Landwirtschaft und Handwerk

[330] Unter den Erwerbszweigen nimmt im griechischen Mittelalter sowohl der Wertschätzung nach wie tatsächlich die Landwirtschaft die erste Stelle ein. Auf ihr beruht die Macht des Adels; bei weitem die Mehrzahl der Bevölkerung lebt von ihr. Den Vorrang behauptet auch jetzt noch die Viehzucht; der Reichtum des Adels besteht vor allem in ungeheuren Heiden, namentlich von Ziegen, Schafen und Schweinen. Im Flachlande (z.B. in Elis) werden auch große Rinderherden gehalten; das Rind ist das Schlachtvieh der Vornehmen und der großen Feste, sonst wird es vor allem zur Feldarbeit gezüchtet. Zum Transport dienen Esel und Maultiere; Pferdezucht kann sich nur in den größeren Ebenen, wie in Argos, Elis, Thessalien, und in manchen Gebieten Kleinasiens auf den reichen Adelshöfen entwickeln und dient fast ausschließlich dem Krieg und dem Sport. In den zerrissenen Gebirgen, die einen großen Teil Griechenlands erfüllen, ist Ackerbau in größerem Umfang [330] kaum möglich; dagegen ist er in den Tälern und Ebenen voll entwickelt, doch, wie es scheint, noch ohne eine wesentliche Beschränkung der Viehzucht herbeizuführen. Der Ackerbau ist sehr extensiv; zwar kennt schon Homer die Düngung, aber die Felder bleiben durch das ganze griechische Altertum ein Jahr um das andere brachliegen504. Gebaut wird vor allem Spelt (ζειά) und Gerste (ἄλφιτον, κριϑή), daneben Weizen (πυρός). Die allgemeine und unentbehrliche Ergänzung der Brotnahrung (σῖτος) bildet der Wein. Vielfach wird er wohl an den Berghängen und zwischen den Feldern gezogen; doch ist bereits bei Homer eine regelrechte, eingehegte und gepflegte Weinpflanzung ganz gewöhnlich (z.B. Il. I 579. Ξ 123. Σ 561). Auch Gemüse- und Obstgärten fehlen nicht (z.B. Il. Φ 257, Od. τ 112). Allmählich kommt dann die Kultur des Feigen-und namentlich des Ölbaumes auf. Die ältere Zeit bezog, wie es scheint, ihr Öl aus dem Orient; dann verbreitet sich die Ölkultur durch ganz Hellas (bei Homer zuerst P 53, dann in der jungen Stelle von den Gärten des Alkinoos Od. η 116, bei Laertes (ω 246ff.); das Öl wird einer der unentbehrlichsten Artikel des Haushaltes sowohl für die Bereitung der Speisen wie für die Beleuchtung. Durch den Ölbaum sind unfruchtbare Gebiete, wie das Binnenland von Attika, der Kultur erst recht erschlossen worden.

Neben der Landwirtschaft beginnt das Gewerbe sich zu entwickeln. Zwar der gewöhnliche Bedarf des Lebens wird meist im Hause selbst beschafft, namentlich in der Großwirtschaft; die zahlreichen Weiber und Mägde auf den Herrenhöfen, meist kriegsgefangene Sklavinnen, mahlen das Korn und backen das Brot, spinnen und weben. Aber die seßhafte Kultur führt mit Notwendigkeit zur Arbeitsteilung, auch bildet sich in den einzelnen Gewerken eine stets komplizierter werdende Technik, deren nur der gelernte Handwerker Herr wird. So ist denn das Handwerk bei Homer und Hesiod offenbar noch weiter ausgebildet als in der mykenischen Epoche. Zu dem Schmiede (χαλκεύς), der ursprünglich in Kupfer- und Edelmetallen (Od. γ 425 χρυσοχόος, ν 432 [331] als χαλκεύς bezeichnet), jetzt aber auch in Eisen arbeitet – eiserne Waffen sind den mittleren und jüngeren Partien des Epos bereits ganz geläufig – und seinem Doppelgänger, dem Tonarbeiter (κεραμεύς), kommt der Zimmermann (τέκτων), der Häuser und Schiffe baut. Ferner der Lederarbeiter (σκυτοτόμος Il. H 221), der z.B. Schilde macht, der Bogner (κεραοξόος τέκτων Il. Δ 110), die Spinnerin (Il. M 430) u.a. Soweit diese Handwerker nicht ihren besonderen Schutzpatron haben, wie die Schmiede den Hephästos, stehen sie unter dem Schirm der werktätigen Göttin Athene (z.B. der Zimmerer, der den Pflug baut, Hesiod op. 430). Zu den Handwerkern gehören ferner die Ausrufer und Boten (»Herolde«, κήρυκες), dann die Ärzte, deren Schutzpatron Asklepios ist, die Zeichendeuter (μάντιες), die aus dem Vogelflug und den Wunderzeichen die Zukunft zu erkunden gelernt haben und bei jedem größeren Geschäft, namentlich aber bei allen kriegerischen Unternehmungen, unentbehrlich sind, die Traumdeuter (ὀνειροπόλοι) u.ä., endlich die Sänger (ἀοιδοί), die von Ort zu Ort ziehen und bei allen Gastmählern und Festen willkommene Gäste sind. Auch Musiker und Gaukler (Il. O 680. Od. δ 18) sind wohl hier zu nennen. Sie alle sind δημιοεργοί, »Leute, die für jedermann, nicht für sich selbst, arbeiten«505. Zum Teil sind sie sehr geschätzt, erfahrene Baumeister, Schmiede, Ärzte, Seher, Sänger, erfreuen sich weithin großen Ansehens und werden von einem Ort zum ändern geholt; aber sozial sind sie den Besitzenden nicht ebenbürtig, sie gehören [332] nicht dem herrschenden, sondern dem abhängigen Stande an, und jeder, der ein Grundstück sein eigen nennt, sieht voll Selbstbewußtsein auf sie herab.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 330-333.
Lizenz:
Kategorien: