Der Seekrieg bis zum Frieden von 374

[383] Nachdem Sparta die Hoffnungslosigkeit des Landkriegs erkannt hatte, machte es den Versuch, durch ein Vorgehen zur See gegen Athen der Gegner Herr zu werden. Im Sommer 376 legte sich der Nauarch Pollis mit 65 Trieren vor den Ausgang des Saronischen Golfs – Ägina und die Kykladen hielten sämtlich noch zu Sparta – und schnitt Athen die Zufuhr ab. Athen sah sich gezwungen, mit der Flottenrüstung ernst zu machen. Fremde Matrosen anzuwerben war unmöglich; wieder wie zur Zeit der Arginusenschlacht mußte fast die gesamte Bürgerschaft selbst das Ruder in die Hand nehmen. Im Herbst 376 ging Chabrias mit 83 Trieren (16000 Mann) in See und griff Naxos an, die größte der Kykladen, um im Rücken der Feinde eine feste Stellung zu gewinnen. Pollis eilte zum Entsatz herbei; vor der Stadt kam es [383] am 16. Boedro mion (9. Oktober) zu einer großen Seeschlacht. Die Entscheidung war hart umstritten, der linke Flügel der Athener geriet in arge Bedrängnis; schließlich aber gewann Chabrias den vollen Sieg. 24 feindliche Schiffe waren vernichtet, 8 genommen; doch hatten auch die Athener 18 Schiffe verloren. Eine Verfolgung wagte Chabrias nicht, eingedenk des Schicksals der Sieger in der Arginusenschlacht; er wandte sich zur Rettung der Schiffbrüchigen. Trotzdem war der Sieg von weittragenden Folgen: er stellte mit einem Schlage die Herrschaft Athens im Ägäischen Meere wieder her657. Der Reihe nach traten die Kykladen dem Attischen Bunde bei658 und lieferten Schiffe und Geld; die spartanischen Besatzungen wurden überall verjagt und noch etwa 20 feindliche Kriegsschiffe aufgebracht. Mit 49 erbeuteten Trieren, 3000 Gefangenen, 160 Talenten kehrte Chabrias nach Athen zurück659. Der Sieg, der erste, den Athen seit 406 wieder selbst und allein erkämpft hatte, wurde gefeiert wie kaum je ein anderer: die Tage der alten Herrlichkeit schienen wieder anzubrechen.

Im nächsten Jahre, 375, ging Chabrias nach der thrakischen Küste. Auch hier brach die Macht Spartas überall ohne Kampf zusammen. Die Chalkidier stellten ihren Bundesstaat wieder her und traten in den Attischen Bund ein; Abdera, das gerade jetzt durch einen Einfall der Triballer660, die von der Donau her Thrakien [384] plündernd durchzogen, nach einem ruhmvollen Sieg eine schwere, fast vernichtende Niederlage erlitten hatte, nahm die Athener mit offenen Armen als Retter auf. Chabrias verjagte die Triballer und legte eine starke Garnison in die Stadt – das war zwar notwendig und ihr selbst erwünscht, zeigte aber zugleich die Unhaltbarkeit der idealistischen Grundsätze, die man aufgestellt hatte661. Auch Thasos, Änos, Samothrake und andere Orte traten bei, ferner Eläus auf der Chersones, Selymbria an der Propontis sowie die letzten Städte auf Lesbos und Euböa und unter den Kykladen, die bisher noch ferngeblieben waren. Auch mit Amyntas von Makedonien wurde ein Bündnisvertrag geschlossen662. Wenn die Entwicklung so weiterging, war binnen kurzem, abgesehen vom asiatischen Festland, der alte Bestand des attischen Reichs wieder erreicht. Schon gab man sich der Hoffnung hin, alsbald auch den alten Kolonialbesitz auf der Chersones und vor allem Amphipolis663 wieder gewinnen zu können. – Gleichzeitig war Timotheos mit 60 Trieren ausgelaufen, um in alter Weise den Peloponnes zu umfahren und die spartanischen Küsten zu verwüsten. Dadurch wurden die Spartaner gehindert, ein Heer über den Korinthischen Golf nach Böotien zu schicken, und Theben behielt für sein Vorgehen gegen die Landstädte freie Hand (o. S. 382). – Als Timotheos im Westmeer erschien, wiederholten sich die alten Vorgänge. Die Akarnanen schlossen sich an Athen an, ebenso Pronnoi auf Kephallenia; auf Korkyra erhob sich der Demos von neuem gegen die Aristokraten. Timotheos gewann die Insel mit ihrer starken Seemacht ohne Kampf für Athen und verhinderte weiteres Blutvergießen, wie er überhaupt durch humanes Auftreten und geschickte Unterhandlungen die Sympathien für Athen zu erwecken [385] verstand. Die Spartaner versuchten, mit Hilfe ihrer Verbündeten wenigstens das Westmeer zu behaupten; der Nauarch Nikolochos ging mit 55 Schiffen gegen Timotheos vor. Zwischen Leukas und Akamanien, bei Alyzia, kam es zur Schlacht. Timotheos siegte, wenn auch Nikolochos, nachdem er Verstärkungen aus Ambrakia an sich gezogen hatte, sich zur See behauptete und Timotheos eine zweite Schlacht ablehnte. Allmählich verstärkte sich seine Flotte immer mehr, namentlich durch Zuzug aus Korkyra664. Auch mit den Chaonern und Athamanen in Epirus knüpfte er Verbindungen an, ja der Molosserkönig Alketas trat jetzt dem attischen Bunde bei, ebenso, wie es scheint, Iason von Pherä, so wenig er ernstlich die Absicht hatte, Athens Sache zu fördern; aber zur Zeit war es auch sein Interesse, daß Sparta möglichst gedemütigt würde, und Timotheos war ihm homogen und sympathisch665.

Trotz dieser Erfolge war in Athen die Kriegsstimmung am Erlöschen. Der Krieg brachte zwar viel Ehre, aber wenigmateriellen Gewinn; die Besitzenden litten unter den immer aufs neue erhobenen Steuern und dem ununterbrochenen Besatzungsdienst zur Sicherung der Grenzen; den Ärmeren gewährten die Satzungen des neuen Bundes keinerlei Aussicht auf dauernde Besserung ihrer [386] Lage666. Timotheos war mit ganz ungenügenden Mitteln entsandt worden, nur 13 Talenten (70720 Mark); er verstand es zwar vortrefflich, von den Bündnern in schonender Form Kontributionen beizutreiben, aber jetzt kamen von ihm die dringendsten Gesuche um Geld; sonst lasse sich seine starke Flotte auf die Dauer nicht zusammenhalten. Und dazu erstand in dem neuen böotischen Staat unmittelbar an Attikas Grenze eine Macht, die ihm leicht gefährlicher werden konnte als Sparta. Mit Notwendigkeit ging die Allianz zwischen beiden Staaten in die Brüche, sobald das nächste Ziel, die Demütigung Spartas, erreicht war. Theben stellte zwar noch Schiffe, aber die Zahlungen zur Bundeskasse blieben aus; und dafür streckte es die Hände aus nach den Grenzorten, vor allem nach Platää und Oropos667, die Athen als seinen rechtmäßigen Besitz betrachtete: als Oropos sich an Athen anschloß (o. S. 382), hatte Theben versucht, sich mit Gewalt in den Besitz der Stadt zu setzen, und stand davon erst ab, als Athen erklärte, alsdann werde es den Bund als gebrochen be trachten. – Auch Sparta hatte erkannt, daß es die Stellung von 379 zur Zeit nicht zurückgewinnen könne; es mußte bestrebt sein zu retten, was noch zu retten war. Im J. 374 wurde Kleombrotos668 mit 4 Moren und den zugehörigen bundesgenössischen Kontingenten nach Phokis geschickt, um das Land gegen Theben zu schützen. Zugleich aber hatte sich Sparta an seine alten Verbündeten, Dionys669 und den Perserkönig, gewandt; Antalkidas ging wieder nach Susa und scheint hier jahrelang geblieben zu sein. Der König forderte von den Griechen die Wiederherstellung des Friedens auf Grund der alten Bestimmungen; und Athen wie Sparta waren bereit, darauf einzugehen. Auch Theben trat bei, zumal Sparta einwilligte, seine [387] auf die Dauer doch unhaltbaren Garnisonen aus den noch behaupteten böotischen Städten, vor allem aus Platää, wegzuziehen; vermutlich enthielt der Vertrag überhaupt die allgemeine Bedingung, abzurüsten und alle besetzten Städte freizugeben. Der neue athenische Bund wurde davon nicht berührt, weil er auf der Basis der vollen Autonomie errichtet war. So kam im Sommer 374 der allgemeine Friede zustande. Athen betrachtete den Abschluß mit Recht als einen großen Erfolg; stand es doch jetzt wieder ebenbürtig neben Sparta. Timotheos erhielt sofort den Befehl, das Ionische Meer zu räumen; die siegreichen Feldherrn wurden mit Ehren überhäuft und der Friedensgöttin, welche den Reichtum bringt, ein jährliches Fest gestiftet und ein Götterbild errichtet – das berühmte Meisterwerk Kephisodots (o. S. 317. 319)670.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 383-388.
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