7. Kapitel. Die messianische Schwärmerei, die Marranen und die Inquisition.

[196] Innerer Zustand der Juden; Synagogenritus und Predigtweise. Elia Kapsali und die griechische Haftara. Zersplitterung in Gemeindeparzellen und Zerfahrenheit. Dürre und Poesielosigkeit. Interessenahme an Geschichte. Ächtung philosophischer Forschung. Leon Medigos Dialoghi d'amore. Die Herrschaft der Kabbala. Messianische Berechnungen und Erwartung. Lämmlein und das messianische Bußjahr. Die spanischen Marranen und die Inquisition; Luceros Mordtaten. Die portugiesischen Marranen; Gemetzel in Lissabon; der Marrane Mascarenhas. João III. Schliche gegen die Marranen. Henrique Nunes (Firme Fés) Spionage und Tod. Schritte zur Einführung der Inquisition und plötzliches Einstellen derselben. Der Abenteurer David Rëubeni in Rom und Portugal von João III. mit Auszeichnung behandelt. Messianische Verzückungen unter den Marranen.


(1500 bis 1525.)

Es ist erstaunlich und doch wieder leicht erklärlich, daß die hochwogende Bewegung, die krampfhafte Erschütterung in dem ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts, welche die christliche Welt aus den Angeln gehoben, die Juden innerlich kaum berührt haben. Während in der Christenheit eine durchgreifende Veränderung in Denkweise, Sitte, Studiengang und selbst in Sprache vorging, das Alte, Überkommene hier abgelegt und verworfen und dort frisch aufgeputzt wurde, damit es wie neu aussähe, mit einem Worte, während sich eine neue Zeitepoche herausarbeitete, blieb bei den Juden alles beim alten. Es kam daher, daß sie bis dahin kein eigentliches Mittelalter hatten, darum brauchte für sie auch keine neue Zeit anzubrechen. Sie bedurften keiner Wiedergeburt, brauchten nicht den unzüchtigen Lebenswandel abzustellen, den Krebsschaden sittlicher Fäulnis zu heilen, dem Übermut und der Raubsucht ihrer geistlichen Führer einen Damm entgegenzusetzen. Sie hatten nicht so viel alten Wust wegzuräumen. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß innerhalb der Judenheit alles lauter Glanz war. Die erhebenden und versittlichenden Gedanken des Judentums [196] waren infolge der gehäuften Leiden und der verkehrten Richtung von den Satzungen und Ritualien überwuchert. Beim Volke fehlte die Innerlichkeit der Religion und bei den Führern die Klarheit des Geistes. Werktätigkeit und scholastischer Dunst waren auch unter den Juden heimisch. Im Gottesdienste wurde die Erhebung und im Geschäftsleben der redliche Sinn vermißt. Der Synagogenritus hielt krampfhaft alles fest, was aus dem Altertum überkommen war, füllte sich mit unverständlichen Bestandteilen und hatte im ganzen einen unschönen Charakter. Predigten gab es in den deutschen Gemeinden und ihren anderweitigen Kolonien so gut wie gar nicht, höchstens talmudische Vorträge, welche dem Volke, namentlich dem weiblichen Geschlechte, unverständlich waren und daher das Gemüt kalt ließen. Die spanisch-portugiesischen Prediger bedienten sich zwar der klangvollen Sprache ihrer Heimat: aber ihre Vorträge waren von scholastischem Wust erfüllt und für die Laienwelt nicht weniger unverständlich.

Bei den Gemeinden auf der Insel Kandia war es von Alters her Sitte, wenigstens am Versöhnungstag nachmittags den Propheten Jona in griechischer Sprache vorzulesen. Diesen Gebrauch fand der dortige Rabbiner, der noch zu den Gebildeten gehörte, Elia Kapsali, durchaus anstößig und wollte ihn beseitigt wissen. Der Rabbiner von Padua, Meïr Katzenellenbogen, der auf eine Anfrage dessen Fortbestehen befürwortete, machte nicht innere Gründe dafür geltend, sondern lediglich rabbinische.1 Die Erbauung und Belehrung des Volkes kamen wenig oder gar nicht in Betracht.

Ein Übelstand war auch die zäh unterhaltene Zersplitterung der Gemeinden. Die Hetzjagd gegen die Juden hatte in größeren Städten Italiens und der Türkei Flüchtlinge aus der pyrenäischen Halbinsel und Deutschland zusammengewürfelt, die, weit entfernt, sich mit der Urgemeinde zu verbinden, sich vielmehr gegeneinander absperrten. Es gab daher in manchen Städten fast ebenso viel Gemeindegruppen, als es Landschaften oder Städte in deren jeweiligem Mutterlande gab (o. S. 28). Kastilianische Gemeinden schlossen sich gegen aragonische und katalonische ab, und apulische gegen kalabresische. Die aus Lissabon eingewanderten Juden mochten sich nicht einmal mit den übrigen portugiesischen verbinden.2 Es gab daher z.B. in Konstantinopel, Adrianopel, Salonichi, Arta (Larta) in Griechenland und vielen anderen Städten eine bunte Karte von Gemeinden, von denen jede ihren eigenen Vorstand, Synagogenritus, Rabbiner, Lehrhäuser, Armenpflege, ihren eigenen Dünkel und gegenseitige Eifersüchteleien hatte. Unter diesen [197] Umständen konnte nichts Großes, Gemeinnütziges, Allgemeines zustande kommen. Die geistlichen Führer, obwohl im allgemeinen sittlich und auch innig religiös, beugten sich nicht selten vor den Reichen ihrer Gemeinde, sahen ihrem Übermut und ihren Ungebührlichkeiten nach und traten ihnen nicht mit Mut entgegen. In Padua z.B. gab es einen reichen Deutschen, namens Herz Wertheim, welcher die Eitelkeit hatte, mit seinem Wappen (einem Hirsch) zu prunken. Er ließ ein Ornament mit seinem Wappen aus Perlen anfertigen und wollte es in der Synagoge anbringen. Der greise Rabbiner der deutschen Gemeinde Juda Menz, hielt es für ungesetzlich, solchen aufschneiderischen eitlen Prunk im Gotteshause zuzulassen. Herz Wertheim, der ein Gegner dieses würdigen Mannes war, wollte aber seinen Willen durchsetzen und fand manche Rabbiner, die, von seinem Reichtum bestochen, ihn darin zum Verdrusse des Juda Menz unterstützten.3 Streitigkeiten und Reibungen zwischen Rabbinen waren die Folgen dieser zerfahrenen Zustände.4

Schlimmer noch als diese Zersplitterung in lauter Gemeindeatome war die Gebrochenheit der Kraft, der kleinliche Geist, das gewissermaßen am Bodenkriechen nicht bloß unter den Juden deutscher Zunge, sondern selbst unter den Schichten der sefardischen Auswanderer. Nur wenn es galt, für das von den Vätern Überkommene zu sterben, zeigten sich alle groß und heldenmütig; sonst war die Tätigkeit auch der Großen aufs Kleinliche gerichtet. Keine neue Bahn wurde eingeschlagen, selbst nicht beim Anblick der täglichen Umwälzungen in der christlichen Welt. Diejenigen, welche sich noch auf der Höhe der Wissenschaft hielten, wandelten meist auf betretenen Bahnen und traten sie nur noch breiter. Die vorherrschende Richtung war, das Alte und die Alten zu erläutern, Kommentarien zu schreiben, sogar Kommentarien zu Kommentarien (Superkommentarien). Die Talmudisten legten den Talmud und die philosophisch Gebildeten Maimunis »Führer« aus. Aufschwung und hoher Geistesflug fehlten ganz und gar. Kein Laut echter Poesie entströmte dem Munde derer, welche doch an dieser Brust groß gezogen worden waren, nicht einmal ein markerschütterndes Klagelied, das den Schmerz zu verklären vermag, hallte aus dieser Zeit wieder. Die einzige Erscheinung, welche eine Veränderung der Lage und der Zeit beurkundete, ist das Interesse an geschichtlichen Erinnerungen, freilich meistens auch nur unter den Juden pyrenäischer Abkunft. Diese trachteten danach, die grenzenlosen Leiden, die sie erduldeten, den nachfolgenden Geschlechtern aufzubewahren. Die neuen Leiden brachten ihnen die alten seit der grauen Vorzeit in frische Erinnerung[198] und ließen sie erkennen, daß die Geschichte des jüdischen Stammes eine lange Reihe schmerzensreichen Märtyrertums war. Gleichzeitig mit Abraham Zacuto (o. S. 14) arbeitete Isaak Abrabanel an einer solchen geschichtlichen Aufzeichnung5 von den ältesten Zeiten bis auf seine Gegenwart, die wohl geordneter und eleganter geschrieben war als der Wirrwarr des Chronikers Zacuto. Auch sein Sohn Leon Medigo weihte seinen Griffel den tragischen Erinnerungen seiner Stammesgenossen in Spanien.6 Von der Geschichtserzählung des Elia Kapsali war bereits die Rede. Auch er widmete der Leidensgeschichte der spanischen Vertreibung einen großen Raum in seiner Chronik.7

Sonst tauchte nichts Neues in dieser Zeit auf. Das freie Denken der philosophischen Forschung war nicht beliebt. Isaak Abrabanel, der Überlieferer des alten jüdisch-spanischen Geistes, fand in Maimunis philosophischen Schriften manches anstößig, dem Judentum widersprechend und verdammte die freien Forscher Narboni und andere, welche über das Gegebene hinausgegangen waren. Ein portugiesischer Flüchtling, Joseph Jabez, wälzte alle Schuld an der Ausweisung der Juden aus Spanien und Portugal auf die Philosophie. Sie sei die große Sünderin gewesen, welche Israel verführt habe, darum sei das Strafgericht über dasselbe so herb ausgefallen.8 Josephben David Ibn-Jachja IV. in Imola, ein Enkel des portugiesischen Staatsmannes Joseph Ibn-Jachja III., verwarf alle Philosophie, sogar die Maimunische und kehrte zur Ansicht des Dichterphilosophen Jehuda Halevi zurück, daß dem jüdischen Stamme eine eigenartige, von den übrigen Menschen dem Wesen nach verschiedene, ihnen weit überlegene Seele innewohne, welche sich durch Ausübung der religiösen Vorschriften auf ihrer Höhe erhalten und sich zur Prophetie emporschwingen könne.9 Ähnliches Mißbehagen am freien Denken bekundete der Arzt Obadja Sforno, der Lehrer Reuchlins.

Ein frischer Hauch weht nur aus der philosophischen Schrift des geistvollen Leon Abrabanel oder Medigo, die schon durch ihren Titel: »Gespräche von der Liebe« (Dialoghi d'amore)10 [199] zu verstehen gibt, daß der Leser es nicht mit den Abgeschmacktheiten der Alltagsphilosophen zu tun hat. Wenn einer, so bewies dieser Sprößling einer alten edlen Familie die Schmiegsamkeit des jüdischen Geistes. Aus einem behaglichen Leben herausgerissen, in ein fremdes Land geworfen, unstät durch ganz Italien gehetzt und im Herzen den nagenden Schmerz um den lebendigen Tod seines ihm entrissenen [200] Erstgeborenen, behielt Leon Medigo die Geisteskraft, sich in die neuen Verhältnisse zu schicken, sich in italienische Sprache und Literatur zu versenken und die zerstreuten Züge philosophischer Gedanken in seinem Kopfe zu einem einheitlichen Bilde zu sammeln und abzurunden. In kaum zehn Jahren seit seiner Flucht aus Spanien konnte er als gelehrter Italiener gelten, konnte mit den feingebildeten Männern des mediceischen Zeitalters an Geschmack wetteifern und sie noch an Vielseitigkeit des Wissens übertreffen. Mit derselben Feder, mit der er seinem in Portugal im Scheinchristentum erzogenen Sohne einen herzzerreißenden Ermahnungsbrief in hebräischen Versen schrieb »des Judentums stets eingedenk zu bleiben, die hebräische Sprache und Literatur zu pflegen und sich die Trauer seines Vaters, den Schmerz seiner Mutter zu vergegenwärtigen, die den ganzen Tag um ihn weine und seinen Namen rufe«,11 mit derselben Feder schrieb er seine »Dialoge der Liebe«, worin sich der Faden der tiefen Liebe Philos zu Sophia hindurchzieht. Dieser scheinbare Roman bildet den Rahmen zu Leon Medigos philosophischem Systeme. Von Hause aus mit der aristotelischen und maimunischen Philosophie vertraut und in Italien mit der platonischen oder vielmehr neuplatonischen Metaphysik bekannt geworden, hatte er beide in seinem Kopfe zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen. In fließendem anmutigen Italienisch wickelt sich das Wechselgespräch zwischen Philo und Sophia über die höchste Bestimmung des Menschen ab.

Das Lebensprinzip des Weltalls ist, nach Leon Abrabanel, die innige Liebe und das Verlangen jedes Wesens, eins für das andere zu sein. Sie ist der lebende Geist, welcher die Welt durchdringt, das Band, welches das All einigt. Mit Liebe hat Gott die Welt hervorgebracht. Er regiert und verbindet auch die Geisteswelt mit der Körperwelt mittels der Liebe. Diese Liebe muß aber gegenseitig sein. Die Seele des Menschen muß ihrem Schöpfer Liebe entgegentragen, dann erreicht sie ihr Ziel. Dieses besteht in Tugend und Weisheit. Dadurch wird die höchste Glückseligkeit der Menschen erzielt, gewissermaßen ein wonnevolles Genießen der Gottheit. Durch die Innigkeit des Verhältnisses der Menschen zu Gott wird die ganze Natur veredelt und zur Vereinigung mit der Gottheit gebracht. Dies ist ungefähr der Hauptgedanke der Liebesdialoge Leon Medigos. Das Ganze klingt mehr wie eine philosophische Idylle, denn wie ein strenges System; es herrscht darin mehr Phantasie als Gedanke vor, und die darin niedergelegten Bemerkungen sind mehr sinnig als wahr. Dem Judentume stehen seine Liebesdialoge durchaus fern. Wenn auch manche biblischen Anschauungen und sogar talmudische Aussprüche eingeflochten sind, so verschwinden diese gegen [201] die Anhäufung von Ideen aus dem aristotelischen und platonischen Kreise und von Deutungen der heidnischen Mythologie. Leon Medigo bezeugte der »hebräischen Wahrheit« hohe Verehrung und bemühte sich, die biblische Schöpfung aus nichts gegenüber der griechischen Philosophie festzuhalten, aber die eigenartige Lehre des Judentums war ihm nicht aufgegangen. Daher kam es denn auch, daß sein Werk unter Christen mehr als unter Juden geschätzt wurde. Die Italiener waren stolz darauf, philosophische Gedanken zum erstenmal in ihrer von ihnen so schwärmerisch geliebten Sprache entwickelt zu sehen. Ein italienischer Schriftsteller bemerkte: »Wenn die Dialoge des Hebräers Leon so gut italienisch stilisiert wären, wie sie es verdienen, würden wir weder die Lateiner, noch die Griechen zu beneiden haben.12 Ein Römer Mariano Lenzi, zog die »göttlichen Dialoge«, wie er sie nannte, ans Licht und widmete sie einer edlen und geistvollen römischen Dame. Sie wurden eine Lieblingslektüre gebildeter Leser und in zwei Jahrzehnten fünfmal überdruckt.13 Zwei französische Schriftsteller (Denys Sylvestre und Sauvage Du-Parc) übertrugen sie ins Französische, und der letztere widmete sie der mächtigen Königin-Mutter Katharina de Medici.14 Ein anderer Schriftsteller (Karl Saracenus) übertrug Leons Wechselgespräche ins Lateinische und widmete sie Granvella, Minister Philipps II. von Spanien.15 Nicht lange darauf übersetzte sie ein Jude, Gedalja Ibn-Jachja, ins Spanische und widmete sie dem finsteren Könige selbst.16

Die christliche Welt begann damals Interesse an philosophischen Fragen zu nehmen, die jüdische dagegen, auch die gehetzten Flüchtlinge aus der pyrenäischen Halbinsel, hatten den Sinn dafür eingebüßt. In die, der strengen logischen Zucht entwöhnten Köpfe nistete sich die Kabbala mit ihrem tönenden Nichts ein; sie füllte gewissermaßen den leer gewordenen Raum aus. Im sechzehnten Jahrhundert begann erst ihre Herrschaft über die Gemüter. Ihre Gegner, zuletzt noch Saul Kohen aus Kandia, würdiger Jünger des Elia Delmedigo, waren tot oder nicht gelaunt, sich mit der ganzen Zeitrichtung auf den Kriegsfuß zu setzen, welche dem Geheimnisvollen, dem Paradoxen und Auffallenden nur allzu geneigt war. Sefardische Flüchtlinge wie Juda Chajat, Baruch von Benevent, Abraham Levi, [202] Meïr ben Gabbai, Ibn-Abi Simra hatten die Kabbala nach Italien und der Türkei eingeschleppt und erweckten ihr mit außerordentlicher Rührigkeit eifrige Anhänger. Auch die Schwärmerei christlicher Gelehrter, Egidio von Viterbo, Reuchlin, Galatini und anderer für die Kabbala übte auf die Juden eine Rückwirkung aus. War die Geheimlehre bisher innerhalb der Judenheit nur geduldet, so erhielt sie nun in der Zerfahrenheit und im Wirrwarr durch die Verfolgung und Wanderung einen offiziellen Charakter. Dieser Lehre müsse doch eine tiefe Wahrheit zugrunde liegen, wenn sie von vornehmen Christen so sehr gesucht werde! Die kabbalistisch-gläubigen Prediger entwickelten deren Lehre – was bisher nicht vorgekommen war – von der Kanzel17. In Fragen über Ritualien und Satzungen wurden auch die kabbalistischen Schriften zu Rate gezogen und gaben öfter den Ausschlag.18 Kein Wunder, wenn nach und nach mystische Elemente aus dem Sohar in die Gebetordnung Eingang fanden und ihr überhaupt einen geheimnisvollen Charakter aufdrückten.19 Mit frecher Anmaßung behaupteten die Kabbalisten, daß sie allein im Besitze der mosaischen Überlieferung seien, und daß der Talmud und die Rabbinen sich vor ihnen beugen müßten.20 Es ging soweit, daß selbst ein Kabbalist, Abraham Levi, eine Gotteslästerung in der Gebetweise der Kabbalisten fand, daß sie sich an die Engel oder an die Sefirot um Gehör ihrer Wünsche wendeten.21 Sie wagten sogar in den Pentateuchrollen manche Wörter nach soharistischen Spielereien zu ändern und zu verunstalten, obwohl hierbei die skrupulöseste Korrektheit und Unveränderlichkeit des Textes zur Pflicht gemacht war. Denjenigen, welche die ursprüngliche Lesart wiederherstellen wollten, flößten sie abergläubische Furcht ein, daß dadurch Erblinden oder sonst ein Unglück unfehlbar erfolgen würde.22 Solchergestalt wurde die Geheimlehre mit ihren Träumereien und Spielereien, die bisher nur in den Köpfen weniger Adepten spukte, allgemein unter der Judenheit verbreitet und berückte den gesunden Sinn. Der Widerstand von seiten der Rabbinen gegen mystische Eingriffe in den Ritus und das religiöse Leben überhaupt war nur schwach, da auch sie von der Göttlichkeit der [203] Kabbala überzeugt waren und sich daher den Neuerungen nur mattherzig widersetzten.

Es konnte nicht fehlen, daß die hohle Kabbala in den hohlen Köpfen Schwärmerei erzeugte. Wie bei den Essäern, so war auch bei den soharistischen Mystikern die Messiashoffnung der Angelpunkt ihrer ganzen Lehre. Das messianische Reich oder das Himmelreich oder das Reich der sittlichen Ordnung23 zu fördern und das Eintreffen desselben durch Buchstaben- und Zahlenspielereien im voraus zu berechnen und zu verkünden, das war ihr Hauptaugenmerk. Isaak Abrabanel, obwohl der Kabbala nicht zugetan, hatte dieser messianischen Schwärmerei aus frommer Besorgnis Vorschub geleistet. Die gehäuften Leiden der wenigen Überbleibsel von den Juden Spaniens und Portugals hatten vielen den Mut gebrochen und die Aussicht auf bessere Zeiten geraubt. Nicht bloß Ungebildete, sondern selbst gelehrte und fromme Männer gaben die so lang gehegte Messiashoffnung auf, wie einen süßen Traum, dem jede Möglichkeit zur Verwirklichung fehle. Der jüdische Stamm sei für immer zum Leiden geboren, werde nimmermehr von dem Drucke erlöst werden, nimmermehr zur Freiheit und Selbständigkeit gelangen.

Diese Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung seiner Landsleute, die, wenn um sich greifend, die Wünsche der Kirche erfüllt hätten, schmerzten den im innigsten Glauben bewährten Isaak Abrabanel, und er machte sich daran, diesem gefährlichen Unmute entgegenzutreten. Er verfaßte drei Schriften,24 um aus der Bibel, namentlich aus dem Buche Daniel und aus agadischen Sentenzen, den, wie er glaubte, allerstrengsten Beweis führen zu können, daß Israel auf eine glänzende Zukunft fest bauen dürfe, und daß die Messiaszeit unfehlbar eintreffen müsse. Mit dem ganzen jüdischen Schrifttum und auch mit der christlichen Literatur, mit Geschichte und Geographie vertraut, konnte Abrabanel dieses Thema gründlicher als bisher behandeln und entgegenstehende Ansichten, sei es von jüdischer oder christlicher Seite, widerlegen. Die Wärme, mit der er diesen Stoff behandelte, stammte eben so sehr aus seinem Kopfe wie aus seinem Gemüte, denn die Messiashoffnung war für ihn ebenso sehr eine feste Überzeugung, wie eine Herzensangelegenheit. Man verzeiht dem mehr von Leiden als vom Alter gebrochenen sechzigjährigen Abrabanel, der diese Schriften mit zitternder Hand geschrieben, die herben Ausfälle gegen die Schriftsteller, [204] welche den Messiasglauben nicht anerkannt (Galipapa) oder ihm eine untergeordnete Stellung innerhalb des Judentums angewiesen hatten (Albo)25, da es ihm eine Herzenssache und ein Notanker war. Aber er ging in seiner Rechtfertigung der Messiashoffnung zu weit, er wollte zuviel beweisen und geriet dadurch ebenfalls in kindische Spielerei. Nach seiner Berechnung müßte die messianische Zeit notwendigerweise im Jahre 5263 seit der Weltschöpfung (1503) anbrechen und die Vollendung derselben mit dem Falle Roms, etwa vier Jahreswochen später, eintreten.26 Seine Berechnung war aber ebenso willkürlich und erwies sich ebenso trügerisch, wie die seiner Vorgänger, Saadias, Abraham ben Chijas, Nachmanis und Gersonides' (welche drei übereinstimmend 1358 als das messianische Jahr bezeichnet hatten) und ebenso eitel wie die Vorausverkündigungen des Abraham Abulafia, des Mose de Leon (im Sohar) und anderer Kabbalisten.

Diese so bestimmt von einem besonnenen Manne, einer hochgeachteten Persönlichkeit verbürgte messianische Berechnung scheint, verbunden mit anderen kabbalistischen Träumereien einen Schwärmer aufgeregt zu haben, für die allernächste Zeit das Eintreffen der messianischen Erfüllung zu verkünden. Ein Deutscher, Ascher Lämmlein (oder Lämmlin)27, trat in Istrien in der Nähe von Venedig als messianischer Vorläufer auf (1502). Er verkündete, daß, wenn die Juden strenge Buße, Kasteiungen, Zerknirschung und Wohltätigkeit betätigten, der Messias nach einem halben Jahre unfehlbar eintreffen müsse. Eine Wolken-und Feuersäule werde ihnen, wie beim Auszug aus Ägypten, vorangehen, um sie ungefährdet nach der heiligen Stadt zu führen. Als Zeichen soll er angegeben haben, sämtliche christliche Kirchen würden plötzlich einstürzen. Die Gemüter waren durch die Leiden und den kabbalistischen Dusel für solche krampfhafte Erwartungen empfänglich. Ascher Lämmlein hatte daher einen Kreis von Anhängern gewonnen, welche seine Verkündigung verbreiteten. Sie fand in Italien und Deutschland Anklang und Glauben. Es wurde viel gefastet, viel gebetet, viel gespendet. Man nannte die Zeit das »Bußjahr«. Alle bereiteten sich zum Eintritt des Wunders vor. Man rechnete so gewiß auf die Erlösung und Rückkehr nach Jerusalem, daß man das Bestehende geradezu niederriß. Die Nüchternen und Besonnenen wagten nicht, der allgemeinen Schwärmerei entgegenzutreten. Selbst Christen sollen an Ascher Lämmleins messianische [205] Prophetie geglaubt haben. Aber der Prophet starb oder kam plötzlich um, und damit hatte der Schwindel ein Ende. Diejenigen, welche fest und hingebend an ihn geglaubt, waren am meisten von der Enttäuschung betroffen. Viele Juden traten infolgedessen zum Christentum über.28 Isaak Abrabanel, der das von ihm ausgerechnete messianische Jahr und die Lämmleinsche Bewegung erlebt hatte, mag nicht wenig davon beschämt gewesen sein. Er hütete sich daher, in den Büchern, die er nach diesem Jahr vollendet hat, eine messianische Berechnung aufzustellen.

Allein mit dem erfolglosen Ende des Lämmleinschen Bußjahres war die Messiashoffnung keineswegs in den Gemütern erloschen; sie war ihnen notwendig, um sich in dem Elende aufrecht zu erhalten. Die Kabbalisten hörten darum nicht auf, diese Hoffnung von neuem anzuregen und deren wunderbare Verwirklichung von neuem zu verheißen. Selbst im Kreise der Marranen war der Messiasglaube rege; sie klammerten sich daran, weil er ihnen einen Hoffnungsstrahl, die Erlösung aus ihrem Elend bot. Ungefähr zur selben Zeit verkündete eine junge Marranin von fünfzehn Jahren in Herrera in der Gegend von Badajoz, daß der Messias mit ihr gesprochen und sie in den Himmel gehoben habe, wo sie alle die Märtyrer, welche auf den Scheiterhaufen verbrannt worden waren, auf goldenen Stühlen sitzen gesehen. Dieses marranische Mädchen bestärkte die Hoffnung, daß der Messias sich bald offenbaren und alle ins gelobte Land führen werde. Viele Marranen in der Stadt und auswärts glaubten der Prophetin des Messias und suchten sie auf, auch solche, welche früher wegen Judaisierens angeklagt, durch reuiges Geständnis absolviert worden waren. Als die Schwärmerei an den Tag kam, wurden achtunddreißig, welche durch den Glauben an den Messias den Rückfall ins Judentum verraten hatten, in Toledo auf dem Scheiterhaufen verbrannt.29 Drei Jahrzehnte später entstand unter ihnen eine viel bedeutendere messianische Bewegung, welche vermöge ihres Umfanges und durch die dabei beteiligten Persönlichkeiten einen interessanten Verlauf nahm. Die Marranen in Spanien und Portugal spielten dabei eine Hauptrolle.

Diese Unglücklichsten aller Unglücklichen, die ihrem angestammten Glauben entsagt, sich gewissermaßen ihrem eigenen Selbst entfremdet hatten, Kirchenriten mitmachen, ja sie noch peinlicher befolgen mußten, obwohl sie ihnen in tiefster Seele verhaßt waren, wurden deswegen von der Inquisition und dem Hasse der christlichen Bevölkerung verfolgt und an ihre Abstammung gewiesen. Der Großinquisitor Torquemada hatte es beim Papste Alexander VI. durchgesetzt, daß [206] Marranen nicht in den Dominikanerorden von Avila als Mönche aufgenommen werden sollten, weil er ihnen mißtraute.30 Sie erduldeten ohne Redeschwulst ein wahres Höllenleben. Der größte Teil von ihnen konnte bei aller Selbstüberwindung keine Zuneigung zum Christentum fassen. Wie konnten sie auch ein Bekenntnis liebgewinnen, dessen Träger täglich Menschenopfer verlangten, und diese unter den nichtigsten Vorwänden unter den Scheinchristen aussuchten? Unter dem zweiten spanischen Großinquisitor Deza waren fast noch größere Grausamkeiten vorgekommen, als unter dem ersten, Torquemada. Er und seine Werkzeuge, ganz besonders Diego Rodriguez Lucero, ein frommer Henker in Cordova, hatten so viele Schändlichkeiten begangen, daß ein von sittlicher Entrüstung erfüllter Zeitgenosse die Inquisition drei Jahrzehnte nach ihrer Entstehung mit den grellsten Farben schilderte. »Der Erzbischof von Sevilla (Deza), Lucero und Juan de la Fuente haben alle diese Provinzen entehrt. Ihre Leute achten weder Gott, noch die Gerechtigkeit, töten, stehlen und schänden Weiber und Mädchen zur Schmach der Religion. Die Schäden und das Unglück, welche die schlechten Diener der Inquisition in meinem Lande verursacht haben, sind so groß und so vielfach, daß jeder darüber betrübt sein muß«. Lucero (der Lichtvolle), von seinen Zeitgenossen wegen seines finstern Tuns Tenebrero (der Finstere) genannt, hat die Schlachtopfer zu Tausenden gehäuft; er war unersättlich nach jüdischem Märtyrerblut. »Gebt mir Juden zum Verbrennen«, soll er immer gerufen haben. Sein Fanatismus war in kannibalische Raserei umgeschlagen.

Jede Anzeige eines Marranen, daß er jüdische Riten beobachtet, galt Lucero als begründeter Verdacht, und jeder Verdacht als erwiesene Schuld, die auf dem Scheiterhaufen gebüßt werden müßte. Unter den von Lucero eingezogenen Marranen ersannen einige aus Verzweiflung oder Rachegefühl oder aus List ein Anklageverfahren, welches recht viele von altchristlichem Blute und hohem Stande als Mitschuldige verwickeln sollte. Sie gestanden das ihnen zur Last gelegte Verbrechen ein und gaben an, daß in Cordova, Granada und anderen südspanischen Städten von Marranen Häuser als Synagogen benutzt würden, zu denen der und der, die und die, sogar Nonnen und Mönche und harmlose Mädchen von spanischem Vollblute zu wallfahren pflegten, um die jüdischen Feste mitzufeiern und jüdische Prediger anzuhören. Diese Anklage schien ganz unglaublich, ganz unwahrscheinlich. Wohlerzogene christliche Mädchen, die selten die Schwelle ihres Hauses zu überschreiten pflegten, sollten meilenweit gewandert sein, um unter Todesgefahr dem Gottesdienste in einer versteckten,[207] geächteten Synagoge beizuwohnen! Nichts destoweniger ließ Lucero eine Menge alter Christen mit neuen zugleich einkerkern und die bezeichneten Häuser niederreißen. Die Schergen der Inquisition hatten alle Hände voll zu tun. Es entstand aber dadurch eine drohende Gärung in Cordova; die angesehensten Personen klagten über dieses Verfahren des Inquisitors Lucero und gingen den Großinquisitor an, ihn seines Amtes zu entsetzen. Deza war aber mit ihm einverstanden, und so wurden auch die Unzufriedenen, Ritter, Vornehme, Doñas, Geistliche und Nonnen als Begünstiger jüdischer Ketzerei angeklagt. Ihren Verwandten gelang es indes bei dem kastilianischen Könige von wenigen Monaten, dem deutschen Prinzen Philipp I., Isabellas Schwiegersohn und Nachfolger, die Entsetzung Dezas und Luceros zu bewirken. Dafür nahmen diese aber nach dem Tode desselben schwere Rache an ihren Feinden unter dem frömmelnden Fernando, seinem Nachfolger in Kastilien. Es entstand eine so einhellige förmliche Revolution in Cordova gegen die Inquisition, geleitet von hohen Adeligen, daß der zum zweiten Mal zur Regierung gelangte König genötigt war, Lucero zu verbannen und auch einen andern Großinquisitor in der Person des Ximenes von Cisneros zu ernennen.31 Der dritte Großinquisitor verfuhr schonender gegen die verdächtigen Altchristen, ließ aber nicht weniger Neuchristen von jüdischer und maurischer Abstammung verbrennen. Er war es auch, der gegen Karl V. eine drohende Sprache führte, als er im Begriffe war, den spanischen Marranen für 800000 Goldkronen die Freiheit ihres jüdischen Bekenntnisses einzuräumen. Die flandrischen Räte, denen der Kaiser die Frage zur Entscheidung vorgelegt, waren dafür gestimmt, aber der Begriff Freiheit und Duldung waren Ximenes' Ohr und Herz leere Laute. Er verbot seinem kaiserlichen Zöglinge, die Juden zu dulden, wie es Torquemada Karls Urahnen verboten hatte.32 Seine Nachfolger waren nicht weniger rechtgläubig, d.h. nicht weniger unmenschlich. Unter diesen bekamen die jüdischen Schlachtopfer christliche Mitschuldige und Leidensgenossen. Die reformatorische Bewegung in Deutschland hatte auch in Spanien einen Widerhall gefunden. Luthers und Calvins Lehre von der Verwerflichkeit des Papsttums, der Priesterschaft und des Zeremoniendienstes war durch die Verbindung Spaniens mit Deutschland infolge der Personalunion des Kaisers Karl auch über die Pyrenäen gedrungen. Der Kaiser, dem die Reformation in Deutschland so viel zu schaffen machte, gab dem heiligen Offizium die Weisung, streng gegen die lutherisch Gesinnten in Spanien zu verfahren. Dem blutdürstigen Ungetüme war die ihm zugewiesene Beute willkommen, und fortan [208] ließ es eine Art Gleichheit gegen Juden, Mohammedaner und lutherische Christen eintreten. Jedes Auto da Fe verkohlte in gleicher Weise die Märtyrer der drei verschiedenen Religionsbekenntnisse.33

Mit den jüdischen Marranen in Portugal hatte es eine andere Bewandtnis als mit denen in Spanien. Der König Manoel, welcher die zum Auswandern gerüsteten Juden gewissermaßen an den Haaren zur Taufe zerren ließ, hatte ihnen, um sie nicht zur Verzweiflung zu treiben, sein Wort verpfändet, daß sie zwanzig Jahre unbelästigt von der Inquisition wegen ihres Glaubens und Tuns bleiben sollten.34 Selbst hebräische Bücher zu besitzen und zu lesen war ihnen gestattet. Vertrauend darauf, wagten die portugiesischen Marranen mit weniger Heimlichkeit als die spanischen, die Satzungen des Judentums zu beobachten. In Lissabon, wo die meisten derselben wohnten, hatten sie eine Synagoge, in der sie um so andächtiger zum Gebet zusammen zu kommen pflegten, als sie äußerlich die Kirchenriten mitmachen mußten und daher in ihrem Gotteshause mit Zerknirschung Gott um Verzeihung wegen der begangenen Sünde des Götzendienstes anflehten. Die Erwachsenen unterrichteten die Unmündigen in Bibel und Talmud und legten ihnen das Judentum eindringlich ans Herz, um sie vor Versuchungen zum aufrichtigen Übertritt zum Christentum zu warnen. Die portugiesischen Marranen hatten auch mehr Freiheit auszuwandern und begaben sich nach Veräußerung ihrer Besitztümer einzeln oder in Gruppen nach der Berberei oder nach Italien und von da nach der Türkei. Zwar hatte Manoel, um der Auswanderung der Marranen zu steuern, eine Ordonnanz erlassen, daß ein Christ ein Tauschgeschäft mit Neuchristen bei Verlust des Vermögens nicht abschließen und liegende Gründe von ihnen nur mit königlicher Erlaubnis kaufen, und daß kein Marrane mit Frau, Kindern und Gesinde ohne ausdrückliche Bewilligung des Königs außer Landes reisen dürfte.35 Aber wie leicht konnte ein solches Gesetz umgangen werden! Sind auch manche Marranen bei der Auswanderung ertappt und bestraft worden – wie einst eine Gesellschaft solcher Unglücklicher, auf einem Schiff heimlich nach Afrika segelnd, vom Sturme getrieben, erst am Gestade der Azoren landend, dort zur Sklaverei verdammt wurde,36 – so gelang es doch anderen, der Wachsamkeit der Grenzaufseher zu entgehen. Die spanischen [209] Marranen hatten alle Ursache, ihre Leidensgenossen in Portugal zu beneiden, und gaben sich daher alle erdenkliche Mühe, über die Grenze des Landes, wo für sie Scheiterhaufen flammten, zu entkommen. Dem arbeitete natürlich die rachsüchtige spanische Regierung entgegen und bewog Manoel, ein Gesetz zu erlassen (1503), daß kein Spanier den portugiesischen Boden betreten dürfe, wenn er nicht eine Bescheinigung beibrächte, daß er nicht der Ketzerei beschuldigt sei.37 Fernando von Spanien hatte zwar mehr verlangt. Mit Berufung auf eine päpstliche Bulle hatte er das Verlangen gestellt, daß die aus Spanien vor der Inquisition entflohenen Marranen ausgeliefert werden sollten. Manoel gab aber nur zu, daß ein Inquisitionsrichter nach Portugal kommen sollte, um die Flüchtlinge dort anzuklagen, damit nach portugiesischem Rechte über sie gerichtet werde.38 Solchergestalt hätten die portugiesischen Marranen ein leidliches Dasein gehabt, wenn nicht der Volkshaß es ihnen verleidet hätte. Es zeigte sich nach ihrer Taufe, daß sie weniger als Bekenner des Judentums, denn als eine rührige, betriebsame, den Christen überlegene Klasse verhaßt waren. Die Antipathie der Altchristen steigerte sich noch mehr, als die Neuchristen die Befugnis erlangt hatten, alle Gewerbe zu betreiben, die Pacht der Kirchenzehnten zu übernehmen, Ämter zu bekleiden und sogar geistliche Würden zu erhalten und in Mönchsorden einzutreten. Zuerst machte sich der Haß gegen sie durch beschimpfende Benennungen: »Jude, verfluchter Neuchrist« (Judeo Marrano, converso) Luft, und Manoel mußte solche Bezeichnungen für sie durch ein Gesetz verbieten, konnte aber die Antipathie gegen sie nicht entwurzeln. Mißernten, welche mehrere Jahre in dem kleinen Portugal Hungersnot erzeugt hatten, wozu sich noch die Pest gesellte, gaben dem Hasse neue Nahrung; denn es hieß allgemein, die getauften Juden trieben Kornwucher, verteuerten die Lebensmittel und exportierten das Getreide ins Ausland. Am glühendsten gehaßt war ein marranischer Emporkömmling, João Rodrigo Mascarenhas,39 Oberpächter aller Steuern, und dieser Haß traf sämtliche Marranen. [210] Er mag wohl die Steuern mit großer Strenge eingetrieben und vom Könige Erlasse gegen Umgehungen erwirkt haben, vielleicht war er auch bösen Herzens: Ihn betrachtete nun das Volk von Lissabon als einen Ausbund aller Schlechtigkeiten.

Diese Stimmung gegen die Marranen benutzten die boshaften Dominikaner, um sie, die Lieblinge des Königs Manoel, der Vertilgung preiszugeben. Einige Neuchristen wurden am Passahabend (8. April 1505) betroffen, wie sie den jüdischen Riten zur Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten oblagen. Sie wurden natürlich angeklagt und eingekerkert; aber es scheint, daß das geistliche Gericht der Bischöfe sie nicht verurteilen mochte, weil es noch im frischen Andenken hatte, wie die mit Gewalt zur Taufe Geschleiften ihren Widerspruch dagegen laut und nachdrücklich erhoben hatten.40

Diese Milde der Bischöfe war natürlich den portugiesischen Dominikanern ein Greuel. Die Macht ihrer Brüder in Spanien ließ ihnen keine Ruhe. Sie begannen nun ihrerseits nicht bloß gegen die Gottlosigkeit der Neuchristen zu predigen, sondern veranstalteten geradezu ein Wunder, um das Volk zu fanatisieren. Es war eine sehr günstige Zeitlage für sie. Die Pest wütete damals in Portugal und raffte täglich viele Tausende hin, und die anhaltende Regenlosigkeit drohte mit einer neuen Mißernte. An diesen Plagen wären einzig und allein die Marranen schuld, so hieß es allgemein oder wurde ausgesprengt. Die Dominikaner verkündeten laut, daß in ihrer Kirche ein, in einem Kreuz angebrachter Spiegel in einem Feuerglanz Maria gezeigt und noch andere staunenswerte Wunder versichtbart habe. Sie waren in solchen Vorspiegelungen geübt. Viel Volks strömte nach ihrer Kirche, um das Wunder zu bewundern. An einen Sonntag nach Ostern (19. April, 1506) war die Kirche voll von andächtigen Gaffern, darunter auch gezwungener Weise Marranen. Einer derselben soll dabei eine ungläubig klingende Bemerkung gemacht haben, entweder, der Wunderglanz rühre von einer Lampe hinter einem gefärbten Glase her oder, was vermöge ein dürres Holz für Wunderzeichen zu tun, oder, was wahrscheinlicher klingt, »es wäre in der Dürre ein Wasserwunder [211] nötiger als ein Feuerwunder«.41 Bei dieser Äußerung fielen die Weiber über den unvorsichtigen Marranen her, schlugen und rauften ihn, Männer kamen dazu und schlugen ihn tot. Auch seinen Bruder, der ihm zu Hilfe gekommen war, tötete die aufgeregte Volksmenge. Richter und Polizeimänner, welche die Mörder verhaften wollten, wurden verfolgt und mit dem Tode bedroht, so daß sie sich in ein Haus retten mußten.

Durch diese Vorgänge entstand ein Auflauf in der Stadt. Ein Dominikaner forderte die an der Kirche versammelte Volksmenge in einer wütenden Predigt zur Ermordung der verdammten Neuchristen auf, weil der König sie begünstige, und zwei andere, João Mocho und Fratre Bernardo, zogen gar mit Kreuzen durch die Straßen unter dem Rufe »Ketzerei, Ketzerei!« Die ganze Volkshefe der unruhigen Hauptstadt kam in Aufruhr, und zu ihr gesellten sich deutsche, niederländische und französische Matrosen, die Gelegenheit zum Plündern benutzend. So zogen nahe an 10000 Mörder durch die Stadt und erschlugen die Marranen, Männer, Frauen, Kinder, wo sie sie antrafen, auf den Straßen, in den Häusern und Verstecken. Auf dem Platze der Dominikanerkirche, dem Ausgangspunkte der Bewegung, wurde ein lodernder Scheiterhaufen angezündet und Marranen darauf verbrannt. Dorthin schleiften die Buben die Leichname der Gefallenen an Stricken und schichteten zwei große Haufen davon auf. So ging es die ganze Nacht hindurch. Von Sonntag nachmittag bis Montag gegen Mittag sollen fünf- bis sechshundert Marranen auf solche elende Weise umgekommen sein.

Damit war aber das Gemetzel noch lange nicht zu Ende, sondern wurde noch zwei Tage fortgesetzt. Ein Deutscher, der damals in Lissabon anwesend war, berichtete: »Am Montag bekam ich Dinge zu sehen, die fürwahr unglaublich zu sagen oder zu schreiben sind, wenn man sie nicht selber gesehen hat, von so großer Grausamkeit sind sie. Ich sah drei Mönche in der Stadt umlaufen, jeder mit einem Kreuze und sie schrien: »Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! Wer dem Christenglauben und dem Kreuze beistehen will, der komme zu uns, wir wollen gegen die Juden kämpfen und sie alle totschlagen!« So wurde das Kreuz abermals eine Fahne für Mörder, die den Trägern desselben in verschiedenen Haufen nachzogen, die Marranen aus ihren Verstecken bei Christen und selbst aus Kirchen zogen und sie tot oder [212] lebendig zu den Scheiterhaufen zerrten. Schwangere Frauen wurden aus den Fenstern geworfen und von Draußenstehenden auf Spießen aufgefangen, und die Frucht wurde öfter weithin geschleudert. Am meisten wurde Jagd auf den verhaßten Zollpächter Mascarenhas gemacht, der sich tags zuvor aus seinem Hause, wo er bereits belagert war, gerettet hatte. Als er gefangen und erkannt wurde, kühlte jedermann, auch Weiber und junge Mädchen, ihren Fanatismus an ihm. Jedermann stieß, stach und schlug ihn; wer nicht einen Hieb oder Stich seinem Leibe versetzen konnte, glaubte nicht selig werden zu können. Dann wurde sein Hausmöbel zertrümmert und nach dem Dominikanerplatz geschleppt, um einen eigenen Scheiterhaufen für ihn anzuzünden. Es war aber nicht genug Holz für den Brand vorhanden, da schossen deutsche Matrosen in heiliger Einfalt Geld für Brennmaterial zusammen und fühlten sich ganz selig, das Mascarenhas auf ihrem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Auch am dritten Tage dauerte das wahnsinnige Gemetzel fort, namentlich in der Umgegend von Lissabon, wohin sich Marranen geflüchtet hatten. Das Bauernvolk folgte dem Beispiele des hauptstädtischen Gesindels. Schändungen an Frauen und Jungfrauen fehlten nicht bei dieser fanatischen Hetzjagd. Ein marranisches Mädchen, auf deren Keuschheit ein Mönch einen Angriff gemacht hatte, tötete ihn mit seinem eigenen Messer. Vergebens forderte der Gouverneur die Volksmassen im Namen des Königs auf, vom Morden, Rauben und Plündern zu lassen, vergebens ermahnte er die Mönche, ihre aufwiegelnden Kruzifixe in die Kirche zurückzustellen. Sie hielten es für eine fromme Tat, die Neuchristen zu morden und deren Güter an sich zu ziehen. Doch legte sich nach und nach der Sturm, nachdem Mascarenhas' Tod bekannt geworden war, und der Gouverneur an verschiedenen Plätzen aufgegriffene Mörder hatte hängen lassen. Es gab auch keinen Marranen weiter zu erschlagen. Die Zahl der umgekommenen Neuchristen wird zwischen 2000 bis 4000 geschätzt. Selbst alte Christen wurden bei dieser Gelegenheit von ihren Feinden erschlagen. Der König war natürlich über dieses Gemetzel entrüstet: war es doch halb gegen seine Nachsicht gegenüber den Marranen gerichtet. Er ließ daher viele Rädelsführer fangen und bestrafen, zwei aufwieglerische Mönche wurden verbrannt. Die Bürgerschaft büßte ihre Selbstregierung ein, weil sie nicht tatkräftig gegen das Mordgesindel aufgetreten war.

Durch dieses Gemetzel war das Los der Marranen in Portugal gefallen. Das Volk wurde durch die Parteinahme des Königs für sie um so erbitterter gegen sie und sehnte sich nach ihrer Vertilgung. Ihr Leben hing also nur von der augenblicklichen Gunst des Königs ab. Vergebens fuhr Manoel fort, sie zu beschützen. Er bestimmte durch ein Dekret (vom März 1507): daß die Neuchristen den alten [213] gleichgestellt seien, und daß sie auswandern dürften, und durch ein anderes (1512), daß sie noch sechzehn Jahre wegen ihres religiösen Verhaltens nicht vor ein Gericht gestellt werden sollten.42 Die altchristliche Bevölkerung blieb indes aus Rassenantipathie und Brotneid gegen die neuchristliche feindselig und erbittert. Aufreizende Schriften gegen die Marranen wurden an öffentlichen Plätzen angeschlagen. Manoel selbst wurde fast gegen seinen Willen wiederum zu Beschränkungen gegen sie hingerissen. Er verbot ihnen abermals das Auswandern aus Portugal und unterhandelte schon mit dem Papste Leo X. – trotz wiederholter Zusicherung von Straflosigkeit wegen Judaisierens –eine Art Inquisitionsgericht für sie einzuführen.43 Der König Manoel wurde gewissermaßen von dem Fluche seiner Untat gegen die Juden verfolgt, er konnte ihre unheilvolle Wirkung nicht bemeistern.

Eine andere Wendung nahm das Verhältnis der portugiesischen Marranen unter seinem Nachfolger João III. (1522-1557), jenem Dummkopf, der den Ruin seines Landes geradezu herbeigeführt hat. Schon als Infant galt er als entschiedener Feind der Neuchristen. Zwar achtete er anfangs die Bestimmung seines Vaters, sie den Altchristen gesetzlich gleichzustellen und keine Untersuchung wegen ihres Religionsverhaltens bis zur abgelaufenen Frist anstellen zu lassen (1522, 1524)44. Aber diese günstige Nachsicht verdankten die Marranen den älteren Räten seines Vaters, welche einerseits noch erfüllt von der gewaltsamen Art bei deren Bekehrung waren und anderseits die Nützlichkeit derselben für das Gedeihen dieses kleinen damaligen Großstaates zu würdigen wußten. Denn die Marranen waren die nützlichste Volksklasse wegen ihrer Tätigkeit, ihres Großhandels, ihrer Bankgeschäfte und ihrer Kunstfertigkeit, selbst als Waffenschmiede und Kanonengießer. Sie waren im Alleinbesitze der nützlichen Kenntnisse der Medizin und Naturwissenschaften, und was damit zusammenhing. Es gab in Portugal fast nur jüdische, d.h. marranische Ärzte und Apotheker.45 In dem Maße, als sich entgegengesetzte Einflüsse auf João geltend machten, und er sich jener Räte allmählich entledigte, erlangte seine fanatische Stimmung gegen die Neuchristen die Oberhand. Die Königin Katharina, eine spanische Infantin, von Bewunderung für das Glaubensgericht ihres Vaterlandes erfüllt, und die blutdürstigen Dominikaner, neidisch [214] auf die Macht ihrer Ordensgenossen in Spanien, bestürmten den König mit Klagen über das lästerliche Verhalten der Marranen gegen den Jesusglauben und drangen darauf, deren Treiben durch Einführung der Inquisition zu steuern.46 João III. trug infolgedessen einem Beamten, Jorge Themudo, auf, das Leben der Marranen in Lissabon, ihrem Hauptsitze, zu beobachten und ihm Bericht darüber zu erstatten. Wie dieser ausgefallen ist, läßt sich von selbst denken; allzu rechtgläubig und christkatholisch fromm waren die Neuchristen keineswegs. Liebe zum Christentume konnte nun einmal in ihren Herzen keine Wurzel fassen. Themudo wich wohl nicht weit von der Wahrheit ab, wenn er dem Könige mitteilte (Juli 1524), daß einige Marranen Sabbat und Passahfest beobachteten, daß sie dagegen die christlichen Riten und Zeremonien so wenig als möglich mitmachten, nicht der Messe und dem Gottesdienste beiwohnten, nicht zur Beichte gingen, beim Sterben nicht die letzte Ölung verlangten, ihre Leichen in jungfräulicher Erde und nicht in Kirchhöfen beerdigten, daß sie für ihre verstorbenen Verwandten keine Seelenmesse halten ließen und ähnliches mehr.47

João hatte sich aber mit Themudos Bericht nicht begnügt, sondern eine spionierende Aufpasserei gegen die Marranen veranstaltet. Ein aus Spanien eingewanderter Neuchrist, namens Henrique Nuñes, der später den kirchlichen Ehrennamen Firme-Fé erhielt, wurde vom König dazu gebraucht. Dieser hatte sich in der Schule des Blutmenschen Lucero (o. S. 207) zum glühenden Marranenhasser ausgebildet, und es war sein sehnlichster Wunsch, auch in Portugal Scheiterhaufen für sie entzündet zu sehen. Ihm gab der König den förmlichen, natürlich geheim gehaltenen Auftrag, sich in die Familien der Neuchristen einzuschleichen, mit ihnen wie ein Bruder und Leidensgenosse zu verkehren, sie zu beobachten und ihm seine gesammelten Erfahrungen mitzuteilen. Von Fanatismus und Haß gegen seine Stammesgenossen verblendet, merkte Nuñes gar nicht, welch eine verwerfliche Rolle als gemeiner Spion ihm zugeteilt wurde. Er übernahm den Auftrag nur allzu willig, erfuhr die Geheimnisse der seelengemarterten Marranen in Lissabon, Evora und anderen Orten und berichtete alles, was er gesehen und vernommen, in Briefen an den König. Mit dem Bruderkusse verriet er sie, die ihn in jede Falte ihres Herzens blicken ließen. Er berichtete an den König nicht nur, daß sie keine katholischen Gebetbücher in ihrem Hause, keine Heiligenbilder auf ihren Schmucksachen und auf Tafelgeschirr hätten, daß sie keine Rosenkränze gebrauchten und dergleichen mehr, sondern er gab auch [215] die Namen der judaisierenden Marranen an, und erteilte gehässige Ratschläge gegen sie. Henrique Nuñes beging noch einen grausigeren Verrat – fast möchte man ihn von dieser Ungeheuerlichkeit freisprechen und die Schuld auf das glaubenswütige Christentum damaliger Zeit wälzen – er zeigte seinen eigenen Bruder an, daß derselbe, anstatt, seinem Rate gemäß, nach Spanien zu gehen, um dort fromm katholisch erzogen zu werden, nach Lissabon zurückgekehrt, sich heimlich dem jüdischen Bekenntnisse ergeben habe.48 João III. war infolge dieser durch Verräterei erlangten Nachrichten entschlossen, die Inquisition nach dem Muster der spanischen in sein Land einzuführen, und sandte heimlich den zuverlässigen Nuñes an Karl V. nach Spanien, wahrscheinlich um ihn dafür zu gewinnen und Einfluß auf den Papst auszuüben, daß er die Einführung der Inquisition inner halb der den Marranen bewilligten Frist gewähren solle. Die Marranen hatten aber Wind davon bekommen und waren über den gewissenlosen Spion so sehr erbittert, daß zwei derselben ihm nachsetzten, um seinen Verrat mit dem Tode zu bestrafen. Es waren zwei Franziskanermönche oder solche, die sich zum Scheine in das Mönchsgewand gehüllt hatten, Diego Vaz aus Olivença und André Dias aus Vianna. Sie erreichten ihn unweit der spanischen Grenze bei Badajoz und töteten ihn mit Schwert und Lanze. Sie fanden auch Briefe bei ihm, welche von der Einführung der Inquisition handelten. Die Rächer oder Mörder, wie sie die rechtgläubigen Christen nannten, wurden aber entdeckt, zur Rechenschaft gezogen, und ohne daß sie ihr Mönchsgewand schützen konnte, auf die Folter gespannt, um ihre Mitschuldigen anzugeben, und zuletzt zum Galgen verurteilt. Das Gericht verhängte die strengste Strafe über sie, und es wurden ihnen vor der Hinrichtung die Hände abgehauen und sie an Pferdeschweifen zum Richtplatz geschleift (Anfang 1525).49 Der Verräter Nuñes wurde aber als Märtyrer verehrt, fast heilig gesprochen und erhielt den Ehrennamen Firme Fé (Glaubensfest); die Stätte, wo er getötet worden, galt in den Augen der verblendeten Menge als ein Heiligtum und die Dominikaner sprengten Wunder aus, welche dieser Verräter verrichtet haben sollte.

Man sollte nun erwarten, daß der fanatisierte König nach diesem Vorfalle mit noch größerem Eifer die Einsetzung des Inquisitionstribunals gegen die judaisierenden Marranen betrieben hätte, deren [216] Namen ihm durch Nuñes' Liste bekannt geworden und die, wie vorausgesetzt war, an dessen Tod mitschuldig waren. Der König ließ in der Tat sogleich eine strenge Untersuchung, um die Mitschuldigen der beiden marranischen Mönche zu ermitteln, durch einen Hauptfeind der Neuchristen anstellen, durch den Professor Petro Margalho, denselben, welcher ihm Nuñes als zuverlässiges Werkzeug empfohlen hatte.50 Er hatte um so mehr Veranlassung, mit Strenge gegen die Marranen zu verfahren, als zur selben Zeit die Cortes Klagen gegen diese erhoben, die, wie ungerecht sie auch waren, ihm einen Vorwand zur Verfolgung der für gemeinschädlich gehaltenen Volksklasse bieten konnten. Die in Torras-Novas (1525) versammelten Cortes hatten nämlich Beschwerde geführt,51 daß die Marranen die Renten der großen Besitzungen an sich gerissen, daß sie Getreidewucher im großen trieben und die notwendigsten Lebensmittel verteuerten, daß sie allein die Arzneikunde ausübten, auch im Alleinbesitze der Apotheken wären und dadurch den alten Christen schädliche Medikamente verabreichten. Die Cortes hatten daher an den König das Gesuch gestellt, daß den Neuchristen verboten werden sollte, Apotheken zu besitzen und den marranischen Ärzten, die Rezepte in lateinischer Sprache zu schreiben, da außer ihnen sie nur wenige verständen. Sie hatten auch verlangt, daß dafür gesorgt werden sollte, altchristliche Jünglinge Medizin studieren zu lassen, um den neuchristlichen Ärzten dieses Monopol aus den Händen nehmen zu können. Unerwarteterweise ging Don João gar nicht auf diese Klagen ein und erließ keinerlei Beschränkungen gegen die Marranen.52 Auch die Untersuchung gegen die Mitschuldigen an Nuñes' Tod wurde, wie es scheint, geflissentlich in die Länge gezogen.53 Es wird ausdrücklich berichtet, der König habe damals den Plan zur Einführung der Inquisition fallen lassen.54 Welchem Umstande hatten die bereits aufs Schlimmste gefaßten portugiesischen Marranen diese Gunst zu verdanken? Ein Zufall, die Kühnheit eines Abenteurers scheint anfangs eine günstige Umstimmung im Gemüte des schwachen, wankelmütigen Königs hervorgerufen zu haben.

Ein aus dem dichten Dunkel herausgetretener Mann aus dem fernen Osten, von dem man nicht weiß, ob er ein Betrüger oder ein alles wagender Schwärmer war, und ob er eine messianische oder [217] eine politische oder Abenteurerrolle zu spielen gedachte, hat in derselben Zeit eine tiefgehende Bewegung in der Judenheit veranlaßt, und davon sind die Marranen im äußersten Westen berührt worden. David, der Abstammung nach wohl ein Morgenländer,55 der eine geraume Zeit in Arabien und Nubien geweilt, trat nämlich plötzlich in einer eigentümlichen Rolle in Europa auf und erweckte durch Wahrheit und Dichtung unerfüllbare Hoffnungen. Er gab sich nämlich als Abkömmling des angeblich unabhängig in Arabien lebenden altisraelitischen Stammes Rëuben aus, und zwar als Prinz und Bruder eines dort regierenden jüdischen Königs, vormals Joseph, und ließ sich daher David Rëubeni nennen. In Arabien hatte er sich tatsächlich aufgehalten und zwar in der Landschaft Chaibar im nördlichen Hegas, wo zur zeit Mohammeds und noch später unabhängige jüdische Stämme wohnten.56 Möglich, daß noch im sechzehnten Jahrhundert neuerdings eingewanderte Juden ihre Unabhängigkeit von den herrschenden, mohammedanischen Stämmen durchgesetzt hatten. Aber daß diese Juden Überbleibsel der ehemaligen Stämme Rëuben und Gad waren, und daß sie unter einem jüdischen Herrscher standen, der noch dazu aus der Davidischen Königsfamilie stammte, (wie David Rëubeni erzählte), war unstreitig ein von ihm erfundenes Märchen.

Dieser Mann mit einer großen Lust an Abenteuern und Irrfahrten verließ Chaibar (Dezember 1522), wanderte mehrere Monate in Nubien umher, öfter unter mohammedanischer Verkappung, wollte auch dort zwischen dem weißen und blauen Nil Überbleibsel ehemaliger Stämme gefunden haben und traf endlich in Ägypten ein. Dort erzählte er zuerst sein Märchen von einem mächtigen jüdischen Staate in Chaibar, scheint aber wenig Glauben gefunden zu haben. Auch in Palästina, wo er mehrere Monate weilte, (März bis Juni 1523), scheint er kein geneigtes Ohr für seine abenteuerlichen Erzählungen und Pläne gefunden zu haben, und reiste daher über Alexandrien nach Venedig (Februar 1524). In diese ehemalige Weltstadt, die Vermittlerin zwischen Europa und Asien, war bereits von Palästina aus der Ruf von dem Sendboten der altisraelitischen Stämme und seinen Fabeln gedrungen und hatte die Neugierde rege gemacht. Die kurz aufeinanderfolgenden Entdeckungen neuer Welten zum großen Staunen des damaligen Geschlechtes, das mit einem Male von Ländern, Menschen, Sitten und Dingen reden hörte, von denen man bis dahin in dem engen Gehäuse der mittelalterlichen Geographie keine Ahnung hatte, diese alltäglich gewordenen Wunder hatten die [218] damals Lebenden leichtgläubig gemacht. Sie waren darauf gefaßt, das Unglaublichste verwirklicht zu sehen. Die Köpfe, die noch von mittelalterlichen Vorstellungen befangen waren, zweifelten nicht daran, daß sich auch die verbreiteten geographischen Fabeln durch neue Entdeckungen bewähren würden. Die Christen hofften auf die Auffindung des Reiches des fabelhaften Priesters Johannes, in dem das Urchristentum seinen Sitz habe. Die Könige von Portugal, die Anreger der Entdeckungen neuer Ländergebiete, hatten eigens Kundschafter nach Asien und Afrika gesendet, dieses Land aufzusuchen. Die, Juden hatten erwartet, daß eines Tages die verschwunden geglaubten israelitischen Zehnstämme in irgend einem Winkel von Asien aufgefunden, und daß selbst der fabelhafte Fluß Sabbation oder Sambation, der an den Werktagen fließe und am Sabbat stillstehe, mit den daran wohnenden Mosessöhnen, die das uralte Judentum bewahrten, irgendwo entdeckt werden würden. Nun war ein Abgesandter angeblich unabhängiger israelitischer Stämme in David Rëubeni in Venedig eingetroffen. Welch ein Wunder! Die Phantasie der europäischen Juden war die zuverlässigste Bundesgenossin für diesen Abenteurer: sie bahnte ihm den Weg. Sein angeblicher Reisezweck, den er halb durchschimmern ließ und sein Diener ganz ausplauderte, erhöhte noch die Erwartung. Es hieß, er sei von seinem Bruder, der über dreimal hunderttausend auserwählte Krieger gebiete, und von den siebzig Ältesten des Landes Chaibar an die europäischen Fürsten, namentlich an den Papst abgeordnet, um von ihnen Feuerwaffen und Kanonen zu erwirken, um damit einerseits die mohammedanischen Völker, welche die Vereinigung dies- und jenseits des roten Meeres wohnender jüdischer Stämme hinderten, zu bekämpfen und anderseits mit den kriegstüchtigen jüdischen Armeen die Türken aus dem heiligen Lande zu jagen.

David Rëubenis Person und Benehmen trugen dazu bei, ihm Glauben zu verschaffen. Beides hatte etwas Fremdartiges, Geheimnisvolles, Exzentrisches. Er war von schwarzer Hautfarbe, zwerghaft und von einer Magerkeit, welche durch anhaltendes Fasten ihn zum durchsichtigen Skelett machte. Dabei besaß er Mut, Unerschrockenheit und ein barsches Wesen, welches jede Vertraulichkeit fernhielt. Er sprach nur hebräisch, aber in einem so verdorbenen Jargon (wahrscheinlich nach fremder Aussprache und ungrammatisch), daß ihn weder die asiatischen, noch die südeuropäischen Juden verstanden. Er gab vor, nie Talmud gelernt zu haben, noch überhaupt die jüdische Literatur zu kennen, sondern ein Krieger zu sein, der in einer einzigen Schlacht vierzig Mann erschlagen habe. Später stellte es sich aber heraus, daß er in den kabbalistischen Dusel eingeweiht war und nur Unwissenheit heuchelte.

[219] In Venedig angekommen, kehrte er bei keinem Juden ein, sondern blieb im Hause des Schiffskapitäns, der ihn dahin gebracht hatte: aber sein mitgebrachter Diener hatte indessen die Juden auf ihn aufmerksam gemacht; sie suchten ihn auf. Ein jüdischer Maler, Mose, und ein angesehener reicher Mann, Mazliach (Felice), verwendeten sich eifrig für ihn, obwohl er ihnen nur im allgemeinen angedeutet hatte, er habe einen Auftrag für den Papst zum Wohle der Judenheit, und sie sollten ihm ein Schiff verschaffen, um so bald als möglich nach Rom gelangen zu können. In Rom angekommen (Februar 1524), ritt er auf einem weißen Roß mit einem Diener und einem Dolmetsch an den päpstlichen Hof und erlangte gleich eine Audienz bei dem Kardinal Giulio im Beisein anderer Kardinäle. Auch vom Papste Clemens wurde er in Audienz empfangen und überreichte ihm Beglaubigungsschreiben.

Clemens VII. (auf dem päpstlichen Stuhle 1523-1534) war einer der edelsten Päpste, aus dem florentinisch-mediceischen Hause, in unehelicher Geburt erzeugt, klug und milde, der von dem Bestreben beseelt war, Italien unabhängig von den Barbaren, d.h. von den Deutschen zu machen. Aber seine Regierung fiel in eine Zeit, wo Europa aus den Angeln gehoben war. Auf der einen Seite drohte die von Luther ausgegangene Reformation, die täglich Riesenfortschritte machte, das Papsttum zu untergraben, und auf der andern Seite drückte die Wucht des in der Hand Karls V. vereinigten großen Reiches von Spanien und Deutschland, wozu noch Burgund und ein Teil von Amerika gehörten, auf Italien, und es war nahe daran, in sklavische Abhängigkeit vom Kaiser zu geraten. Überwarf sich Clemens mit dem Kaiser, so begünstigte dieser die Reformation und machte Miene, die päpstliche Gewalt einzuschränken. Versöhnte er sich mit ihm, so geriet Italiens Freiheit in Gefahr. So war er trotz seines festen Charakters in steter Schwankung und nahm, wie die meisten seiner Zeitgenossen, zu astrologischen Künsten seine Zuflucht, um das, was menschliche Klugheit nicht voraussehen konnte, durch Konstellation zu erfahren. Clemens war kein Fanatiker, überhaupt mehr weltlich als geistlich gesinnt und seinem Verwandten Leo X. ähnlich; daher war er auch milde gegen die Juden und schützte sie vor Verfolgungen.

In dem kleinen Kirchenstaate innerhalb Frankreichs, in der Grafschaft Venaissin, in den größeren Städten Avignon und Carpentras, wo auch Juden aus Spanien sich angesiedelt hatten, waren diese und die Urbewohner nicht bloß geduldet, sondern mit außer ordentlichen Freiheiten bedacht. Sie durften unbeschränkt Handel und Gewerbe treiben. Sie waren befreit von dem lästigen Zwang, Bekehrungspredigten anzuhören, welche früher Päpste und Konzilien ihnen auferlegt [220] hatten. Sie waren auch von dem Tragen einer jüdischen Tracht befreit. Vor Gericht waren sie gleichgestellt. Dieser Papst nahm die Juden dieses Kirchenstaats in besonderen Schutz und bedrohte diejenigen, welche ihren Frieden antasten sollten, mit dem Kirchenbanne.57 Wegen dieser besonderen Begünstigung der Juden beklagten sich Deputierte der Städte und wünschten deren Beschränkung.

Dem Papste Clemens VII. scheint David Rëubeni Beglaubigungsschreiben von portugiesischen Kapitänen oder Geschäftsträgern, die er in Arabien oder Nubien angetroffen haben mag, überreicht zu haben, welche ihm wohl das Vorhandensein von kriegerischen Juden in jenem Himmelsstrich bezeugt haben, vielleicht noch mehr, was ihnen der Abenteurer mit seiner imponierenden Erfindungsgabe aufgebunden haben mochte. Diese Kreditive überschickte der Papst dem portugiesischen Hofe, und als man sie dort bewährt gefunden, wurde David mit großer Auszeichnung und mit allen Ehren eines Gesandten behandelt. Auf einem Maulesel ritt er durch Rom, begleitet von zehn Juden und mehr als zweihundert Christen. Der Plan mag dem Papste, dessen Unternehmungen durch den Widerstreit der verwickelten Verhältnisse jeden Augenblick durchkreuzt wurden, geschmeichelt haben, einen Kreuzzug gegen die Türkei, und zwar durch ein israelitisches Heer zu veranlassen, den gefährlichsten Feind der Christenheit aus dem heiligen Lande vertreiben zu lassen und solchergestalt wieder die kriegerischen Angelegenheiten in Händen zu haben. Selbst die Ungläubigsten unter den Juden, welche Davids Worten nicht ganz trauten, konnten sich der überraschenden Tatsache nicht verschließen, daß ein Jude von dem päpstlichen Hofe mit solcher Zuvorkommenheit und Ehre behandelt wurde, und waren auch ihrerseits überzeugt, daß mindestens ein Korn Wahrheit in Davids Angaben liegen müsse. Die römischen und fremden Juden drängten sich seitdem an ihn, der ihnen eine hoffnungsreiche Zukunft zu eröffnen schien. Die Señora Benvenida Abrabanela, Frau des reichen Samuel Abrabanel (o. S. 38), sandte ihm aus Neapel bedeutende Geldsummen, eine kostbare Seidenfahne mit den zehn Geboten eingestickt, und sonst noch reiche Gewänder. Er aber spielte seine Rolle meisterhaft, die Juden in scheuer Entfernung zu halten. Nur einem steinreichen Manne, Daniel aus Pisa, machte er vertrauliche Mitteilungen. Dieser hatte Zutritt zum päpstlichen Hofe nud sorgte für Davids Bedürfnisse und Bequemlichkeiten.

Als endlich ein förmliches Einladungsschreiben vom König von Portugal an David Rëubeni einlief, sich an dessen Hof zu begeben, verließ er Rom nach mehr denn einjährigem Aufenthalte und reiste [221] mit einer jüdischen Fahne zu Schiffe dahin. In Almeria, der Residenz des Königs João III. bei Santarem, wo David (im November 1525) mit einer zahlreichen Dienerschaft wie ein Fürst mit reichen Geldmitteln und mit einer schön gestickten Fahne eingetroffen war,58 wurde er ebenfalls mit Auszeichnung behandelt, und es wurde mit ihm ein Plan verabredet, wie für die israelitischen Reiche in Arabien und Nubien Waffen und Kanonen von Portugal geliefert werden sollten. Davids Erscheinen in Portugal hat gewiß eine Umstimmung gegen die Marranen hervorgerufen und João59 bewogen, die beabsichtigte Verfolgung gegen sie fallen zu lassen. Zu einer so weitreichenden Unternehmung brauchte er ihre Unterstützung, ihre Kapitalien und ihren Rat. Wollte er ein Bündnis mit einem jüdischen König und seinem Volke eingehen, durfte er die Halbjuden in seinem Lande nicht verfolgen. Darum erkaltete plötzlich sein Eifer für die Einführung der Inquisition in Portugal.

Man kann sich das Erstaunen und die Freude der Marranen in Portugal denken bei der Wahrnehmung, daß ein Jude nicht nur in Portugal eingelassen wurde, sondern auch Zutritt bei Hofe erhielt und mit demselben in Verkehr trat! So hätte denn die Erlösungsstunde für sie geschlagen, nach der sie sich in tiefster Seele gesehnt hatten! Unerwartete Hilfe sei für sie eingetroffen, Befreiung und Rettung aus ihrer Angst. Sie atmeten wieder auf. Gleichviel ob sich David Rëubeni als messianischer Vorläufer ausgegeben hat oder nicht, die Marranen hielten ihn dafür und zählten die Tage bis zur Zeit, wo er sie das neue Jerusalem in herrlicher Pracht sehen lassen würde. Sie drängten sich an ihn, küßten ihm die Hände und behandelten ihn, als wäre er ihr König. Von Portugal aus drang die angebliche Heilsbotschaft nach Spanien zu den dort noch unglücklicheren Marranen, die sich einem förmlichen Freudentaumel überließen. Der Gemütszustand dieser Menschenklasse war ohnehin ungewöhnlich, exzentrisch und unberechenbar geworden. Täglich und stündlich die Seelenqual erdulden, Religionsgebräuche mitmachen zu müssen, die sie im Grund ihrer Seele verabscheuten, und im Versteck die Vorschriften des Judentums zu beobachten, in steter Gefahr dabei ertappt oder auch nur durch einen leisen Verdacht oder eine Denunziation in die Inquisitionskerker geworfen, gemartert und zum Scheiterhaufen geschleppt zu werden! Es war kein Wunder, daß manche von ihnen das Gleichgewicht ihrer Seelenkräfte verloren und in [222] wahnsinnähnliche Zustände verfielen. Ein Marrane in Barcelona, ein Jünger des Rabbiners Jakob Berab (o. S. 12), hatte die fixe Idee, Gott in drei Personen zu sein; er prophezeite, er werde den Tod erleiden und in drei Tagen wieder auferstehen, und daß alle, die an ihn glaubten, selig werden würden.60 Er wurde allerdings hingerichtet, dafür hatte die Inquisition gesorgt, statt ihn als Wahnsinnigen einer Seelenheilanstalt zu übergeben. Messianische Hoffnungen, d.h. Erlösung durch ein Wunder vom Himmel, das war die Atmosphäre, in der die in ihrem Herzen der Religion ihrer Väter treugebliebenen Marrauen atmeten und webten. Bei der Nachricht von dem Eintreffen des Gesandten eines jüdischen Reiches am portugiesischen Hofe, flüchtete eine Menge spanischer Neuchristen nach Portugal, um dem angeblichen Erlöser nahe zu sein.61 David, der die Freiheit genoß, in Portugal sich frei zu bewegen, scheint sich aber sehr vorsichtig benommen zu haben; er machte ihnen keine Hoffnung und ermunterte sie nicht, sich offen zum Judentum zu bekennen. Er wußte wohl, daß er über einem Abgrunde schwebte, und eine Äußerung oder eine Tatsache von ihm zur Überredung der Neuchristen hinterbrächt, ihm das Leben kosten könnte. Dennoch hefteten sich ihre Blicke auf ihn; sie waren mehr denn je erregt und gespannt auf wunderbare Ereignisse, die unfehlbar eintreffen müßten.


Fußnoten

1 Respp. Meïr Katzenellenbogen von Padua Nr. 78.


2 Vergl. darüber Respp. Gam. Ibn-Jachja (םירשי תמח) Nr. 108 p. 82 c; Respp. Mose di Trani I. Nr. 307, II Nr. 48.


3 Respp. Joseph Karo לכוד תקבא Nr. 65.


4 Vergl. Respp. Meïr von Padua Nr. 46.


5 Unter dem Titel םלוע תומי schon in dem 1497 verfaßten Werke העושיה יניעמ ganannt.


6 Ibn-Verga Schebet Jehuda Nr. 50: היליטשק ישורג ןודל יתיאר תורחא תודמשו .. יטניסיו יארפ תרזגו לאגוטרופו םלכ םבתכ םשש תוחכות 'פב לינבארבא הדוהי. Diese Schrift Juda Abrabanels wird von den Bibliographen nicht genannt.


7 S. o. S. 35.


8 Der Hauptinhalt seiner polemischen Schrift רוא םייחה.


9 Sein Hauptwerk רוא הרות, vollendet 1537, gedruckt Bologna 1539. Er kommentierte auch mehrere biblische Schriften.


10 Es sollte eigentlich nicht mehr die Rede davon sein, daß Leon Medigo, Verfasser der Dialoghi d'amore, zum Christentum übergetreten sei. Aber es gibt Irrtümer, die mit Zähigkeit festgehalten werden, und man darf nicht müde werden, sie zu widerlegen. Delitzsch gefiel sich noch in dem Gedanken, daß dieser gefeierte Schriftsteller bei der Abfassung Christ gewesen (Orient. Litbl. 1840 S. 98) und führt einen Schnitzer als Beweis dafür an. Gedalja Ibn-Jachja referiert nämlich von ihm: ארקנה ירצונ רפס רבח אוה ידוהיה ןואיל יד יגולאיד. Delitzsch verstand nun unter ירצונ einen Christen. Bei etwas mehr Verständnis hätte er die Ungereimtheit einsehen müssen; das Wort bedeutet hier nämlich, daß dies Buch nicht Hebräisch, sondern Italienisch geschrieben war. Zu den Beweisen gegen Leons Übertritt bei Wolf, Bibliotheca II p. 435, und der Bezeugung bei de Rossi und Ibn-Jachja läßt sich noch Folgendes hinzufügen. Amatus Lusitanus kannte ihn noch nach seinem Tode als einen Juden (o. S. 6, Anmerk). Ferner die Dialoge sind verfaßt 1502, und vom selben Jahre stammt sein versifiziertes Sendschreiben an seinen geraubten Sohn in Portugal, worin er Liebe zum Judentum und Bitterkeit gegen das Christentum ausspricht und auf Zions Glanz, sowie auf das Erscheinen des Davidsohnes hofft (Ozar Nechmad II p. 70). Noch mehr. Diejenigen, welche seine Bekehrung behauptet haben, scheinen die Dialoghi gar nicht gelesen zu haben. Denn darin nennt der Verf. die Talmudisten »die Weisen« schlechthin (Dialoghi, I p. 6 b).. et li savii dicono, che il vero ricco è quello, che se contenta di quelque possiede; (Dialog. III p. 106): e li sapienti metaphoricamente declarano, che morirono (Moïse ed Aaron) bacciando la divinità. Beides Zitate aus der agadisch-talmudischen Literatur. Ferner nennt er Maimuni »den Unsern« (Dial. II. p. 96 b): ed il nostro Rabi Moïse d'Egitto nel suo Morhe. Eben so nennt er Abensubron, d.h. Ibn-Gebirol (Dial. III p. 160): Come pone il nostro Abensubron nel suo libro de fonte vitae. Bei Angabe eines Datums gebraucht er die jüdische Aera der Weltschöpfung (das. III p. 107). Siamo secondo la verità Hebraica à cinque milia ducento sessanta due dal principio della creatione. Braucht man schließlich noch mehr Beweise, als den, daß sein Vater in seinem Schreiben an Saul Kohen noch im Jahre 1506 von ihm mit Zärtlichkeit spricht? – Der Irrtum, Leon Abrabanel Medigo zum Christen zu stempeln, beruht auf zwei Scheinbeweisen. Der erste Editor der Dialoghi von 1535, Mariano Lenzi, hat auf dem Titelblatt, wahrscheinlich, um christliche Leser dafür zu gewinnen, angegeben: Dialoghi di amore composti per Leone Medico di natione Hebraeo, e depoi fatto Christiano. Das beweist also gar nichts. Dann wird im Texte unter denen, welche mit ihrem Leibe in den Himmel entrückt worden seien, Enoch und Elia, auch Johannes der Täufer angeführt. Aber das ist ohne Zweifel ein Einschiebsel von christlicher Hand. Kurz, Leon Abrabanel Medigo ist bis an sein Ende Jude geblieben und hat die Dialoghi als Jude geschrieben. Was Delitzsch darin von der Trinitätslehre hat finden wollen, ist Phantasmagorie.


11 S. B. VIII 3 S. 359.


12 Zitat bei Delitzsch a.a.O. col. 88.


13 Erste Ausgabe Rom 1535, dann Venedig 1541, 1545, 1549, 1558.


14 1550, 1551. Die Übersetzung Sylvestres wurde korrumpiert in ein Disputa di San Salvestro et di Leone Hebreo.


15 1564.


16 1568. Später wurden sie noch zweimal ins Spanische übertragen; vergl. Delitzsch a.a.O. und Katalog der Bodleiana s.v. Ins Hebräische übersetzte sie Leon Modena, erschienen unter dem Titel הבהאה לע חוכיו Lyck 1871.


17 Respp. Levi b. Chabib Nr. 8 und Nr. 75.


18 Respp. David Ibn-Abi Simra ed. Livorno Nr. 8, ed. Ven. I Nr. 170.


19 Siehe B. VII 2 S. 436.

20 Respp. Tam Ibn-Jachja und Respp. Elia Misrachi, siehe B. VIII3 3 Seite 455.


21 Abraham Levis Sendschreiben an den Nagid Isaak Schalal Kerem Chemed IX p. 141 fg.


22 Respp. David Ibn-Abi-Simra ed. Livorno Nr. 101. יפ לע םירפסה לכ היגהש םיממוקתמה ןמ דחא השעש המ לע ינדיחפה היגמהש יפ לע ףאו ... יאחוי ןב ןועמש 'ר לש שרדמ הלב אלו הלחתב רשאב רפסה ןקת םימכחח ןמ דחא יכ ורמאב .וירבדל יתששח אל, רוהנ יגס השענש דע והנש


23 ןוקתה םלוע.


24 Komment. zum Daniel העושי יניעמ, vollendet 1. Tebet = 6. Dez. 1496 (gedr. Ferrara 1551); II. über messianische Stellen in den Agadas וחישמ תועושי, voll. 20. Tebet = 26. Dez. 1497 (Karlsruhe 1826); III. über messianische Stellen in den Propheten und Psalmen העושי עימשמ, voll. 4. Adar = 26. Febr. 1498 (Salonichi 1526).


25 Vergl. B. VIII3 S. 32, 177. Abrabanels Ausfälle gegen dieselben im Werk I p. 91, II p. 15, 17 und Anf. von III, auch in seinem הנמא שאר.


26 Im Jahre 1531 und 1532. Vergl. Abrabanel I p. 78, 86, 102, 122; II p. 6 b, 12 c; III p. 16 b, 22 d.


27 Siehe über ihn Note 3.


28 Vergl. oben Seite 72 Note 3.


29 Llorente histoire de l'Inquisition I, 345 S. B. VIII 3, 479.


30 Boletin 1887, 429, Revue d. Et. XVIII 137 B. VIII S. 406.


31 Llorente, histoire de l'Inquisition en Espagne I p. 345 ff.


32 In allen Biographien des Kardinals, Großinquisitors und Regenten Ximenes mitgeteilt.


33 Llorente a.a.O. II Auf. und p. 337 ff.


34 Siehe B. VIII 3 S. 386. Auszüge aus Archiven über die Schicksale der Marranen in Portugal, Herculano da origem e estabelecimento da Inquisição em Portugal I p. 29 fg. p. 42 Note. Aus dens. Quellen bei G. Heine in Schmidts Zeitschrift für Geschichte, Jahrg. 1848 S. 154 f.; auch aus einem italienischen Gesandtschaftsbericht, abgedruckt aus einem Kodex am Ende Note 6.


35 Gesetz v. April 1499.


36 Bei Herculano a.a.O. p. 134.


37 Bei Heine a.a.O. S. 155. Herculano das. 141.


38 Das.

39 In dem Berichte eines anonymen deutschen Augenzeugen über die Massaker der Marranen in Lissabon unter dem Titel »von dem Streyt kürzlich geschehen in L ... zwischen den Christen oder neueren Christen und Juden,« mitgeteilt von G. Heine a.a.O. S. 173 ff. heißt es: Johann Roderich Mastarenus.. war das Haupt aller Juden, voll Büberei, falsch und böswillig, so daß nicht zu schreiben ist, was er in seinen Tagen für Bosheit und Büberei erdacht und getrieben A. Von demselben erzählt auch der Augenzeuge Salomo Ibn-Verga (in Schebet Jehuda Nr. 60 p. 97): תצק ורמא תאנש לכ היה םכומ שאיינירקשאמ ארקנ ידוהי שיא תאנשמ יכ .. היארו םדגנב םיקח הברמו םהילע האגתמ היהש יפל םירצונה הגירהה ןמ וחנ שאייירקשאמל ואצמש דימ. Mascarenhas ist ein echter portugiesischer Familienname; im Bericht des anonymen Deutschen ist er offenbar in Mastarenus verstümmelt.


40 Gutachten des Bischofs Coutinho bei Heine a.a.O. S. 178: ... et adeo aliqui (Judaei baptizati) qui coram me adducti fuere, tamquam inculpati a crimine haereseos (i.e. relapsus in Judaismum) Doc. Joh. Petrus et episcopus Funchalen et pater Ferdinandus eos Judaeos reputabant et non haereticos. Das. S. 180:.. qua de causa episc. Funchalen et ego illos, qui ad nostras manus veniebant propter similes causas haereseos, dimitti mandavimus.


41 Nachrichten über dieses Gemetzel bei sämtlichen portugiesischen Chronisten; neue Quellen: der Bericht eines deutschen Augenzeugen (o. S. 210), ferner eine Klageschrift der Marranen für den Papst, die G. Heine und Herculano benutzt haben p. 142 fg. Von jüdischer Seite Salomon Ibn-Verga a.a.O., der angibt: םימי רחאו יתייה ריעל ץוחמ הנובשילב םש רשא הגירהה תריזג .הז יארב הז יאר אל יל ורמא יבושב


42 Bei Heine a.a.O. S. 159; Herculano das. p. 153 fg. Llorente, Inquisition en Espagne II p. 99. Vergl. das. II p. 42 Note, wo nachgewiesen ist, daß, da das erste Indulgenz-Privilegium, 1497 ausgestellt, für 20 Jahre dauern sollte, so liefen diese 1517 ab, durch die Prolongation auf 16 Jahre dauerte also die Indulgenz bis 1533.


43 Urkunde bei Herculano von 1515 das. p. 162 fg.


44 Am besten das. p. 178 fg. 207. Die Frist sollte also erst 1533 ablaufen.


45 Das. I p. 186, II p. 30, 275.


46 Urkunde bei Herculano, p. 181 f., 188, 206 fg.


47 Das. p. 189 fg.


48 Das. p. 195 fg., 199 fg., 205. Diese Schändlichkeit wäre unglaublich, wenn der Fanatiker sie nicht selbst erzählte: En la primera audiencia que me hizo merced (el Rei) de me oyr me quexè deste mi hermaño, que lo habia mandado hurtar de acà para Castilla por lo hazer Catholico, como lo tenia hecho, e vino a Lisboa a hazerse judio como los otros.


49 S. die italienische Information Note 6 und Herculano a.a.O. p. 200 fg.


50 Herculano das. p. 208 fg., s. auch dieselbe Note 6.


51 Herculano, das. p. 185 fg.


52 Das. p. 187.


53 Nach Herculano, p. 195 Note, wurde der Prozeß im Februar 1525 eingeleitet, und die Berichterstattung darüber erfolgte erst etwa Oktober 1527; das. p. 208 f., 209 Note.


54 Italienische Information Note 6.


55 Siehe Note 5.


56 Vergl. Band V S. 69 ff. und Band V Note 10. Von unabhängigen Stämmen in Arabien im 16. Jahrh. liefern nicht ganz unglaubwürdige Zeugnisse Isaak Akrisch im רשבמ לוק gegen Ende und Abr. Megasch Predigten םיהלא דובכ.


57 Revue des Etudes Juives VII 235 II.


58 Siehe Note 5.

59 Vergl. Kayserling, Geschichte der Juden in Portugal 157 fg. Der von João de Sousa genannte Abraham ben Zamaira, welcher zu Gunsten der Portugiesen einen Waffenstillstand abgeschlossen hat, kommt auch in Davids Reisebericht vor: תאמ םיבתכ ילא ןתנ יפסיאמ רומיז ןב םהרבא 'ר תאמו הסיפמ םידוהיה.


60 Llorente, Histoire de l'Inquisition en Espagne I p. 338.


61 S. Note 5.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1907, Band 9, S. 224.
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