Die ersten Könige der achtzehnten Dynastie

[74] Nach der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit und Einheit des Reichs ist die Durchführung der Reichsorganisation die Hauptaufgabe der Könige gewesen, die sie in den nächsten Jahrzehnten weit mehr beschäftigt hat als die äußeren Kriege. Im einzelnen erfahren wir begreiflicherweise wenig genug davon. In allgemeinen Wendungen wird gelegentlich von dem Ausgleich der durch die Barbaren über das Land gebrachten Verwüstung, von der Wiederherstellung der Tempel und ihres Kultus geredet; da wird es genug zu tun gegeben haben. Einzelne Urkunden bezeugen die Bauten des Amosis und Amenophis I. in Karnak, des letzteren in Abydos; im Jahre 22 des Amosis wurde ein neuer Kalksteinbruch in Tura (Troja, vgl. Bd. I, 233) im Mokattamgebirge (äg. ’Aian) gegenüber von Memphis eröffnet, vor allem für die Bauten am Ptaḥtempel, und mit Gefangenen aus Asien betrieben (vgl. u. S. 82, 3). Von den grundlegenden Erlassen und den zahlreichen Einzelbestimmungen dagegen, an denen es nicht gefehlt haben kann, ist, abgesehn von der Dienstordnung des Vezirs, nichts auf uns gekommen115. Daß [74] hinter dem Neubau des Staats starke Persönlichkeiten gestanden haben, kann keinem Zweifel unterliegen: Amosis (ca. 1580-1557) und sein Sohn Amenophis I.116 (ca. 1557 bis ca. 1535) müssen bedeutende Herrscher gewesen sein. Zur Seite standen ihnen, direkt an der Regententätigkeit beteiligt, die Königinnen, unter Amosis seine Mutter A'ḥḥotep, deren tief eingreifende Wirksamkeit wir kennen gelernt haben, dann schon unter ihm, vor allem aber unter Amenophis I., dessen Mutter A'hmes-nofret'ari, die Schwester und Gemahlin des Amosis. Bis in die späteste Zeit ist ihr Name wie der Amenophis' I. hoch gefeiert geblieben, letzterer ist schließlich unter die Götter Ägyptens aufgenommen und ein Monat (Phamenoth, d.i. »Fest des Amenophis«) nach ihm benannt worden117.

Auf ihn ist Thutmosis I. gefolgt. Sein Sohn ist er schwerlich gewesen; in einem Erlaß, der seine Thronbesteigung anzeigt und die bei seinem Namen zu leistende Eidesformel [75] festsetzt, erhält dieser den Zusatz »geboren von der Königsmutter Senisenib«; seine Mutter ist also nicht etwa die offizielle Gemahlin oder Tochter eines Königs gewesen. Auf dem Denkstein in Nubien, auf dem der erwähnte Erlaß eingegraben ist, steht hinter ihm seine Gemahlin A'ḥmose und die Königin (A’ḥmose)-Nofret'ari, also die Witwe Amenophis' I., die mithin seine Thronbesteigung begünstigt hat. Ob aber, wie man vermutet hat, seine Gemahlin A’ḥmose eine Schwester Amenophis' I. gewesen und er durch diese Vermählung auf den Thron gekommen ist118, ist mit Sicherheit nicht zu erkennen; die intimen Vorgänge, die sich hinter den Kulissen abgespielt haben, entziehn sich wie gewöhnlich so auch hier unserer Erkenntnis.

Von einem wirklichen Dynastiewechsel kann jedenfalls keine Rede sein; Thutmosis I. hat das Werk seiner Vorgänger fortgesetzt119, und auch in ihm lebt ihr kriegerischer Geist. Wohl aber empfindet man, daß jetzt die Epoche des Wiederaufbaus im wesentlichen zum Abschluß gelangt ist. Der Stil der ägyptischen Kunst fängt an über die aus dem Mittleren Reich überkommenen Formen zu neuen selbständigen Schöpfungen hinauszuwachsen. Thutmosis I. bricht mit der alten Form des Königsgrabes, verlegt dieses in ein abgelegenes Wüstental der thebanischen Nekropole, und trennt von ihm den Totentempel am Rande des Kulturlandes120, [76] während die hohen Beamten sich auf den Höhen hinter demselben stattliche Felsgräber anlegen. Zugleich beginnen mit ihm die großen Tempelbauten, die, unter seinen Nachfolgern stetig weiter fortgebildet, der religiösen Idee eine der älteren Zeit noch völlig fremde Verkörperung geschaffen haben. Nach außen aber beginnt er die großen Eroberungen, die Ägypten zur führenden Macht der Kulturwelt erheben121.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 74-78.
Lizenz:
Kategorien: