde, benutzte Mose ben Leon die in Mode gekommene Kabbala, um auf diesem Gebiete schriftstellerisch aufzutreten und sich dadurch eine reiche Einnahmequelle zu verschaffen. Er führte ein Wanderleben, wohnte lange Zeit in Guadalaxara, dann in Viverro, in Valladolid und zuletzt in Avila. Zuerst ließ er Geisteserzeugnisse unter eigenem Namen erscheinen (um 1285)36. In einem umfangreichen Werke entwickelte Mose de Leon die Zwecke und Gründe der Religionsgesetze des Judentums37, allerdings in einem andern Geist als Maimuni [199] und auch bereits mit einem mystischen Anfluge, aber noch immer frei von kabbalistischem Wuste. Dieses Werk widmete er Levi Abulafia einem Sohne des Todros Abulafia (o. S. 188). Drei Jahre später (1290) übergab er wieder ein Werk der Öffentlichkeit, das schon mehr kabbalistischen Inhalt hatte38. Er polemisierte darin gegen die Religionsphilosophen, welche »vorgaben, der Inhalt des Judentums decke sich mit der Philosophie. Wenn dem so wäre, wozu brauchte die sinaitische Offenbarung unter Naturaufruhr, Donner und Blitz bekannt gemacht zu werden, wenn sie nichts anderes lehre, als was Aristoteles ohne solches Geräusch zu Tage gefördert hat!« Mose de Leon behauptete, es sei den jüdischen Religionsphilosophen gar nicht Ernst mit ihrem Einklang von Judentum und Philosophie; sie wollten lediglich die Menge täuschen und sie glauben machen, daß die Thora nicht im Widerspruche stehe mit der Philosophie, um die letztere einzuschmuggeln. Er aber stellte auf, die Thora habe einen ganz anderen Inhalt, sie sei der Gedanke Gottes; an jedem Worte, jeder Erzählung, jeder Vorschrift der Thora hänge der Bestand der Welt39. Wie Mose de Leon aber daran ging, diesen höheren Inhalt auseinanderzusetzen, verriet er dieselbe Gedankenarmut, welche die Kabbalisten auch sonst charakterisiert; nur wußte er sie hinter Wortschwall zu verdecken und mit einem Geheimniskram zu verhüllen. Seine Gemeinplätze von der Seele »als einem Abbilde des himmlischen Urbildes«, ihrer Abstammung aus dem Urquell des Heiligen, ihrem Vermögen, den Segen vom Himmel auf die Erde zu ziehen, und ihrem Zustand nach dem Tod, seine Lehre von der zukünftigen Welt, der Seelenwanderung und den Geheimnissen dieses und jenes Gebotes bieten nach keiner Seite hin etwas Neues oder Originelles. – Von derselben Art ist sein Buch, das er zwei Jahre später verfaßte und demselben Kabbalisten Todros Halevi widmete. Es sind nur Wiederholungen eigner und fremder Schlagwörter, man kann nicht sagen Gedanken40. Wiederum ein Jahr später (1293) verfaßte er »Das Buch der Geheimnisse« oder die »Wohnung des Zeugnisses«41, worin er sich und andere wiederum kopierte und wiederholte. Neu ist darin die Beschreibung des Paradieses, die er einem apokryphen Henochbuche entlehnte, welches er entweder in hebräischer Sprache oder in einer Übersetzung aus dem Arabischen (einem Buche des Idris-Henoch) vorgefunden hat.

[200] Seine bisherige Schriftstellerei war aber nicht genug beachtet worden und hatte ihm wenig Ruhm und Geld eingebracht. Mose de Leon verfiel daher auf ein wirksameres Mittel, sich die Herzen und Säckel weit zu öffnen. Er verlegte sich auf Schriftstellerei unter fremdem, geachtetem Namen. Wie, wenn er die allerdings schon breit getretenen Lehren der Kabbala einer älteren, hochverehrten Autorität, einem gefeierten Namen aus der glänzenden Vergangenheit in den Mund legen würde – versteht sich in der rechten Beleuchtung und Färbung mit den Kennzeichen des Altertums – würde man sich nicht um eine solche Schrift reißen? Würde man ihn nicht reichlich belohnen, wenn er nachwiese, daß er im Besitz eines so kostbaren Schatzes sei? Mose de Leon kannte die Leichtgläubigkeit derer, welche sich tiefer oder oberflächlicher mit der Kabbala befaßten, wie sie jedem Worte lauschten, das ihnen, als aus alter Zeit stammend, zugeführt wurde. Denn seitdem die Geheimlehre öffentlich geworden war und nach Anerkennung rang, wurden kabbalistisch klingende Lehren alten und klangvollen Namen untergeschoben und fanden dadurch Aufnahme. Obwohl der letzte Gaon Haï eine entschiedene Abneigung gegen jedes mystische Unwesen bekundet hatte (VI3, S. 3), und er von der jungen Kabbala keine Ahnung haben konnte, hatte ihm doch ein Fälscher mehrere kabbalistische Äußerungen – in Form von Gutachten – in den Mund gelegt, namentlich eine angebliche Ausgleichung zwischen den zehn Ursubstanzen (Sefirot) und den dreizehn Eigenschaften Gottes, welche die talmudische Agada betont42. Andere erfanden unbekannte, alt und mystisch klingende Namen als Träger kabbalistischer Lehren, einen Rabbi Chamaï, Rabbi Kaschischa, Rabbi Nehoraï, natürlich Jerusalemer oder Babylonier, und schoben ihnen mystische Sätze oder Gebete unter43. Die Fälschungssucht der Kabbalisten ging so weit, selbst Maimuni, den nach Klarheit und Licht ringenden Geist, den unerbittlichen Gegner aller Mystik, zum Kabbalisten zu stempeln [201] und seine philosophischen Ansichten widerrufen zu lassen, »weil sie den Geist nur verwirrten, während die Geheimlehre die höchste Erkenntnis auf geebneterem Wege biete«44. Warum hätte ein Mystiker nicht auch eine Art kabbalistischen Talmud oder Mischnah45 fälschen sollen, da er bei seinen leichtgläubigen Gesinnungsgenossen nicht Widerspruch oder Entlarvung zu befürchten hatte? Und in der Tat ist auch eine kabbalistische Schrift mit mischnaitisch-agadischem Gepräge verfaßt worden und hat Eingang gefunden.

Aber viel geschickter als alle diese Fälscher machte es Mose de Leon. Er hatte die passendste Persönlichkeit als Träger für die Geheimlehre gefunden, gegen die sich wenig oder nichts einwenden ließ. Der Tannaite Simon ben Jochaï, der dreizehn Jahre in einer Höhle – wohl einsam und in tiefe Betrachtung versunken – zugebracht, dem schon die alte Mystik Offenbarungen durch den Engel Metatoron erteilen läßt, ja, Simon ben Jochaï schien die rechte Autorität für die Kabbala zu sein. Nur durfte er nicht hebräisch sprechen oder schreiben, denn in dieser Sprache würden die Kabbalisten das Echo ihres eigenen Schalls wieder erkannt haben. Nein, Chaldäisch mußte er sich ausdrücken, in dieser an sich halb dunkeln, für Geheimnisse geeigneten, wie aus einer andern Welt klingenden Sprache. Und so trat ein kabbalistisches Buch, das Buch Sohar (Glanz)46, in die Welt, das in jüdischen Kreisen Jahrhundertelang als eine himmlische Offenbarung förmlich vergöttert und auch von Christen als alte Überlieferung angesehen wurde und zum Teil noch heute angesehen wird. Gewiß ist noch selten eine so offenkundige Fälschung so gut gelungen. Mose de Leon verstand es aber auch, vollen Effekt bei leichtgläubigen Lesern hervorzubringen. Er ließ Simon ben Jochaï in dem Buche Sohar in strahlendem Glanz und mit einem Glorienschein auftreten, und seine Offenbarungen einem Kreise von auserwählten Jüngern (bald zwölf, [202] bald sechs) erteilen, »den Kundigen, die da leuchten wie Himmelsglanz«. »Als sie sich versammelten, um den Sohar zu verfassen, wurde dem Propheten Elia, allen Mitgliedern der himmlischen Lehrhalle (Metibta), allen Engeln, Geistern und höheren Seelen die Erlaubnis erteilt, ihnen zuzustimmen, und den zehn geistigen Substanzen (Sefirot) wurde der Auftrag, ihnen tiefverborgene Geheimnisse zu offenbaren, welche für die Zeit des Messias vorbehalten waren.« Oder in einer andern Wendung: Simon ben Jochaï ruft seinen Kreis zu einer großen Versammlung zusammen (Idra rabaa) und hört den Flügelschlag der Himmelsscharen, die sich ebenfalls versammelten, um der Verkündigung von Geheimnissen zu lauschen, welche bis dahin selbst den Engeln unbekannt geblieben waren47. Der Sohar verherrlicht den eigenen Verfasser in übertriebenem Maße. Er nennt ihn »das heilige Licht« (Bozina Kadischa)48, der noch höher stehe als selbst der größte Prophet Mose, »der treue Hirte« (Raaja Mehemna). »Ich bezeuge bei den heiligen Himmeln und der heiligen Erde«, läßt der Sohar Simon ben Jochaï ausrufen, »daß ich jetzt schaue, was noch kein Sterblicher, seitdem Mose zum zweiten Male den Sinai bestiegen, geschaut hat, ja, noch mehr als dieser. Mose wußte nicht, daß sein Antlitz erglänzte, ich aber weiß es, daß mein Antlitz glänzt«49. Wegen der Liebe Gottes zu ihm, dem Verfasser des Sohar, habe Gott sein Zeitalter gewürdigt, die bis dahin geheimen Wahrheiten zu offenbaren. So lange er, der allen leuchtet, lebt, sind die Quellen der Welt geöffnet und alle Geheimnisse sind offenbar. »Wehe dem Geschlechte, wenn Simon ben Jochaï ihm entschwinden wird«50. Er wird im Sohar nahezu vergöttert. Seine Jünger brechen einmal in ein schwungvolles Lob aus, daß er die Stufen zur himmlischen Weisheit betreten, wie noch keiner vor ihm, und von ihm heiße es in der Schrift: »Alle Männer sollen erscheinen vor dem Herrn, nämlich vor Simon ben Jochaï«51. Diese übertriebene Verherrlichung, diese Selbstvergötterung (die selbst einen Fälscher verrät), ist nicht ohne Absicht eingestreut. Es sollte damit dem Einwurf begegnet werden, wie so denn die Kabbala, so lange unbekannt, und von den vorsichtigen Kabbalisten geheim gehalten, da sie Scheu hatten, etwas davon mitzuteilen, wie diese geheime Weisheit nun [203] mit einem Male an das Sonnenlicht treten und zu jedermanns Kunde veröffentlicht werden durfte? Der Sohar entschuldigt sich selbst öfter damit, weil die Zeit, in der Simon ben Jochaï lebe, eine besonders würdige und gnadenreiche sei, und weil die Messiaszeit nahe sei, darum dürfe der so lang verhüllende Schleier hinweggezogen werden. – Sehr geschickt ist auch angegeben, wie das Buch zustande gekommen ist. Simon ben Jochaï lehrte, ein R. Abba (der viel später gelebt hat) schrieb nieder, und die anderen Zuhörer dachten darüber nach52.

Es gibt wohl schwerlich ein Schriftdenkmal, das so viel Einfluß ausgeübt hätte, wie der Sohar, und das ihm an Wunderlichkeit des Inhalts und der Form gleichkäme. Ein Buch ohne Anfang und Ende, von dem man nicht weiß, ob es je ein Ganzes ausgemacht hat, und ob die jetzt vorhandenen Bestandteile ursprünglich dazu gehört haben oder später hinzugefügt sind, oder ob früher deren noch mehr vorhanden waren. Es besteht aus drei Hauptteilen, dem eigentlichen »Sohar«, dem treuen Hirten (Raaja Mehemna) und dem geheimen Midrasch (Midrasch Neëlam), die aber in ihrer jetzigen Gestalt öfter ineinanderfließen und mehrere Anhängsel haben, das Buch der Geheimnisse, Geheimnisse der Lehre, Zusätze, Erläuterungen (siebzig und noch mehr an der Zahl)53, von denen es ungewiß ist und sich schwerlich wird ermitteln lassen, wie sie sich zu den Hauptbestandteilen verhalten. Diese Formlosigkeit, dieser Wirrwarr haben es möglich gemacht, daß gewisse Partien von späterer Hand nachgeahmt wurden54. Es ist so leicht und so verlockend, diesen wüsten und doch tönenden Stil nachzubilden. So wurde die Fälschung überfälscht. Man weiß auch nicht recht, ob man den Sohar als einen fortlaufenden Kommentar zum Pentateuch, oder als ein theosophisches Lehrbuch, oder endlich als eine kabbalistische Predigtsammlung ansehen soll. Und ebenso wunderlich, wirr und wüst wie die Form und die äußere Einkleidung [204] ist auch sein Inhalt. Der Sohar mit seinen Nebenpartien und Anhängseln entwickelt keineswegs ein kabbalistisches System wie etwa Asriel (o. S. 63), spinnt auch keinen Gedanken aus, wie Abraham Abulafia, sondern spielt gewissermaßen mit den kabbalistischen Formeln wie mit Rechenpfennigen, mit dem En-Sof, mit der Zahl der Sefirot, mit Punkten und Strichen, mit Vokal- und Akzentzeichen, mit den Gottesnamen und Versetzung ihrer Buchstaben, sowie mit Bibelversen und agadischen Sentenzen, würfelt sie durcheinander in ewigen Wiederholungen und bringt solchergestalt das Ungereimteste zutage. Hin und wieder macht der Sohar einen Ansatz zu einem Gedanken, aber ehe man sich's versieht, verläuft er sich in fieberhitzige Phantasien oder löst sich in kindische Spielereien auf.

Der Grundgedanke des Sohar (wenn man überhaupt dabei von einem Gedanken sprechen darf) beruht darauf, daß die Thora mit ihrer Geschichte und religionsgesetzlichen Vorschriften keineswegs den einfachen Sinn bezweckt habe, sondern etwas Höheres, Geheimes, Übersinnliches. »Ist es denkbar«, läßt der Sohar einen aus dem Kreise des Simon ben Jochaï ausrufen, »ist es denkbar, daß Gott keine heiligeren Dinge mitzuteilen gehabt hätte, als alle diese gemeinen Dinge von Esau und Hagar, von Laban und Jakob, von Bileams Esel, von Balaks Eifersucht auf Israel und von Simris Unzucht? Verdient eine Sammlung solcher Erzählungen, in ihrer Einfachheit aufgefaßt, den Namen Thora? Und kann man von einer solchen Offenbarung aussagen, sie sei die lautere Wahrheit? Wenn die Thora nur solches enthalten solle, bemerkt Simon ben Jochaï (oder Mose de Leon), dann könnten wir auch in dieser Zeit ein solches Buch zustande bringen, ja vielleicht noch ein besseres. Nein, nein, der höhere mystische Sinn der Thora sei ihre Wahrheit: jedes Wortweise auf etwas Höheres, Allgemeines. Die biblischen Erzählungen glichen vielmehr einem schönen Kleide, welches Toren so sehr entzückt, daß sie weiter nichts dahinter suchten. Dieses Gewand decke aber einen Leib zu, nämlich die Gesetzesvorschriften, und dieser wieder eine Seele, die höhere Seele. Wehe den Schuldigen, welche behaupten, die Thora enthalte nur einfache Geschichten und also nur auf das Kleid sähen. Selig sind die Frommen, welche den rechten Sinn der Lehre suchen. Der Wein ist nicht der Krug, und so ist auch die Thora nicht in den Geschichtchen«55. Damit hat natürlich die Geheimlehre Moses de Leon freien Spielraum, alles und jedes zu deuteln und als höheren Sinn zu stempeln und so eine Afterlehre zutage zu fördern,[205] die nicht bloß unsinnig, sondern manchmal geradezu lästerlich und unsittlich erscheint. Alle Gesetze der Thora seien als Teile und Glieder einer höheren Welt zu betrachten; sie zerfielen in die Geheimnisse von männlichem und weiblichem Prinzip (Positiv und Negativ); erst wenn beide Teile sich zusammenschlössen, entstehe die höhere Einheit. Wer daher eines der Gesetze übertrete, verdunkele das Glanzbild der höheren Welt56.

Man kann kaum eine Vorstellung davon geben, welchen Mißbrauch Mose de Leon mit der Schrifterklärung treibt und wie er den Wortsinn verdreht. In dem Verse: »Hebet eure Augen zum Himmel und sehet, wer hat dieses erschaffen«, soll ein tiefes Geheimnis liegen, das der Prophet Elia in dem himmlischen Lehrkollegium vernommen und Simon ben Jochaï geoffenbart hat. Gott sei nämlich vor der Weltschöpfung unbekannt und dunkel gewesen, gewisser maßen bestehend und doch nicht bestehend; er war das Wer (das unbekannte Subjekt). Zu seiner Selbstoffenbarung gehört die Schöpfung. Erst mit der Schöpfung beurkundete er sich als Gott57.

In zwei feierlichen Versammlungen (Idra)58 teilt Simon ben Jochaï einmal, in der Vorahnung seines Todes, seinem Jüngerkreise das letzte Wort und den Kern der Geheimnisse in scheinbar erhabenen Lehren mit. Es sind aber weiter nichts als abenteuerlich-mystische Erklärungen jenes lästerlichen Buches, welches die riesigen Glieder Gottes (Schiur Koma) beschreibt, mit einem Pomp von tönenden Worten, einem Gemisch von Erhabenem und Albernem. »Der heilige Uralte (Gott) ist das Allerunbekannteste, getrennt von der sichtbaren Welt und doch nicht getrennt, denn alles hängt an ihm und er hängt an allem. Er ist gestaltet und nicht gestaltet, gestaltet ist er insofern, weil er das All erhält, und nicht gestaltet, weil er nicht wahrnehmbar ist. Als er sich gestaltete, brachte er neun Lichter hervor, die von seinem Glanze leuchten und sich nach allen Seiten verbreiten. Er ist eins mit ihnen, es sind erschaffene Stufen, in denen sich der heilige Uralte offenbart, es sind seine Formen. Sein Haupt – oder vielmehr seine drei Häupter – ist die höchste Weisheit, die selbst wieder im Anfang verborgen ist, so daß man von ihr sagen kann, sie weiß nichts und wird nicht gewußt, sie hat Teil weder am Wissen, noch am Nichtwissen. Darum [206] wird der Alte der Tage das Nichts genannt59. Haare gehen von diesem Haupte aus, das sind die verschiedenen Wege der Weisheit. – Die Stirn Gottes ist seine Gnade. Wenn diese sich offenbart, stellt sich in allem Güte und Wohlwollen ein, alle Gebete in der niederen Welt werden dann erhört, das strenge Gericht schweigt und verbirgt sich; dieses geschieht namentlich am Sabbat und besonders beim Nachmittagsgebet. Daher soll der Mensch drei Mahlzeiten am Sabbat genießen«60. Und so werden in breiter Auseinandersetzung die Augen, die Nase, der Bart, die Ohren Gottes mystisch gedeutet, vom Erhabenen zum Kindischen fortgeschritten, was öfter ebenso lästerlich, wie lächerlich klingt.

Am liebsten beschäftigt der Sohar die Phantasie mit jener Seite des Menschen, die dem Menschen selbst ein ewiges Rätsel bleibt, mit der Seele, ihrem Ursprunge und ihrem Ausgange. Mit den älteren Kabbalisten nimmt natürlich auch der Sohar die Vorexistenz der Seelen in der lichten Welt der Sefirot an. Sie sind dort mit einem geistigen Gewande umhüllt und entzückt in Betrachtung des göttlichen Glanzes. Wenn die Seelen in diese Welt eingehen wollen, so nehmen sie ein diesseitiges irdisches Gewand, den Leib, an. Sobald sie aber die Erde verlassen sollen, so entkleidet sie der Würgengel des irdischen Gewandes. Hat eine Seele hienieden fromm und sittlich gelebt, so erhält sie ihr früheres Himmelsgewand und kann wieder die Seligkeit der Entzückung im Gottesglanze genießen, wo nicht, namentlich wenn sie unbußfertig aus der Welt geschieden, irrt sie nackt und schambedeckt umher, bis sie in der Hölle geläutert wird61. Die Nacktheit der Seele, Paradies und Hölle – in phantastischen, barocken und ungeheuerlichen Bildern ausgemalt – zu schildern, ist ein Thema, wobei der Sohar öfter und gern verweilt. Er gefällt sich auch darin, zu beschreiben, was mit der Seele während des Schlafes vor sich geht. Sie entwinde sich dem Körper, schwebe in dem unermeßlichen Raum umher und gelange nach oben. Je nach ihrer Lebensgewohnheit erfahre sie während ihrer Losgelöstheit vom Körper und ihrer Nachtwanderung Wahres oder Falsches aus der Geisterwelt. Die sündenbelastete und befleckte Seele werde von den bösen Geistern, die in der Welt umherflattern, in Besitz genommen; sie verbinde sich mit ihnen und erfahre allerdings auch zukünftige Ereignisse, aber in getrübter Form. Die Dämonen trieben Spott mit ihr und teilten ihr ein Lügengewebe mit. Die lautere Seele aber fliege ungefährdet durch die Schar der Dämonen hindurch, die ihr Platz machen[207] müßten, gelange bis zu den reinen Geistern und erfahre dort die Zukunft in aller Wahrheit und Untrüglichkeit. Das seien eben die Träume, welche je nach dem Verhalten der Seele, sich zur Stufe der Prophezeiung erheben könnten62.

Die Nachtseite des Lebens, die Sünde, die Unreinheit im kleinen und großen, ist ebenfalls ein Lieblingsthema des Sohar, zu dem er sehr oft und in den verschiedensten Wendungen und Wiederholungen zurückkehrt. Einer der älteren Kabbalisten kam nämlich auf den Einfall, daß es zur höheren Welt, der Welt des Lichtes, der Heiligkeit und der Engel einen schroffen Gegensatz gebe, eine Welt der Finsternis, der Unheiligkeit, des Satans, mit einem Wort das Prinzip des Urbösen. Dieses Urböse habe sich bei der Weltschöpfung ebenfalls in zehn Stufen (Sefirot) entfaltet. Die beiden Welten seien trotz ihrer Verschiedenheiten eines Ursprungs, bildeten nur Gegenpole und verhielten sich zueinander wie die rechte Seite zur linken. Das Böse wird daher in der Sprache der Kabbalisten die Linke genannt oder auch die andere Seite (Sitra Achara). Auch eine andere Vorstellung geben die Kabbalisten von dem satanischen Reiche. An der Grenze der Lichtwelt bilde sich die Welt der Finsternis und umgebe sie wie die Schale den Kern einer Frucht. Das Urböse mit seinen zehn Abstufungen (Sefirot) bezeichnet daher die Kabbala metaphorisch als Schale (Kelifa). Diese Seite ist nun das Lieblingsthema des Sohar; denn hier kann er bequem seine abenteuerliche Schriftauslegung anbringen. »Wie eine Welt der Heiligkeit, so gibt es auch eine Welt der Sündhaftigkeit, wie die Beschneidung im Gegensatz zur Vorhaut.« Die zehn Sefirot der linken Seite oder des satanischen Reiches werden aufgezählt und mit Namen von barbarischem Klang bezeichnet Die Namen klingen wie die der Dämonenfürsten in dem Henochbuche und sind wohl daraus entlehnt: Samael oder Samiel, Asael, Angiel, Sariel, Kartiel (Katriel)63 und andere. »Das sind die zehn Schalen zu dem Kern der zehn (Licht-) Sefirot.« Alle Frevler und Bösewichter in der Bibel identifiziert der Sohar mit dem bösen Prinzip der »Schalen« (Kelifot): Die Urschlange, Kain, Esau, Pharao, dann auch Esaus Reich, Rom und die auf Gewalt und Unrecht beruhende staatliche und kirchliche Macht der Christenheit im Mittelalter. Israel und die Frommen dagegen gehören der Lichtwelt der rechten Sefirot an. »Wer nach der linken Seite (der Sünde) geht und seinen Wandel verunreinigt, zieht die unreinen Geister auf sich herab; sie[208] hängen sich an ihn und weichen nicht von ihm«64. Die Gesetze der Thora und die Übungen haben nach dem Sohar keinen anderen Zweck als eben die Verbindung der Seele mit der Lichtwelt zu erzielen und zu pflegen. Jede Übertretung derselben führe sie der Welt der Finsternis, der bösen Geister und der Unreinheit zu. Die innige Verbindung der Seele, sei es mit dem Lichte oder der Finsternis, stellt der Sohar grobsinnlich unter dem Bilde der ehelichen Begattung dar, wie er denn überhaupt auch in der höheren Welt, selbst in der Gottheit, das männliche und weibliche Prinzip vorhanden sein läßt65. Segen ist nur vorhanden, wo es Männliches und Weibliches gibt66, und nur wo eine innige Verbindung beider stattfindet, gibt es eine Einheit; denn Männliches ohne Weibliches ist nur ein halbes Wesen, und das Halbe ist nicht eins. Wenn sich aber beide Hälften verbinden, so bilden sie eine geschlossene Einheit. Auch das Verhältnis der Seele zum Weltgeiste oder zu Gott veranschaulicht der Sohar nicht, wie Isaak Allatif und Abulafia, keusch durch einen Kuß, sondern unflätig durch das Bild der Begattung. Erst durch diese Verbindung gehe die wahre Einheit Gottes hervor. So lange Israel im Exile lebe, sei die göttliche Einheit mangelhaft und gebrochen; erst in jenen Tagen werde Gott einig werden, wenn sich die Herrin (Matronita) mit dem König paaren werde67.

Mose de Leon hätte eine Lücke gelassen, wenn er nicht auch von der messianischen Zeit, dem Schlußstein der Kabbala, gesprochen und sie voraus verkündet hätte. Beruhte doch die plötzliche Offenbarung der so lang geheimgehaltenen Lehre auf der Voraussetzung, daß die Messiaszeit nahe sei. Aber hier verrät sich der Fälscher. Anstatt eine Zeit oder ein Jahr für das Erscheinen des Messias anzudeuten, welches dem Zeitalter Simon ben Jochaïs entspräche (im zweiten Jahrhundert), klügelte der Sohar vermittelst einer Buchstaben- und Zahlenspielerei heraus, daß es in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts, also noch in seine Gegenwart fallen würde. »Wenn das sechzigste oder sechsundsechzigste Jahr die Schwelle des sechsten Jahrtausends der Weltüberschreiten wird (5060 bis 66 d.h. 1300 bis 1306)68, wird sich der Messias zeigen;« aber einige Zeit werde noch verstreichen, bis Israel gesammelt und alle Völker besiegt sein würden69. Der Messias werde zuerst aus seiner geheimen Stätte im Paradiese, dem [209] Vogelneste, wo er seit Urbeginn in Seligkeit weile, erweckt werden, um auf Erden zu erscheinen70. Ein blutiger Kampf werde dann in der Welt ausbrechen. Edom und Ismael (christliche und mohammedanische Völker) würden einander grausig bekämpfen und endlich beide von einem dritten mächtigeren, erobernden Volke vernichtet werden. Zeichen und Wunder würden dabei vorangehen und die Auferstehung der Toten, so wie die allgemeine Verbreitung der kabbalistischen Gotteserkenntnis würden das Ende ausmachen. Mose de Leon hat in seinen Zeitgenossen die Hoffnung rege machen wollen, daß sie noch die Messiaszeit mit leiblichen Augen sehen würden. Er war vielleicht eben so in messianischer Schwärmerei befangen71 wie Abraham Abulafia.

So sehr auch der Sohar bemüht ist, das bestehende rabbinische Judentum mit seiner Satzung zu heben und jedem noch so geringfügigen, unerheblichen Brauche durch mystische Begründung eine besondere Weihe, eine höhere Bedeutung zu geben, so bemängelt und bekrittelt er doch den Talmud und seine Lehrweise, allerdings verhüllt, zweideutig und mit der unschuldigsten Miene von der Welt72. Zunächst stellt er die Beschäftigung mit der Kabbala um vieles höher als die mit dem Talmud, ja selbst mit der Bibel. Die Kabbala habe Schwungkraft und vermöge der Gottheit in ihrem geheimen Schaffen und Walten nachzufliegen, der Talmud dagegen und seine Pfleger hätten gestutzte Flügel und könnten sich zur höheren Erkenntnis nicht erheben. Der Sohar vergleicht die Mischnah (Talmud) mit einer niedrigen Sklavin, die Kabbala dagegen mit einer gebietenden Herrin. Die erstere habe es mit untergeordneten Dingen zu tun, mit »Rein und Unrein, mit Erlaubt und Verboten, mit Tauglich und Untauglich.« Sie herrsche während Israels Zerstreuung, »und die Erde erzittert darob, daß die Sklavin statt der Gebieterin waltet.« So lange dieses Weib mit seinem »einmal reinen und das andere Mal unreinen Geblüte« herrsche, könne die Vereinigung des Vaters mit der Matrona (Gott mit Israel) nicht vor sich gehen. In der messianischen Zeit dagegen, wenn die höhere Erkenntnis erwachen und Platz greifen werde, dann werde die Kabbala ihre Herrschaft über die Sklavin (Talmud) wieder antreten, wie zur Zeit des Gesetzgebers Mose. – Der Sohar vergleicht endlich das Talmudstudium mit einem harten, unfruchtbaren Felsen, der, wenn man ihn schlage, spärlich Wassertropfen spende, um die dann noch Streitigkeiten und Diskussionen entständen. Die Kabbala dagegen gleiche einer reichfließenden Quelle, zu der nur ein Wort [210] gesprochen zu werden brauche, damit sie ihren erfrischenden und belebenden Inhalt ergieße.

Als der Sohar oder der Midrasch des Simon ben Jochaï veröffentlicht wurde, erregte er das größte Erstaunen unter den Kabbalisten. Mit Gier griffen sie nach ihm. Mose de Leon erhielt Aufträge in großer Menge, Kopien davon zu liefern. Die Frage, woher mit einem Male eine so umfangreiche Schrift eines alten Tannaiten komme, von der bisher auch nicht eine Spur bekannt war, wurde dahin beantwortet, Nachmani habe sie in Palästina aufgestöbert und an seinen Sohn nach Katalonien gesendet, durch einen Sturmwind sei sie nach Aragonien oder Alicante (Valencia) verschlagen worden und in die Hände des Mose de Leon geraten; er allein besäße die Urschrift. In ganz Spanien verbreitete sich der Ruf von dem aufgefundenen kabbalistischen Schatze. Der Kreis des Todros Abulafia (o. S. 188) zollte dem Sohar allsogleich Anerkennung und betrachtete ihn als unzweifelhaft echt. Mose de Leons Wünsche wurden noch übertroffen. Es gab allerdings auch Kabbalisten, welche den Ursprung des Sohar von Simon ben Jochaï und seinem Kreise bezweifelten, aber dennoch huldigten sie dem Buche als einer reinen Quelle für die Kabbala. Diese meinten, Mose de Leon habe ihn allerdings verfaßt, allein doch nicht aus eigener Erfindung, sondern durch höhere Eingebung vermittelst der Kunde des mystischen Gottesnamens, welcher gottbegeisterte Schriftsteller erwecke73. Der Kabbalist Joseph Abulafia, Todros' Sohn, stellte Mose de Leon auf die Probe. Vorgebend, es sei ihm ein Heft des Sohar abhanden gekommen, ließ er sich von ihm ein anderes kopieren, um es zu vergleichen und ihn bei etwaiger Verschiedenheit auf Betrügerei ertappen zu können. Allein Mose de Leon war auf seiner Hut. – Als nun der Kabbalist Isaak von Akko, der bei der Eroberung dieser Stadt dem Gemetzel entkommen war (o. S. 186), in Spanien eintraf und den Sohar zu Gesicht bekam, war er betroffen und um so mehr begierig auf den Grund zu kommen, ob dieses angeblich alte, aus Palästina stammende Werk echt sei, als er im heiligen Lande geboren und erzogen war und mit den Jüngern Nachmanis verkehrt hatte, ohne eine Silbe darüber vernommen zu haben. Als er in Valladolid mit Mose de Leon zusammengetroffen war, schwur dieser ihm hoch und teuer, daß er allerdings in seinem Hause in Avila ein altes Exemplar aus der Hand des Simon ben Jochaï besitze, und machte sich anheischig, es Isaak von [211] Akko zur Prüfung vorzulegen. Indessen erkrankte Mose de Leon auf der Reise nach seiner Heimat und starb in Arevalo (1315). Damit war der Schleier über das Geheimnis der Entstehung des Sohar noch dichter gehüllt. Zwei angesehene Männer von Avila, David Rafan und Joseph de Avila, hatten allerdings von Frau und Tochter des Mose de Leon die nackte Wahrheit vernommen. Da Joseph de Avila, ein reicher Mann, erfahren hatte, daß Mose de Leon seine Familie ohne Mittel hinterlassen habe, so versprach er, um hinter das Geheimnis zu kommen, der Frau die Hand seines Sohnes für ihre Tochter nebst Reichtümern, wenn sie ihm die Urschrift des Sohar, aus der ihr Gatte Kopien angefertigt haben sollte, übergeben wolle. Da beteuerten Frau und Tochter, sie seien nicht im Besitze eines solchen Exemplars; Mose de Leon habe ein solches gar nicht besessen, sondern den Sohar selbst verfaßt und mit eigner Hand geschrieben. Die Frau erzählte aufrichtig, sie hätte ihren Gatten öfter gefragt, warum er sein eigenes Geisteserzeugnis unter einem fremden Namen ausgebe. Darauf habe er ihr entgegnet, daß der Sohar unter eigenem Namen ihm nichts eingebracht hätte, unter Simon ben Jochaïs Titel dagegen für ihn eine reiche Einnahmequelle geworden sei.

Frau und Tochter haben also, ohne die Tragweite ihres gewiß unanfechtbaren Zeugnisses zu kennen, Mose de Leon als Fälscher entlarvt. Und dennoch fand der Sohar den unbedingten Beifall der Kabbalisten, weil er einem Bedürfnisse entsprach; denn wäre er nicht erfunden worden, hätte er erfunden werden müssen. Die kabbalistische Lehre, die schon so viel Geltung hatte, war bis dahin ohne festen Halt; sie hatte keine andere Autorität als die sehr zweifelhafte Isaaks des Blinden (o. S. 60). Die Kabbalisten waren noch dazu uneins untereinander geworden, weil sie keinen Grundtext für ihre Theorien hatten. Sie waren auch schon mit ihrer Lehre auf den Sand geraten und konnten sie nicht ergiebig machen. Nun bestätigte ihnen die ehrwürdige Gestalt eines Mischnalehrers im Wechselgespräche mit den abgeschiedenen Geistern und Himmelsscharen, Engeln und Sefirot Wahrheiten, die von vielen damals nicht nur bezweifelt, sondern geradezu verlacht wurden. Sollten sie sich nicht daranklammern und dafür einstehen? Was Mose de Leon Simon ben Jochaï in den Mund legte, »daß viele ich um das Buch Sohar, wenn es bekannt werden wird, scharen und ihren Geist am Ende der Tage damit nähren werden«, traf bald nach seinem Tode in der Tat ein. Brachte auch der Sohar den Kabbalisten nichts wesentlich Neues, so stellte er doch das ihnen Bekannte in einer so eigentümlichen Form und Sprache dar, daß sie davon betroffen [212] waren. Es ist nämlich alles darin auf Effekt, auf Illusion, auf Gefangennehmung der Phantasie angelegt. Die langen Unterredungen, welche Simon ben Jochaï mit seinem Kreise oder mit »dem treuen Hirten« hält, sind von dramatischer Kraft, namentlich die Szene, wo er in der Vorahnung seiner baldigen irdischen Auflösung das oft Verkündete noch einmal mitteilt74. Effektvoll und für gläubige Gemüter von ergreifender und erschütternder Wirkung sind die öfter angebrachten Ausrufungen im Sohar: »Wehe, wehe denen, welche das und das glauben, oder nicht glauben, oder nicht beachten!« Zuweilen sind kurze Gebete eingestreut, die, erhaben und schwungvoll gehalten, geeignet sind, die Seele mit geheimnisvollem Schauer zu erfüllen75. Er enthält kürzere oder längere Erzählungen und Geschichtchen in einer so eigentümlichen Einkleidung, daß sie die Menschen jener Zeit ansprechen und anmuten mußten. Sehr geschickt schildert der Sohar öfter die Vergangenheit in einer so eignen Beleuchtung, daß die Zustände der damaligen Gegenwart durchschimmerten: »Kein Volk verachtet Israel so sehr und speit ihm so frech ins Gesicht wie die Söhne Edoms« (die Christen)76. – »Es gibt eine Klasse Menschen, die nur aus Eitelkeit Gutes tun, die da Synagogen und Lehrhäuser bauen, die Thora-Rolle schmücken, ihr kostbare Kronen aufsetzen, nicht aus frommem Sinne, sondern um sich einen Namen zu machen. Es gibt andere, welche ihre Glaubensbrüder in der Not verlassen; obwohl sie in der Lage sind, ihnen beistehen zu können, unterlassen sie es und zeigen sich nur Andersgläubigen großmütig«77. Selbst die eigenartigen Bezeichnungen, welche der Sohar für die gangbaren kabbalistischen Formeln eingeführt hat, sind darauf berechnet, durch ihren Doppelsinn das Interesse zu erregen. Er bezeichnet Gott und die höheren geistigen Substanzen (Sefirot) in ihrer Gesamtheit oder in einzelnen Partien und Wirkungen als Vater, Mutter, Urmensch, Braut, Matrone, das weiße Haupt, das große und das kleine Gesicht, der Spiegel, der höhere Himmel, die höhere Erde, Lilie, Apfelgarten und ähnliches mehr. Die Frommen waren für den Sohar gewonnen, weil er jedem religiösen Brauche, jeder Übung eine höhere Beziehung, eine höhere Weihe, eine geheimnisvolle Wirkung beilegt.

So schlich sich ein neues Grundbuch für die Religion in den Schoß des Judentums ein, welches die Kabbala, die ein Jahrhundert [213] vorher noch unbekannt war, neben Bibel und Talmud – und gewissermaßen noch höher stellte. Der Sohar hatte zwar nach der einen Seite das Gute, daß er der juristischen Trockenheit des Talmudstudiums einen gewissen Schwung entgegensetzte, die Phantasie und das Gemüt anregte und eine Stimmung erzeugte, welche der Verstandestätigkeit das Gegengewicht hielt. Allein der Schaden, den er dem Judentum gebracht, überwiegt diesen Gewinn bei weitem. Der Sohar verstärkte und verbreitete einen wüsten Aberglauben, befestigte in den Gemütern das Reich des Satans, der bösen Geister und Gespenster, die, früher im jüdischen Kreise gewissermaßen nur geduldet, durch ihn eine höhere Bestätigung erhielten. Aus Aberglauben verbietet der Sohar z.B. eine Witwe zu heiraten78. Er erfand oder heiligte einen Wahn, der ängstlichen Menschen vor Gram das Leben geraubt hat, daß nämlich derjenige, welcher in der Nacht vor dem großen Hosianna-Tag, beim Mondenschein, seinen Schatten nicht bemerkt, in demselben Jahre sterben müsse79. Durch seine hin und wieder gebrauchte sinnliche, ja ans Unzüchtige anstreifende Ausdrucksweise80 hat er, im Gegensatz zu dem keuschen, schamhaften jüdischen Schrifttum, unkeusche Regungen veranlaßt und dadurch später eine Sekte erzeugt, die sich über die Züchtigkeit hinwegsetzte. Der Sohar hat endlich den Sinn für das Einfache und Wahre81 förmlich abgestumpft und eine Traumwelt geschaffen, in welcher die Seelen derer, welche sich mit ihm ernstlich beschäftigten, wie in einen Halbschlaf eingelullt wurden und die Fähigkeit verloren, das Rechte vom Unrechten zu unterscheiden. Seine maßlosen Deuteleien der Schrift haben die Kabbalisten und andere, die von dieser Manier angesteckt wurden, angeleitet, die Verse und Wörter des heiligen Buches zu verdrehen und die Bibel zum Tummelplatz der wunderlichsten, tollsten Einfälle zu machen. Enthält der Sohar doch sogar Äußerungen, welche dem christlichen Dogma von der Dreieinigkeit der Gottheit günstig klingen!82

[214] Wenn die Mystiker dem schönen Gebilde der heiligen Schrift Glied für Glied verrenkten, mit ihr ein tolles Spiel trieben und den Sinn für die Wahrheit abstumpften, so gaben ihnen in dieser Zeit die sogenannten Philosophen darin nichts nach. Maimunis Verfahren, das Judentum und seine religiöse Literatur der Vernunft anzupassen, allzugrellen Bibelversen einen philosophischen oder mindestens erträglichen Sinn zu geben und den Religionsvorschriften einen annehmbaren begreiflichen Zweck unterzulegen, ermutigte Halbgebildete, alles und jedes auf demselben Wege zu erklären. Die Manier, die Schrift, die Agada und die Riten zu allegorisieren, ging daher in dieser Zeit ins Maßlose und Unglaubliche. Die Afterphilosophen entkleideten die Schöpfungs- und die Patriarchengeschichte ihres geschichtlichen Charakters und deuteten sie als philosophische Gemeinplätze, wobei sie mit aristotelisch-maimunischen Formeln ebenso spielten, wie der Sohar mit den kabbalistischen. Abraham und Sara z.B. bedeuteten diesen Allegoristen Stoff und Form der Dinge, Pharao das böse Gelüste, Ägypten den Körper, das Land Gosen das Herz, Mose den göttlichen Geist, und die Urim und Tumim, welche der Hohepriester im Tempel auf der Brust zu tragen pflegte, sollen weiter nichts als das Astrolab der Astronomen gewesen sein, um Tag und Stunde, Länge und Breite damit zu berechnen83. Hätte es damals jüdische Denker ersten Ranges wie in der Blütezeit gegeben, so würden sie diesem kindischen, sei es kabbalistischen oder afterphilosophischen, Treiben durch ein ernstes Wort gesteuert haben. Allein das Zeitalter Ben-Adrets war gerade sehr arm an tiefen Geistern. Selbst die zwei Hauptvertreter der Philosophie jener Zeit, Schem-Tob Falaquera und Isaak Albalag, reichten nicht über die Mittelmäßigkeit hinaus und waren selbst in den Irrtümern ihrer Zeit befangen.

Schem-Tob ben Joseph Falaquera, ein Südspanier (geb. um 1225, starb nach 1290)84, von dessen Lebensgeschichte weiter nichts bekannt ist, als daß er in Dürftigkeit lebte, war noch des Arabischen [215] kundig und kannte die Systeme der mohammedanischen Philosophen und aus ihnen die griechische Philosophie sehr gründlich. Die jüdischphilosophischen Werke Gebirols, Maimunis und anderer waren ihm in ihrem ganzen Umfange gegenwärtig wie keinem anderen seiner Zeit. Allein die Metaphysik war ihm mehr Sache der Gelehrsamkeit und des Gedächtnisses als des selbständigen Denkens. Sein Geist ordnete sich den philosophischen Autoritäten unter und erlag förmlich der Last fremder Gedanken. Falaquera war eigentlich nur eine lebendige Enzyklopädie der damaligen Wissensfächer und zwar eine sehr treue, die, über welchen Punkt man sie auch zu Rate zog, gründliche Auskunft gab. Aber er hatte nicht einmal Unterscheidungsvermögen genug, die verschiedenen Elemente seines enzyklopädischen Wissens nach Zeiten und Systemen auseinander zu halten. Für Falaquera lehrten Plato, Aristoteles, Avicenna, Averroes, die übrigen arabischen Philosophen, die Thora und die talmudische Agada dasselbe oder beinahe dasselbe und redeten alle dieselbe Sprache. Er bemerkte nur die Ähnlichkeit und hatte keinen Blick für die Verschiedenheit. Falaquera war tief überzeugt, daß die Ansicht der wahren Philosophen mit den Lehren des Judentums und natürlich auch des Talmuds übereinstimmten. Diese Übereinstimmung sei eigentlich gar nicht auffallend, da die älteren Philosophen ihre Lehren von Sem, Eber, Abraham und Salomo empfangen hätten85. Falaquera stellte natürlich die philosophische Forschung sehr hoch; durch sie allein vermöge der Mensch die wahre Glückseligkeit zu erlangen. Er bekämpfte mit scharfen Worten die Ängstlichen, welche in der wissenschaftlichen Forschung eine Schmälerung des Judentums erblickten. Noch in jugendlichem Alter hat er die Unschädlichkeit und die Notwendigkeit der Philosophie für den Glauben in einem Dialog zwischen einem Talmudisten und einem Anhänger der Philosophie86 auseinandergesetzt, die Einwürfe des ersteren widerlegt und den letzteren den Sieg erringen lassen. Auch eine Art Roman verfaßte Falaquera, »Der Suchende« (ha-Mebackesch), um den Gedanken durchzuführen, daß das metaphysische Wissen höher als alles stehe, als Reichtum und Tapferkeit, und daß die Wissensfächer Mathematik, Naturwissenschaften, selbst die Kenntnis der Thora und der trockenen talmudischen Tradition lediglich Vorstufen zu einem höheren Wissen seien. Schem-Tob Falaquera, der ein Vielschreiber war, hat natürlich auch die heilige Schrift erklärt, ohne Zweifel in der damals beliebten Manier philosophisch sein sollender Erläuterung. Von einer einfachen, Wort und Sinn gemäßen Auslegung[216] kann weder bei ihm, noch bei seinen Zeitgenossen überhaupt die Rede sein. Alle Welt sah damals den Bibeltext durch die gefärbte Brille einer Lieblingstheorie. – Falaquera tat sich auch viel auf seine dichterische Begabung zugute. Von seiner Jugend an bis in sein spätestes Alter hat er viel Reime geschmiedet; aber die von ihm bekannt gewordenen Verse legen ein schlechtes Zeugnis für seine dichterische Fähigkeit ab; seine Prosa ist jedenfalls besser. Von seinen zahlreichen philosophischen und stilistischen Leistungen haben nur zwei einen Wert, seine Erklärungen zu Maimunis »Führer« (Moré ha-Moré)87 und seine Überarbeitung der G'ebirolschen Philosophie. Von seinen untergegangenen Schriften ist nur der Verlust einer zu bedauern, welche geschichtliche Nachrichten enthielt88.

Der zweite Vertreter der Philosophie, Isaak Albalag, wohl ebenfalls ein Südspanier und wie sein Zeitgenosse Falaquera des Arabischen kundig (schrieb 1292 oder 1294)89, war zwar geistvoller und gedankenreicher als dieser, aber auch nicht selbständig. Er steckte noch ganz und gar in der aristotelischen Philosophie in ihrer arabischen Ausprägung, deren Ergebnisse für ihn so überzeugend waren, daß er ihr zuliebe die Urewigkeit des Weltalls als wahr annahm und die Schöpfungsgeschichte damit in Einklang zu bringen suchte. Indessen hatte Albalag doch das Bewußtsein, daß die Lehre des Judentums und die Theorie der Philosophie in wesentlichen Punkten zueinander im Gegensatze stehen, gestand aber selbst ein, die Kluft nicht ausfüllen zu können. Er war auch einsichtsvoll genug zu erkennen, daß eine waghalsige Deutung der Bibel und Schriftverdrehung dazu gehörten, um das Unvereinbare zusammenzuschmieden. Da es ihm nun nicht gelang, Judentum und Philosophie zu einer Einheit zu verschmelzen, so spaltete er sein Bewußtsein in Wissen und Glauben. Als Philosoph war er von etwas überzeugt, als Jude glaubte er das Gegenteil90. [217] So wenig Folgerichtigkeit und Klarheit war in Albalags Geiste, daß er auch die Alfanzereien der Kabbala für wahre und uralte Überlieferung hielt, die sich nur wegen der Ungunst der Zeiten zum Teil verloren hätte und nur im Besitze weniger Auserwählten sei, namentlich des Todros Abulafia (o. S. 188), des Isaak von Segovia und besonders ihres Jüngers Mose ben Simon aus Burgos91. Er hatte an der Kabbala nichts auszusetzen, er tadelte lediglich die Manier einiger Kabbalisten, welche zugunsten ihrer Theorie die Schrift verdrehen, Zahlenspielereien treiben, Buchstaben versetzen, wunderliche Gottesnamen zusammenstellen und Amulette fabrizieren92. Albalag bekämpfte mehr den Mißbrauch der Kabbala, als diese selbst. Mit Unrecht haben ihn Spätere zum Ketzer gestempelt93, wegen einiger dem Judentum widerstreitender Äußerungen. Albalag war kein Ketzer, nur ein wirrer Kopf, in dem die einander noch sehr widerstreitenden Ansichten Raum fanden. Er war auch schwerlich ein Gesetzesübertreter, sondern beobachtete wohl praktisch das Judentum mit aller Strenge. Er war nicht tiefer Denker genug, um den Mut zu haben, sich darüber hinwegzusetzen.

Es gab aber in dieser Zeit kühnere Männer, welche aus philosophischen Vordersätzen nachteilige Folgerungen für den Bestand des Judentums zogen. Wie ihre Vorläufer, die alexandrinischen Allegoristen (III2, S. 38 ff.), aus falscher Zweckdeutung der Religionsvorschriften sich über die Riten des Judentums hinwegsetzten, ebenso verfuhr mancher konsequente Aufgeklärte in dieser Zeit. Da die Ritualien lediglich gewisse religiöse, philosophische oder sittliche Vorstellungen erwecken sollten, so genüge es, diese Gedanken in sich ausgebildet zu haben, von ihnen durchdrungen zu sein, sich im Geiste stets damit zu beschäftigen; die Übung der Religionsvorschriften dagegen sei in diesem Falle überflüssig. Wozu ist es nötig, so fragten diese Allegoristen, die Gebetriemen [218] (Phylakterien, Tefillin) umzubinden, wenn sie weiter keinen Zweck haben, als Kopf und Herz für gewisse Wahrheiten empfänglich zu machen, sobald man diese bereits ins Bewußtsein aufgenommen hat? Einige dieser Richtung sprachen Mose den prophetischen Charakter ab und ließen ihm nur den eines gewöhnlichen Gesetzgebers, wie ihn auch andere Völker hatten, und hoben damit die Göttlichkeit der Thora auf. Einer dieser Allegoristen predigte in der Synagoge vor einer zahlreichen Gemeinde, das Genußverbot des Schweinefleisches habe keinen Sinn. Es sei nur in der Voraussetzung erlassen, daß dessen Genuß der Gesundheit nachteilig sei; gründliche medizinische Erfahrungen bestätigten aber diese Voraussetzung nicht94. So haben die Afterphilosophen das ganze Judentum in Frage gestellt und dadurch die Gegenwirkung hervorgerufen, daß vielen die freie Forschung verleidet wurde.

Der Tonangeber dieser Allegoristen-Schule war ein kenntnisreicher Mann, der aber voll Schrullen war und, ohne es zu wollen, heftige Reibungen veranlaßt hat. Es war Levi ben Chajim aus Villefranche bei Toulouse (geb. 1258?, starb 1306)95. Aus einer angesehenen Gelehrtenfamilie stammend, war er in den Talmud eingelesen; aber mehr noch zog ihn die maimunische Philosophie und Ibn-Esras Astrologie an, dessen Glauben an den Einfluß der Gestirne auf das menschliche Geschick er besonders zugetan war. Mehr aufgeschwommenen, als gediegenen Geistes hatte Levi ben Chajim kein volles Verständnis von Maimunis Streben. Ihm löste sich das Judentum in lauter philosophische Gemeinplätze auf, die, so abgeschmackt und kindisch sie auch für uns klingen, merkwürdig genug, von den Zeitgenossen als tiefe Weisheit angestaunt wurden. Infolge eines Liebesabenteuers zur Auswanderung genötigt und in dürftige Verhältnisse eingeengt, fristete er sein Leben in Montpellier durch Unterricht und Vorlesung, wurde mit Mose Ibn-Tibbon (o. S. 103) bekannt und durch ihn in seiner allegoristischen Manier bestärkt. Er war der Verbreiter jener seichten Denkweise, die sich mit Formeln statt Gedanken begnügt. Er verfaßte zwei Hauptwerke96, das eine in Reimen, das andere in Prosa, in denen er die von Maimuni entlehnte Theorie in eine Art Enzyklopädie über alle Zweige des Wissens brachte. In denselben deutete er die geschichtlichen Erzählungen der Bibel in philosophische Floskeln um, erklärte den Stillstand der Sonne bei Josuas Sieg als einen natürlichen Vorgang [219] und redete überhaupt jener biblischen und agadischen Auslegung das Wort, welche ihre Stärke in sophistische Wortverdrehung setzte. Levi aus Villefranche verwahrte sich zwar gegen die Absicht, die Gesetze in Allegorien zu verwandeln, stempelte selbst die Allegoristen als Ketzer und wollte die Geschichtlichkeit der biblischen Erzählungen soviel als möglich aufrecht erhalten wissen97. Allein so ganz ernst war es ihm damit keineswegs; denn er pflegte wie sein Vorbild Ibn-Esra seine letzten Überzeugungen geheimzuhalten, so daß selbst seine Bekannten nicht auf den Grund seiner Gesinnung kommen konnten98. Dieses von philosophischen Deuteleien strotzende Judentum wurde nicht bloß privatim gelehrt, sondern in den Synagogen gepredigt.

Der Herd dieser afterphilosophischen Auswüchse war die nicht unbedeutende Gemeinde Perpignan, die Hauptstadt des Gebiets Roussillon, das zum Königreich Aragonien gehörte. Obwohl die Juden dieser Stadt kein beneidenswertes Los hatten und gezwungen waren, in dem elendesten Teile der Stadt, auf dem Platze für Aussätzige, zu wohnen99, so behielten sie doch Sinn für Wissenschaft und Forschung und lauschten gierig den Neuerungen, welche die Ausleger und Fortsetzer Maimunis lehrten. Hier hatte der arme Levi aus Villefranche eine Zufluchtsstätte gefunden bei einem reichen und angesehenen Manne, Don Samuel Sulami oder Sen Escalita100, dessen Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Freigebigkeit von den Zeitgenossen über die Maßen gepriesen wurden. »Von Perpignan bis Marseille findet sich keiner, der an Gesetzeskunde, Wohltätigkeit, Religiosität und Demut Samuel Sulami gleichkäme. Er spendet im Geheimen seine Wohltaten; sein Haus ist für jeden Wanderer geöffnet; er ist unermüdlich, Schriften für seine Sammlung zu erwerben«101. Er stand mit Ben-Adret in gelehrter Korrespondenz102 und hatte Interesse an der philosophischen Deutung von Bibel und Agada. – Selbst der Rabbiner von Perpignan war ein Freund des Denkens und ein abgesagter Feind der sich hinter den Buchstaben versteckenden gedankenlosen Gläubigkeit und verknöcherten [220] Orthodoxie. Es war der zu seiner Zeit wenig berühmte, aber trotzdem sehr bedeutende Don Vidal Menahem ben Salomo Meïri (geb. Elul 1243, starb zwischen 1317 und 1320)103. Er war keine bahnbrechende Persönlichkeit, aber eine anmutende Erscheinung. Er besaß das, was fast allen seinen jüdischen Zeitgenossen so sehr abging, Maß und Takt. Dieses zeigt sich zunächst an Meïris Stil. Sämtliche jüdische Schriftsteller Spaniens und der Provence schrieben ihre Prosa oder Verse mit einer Überladung und einem Bombaste, als wollten sie den ganzen Sprachschatz der Bibel erschöpfen, um auch nur einen dürren Gedanken auszudrücken. Das bewunderte Muster dieser Zeit, der Moraldichter Jedaja Bedaresi, schrieb so redselig, um das Gewöhnlichste und Armseligste zu sagen, daß man ganze Seiten seiner Schutzrede, Betrachtungen und überhaupt seiner schriftstellerischen Erzeugnisse durchlaufen muß, um auf einen erträglichen Gedanken zu stoßen. Der beliebte Musivstil begünstigte diese nichtssagende Beredsamkeit. Ganz anders Meïri. Er sagt nicht mehr, als was er sagen will, knapp und deutlich.

Ebenso maßvoll war er in seiner Auslegung des Talmuds. Fast alle diejenigen, welche den Talmud theoretisch oder für die Praxis bearbeiteten, Kommentarien dazu schrieben oder selbständige Werke verfaßten, schienen es darauf anzulegen, den verworrenen Knäuel noch mehr zu verwirren. Sie verloren sich so sehr in die Einzelheiten, daß sie darüber den Ausgangspunkt und den Kern der Sache vernachlässigten. Selbst die tiefdenkenden Talmudisten verfielen in diesen Fehler, das Ganze über dem Einzelnen zu übersehen. Don Vidal Meïri bildet eine rühmliche Ausnahme in seiner Zeit und noch viel mehr in der nachfolgenden. In seinen Kommentarien zu den Talmudtraktaten für die Praxis104 verfährt er durchweg methodisch, geht vom Allgemeinen zum Besonderen über, ordnet alles lichtvoll und sucht den Leser zu orientieren, statt ihn zu verwirren. Im Eingang gibt er einen leitenden Überblick über den ganzen Inhalt, wie einer, der das ganze Gebiet beherrscht. Meïri hatte sich in diesem Punkte Maimuni zum Muster genommen. Wäre seine Methode, den Talmud auszulegen, durchgedrungen, so hätte das Talmudstudium nicht jenen sophistischen Charakter angenommen, mittels dessen man für das Ja und das Nein [221] Scheingründe aufführen konnte und für die einfachste Frage sich durch ein Dorngestrüpp einander widersprechender Meinungen hindurchwinden mußte. Mit Recht lobte ein Dichter, Juda Ibn-Sabura, zwar mit schlechten Versen, aber mit richtigem Verständnis Meïris Art in folgenden Worten:


Schriften ohne Zahl sind verfaßt zur Erläuterung des Talmuds;

Der eine ist zu weitschweifig, der andere zu kurz,

Alle ohne Maß. Bis Menahem Meïri

Auftrat und den rechten Weg zeigte105.


Ebenso besonnen war Meïri in der Auslegung der heiligen Schrift. Die Philosophen und die Mystiker wollten immer Höheres in ihr finden, das Einfache war ihrem Sinn zu nüchtern, darum legten sie überschwänglichen Unsinn hinein. Nicht so Meïri. Er nahm zwar auch an, daß es manche Gebote und manche Erzählungen in der heiligen Schrift gebe, die auf ein Höheres hinwiesen, aber die meisten müßten ganz buchstäblich genommen werden106. Dem wüsten Aberglauben der Zeit war Meïri abgeneigt, wenn er auch durch die Autorität des Talmuds bestätigt war107. Es ist als kein geringes Verdienst anzuschlagen, wenn ein Mann inmitten der bodenlosen Schwärmerei nüchtern geblieben ist. Meïri war natürlich mit der ausschweifenden Manier der Allegoristen unzufrieden; aber deswegen das Kind mit dem Bade auszuschütten, die Wissenschaft wegen des Mißbrauches zu verpönen, lag seinem Sinne fern108.

Nicht so ruhig betrachteten diese Vorgänge einige Eiferer, die in jener Stadt heimisch waren, welche den Finsterling Salomo aus Montpellier erzeugt hatte, jenen Verketzerer Maimunis und seiner Schriften (o. S. 34), welcher soviel Spaltung und Unheil veranlaßt hat. Obwohl die afterphilosophischen Auswüchse keineswegs schädlicher waren, als die kabbalistischen Alfanzereien, so ließen die Zionswächter doch diese ruhig gewähren und eröffneten gegen jene einen heftigen Krieg, wodurch sie ihnen mehr Gewicht gaben, als sie an sich hatten. Sie hätten um ein Haar das Feuer der Zwietracht im Judentum entzündet. Der erste Anreger dieses unzeitigen Eifers und Streites gehörte jener Menschenklasse an, welche das Glaubensgebiet nach einer schnurgeraden Linie, und zwar nach ihrer eigenen Norm abgrenzen und jede Regung und Meinung, die darüber hinausragt, als Ketzerei verdammen, mit Bannfluch. [222] womöglich mit Feuer und Schwert vertilgt wissen möchten, bei der man den fanatischen Eifer nicht von einer Art Egoismus trennen kann. Dieser Mann war Abba-Mari ben Mose aus Montpellier, mit seinem vornehmen Namen Don Astrüc En-Duran de Lünel109, aus einer angesehenen Familie und von großem Gewichte in der Hauptstadt Languedocs. Abba-Mari Don Astrüc war zwar nicht ohne Bildung, hatte auch große Verehrung für Maimuni und dessen Schriften; aber er hatte sich ein für allemal den Lehrinhalt des Judentums nach Nachmanischem Zuschnitt zurechtgelegt, und war empört, wenn jemand es wagte, einen anderen Maßstab daran anzulegen. In den biblischen und talmudischen Wundern fand Abba-Mari die Bestätigung des Glaubens von der besonderen Vorsehung Gottes für das israelitische Volk. Er nahm daher keinen Anstoß an der Menge der Wundererzählungen, im Gegenteil, je mehr, desto besser. Die Ergebnisse der Philosophie und der Naturforschung, welche die Wunder unglaublich erscheinen ließen, störten ihn nicht. In der Wahl zwischen Mose und Aristoteles oder zwischen den Autoritäten des Talmuds und den Trägern der Philosophie war er keinen Augenblick zweifelhaft, wem er den Vorzug geben sollte. Allerdings ist dieser Gesichtspunkt vollkommen berechtigt; allein Abba-Mari wollte ihn allen anderen aufzwingen und diejenigen verfolgt wissen, welche anders darüber dachten. Ihm war nicht bloß die allegorische Auslegungsweise, welche öffentlich gepredigt wurde, ein Gräuel, sondern die Beschäftigung mit profanen Schriften überhaupt, als Ursache dieser Ausschreitungen. Er bedauerte sehr, daß man nicht mehr über Stab und Geißel verfügen könne, um denen, welche ihren Geist mit der religionsgefährdenden Wissenschaft füllten, das Handwerk zu legen110.

Abba-Mari besaß aber nicht genug Autorität, um gegen Levi aus Villefranche und seine Gesinnungsgenossen vorzugehen; er wandte sich daher (1304)111 an den angesehensten Rabbinen jener Zeit, an Ben-Adret von Barcelona und formulierte eine Anklage gegen sie, daß sie durch ihre Verkehrtheiten den Untergang des Judentums herbeiführen würden, wenn ihnen nicht eine Schranke gesetzt würde. Er legte ihm ans Herz, seine gewichtige Stimme dagegen zu erheben. Ben-Adret fand natürlich [223] ebenfalls die Erscheinung beklagenswert, daß »Fremde in die Tore Zions eingedrungen seien«. Er ermahnte Abba-Mari, sich mit Gesinnungsgenossen zu vereinigen, um diesem Schwindel zu steuern, lehnte aber seine Beteiligung entschieden ab, weil er sich nicht in die Angelegenheiten fremder Gemeinden einmischen möchte. Andere Eiferer nahmen aber die Sache auf und drängten zu einem Entschlusse, darunter Don Bonafoux Vidal (Schaltiel)112 aus Barcelona und sein Bruder Don Crescas Vidal, der nach Perpignan übergesiedelt war, beide hochangesehen und gelehrt, aber ebenso unduldsam wie Abba-Mari. Don Crescas machte einen Vorschlag, der viel Beifall fand. Die Beschäftigung mit den Wissenschaften und überhaupt das Lesen von profanen Schriften sollte der jüdischen Jugend bis zum dreißigsten Lebensjahre untersagt werden. Nur reife Männer, »die ihren Geist bereits mit Bibel und Talmud gefüllt, mögen sich auch an dem fremden Feuer der Philosophie und Naturwissenschaften wärmen.« Von solchen sei keine Ausschreitung zu befürchten113. Obwohl Ben-Adret nicht geneigt war, Maßregeln gegen das Studium der Wissenschaften zu treffen, so hielt er es doch für seine Pflicht, den Urheber so vieler Ärgernisse, Levi aus Villefranche, zu verfolgen. Er nahm es dem frommen Samuel Sulami übel, daß er diesem Ketzer in seinem Hause Obdach einräumte und dadurch Gelegenheit gab, seine schädlichen Ansichten zu verbreiten. Vergebens rechtfertigte der Eiferer Don Crescas Vidal nicht bloß den Beschützer, sondern auch den Schützling und versicherte, daß Levi sich praktisch streng an die talmudische Satzung hielte und bisher sich keine Übertretung habe zu schulden kommen lassen. Vergebens verteidigte sich Levi selbst in einem Schreiben an Ben-Adret114. Dieser setzte nichtsdestoweniger Samuel Sulami so viel zu und machte ihm so viel Gewissenspein, daß der nicht gerade charakterfeste Mann an seinen bisherigen Überzeugungen irre wurde. Als ihm daher eine Tochter gestorben war, glaubte er, es sei eine Folge seiner Versündigung und kündigte Levi die Gastfreundschaft auf115. Viele Mitglieder der Gemeinde von Perpignan waren aber erbittert über diese Ketzerriecherei, und da sie Ben-Adret als einen makellosen Mann kannten, so richtete sich ihre Unzufriedenheit gegen den Anreger Abba-Mari, dem sie unlautere Hintergedanken und persönliche Beweggründe zutrauten116.

[224] Abba-Mari und seine Genossen, die sich ohne kräftige Unterstützung ohnmächtig fühlten, arbeiteten ohne Unterlaß dahin, den Eifer des Barcelonaer Rabbinats zu entzünden, damit dieses die freie Forschung und das Studium der Wissenschaften verbiete. Sie sagten leichtfertig dabei die Zustimmung der ganzen Gemeinde von Montpellier zu, welche tonangebend in Südfrankreich, andere Gemeinden nach sich ziehen würde. Ben-Adret und sein Kollegium, nach der übertriebenen Schilderung Abba-Maris das Judentum in größter Gefahr wähnend, fühlten sich endlich bewogen, darauf einzugehen, wollten aber vorher die Gemeinde von Montpellier ausgeforscht wissen, ob sie tatsächlich dazu geneigt sein würde, sich dem Bannspruche gegen das Studium der Wissenschaften anzuschließen. Ben-Adret, die Mitglieder des Rabbinats und andere Männer sandten hierauf zwei gleichlautende Schreiben an Abba-Mari und an Todros von Beaucaire, sie den Gemeindegliedern vorzulesen, wenn sie dieselben zum Anschluß geneigt finden sollten117. Allein es erfolgte das Gegenteil. Sobald der Plan zur Ächtung der Wissenschaft bekannt wurde, erhob sich bei dem angesehensten Teil der Gemeinde entschiedener Widerspruch dagegen.

Es gab nämlich damals in Montpellier einen durch Familie, Stellung, Reichtum und Kenntnisse vielgeltenden Mann, der gewissermaßen mit der Muttermilch Liebe zu den Wissenschaften eingesogen hatte. Jakob ben Machir Tibbon, in christlichen Kreisen als Don Profiat und Profatius bekannt (geboren um 1245, starb zwischen 1312 und 1322)118, stammte einerseits von dem gefeierten [225] Meschullam de Lünel119, welcher der erste Beförderer eines frischeren Geistes in Südfrankreich war (VI3203), und anderseits war er mit den Tibboniden verwandt und lernte von Hause aus, Judentum und Wissenschaft als zwei Zwillingsschwestern kennen, die sich aufs beste miteinander vertragen. Wie alle gebildeten Juden in jener Zeit kannte er das jüdische Schrifttum, Bibel und Talmud gründlich; er betrieb die Arzneikunde als Fachwissenschaft, verlegte sich aber mit besonderem Eifer auf Mathematik und Sternkunde. Seine genauen Beobachtungen über die Abweichung der Erdachse haben später tonangebende Astronomen ihren Forschungen zugrunde gelegt. Da er sich auch die Kenntnis der arabischen Sprache angeeignet hatte, so war er imstande,[226] nützliche wissenschaftliche Werke aus dieser Sprache ins Hebräische zu übertragen. Jakob Tibbon war als Mann der Wissenschaften so sehr geachtet, daß er, obwohl Jude, von der medizinischen Fakultät in Montpellier zum Regenten (Dekan) ernannt wurde. Die reichen Kenntnisse waren ihm nicht ein Mittel zur Befriedigung der Eitelkeit oder des Ehrgeizes, sondern er betrachtete sie, in richtiger Würdigung, als eine Zierde des Menschen, durch welche er erst zu seiner wahren Bedeutung gelange. Er meinte, in der glücklichen Zeit des jüdischen Volkes seien die Wissenschaften in seiner Mitte heimisch gewesen; Verbannung und Leiden hätten es aber zur Unwissenheit herunter gebracht, und die ehemaligen Meister in der Wissenschaft müßten nun Schüler werden, um sich die Ergebnisse fremder Völker anzueignen. Bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten hatte Jakob ben Machir ein sehr edles Ziel im Auge. Er wollte seine Glaubensgenossen in den Augen der christlichen Welt heben und die Schmähung ihrer Feinde verstummen machen, welche höhnisch ihnen zuriefen, sie seien aller Kenntnisse bar120.

Diesem Manne wurde nun zugemutet, die Hand dazu zu bieten, die Wissenschaft aus den jüdischen Kreisen zu bannen! Wollte nämlich Abba-Mari den Plan in Montpellier durchführen, auch nur die Jugend vom Studium der Wissenschaften fernzuhalten, so durfte er Jakob ben Machir am allerwenigsten übergehen. Denn er stand in seiner Gemeinde wegen so vieler Vorzüge und Verdienste in hohem Ansehen und hatte den größten Einfluß auf die stimmfähigen Gemeindeglieder. In der Tat eröffnete Abba-Mari ihm zuerst das vom Barcelonaer Rabbinat unterstützte Vorhaben gegen das Studium der profanen Wissenschaften und rechnete auf seine Mitwirkung. Mit der allerernstesten Entschiedenheit lehnte Profiat aber nicht bloß die Beteiligung ab, sondern machte den Eiferer auf die traurigen Folgen eines so tief eingreifenden Schrittes aufmerksam und drang in ihn, das öffentliche Verlesen des Schreibens von Ben-Adret zu unterlassen. Nichtsdestoweniger beharrten Abba-Mari und Todros von Beaucaire auf ihrem Entschlusse und bestellten die Gemeindeglieder zu einer wichtigen Besprechung in die Synagoge auf einen Sabbat (Elul = August 1304)121. Es zeigte sich aber sogleich, daß die Eiferer sich getäuscht [227] oder übertrieben hatten in der Angabe, sämtliche Juden von Montpellier würden wie ein Mann der Ächtung der Wissenschaft zustimmen. Ein Teil der Gemeindeglieder fand sich nämlich gar nicht zur Beratung ein, und Jakob ben Machir erhob entschiedenen Protest gegen diese zugemutete Geistesknechtung. Es kam zu heftigen Erörterungen, und die Versammlung ging ohne Beschluß auseinander. Bald scharte sich eine Partei um den würdigsten Vertreter der Wissenschaft, Jakob Tibbon, teils aus Verehrern der Wissenschaft bestehend, teils aus Freunden, Anhängern und aus Schmarotzern des hochgeachteten Führers. Die Finsterlinge und Einfältigen schlossen sich Abba-Mari an, so daß die Gemeinde in Parteiung verfiel122. Beide Parteien warben um Anhänger innerhalb der Gemeinde und auswärts.

Für Abba-Mari war es nämlich ein Ehrenpunkt geworden, die Angelegenheit in seinem Sinn zu Ende zu führen; denn er war vor Ben-Adret und der Barcelonaer Gemeinde durch die Niederlage bloßgestellt. Er wagte auch kaum nach dem für ihn ungünstigen Ausfall der ersten Beratung in der Synagoge dem zu antworten, dem er eine allgemein beifällige Aufnahme seines Vorschlages zugesichert hatte. Er war daher äußerst rührig, wenigstens fünfundzwanzig Unterschriften von Gemeindegliedern zusammenzubringen, um Ben-Adret den Beweis zu liefern, daß er mit seinem Eifer nicht ganz allein stehe. Aber auch für Jakob Tibbon war es eine Ehrensache, die Verpönung der Wissenschaft nicht durchgehen zu lassen. Er und die Tibboniden glaubten nämlich, daß die Angriffe direkt gegen ihre hochverehrten Ahnen, gegen Samuel Ibn-Tibbon und Jakob Anatoli, gerichtet seien, weil des letzteren Predigtbuch Malmed (o. S. 87) zuerst die Manier, biblische Erzählungen und Religionsgesetze zu verflüchtigen, angeregt hatte und damals in gewissen Kreisen zu sabbatlichen Erbauungen benutzt wurde123. Allerdings behandelte Ben-Adret auf Abba-Maris Anregung den Liebling der Tibboniden, Anatoli, mit Geringschätzung124. Auch auf Samuel Ibn-Tibbon, den Übersetzer und Verbreiter maimunischer Ideen, waren die Stockfrommen nicht gut zu sprechen. Sein Urenkel Juda ben Mose bildete daher die Seele der Partei125 – die man die tibbonidische nennen kann – welche Abba-Maris Plan entgegenarbeitete. Um auch ihrerseits fernstehende Anhänger heranzuziehen, sprengten die Tibboniden aus, die Gegner [228] der Wissenschaft hätten es wieder auf die Verketzerung Maimunis und seiner Schriften abgesehen, Abba-Mari wolle Salomo von Montpellier (o. S. 34) wiederholen. Es war das ein sehr glückliches Parteimanöver; es gewann auch solche, die sich sonst gleichgültig zu der Tagesfrage verhielten, weil auch diese sich verpflichtet glaubten, für die Ehrenrettung Maimunis einzutreten. An Jakob ben Machir und seine Partei schloß sich ein Mann von großem Gewichte an, Salomode Lünel, ein sehr beliebter Arzt, der einen Anhang mitbrachte. Salomo de Lünel scheint aber kein warmes Interesse an der Streitfrage gehabt, sondern es lediglich aus Feindschaft gegen Abba-Mari mit dessen Gegnern gehalten zu haben126.

Die solchergestalt verstärkte tibbonidische Partei richtete zunächst ein entschiedenes, geharnischtes Sendschreiben an Ben-Adret und die Barcelonaer, um sie zur Sinnesänderung zu bewegen. Sie konnte zwar keine schlagenden Gründe für die Zulässigkeit der Wissenschaft innerhalb des Judentums geltend machen; aber die Beweise, die sie dafür aufstellte, waren für die damalige oberflächliche Anschauungsweise ausreichend. Sie berief sich auf des Königs Salomo Weisheit »von der Zeder des Libanon bis zum Hysop an der Mauer«, was wohl nichts anderes als Naturkunde gewesen sei. Im Talmud seien ebenfalls Anknüpfungspunkte für Wissenschaften gegeben. Sie könnte den Einwand nicht gelten lassen, daß nicht die Forschung überhaupt, sondern nur für die unreife Jugend untersagt werden sollte. Das sei lediglich ein Umgehen der Hauptsache. Denn wer sich bis zum dreißigsten Jahre nicht mit der Wissenschaft vertraut gemacht habe, sei nicht mehr dafür empfänglich und könne das Versäumte im vorgerückten Alter nicht mehr nachholen. Die Tibboniden protestierten überhaupt dagegen, daß man sie zu Ketzern stempelte, weil sie neben der Thora auch profanen Wissenschaften huldigten. Sie könnten an Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit keinen über sich anerkennen. Die allegorische Auslegungsweise, über welche so viel Lärm geschlagen werde, stünde so vereinzelt, daß sie keinen Grund abgeben könne, ihretwegen jede Wissenschaft zu ächten. – Die Tibboniden ermahnten zum Schluß Ben-Adret und sein Kollegium, das Schwert der Verketzerung und der Zwietracht wieder in die Scheide zu stecken.127

[229] Dieser mutige und herausfordernde Ton von seiten des Jakob ben Machir und seines Anhangs reizte die Barcelonaer empfindlicher, als vermutet werden konnte. Die Spannung wurde dadurch noch mehr gesteigert. Verbitterte und verbissene Sendschreiben flogen hin und her. Von beiden Seiten bemühte man sich, in den übrigen Gemeinden neue Anhänger zu gewinnen und schwankende herüberzuziehen. Die Gemeinden von Argentière, Aix, Avignon und Lünel gaben durch die Stimme ihrer Vertreter Abba-Mari und seiner Partei ihre Zustimmung zu erkennen128. In Perpignan, dem Hauptsitze der so angefeindeten Aufklärung, wühlte ein Verwandter Abba-Maris, namens Mose ben Samuel, zu dessen Gunsten. Es lag jenem nämlich besonders am Herzen, den Beitritt eines Mannes zu erhalten, der vermöge seines Adels und seiner geachteten Stellung in Perpignan und auswärts eine gewichtige Stimme hatte, des Kalonymos ben Todros aus Narbonne, welcher als Abkömmling vom Hause des Königs David galt. Kalonymos schien anfangs nicht geneigt, sich an der Verketzerung der Wissenschaft zu beteiligen; aber Abba-Mari von der einen und Ben-Adret von der andern Seite bestürmten ihn so sehr, daß er endlich seine Zustimmung und Mitwirkung zusagte129. Da indessen auch die tibbonidische Partei neue Anhänger fand, so wurde selbst Ben-Adret bedenklich, das letzte Wort in dieser Streitsache zu sprechen, und wollte nicht eher mit der Verhängung des Bannes vorgehen, bis sich nicht mindestens zwanzig Gemeinden entschieden dafür erklären würden130.

Während noch in dem Streite für und wider die Zulässigkeit des wissenschaftlichen Studiums unter den Juden in Südfrankreich und Spanien das Zünglein hin und her schwankte, traten für die deutschen Gemeinden die allertrübseligsten Ereignisse ein, welche eine Persönlichkeit nach Spanien verschlugen, die den Ausschlag zur Verketzerung und Ächtung jeder freien Forschung gegeben hat. Es war ein Mann von hoher Sittlichkeit und seltener Selbstlosigkeit, von reinem Streben, inniger Religiosität und der allergründlichsten talmudischen Gelehrsamkeit, aber von dem fanatischen Hasse seiner Landsleute gegen das profane Wissen erfüllt und ihn fast noch überbietend. Mit der Einwanderung Ascheris oder R. Aschers aus Deutschland nach Spanien beginnt [230] ein ungünstiger Wendepunkt für die Kulturbestrebungen der spanischen und provenzalischen Juden.

Ascher ben Jechiel (geb. um 1250, st. 1327)131 aus der Rheingegend, stammte von Ahnen, die im Talmud ihre ganze Welt hatten. Sein Vater war ein bedeutender Talmudist und von so außergewöhnlicher Religiosität, daß die Sage Wunder von ihm erzählte132. Zuhörer des gefeierten Meïr von Rothenburg, eignete sich Ascheri die scharfsinnige tossafistische Lehrweise an, verfaßte tossafistische Arbeiten, hatte aber mehr Sinn für Methode und Ordnung als diese Schule. Nach dem Tode seines Lehrers, dessen Leiche nicht einmal der gewissenlose Kaiser Adolf von Nassau ohne Entgelt zur Bestattung ausliefern mochte, wurde Ascheri zu den bedeutendsten rabbinischen Autoritäten Deutschlands gezählt133. – Zu seiner Zeit brach wieder ein Paroxismus der Judenhetzen in Deutschland134 aus, welche die zu den Zeiten der Kreuzzüge weit, weit übertrafen; sie raubten Tausenden von unschuldigen Menschen das Leben oder überlieferten sie [231] einem Elend, weit schlimmer als der Tod. Der Bürgerkrieg, welcher damals in Deutschland infolge der Thronstreitigkeiten um den inhaltsleeren Glanz des deutschen Kaisertums zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Österreich wütete, verhieß Straflosigkeit für verwegene Angriffe auf die von der Kirche und der Gesellschaft geächteten Juden. Eine Gelegenheit war leicht gefunden. Es hieß, die Juden des Städtchens Röttingen (in Franken) hätten eine Hostie geschändet und sie in einem Mörser zerstoßen; daraus sei nun Blut geflossen. Ein Edelmann dieses Ortes, namens Rindfleisch, nahm sich der angeblich geschändeten Hostie an, gab vor, er sei vom Himmel berufen worden, das verfluchte Geschlecht der Juden vom Erdboden zu vertilgen und sammelte den leichtgläubigen, verdummten Pöbel um sich, als Helfer zu seinem blutigen Beginnen. Er und seine Schar überlieferten zuerst die Mitglieder der Gemeinde Röttingen dem Feuertode (Sonntag, 7. Ijar = 20. April 1298). Von hier aus zog die Rotte der Judenschlächter unter Rindfleischs Anführung von Stadt zu Stadt, nahm Gesinnungsgenossen in ihren Reihen auf und machte alle Juden nieder, die ihr in die Hände fielen, es sei denn, daß sie sich zum Christentume bekehrten. Rindfleisch, von verwegenem Mute und falscher Begeisterung getrieben, zwang förmlich die Bürger der Städte, gegen ihre jüdischen Mitbewohner zu wüten. Die große Gemeinde Würzburg wurde vollständig aufgerieben (12. Ab = 24. Juli). In Nürnberg hatten sich die Juden zuerst in die Burg geflüchtet, aber auch da angegriffen, setzten sie sich mit Hilfe menschlich gesinnter Christen zur Wehr, unterlagen natürlich zuletzt und wurden sämtlich ermordet (22. Ab = 1. Aug.). Ascheris Verwandter und Studiengenosse Mardochaï ben Hillel, der ein sehr geschätztes rabbinisches Sammelwerk angelegt hatte, fiel in derselben Zeit135 mit seiner Frau und fünf Kindern als Märtyrer. Viele Eltern, welche fürchteten, daß ihre Kinder aus Todesfurcht nicht standhaft im Glauben bleiben würden, warfen sie mit eigenen Händen in die Flammen und stürzten sich nach. In Bayern entgingen einzig die Gemeinden von Regensburg und Augsburg dem Gemetzel. In der ersten Stadt, wo sie von altersher Bürgerrecht hatten schützte sie der Rat136 mit vieler Ausdauer. Auch in Augsburg verteidigten sie der Rat und die Bürgerschaft gegen den Würger Rindfleisch und seine Horde. Aus Dankbarkeit verpflichteten sich die Augsburger Juden, auf eigene Kosten vor ihrem Kirchhofe eine Mauer zum Schutze der [232] Stadt aufzuführen und stellten darüber eine Urkunde aus, mit ihrem Insiegel versehen, welches eine hebräische und lateinische Inschrift und als Emblem einen Doppeladler mit einem Hute darüber hatte137.

Diese blutige Verfolgung wälzte sich von Franken und Bayern nach Österreich, raffte über 140 Gemeinden und über 100000 Juden hin und dauerte beinahe ein halbes Jahr138. Sämtliche Juden Deutschlands zitterten und waren auf den sichern Untergang vorbereitet139. Es wäre in der Tat dahin gekommen, wenn der Bürgerkrieg in Deutschland nicht durch den Tod des Kaisers Adolf und die Wahl Albrechts zu Ende gegangen wäre140. Der zweite Habsburger, welcher den gestörten Landfrieden kräftig wieder herstellte, zog diejenigen, welche sich an den Juden vergangen hatten, zur Rechenschaft und legte den dabei beteiligten Städten Strafgelder auf141, schon aus dem Grunde, weil er durch den Verlust seiner Kammerknechte und ihrer Habe an seinem Fiskus Einbuße erlitten hatte. Den Juden sagte er wieder den Reichsschutz zu142, wie sie ihn vorher von Königen und Kaisern versichert und verbrieft erhalten hatten. Die Schuldforderungen der getöteten Juden, von denen auch selten ein Erbe übrig geblieben war, eignete er sich zu[233] oder überließ sie dem Erzkanzler des Reiches, dem Erzbischof von Mainz, von dem ihm zugehörigen Gebiete143. – Von den unter den Schrecken getauften Juden kehrten die meisten zum Judentum zurück; wie es scheint, haben der Kaiser und auch die Vertreter der Kirche dabei ein Auge zugedrückt. – Die Nachwehen dieses Gemetzels waren auch trübe genug. Die Frauen derer, welche umgekommen waren, konnten nicht die Gewißheit vom Tode ihrer Gatten durch jüdische Zeugen nachweisen, weil keine Männer übrig geblieben waren, welche dieses Zeugnis hätten ablegen können. Sie konnten sich lediglich auf die Aussage der getauften Juden berufen, und diese mochten manche Rabbinen – nach talmudischen Ehegesetzen – nicht als vollgültige Zeugen gelten lassen, weil sie ihre Religion verleugnet hatten. Ascheri aber war einsichtsvoll genug, die Strenge des Buchstabens hierbei nicht walten zu lassen, berief sich auf ältere Autoritäten und gestattete den unglücklichen Witwen die Wiederverheiratung auf das Zeugnis der früher getauften, dann aber zurückgekehrten Juden144.

Ascheri fühlte sich aber nach diesem blutigen Gemetzel in Deutschland nicht behaglich, oder es drohte ihm gar eine Gefahr von seiten des Kaisers Albrecht. Es heißt, der Kaiser habe von ihm die Summe gefordert, welche die Juden als Lösegeld für den verhafteten Meïr von Rothenburg hatten zahlen sollen, und deren Bürgschaft Ascheri übernommen hätte145. Er verließ hierauf Deutschland (Sommer 1303)146 und wanderte mit seiner Frau, seinen acht Söhnen und Enkeln von Land zu Land. Anfangs wollte er sich in Savoyen niederlassen, wo ihm die Gemeinden mit vieler Ehrerbietung entgegengekommen waren. Als er aber erfuhr, daß der damalige Herzog von Savoyen von dem deutschen Kaiser abhängig sei und er von ihm ausgeliefert werden könnte, begab er sich nach Südfrankreich, wurde überall und namentlich in Montpellier, noch vor dem Ausbruche des Streites, wegen des ihm vorangegangenen Rufes aufs ehrenvollste behandelt und ließ sich endlich zu Toledo, der größten Stadt Spaniens, nieder (Januar 1305)147. Mit Freuden wurde er, der bereits hochberühmte deutsche Rabbiner, von der Toledaner Gemeinde in das erledigte Rabbinat eingesetzt. Mit [234] Ascheri war aber der Geist der trüben und wissensfeindlichen Überfrömmigkeit in die spanische Hauptstadt eingezogen.

Ascheri machte aus seiner Abneigung gegen jedes profane Wissen kein Hehl. Er konnte nicht begreifen, wie sich selbst fromme Juden in Südfrankreich und Spanien mit etwas anderem als dem Talmud beschäftigen konnten. Mit entschiedener Verachtung sah er auf das Streben der spanischen und provenzalischen Juden herab, gerade auf das, worauf diese so stolz waren. Er dankte seinem Schöpfer, daß er ihn vor der Verderbnis der Wissenschaft bewahrt habe148. Selbst in der Talmudkunde traute er den Südfranzosen und Spaniern keine Meisterschaft zu und behauptete, die deutschen und nordfranzösischen Juden allein besäßen durch Überlieferung eine Erbweisheit von der Zeit der Tempelzerstörung her, welche den Gemeinden anderer Länder abginge149. Ein solcher Mann ohne Verständnis für Wissenschaften und von Widerwillen erfüllt gegen alles, was nicht Talmud heißt, mußte einen wissensfeindlichen Einfluß üben. Ihm gegenüber erschien Salomo Ben-Adret selbst halb und halb als Freigeist.

Abba-Mari benutzte sogleich den Mann, von dem er sich die wirksamste Unterstützung für seine Sache versprach. Er ging ihn an, sich in der schwebenden Frage auszusprechen. Natürlich billigte Ascheri diesen Eifer ungemein, meinte aber, daß er noch nicht weit genug gegangen sei, daß mit dem Vorschlage, Wissenschaften nur im reifen Alter treiben zu dürfen, das Übel nicht getilgt werden könne. Das Gift der Ketzerei sei zu sehr verbreitet, alle seien davon angesteckt, und die Frommen träfe der Vorwurf, daß sie dabei die Augen zudrückten. Seiner Ansicht nach sollte eine Synode zusammenberufen und auf derselben der Beschluß gefaßt werden, sich einzig und allein mit dem Talmud zu beschäftigen, die Wissenschaften aber nur in der Zeit, wo es weder Tag noch Nacht ist, das heißt soviel wie gar nicht zu treiben150. Diese ausschließliche Talmudgläubigkeit, welche gar keine Zugeständnisse irgendwelcher Art zuließ, getragen von einer tatkräftigen, sittlich lauteren Persönlichkeit, machte einen überwältigenden Eindruck auf die ein wenig zerfahrenen [235] Gemüter der spanischen Juden. Ben-Adret selbst, der bis dahin noch immer gezögert hatte, sich an die Spitze zu stellen, erklärte mit einem Male, er sei bereit, mit dem Banne vorzugehen; nur sollten Abba-Mari und der Fürst Kalonymos aus Narbonne die Formel dazu aufsetzen151. Ein Eiferer und Dienstbeflissener, Simson ben Meïr, Jünger des Ben-Adret, erbot sich, von zwanzig Gemeinden zustimmende Unterschriften zusammenzubringen. Dabei wurde namentlich auf Toledo gerechnet, das von Ascheris Geist bereits beeinflußt war, und dann auf Kastilien überhaupt, das in der Regel von der Hauptgemeinde Anregung empfing und sich nach ihr richtete152.

Wie sehr aber dieser Eifer erkünstelt und wie wenig er im Sinne der Mehrheit war, zeigte sich namentlich in der Gemeinde Montpellier, welche die Abba-Maristen als Zionsburg ausgaben. In dieser Gemeinde wagten die Eiferer nicht einmal Unterschriften für den Bannfluch zu sammeln. Wie zum Hohn kündigte einer der Tibboniden an, er werde an einem Sabbat eine Vorlesung aus Anatolis Predigtbuch halten, und sofort fanden sich zahlreiche Zuhörer ein153. Abba-Mari, der sich Ben-Adret gegenüber stets als eine kräftige Stütze geltend gemacht und ihm vorgespiegelt hatte, er habe die ganze Gemeinde, bis auf wenige Verblendete und durch den Tibboniden Juda Verführte, hinter sich, mußte ihm jetzt halb und halb eingestehen, auf Montpellier sei in dieser Angelegenheit nicht viel zu rechnen. In dem Bewußtsein, daß ihre Partei in Südfrankreich in der Minderzahl sei, faßten die beiden Hauptführer, Abba-Mari und Kalonymos aus Narbonne, die Bannformel in Form wie Inhalt unerwartet milde. Sie sollte erstens nur das Lesen naturwissenschaftlicher wie metaphysischer Schriften verbieten, jedes andere Wissensfach aber ausdrücklich gestatten. – Zweitens sollten überhaupt Schriften von jüdischen Verfassern, wenn sie auch Naturwissenschaften oder Metaphysik behandelten, vom Verbote ausgeschlossen werden154. Schon früher hatte Abba-Mari auch aus Rücksichtnahme auf die Gegner den Vorschlag gemacht, die Zeit zu beschränken und nicht erst vom dreißigsten, sondern schon vom fünfundzwanzigsten Lebensjahre an das Studium jedes Wissensfaches zu gestatten155.

Ben-Adret aber, der keine Halbheit und keinen Rückzug dulden [236] mochte, war nun viel strenger geworden. Er, der früher getrieben und gedrängt werden mußte, wurde jetzt der Treibende. Der Einfluß Ascheris ist hierbei nicht zu verkennen. An dem Trauersabbat zur Erinnerung an die Zerstörung Jerusalems ließ er mit seinem Beirat den Fluch gegen das Studium der Wissenschaften unter feierlichen Zeremonien mit der Thorarolle im Arme verlesen (4. Ab = 26. Juli 1305). Wer unter dem fünfundzwanzigsten Lebensjahre irgendeine wissenschaftliche Schrift läse, sei es in der Ursprache oder in hebräischer Übersetzung, sollte dem allerstrengsten Banne verfallen. Dieser Bann sollte ein halbes Jahrhundert in Kraft bleiben. Die philosophischen Ausleger der heiligen Schrift wurden jenseits zur Hölle verdammt und diesseits mit dem Banne belegt und ihre Schriften zum Scheiterhaufen verurteilt156. Da mit den hebräisch verfaßten wissenschaftlichen Schriften keine Ausnahme gemacht wurde, so unterlagen nach Fassung der Bannformel nicht bloß Anatolis Predigtbuch, sondern auch Maimunis philosophische Schriften der Ächtung. Ben-Adret und sein Kollegium gestatteten lediglich das Studium der Arzneiwissenschaft aus dem Grunde, weil die Pflege derselben im Talmud zugelassen werde. – Das war das erste Ketzergericht im jüdischen Kreise, und Ben-Adret stand an seiner Spitze. Die Dominikaner hatten in der Judenheit gelehrige Nacheiferer gefunden. – Nach der Gemeindeordnung im Mittelalter war aber jede Gemeinde selbständig, und die Beschlüsse der einen hatten keine Verbindlichkeit für eine andere. Der ausgesprochene Bann hatte daher, so lange nicht andere Gemeinden ihm beitraten, lediglich für Barcelona Gültigkeit. Ben-Adret sorgte aber dafür, ihn auch von andern Gemeinden annehmen zu lassen. Die Bannformel, unterzeichnet von Ben-Adret, seinen zwei Söhnen, Isaak und Juda, und mehr als dreißig der angesehensten Gemeindeglieder von Barcelona, wurde den Gemeinden Spaniens, Languedocs, Nordfrankreichs und Deutschlands zugeschickt157.

Indessen ging es mit der Annahme des Bannes nicht so leicht, als die Barcelonaer sich geschmeichelt hatten. Jakob ben Machir und sein Anhang hatten vorher davon Wind bekommen, daß in Barcelona ein Schlag vorbereitet werde, und veranstalteten ihrerseits einen Gegenschlag. Der Streich sollte von vornherein die Wirkung des Bannes gegen das Studium der Wissenschaft vereiteln. Sie faßten in Montpellier [237] einen Beschluß, welcher drei wichtige Punkte enthielt. Der Bann sollte diejenigen treffen, welche aus religiösem Skrupel ihre Söhne, in welchem Alter auch immer, am Studium irgendeiner Wissenschaft, in welcher Sprache auch immer, hinderten oder davon zurückhielten, dann auch diejenigen, welche ein unehrerbietiges verketzerndes Wort gegen den großen Maimuni aussprechen, und endlich auch diejenigen, welche einen religiösen Schriftsteller wegen seines philosophischen Gedankenganges verlästern würden158. Der letzte Punkt war zugunsten von Anatolis Andenken, das die Gegner geschmäht hatten, angebracht worden. Da war also Bann gegen Bann. Jakob Tibbon und seine Freunde ließen den Beschluß zugunsten der Wissenschaft und ihrer Träger in der besten Form in der Synagoge bekannt machen und der größte Teil der Gemeinde von Montpellier trat ihm bei159. Der Parteieifer trieb aber die Tibboniden, einen unbesonnenen Schritt zu tun, der dieselben unangenehmen Folgen hätte herbeiführen können, wie zur Zeit des ersten Streites in Montpellier von seiten der Finsterlinge. Da Jakob ben Machir Profatius und andere aus seiner Partei bei dem Gouverneur dieser Stadt in Ansehen standen, so wollten sie sich dessen Beistand für den Fall versichern, wenn ihre Gegner den Barcelonaer Bann gewaltsam einzuführen versuchen sollten. Der Gouverneur erklärte ihnen aber, ihn interessiere nur der einzige Punkt, daß die jüdische Jugend nicht gehindert werden sollte, andere als talmudische Schriften zu lesen. Darauf werde er auch streng halten, daß ihr die Beschäftigung mit außertalmudischer Literatur nicht verkümmert werden sollte, weil – wie er sich freimütig äußerte – er nicht zugeben werde, daß ihr die Mittel zu ihrer etwaigen Bekehrung zum Christentum durch den Bann entzogen würden. Die andern Punkte dagegen seien ihm gleichgültig160.

Abba-Mari und sein kleiner Anhang waren nun in Verzweiflung wegen der Rührigkeit der Gegenpartei. Da der Bannspruch zugunsten des unbeschränkten Studiums der Wissenschaft von der Mehrheit der Gemeinde angenommen war, so war er, nach rabbinischem Gesetze, auch für die Minderheit und also auch für deren Führer bindend, und sie durften gesetzlich dem Bann von Barcelona nicht beitreten. Gerade ihnen, den Eiferern, den Anregern des Streites, waren die Hände gebunden, sie waren im eigenen Netz verstrickt. Sie taten, was sie tun [238] konnten; sie protestierten zunächst gegen den Bannspruch der Tibboniden und brachten ihren Protest zu jedermanns Kunde. Aber sie konnten sich nicht verhehlen, daß sie eine Niederlage erlitten hatten und mußten bei Autoritäten herumfragen, ob der Beschluß der Tibboniden auch für sie bindend sei oder nicht. Ben-Adret kam dadurch ebenfalls in Verlegenheit. Die Partei des Jakob ben Machir glaubte oder wollte glauben machen, daß das Verbot der Barcelonaer, die Jugend von wissenschaftlichen Schriften fernzuhalten, auch die maimunischen Werke treffen sollte. Sie gab sich dadurch das Ansehen, sowohl für die Ehrenrettung Maimunis eingetreten zu sein, als überhaupt für die Verherrlichung des Judentums zu kämpfen, während ihre Gegner, Ben-Adret mit eingeschlossen, es durch ihre Einseitigkeit und Starrheit der Geringschätzung und Verhöhnung in den Augen gebildeter Christen aussetzten. Die wissensfreundliche Partei schien die öffentliche Meinung immer mehr für sich zu gewinnen.

Es trat auch für sie ein junger Dichter auf, dessen beredtes, schwungvoll gehaltenes Verteidigungsschreiben zu jener Zeit viel Aufsehen machte und ein treues Bild von den Stimmungen und Regungen gibt, welche den Anhängern der Wissenschaft damals durch die Seele zogen, und das darum noch heute Interesse erweckt. In demutvoller Haltung, aber mit männlichem Mut sagte der Dichter Ben-Adret Wahrheiten, welche er in seiner Umgebung nicht zu hören bekam. Dieser junge Dichter, der sich durch sein Sendschreiben mehr berühmt gemacht hat, als durch alle seine Verse, war Jedaja En-Bonet ben Abraham, mehr bekannt unter dem Namen Bedaresi (aus Beziers) und unter dem Dichterbeinamen Penini (geb. um 1280, st. um 1340)161. Jedaja Penini, Sohn des bombastischen Dichters Abraham Bedaresi (o. S. 188), hatte günstigere Anlagen zu einem Dichter als sein Vater; er besaß eine lebhafte Phantasie und einen übersprudelnden Wortreichtum, ihm fehlte nur maßhaltender Takt und ein würdiges, allgemein zusagendes oder die Herzen ergreifendes Ziel für die Poesie. Aber gerade dieser Mangel stempelte seine Dichtungen zu einer hohlen Schönrednerei und zu nichtssagender Künstelei. Er hatte den Erbfehler seines Vaters, die Fülle der Sprache nicht durch die Regel der[239] Schönheit beherrschen zu können. Auch künstelte und moralisierte er zu viel, statt zu erheben und fortzureißen. Im siebzehnten Lebensjahre verfaßte Jedaja Bedaresi ein Sittenbuch (Pardes) und dichtete, auch noch in frühester Jugend, beim Leben seines Vaters, ein Gebet von etwa hundert Versen, in dem jedes Wort mit einem und demselben Buchstaben anfängt (Bekaschot ha-Memin)162, das sein Erzeuger sehr bewunderte, vielleicht auch die Zeitgenossen, das aber nichtsdestoweniger geschmacklos ist. Ein Bewunderer Maimunis und Ibn-Esras schätzte Bedaresi der Jüngere die Wissenschaft und die Philosophie ebenso hoch wie das Judentum, oder sie gingen ihm, wie den meisten Denkgläubigen jener Zeit, ineinander auf. Er hat Ibn-Esras Kommentarien zur heiligen Schrift überkommentiert, und Maimuni stellte er noch über die Gaonen.

Bedaresi fühlte sich ebenfalls in seinen Überzeugungen durch Ben-Adrets Bannspruch aufs tiefste angegriffen. Er glaubte ebenfalls, daß der Bann eigentlich gegen Maimunis Namen gerichtet sei. Darum ließ es ihn nicht ruhen, ein scharfes Wort zu den Verketzerern zu sprechen. Da er in Montpellier lebte163 und sicherlich zu der Partei des Jakob ben Machir gehörte, so mag er wohl sein Verteidigungsschreiben an Ben-Adret, zugunsten Maimunis und der Wissenschaft, auf deren Antrieb verfaßt haben (Dezember 1305 oder Januar 1306)164. Dieses Sendschreiben, sowie die meisten in dieser Streitsache geschriebenen, waren nicht bloß für die Person, an die sie gerichtet waren, sondern für das lesende jüdische Publikum überhaupt berechnet. Es waren Pamphlete, die vervielfältigt und verbreitet wurden. Nachdem Bedaresi in diesem Sendschreiben seine Verehrung für den charaktervollen und gelehrten Rabbiner von Barcelona an den Tag gelegt. bemerkte er, daß er und seine Freunde nicht wegen des Bannes empört seien. Denn die Wissenschaft sei unverletzlich und könne von dem Bannstrahl nicht getroffen werden. Sie fühlten sich nur dadurch verletzt, daß Ben-Adret die jüdischen Gemeinden Südfrankreichs in Bausch und Bogen als halbe Ketzer und Abtrünnige gebrandmarkt und sie in seinem Sendschreiben an viele Gemeinden und Länder der Verachtung ausgesetzt habe. Ben-Adret [240] habe sich von Abba-Mari ins Schlepptau nehmen lassen und eine Mücke für einen Elefanten angesehen. Es gäbe in den südfranzösischen Gemeinden nur sehr wenige, welche an der allegorischen Auslegungsweise der Schrift und Agada Gefallen fänden, und die Urheber selbst hätten es gar nicht so arg gemeint, um den Bann zu verdienen. Von jeher von Saadias Zeit an, sei die Wissenschaft im Judentum nicht bloß geduldet, sondern gehegt und gepflegt worden, weil ihr Nutzen für eine religiöse Erkenntnis unbestreitbar sei. Auch wären die Verketzerer nicht folgerichtig verfahren; sie hätten die Arzneiwissenschaft vom Banne ausgeschlossen, während diese ganz ebenso gut wie alle andern Wissensfächer eine Seite habe, welche gegen die Religion ankämpfe. Wie könnten sie nur wagen, Maimunis Schriften anzutasten, dessen glanzvolle Persönlichkeit alle vorangegangenen Größen überstrahle! Zum Schluß bemerkte Jedaja Bedaresi, daß bereits heftige Feindseligkeiten der Parteien in Montpellier ausgebrochen seien. Ob sie es denn noch weiter treiben wollten, daß die Christen Schadenfreude an der Uneinigkeit der Juden haben sollten? »Wir können die Wissenschaft nicht aufgeben, sie ist unser Lebensodem. Selbst wenn Josua aufträte und sie uns verböte, könnten wir ihm nicht Folge leisten. Denn wir haben einen Gewährsmann, der euch alle überwiegt, Maimuni, der sie uns empfohlen und eingeschärft hat. Wir sind bereit, Vermögen, Kinder und unser Leben selbst dafür einzusetzen.« Er forderte zuletzt Ben-Adret auf, seine Freunde in Montpellier zu ermahnen, von ihrer Verketzerungssucht abzustehen und die Flamme des Streites nicht weiter zu schüren165.

In derselben Zeit waren auch in der Kirche glühende Streitigkeiten ausgebrochen zwischen dem König Philipp IV. von Frankreich und dem Papst Bonifacius VIII.; aber hier handelte es sich nicht um ideale Güter, nicht um Wissenschaft und freie Forschung, sondern lediglich um Herrschaft, Macht und Mammon. Die beiden Parteihäupter befehdeten einander auf Tod und Leben. Der König klagte den Papst der Ketzerei, der Simonie, der Habsucht, des Meineides und der Unzucht an. Und der Papst entband die Untertanen ihres Eides gegen den angestammten König und verschenkte dessen Reich. Die jüdischen Streitigkeiten hatten nicht diese Tragweite, gingen aber auch nicht aus einer so bodenlosen Verderbtheit hervor.

Ben-Adret und einige andere, welche den Bannfluch unterschrieben hatten, Mose Iskafat Meles und Salomon Gracian, waren [241] von Bedaresis Sendschreiben so unangenehm berührt und fürchteten dessen Wirkung so sehr, daß sie sich beeilten, die Erklärung abzugeben, sie hätten es keineswegs auf die Schriften Maimunis gemünzt, den auch sie aufs höchste verehrten. Sie ermahnten sogar Abba-Maris Partei, um der Judenfeinde willen Frieden mit ihren Gegnern zu machen166. Allein die Streitsache stand nicht mehr so harmlos, um friedlich beigelegt werden zu können. Die gegenseitige Erbitterung war zu heftig und zu sehr auf das Gebiet des Persönlichen geraten. Auch wollte jede der beiden Parteien auf ihrem Standpunkte Recht behalten und konnte auf keine Vermittlung eingehen und keine Zugeständnisse machen. Beide beharrten daher auf ihrem Prinzip; die eine Partei wollte ihren Beschluß durchsetzen, die Wissenschaft müsse freigegeben werden, die andere machte ihren Protest geltend, die Jugend müsse vor der Reife von dem schädlichen Gifte der Erkentnis ferngehalten werden. Während die Abba-Maristen noch nach gutachtlichen Zustimmungen jagten, um den Bann der Gegner als unberechtigt erklären zu lassen167, trat ein trübes Ereignis ein, welches wie ein Wirbelwind die Freunde auseinandertrieb und die Feinde gegeneinander schleuderte.


Fußnoten

1 Vgl. über ihn die Bibliographen.


2 Vgl. Note 12.


3 Dieselbe Note.


4 Gavison Omer ha-Schickcha p. 125 b. Das Gedicht ist wegen des Wortspieles unübersetzbar und überhaupt dunkel:

?םיכובנ ךיפיעס המ ילע ךוטפשי תומל תע םיכלמ

םיטפוש תעב עשוהי לאומש (?) רחא שיו ?המהז ילע .םיכלמ


5 In seinem kabbalistischen Werke Ozar ha-Kabod p. 2 b. Er verfaßte auch ein anderes kabbalistisches Werk, vgl. oben S. 131, Anm. 3.


6 Das. p. 16 b.


7 Das. p. 39.


8 Öfter in genanntem Werke.


9 תומבי תילע, vgl. Asulaï und andere Bibliographen.


10 Über das Bibliographische vgl. außer den Bibliographen: Carmoly, Revue orientale I, p. 61 p. Von Latifs Werken sind gegenwärtig vollständig gedruckt: Kommentar zu Kohelet s.a. et l. (Wolf III, p. 585); רומה רורצ (in Kerem Chemed IX, p. 154 f.) und תרוצ םלועה (Wien 1862 ed. S. Stern), beide später verfaßt, da er die früheren Schriften darin zitiert. Über sein Werk םימשה רעש vgl. S. Sachs, Kerem Chemed VIII, p. 88 ff. Das unter demselben Titel Ibn-Esra zugeschriebene gehört nicht diesem, sondern Allatif an. Sein Zeitalter ist durch seine Beziehung zu Todros Abulafia gegeben (vgl. Note 12). In seinem ךלמה יזנג soll Allatif im Vorworte angeben, er habe das Schaar ha-Schamajim vollendet 'ד 'ה תנש, 1244. Diese Zahl fehlt aber in der Ausgabe in Kochbe Jizchak von Stern 1862, p. 7, wohl aber sagt er daselbst, er habe dieses in der Jugend verfaßt, יזנג im Alter und noch später רומה רורצ.


11 Vgl. das ziemlich richtige Urteil über ihn in Isaak ben Scheschet Respp. No. 157 gegeu Ende.


12 Zurat ha-Olam.


13 Ginse p. 13. Zeror ha-Mor c. 6: (תביחמ ת"ישה תעיד) וב לכהו לכב ותויה.


14 Zeror das.


15 Ginse ha-Melech vgl. Kerem Chemed VIII, p. 89.


16 Vgl. das Bruchstück in Schem-Tobs Emunot IV, c. 14, p. 48 b, angeblich von dem Fürsten Chasdaï.


17 Über Abr. Abulafia vgl. Orient. Literaturbl. 1845, No. 24 ff. von dem jung verstorbenen Gelehrten Landauer, welcher zuerst auf ihn aufmerksam machte; ferner Jellinek: Auswahl kabbalistischer Mystik 1. Heft, Seite 16 ff., dessen Philosophie und Kabbala 1. Heft und zu den Biographica Bet ha-Midrasch III, Einl., S. XI ff. – In seiner Selbstbiographie, zitiert an der letztgenannten Stelle, bemerkt Abulafia, er sei in Saragossa geboren und als Säugling mit seinen Eltern nach Tudela in Navarra gekommen. Seine schriftstellerischen Leistungen sind von Jellinek zusammengestellt in »Philosophie und Kabbala«


18 Einen Teil seiner Selbstbiographie gibt er in רצוא זונג ןדע bei Jellinek, Bet ha-Midrasch l.c.


19 Vgl. seine vernichtende Kritik aus seinem Imre Schefer, Note 3.


20 Diese Alfanzereien entwickelt er in: םלוע ייח רפס אבה und in: לכשה רוא bei Jellinek, Philosophie und Kabbala, p. 40, 41, 43 f. Entweder Abulafia oder ein ähnlicher Schwärmer legte solchen Unsinn sogar Maimuni in den Mund. Die pseudepigraphische Schrift םירתס תליגמ (in Chemda Genusa p. 42 ff.), worin Maimuni angeblich seine Philosophie dementiert und den Standpunkt der Kabbala einnimmt, gibt ähnliche Mittel an, den prophetischen Geist zu erwerben.


21 Sendschreiben an Jehuda Salmon (Jellinek, Auswahl I. Heft, p. 20) תוריפסה הלבקה ילעבש ךעידוא ךכיפלו השלש םהש םירמוא םיוגהש ומכו והורשעו םשה תא דחיל ובשח יכ םירמואו םינימאמ הלבקה ילעב תצקמ ןכ, דחא השלשהו דחא םה הרשעהו תוריפס רשע תוהולאה. Daraus ergibt sich, daß Abulafias Sätze, welche der Trinität günstig klingen (zusammengestellt Orient a.a.O., col. 473), nicht sein Ernst waren.


22 In Ozar Eden Ganus (bei Jellinek, Bet ha-Midrasch III, Einl., p. XLI): םינש (יתדמל) םולש תנידמבו 'ר ינשהו תולבק תצק ינממ לבקש איבנה לאומש 'ר םהמ דחאה המב האלפומ החלצה חילצה קפס ילב אוהו – אליתקג ףסוי היה ומע 'הו הברה ותעדמו וחוכמ ףיסוהו ינפל דמלש!


23 Landauer in Orient a.a.O., col. 382.


24 Ozar Eden a.a.O.


25 Landauer a.a.O., col. 384.


26 Folgt aus Ben-Adrets Respp. No. 548.


27 Das. und Abr. Abulafias Sendschreiben an Jehuda Salmon in Barcelona.


28 Ben-Adret, Responsum a.a.O.


29 הירכז רפס oder תואה 'ס (Ms. geschrieben 1288): רבדיו ןכ שעיו ומשב רשב ילרעו בל ילרע םיוגל רבדל 'ה הוציו וחטב יכ 'ה לא ובש אל קר 'ה תורושבב ונימאיו םהל יתצפח אל רשאב םיראפתמה לארשי ימכח – – – – םברחב והבשחנ יכ ונובשח ונליעוי המו – 'ה םש בושחנ עודמ םירמואה ליעוהל לכונ םב יכ בהז יניגמו ףסכ ידקפמ ירפסמ ונל בוט אלה וניבהוא לכלו ונל.


30 רפש ירמא (verfaßt 1391, bei Jellinek, Philosophie und Kabbala, S. 34 f.): התכמל האופר ןיא רשא תכה תאז איה – םלצא םתמכח רשא םויה דומלתה ימכה בור תללוכ םשה עדויה ןיבו ידומלתה ןיב שרפהה – – תומכחה לכ תילכת דומלה יוגה ןיבו ידוהיה ידומלתה ןיבש שרפהכ שרופמה.


31 תוביתנ עבש (bei Jellinek a.a.O., p. 23).


32 Vgl. Note 12.


33 Chajim Ibn-Musa (bl. um 1450) berichtet in seinem antichristianischen Werke חמורו ןגמ (Ms.) von den Wundertätern, die es mit denen in den Evangelien aufnehmen könnten: 'ר (הלבק ךרדב) םיאלפ השע וננמזבו 'רו רשא 'רו ןבמרה רבכשבו לירטוב השמ 'רו ונוסרוקלא בקעי אייליטאקיג ףסוי (Ms. der Breslauer Seminarbibliothek, Kodex XXIV, T. II, Bl. 135). Auch Zakuto bezeichnet ihn als: םיסנה לעב אלטיקיג ףסוי 'ר; die editio Filipowski des Jochasin hat noch den Zusatz: רובקה לייפאייניפב (p. 224 a). Joseph G's. Geburtsjahr hat Jellinek richtig bestimmt nach einem Ms. des זוגא תניג, das der Verfasser 5034 = 1274 im sechsundzwanzigsten Jahre geschrieben hat (Bet ha-Midrasch III, Einl. S. XL, Note). Über J. G.'s Schriften vgl. die Bibliographen, Zunz, Additamenta zum Katalog der Leipziger hebräischen Bibliothek und Jellinek, Beiträge zur Kabbala II, S. 57 ff.


34 Da Isaak von Akko die Manier G.'s tadelt, die Gottesnamen ohne Scheu hinzuschreiben (Meirat Enajim gegen Ende), so muß er ihn bei seiner Anwesenheit in Spanien noch gesprochen haben.


35 Note 12.


36 Als sein frühestes Werk zitiert er ein: ןשוש רפס תודעה.


37 ןומרה רפס eingeteilt in zwei Bücher השע תוצמ und השעת אל תוצמ, verfaßt 1267, noch Ms.


38 המכחה שפנה רפס oder לקשמה רפס, Basel 1608.


39 In dem eben genannten Werke Nr. 2.


40 שדוקה לקש Jellinek, Beiträge II, S. 73.


41 תודוסה רפס oder תודעה ןכשמ, vgl. Note 12.


42 Das angebliche kabbalistische Responsum R' Haïs über das Verhältnis der תוריפס 'י zu den תודמ ג"י, vollständig mitgeteilt in Schem-Tobs Emunot (p. 28 b und bei Spätern), wird schon zu Ende des dreizehnten und Anfang des vierzehnten Jahrhunderts zitiert von Bachja ben Ascher (Kommentar zu אשת יכ) und von Todros Abulafia (Ozar ha-Kabod p. 35). Die Unechtheit braucht wohl nicht erst erwiesen zu werden. Wie aus Todros' Worten hervorgeht, war dieses Responsum dem Kabbalisten Ascher, dem Enkel des Abraham ben David nicht bekannt: 'ר תבושת) היתטימתשאו ךרד לע םירואב לודגח ורפסב ד"בארה ןב רשא 'רל (יאה הלבקה. Über andere pseudonyme Schriften R'Haïs vgl. B. VI3, Note 2, Ende.


43 Über Nehoraï vgl. Todros a.a.O.; über Kaschischa, Schem-Tob a.a.O. IV, 14, über Chamaï, Jellinek, Auswahl III, S. 8 ff.


44 Es ist bekannt, daß der Kabbalist Schem-Tob Ibn-Gaon zu seiner Zeit ein altes Pergament gesehen haben will, worin Maimuni wie die Kabbalisten spricht (Migdal Oz zu M.'s Jad, Anfang): דיעמ ינא ינא: הז ןושל ןשועמו ןשי ףלק לש הלגמב בותכ – רפסכ יתיארש 'וכו ץקה ןינעב יתוניב הבכרמה ירדחל יתדרישכ ןומימ רב השמ םייתימאה םילבוקמה ירבדל וירבד ויד םיבורקו. Das muß man sich vergegenwärtigen, um zu erkennen, wie weit die Mystifikation der Kabbalisten ging. Noch unverschämter ist der angebliche Brief M's. an seine Jünger (unter dem Titel Megillat Sedarim o. S. 193, Anmerk. 1), worin er die philosophische Spekulation förmlich desavouiert und hinzufügt: הלבקה תמכח לצא לבא 'וכו םילקוסמ םיכרדה תיתיומאה.


45 תוליצא תכסמ, dessen Alter hoch hinauf reicht, zuerst ediert 1802 vgl. Jellinek a.a.O.


46 Vgl. über alles Folgende Note 12.


47 Sohar III, 127 b ff.


48 An unzähligen Stellen des Sohar; vgl. I, 159 b ff.


49 Das. III, 132 b, 144 a.


50 Das. II, 86 b, 149 a, 154; vgl. auch I, 96 b, III, 79 und viele andere Stellen.


51 Das. II, 38.


52 Sohar III, 287.


53 אתוענצד ארפס ,הרות ירתס ,אתפסות ,רהז ינוקת םיעבש.


54 Einer der Annotatoren bemerkt zu Sohar I, p. 22: וב ליגרל חיכוי ןושלהו רהזהמ וניא ט"פ ףד דע ןאכמ. Indes ist dieses noch nicht so ausgemacht. Richtig ist, was die Editoren zu Anfang יחיו bemerken, daß mehrere Seiten (I, 212-216 a) nicht zum Sohar gehören; in der Tat fehlen sie in der Cremonenser Edition. Der Kabbalist Abraham Levi (Anfang des XVI. Jahrh.) bemerkt in seinem Werke ןירטק ארשמ, daß zu seiner Zeit ein Stück Sohar zu Numeri 10, 35 fabriziert worden sei, um aus dem תוכופה 'ן (der Klammer ähnlichen Nun-Figuren) die Messiaszeit zu berechnen, dessen Verfasser er kenne (wahrscheinlich der messianische Schwärmer Salomon Molcho).


55 Sohar III, p. 148, 152 a. Tikune Sohar, No. XIV, p. 37 aus einem andern Kodex.


56 Sohar II, p. 162 b.


57 Das. I, 2 a. Tikunim No. XX und XLIV, Anfang: ימ, das Wer und Unbekannte, ארב nach dem Erschaffen; הלא in Verbindung mit ימ gibt םיהלא.


58 אשידק אבר ארדא Sohar III, 127 ff. und אטוז ארדא אשידק das. 287 b ff.


59 Sohar 288 b: היבד ןיא ירקא אשידק אקיתע ךכ ןיגבו ןיא איילה.


60 Das. 129 a, 189 b.


61 Das. II, 150 und a. St.


62 Das. I, 130, 183 und a. St.


63 Note 12.


64 Sohar I, S. 55 a.


65 Das. III, S. 290 und a. St.


66 Das. I, S. 182.


67 Das. III, S. 7 b.


68 S. Note 12.


69 Sohar II, S. 7 ff., III, 196 b.


70 Vgl. Note 12.

71 Dieselbe Note.


72 Dieselbe Note.


73 בתוכה םש, vgl. Note 12.


74 Die Idra Suttra Sohar III, p. 287 ff.


75 Namentlich das auch in das Synagogenritual übergegangene Gebet הימש ךירב Sohar II, p. 206 a.


76 Das. II, p. 188 b.


77 Das. II, p. 25 b.


78 Sohar II, p. 162 b.


79 Das. II, 12 b und additamenta zu Sohar I, p. 13 b.


80 Vgl. besonders I, 44 a.


81 Vgl. besonders I, 44 a.


82 Vgl. Sohar II, 43 b: – אתלתד אמיתס אניעד וזיהב ןוניאו ןוניאו ןיניג ןתלת .דח ןוניא 'ה וניהלא 'ה איה ףוא – דחא ןוניא דח. Es ist dieselbe verdrehende Deutung gerade des Verses, welcher die Einheit Gottes so scharf betont, wie sie der Dominikaner Raymund Martin geltend machte (vgl. o. S. 152), III, p. 188 b: אקיתעד ןיגבו הינמ ןירהנד ןיניצוב ראש לכ אכה ףוא תלתב םישרתא אשידק תלתב ןלילכ; endlich Tikune Sohar No. 21, Anfang: תלתו דח ןנא אה רמא והיניב תיחנ האלע אבס – ןיבס ןירת ןיתחנ דח ןנא ןעכו ןניוה. In einem Soharkodex sollen die Worte vorgekommen sein: שידק ארב שידק אבא שידק אשידק אחור Wolf I, p. 1136 aus Galatinus' Schrift.


83 Die Deuteleien dieser Allegoristen finden sich zerstreut in der Briefsammlung Minchat Kenaot, namentlich p. 153 Respp. Ben-Adret, No. 417. Zu dieser Literatur gehört auch der pseudomaimunische Brief No. 1 in Iggeret Rambam und die ebenfalls pseudomaimunischen חחלצהה יקרפ (in der maimunischen Responsensammlung).


84 Sein Geburtsjahr gibt er im Anfange des Buches שקבמ an, verfaßt im Herbst 1263 nach den Vierzigern; er war nach der Verdammung des Salomo Petit 1290 noch am Leben o. S. 168. Über seine Schriftstellerei vgl. Munk, Mélanges, p. 494 f. Zwei seiner Werke חוכוה תרגא und המכח תישאר sind auch ins Lateinische übersetzt worden.


85 Einleitung zu תולעמה רפס Ms.


86 Das schon genannte חוכוה 'ס, öfter ediert.


87 Ist verfaßt 1280, wie der Verfasser zu Ende des ersten Appendix angibt.


88 Mebackesch Anfang: םיתעה הב יתרכז ןורכזה תלגמ ונילע ורבעש.


89 In seiner Überarbeitung von Alghazalis Makasid Alphilsapha unter dem Titel תועדה ןוקת mit einer Einleitung und Anwendung auf das Judentum (die Schorr zum Teil veröffentlicht hat in Chaluz IV. Jahrg. 1856 und VI. Jahrg. 1861 zum Schlusse) gibt Albalag das Jahr an, in dem er das Werk schrieb ב"נ 'ה oder nach der Lesart eines andern Kodex ד"נ 'ה (Chaluz VI, p. 91). Da er das Werk unvollendet gelassen hat, wie Isaak Pulgar bemerkt (Chaluz IV, 83), so ist er wahrscheinlich gleich darauf gestorben.


90 תועדה ןוקת Chaluz IV, 93: יתעד אצמת וז ךרד לעו תמא הז יכ תפומה דצמ עדוי ינא יכ יתנומא ךפה םיבר םירבדב ךרד לע תמא וכפה יכ םיאיבנה ירבדמ ןימאמ ינאו .עבט ךרד לע סנ.


91 Chaluz IV, p. 88. Das Zitat teilte auch Carmoly, Itinéraires, p. 281 mit und dazu eine Parallelstelle aus der kabbalistischen Schrift Badde Aron des Schem-Tob Ibn-Gaon p. 280. Dort ist in der Ortsbestimmung ein Fehler; es heißt dort: 'רו קחצי 'ר םידיסחה םימכחה אירוש ריע םתדלומש ןהכה בקעי 'רה ינב םיחא בקעי. Statt אירוש muß es aber heißen: איבוגש oder איבוקש. Denn dieses kabbalistische Brüderpaar stammte aus der genannten Stadt. Vgl. auch Isaak von Akko, Meirat (Absch. בשיו): בקעי 'רה לש ויחא ןהכה קחצי 'ר ברדבו איבוגשמ.


92 Chaluz das.


93 Schem-Tob Ibn-Schem-Tob in dessen Apologie für die Kabbala (Emunot) und Isaak Abrabanel. Die seiner Zeit näher stehenden Schriftsteller Isaak Pulgar und Samuel Çarça dagegen haben kein Wort des Tadels gegen seine Rechtgläubigkeit.


94 Vgl. darüber Minchat Kenaot No. 81, p. 153.


95 Vgl. über denselben Carmoly, La France israélite, p. 46 ff. S. Sachs, Kerem Chemed VIII, p. 198 f. Chaluz II, p. 17 f. Ozar Nechmad II, 94 f.


96 שפנה יתב verfaßt 1276 und ןח תיול in späterer Zeit.


97 Fragment in Chaluz a.a.O., p. 18 f.


98 Minchat Kenaot, No. 17, p. 47.


99 Quelle bei Kayserling, Geschichte der Juden Navarras, S. 137.


100 In Ben-Adrets Responsum an denselben (o. S. 145) wird er auch אטילקשאס genannt. Das ס' muß aber von dem Worte getrennt und als Abkürzung des Titels von ןס sen, senior, seigneur angesehen werden. Sein Beiname lautete also אטילקשא, Escalita von Escala, romanisch für scala, Leiter, Treppe.


101 So schildert ihn Crescas Vidal in Minchat Kenaot. No. 12.


102 S. oben S. 145, Anmerk. 2.


103 Geburtsjahr von ihm selbst angegeben in seinem Bet ha-Bechira zu Abot (ed. Stern, Wien 1854) Anfang und Ende. Seine Schrift שפנ תבישמ vollendete Meïri Marcheswan 5077 = 1316, bei Stern, Einleitung zu Bet ha-Bechira, wo auch das Biographische und Bibliographische zu vergleichen ist.


104 הריחבה תיב vollendet 1300.


105 Stern, Einl. a.a.O. p. XIV.


106 Kommentar zu Abot III, 11, p. 18 b.


107 Chaluz II, p. 15 f.


108 Vgl. Minchat Kenaot, No. 93, p. 172, Anfang.


109 Alle diese Namen führt er in seiner Brief- und Streitschriftensammlung Minchat Kenaot. Vgl. Revue IV, 192 f.


110 Das. No. 80, p. 106.


111 Das Datum für den Anfang der Streitigkeiten ergibt sich aus den Worten des Ben-Adret Respp. I, No. 416, daß die Verhandlungen beinahe drei Jahre dauerten: ונרתח םינש שלשמכ הזו, und zwar vom Ab 1306 ab zurückzurechnen.


112 Ob dieser Bonafoux Vidal (Minchat Kenaot No. 10, 11 f.) identisch ist mit dem von Kalonymos in Eben Bochan zum Schlusse genannten Don Bonafoux Schaltiel?


113 Das. No. 12, p. 48.


114 Siehe Zeitschrift Chaluz II, p. 26.


115 Das. No. 12-17.


116 Das. No. 18-19.


117 Minchat Kenaot No. 20-21.


118 Seine Lebenszeit ergibt sich aus folgenden Momenten. Im Jahre 1304 während der Parteikämpfe war er bereits vorgerückt an Jahren; Abba-Mari redet ihn an: ךומכ ןקז םכחל יואר ןכ (Minchat Kenaot, No. 21, p. 62), und als Estori Parchi sein Werk Kaftor verfaßte, 1322, war er bereits verstorben (Kaftor p. 56 a, 113 b), lebte aber noch tätig 1312 (s. weiter). – Er führte auch den Namen ןובת תייפרפ ןוד (Minchat Kenaot, No. 26, p. 70), und in seinem »Almanach« führt er in der lateinischen Version den Autornamen Profatius. Die Identität desselben mit dem von Astrüc (histoire de la faculté de Montpellier, Livre III) geschilderten Profatius ist daher unzweifelhaft. Folglich gehört, was von Profatius bekannt geworden, auch Jakob ben Machir an. Daß er Arzt war, stellt Astrüc als Gewißheit auf: On ne connait aucun ouvrage de médecine de Profatius, mais il ne reste pas d'être apparent qu'il était médecin. Il ne fait pas de difficulté de mettre Profatius, quoique juif au rang des médecins et peut-être même des régents de la faculté de Montpellier. (Das. p. 168.) Die astronomische Beobachtung, von welcher der Freund Keplers diesem mitteilt, daß drei sie angestellt haben, und darunter: puto Prophatius Judaeus und zwar im Jahre 1312 (Epistolae ad Keplerum ed. Hansch p. 542), gilt also ebenfalls von Jakob ben Machir Tibbon. Seine Schriften, die noch nicht übersichtlich und chronologisch zusammengestellt wurden, sind:

1. Übersetzung der Abhandlung des Abu Jóhak Ibn al-Zarkala über den Gebrauch der Scheibe, auch das Astrolab Zarkalas genannt, 1263. Vgl. Steinschneider, die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters, S. 590, 976.

2. Übersetzung des astronomischen Werkes des Ali Ibn-Alheitam, 1271. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 560.

3. Übersetzung der Schrift des Autolykos von der Sphäre in Bewegung 24 Tammus 1273. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 503.

4. Übersetzung der Logik des Averroes, Ende 1289. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 54.

5. Übersetzung der Schrift des Costa ben Luca, über den Gebrauch des Globus, einige der Handschriften datieren diese Übersetzung ו"י ה, dafür ist zu lesen: 'ה ו"נ 5056 = 1296. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 552.

6. ךנמלא, astronomische und chronologische Tafeln, datiert vom Jahre 1300. Eine Partie dieser Schrift ist das von Parchi edierte תויחדה רקע. Vgl. Steinschneider, Prophatii Prooemium in Almanach etc. Romae 1876.

7. Übersetzung von Averroes' Bearbeitung der Tiergeschichte (XI–XIX) 1302. Vgl. Steinschneider, Übersetzungen, S. 144.

Ohne Datum sind:

8. Übersetzung von Euklids Elementen. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 504 f.

9. Die Schrift über den (von Jakob ben Machir erfundenen) Quadranten לארשי עבר. Nach Steinschneider a.a.O., S. 607, im Jahre 1288 verfaßt.

10. Übersetzung der Sphaerica des Menelaos. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 516.

11. Die Übersetzung einer Schrift des Gazzali unter dem Titel: םינויעה ינזאמ. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 340.

12. Übersetzung der Schrift des Ibn Al-Saffar, über den Gebrauch des Astrolabs. Vgl. Steinschneider a.a.O., S. 581.

Wenn die Angabe in Keplers Briefsammlung richtig ist, so hat Jakob Profatius eines der genannten astronomischen Werke im Alter, 1312, verfaßt. Vgl. noch über das Leben und die Schriften des Jakob ben Machir: Renan Rabbins S. 599 f.

119 Minchat Kenaot No. 39, p. 85; No. 21, p. 62.


120 Einleitung zu Euklids Elementen: תמכח רשאמו דוסי אוה רפסה הזו תוידומלה תומכח לכל דוסי אוה רועשה ינא יבל ינאשנ ,המכחה תאזמ םירפסה ראש לכל הלחתהו שרשו ,םילעבל הדבא ריזחהלו ,וננושל לא וקיתעהל ריכמ ןב בקעי ,םילרעה תפרח ונילעמ ריסהל םילודגה םשכ םש ונל תושעלו אל יכ ישפנב יתעדי םאו .םיללושמ ונא המכח לכמ יכ םירמואה .רעזמ טעמ איה ברעה ןושלב יתעידיו – – המכח יתדמל


121 Minchat Kenaot No. 21.


122 Minchat Kenaot.


123 Das. No. 26, p. 70, No. 39, p. 85, No. 68, p. 139.


124 Vgl. das. No. 9 mit No. 68, p. 149 unten.


125 Das. No. 21, p. 62.


126 Minchat Kenaot No. 30, p. 75, No. 36, p. 80, No. 69, p. 139. Die Worte an der letzten Stelle: ינפמו ול ןיכוז םימותחב םיבר ילוא ול ןיכירצ םיברו אפור אוהש, beziehen sich offenbar auf den, an den No. 30 gerichtet ist, d.h. auf לינולד המלש 'ר.


127 Das. No. 24.


128 Minchat Kenaot No. 44, 45, 47, 54.


129 Vgl. das. No. 56, 57, 63.

130 Das. No. 63, p. 135, No. 68, p. 139: auch in No. 67 muß es heißen: רתוי וא תולהק םירשע ומתחיש. Die Zahl םישמח ist sicher eine Korruptel, entstanden aus dem Zahlzeichen נ' statt כ'.


131 Sein Todesjahr gibt Zacuto und die Grabschrift. Da er nun in seinen Responsen sich selbst als einen Greis schildert, so muß er um die Mitte des 13. Jahrhunderts geboren sein.


132 Zacuto.


133 Dessen Respp. IV, No. 6, LII, No. Respp. Jehuda Ascheri (Sichron Jehuda ed. Berlin 1846) No. 82, p. 50 a ff.


134 Die ersten und glaubwürdigen Quellen über die Judenverfolgung durch Rindfleisch sind: a) gesta Rudolphi et Alberti des Gottfried von Ensmingen in Pelzels Magni Ellenhardi Chronicon und Böhmer, Fontes II, p. 144. Diese Gesta sind beendet 1299, also nur ein Jahr nach der Verfolgung. b) Eberhard von Altaich (Altahensis) annales, vielfach ediert auch in Böhmer, Fontes l.c., p. 546. Mon. Germ. VI, p. 751. c) das Chronicon Florianense in Rauchs rerum Austriacarum scriptores l. 225, das aber erst 1310 beendet wurde. Das Chronicon Osterhoviense, das ebenfalls darüber referiert, ist von Eberhard abhängig und kopiert ihn lediglich. d) Hegel, Städtechronik III, S. 118. e) das oft genannte Mainzer Memorbuch und f) Respp. Jehuda Ascheri No. 92. Die älteste Quelle, die Chronik des Gottfried von Ensmingen, nennt Rindfleisch einen Edelmann: persecutio Judaeorum facta est per quendam nobilem de Francia; vgl. Würfel, Nachrichten von der Judengemeinde in der Reichsstadt Nürnberg (1755), S. 90. Wenn das Chronicon Florianense und Spätere ihn einen Metzger, carnifex oder venditor carnium nennen, so haben sie lediglich den Eigennamen gedeutet. Dagegen gibt das genannte Chronikon richtig an, daß der Ausgangspunkt der Verfolgung das Städtchen Röttingen war: Judaei cum corpore Domini in quodam oppido Roeting – – maleficium commiserunt. Unde quidam civis. venditor carnium, de dicto oppido – primum adjutus vulgo dicti oppidi punivit Judaeos. Das Mainzer Memorbuch gibt an: 'ה ףלאד ח"נ א םוי רייאב 'ז ןגניטור יגורה. Dadurch sind Ausgangspunkt und Datum gesichert.


135 Vgl. darüber B. H. Auerbach, Berit Abraham, p. 15.


136 Vgl. Gemeiner, Regensburgische Chronik I, 449.


137 Sigillum Judaeorum Augustae, גוא [םי] דוהי םתוח [אטסו], abgedruckt in Stetten, Geschichte von Augsburg, auch mitgeteilt in Literaturbl. des Orient. Jahrg. 1849, col. 73.


138 Abraham Abersüß, ein Kopist, bemerkt in der Nachschrift zu einem Bibelkodex vom Jahre 1299: הברה םיזרפה ירעב םגו שודק םע וגרהנו שדק תולהק וסרהנ תוללוע וראשנ אלו – – םובושי הששו םיעבראו האמ דואמ mitgeteilt in Kraft und Deutsch, Katalog der Wiener hebr. Bibliothek Nr. 4, S. 12. Gottfried von Ensmingen, der in demselben Jahre geschrieben hat, bemerkt: occidit Rintfleisch – ut dicitur – centum millia Judaeorum, videlicet in Erbipoli. Nyrnberg et ingentes villas et castra. – Resp. Jehuda Ascheri I, c.p. 51 b: ויהש םתוא לכמ בר גרה םויב הטילפ הרתונ אלש ראובמו יולג ןיריממה – םתלוז תיריזגה םוקמב. Die Dauer ergibt sich daraus, daß das Gemetzel in Röttingen im Ijar begann und noch bis Marcheschwan dauerte, wie das gut unterrichtete Mainzer Memorbuch angibt: אנורבלייה יגורה ק"פל ט"נ ןושחרמב ב"י. Nicht so richtig Gottfried von Ensmingen: a festo Jacobi apostoli usque ad festum St. Mattaei, d.h. vom 25. Juli bis 21. Sept. Er rechnet nämlich vom Gemetzel in Rothenburg an, 25. Juli, das von Röttingen und andern Städten ging aber voran.


139 Respp., Jehuda Ascheri l.c., p. 50 a.: 'ה ברח םיוגב ורמאו (םיסונאה) םהיתוביבס 'ה שא הטהלו האמטו הטטוש ועדיאל ןכל ונאנושל זנכשא ץראל הטילפ תתל דוע ףיסוי אל תתל ומע תא 'ה דקפ רשא ועמש רשא דע הנאו הנא (םיסונאה) 'ה תאריל ורהמו ושח זא טעמכ ראש םהל.


140 Gottfried von Ensmingen a.a.O.


141 Chronicon Florianense u.a.


142 Würfel a.a.O., S. 4. »Daß sie (die Juden) bei ihnen Schutz, so sie von König und Kaisern verlanget, haben sollen.«


143 Pertz, Monumenta Germaniae IV, p. 471.


144 Die Responsen in No. 92, Sichron Jehuda handeln davon.


145 Gedalja Ibn-Jachja in Schalschelet.


146 Vgl. die richtige Kombination Luzzattos zu der Toledaner Grabschrift (Abne Sikaron) No. 5, p. 9, Anmerkung 1.


147 Minchat Kenaot Nr. 52. Grabschrift a.a.O. nach Luzzattos richtiger Vermutung zu lesen רדא ח"רב statt רייא ח"רב. Vgl. Respp. Ascheri IV, No. 6.


148 Außer seinen wissensfeindlichen Äußerungen in Minchat Kenaot (wovon weiter) ist die Bemerkung Ascheris charakteristisch, die er dem spanischen Gelehrten Israel von Toledo entgegnete, als dieser sich auf die Vernunft und die Logik berief (Respp. Ascheri 55, Nr. 10 b): ךירב םכלש םינוציחה תמכחמ יתעדי אלש תארימ םדאה חידהל תפומהו תואה אב יכ הנימ ןבזש יד אנמחר ותרות םימש. Diese Verachtung gegen die Wissenschaft wiederholt er im ganzen Responsum.


149 Respp. Ascheri XX, Nr. 20.


150 Minchat Kenaot Nr. 52 und Nr. 66.


151 Minchat Kenaot Nr. 65.


152 Das. Nr. 67, 69.


153 Das. Nr. 68.


154 Das. Nr. 70, 71 verglichen mit der strengen Bannformel in Resp. Ben-Adret Nr. 415.


155 Das. Nr. 62.


156 Respp. Ben-Adret Nr. 415, 417, Minchat Kenaot Nr. 71, 81. Beide Texte sind hin und wieder korrumpiert.


157 Folgt aus Jedaja Bedaresis apologetischem Sendschreiben.


158 Minchat Kenaot No. 76, p. 150, No. 94; in No. 73 ist von den drei Punkten nur einer namhaft gemacht.


159 Das. No. 73.


160 Das.


161 In seinem apologetischen Sendschreiben gibt er sich als Jugendlichen; er war aber nicht gar zu jung, da er es wagen durfte, zu den ersten Männern zu sprechen, mit 18 Jahren schrieb er p. םישנ בהוא oder לצלצ םיפנכ. Sein Schachbuch ךלמ ינדעמ verfaßte er 30 Jahre später als sein םלוע תניחב, und dieses erst nach Vertreibung der Juden aus Frankreich 1306; vgl. Steinschneider Bodlej. col. 239 weiter S. 269.


162 Vgl. über ihn Zunz zur Geschichte 467 f. Weiß Einleitung zu םלוע תניחב.


163 Folgt aus dem Schlusse seines apologetischen Sendschreibens.


164 Das Bannformular der Barcelonaer traf 12. Kislew = 1. Dezember 1305 in Montpellier ein, Minchat Kenaot No. 81 und es läßt sich denken, daß Bedaresi mit der Abfassung und Absendung seines Schreibens nicht lange gesäumt hat.


165 Bedaresis apologetisches Sendschreiben in Respp. Ben-Adret No. 418.


166 In diesem Sinne sind die Nummern 82-89 in Minchat Kenaot aufzufassen.


167 Minchat Kenaot No. 81-89.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 7, S. 243.
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