4. Das Martyrium von Lauda und Fulda.

[403] Zunz hat, um einen vollen Eindruck von dem Blut-und Tränenstrom in der mittelalterlichen jüdischen Geschichte zu geben und dadurch das Verständnis der synagogalen Gebete mit ihren Seufzern zu erleichtern, Leidensannalen angelegt und die Judenverfolgungen und Martyrien Jahr für Jahr vom ersten Kreuzzug und noch früher bis in die letzte Zeit registriert (synagogale Poesie, S. 19-58). Er wollte, wie er sich so schön ausdrückt, mit dem »Trauergange« durch die Jahrhunderte die Tatsache konstatieren, »daß die Geschichte der europäischen Juden größtenteils nur eine Reihe von Experimenten enthält, welche die Feinde dieser Unglücklichen, um sie zu vertilgen, angestellt haben.« Er wollte »die Motive des Zorns und der Erbitterung erklären«, welche in den poetanischen Kinot und Selichot vorkommen, wollte »die Quelle der Tränen öffnen, die Schmerzen und Wunden zeigen, die Leiden fühlbar, die Flüche hörbar machen«. Der Wert solcher martyrologischen Annalen besteht natürlich in ihrer Genauigkeit und Geschichtlichkeit, die Zunz' Gelehrsamkeit auf diesem Gebiete nicht vermissen läßt. Daß auch hin und wieder Mißgriffe vorkommen, schmälert das Verdienst dieser großartigen Zusammenstellung keineswegs und liegt in dem dornenvollen Gegen stand und in der Zerstreutheit der Quellen. Diese nur gerechte Anerkennung darf jedoch die Kritik nicht hindern, Berichtigungen in diesen Annalen anzubringen. Hier will ich ein Martyrium, das zu seiner Zeit viel Aufsehen gemacht und den Kaiser Friedrich II. veranlaßt hat, eine Kommission von Rechtsgelehrten zusammentreten zu lassen, um zu entscheiden, ob die Anschuldigung des Menschenblutgebrauches gegen die Juden gerechtfertigt sei, ins Licht setzen, weil es Zunz ganz und gar in Abrede gestellt hat. Dieser bemerkt nämlich (das. S. 29): Im Jahre 1236, berichtet Trithemius (Verf. der Chronica Hirsaugensis), haben die Juden in Fulda einige Christenknaben in einer Mühle hingerichtet; die Schuldigen wurden verbrannt. Der Abt schickte dem Kaiser Friedrich, bei welchem die Juden klagten, zum Beweise die Leichen nach Hagenau. Nach Schaunat haben die Juden fünf Knaben ermordet, wofür 34 Juden mit dem Schwerte erschlagen wurden. »Beide melden die Unwahrheit«. Zunz verlegt nach drei übereinstimmenden Selichot dieses Martyrium von 1236 auf Ende 1234 und Anfang des folgenden Jahres, wobei viele Juden einfach ermordet und acht gelehrte Männer gemartert und zum Tode verurteilt wurden. Hier hat Zunz ein Martyrium für ein anderes substituiert und mit Unrecht das von Fulda 1236 geleugnet.

Denn nicht Trithemius und Schannat sind die er sten Quellen für das Martyrium von Fulda, sondern zwei Zeitgenossen, der anonyme Verf. der Annales Erfordenses (bei Pertz, Monumenta Germaniae XVI, p. 31) und ein anderer Anonymus bei Urstisius (Germaniae historici II, p. 91). Durch sie sind Faktum und Datum über alle Zweifel konstatiert. Der erstere referiert: 1236. Hoc anno V. Kal. Januarii in Fulda Judaei utriusque sexus triginta quatuor a cruce signatis Christianis sunt perempti, quoniam duo ex iisdem Judaeis in Sancto die Christi (natali) cujusdam Molendinarii extra muros habitantis ... quinque pueros miserabiliter interemerant, ac ipsorum sanguinem in saccis cera linitis susceperant igneque domui supposito recedentes, cujus rei veritate comperta et ab ipsis reis Judaeis confessa [403] puniti sunt ut supra dictum est. Die zweite Quelle gibt interessante Tatsachen dazu: Eodem tempore (1236) apud Fuldense monasterium Judaei quosdam pueros Christianos in quodam molendino, ut ex iis sanguinem elicerent ad suum remedium, peremerunt. Unde cives ejusdem civitatis multos ex Judaeis occiderunt. Sed cum puerorum corpora castrum Hagenowe delata et ibidem venerabiliter tumulata fecissent, imperator tumultum, qui tunc contra Judaeos exortus est, aliter sedare non valens, multos viros potentes, magnos et literatos ex diversis partibus convocans, diligenter a sapientibus inquisivit, utrum fama communis Judaeos Christianum sanguinem in Parasceve necessarium habeant, firmiter proponens, si hoc ei de vero constaret, universos sui imperii Judaeos fore perimendos. Verum quasi nihil certi super hoc experiri poterat severitas imperialis proposita, accepta tamen a Judaeis magna pecunia acquievit. Solche Berichte von Zeitgenossen über ein Faktum, das nicht in einem Winkel vorging, sondern in ganz Deutschland Aufsehen erregte, dürfen nicht ohne weiteres verworfen werden. Das Faktum und die Zeit werden auch durch eine jüdische Quelle bezeugt. Das Mainzer Memorbuch (bei Carmoly) führt das Martyrium von Fulda folgendermaßen auf: אדלוו יגורה ובו יתפרצה דוד 'ר יתפרצה ףסוי 'ר תבטב ז"י ו"סקתת. Auch das stimmt aufs Haar. 17. Tebet = 28. Dezember und V. Kal. Januarii = 28. Dezember. Das Faktum fand also einige Tage vor dem Beginn des Jahres 1236 statt. Die Amnestie des Kaisers für die Judenmörder ist in einer Urkunde erhalten bei Böhmer, Codex diplomaticus Moenofrankf. I, p. 76.

Wie steht es aber mit dem Faktum, das Zunz in drei Selichot gefunden und das in Zeit und Umständen verschieden von dem oben genannten ist? Auch damit hat es seine Richtigkeit; nur fand dieses Martyrium nicht in Fulda, sondern in Lauda an der Tauber (Baden) statt. Das genannte Memorbuch gibt vollständigen Aufschluß darüber: אדיולב ה"צקתת תנשב םיקידצ העבש ולא וגרהנ וב א"יו .טבשב 'י םייהשפושיבו .הרמ התימבו ןישק ןירוסיב םינפואב םתומצע ותתכנו ורסייתנ 'רו ףסוי 'רו ןקזה ןתנ 'ר ןה ולאו םיפרשנ םתרהטל 'ג םויבו 'רו ןהכה ףסוי רב לאיחי 'רו איוח רב אימחנ 'רו םייח 'רו המלש שארה זותהב ריאמ רב קחצי 'ר םהמעו .יולה השמ רב ריאמ והופרש ותגירה רחאו .ףייסב. Es sind dieselben, die Zunz (das. S. 30) aufführt. Sie kommen auch in einer Selicha vor (aus einem handschriftlichen Machsor10 der Breslauer Universitätsbibliothek) in einer ףסומל החילס כ"י Anfang: ונתרחב התא, deren Verf. Isaak ben Nathan war. Darin wird die schauderhafte Folterung der acht Frommen haarsträubend geschildert: ילע ומק םידז םתשר ונמט ... םתותיחשב ודכלנו ונדיחכהל ובשח... םתולילעב רשע דחא םוי .םיבוטו םיקידצ הנומש ושפתנו םיבידנ םינכ ילע לכ ,םיבורכה לצא םינפוא עברא הנהו ,םיגורה העברא ונד טבשב ונושל לעו לעילב רהמ ... םירבא קוסרב ויתוכמ רזכאו ביוא ערה םקנ םויב לומחא אלו ףסכ וזובו בהז וזוב והופיקהו ובוס ... לגר הער היה ,ףסאיו תומי ואטחב ותכמ ליחתא הז לע ףסשלו גורהלמ עגפ ,ויחבטמ תיבב ויכרעמ רדסו עגפ ףסוי ףרוט ףרט והתלכא 'ר ... גרה לא אציו םק ... ויחתנל ותוא חתנו יולה ריאמ 'רב רב הימחנ 'ר קיזההו וירחא םש ... הנוהכ יחרפמ ןגסה לאיחי םייח 'ר ובירקה רשע םינש םוי... היקנה וחורו ובבל םתב אייה ורמכי ןקזח ןתנ 'ר לע ימכחו ישישי קלבו קלח ... ןהכמה דיסחה תא ויחתנ ורדס ... םיצירפ וב ועגפ םיענה המלש 'רו ... ימוחנ םתייח ומילשה הלא העבש םידיגנ .םיצעה לע ירדפ תאו שארה ץיפוק ... קחצי 'ר בוהאה תינימשה לע חצנ ... ותרבע לגלגב םתרהטל ישילשה םויב יהיו .ופא ןורחב וב חלש ףריע לוממ .םפיג ףרשו רואה םחוכ תיצה} [404] Aus dieser Selicha ergibt sich die Differenz, daß einige der acht Märtyrer erst am 12. Schebat hingerichtet wurden. Wir haben es also hier mit dem Martyrium von Lauda und dem benachbarten Bischofsheim zu tun und nicht mit dem von Fulda, welches elf Monate später stattfand. Landshut hat in seinen Amuda Aboda, nach Zunz' Vorgang, Lauda und Fulda zusammengeworfen. Der Irrtum beruht auf der hebräischen Schreibweise. Hängt sich nämlich zufällig an das Wort אדול ein ו an und das aus der Mitte fällt aus, so ist die Verwechslung von Lauda und Fulda leicht.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 7, S. 403-405.
Lizenz:
Faksimiles:
403 | 404 | 405
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon