8. Kapitel. Börne und Heine. (1819-1830.)

[345] Börnes und Heines jüdischer Kern. Börnes Leben, Bildungsgang und Charakter. Sein Verhältnis zum Judentum. Sein Freiheitsdrang. Seine Neigung zum Katholizismus vor seinem Tode. Heine, sein Lebensgang, seine religiöse Erziehung und seine unglücklichen Jünglingsjahre. Sein Verhalten zum Judentum. Die Juden in Polen, von Heine geschildert. Heines Bitterkeit gegen die herrschende Religion. Der Almansor. Der Rabbi von Bacharach. Michael Beer und sein Paria. Heines Taufe und die eigenen Glossen darüber. Seine Ansichten über Juden und Judentum in der Jugend und im Alter. Börnes und Heines Einfluß auf die Literatur und den Geist.


Gehören auch Börne und Heine in die jüdische Geschichte? Allerdings! Es floß nicht bloß jüdisches Blut in ihren Adern, sondern auch jüdischer Saft in ihren Nerven. Die Blitze, die sie bald in regenbogenartigen Farben, bald in grellen Streifen über Deutschland flammen ließen, waren mit jüdisch-talmudischer Elektrizität geladen. Sie haben zwar beide sich äußerlich vom Judentume losgesagt, aber nur wie Kämpfer, die des Feindes Rüstung und Fahne ergreifen, um ihn desto sicherer zu treffen und ihn desto nachdrücklicher zu vernichten. So waren sie Heuchler? Man mache die Lauheit oder Einfalt der halben Dorfpfarrer verantwortlich, die sie mit dem Taufwasser besprengten, ohne sie um ein aufrichtiges Glaubensbekenntnis zu befragen! Trotz des Taufwassers haben ihre Gegner sie als Juden betrachtet und beschimpft. Und in der Tat hing einer von ihnen ungeachtet seiner wechselnden Stimmungen im Herzen dem Judentum aufrichtiger an, als die Friedländers, die sich als dessen Vertreter gebärdeten. Diese beiden reichbegabten Persönlichkeiten, die man ungeachtet ihrer inneren Verschiedenheit, wie Schiller und Goethe, als ein Zwillingspaar ansehen kann, haben den mittelalterlichen Qualm, den die Deutschen künstlich, um das Licht zu verdunkeln, um sich anhäuften, mit ihrem blitzartigen Geiste durchbrochen und dem reinen [345] Lichte wieder Zutritt verschafft. Witz und Geist, für die außer Lessing nur wenige in Deutschland bis dahin das rechte Verständnis gehabt hatten, machten sie in der deutschen Literatur heimisch und verbannten die deutsche Hölzernheit und Unbeholfenheit, über welche sich die Nachbarvölker lustig zu machen pflegten.

In ihrer kindischen Verbissenheit gegen die Juden behaupteten die Deutschtümler, die Rühs, Fries und die Hundt-Radowsky, das Judentum könne keinen Mann von Charakter, keine Seele mit freierem Kunstsinn aus sich gebären; da strafte sie die Geschichte sofort Lügen und beschämte sie. Das Judentum stattete einen charakterstarken Freiheitsapostel mit einer Sprache aus, welche an die Propheten und an die römischen Catone erinnerte, und dieser verwirrte alle Begriffe der Deutschen von der Staatsrechtslehre, und es stellte noch dazu einen kunstsinnigen Dichter auf, mit einer Mischung von inniger Poesie und geißelnder Ironie, und dieser warf alle ihre Kunstregeln über den Haufen. Es ist wohl nicht allzu übertrieben, zu behaupten, daß kein Volk der Erde in der Gestaltenfülle der Geschichte zu gleicher Zeit zwei solche eigenartige Naturen erzeugt hat, welche mit Börne und Heine verglichen werden könnten. In der Geschichte des jüdischen Volkes stehen sie nicht vereinzelt. Börne erinnert mit seiner Gefühlstiefe und seinem zugleich verwundenden und heilenden Witz an den prophetischen und psalmistischen Spott über Verkehrtheiten. Heine hatte Seitenstücke an Ibn-Esra, Alcharisi und Immanuel Romi, deren Satire sich über sich selbst lustig machte, die ebenfalls äußerlich hell auflachten und innerlich tiefen Gram bargen. Der mannigfaltige Blütenschmuck des Börne-Heineschen Geistes ist aus jüdischen Wurzeln entsprossen. Nicht bloß ihr Witz war jüdisch, sondern auch ihr Wahrheitsdrang, ihr Widerwille gegen Schaustellungen, ihr Haß gegen das Bemänteln und Verschleiern, ihre Verachtung des offiziellen Gepränges, der benebelnden Weihrauchswolken für nichts und wieder nichts, der ambrosianischen Orgelklänge für Lüge, Menschenknechtung, Rechtsverdrehung und Menschenschlächterei. Die demokratische, freiheitsglühende Gesinnung, die bei Börne mehr, bei Heine weniger, die spinozistisch einschneidende Zergliederung, die bei diesem mehr, bei jenem weniger hervortritt, das alles war an ihnen urjüdisch. Im Christentume geboren und im offiziellen Geiste erzogen, wären beide nicht das geworden, was sie waren; befreiende Mächte, welche eingewurzelte Torheiten und Verkehrtheiten mit lachender Miene bannen halfen. Sie, die Geknechteten, wurden Befreier und erlösten ihre Feinde von dem Doppeljoche politischer und gesellschaftlicher Unmündigkeit.

[346] Fast hätten die Deutschtümler Dank dafür verdient, daß sie die Juden mit ihrem Rückfall in die Barbarei so empfindlich gequält haben. Sie haben dadurch, wenn auch nicht Heine, so doch entschieden den zu träger Beschaulichkeit geneigten Börne aufgerüttelt und ihm den Pfeil in die Hand gedrückt, womit er sie ins Herz traf. – Ludwig Börne oder Löb Baruch (geboren in Frankfurt a.M. 1786, starb in Paris 1837) erblickte das Licht der Welt in demselben Jahre, in dem es für Mendelssohn unterging, als hätte die Geschichte für den Verlust des Weisen von Berlin den verwaisten Juden nach einer anderen Seite hin wenigstens einen Ersatz bieten wollen. Börne hatte einige Ahnlichkeit mit Mendelssohn, das schüchterne, scheue, etwas linkische Wesen, die Selbstbeherrschung, die Charaktergröße, das strenge Nachleben nach einer gefundenen sittlichen Norm. Beide wurden durch den Zufall, ohne daß sie es wollten, bewunderte Persönlichkeiten. Beide schöpften aus sich ästhetische Regeln, ohne dazu geschult zu sein. Börnes Bildungsgang war eigentümlich. Sein Vater Jakob Baruch, ein Schützling des österreichischen Kaiserhauses (S. 306), von Jugend auf in stetem Verkehr mit Hofleuten und Fürsten, versteckt wie ein Minister und aufgeklärt wie der Kreis der Berliner, war dem Judentum halb oder vielleicht ganz entfremdet1. Nichtsdestoweniger ließ er aus Familienrücksichten seine Söhne in althergebrachter Weise erziehen. Er suchte für sie einen Hauslehrer, Jakob Sachs, der selbst zu den Aufgeklärten gehörte, und sich Friedländer zum Muster genommen hatte, und verlangte von ihm, daß er seine Söhne durchaus in stockalter Weise unterrichten und ihnen nichts von der neumodischen Aufklärung beibringen sollte. So lernte Börne die Bibel und die Anfangsgründe des Talmuds in geistloser Weise, gewahrte schon früh, daß das, was Vater und Lehrer ihm beibrachten, ihnen selbst nicht Lebensernst war und gelangte dadurch zur Zwiespältigkeit in seinem Innern. Ein weiblicher Haustyrann trug dazu bei, ihm das jüdischreligiöse Leben widerwärtig zu machen. Die Vertreter des Judentums in der Frankfurter Gemeinde waren auch nicht geeignet, dem für Schönheit empfänglichen Knaben ein freundliches Bild zu zeigen. Der aus Polen und den chaßidäischen Kreisen berufene Rabbiner Pinchas ha-Levi Hurwitz, die letzte rabbinische Größe in Frankfurt2, [347] der die Mendelssohnsche Pentateuchübersetzung verketzerte, hatte mit der Judengasse in Frankfurt Ähnlichkeit, stille Tugenden und eine abstoßende Außenseite. Hätte Börne Mendelssohn zum Vorbilde haben können, so wäre er wahrscheinlich bei seinem Ernste und bei seinem Hange zur Sittlichkeit und Wahrheit ein begeisterter Anhänger des Judentums geworden, aber es war in seiner Nähe nichts, was einen idealen Zug darbot, und so entwickelte sich in ihm eine Art Abneigung gegen das jüdische Wesen, die gleich bei seiner ersten Ausfahrt ins Leben zum Durchbruche kam.

In Gießen sollte er im Hause des Professors Hezel für ein gelehrtes Fach vorbereitet werden und in einem jüdischen Hause nach jüdischer Vorschrift leben. Aber es dauerte nicht lange, so übersprang er diese Schranke und warf, kaum ins Jünglingsalter getreten, sein jüdisches Bekenntnis hinter sich. Sein Erzieher Hezel hatte eine Vorliebe für die hebräische Sprache und Literatur und bahnte gleichzeitig mit Eichhorn die Pflege derselben auf Universitäten durch bequeme Handbücher an. Der bereits als Kenner des Hebräischen gefeierte Professor bewunderte die hebräischen Kenntnisse seines jungen jüdischen Zöglings Börne, ermunterte ihn, sie zu bereichern und ließ ihn an seinen Vorlesungen über die Psalmen und hebräische Grammatik teilnehmen. Aber da Börne nichts mehr dafür empfand und diese Kenntnisse gering schätzte, so kam es, daß er später kaum hebräisch zu lesen verstand. Im Hause des Arztes Markus Herz, wo es Mode geworden war, über alles Jüdische zu spötteln, und besonders nach dessen Tode, als dessen Witwe, Schleiermachers Seelenbraut Henriette, ihn an diesen und sein christliches Wolkenkuckucksheim gewiesen hatte, riß in Börnes Herz die letzte Faser, die ihn mit seinem Stamme und dessen Vergangenheit noch verknüpfte. Die christelnde Henriette Herz und der spinozistisch-romantisch-evangelisierende Schleiermacher machten ihn zum Judenfeinde3. Er verachtete die Juden der Gegenwart und sprach von ihnen wie ein Erzjudenfeind. Das jüdische Altertum, von dem er von Hause aus verkehrte Vorstellungen hatte, und die durch seinen Berliner und Hallischen Umgang noch mehr getrübt worden waren, sah er als Zerrbild an. Die alten Juden von Abraham bis zum »reichen Salomo« kamen ihm vor, »als hätten sie die Weltgeschichte travestieren wollen«4. Er ahnte nicht, wie viel sein inneres Sein, die Wahrhaftigkeit seiner Natur, dem Judentume zu danken [348] hatte. In die auch mit ihm kokettierende Henriette Herz, die seine Mutter hätte sein können, war er so verliebt, daß er ernstlich daran dachte, sich aus Liebesgram zu vergiften. Aber wie schnell wurde der Jüngling von dieser wahnsinnigen Liebe, wie von der Liebe überhaupt, geheilt5, während das Bild der schönen Jüdin den viel älteren Prediger Schleiermacher bis auf die Kanzel begleitete! Es war seine angeborene jüdische Nüchternheit, welche über diese überschwengliche Romantik siegte und sich über die herrschende Sentimentalität der schmachtenden Jünglinge und schwindsüchtigen Mädchen lustig machte6. Der Lucinde-Unflat, den Schleiermacher beweihräucherte, ekelte den sechzehnjährigen Börne so sehr an, daß er dieses Lasterbuch nicht einmal mit dem Reize der Verstohlenheit lesen konnte7. Dieselbe aus dem jüdischen Grundwesen ererbte Nüchternheit leitete Börne auch auf den richtigen Weg, seine ideale Natur, die leicht in exzentrische Überschwenglichkeit hätte umschlagen können, im Gleichgewicht und in nicht allzuscharfem Widerspruch mit der wirklichen Welt zu erhalten. Frühzeitig hatte er eine Göttin kennen gelernt, der er schwärmerische Liebe zuwendete und bis zu seinem letzten Hauche treu blieb. »Das wahre Wesen der Tugend läßt sich in einigen Worten ausdrücken. Was ist Tugend? Tugend ist Seligkeit. Und Seligkeit? Ist Freiheit. Es läßt sich nicht weiter fragen, was Freiheit sei, denn sie ist das ewige schlechthin eine, das eins mit der Vernunft, das eins mit Gott, eins mit dem Unbedingten, das sich selbst erklärt8.« Das dachte und schrieb in sein Tagebuch der achtzehnjährige Börne, dieser Gedanke beherrschte sein Inneres während seines Lebenslaufes und war die Triebfeder aller seiner Handlungen. Tugend ist Freiheit, und Freiheit ist Tugend, sie bedingen und gewähren Seligkeit. Das nimmt sich ganz anders aus, als das Schleiermachersche Nebelbild von Religion. Aber trotz dieser Schwärmerei für die Freiheit wußte Börne doch in ihrem Kultus Maß zu halten und die schmale Grenzlinie nicht zu überschreiten, wo das Verfolgen eines Ideals in Narrheit überspringt. Als Christ geboren, wäre Börne vielleicht ein deutschtümelnder Freiheitsnarr geworden, wie Jahn, Sand und so viele andere. Als Jude dagegen wurde er ein verständiger, prüfender, abwägender Freiheitsapostel, das Mögliche und Unmögliche, das Erreichbare und Überschwengliche mit richtigem Takte unterscheidend.

[349] Ist nicht selbst sein Kultus der Freiheit, welcher auf sein körperliches Behagen und Mißbehagen, auf seine ganze Stimmung Einfluß hatte, aus seinem jüdischen Blute oder wenigstens aus dem schmerzensreichen Gange der jüdischen Geschichte zu erklären? Das ganze Herbe und Entwürdigende der Unfreiheit konnte nur ein Jude empfinden, dem gegenüber ein indischer oder russischer Leibeigener als ein Freier gelten konnte. Börnes Geburtsstadt Frankfurt mit ihren schmachvollen Judenstättigkeitsgesetzen war die beste Schule für ihn gewesen, die Freiheit lieben zu lernen. Als er noch als Knabe auf seinen Spaziergängen in Frankfurt den Fußweg nicht betreten durfte, sondern den staubigen Fahrweg einhalten mußte, als jeder zerlumpte christliche Bettler oder Trunkenbold ihm zurufen durfte: »Mach Mores, Jud!« und er hatte gehorchen müssen, um nicht in entwürdigende Strafen zu verfallen, da mag der Gedanke über ihn gekommen sein, daß Unfreiheit Verdammnis und Freiheit Seligkeit sei. »Weil ich als Knecht geboren, darum liebe ich die Freiheit mehr als ihr, ja, weil ich die Sklaverei gelernt, darum verstehe ich die Freiheit besser als ihr«9, das wiederholte er oft. Auch sein vielbewunderter Stil, die fesselnde Darstellungsweise, die er zur Vollendung brachte, die sich in tiefsinnigen und abgerundeten Sentenzen zuspitzt, erinnert an biblische und talmudische Spruchweisheit. Kurz, die Lichtseiten in seinem Wesen hat Börne dem Judentum zu verdanken. Er war aber nicht dankbar dafür, er verkannte es und stellte es ebenso niedrig, wie seine Berliner Freunde. Er sprach es zwar einmal aus: »Ich wäre nicht wert, das Licht der Sonne zu genießen, wenn ich die große Gnade, die mir Gott erzeigt, mich zugleich ein Deutscher und ein Jude werden zu lassen, mit schnödem Undanke bezahlen würde, wegen eines Spottes, den ich immer verachtet. Denn ich weiß das unverdiente Glück zu schätzen, zugleich ein Deutscher und ein Jude zu sein, nach allen Tugenden der Deutschen streben zu können, und doch keinen ihrer Fehler zu teilen.« Er fügte auch noch, die Deutschen anredend, hinzu: »Ich bitte euch, verachtet mir meine Juden nicht. Wäret ihr nur wie sie, so wäret ihr besser. Ihr habt den Juden die Luft genommen, aber das hat sie vor Fäulnis geschützt, ihr habt ihnen das Salz des Hasses ins Herz gestreut, aber das hat ihr Herz frisch erhalten. Ihr habt sie den ganzen langen Winter in einen Keller gesperrt und das Kellerloch mit Mist verstopft, aber ihr, frei dem Frost bloßgestellt, seid halb erfroren. Wenn der Frühling kommt, wollen wir sehen, wer früher grünt, der Jude oder der Christ«10. Allein Börne [350] glaubte selbst nicht an die Kernhaftigkeit der Juden und sprach jene Worte nur im Ärger oder zum Ärger der Deutschen aus. Zur selben Zeit sagte er auch ironisch: »Sie wissen, wie mein Herz für die Juden schlägt!«11

Wiewohl mit einem Feingefühl für Wahrheit begabt, hatte Börne doch nur einen beschränkten Gesichtskreis. Sein Blick reichte nur für das Zunächstliegende und Praktische und vermochte nicht immer den Schein vom Wesen zu unterscheiden. Die Erkenntnis floß seinem Geiste nicht überströmend zu, wie Heine, sondern er mußte sie aufsuchen, und was außerhalb seines Herzens lag, war für ihn nicht vorhanden. Und weil er, seitdem sein Geist zu reifen begonnen, in den Juden nur Geld- und Zahlenmenschen sah, wie auf der Frankfurter Börse, oder Religionsspötter mit christelnden Anwandlungen, die sich ihrer Abstammung schämten, wie im Salon der Henriette Herz, und weil seine Erziehung ihm das Judentum so verächtlich gemacht hatte, daß er es nicht der Mühe für wert hielt, sich damit zu befassen, so blieb ihm das Allerheiligste der Juden unzugänglich, das auch in der von ihm so sehr geschmähten Rothschildschen Familie anzutreffen war. Selbst sein eigenes Innere vermochte er nicht zu durchdringen und wußte nicht zu unterscheiden, was der allgemeine Kulturzustand und was das Judentum an seinem Wesen gebildet hat.

Indes bewahrte ihn sein gesunder Sinn und seine Liebe für die Unterdrückten vor der Charakterlosigkeit Rahels, ihres Bruders, des Dichters Robert, des ganzen Berliner Salons und vieler anderer, die verächtlich den Juden den Rücken zukehrten und es nicht der Mühe wert hielten, etwas für sie zu tun oder gar mit ihnen zu empfinden. Als Jüngling machte ihn schon der Gedanke rasend, daß ihm das Schmachwort »Jude« ins Gesicht geschleudert werden könne. »Wenn sie erst kommen und dir sagen, daß du ein Jude bist,« schrieb er in sein Tagebuch, »wie sie den Mauschel beohrfeigen, daß man sich krank lachen möchte! O, wenn ich das bedenke, wie ein Sturm braust es in meinem Innersten, es möchte die Seele aus ihrem Wohnhause stürzen und sich den Leib eines Löwen suchen, daß sie dem Frechen begegnen könnte mit Klaue und Gebiß12.« Und er hat richtig vorgeahnt, daß ihm diese Schmach nicht erspart und daß seine Löwentatze herausgefordert werden würde. Als er ein Jahr später, bereits Student, einen Reisepaß von der Frankfurter Polizei nahm, schrieb ihm eine Mißgestalt von Polizeischreiber hinein »Jud' von Frankfurt«. »Mein Blut stand still, [351] doch durfte ich nichts sagen, noch tun, denn mein Vater war gegenwärtig. Damals schwur ich im Herzen: ›Wartet nur, ich schreibe euch auch einmal einen Paß, euch allen13.‹« So erzählte er.

Einen Augenblick schien es, als sollte Börne seinen Schwur vergessen können. Die Frankfurter Judenschaft hatte sich, wie schon erzählt (o. S. 295), die Gleichstellung für eine halbe Million erkauft, und Börne, der inzwischen Rechtswissenschaft studiert und mit seinen Erstlings-Geisteserzeugnissen Erwartungen erweckt hatte, wurde einer der ersten in Frankfurt, im Polizeifache angestellt. Sein hochfliegender Geist und sein Freiheitsdrang wären vielleicht im Aktenstaube begraben worden, wenn nicht die judenfeindliche Frechheit der Frankfurter Patrizier ihn aufgerüttelt hätte. Die Schmach Deutschlands nach der wohlverdienten Niederlage von Jena hatte Börne ebenso tief wie die Tugendbündler empfunden und ihn veranlaßt, eine Rede an die Juden auszuarbeiten, worin er sie wahrscheinlich zur patriotischen Opferung aufforderte, die die Zensur aber als zu aufregend unterdrückte14. Als der Riesenheld Napoleon geschlagen war, stimmte Börne in den Chor der Patrioten ein, ja er schlug schon einen deutschtümelnden Ton an, und der Taumel hatte ihn schon so sehr verdeutscht, daß er blinden Gehorsam predigte. »Es ziemt uns nicht, uns keck in den Rat der Fürsten einzudrängen, sie sind besser als wir, wir haben das Schwert, sie uns geführt15.« Börnes Bruder war mit vielen anderen jüdischen Jünglingen als Freiwilliger ausgezogen. Aber wenn Börne auch vergaß, daß er Jude war und sich nur als Deutscher fühlte, die Frankfurter vergaßen es nicht und erinnerten ihn unvorsichtig und brutal an seinen heimlichen Schwur. Er fiel als erstes Opfer der Reaktion; er wurde aus seinem Polizeiamte verdrängt, sowie die Frankfurter Juden in das Ghetto zurückgewiesen wurden. Die freche Art, wie diese um ihre dreifach verbriefte Freiheit geprellt wurden, trotz des halben Versprechens des Wiener Kongresses (o. S. 316), empörte sein Freiheitsgefühl tief, und er spitzte zuerst seine Pfeile zum Kampfe für seine Stammesgenossen und gegen die Frankfurter Spießbürger, welche die Judenstättigkeit von 1616, »diesen Roman der Bosheit« (wie Börne sie nennt) im neunzehnten Jahrhundert wiedereingesetzt hatten. Indessen schien diese Schrift seinem Vater, auf dessen Veranlassung sie wahrscheinlich entstanden [352] war, um Tadel gegen seine Tätigkeit als Deputierter beim Kongreß abzuweisen, zu spitz und verletzend. Er entzog sie anfangs der Öffentlichkeit16. Was in Börne in den Jahren der immer steigenden Reaktion gegen die Juden gewogt hat, legte er einem jüdischen Offizier in einem Roman in den Mund. »Ihr habet mir die Spiele der Kindheit gestohlen, ihr schlechten Schelme! Ihr habet mir Salz geworfen in den süßen Becher der Jugend, ihr habet die tückische Verleumdung und den albernen Spott hingestellt auf den Weg des Mannes, – abhalten konntet ihr mich nicht, aber müde, verdrossen und ohne Freudigkeit erreichte ich das Ziel. .... Daß mir die Rache nicht einmal geblieben, daß ich nicht Kraft habe zu vergeben, und nicht Ohnmacht genug, sie zu züchtigen! Ich kann sie nicht erreichen in ihrer Fuchshöhle. ... Du fragst mich, warum ich mein Vaterland fliehe? Ich habe keines, ich habe die Fremde noch nicht gesehen. Wo Kerker sind, erkenne ich meine Heimat, wo ich Verfolgung finde, atme ich die Luft meiner Kindheit. Der Mond ist mir so nah wie Deutschland«17.

Anstatt Rache zu nehmen, für die Wunden welche der deutsche Judenhaß ihm und seinen Stammesgenossen schlugen, unterzog sich Börne der schweren Aufgabe, diesen Haß verschwinden zu machen, indem er an die Veredelung des deutschen Volkes Hand anlegte. Er erkannte richtig, daß der deutsche Judenhaß nicht etwas Zufälliges und Vorübergehendes sei, nicht vom Glauben oder Vorteil abhange, sondern in dem Wesen des Volkes begründet sei. »Er zeugt von bösen Säften« in dem sonst gesunden Volksorganismus. Die Bedientenhaftigkeit der Deutschen gegenüber den Fürsten und Großen bei großer Tapferkeit und hervorragendem Mut, ihre Titelsucht und ihr kindischer Ehrgeiz, eine Staffel höher als die Nebenmänner gestellt zu werden, ihre Roheit und Unkultur bei der Menge wissenschaftlicher Mittelpunkte und dem wissenschaftlichen Drange, ihre kindische Unmündigkeit in politischen Dingen, alle die großen Fehler, welche die Vorzüge der Deutschen verdunkeln und entstellen, wollte Börne tilgen oder wenigstens mildern. Ja, der Jude unternahm nichts weniger, als das deutsche Volk zu erziehen. Er wollte ihnen Gefühl für Freiheit, Manneswürde und Selbstachtung einflößen, mit einem Worte, es mündig machen. In der »Waage«, seinem Organ, stellte er Ideale auf und maß daran die kleinlichen Zustände und Vorgänge bei den Deutschen, ihren engen Gesichtskreis, ihre Pedanterie. Lachend sagte er ihnen Wahrheiten, wie sie sie noch nie vernommen.

[353] Ehe Louis Baruch den Kriegszug gegend die deutschen Fehler und Vorurteile unternahm, trat er aus dem Judentum aus, ließ sich in Offenbach taufen und nahm den Namen Karl Ludwig Börne an (5. Juni 1818). Wie wenig ihm das christliche Bekenntnis war, bekundete er durch die Äußerung, daß er das »Taufgeld bereue«. Er wollte den Wurf seiner treffenden Geschosse nicht durch das Vorurteil hemmen lassen, daß sie von einem jüdischen Schützen abgedrückt waren. Allein ohne inneren Kampf, wie ihn Heine bestand, die Fahne der Besiegten und Schwachen, die doch jedenfalls der Schmerz der Erniedrigung in seinen Augen hätte adeln müssen, zu verlassen, und noch dazu ein erlogenes Bekenntnis abzulegen, ist für einen lautern Charakter wie Börne schwer zu entschuldigen. – Alsbald erfuhr Deutschland, daß ihm ein Schriftsteller erstanden war, der an Lessing erinnerte, der aber mehr als Lessing war, weil er die Kunst nicht auf einsam eisige Höhen, sondern in die Ebenen des Lebens verpflanzte. Börne hielt den Deutschen einen treuen Spiegel vor, in dem ihnen die verzerrten Züge ihrer versteinerten Vorurteile entgegenstarrten. Wie richtig hat er dieses kernige Volk mit der häßlichen Rinde gemalt, bald als »Geheimratswaise«, bald als »träumerischen Hamlet, der vor lauter Dichten und Denken nicht zur Tat gelangen kann oder gar durch seine Ungeschicklichkeit Unschuldige verletzt oder tötet!« Börnes Witz traf um so empfindlicher, als man in jeder Wendung die Wahrheit des Gemäldes und die Aufrichtigkeit und Unbestechlichkeit des Malers erkannte. Man sah es ihm an, daß er mit seinem »Herzblute und seinem Nervensafte« schrieb, und darum machte sein Wort, wie schwerwiegende Taten, einen tiefen Eindruck.

Im Hep-Hep-Jahre konnte er zu den Tollheiten und Roheiten nicht schweigen und schrieb »Für die Juden«. – »Für Recht und Freiheit sollte ich sagen; aber verstünden das die Menschen, dann wäre keine Not, und es bedürfte der Rede nicht.« Er hat darin auf die Toren mit Fingern gewiesen und den Bösewichtern ins Gesicht geleuchtet. »In dem Judengemetzel der vergangenen Zeiten,« meinte er, »lag eine Art verhängnisvolle Notwendigkeit. Es scheint aus einem dunklen, unerklärlichen Gefühl entsprungen zu sein, welches das Judentum einflößt, das wie ein Gespenst, wie der Geist einer erschlagenen Mutter, das Christentum von seiner Wiege an höhnend und drohend begleitete.« Börne zerfaserte darauf den deutschen Judenhaß in seine Bestandteile und zeigte hinter jedem derselben eine Abgeschmacktheit. – Ein anderes Mal (1820) sagte er ihnen die derbe Wahrheit: »Dem deutschen Volke verzeihe ich den Judenhaß, weil es ein Kindervolk ist, und darum, eben [354] wie die Kinder, um einst frei auf den Füßen stehen zu können, einer Laufbank bedarf, damit es an den Schranken der Freiheit die Schranken entbehre lerne. Das deutsche Volk würde hundertmal im Tage umfallen, wenn es ohne Vorurteile wäre. Aber den einzelnen erwachsenen Menschen kann ich den Judenhaß nicht verzeihen18

Einen neu aufgetauchten Judenfresser, Dr. Ludwig Holst aus Hamburg, der den Judenhaß in ein philosophisches System gebracht oder, wie Börne sagte, »ein metaphysisches Hep-Hep« in einem dickleibigen, schalen, dummen Buche voll Gehässigkeit ausgestoßen hat, verhöhnte Börne mit Nasenstübern. »Der Judenhaß ist einer der pontinischen Sümpfe, welche das schöne Frühlingsland unserer Freiheit vergiften. Man sieht die hoffnungsvollen Freunde des Vaterlandes mit bleichen Gesichtern hoffnungslos umherwandeln. Der deutsche Geist wohnt auf Alpenhöhen, aber das deutsche Gemüt keucht in feuchten Marschländern. Holst will die Juden totschlagen, und wenn sie sich zur Wehr setzen, wendet er sich zum Kreise seiner Zuschauer und spricht: ›Da sehen Sie, wie Recht ich habe, wenn ich die Juden beispiellos frech nenne; sie wollen nicht dulden, daß man ihnen noch so wenig den Kopf abschlage und mucksen‹. ...« »Sind die Juden schlechte Väter, verdorbene Söhne, verbuhlte Mütter, verräterische Freunde? Morden, rauben, stehlen sie? Kennen sie den Ehebruch, die Trunkenheit, die Schwelgerei, die Spielsucht, vertaumeln sie ihr Leben in Sinnenlust? Wenn sie das wären und täten, dann hätte es der Verfasser sicher gesagt. Aber nein, sie berühren das Wasser kaum mit den Fingerspitzen, sie nehmen 20 Prozente, sie gewinnen auf 10 Ellen Ware 1/8 Elle, welches bei einem jährlichen Absatze von 10 Millionen Ellen einen betrügerischen Gewinst von 100000 Ellen machen – würde!. ... Ihr haßt die Juden, nicht weil sie es verdienen, sondern weil sie verdienen. .... Was ihr Menschenrechte nennt (die ihr den Juden allenfalls einräumt), das sind nur Tier rechte. Das Recht, seine Nahrung aufzusuchen, sie zu essen, zu schlafen und sich fortzupflanzen, diese Rechte genießt auch das Wild auf dem Felde – bis ihr es erlegt, und diese wollt ihr auch den Juden angedeihen lassen. .... »Ihr Herren von Frankfurt, Hamburg, Lübeck und Bremen, antwortet mir: Ihr klagt, die Juden ergeben sich alle dem Schacher, und dennoch verhindert ihr die geistige Entwicklung derer, die sich vom Schacher losmachen! Ich lasse mich nicht abweisen, ich will Antwort darauf haben. Ihr Herren [355] von Frankfurt, sagt mir: Warum sollen nur vier jüdische Ärzte, warum sollen gar keine Juden Advokaten werden?. ... Noch vor zwanzig Jahren habt ihr in eurer freien Stadt ebenso gegen Katholiken gewütet, als ihr jetzt gegen Juden wütet. ... glaubt ihr nicht, daß ein Tag kommen wird, der euch befiehlt, auch die Juden als eure Gleichberechtigten anzusehen? Aber ihr wollt gezwungen sein! Der Deutsche ist taub. Freiwillig folgt ihr nicht, das Verhängnis muß euch bei der Brust packen und euch hier- und dorthin schleppen. Schämt euch!« Zum Schlusse bemerkt Börne: »Ich liebe nicht den Juden, nicht den Christen, ich liebe sie nur, weil sie Menschen sind und zur Freiheit geboren. Freiheit ist die Seele meiner Feder, bis sie stumpf geworden oder meine Hand gelähmt. – Die neue Verfolgung, welche die Juden im ungelehrigen Deutschland erduldet, ist keine frisch aufgelebte, sie hat sich nur aufgerafft im letzten Kampfe des Todes. Die Flamme des Hasses lodert noch einmal hell auf, um ewig zu erlöschen. Das tröste die Leidenden19.« Diese Hoffnung tröstete ihn, wie sie seinen Vorgänger Lefrank (o. S. 249) getröstet hat.

Börne war ein schlechter Prophet, wie er auch ein schlechter Philosoph und Geschichtskenner war. Er, ein kühner Herold der Freiheit, der mit Siegermiene ihr Blutzeuge geworden wäre, betrachtete alles aus diesem einzigen Gesichtspunkte. Was mit der Freiheit zusammenhing, hatte für ihn Wert; alle übrigen Betrachtungsweisen blieben ihm unverständlich. Hatte er sich doch am Ende seiner Tage noch von dem Farbenschimmer des neuen Freiheitsevangeliums von Lamennais blenden lassen und im Katholizismus den ewigen Hort der Völkerfreiheit verehrt! David Strauß' »Leben Jesu« galt ihm fast als Gotteslästerung20. Man saugt nicht ungestraft in der Jugend falsche Lehren ein, und wer nicht starken Geistes ist, verfällt im Alter in sie zurück. Die Christelei und Deutschtümelei, die Börne in Berlin und Halle, im Hause seiner »Mutter« und im Umgange mit Schleiermacher und Steffens in seinen Geist aufgenommen hatte, wurden in ihm in seinem Alter wieder lebendig, und er wäre vielleicht auch ein »Apostat des Wissens und Neophyte des Glaubens« geworden, die er verspottet, wenn ihm der Tod Zeit dazu gelassen hätte. Sein Geist konnte nicht in die Tiefe der Dinge dringen; strenge Prüfung war nicht seine Sache, er war zu träge dazu. Sein Zerwürfnis mit Heine, seinem langjährigen [356] Kampfgenossen und Freunde, entspann sich eben daraus, weil dieser nicht an die alleinseligmachende Freiheit des Papsttums und an die Vollkommenheit des deutschen Volkes geglaubt hat21. Börne hätte gewünscht, daß die Juden ihre tausendjährige Geschichte als einen bösen Traum vergäßen und deutsche Männer würden. Er hatte nicht Heines Tiefblick.

Heinrich (Harry) Heine (geb. zu Düsseldorf 1799, starb in Paris 1854)22 war in den Tiefen seines Innern unendlich mehr Jude als Börne, ja er besaß alle Vorzüge und Unarten der Juden in einem hohen Grade. Wer ist imstande, diese Chamäleonnatur, diesen »ungezogenen Liebling der Grazien und Musen«, wie man ihn nannte, diesen spottenden Romantiker und lyrischen Philosophen zu schildern? Er allein wäre imstande gewesen, ein zutreffendes Bild von sich selbst zu geben, wenn er sich selbst im Spiegel seines Geistes hätte widerstrahlen lassen können. Börnes Geist glich durchsichtigem Quellwasser, das auf sauberem Kiesel dahinrieselt und nur aufschäumt, wenn Stürme es peitschen, Heines Geist dagegen glich einem Wasserstrudel, auf dessen Fläche die Sonnenstrahlen spielen und Regenbogenfarben bilden, der aber die sich nahenden Fahrzeuge in seine brausenden Tiefen hineinreißt und sie zerschellt, wenn sie nicht starken Baues sind. Denn Heine war ein ebenso tiefer Denker, wie malerischer Dichter, ein ebenso unerbittlicher Kritiker, wie liebenswürdiger Spötter, war ebenso voll von originellen Gedanken wie von Sangesweisen. Börne hatte in der Tat den Grundton von Heines Wesen nicht verstanden, wenn er von ihm behauptete, weil er nicht, gleich ihm, glaubte, wer da liebe und anbete, sei es die Ehre, den Ruhm, den Mut, die Treue, Freiheit und Wahrheit, sei ein Christ; das Christentum sei das Pantheon aller dieser Gottheiten; weil Heine diese Gedanken- und Gefühlsnebelhaftigkeit verspottete, sei er keiner ernsten Richtung, keiner Überzeugung [357] fähig gewesen; er habe sich selten im Irrtum befunden, weil er selten die Wahrheit gesucht habe23. Heine brauchte nicht die Wahrheit zu suchen, sie kam ihm von selbst zugeflogen, sie offenbarte sich ihm, als ihrem Liebling, wie die Muse, tändelnd und schäkernd. Hinter seinem Spott lag öfter mehr Ernst der Überzeugung, als hinter der Litanei eines griesgrämigen Moralisten. Heine sehnte sich nach Idealen, denen er mit seinem Geiste hätte einen Kultus weihen können, und weil er sie nicht fand, verspottete er die Götzen, die sich als Götter anbeten ließen. Die Rätsel der Geschichte hat er jedenfalls tief gelöst. Er hat nie der Form zuliebe den Inhalt geopfert, wo jener mehr Wert hatte als diese. Er hat allerdings öfter seine Ansichten gewechselt, aber nicht mit seinen Überzeugungen gespielt. Heine war durchaus nicht politischer Schriftsteller von Beruf, sondern nur politischer Dilettant, ihm stand die Kunst höher als die Politik. Darum kehrte er ihr den Rücken zu, ehe noch der hausbackene Liberalismus Schiffbruch erlitt. Dennoch erkannte er dessen Unhaltbarkeit und Marktschreierei, ein Heilmittel für alle Wunden zu haben, früh genug. Auch seine religiösen Ansichten wechselten, aber er wechselte nicht seine Gesinnung. Er schrieb und handelte niemals gegen seine augenblickliche Überzeugung. Wenn er eine Zeitlang einer falschen Philosophie huldigte, welche den Menschen zum Gott machte, so gestand er später diesen Irrtum ein und verspottete ihn gründlich. Seine ausdauernde Treue gegen Freunde, selbst gegen kalte und falsche Freunde, ja die Tatsache, daß er überhaupt hingebende Freunde hatte, beweist, daß er nicht so selbstsüchtig war, als man ihn verschrieen, und als er sich selbst in übermütiger Laune gegeben hat. Heine war allerdings kein Tugendspiegel; aber er war auch nicht ein solcher arger Sünder, wie seine spitze Feder und Zunge vermuten lassen. Er hat sein tiefes edles Gemüt, seinen Sinn für das Hohe niemals aufgegeben; er wälzte sich auch nicht im Schlamme der Sinnlichkeit, wie er seine Leser glauben machen wollte. Er hat sich schlechter geschildert, als er war. Empfindlich war er, und das ist das Los der Dichter, Schauspieler und Prediger, und hing bei Heine noch mit seinem schweren Nervenleiden zusammen. In seiner Empfindlichkeit konnte er Dinge schreiben, die er bei kalter Überlegung zwar mißbilligte, aber sich schämte, zu widerrufen.

Heine hatte das vor Börne voraus, daß er in seinem Herzen eine tiefe Liebe zu seiner Mutter trug. Betty von Geldern, aus einer angesehenen, wie man sagt, geadelten jüdischen Familie, Tochter [358] eines Arztes, hat ihrem Sohne bis an sein Lebensende Verehrung und Bewunderung eingeflößt. Als Jüngling sang er:


»Ich bin gewöhnt, den Kopf recht hoch zu tragen,

Mein Sinn ist auch ein bißchen starr und zähe,

Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,

Ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ich's sagen:

Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,

In deiner selig süßen, trauten Nähe

Ergreift mich oft ein demutsvolles Zagen«24.


Diese gebildete Mutter, der er die Richtung seines Geistes verdankte, war religiös und gab ihren Kindern eine jüdisch-religiöse Erziehung. Den religiösen Zwiespalt, der Börne vom Judentume frühzeitig abwendig machte, kannte Heine nicht, und in seiner Jugend hütete er sich strenge vor der Verletzung der rituellen Vorschriften. Er lernte zwar nicht so viel hebräisch wie Börne, aber weil er das Wenige mit Liebe in sein Inneres aufgenommen hatte, blieb es ihm eingefleischt, und er vergaß es auch später nicht, während es Börne aus seinem Gedächtnis gänzlich verwischte25. Seine trotz aller Spöttereien nie ganz erloschene Liebe zum Judentume und besonders sein tiefes Verständnis für dasselbe stammen aus den trauten Jugenderinnerungen, die ihm wie süße, angenehme Träume unvergeßlich blieben. Auch der Zauber des innigen jüdischen Familienlebens erfüllte seine Seele und befähigte ihn, den richtigen Maßstab an das anzulegen, was die Menschen Tugend und Glück nennen. Das, was dem Dichter erst die rechte Weihe gibt, ein tief empfundenes Unglück, fehlte Heine nicht, und es machte seine Seele zugleich elegisch weich und philosophisch fest, offenbarte ihm die Dinge in ihrer Wirklichkeit und lehrte ihn das Wesen vom Scheine zu unterscheiden. Heine war von seiner Jugend an recht unglücklich. In einer idealen Atmosphäre erzogen, mit der klassischen Literatur vertraut und von lieblichen Träumen umgaukelt, mußte er wegen der unzulänglichen Mittel seiner Eltern sich der Prosa einer Geschäftstätigkeit zuwenden und noch dazu in zwei der sogenannten freien Städte, Frankfurt und Hamburg, wo die kaufmännische Engherzigkeit heimisch war und dem Idealismus Todfeindschaft nachtrug. [359] Heines Kinderaugen hatten die aufgehende Freiheit unter französischer Herrschaft auch in seiner Geburtsstadt gesehen; die Gleichheit der Juden in der christlichen Gesellschaft war eine feste Tatsache geworden, und er wurde gerade nach denjenigen beiden Städten verschlagen, wo die Patrizier mit Verbissenheit die Juden in die alte Knechtschaft schmiedeten und in die alte Schmach zurückschleuderten. Verfehlter Beruf in dem Bankgeschäfte, das er in Hamburg errichtete (1818 bis Frühjahr 1819), und das kläglich endete, der Stachel unglücklicher Liebe, den ihm eine Base ins Herz gestoßen, die Abhängigkeit, in die er von seinem reichen, edlen, aber launenhaften Oheim Salomon Heine geriet, der Zwang, der ihm auferlegt war, die trockene Rechtswissenschaft, »die eisernen Paragraphen selbstsüchtiger Rechtssysteme«, in sich aufzunehmen, wozu er nicht die geringste Neigung hatte, alles dieses zusammengenommen, das kurz nacheinander auf ihn einstürmte, erfüllte sein Inneres mit tiefem Schmerze. Heine war recht unglücklich, und um so unglücklicher, als er vermöge seiner dichterischen Feinfühligkeit und seiner glühenden Phantasie die Enttäuschung tiefer empfand und sie auch übertrieb. Er war aber auch zu stolz und trug den Kopf zu hoch, als daß er seinen Schmerz hätte zeigen sollen, verschloß ihn vielmehr in seiner Brust, spielte den Starken und spottete. Der Spott, die Ironie, der Humor, der die eigenen Tränen weglächelt, das war der Panzer, mit dem er sein wundes Herz bedeckte. Da seine Ideale schon in seiner Jugend verflogen waren, Liebe, Treue und die Hoffnung auf eine unabhängige Stellung, die sich nur durch reiche Mittel behaupten ließ, so überzog sich in seinen Augen das Leben mit einem Trauerflor. Er verlor seinen Glauben, und wenn die Poesie ihn nicht aufrechterhalten hätte, wäre er, wie viele begabte Jünglinge seiner Zeit, die für ihren Drang keinen Wirkungskreis fanden, wie z.B. Grabbe, untergegangen. Aber die Dichtkunst, und die Formenschönheit waren ihm etwas Heiliges, und er betrachtete sich als einen geweihten Priester derselben; nur verstand er sie anders und tiefer, als seine Kunstgenossen. Die Schalkhaftigkeit war bei ihm zuerst nur Maske, um sein zerstörtes Innere zu verhüllen oder sich durch Spott wegen seiner zerstörten Ideale zu kühlen. Aber dieser Schild, den er so leicht und zierlich handhabte, wurde in seiner Hand bald zur Waffe und riß ihn hin, sie als Reizmittel öfter gegen seine eigene Überzeugung zu gebrauchen.

Für das Judentum oder richtiger für den jüdischen Stamm, die jüdische Leidensgeschichte und die heiligen Schriften hegte er in tiefster Brust eine warme Zuneigung, die ihm nur nicht recht klar wurde. [360] Das Steinalter des Judentums, seine der Zeit und den tausendfältigen Widerwärtigkeiten trotzende Fortexistenz imponierte ihm. Heine fühlte sich zuzeiten stolz, diesem uralten Adel anzugehören. Was er später in zunehmendem Alter schrieb, war tief empfunden: »Ich sehe jetzt, die Griechen waren nur schöne Jünglinge, die Juden aber waren immer Männer, gewaltige, unbeugsame Männer, nicht bloß ehemals, sondern bis auf den heutigen Tag, trotz achtzehn Jahrhunderten der Verfolgung und des Elends. Ich habe sie seitdem besser kennen und würdigen gelernt, und wenn nicht jeder Geburtsstolz ein närrischer Widerspruch wäre, so könnte ich stolz darauf sein, daß meine Ahnen dem edlen Hause Israel angehörten, daß ich ein Abkömmling jener Märtyrer bin, die der Welt einen Gott und eine Moral gegeben und auf allen Schlachtfeldern des Gedankens gekämpft und gelitten haben«26. – Dieses Bewußtsein schlummerte dunkel von seiner Jugend an in ihm. Er wußte aber nicht, was er mit dem Judentume anfangen, welche Stellung er dazu einnehmen sollte. Der Kreis von Juden, in dem noch Kernhaftigkeit, hohe Tugend und Sittlichkeit heimisch waren, stieß ihn wegen der unästhetischen Außenseite und des Beisatzes von religiösen Formen, für die ihm das Verständnis fehlte, vollständig ab. Sein Schönheitssinn fühlte sich von der häßlichen Außenseite des Judentums und seiner Vertreter verletzt. Seine Augen vermochten nicht sogleich die häßlichen Hüllen zu durchdringen. Der Kreis verfeinerter Juden, zu dem er in beginnender Mannesreife in Berlin zugezogen wurde, die älteren Männer, Friedländer, Bendavid, Jacobson und der Nachwuchs, hatte selbst kein rechtes Herz für das Judentum, um ihm Opferwilligkeit für dieses einzuflößen. In den halbjüdischen Kreisen, in denen er ebenfalls während seines Aufenthaltes in Berlin verkehrte, wie in dem der bereits getauften Rahel von Varnhagen, vernahm er nur gründliche Verachtung für Juden und Judentum und eine schwärmerische, romantische Vorliebe für das Christentum.

Heine war aber nicht so unselbständigen Urteils wie Börne, um vor den Gedankengötzen des Tages das Knie zu beugen. Er ließ sich seine Zuneigung zum Judentume nicht wegklügeln. Er schloß sich vielmehr dem Vereine mehrerer Jünglinge und junger Männer zur Hebung der Kultur unter den Juden an (aufgenommen am 4. Aug. 1822) und trat hiermit auch dem unausgesprochenen Eide der Mitglieder bei, sich nicht um einer Staatslaufbahn willen taufen zu lassen27. [361] Es war allerdings ein unbestimmter Drang, der ihn, wie die Mitglieder des Vereins, trieb; aber es zeugt doch von seinem Willen, seinerseits an der Veredlung seiner Stammesgenossen zu arbeiten. Er übernahm Aufträge, um für die Verbreitung und Stärkung des Vereins tätig zu sein28. Selbst von den von aller Welt verachteten polnischen Juden hatte Heine eine bessere Meinung und redete ihnen das Wort. Von seinem Freunde, dem Grafen de Breza, nach einem Gute (bei Gnesen) im Herzogtum Posen eingeladen, veröffentlichte er (Herbst 1822) eine originelle Schilderung von Land und Leuten in Polen, die viel Treffendes enthält. Darin urteilt er von den Juden: »Zwischen dem Bauer und dem Edelmann stehen in Polen die Juden. ... Sie können füglich der dritte Stand Polens genannt werden. Unsere Kompendienmacher, die an alles den deutschen, wenigstens den französischen Maßstab legen, schreiben mit Unrecht, daß Polen keinen dritten Stand habe, weil dort dieser Stand von den übrigen schroff abgesondert ist, weil seine Glieder am Mißverständnis des alten Testaments Gefallen finden, und weil derselbe vom Ideal gemütlicher Bürgerlichkeit, wie dasselbe in einem Nürnberger Frauentaschenbuche unter dem Bilde reichsstädtischer Philisterhaftigkeit so niedlich und sonntäglich schmuck dargestellt wird, äußerlich noch sehr entfernt ist.. Sie sehen also, daß die Juden in Polen durch Zahl und Stellung von größerer volkswirtschaftlicher Wichtigkeit sind, als bei uns in Deutschland, und daß um Gediegenes über dieselben zu sagen, etwas mehr dazu gehört, als die großartige Leihhausanschauung gefühlvoller Romanschreiber des Nordens oder der naturphilosophische Tiefsinn geistreicher Ladendiener des Südens ... In früheren Zeiten standen indes die Juden in Kultur und Geistesausbildung weit über dem Edelmann, der nur das rauhe Kriegshandwerk trieb und noch den französischen Firnis entbehrte. Jene aber beschäftigen sich meistens mit ihrer hebräischen Wissenschaft und Religionsbüchern, um derentwillen eben sie Vaterland und Lebensbehaglichkeit verlassen. Aber sie sind offenbar mit der europäischen Kultur nicht fortgeschritten, und ihre Geisteswelt versumpfte zu einem unerquicklichen Aberglauben, den eine spitzfindige Scholastik in tausenderlei wunderliche Formen hineinquetscht. Dennoch trotz der barbarischen Pelzmütze, die seinen Kopf bedeckt, und der barbarischeren Ideen, die denselben füllen, schätze ich den polnischen Juden weit höher, als so manchen deutschen Juden, der seinen Bolivar auf dem Kopfe und seinen Jean Paul im Kopfe [362] trägt. In der schroffen Abgeschlossenheit wurde der Charakter des polnischen Juden ein Ganzes ... Der polnische Jude mit seinem schmutzigen Pelze, seinem Barte und seinem Gemauschel ist mir noch immer lieber, als mancher in seiner staatspapiernen Herrlichkeit«29. Das ist eine andere und treffendere Schilderung, als sie Salomon Maimon von seinen Landsleuten entworfen hat. Heine sah tiefer in den Grund der Dinge und Verhältnisse. Er wurde aber nicht wenig von den Deutschen in Polen gehaßt, weil er den Juden wie den Polen das Wort geredet, und besonders weil er die ersteren zu der Stellung eines dritten Standes erhob30.

Heine wäre mit seinem ganzen Wesen fürs Judentum eingetreten, wenn es selbst, d.h. seine Söhne, Kraft des Geistes und Charakters entfaltet, wenn es, mit der Würde seines hohen Alters, seines Inhaltes und seines Berufes Jugendfrische und anziehenden Reiz verbunden und der gebildeten Welt hätte Achtung abgewinnen können. In seiner Ungeduld wünschte er, daß das Judentum, gleich dem in Rom gefesselten Messias in der Sage, plötzlich seine zerlumpte Hülle, seine aussätzige Haut, seine gebeugte Knechtsgestalt abstreifen und sich in einen reichgeschmückten, blühenden und gebietenden Jüngling verwandeln sollte. Der Verjüngungsprozeß schien ihm zu langsam, die Mittel, die dazu angewendet wurden, zu kleinlich, das ganze Tun derer, welche dafür wirken wollten, namentlich ihr Liebäugeln mit der herrschenden Kirche, schien ihm schwächlich, affenartig und unwürdig zu sein. »An Aufregung der Kraft fehlt es in Israel. Einige Hühneraugenoperateurs (Friedländer & Co.) haben den Körper des Judentums von seinem fatalen Haut geschwür durch Aderlaß zu heilen gesucht, und durch ihre Ungeschicklichkeit und spinnwebige Vernunftsbandagen muß Israel verbluten. Möge bald die Verblendung aufhören, daß das Herrlichste in der Ohnmacht, in der Entäußerung aller Kraft, in der einseitigen Negation. ... bestehe. Wir haben nicht mehr die Kraft, einen Bart zu tragen, zu fasten, zu hassen und aus Haß zu dulden. Das ist das Motiv zu unserer Reformation. Die einen, die durch Komödianten ihre Bildung und Aufklärung empfangen, wollen dem Judentume neue Dekorationen und Kulissen geben, und der Souffleur soll ein weißes Bäffchen statt eines Bartes tragen. Sie wollen das Weltmeer in ein niedliches Bassin von Papiermaché gießen. .... Andere wollen ein evangelisches Christentümchen unter [363] jüdischer Firma. .... »Auch ich habe nicht die Kraft,« gestand er freimütig, »einen Bart zu tragen und mir Judenmauschel nachrufen zu lassen31.« Die Nachäfferei christlicher Kirchengebräuche, wie sie in dem kurz vorher geschaffenen Reformtempel in Hamburg zutage trat, widerte Heine an, dagegen imponierte ihm die Treue gegen das Althergebrachte. »Eine Vorliebe für das konsequente und strenge Rabbinentum lag schon vor vielen Jahren in mir, als ein Resultat historischer Untersuchungen32.« In einem Anfalle von Empfindlichkeit über die Klatscherei einiger Anhänger des Tempels in Hamburg, die ihm in den Augen seines Oheims Salomon Heine schadete, leugnete er geradezu ein Enthusiast für die jüdische Religion und behauptete vielmehr der geborene Feind aller positiven Religionen zu sein. Im Unmut nannte er das Judentum die Religion, welche zuerst die Menschenmäkelei aufgebracht habe, d.h. die Seelenfängerei und Proselytenmacherei, obwohl Heine wohl wußte, daß das Judentum nie darauf ausging. Als er verhieß, für die bürgerliche Gleichstellung der Juden aufzutreten »in den schlimmen, unausbleiblichen Zeiten wird der germanische Pöbel meine Stimme hören, daß es in den deutschen Bierstuben und Palästen widerhallt«, wollte er es nicht aus Liebe zu den Juden, sondern aus Gemütsweichheit, Starrsinn und Vorsicht für Erhaltung eines Gegengiftes getan haben33. Allein Heine täuschte sich selbst über die Natur seines Gefühls für Juden und Judentum. Allerdings den Gott Israels hatte ihm das ungläubige Zeitalter und die Philosophie des Hierophanten Hegel weggeklügelt, der das von ihm gefundene Maß von Wahrheit mit einer großen Menge Unwahrheiten gemischt und die Jugend durch Sophistereien gegängelt hatte. Aber Heine glaubte an das Vergeltungsrecht der Geschichte, an den Geist der Vorsehung, der sich in ihr offenbart, und das war der Zauber, der ihn zum Judentume hinzog.

Entschieden äußerte sich seine Anhänglichkeit an das Judentum unter dem verzeihlichen Hasse gegen die Peiniger und Verächter seines Stammes, gegen den Erzfeind, welcher das Heil vom Judentum empfangen hatte und es dafür einkerkerte und anspie. Heines Antipathie gegen die Kirche war tief und unversöhnlich34. In das Wort [364] Edom hat er, im zuckenden Nachempfinden der alten Schmerzen, welche die Juden von dem heidnischen und christlichen Rom erduldeten, eine Welt von kochendem Ingrimme gepreßt. In einem Gedichte an Edom spottete er: .... ...


»Ein Jahrtausend schon und länger

Dulden wir uns brüderlich;

Du, du duldest, daß ich atme,

Daß du rasest, dulde ich.

Manchmal nur in dunklen Zeiten

Ward dir wunderlich zu Mut,

Und die liebefrommen Tätzchen

Färbtest du mit meinem Blut.

Jetzt wird unsre Freundschaft fester,

Und noch täglich nimmt sie zu;

Denn ich selbst begann zu rasen,

Und ich werde fast wie du35.


Noch mehr haßte Heine die Fahnenflüchtigen, die Überläufer, die Juden, welche um Vorteils willen ihren Leidensgenossen den Rücken kehrten und sich zu dem Feinde gesellten. Ernste Überzeugung konnte sich Heine bei einem getauften Juden nicht denken; die Taufe sei Selbstbetrug, wo nicht gar Lüge. Das Evangelium, das den Armen Judäas vergebens gepredigt worden, sei jetzt bei den Reichen in Flor36. Diesem Hasse gab Heine eine poetische Gestalt in einem dramatischen Gedichte Almansor (vollendet 1823). Er fand es aber unpassend, Juden auftreten zu lassen, welche in glühenden Versen ihren Schmerz und ihre Verachtung aussprächen; darum legte er sie Muselmännern in Granada in den Mund, die durch teuflische Bosheit dasselbe herbe Geschick wie die Juden erfuhren, zur Taufe gezwungen worden waren, und dadurch einen klaffenden Riß in ihrem Herzen empfanden. Die Verse lassen nicht verkennen, daß sie den jüdischen Schmerz aushauchen:


Geh nicht nach Alys Schloß. Pestörtern gleich

Flieh jenes Haus, wo neuer Glauben keimt.

[365] Dort zieht man dir mit süßen Zangentönen

Aus tiefster Brust hervor das alte Herz,

Und legt dir eine Schlang' dafür hinein.

Dort gießt man dir Bleitropfen, hell und weiß,

Aufs arme Haupt, daß nimmermehr dein

Hirn gesunden kann vom wilden Wahnsinnsschmerz,

Dort vertauscht man dir den alten Namen

Und gibt dir einen neuen, damit dein Engel,

Wenn er dich warnend ruft beim alten Namen,

Vergeblich rufe!«


Heine machte kein Hehl daraus, daß nicht die freie Muse dieses Drama geschaffen, sondern daß die Antipathie gegen das Christentum und der Drang, es zu bekämpfen, es eingegeben hat; darum hielt er es selbst für verfehlt und erwartete keine tiefe Wirkung davon37. Dieses Drama zog in der Tat dem jüdischen Dichter viele Feindseligkeit zu. Durch seine Gedichte, welche als echte Volkslieder mit tiefem Gehalte richtig beurteilt wurden, hatte er sich die Bewunderung der Besten erworben. Man stellte ihn neben Goethe, weil seine Lieder warme Natürlichkeit und nicht kalte Kunst enthielten. Sie wurden nachgeahmt und in Musik gesetzt. Deutschland war stolz auf Heine geworden, daß es einen neuen Dichter von Gottes Gnaden erzeugen konnte. Diese Bewunderung schützte ihn aber nicht vor Verunglimpfungen. Die Deutschen konnten es dem Juden nicht verzeihen, daß er die blutigen Taten oder Untaten des Christentums poetisch zu gestalten gewagt hat. Die Wogen des Judenhasses umbrandeten ihn. »Von allen Seiten empfinde ich die Wirkungen dieses Hasses ... Freunde, mit denen ich den größten Teil meines Lebens verbracht, wenden sich von mir. Bewunderer werden Verächter; die ich am meisten lieb habe, hassen mich am meisten, alle suchen mir zu schaden38«. Indessen versuchte doch der Leiter des Nationaltheaters von Braunschweig den von allen Seiten angefeindeten Almansor auf die Bühne zu bringen (20. Aug. 1823). Das Stück wurde bis gegen das Ende mit Beifall aufgenommen, die poetischen Bilder und Gedanken, die zugleich süße und feurige Sprache, das Gemisch von romantischer Gefühlsschwärmerei und plastischer Anschaulichkeit machten einen gewaltigen Eindruck, als ein roher Geselle eine Störung herbeiführte. »Wer ist der Verfasser?« fragte er, und als er hörte, der Jude Heine sei es, glaubte er, es sei ein jüdischer Geldwechsler dieses Namens in Braunschweig, und begann einen Höllenlärm zu machen. »Was! Den Unsinn des albernen Juden [366] sollen wir anhören?« Er riß das ungebildete Theaterpublikum zum Lärmmachen hin und so wurde der Almansor ausgepfiffen und verschwand von der Bühne39.

Dieser plumpe Vorfall in Braunschweig war für Heine ein Wendepunkt in seinem Lebensgange. Der Lorbeer eines lyrischen Dichters, der ihm gewährt war, genügte ihm nicht. Sein Ehrgeiz, war darauf gerichtet, dramatische Kunstgebilde ins Leben zu rufen, einen Wettlauf mit Shakespeare zu wagen, gleich Lessing seine innerste Überzeugung von der Bühne predigen zu lassen. Er hatte die herrlichsten Anlagen dazu, sprudelnde und doch geregelte Phantasie, Gestaltungsvermögen, Gedankenfülle, Bilderreichtum, feinen Sinn für die Gegensätze des Lebens, auch die rechte Beobachtungsgabe für das Einzelne, für gegenständliche, anschauliche Kleinmalerei und eine Zaubergewalt des Wohlklanges, der wie Musik klang. Er hatte seine Zukunft auf diese Geistesgabe gebaut, und er verzehrte sich in Sehnsucht, zu erfahren, wie sich die dramatischen Gestalten seiner Phantasie auf den Brettern ausnehmen würden. Diesen der Verwirklichung nahen Lebensplan hatte ein Braunschweiger roher Stallmeister in ein Luftschloß verwandelt. Der Almansor wurde als Produkt eines Juden ausgepfiffen. Welcher Theaterleiter würde zum zweiten Male es wagen, ein Stück von ihm anzunehmen, welches dieses Kainszeichen an der Stirn trüge? Zähe Geduld und Ausdauer, um eine günstigere Zeit abzuwarten, hatte Heine nicht. Noch dazu spielte ihm seine argwöhnische Phantasie einen Streich; er bildete sich ein, daß ein Jude (P. G.) im Verein mit einem Christen, seinem Neidhart, den Fall seines Almansor eingeleitet oder angeregt hätte40. Er wurde dadurch außerordentlich erbittert, unzufrieden mit sich selbst, und gegen Juden und Christen tief gereizt.

Zur selben Zeit hatte ihn Zwischenträgerei von der Tempelgemeinde bei seinem Oheim angeschwärzt, und dieser ließ ihn die Abhängigkeit von seinem Geldbeutel fühlen, mehr als der hochfahrende Sinn Heines es vertragen konnte. Er dachte seit der Zeit ernstlich daran, sich von seinem reichen und gegen ihn kleinlich handelnden Oheim zu emanzipieren, sich eine freie Stellung zu erobern.

Es zeugt für Heines warme Anhänglichkeit an seinen Stamm, daß er auch in dieser verdrießlichen Stimmung ernstlich daran ging, ihn zu verherrlichen. Der hinreißende Psalm, der einst an den Weiden Babels von einem hebräischen Dichter gesungen wurde, ging ihm nicht aus dem Sinn:


[367] »Lechzend klebe mir die Zunge

An dem Gaumen, und es welke

Meine rechte Hand, vergäß' ich

Jemals dein, Jerusalem!41


Er hatte sich in jüdisch-geschichtliche Studien vertieft, um einen Artikel für die Zeitschrift des Kulturvereins zu schreiben, welcher den »tragischen Juden schmerz« ausdrücken sollte42. Infolge des erlittenen Schimpfes wollte er eine glänzende Rache an der judenfeindlichen deutschen Christenheit nehmen und ihr in einem jüdischen Roman einen Spiegel vorhalten. Im »Rabbi von Bacharach« wollte er die herrlichen und die traurigen Szenen der jüdischen Geschichte lebendig, wie nur er allein es vermochte, vorführen43. Zu diesem Zwecke vertiefte er sich noch mehr in die Jahrbücher der jüdischen Geschichte, weil er ein geschichtlich treues Bild liefern wollte; seine Phantasie sollte die Tatsachen nur beleuchten, nicht erfinden, da ihm Stoff genug zu Gebote stand. Heine, der empfindliche Feinfühler, ließ es sich nicht verdrießen, deswegen in dem Schmutz alter Scharteken, in Schudts jüdischen »Merkwürdigkeiten«, diesem Denkmal des Frankfurter Judenhasses, zu wühlen. Aber er wußte auch aus Spreu und Staub etwas zu ziehen. »Der Geist der jüdischen Geschichte offenbart sich mir immer mehr und mehr, und diese geistige Richtung wird mir gewiß in der Folge zustatten kommen«44. Er ahnte durch den heldenhaften märtyrreichen Gang der jüdischen Geschichte einen Zusammenhang in den Plänen der Vorsehung: »Dasselbe Jahr, in dem die Juden aus Spanien vertrieben wurden, wurde das neue Land der Glaubensfreiheit entdeckt«45. Am meisten zog ihn die Glanzepoche der mittelalterlich-jüdischen Geschichte, die Geschichte der spanischen Juden an. Auf diesem Vordergrunde wollte er stolze Juden auftreten lassen, die ihren Nacken nicht unter das Joch deutscher Judenstättigkeit und kanonischer Anmaßung beugten und ihre Religion mit Bewußtsein bekannten. Aber [368] da auch diese Epoche damals nur dürftig bekannt war, so sehnte sich Heine nach ergiebigem Stoff, aber niemand konnte damals seinen Durst löschen. Anstatt markiger Tatsachen reichten ihm diejenigen, an die er sich wendete, gehacktes Stroh46. Nicht einmal über die Familie Abrabanel, die er in den Roman verweben wollte, konnte er gründliche Auskunft erlangen. Aber Heine ließ sich keine Mühe verdrießen, interessanten Geschichtsstoff für seinen Roman zu sammeln. Dieses Produkt sollte nicht ein Kind seines Hasses, sondern seiner Liebe sein. Er spiegelte sich förmlich darin: »Weil es aus der Liebe hervorgeht, wird es ein unsterbliches Buch werden, eine ewige Lampe im Dome Gottes, kein verprasselndes Theaterlicht.« Er sprach mit Bewußtsein, daß nur er dieses Werk schreiben könne, und daß es eine nützliche, gottgefällige Handlung sei47. Heine sah voraus, wie viel neue Feindschaft ihm dieser jüdische Roman, worin er das Judentum obenan zu stellen gedachte, zuziehen würde48; aber er ließ sich durch diese Voraussicht nicht entmutigen und arbeitete ruhig weiter daran, unter körperlichen Leiden und Vorbereitung für die Prüfung in der Rechtswissenschaft.

Wie viel sich Heine von diesem Roman, dem Rabbi von Bacharach, versprach, und wie sehr es aus seinem Herzen kam, bezeugt ein Gedicht, das er dazu angelegt (24. Okt. 1824), das allerdings nicht zu seinen besten lyrischen Erzeugnissen gehört:


»Brich aus in lauten Klagen,

Du düsteres Märtyrlied,

Das ich so lang' getragen,

Im flammenstillen Gemüt.

Es dringt in alle Ohren

Und durch die Ohren ins Herz;

Ich habe gewaltig beschworen,

Den tausendjährigen Schmerz.

Es weinen die Großen und Kleinen,

Sogar die kalten Herrn,

Die Frauen und Blumen weinen,

Es weinen am Himmel die Stern!

Und alle die Tränen fließen

Nach Süden im stillen Verein.

Sie fließen und ergießen

Sich all' in den Jordan hinein49


[369] Der Roman war in der Tat großartig angelegt. Er sollte zwar in Deutschland spielen, aber die spanisch-jüdische Geschichte, die Verbannung der Juden aus Spanien und die gewaltsamen Taufen sollten den Vordergrund abgeben. Die Hauptfigur, den Rabbinen von Bacharach, ließ der Dichter in dem schönen Pyrenäenlande freie Luft und befreiende Bildung einatmen. Er und seine schöne Gattin Sara, eine ebenso edle, wie echtjüdische Frau, sollten das alte Judentum in würdiger Form vertreten. Ein Ritter von jüdischem Geblüte, ein Neffe des jüdischen Staatsmannes Abrabanel, mit spanischem Stolze, der aus Leichtlebigkeit sich hat taufen lassen, sollte eine andere Seite der Juden veranschaulichen. Er ist im Gegensatz zu seinem Freund, dem idealgesinnten Rabbiner von Bacharach, ein Spottvogel. Er sagt von sich: »Ich bin ein Heide, und ebenso zuwider wie die dürren, freudlosen Hebräer sind mir die trüben, quälsüchtigen Nazarener.« Beim Anblick der schönen Rabbinersfrau bietet er sich zu ihrem Ritter an. Treffend läßt der Dichter sie antworten. Wenn Ihr mein Ritter sein wollt, so müßt Ihr gegen ganze Völker kämpfen, und wenn Ihr meine Farben tragen wollt, so müßt Ihr gelbe Ringe auf Euren Mantel nähen. ... Das sind meine Farben, die Farben meines Hauses, welches Israel heißt, und sehr elend ist und auf den Gassen verspottet wird von den Söhnen des Glückes.« Der Rabbi, der den von ihm geretteten Freund plötzlich wiedererkennt, warnt ihn vor dem Christentume, das er mit den Lippen bekennt. »Aber hüte dich, Don Isaak, du bist nicht geschaffen für das Element des Krokodils. Das Wasser (du weißt wohl, wovon ich rede) ist dein Unglück, und du wirst untergehen.« Der tragische Knoten schürzt sich gleich im Anfange. Während der Rabbi und seine Frau am Passahabend selig in der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten schwelgen, schleichen sich zwei verkappte Männer ein und lassen einen Kindesleichnam unter den Tisch fallen, um über Rabbiner und Gemeinde die gräßliche Anklage des Kindermordes zu erheben. Das blutige Ungetüm des mittelalterlichen Wahnes erhebt sein Haupt.

So entflammt für den jüdischen Stamm war Heine damals, daß ihn ein Drama (Der Paria) seines Freundes, des Dichters Michael Beer, des Bruders des Komponisten Meyerbeer, das in nicht sehr stolzem Tone auf die Juden anspielte, höchst unwillig machte. Der Paria Gadhi, der Verworfene, der eine Rajah-Tochter in Liebe an sich gekettet und durch sie und mit ihr den Untergang findet, sollte an die ausgestoßenen Juden erinnern, welche einem Wahn zu Liebe von den Priestern verflucht und von dem Volke gehaßt werden. Michael [370] Beer läßt allerdings durch seinen Helden den Hochmütigen derbe Wahrheit künden:


»Sie schmeicheln ihrem Hund und ihrem Rosse

Und scheuen uns, als hätt' uns die Natur

Zur Larve Menschenbildung nur gegeben.

Stellt mich euch gleich und seht, ob ich euch gleiche!

Ich hab ein Vaterland, ich will's beschützen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sie scheuen uns, gleich von der Pest Berührten,

Doch rollt ihr Blut von frecher Lust durchglüht;

Gleich gilt es diesem rasenden Geschlechte,

Ob es Befriedigung findet im Palast,

Ob in des Parias fluchbeladener Hütte.«


Aber Gadhi oder Michael Beer erkannte den Vorwurf seiner Verfolger und die Verworfenheit seines eigenen Stammes teilweise als berechtigt an. Ein Fluch laste auf diesem:


»Weil einst vielleicht in grauer Fabelzeit

Ein Paria die Huldigung dir geweigert,

Den Gott verhöhnt, der zu der Erde Prüfung

Sein lichtes Dasein hat mit Glanz umgürtet.«


Das ärgerte Heine außerordentlich, dieses Zugeständnis dürfe ein Jude dem Christentume nicht machen, sonst verdiente er seinen Sklavenberuf. »Fatal, höchst fatal war mir die Hauptbeziehung des Gedichtes, daß der Paria ein verkappter Jude ist. Man muß alles aufbieten, daß es niemandem einfalle. ... und es ist dumm, daß man diese Ähnlichkeit geflissentlich hervorhebt. Am allerdümmsten und schädlichsten ist die saubere Idee, daß der Paria mutmaßt, seine Vorfahren hätten durch eine blutige Missetat ihren traurigen Zustand selbst verschuldet. Die Anspielung auf Christus mag wohl manchen Leuten gefallen. ... Ich wollte, Michael Beer wäre getauft und spräche sich derb, ganz almansorartig in Hinsicht des Christentums aus, statt daß er dasselbe ängstlich schont und sogar mit demselben liebäugelt50.« Heine hätte auch hinzufügen können, daß Michael Beer aus Verblendung oder Phantasiemangel seine Glaubensgenossen, von denen er sich doch äußerlich nicht trennen mochte, an den Pranger gestellt und ihnen Laster angedichtet hat, von denen sie ganz gewiß frei sind. Sein »frommer Rabbi« stellt einen Talmudkundigen dar, forschend in den toten Büchern, in einsamer Gegend und sich bemühend, alle religiösen Pflichten und besonders drei Gebote zu erfüllen:


[371] »Drei Gebote sind die höchsten:

Gastrecht üben, Kranke pflegen

Und zum Grabe hin den Toten

Mit Gebeten zu geleiten.«


Darum freute sich der Talmudist, als ihm ein Gast ins Haus kam, an dem er die Pflicht der Gastfreundschaft üben konnte. Er marterte und verwundete ihn aber auch, um ihn heilen zu könenn, und zuletzt erhob er die Mordaxt gegen denselben, damit er an ihm auch das letzte der drei Gebote ausüben könnte. Einen schlechten Witz, eines Erzjudenfeindes würdig, hat Michael Beer in eine Anklage gegen die Anhänger des Talmuds eingekleidet.

Der arme Michael Beer hatte sich von seinen Stammesgenossen ferngehalten und sich an die vornehme christliche Welt angeschmiegt, in dem Wahne, sie werde seine Abstammung vergessen. Sie erinnerte sich und ihn einst so empfindlich daran, daß er sich die erfahrene Kränkung zu Gemüt zog und daran starb51.

Aber gerade in dieser Zeit, wo Heine sich innerlich viel mit dem Judentum beschäftigte, in Begeisterung für seine Geschichte geriet und das Christentum am heftigsten haßte – ließ er sich still in Heiligenstadt in die Christengemeinde aufnehmen (28. Juni 1825) und nahm die Taufnamen Christian Johann Heinrich an. – Lange hatte er gegen diese Anfechtung gekämpft. Er hat sich deutlich genug darüber ausgesprochen: »Keiner von meiner Familie ist dagegen, außer ich. Und dieser ich ist sehr eigensinniger Natur. Aus meiner Denkart kannst du dir wohl abstrahieren, daß mir die Taufe ein gleichgültiger Akt ist, daß ich ihn auch symbolisch nicht wichtig achte, und daß er in den Verhältnissen und auf die Weise, wie er bei mir vollzogen wurde, auch für andere keine Bedeutung hätte. Für mich hätte er vielleicht die Bedeutung, daß ich mich der Rechte meiner unglücklichen Stammesgenossen mehr weihen würde. Aber dennoch halte ich es unter meiner Würde und meine Ehre befleckend, wenn ich, um ein Amt in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe. Im lieben Preußen!. ... Ich werde noch aus Ärger katholisch und hänge mich auf«52. Er tat es dennoch, um in Preußen eine Stelle zu erlangen, mehr noch, um sich dadurch von der drückenden Abhängigkeit von seinem Oheim zu erlösen. In sein Tagebuch zeichnete er folgende Verse darüber ein:


»Und du bist zu Kreuz gekrochen,

Zu dem Kreuz, das du verachtest,

[372] Das du noch vor wenig Wochen

In den Staub zu treten dachtest«53.


Einige Zeit darauf (20. Juli 1825) legte er seine Prüfung als Jurist ab. Er jagte dennoch Phantomen nach und gab seine Ehre für nichts preis. Denn er bekam keine Anstellung und konnte der Unterstützung seines Oheims nicht entraten54. Verschämt wie ein Mädchen, das sich etwas hat zuschulden kommen lassen, teilte Heine seinem Busenfreunde Moser in verblümter Redeweise seine Taufe mit: »Ein junger spanischer Jude, von Herzen ein Jude, der sich aber aus Luxusübermut taufen läßt, korrespondiert mit dem jungen Jehuda Abrabanel und schickt ihm ein Gedicht, aus dem Maurischen übersetzt. Vielleicht scheut er es doch, eine nicht sehr noble Handlung dem Freunde unumwunden mitzuteilen, aber er schickt ihm jenes Gedicht. – Denke nicht darüber nach55

Heine wurde durch seinen Übertritt nur noch erbitterter auf das Christentum, als wenn es ihn zum Treubruch, zur Ehrvergessenheit und zum Abfall von sich selbst verleitet hätte. »Ich versichere dich,« schrieb er an seinen Busenfreund, »wenn die Gesetze das Stehlen silberner Löffel erlaubt hätten, so würde ich mich nicht getauft haben.« Er freute sich, daß der Prediger am Hamburger Tempel, Gotthold Salomo, in seinem Beisein auf die getauften Juden und auf ihn selbst stichelte, wie sie von der bloßen Hoffnung, eine »Stelle« zu bekommen, sich verleiten ließen, dem Glauben ihrer Väter untreu zu werden. – Als um dieselbe Zeit der Fahnenträger des jungen Israel, der Begründer und rührige Trommelschläger des Kulturvereins, Eduard Gans, ebenfalls zum Christentume übergetreten war, konnte es ihm Heine nicht verzeihen, da jener nicht aus Not dazu gedrängt war. Er wurde noch ärgerlicher über ihn, als er vernahm, daß Gans schwache Juden zur Taufe überredet haben sollte. »Tut er dieses aus Überzeugung, so ist er ein Narr; tut er es aus Gleißnerei, so ist er ein Lump«56. Er war auch ungehalten über Moser, daß er seine Taufe milde beurteilt und ihn nicht, wie er es von diesem gefestigten Charakter erwartet hatte, herbe zurechtgewiesen habe. »Ich bin froh, der alte Friedländer [373] und Bendavid sind alt und werden bald sterben, und diese haben wir dann sicher, und man kann unserer Zeit nicht den Vorwurf machen, daß sie keinen einzigen Untadelhaften aufzeigen kann«57. Verdrießlich war es auch für ihn, daß seine Gegner seine jüdische Abstammung nicht vergessen mochten und sie ihm wie Börne bei jeder Gelegenheit in Erinnerung brachten. Um seine Gewissensbisse einigermaßen zu beschwichtigen, arbeitete er an dem Roman »Rabbi von Bacharach« weiter; er wollte damit seine innerliche Anhänglichkeit an die Juden bekunden, und ihn veröffentlichen trotz der Abmahnung seines Freundes Moser, der den grellen Widerspruch zwischen Gesinnung und Tat und die Feindschaft, die er sich dadurch zuziehen würde, nicht übersah. Indessen vernachlässigte er den Roman doch nach und nach und veröffentlichte ihn erst viel später als Bruchstück.

Heine war aber nicht dazu geschaffen, sich stets von Gewissensbissen quälen zu lassen. Da er einmal dem Judentume den Rücken gekehrt hatte, suchte er sich selbst zu betäuben. Sein dem Lustsinn zugewandtes Leben unmittelbar nach seinem Übertritt war nichts als ein Versuch, sich zu betäuben. Heine klügelte förmlich, um Schattenseiten an den Juden und am Judentume zu entdecken und sich so vor sich selbst zu rechtfertigen. Aus dieser Stimmung stammen seine gehässigen Ausfälle auf das Judentum, daß es z.B. »keine Religion, sondern ein Unglück sei«. Später suchte er die Kluft zwischen Judentum und Christentum bis auf eine verschwindende Linie zu verringern, beide als selbstquälerisch, mönchisch und nazarenisch zu bezeichnen, beide zugleich zu verunglimpfen und sich über beide hinweg zu einer hellenistischen Religion der »Wiederherstellung des Fleisches« zu bekennen. Je tiefer er in den Lebensstrudel hineingerissen wurde, desto mehr entschwanden Judentum und Juden aus seinem Gesichtskreise. Doch, man kann fast sagen, in lichten Augenblicken brach seine alte Liebe zum Judentume wieder hervor, und er zeigte wieder seine denkklare Anschauung von demselben. So ärgerte sich Heine, daß man Shakespeare zu den Judenfressern zählte, weil er den Shylock geschaffen hat, und er bot seine glänzende Beredsamkeit auf, um diesen Makel von den Juden zu nehmen. »Hat Shakespeare in der Jessika eine Jüdin schildern wollen? Wahrlich nein, er schilderte nur eine Tochter Evas, eine jener schönen Vögel, die, wenn sie flügge geworden, aus dem väterlichen Neste fortflattern zu dem geliebten Männchen ... Bei Jessika ist besonders bemerkbar eine gewisse zagende Scham, die sie nicht überwinden [374] kann, wenn sie Knabentracht anlegen soll. Vielleicht in diesem Zuge möchte man jene sonderbare Keuschheit erkennen, die ihrem Stamme eigen ist und den Töchtern desselben einen so wunderbaren Liebreiz verleiht. Die Keuschheit der Juden ist vielleicht die Folge einer Opposition, die sie von jeher gegen jenen orientalischen Sinnen- und Sinnlichkeitsdienst bildeten, der einst bei ihren Nachbarn, den Ägyptern, Assyrern und Babyloniern in üppigster Blüte stand und sich in beständiger Transformation bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Die Juden sind ein keusches, enthaltsames, ich möchte sagen, abstraktes Volk, und in der Sittenreinheit stehen sie den germanischen Völkern am nächsten ... Es ist in der Tat auffallend, welche innige Wahlverwandtschaft zwischen den beiden Völkern der Sittlichkeit, den Juden und Germanen herrscht ... Sie hat einen tieferen Grund, und beide Völker sind sich ursprünglich so ähnlich, daß man das ehemalige Palästina für ein orientalisches Deutschland ansehen könnte, wie man das heutige Deutschland für die Heimat des heiligen Wortes, für den Mutterboden des Prophetentums, für die Burg der reinen Gottheit ansehen sollte. Aber nicht bloß Deutschland trägt die Physiognomie Palästinas, sondern auch das übrige Europa erhebt sich zu den Juden. Ich sage: erhebt sich; denn die Juden trugen schon im Beginn das moderne Prinzip in sich, welches sich heute erst bei den europäischen Völkern sichtbar entfaltet. Griechen und Römer hingen begeistert an dem Boden ... die späteren nordischen Einwanderer hingen an der Person ihrer Häuptlinge ... die Juden aber hingen von jeher nur an dem Gesetze, an dem abstrakten Gedanken, wie unsere neueren kosmopolitischen Republikaner ... Freiheit und Gleichheit war ihre (der Juden) Religion ...«58. Börnes Einseitigkeit in vorgerücktem Alter fand die bewegenden Gedanken der Neuzeit, für die er schwärmte, in einem regenerierten päpstlichen Katholizismus. Heines Vielseitigkeit entdeckte ihren Ursprung im Judentume. Auch über den Talmud sprach er, selbst in seiner Zerfallenheit, mit seiner feinen Fühlung, ein tiefes Wort, daß die Juden es diesem zu verdanken hätten, daß sie dem christlichen Rom ebenso heldenmütig, wie einst dem heidnischen widerstehen könnten59.

In zunehmendem Alter, als ein schweres Nervenleidenden Gedankenspiegel seines Geistes noch heller machte, und er den Vorzug der auf Religiosität gebauten Sittlichkeit vor der sinnlichen Schönheit erkannte, kehrte Heine zu seiner Jugendliebe, zu seiner Verehrung für das [375] Judentum, ganz und gar zurück. Seine »Geständnisse« (1853-54) sind begeisterte Hymnen auf die jüdische Geschichte und den jüdischen Stamm, und man hört es ihnen an, daß sie ernst gemeint waren. Für die Bibel hat er, der feinfühlige Dichter, stets geschwärmt60. »Die Juden sollten sich trösten, daß sie Jerusalem und die Bundeslade eingebüßt haben; solcher Verlust ist nur geringfügig im Vergleich mit der Bibel, dem unzerstörbaren Schatze, den sie gerettet ... Die Wiedererweckung meines religiösen Gefühls verdanke ich jenem heiligen Buche (der Bibel), und dasselbe ward für mich ebenso sehr die Quelle des Heils, als ein Gegenstand der feurigsten Bewunderung ... Ich glaube mir schmeicheln zu dürfen, daß mir der Charakter des Mose in der ersten Abteilung des heiligen Buches (des alten Testamentes) einleuchtend aufgegangen ist. Diese große Figur hat mir nicht wenig imponiert. Welche Riesengestalt! Wie klein erscheint der Sinaï, wenn der Mose darauf steht! Dieser Berg ist nur das Postament, worauf die Füße des Mannes stehen, dessen Haupt in den Himmel hineinragt, wo er mit Gott spricht ... Ich hatte Mose früher nicht sonderlich geliebt, wahrscheinlich weil der hellenische Geist in mir vorwaltend war, und ich dem Gesetzgeber der Juden seinen Haß gegen alle Bildlichkeit, gegen die Plastik, nicht verzieh. Ich sah nicht, daß Mose, trotz seiner Befeindung der Kunst, dennoch selber ein großer Künstler war, und den wahren Künstlergeist besaß. Nur war dieser Künstlergeist bei ihm, wie bei seinen ägyptischen Landsleuten nur auf das Kolossale und Unverwüstliche gerichtet. ... Er baute Menschenpyramiden, meißelte Menschenobelisken, er nahm einen armen Hirtenstamm und schuf dar aus ein Volk, das ebenfalls den Jahrhunderten trotzen sollte, ein großes, ewiges, heiliges Volk, ein Volk Gottes, das allen andern Völkern als Muster, ja der ganzen Menschheit als Prototyp dienen konnte, er schuf Israel ... Wie über den Werkmeister, habe ich auch über das Werk, die Juden, nicht immer mit hinlänglicher Ehrfurcht gesprochen. Die Geschichte des Mittelalters und selbst der anderen Zeiten hat selten in ihre Tagesberichte die Namen solcher Ritter des heiligen Geistes eingezeichnet, denn sie fochten gewöhnlich mit verschlossenem Visier. Ebenso wenig die Taten der Juden, wie ihr eigentümliches Wesen sind der Welt bekannt. Man glaubt sie zu kennen, weil man ihre Bärte gesehen, aber mehr kam nie von ihnen zum Vorschein, und wie im Mittelalter sind sie auch in der modernen Zeit ein wandelndes Geheimnis. Es mag enthüllt werden an dem Tage, wovon der Prophet geweissagt« ...

[376] »Ja, den Juden, denen die Welt ihren Gott verdankt, verdankt sie auch dessen Wort, die Bibel; sie haben sie gerettet aus dem Bankerott des römischen Reiches, und in der tollen Raufzeit der Völkerwanderung bewahrten sie das teuere Buch, bis es der Protestantismus bei ihnen aufsuchte und das gefundene Buch in die Landessprachen übersetzte und in alle Welt verbreitete ... Im Norden von Europa und Amerika hat sich das Palästinatum so geltend gemacht, daß man sich dort unter Juden versetzt zu sehen glaubt ... Ich will nicht reden von den meisten neuen Gemeinden der Vereinigten Staaten, wo man das alttestamentliche Leben pedantisch nachäfft, ... aber die Karikatur wird nicht schwinden, das Echte, Unvergängliche und Wahre, nämlich die Sittlichkeit des alten Judentums, wird in jenen Ländern ebenso gotterfreulich blühen, wie einst am Jordan und auf den Höhen des Libanons. Man hat keine Palmen nötig, um gut zu sein, und Gutsein ist besser, denn Schönheit ... Judäa erschien mir immer wie ein Stück Okzident, das sich mitten in den Orient verloren. In der Tat, mit seinem spiritualistischen Glauben, seinen strengen, keuschen, sogar asketischen Sitten, kurz mit seiner abstrakten Innerlichkeit bildete dieses Land und sein Volk immer den sonderbarsten Gegensatz zu den Nachbarländern und Nachbarvölkern, die, den üppig buntesten und berüchtigtesten Naturkulten huldigend, im bacchantischen Sinnenjubel ihr Dasein verschleuderten. Israel saß fromm unter seinem Feigenbaume und sang das Lob des unsichtbaren Gottes und übte Tugend und Gerechtigkeit, während in den Tempeln von Babel, Ninive, Sidon und Tyrus jene blutigen und unzüchtigen Orgien gefeiert wurden, ob deren Beschreibung uns noch jetzt das Haar sich sträubt. Bedenkt man diese Umgebung, so kann man diese frühe Größe Israels nicht genug bewundern. Von der Freiheitsliebe Israels, während nicht bloß in seiner Umgebung, sondern bei allen Völkern des Altertums, sogar bei den philosophischen, die Sklaverei justifiziert war und in Blüte stand, will ich nicht gern reden, um die Bibel nicht zu kompromittieren bei den jetzigen Machthabern ... Ja, statt mit der Unmöglichkeit zu ringen, statt die Abschaffung des Eigentums tollköpfig zu dekretieren, erstrebte Mose nur die Moralisation (Versittlichung) desselben; er suchte das Eigentum in Einklang zu bringen mit der Sittlichkeit, mit dem wahren Vernunftrecht, und solches bewirkte er durch die Einführung des Jobeljahres, wo jedes alienierte (entfremdete) Erbgut, welches bei einem ackerbauenden Volke immer Grundbesitz war, an den ursprünglichen Eigentümer zurückfiel, gleichviel in welcher Weise dasselbe veräußert worden. – Diese Institution bildet den entschiedensten Gegensatz [377] zu der Verjährung bei den Römern ... Mose wollte nicht das Eigentum abschaffen, er wollte vielmehr, daß jeder dessen besäße, damit niemand durch Armut ein Knecht mit knechtischer Gesinnung sei; Freiheit war immer des großen Emanzipators letzter Gedanke, und dieser atmet in allen seinen Gesetzen, die den Pauperismus betreffen. Die Sklaverei haßte er über alle Maßen schier ingrimmig ... Wollte aber ein Sklave, den das Gesetz endlich befreit, durchaus nicht das Haus des Herrn verlassen, so befahl Mose, daß der unverbesserliche Lump mit dem Ohr an den Türpfosten des herrschaftlichen Hauses angenagelt wurde. .... O Mose, unser Lehrer, Mosche Rabbenu, hoher Bekämpfer der Knechtschaft, reiche mir Hammer und Nägel, damit ich unsere gemütlichen Sklaven in schwarz-rot-goldener Livree mit ihren langen Ohren festnagele an das Brandenburger Tor«61.

Der Geist des jüdischen Gesetzes und der jüdischen Geschichte war allerdings über diesen verirrten Sohn Israels gekommen und hat ihm eine Offenbarung gebracht, die nur wenige vor ihm in ihrer Tiefe begriffen, keiner auch nur entfernt so lichtvoll dargestellt hat. Wie für die Weisheitstiefe in den Gesetzen und den Geisteskampf in den Jahrtausenden der jüdischen Geschichte62, so hatte Heine auch für das echte Gold der Poesie, die dem größten jüdischen Dichter des Mittelalters entströmt ist, ein richtiges Verständnis. Kaum hatte Michael Sachs, der Prediger mit der Psalmistenseele und der Prophetensprache die verhüllten Schönheiten der »religiösen Poesie der Juden in Spanien« entschleiert und besonders den verdunkelten Glanz des Dichters Jehuda Halevi Abulhassan wieder hergestellt, als Heine, tief davon ergriffen, diesem stamm- und kunstgenössischen Troubadour ein Denkmal setzte. Mit seinem Zauberstabe erweckte er Jehuda Halevis Schatten aus dem Grabe und führte ihn in der ganzen Idealität seiner Erscheinung und in der ganzen Glut seiner Begeisterung vor63.

[378] Bis zu seinem letzten Hauche kämpften in Heine die zwei weltgeschichtlichen Bildungsprinzipien, die keusche Sittlichkeit des Judentums und die Formenschönheit des Griechentums, die er beide bewunderte, aber nicht zu versöhnen vermochte.


»Die Gegensätze sind hier grell gepaart,

Der Griechen Lustsinn und der Gottgedanke Judäas,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

O dieser Streit wird enden nimmermehr,

Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen«64.


Er selbst ahnte, daß die harmonische Vermischung beider Elemente die Aufgabe der europäischen Zivilisation sei65; aber er vermochte nicht, sie in sich zu vollziehen. Aus diesem Kampfe ging seine Zerrissenheit hervor, aber zugleich auch sein Drang, sie beide durch Spott zu bemeistern, um sie eben nicht Herr über sich werden zu lassen.

Die Judenheit hat diesen ihren beiden abtrünnigen Söhnen, Börne und Heine, viel zu verdanken. Sie haben den deutschen Judenhaß, wenn auch nicht vertilgt, so doch gebändigt. Was Heine einst bei der Erinnerung an die Hep-Hep-Tollheit sagte: »Auch dergleichen kann nicht wieder vorfallen, denn die Presse ist eine Waffe, und es gibt zwei Juden, welche deutschen Stil haben, der eine bin ich, der andere ist Börne«66, diese Prophezeiung hat sich so ziemlich erfüllt. So arge, rohe Ausbrüche gegen die Juden sind seit ihrem Auftreten nicht sobald in Deutschland vorgekommen. Die Rühs, Fries und andere Judenfresser, welche den Juden alle höhere Begabung absprachen, konnten seit der Zeit nicht mehr einen so hochfahrenden Ton anstimmen. Begabtere, kunstsinnigere, feinfühligere Schriftsteller als diese beiden Juden konnte Deutschland nicht aufweisen. Die närrische Deutschtümelei, die Maaßmannsche und die Wolfgang Menzelsche, die religionsschillernde, wie die urwäldliche, haben diese beiden jüdischen Kämpfer tatkräftiger bezwungen, als die Mainzer Inquisition; ja, sie haben bewirkt, daß der Fluch gegen die Juden in Segen verwandelt wurde. Manche Judenfresser, wie Menzel, bekehrten sich und redeten sogar den Juden das Wort zur Gleichstellung.

Aber mehr als die Juden hat Deutschland diesen seinen strengen Erziehern zu verdanken. Sie haben ein wahres Füllhorn von Gedanken [379] über Deutschland ausgeschüttet, wie zwei Könige, die auf ihrer Fahrt Goldmünzen mit vollen Händen ausstreuen. Sie haben den Deutschen eine elegante, gedankenhelle und for menglatte Sprache geschaffen und ihnen den Tempel der Freiheit geöffnet.

Das junge Deutschland, welches den gegenwärtigen Kulturzustand begründet und das Befreiungsjahr von 1848 geschaffen hat, ist ein Kind dieser beiden jüdischen Väter. Die Schmähsucht, die Verleumdung und die Geheimpolizei war von einem richtigen Takte geleitet, als sie die Führer des jungen Deutschland als Juden bezeichnete, weil sie ohne den Einfluß des jüdischen Geistes allerdings nicht Vorstürmer für die Freiheit geworden wären. Die Judenfeinde glaubten den Juden dadurch eine Schmach anzutun, daß sie die hellblonden Kämpfer geradezu Juden nannten, sie haben ihnen aber damit hinterher eine Ehrenrettung gegeben, und höchstens dem deutschen Geiste wider ihren Willen ein Armutszeugnis ausgestellt67. Das erschöpft jedoch noch nicht die Verdienste Börnes und Heines um Deutschland. Sie haben den Franzosen Hochachtung vor der Kernhaftigkeit des deutschen Geistes beigebracht und den Spott zum Schweigen gebracht, in welchem sich die westrheinischen Nachbarn über die Tölpelhaftigkeit und traumhafte Nebelhaftigkeit der Deutschen zu ergehen pflegten. Börne und Heine haben zuerst Frankreich und Deutschland einander näher gebracht, die deutsche Gedankentiefe mit der französischen Eleganz vermählt. Die Nebel, welche diese beiden Nationen trennten, haben sie zuerst gelichtet, die Franzosen zum Berganklimmen und die Deutschen zum Bergabsteigen bewogen, damit sie einander auf halbem Wege begegnen und über ihre gegenseitigen Vorurteile und ihre Unterjocher hinweg sich die Hände zum Bruderbunde reichen können. Die messianische Zeit, wenn sie eintrifft, würden die beiden Juden ihrer nationalen Sendung zufolge angebahnt haben.


Fußnoten

1 Vgl. über Börne und seines Vaters Haltung, Börnes Briefe. Ges. Schriften XII, S. 320 und Börnes Leben von Gutzkow 1840. Briefe des jungen Börne an H. Herz 1861 [und die bereits oben zitierten Abhandlungen Schnapper-Arndts und Ludwig Geigers.]


2 Vgl. o. S. 41 und Note 2.


3 Briefe des jungen Börne, S. 134.


4 Das. S. 143.


5 Briefe des jungen Börne, S. 161.


6 Das. S. 69.


7 Das. S. 58.


8 Das. S. 123.


9 Pariser Briefe Nr. 74, Ges. Schr. X, 243.


10 Das. S. 244.


11 Pariser Briefe Nr. 74, Ges. Schr. X, S. 43.


12 Briefe des jungen Börne S. 167 vom Jahre 1806.


13 Pariser Briefe, Bd. X, S. 9.


14 Briefe des jungen Börne, S. 178.

15 Börnes Aufsatz »Was wir wollen«, abgedruckt in der Frankfurter Zeitung 1814, S. 276 f. ist ein lehrreiches Kapitel von der Umwandlung, die in ihm vorgegangen ist.


16 Enthalten in Ges. Schr. II, 386 f.


17 Der Roman, Ges. Schr., Bd. I, S. 174.


18 In dem Artikel »Eine Kleinigkeit«, Ges. Schr., Bd. II, S. 326.


19 Der ewige Jude, Bd. VI, S. 3-68.


20 Vgl. die Rezension von Heines »de l'Allemagne«, Ges. Schr., Bd. VII, 269 f. und Beurmans Ludwig Börne als Charakter und in der Literatur, S. 81 f.


21 Kundigen braucht es nicht gesagt zu werden, daß Börne den Streit mit Heine provoziert hat; seine feindselige Schrift gegen ihn erschien bereits 1835 französisch, und Heines Buch über Börne erst 1840, wobei jener das volle Recht der Verteidigung hatte; nur beging er den Fehler, sie erst nach seines Gegners Tode zu veröffentlichen. Der Tadel der Überhebung, den Heines Feinde in dem Titel »Heine über Börne« fanden, trifft nicht den Verf. Bekanntlich hat Kampe diesen Titel der Schrift vorgesetzt, und Heine hat ihn bereut.


22 Die biographischen Tatsachen sind meistens entnommen »Heines Leben und Werke von Strodtmann« (Berlin, 1867-1869), die Anekdoten von Herrmann Schiff, »Heinrich Heine und der Neu-Israelitismus« sind nicht immer zuverlässig.


23 Börne, Rezension über »de l'Allemagne«, Bd. VII, p. 266, 273.


24 Heines Ges. Schr., Bd. XIV, S. 77. [Über Heines Mutter vgl. D. Kaufmann, Aus Heinrich Heines Ahnensaal, S. 178-184].


25 Es ist Aufschneiderei von Herrmann Schiff, S. 11, daß Heine niemals hebräisch gelernt habe und den Segen über die Thora nicht habe sprechen können.


26 Geständnisse, Bd. IV, S. 295 f.


27 Heines sämtl. Werke, Briefe I, S. 91, und Strodtmann, I, S. 258.


28 Brief an Moser das., S. 441 f.


29 Brief an Moser, das. S. 139-144.


30 Brief an Wohlwill, 2. April 1823 das. I, S. 85.


31 Brief an Wohlwill, das. S. 41 f.


32 Das. S. 127.


33 Das. S. 103.


34 Noch im Jahre 1836 schrieb er an seinen Freund Moser: »Ich hasse die christliche Lüge in der Poesie ebenso sehr, wie im Leben«, das. Bd. II, S. 94. Es leben noch Zeugen, die öfter von ihm auf seinem Siechbette hörten, daß ihm das Judentum teuer sei. Er trug sich mit dem Plane, einen Roman »Die Herzogin von Kosel« zu schreiben, welche eine besondere Vorliebe für das Judentum hatte und sich von Bodenschatz Pirke Abot und andere hebräische Stücke übersetzen ließ (Meißner, Charaktermasken II, S. 113.) Einige Tage vor seinem Tode sagte er zu einem Freunde: »Je suis revenu à Jehovah« (Univers Israélite, Jahrg. 1856, p. 349).


35 Brief an Moser Bd. II, S. 180, auch in die Liedersammlung aufgenommen.


36 Briefe, Bd. I, S. 44.


37 Briefe, Bd. I, S. 115.


38 Das. S. 113 Brief vom 27. Sept. 1823.


39 Strodtmann I, S. 235.


40 Briefe I, S. 119.


41 An Moser vom Anf. Januar 1824. Briefe I, S. 142, auch in Romanzero oder hebräische Melodien, Bd. XVIII, S. 195 aufgenommen.


42 Brief an Moser vom 18. Juni 1823. das. S. 69, 89.


43 In den vorhandenen Briefen an Moser sprach Heine zwar erst im Juni 1824 vom Rabbi von Bacharach S. 167, doch so, daß man daraus ersieht, daß er schon längere Zeit daran gearbeitet und bereits den dritten Teil vollendet hatte. Von seinem Chroniklesen schreibt er schon an Moser im Febr. desselben Jahres. Er muß also schon ein Jahr vorher daran gegangen sein, und zwar infolge des Falles des Almansor.


44 Das. S. 167.


45 Das. S. 169.


46 Brief an Moser, S. 179.


47 Das. S. 214.


48 Das.


49 Brief an Moser S. 177, auch in der Gedichtsammlung.


50 An Moser das. 188 f.


51 August Lewald, Panorama von München, I, S. 76-79.


52 An Moser Briefe I, S. 115.


53 Heines letzte Gedichte und Gedanken, herausgegeben von Strodtmann 1869, S. 43, mit der Überschrift: »An einen Abtrünnigen.«


54 Seine Aussicht auf eine Advokatur in Hamburg und eine Professur in Berlin blieben Illusionen, Briefe das. 240.


55 An Moser Briefe I, S. 231. Der Brief ist nicht gar zu lange nach Heines Taufe geschrieben, und nicht, wie bei Strodtmann angegeben, Anfang November 1825.


56 Das. S. 141 f.


57 An Moser Briefe I, S. 267 f.


58 Shakespeares Mädchen und Frauen, Bd. III, S. 318 f. Vgl. auch Briefe aus Helgoland Bd. XII, S. 69 f.


59 Über Deutschland oder Salon, Bd. V, S. 164.


60 S. Briefe aus Helgoland vom Jahre 1830, Bd. XII, S. 63 f.


61 Geständnisse, Bd. XIV, S. 293-300.


62 Vgl. die Bemerkungen Heines über Juden, Judentum und jüdische Geschichte in »Letzte Gedichte und Gedanken Heines«, S. 195 f. Besonders schön ist folgende Bemerkung: »Die jüdische Geschichte ist schön, aber die jungen Juden schaden den alten, die man weit über Griechen und Römer setzen würde. Ich glaube, gäbe es keinen Juden mehr, und man wüßte, es befände sich irgendwo ein Exemplar von diesem Volk, man würde 100 Stunden reisen, um es zu sehen, und ihm die Hand zu drücken – und jetzt weicht man uns aus.«


63 Die Beilage zum Romanzero über Jehuda Halevi im Makamenstile ist bekanntlich M. Sachs, Religiöse Poesie der Juden in Spanien S. 287, entlehnt und Heines Gedicht Jehuda Ben Halevy ist durch Sachs' Schilderung angeregt worden.


64 Alfred Meißner, C. Heine, Erinnerung, Gedicht an die »Mönche«, S. 253, 256.


65 Ges. Schr., Bd. XX, S. 77.


66 Hermann Schiff, Heine, S. 24.


67 Menzel, der Franzosen- und Judenfresser, hat tiefer als Riesser geblickt, indem er das junge Deutschland verjüdischte. Riesser, ein geborener Gothaer, mochte nicht auf den Juden den Makel revolutionären Geistes sitzen lassen. Vgl. Jüdische Briefe I, 6.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1900], Band 11, S. 381.
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