Kultur und Kunst Babyloniens und Assyriens

[539] Die Geschichte Assyriens und Babyloniens verläuft in dieser ganzen Zeit, und noch zwei Jahrhunderte weiter, in eintöniger Monotonie, in einem stetigen Hin und Her, das zu dauernden Ergebnissen niemals führt. So kann sie ein größeres Interesse nicht erwecken. In den Königsinschriften wiederholen sich, ganz wie bei den Ägyptern, immer von neuem die gleichen Phrasen über die Macht, die Frömmigkeit und das kriegerische Ungestüm des von Assur und den großen Göttern berufenen und geleiteten Königs, das Gemetzel, das er unter den Feinden anrichtet, die Mauern, Tempel, Paläste, die er wieder hergestellt oder neu erbaut hat; aber während in Ägypten ein reichgestaltetes, in lebhafter Bewegung begriffenes Kulturleben dahinter steht, fehlt das hier vollkommen. Das Leben verläuft von Generation zu Generation gleichmäßig weiter in den ererbten, von der Kultur des 3. Jahrtausends geschaffenen Bahnen. Landwirtschaft, Gewerbe und Handel gehn ihren Gang schlecht und recht, je nach der momentanen politischen Lage, unter den durch den Geldverkehr und das Gesetzbuch Chammurapis geregelten Ordnungen; auch in der Organisation der Staatsverwaltung und der Steuern und Fronden wird sich in Babylonien trotz der Beseitigung der Kossaeerkaste nichts Wesentliches geändert haben; an die Stelle der bisherigen Machthaber treten die Gehilfen und Günstlinge der neuen Dynastie. Die Macht der Könige ist, wie in allen despotischen Staaten, durch die Rücksichten, die sie auf die für die Führung der Geschäfte und Kriege unentbehrlichen Magnaten und auf die Volksstimmung nehmen müssen, nicht nur in Babylonien stark gebunden, sondern offenbar, trotz alles Prunkens der Königsinschriften, auch in Assyrien, wie die wiederholten Aufstände und Thronwechsel zeigen. Daneben wird die Priesterschaft, der sie selbst [539] angehören, immer einen großen Einfluß behauptet haben; die Sorge für die Tempelbauten und die Ausstattung des Kultus ist auch hier in beiden Staaten jederzeit eine Hauptpflicht der Könige.

Auch die Traditionen der Götterlehre, der Sage und Geschichte und des von der Priesterschaft gepflegten Wissens werden weiter überliefert, die alten Texte immer von neuem abgeschrieben und vermehrt, die Chroniken weitergeführt – bei ihrer Benutzung zur Ermittlung von Ereignissen der Vorzeit ist man freilich, wie wir gesehn haben, oft flüchtig genug verfahren –; die Kenntnis des für die Erlernung der Schrift unentbehrlichen Sumerischen sucht man mit Hilfe der Paradigmen und Wörterbücher zu erhalten und hat den Texten vielfach akkadische Interlinearübersetzungen beigefügt und auch umgekehrt akkadische Texte ins Sumerische zurückübersetzt, wobei es nicht ohne viele Fehler abging. Auch wird sich ohne Zweifel der Bestand des wahren wie des eingebildeten Wissens auf dem Gebiet der Himmelskunde, der Sammlung und Deutung der Vorzeichen, speziell der Opferschau, der Magie und der Heilkunde gemehrt haben, so gut wie auf dem der Theologie und der Mittel, die Gnade der Götter durch Bußgebete und Opfergaben zu gewinnen. Aber neue Gedanken und irgend eine innere Fortentwicklung suchen wir in dieser ganzen Literatur vergeblich; die Fortschritte in der Astronomie und die wissenschaftliche Ausbildung eines geschlossenen astronomisch-astrologischen Systems gehören erst der folgenden Epoche, der Zeit des assyrischen Großreichs und der Chaldaeer an (vgl. Bd. I, 427). So ist es auch jetzt noch ganz unmöglich, in der Weise, wie das in Ägypten der Fall ist, aus inneren Gründen die Zeit irgend einer Schrift zu bestimmen und so zu einer wirklichen Literatur- und Kulturgeschichte zu gelangen1033. Vielmehr ist das ganze 2. Jahrtausend in Babylonien [540] eine Zeit des Stillstands und der Erstarrung und daher eines fortschreitenden Rückgangs, innerlich wie äußerlich.

Unmittelbar sinnfällig tritt dieser Niedergang in der Kunst zutage. Im Grunde ist die ganze Geschichte der Kunst Babyloniens seit der Mitte des 3. Jahrtausends nur ein ununterbrochenes Herabsinken von der kurzen im Reiche von Akkad unter Naramsin erreichten Blütezeit. Jetzt entartet sie völlig. Natürlich hat man immer weiter Götterbilder, Votivreliefs, Schmucksachen, Siegelzylinder angefertigt, bunte Gewänder gewebt u.s.w. Aber das alles sind nur Erzeugnisse einer mechanisch fortgeführten, völlig degenerierten Routine, alles innere Leben und aller Kunstgeschmack ist geschwunden. Nirgends zeigt sich das deutlicher, als auf den jetzt, seit den letzten Kossaeern – die ältesten erhaltenen stammen von Nazimaruttaš II. und Kaštiliaš III. – aufkommenden Urkundensteinen (Kudurru), Belehnungsurkunden für vornehme Beamte, denen Grundstücke als steuerfreies Eigentum zugewiesen wurden1034. Über den Text wurden auf den Steinblock in langen Reihen die Symbole zahlreicher Götter gesetzt (unter denen allmählich auch astrale Symbole zahlreicher werden), um so die Urkunden zu bekräftigen; aber von irgendwelchem Versuch, sie künstlerisch zu verbinden oder gar ein einheitliches Bild daraus zu schaffen, ist keine Rede, selbst Auswahl und Anordnung ist durchaus willkürlich. Wo dann vollends, wie mehrfach unter der vierten und den folgenden Dynastien, auch noch das Bild des Königs darauf gesetzt wird, fällt es, trotz des reichen Kostüms, so plump und unbeholfen aus, daß es an die tastenden Anfänge der primitiven sumerischen und chetitischen Kunst erinnert.

So ist denn auch der Hausrat, der sich in den Hausquartieren Babels erhalten hat, ebenso armselig und kunstlos wie gleichzeitig in Palaestina, in schärfstem Kontrast zu der Überfülle geschmackvoller Schöpfungen der Kleinkunst [541] und des Kunsthandwerks in Ägypten. Eine babylonische Kunst existiert in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr.

Auch in Assyrien liegen die Dinge nicht viel anders. Die Assyrer haben die Kultur, Literatur und Religion Babyloniens übernommen, aber innerlich Neues kaum hinzugefügt, abgesehn davon, daß hier der Stammgott Assur die herrschende Stellung unter den Göttern einnimmt und daher mit Ellil identifiziert wird, wie in Babel Marduk, und daß einzelne religiöse Anschauungen und Darstellungsformen aus dem chetitisch-mitanischen Kulturkreise eingedrungen sind. Die Sonderart der Assyrer tritt in ihrem kriegerischen Charakter hervor, der ihrem Königtum eine weit größere Energie verleiht und es immer wieder zu dem Versuch treibt, gegenüber den kraftlosen Prätensionen Babels die Vorherrschaft zu gewinnen. Das führt dann zu der früh hervortretenden Brutalität ihrer Kriegführung, die zu dem weit humaneren Verfahren ihrer chetitischen Rivalen in einem für beide Völker bezeichnenden Gegensatz steht. Dieselbe Denkweise tritt auch im assyrischen Recht hervor, von dem uns Aufzeichnungen, vor allem über die Rechtsverhältnisse der Frauen, etwa aus dem 12. Jahrhundert erhalten sind1035. Die Sätze sind von dem Gesetzbuch Chammurapis beeinflußt, stehn aber an Präzision der juristischen Formulierung hinter ihm ebenso wie hinter dem chetitischen zurück; bezeichnend ist auch hier, im Gegensatz zu diesem, die große Zahl der Leibes-und Lebensstrafen, die in ihnen verhängt werden.

Indessen trotz der größeren Regsamkeit und der stärkeren Verbindung mit dem Westen fehlt es auch in dem Assyrien dieser Zeit noch durchaus an neuen Gedanken und einem inneren Fortschreiten. Von einer assyrischen Kunst kann daher in dieser Zeit eigentlich überhaupt nicht die Rede sein. Die assyrischen Tempel unterscheiden sich allerdings von den babylonischen Vorbildern dadurch, daß hier unter westlichem Einfluß für den Kultraum mit dem Götterbild [542] an Stelle des Breitraums ein Längsraum getreten ist. Aber alle Bauten, auch die Paläste, werden nach wie vor aus Lehmziegeln aufgeführt; der Gedanke, das hier, anders als in der Tiefebene von Sinear, leicht zu beschaffende Steinmaterial zu verwenden, wie bei den Chetitern und Ägyptern, liegt noch völlig fern. Die Folge ist, daß die Tempel und Paläste unter der Einwirkung der Witterung immer wieder in kürzester Zeit verfallen und vom Regenwasser weggeschwemmt werden und dann immer wieder neu aufgebaut werden müssen. Wie fern aber, trotz der auch hier vorhandenen und reichgeschmückten Götterstatuen, den Assyrern noch jede plastische Betätigung lag, zeigen drastisch die Gedächtnismale, welche sich die Könige und die höchsten Beamten, wenn sie das eponyme Jahramt bekleidet hatten1036, in einem kleinen Tal vor der Stadt Assur errichten durften1037. Es sind über 2 Meter hohe Steintafeln, in die ein Inschriftenfeld in Form einer eingesenkten Holz- oder Bronzetafel eingelassen ist, mit der Inschrift »Bild (ṣalam) des N. N.« Aber ein Bild findet sich nirgends, sondern der Stein selbst, wie auch sonst auf gleichartiger Kulturstufe, z.B. bei ähnlichen Gedächtnismalen in Palaestina (Gazer) und bei den Israeliten1038, verkörpert die Person und die Inschrift erhält ihn in seinem Namen lebendig.

Ein Fortschritt beginnt erst, als Assurnaṣirpal II. (884 bis 860) aus dem Westen die Verkleidung der Wände mit Steinplatten übernahm und diese mit Reliefs und Inschriften schmückte. Erst von da an hat sich, langsam fortschreitend, eine assyrische Baukunst und eine assyrische Plastik entwickelt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 539-544.
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