Fortgang des Perserkriegs. Übertragung des Kommandos zur See an Athen

[456] Während man in Athen die Stadt wieder aufbaute und die darüber entstandene Spannung mit Sparta die Verschiebung der Stellung der griechischen Mächte zueinander vor Augen führte, nahm der Krieg des hellenischen Bundes gegen Persien seinen Fortgang. Im Frühjahr 478526 ging die Flotte – 20 peloponnesische Schiffe, 30 attische und eine große Zahl anderer, wohl namentlich von den Inseln und aus Ionien – aufs neue in See, unter dem Kommando des Siegers von Platää, der an die Stelle seines politisch und wohl auch militärisch bedeutungslosen Kollegen Leotychidas trat; das attische Kontingent befehligte Aristides, dem Miltiades' Sohn Kimon zur Seite stand527. Die Griechenstädte Kleinasiens waren bis auf wenige Ausnahmen, wie Halikarnaß, wo Artemisia sich behauptete, das nur halbgriechische Ephesos, die beiden Magnesia im Binnenlande und wahrscheinlich auch Lampsakos u.a. (u. S. 499), bereits durch die Schlacht bei Mykale frei geworden. So wandte man sich, den Traditionen des ionischen Aufstands folgend, nach Cypern. Auch hier werden, als die Flotte erschien, die Griechenstädte sich großenteils ohne ernstliche Kämpfe freigemacht haben: »sie unterwarfen einen großen Teil der Insel«, lautet Thukydides' summarischer Bericht. Zur Bezwingung der phönikischen Städte würde auch eine stärkere Heeresmacht nicht ausgereicht haben; die befreiten Städte konnte man einstweilen [456] unbedenklich sich selbst überlassen. Dringender war die volle Befreiung der Meerengen, durch die nicht nur den Persern die Verbindung mit Europa gesperrt, sondern auch die pontische Handelsstraße wieder frei wurde, die für die auf überseeisches Getreide angewiesenen Gebiete Griechenlands – ebensosehr für Attika und Ägina, wie auch für Teile des Peloponnes (Herod. VII 147) – von vitaler Bedeutung war. Noch in demselben Sommer fuhr Pausanias nach dem Bosporos und entriß Byzanz der persischen Besatzung. Zahlreiche vornehme Gefangene und reiche Beute fiel den Siegern in die Hände. Die verbündete Flotte blieb den Winter über im Hafen von Byzanz liegen, um im nächsten Jahr das Befreiungswerk weiter fortzusetzen.

Aber schon dieser erste Feldzug führte die Widersinnigkeit der bisherigen Organisation des Bundes deutlich vor Augen, welche das Oberkommando der Flotte in die Hände der zur See schwächsten Macht legte. Der Gegensatz, der bereits beim Ausgang des Feldzugs von Mykale hervorgetreten war, machte sich immer aufs neue fühlbar. Die spartanische Regierung konnte an der Fortführung des Kriegs gar kein Interesse haben; sie hatte daheim nähere und dringendere Sorgen, und der Mehrzahl ihrer peloponnesischen Bundesgenossen lag der Schauplatz, auf dem jetzt gekämpft wurde, in nebliger Ferne. Ihr Feldherr freilich, der Regent Pausanias, dachte anders. Mit berechtigtem Stolz schaute er auf den Sieg von Platää, den man seiner Führung verdankte; mit stolzen Worten hat er das in der Inschrift des nach Delphi geweihten Dreifußes verkündet528. Wie damals fühlte er sich auch jetzt als Oberhaupt der Kriegsmacht von ganz Hellas. Die Zeit schien ihm gekommen, wo er ganz Griechenland der Herrschaft des Agiadenhauses unterwerfen und damit zugleich die Fesseln, in die der heimische Staat das Königtum geschlagen hatte, sprengen könne. Wenn die Macht, die er selbst mitbrachte, nur gering war, so galt es um so mehr, seine persönliche Stellung energisch geltend zu machen. Er schaltete in Byzanz als Herr529; er umgab sich mit einer [457] aus den Gefangenen gebildeten Leibwache von Persern und Ägyptern, er nahm medische Tracht und Lebensweise an; er behandelte die Bundesgenossen nach den strengen Grundsätzen der spartanischen Disziplin und schritt herrisch und unnachsichtig gegen jede Regung von Unbotmäßigkeit ein530. Dadurch beschleunigte er die unvermeidliche Katastrophe. Die eben von ihren Tyrannen und Satrapen befreiten Ionier, die beim Heer standen, waren nicht gewillt, dafür die Herrschaft des spartanischen Machthabers einzutauschen. Sie begnügten sich nicht, in Sparta Beschwerde zu führen, sondern knüpften zugleich mit den athenischen Feldherrn Verhandlungen an; und diese verstanden es, die Situation zu ihren Gunsten auszubeuten. Die Führer der beiden ansehnlichsten Geschwader, Uliades von Samos und Antagoras von Chios, gaben den Ausschlag: sie kündigten Pausanias den Gehorsam und fuhren zu den attischen Schiffen hinüber531. Die übrigen Griechen mit Ausnahme der peloponnesischen Kontingente folgten ihrem Beispiel. Daß um dieselbe Zeit aus Sparta die Abberufungsordre für Pausanias eintraf und er ihr wohl oder übel folgen mußte, hatte keinen Einfluß mehr; als im Frühjahr 477 der spartanische Admiral Dorkis mit geringer Macht eintraf, wurde er abgewiesen. Er besaß keine Mittel, seine Ansprüche durchzusetzen, und mußte unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren.

Die Übertragung des Oberbefehls zur See auf die Athener ist von keiner der beteiligten Mächte als eine Verletzung oder gar als ein Bruch des hellenischen Bundes gegen Persien betrachtet worden. Die Waffenbrüderschaft sollte fortbestehen; nur die innere Organisation wurde geändert, ein engerer Bund im Bunde gegründet, der fortan die Fortführung des Kriegs übernahm. Auch die [458] Spartaner haben sich den vollendeten Tatsachen gefügt532. Wenn es ihren Stolz verletzen mußte, daß man ihnen aufgesagt hatte, so waren sie doch im Grunde froh, die undurchführbare und gefährliche Aufgabe los zu sein; was ihnen von Pausanias gedroht hätte, empfanden sie sehr wohl. So machten sie gute Miene zum bösen Spiel; ja sie ließen auf dem Platäischen Siegesdenkmal die ruhmredige Inschrift des Pausanias ausmeißeln und durch ein Verzeichnis aller Bundesgenossen ersetzen, damit der föderative Charakter des Kriegs und die Ablehnung aller herrschsüchtigen Gedanken von seiten Spartas deutlich hervortrete. Pausanias freilich vermochte sich in die Entscheidung nicht zu fügen. Trotz allen Argwohns hatte man ihm vor Gericht nichts nachweisen können; daher konnte man auch nicht hindern, daß er Anfang 477 auf eigene Hand, ohne Auftrag vom Staat, wieder auf den Kriegsschauplatz ging. Er war der Vertreter des spartanischen Königtums, dem die Peloponnesier Gehorsam schuldeten; so stellte ihm Hermione eine Triere. Damit ging er nach Byzanz, das seine Truppen besetzt hielten, und setzte sich hier fest, entschlossen, den weiteren Verlauf abzuwarten und die Wiederherstellung seiner Macht vorzubereiten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 456-459.
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