Assyrien und Babylonien. Ausgang des Kossaeerreichs. Elamitische Invasion

[530] Die Hoffnungen, die Chattusil auf eine Ermannung des Kossaeerkönigs gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt1012. Die Macht Assyriens dagegen ist ständig gewachsen. Das spricht sich auch darin aus, daß die Fürsten neben ihren priesterlichen [530] Titeln jetzt den eines Königs von Assur anzunehmen beginnen und seit Adadnirari I. den ehemals von Samsiadad II. geführten Titel sar kissati »König der Menge« (der Menschenmasse) hinzufügen1013 und damit den Anspruch auf die Vorherrschaft in der Welt erheben. Eben darum hat ihn dann auch Šagaraktišuriaš von Karduniaš angenommen;1014 darin gelangt die Rivalität der beiden Reiche drastisch zum Ausdruck.

Zwischen dem Chetiterreich und Assyrien besteht die Spannung weiter. In dem Vertrage Dudchalias IV. mit dem Sohne Bentesinas von Amurru folgt auf die übliche Verpflichtung, mit den Königen von Ägypten und von Karduniaš je nach dem Verhältnis »der Sonne« zu ihnen Freund oder Feind zu sein – Chanigalbat oder Mitani wird hier unter den ebenbürtigen Mächten natürlich nicht mehr genannt –, die eidliche Verpflichtung, »dem König von Assur feind zu sein, wie er der Sonne feind ist«; er darf weder seine eigenen Kaufleute nach Assyrien hineinlassen, noch assyrischen den Eintritt oder Durchzug gewähren, sondern muß sie, wenn sie trotzdem in sein Land kommen, festnehmen und an die Sonne ausliefern. Im Gegensatz zu dem regen Handel mit Ägypten und Babylonien besteht also gegen Assyrien volle Verkehrssperre.

Den Höhepunkt seiner Macht erreicht Assyrien unter Salmanassars Sohn Tugultininurta I. (ca. 1260-35)1015. Er hat zunächst wieder in den Gebirgsländern gekämpft, sowohl im Südosten gegen die Gutaeer, wie im Nordwesten [531] gegen die zahlreichen kleinen, unter Häuptlingen stehenden Kantone oder Clans der armenischen Berge, für die jetzt der Name Na'iriländer aufkommt. Unter blutigen Gefechten und Verheerungen hat er den Machtbereich hier nach dem Euphrat zu erweitert; auch Alzi (Alse, o. S. 374. 376), Purukuzzi, Kummuch u.a. nennt er unter den unterworfenen Distrikten. Dabei wurde auch »das weite Gebiet von Subari« wieder heimgesucht. Dann aber wandte er sich im Jahre 1244 oder 43 gegen Kaštiliaš II. von Karduniaš. Die Kossaeer wurden geschlagen, Kaštiliaš selbst gefangen. Der Sieger setzte ihm den Fuß auf den Nacken und schleppte ihn in Ketten vor den Gott Assur. Über Babylonien setzte er einen Statthalter ein; er selbst aber nahm die Titel »König der vier Weltteile, König von Karduniaš, König von Sumer und Akkad« an1016. Dann erbaute er sich auf das Geheiß Assurs, den er mit Ellil gleichsetzt, eine neue Königsstadt Kar-Tugultininurta auf dem linken Tigrisufer gegenüber von Assur, mit einem Tempel des Assur und der übrigen Götter nebst der zugehörigen Zikurrat und einer mächtigen Lehmziegelterrasse, auf der sich der Königspalast erhob1017.

Inzwischen aber hatte König Kidinchutrudaš von Elam die Lage Babyloniens benutzt, um die Niederlage, welche ein [532] Jahrhundert vorher sein Vorgänger Churbatila durch Kurigalzu III. erlitten hatte1018, wieder auszugleichen. Er drang ins Zentrum von Sinear ein, überfiel Nippur, plünderte und zerstörte Dêr und andere Städte östlich vom Tigris, nahe der assyrischen Grenze, und »machte der Herrschaft des Ellilnadinšum (des von Tugultininurta eingesetzten Regenten) ein Ende« (1242). Im Lande scheint er Anhang gefunden zu haben; vermutlich hat er den nächsten Herrscher, Kadašmancharbe II., zum König eingesetzt, der, wie sein Name zeigt, der kossaeischen Dynastie angehört haben wird. Da zog Tugultininurta 1241 aufs neue gegen Babel und erstürmte die Stadt. Babel wurde geplündert und ausgemordet, die Tempelschätze fortgeführt1019; um eine Wiederherstellung des Reichs rechtlich unmöglich zu machen, nahm er auch die Statue des mit dem Götterkönig Ellil identifizierten Marduk, die das Königtum vergab, aus dem Tempel Esagilla fort und brachte sie nach Assur. Als seinen Statthalter setzte er den Adadšumiddin ein, gegen den Kidinchutrudaš einen zweiten Kriegszug unternahm, bei dem er Isin eroberte und dem feindlichen Heer eine arge Niederlage beibrachte. Damit bricht das von der Chronik erhaltene Stück ab.

»Sieben Jahre (1241-35) regierte Tugultininurta über Karduniaš. Darauf empörten sich (offenbar unter dem Einfluß des elamitischen Angriffs) die Magnaten von Akkad und Karduniaš und setzten den Adadšumnaṣir (den Sohn des Kaštiliaš II.) auf den Thron seines Vaters.« Auch in Assyrien selbst brach ein Aufstand aus, an dessen Spitze der Sohn [533] des Königs Assurnadinpal1020 stand. Von den Magnaten unterstützt brach er in die neue Hauptstadt ein und Tugultininurta wurde erschlagen (1234).

Wir besitzen nur diesen mageren Bericht des Chronisten, der den Untergang des Eroberers als Strafe für seinen Frevel an Babel betrachtet; ob bei dem Aufstand in Assyrien tiefer greifende Ursachen oder lediglich persönliche Motive dahinter standen, läßt sich nicht erkennen. Das Ergebnis aber ist, daß Assyrien wieder einmal zur Ohnmacht hinabsinkt; auch die in Mesopotamien eroberten Gebiete werden großenteils wieder ihre eigenen Wege gegangen sein. Babylonien dagegen scheint unter Adadšumnaṣir (1234-1205), der wie sein Vorgänger den Titel šar kiššat annahm, zeitweilig wieder erstarkt zu sein, vielleicht in Anlehnung an Elam; wir besitzen von ihm in späterer Abschrift Bruchstücke eines Schreibens an die gemeinsam regierenden Könige Assurnirari III. und Nabudân, die Nachfolger Assurnadinpals, in dem er sie ganz als Vasallen behandelt1021. Ihr Nachfolger Ellilkudurusur hat dann den Kampf gegen Babylonien wieder aufgenommen, jedoch, falls die nur in Bruchstücken erhaltenen Reste der darüber berichtenden Chronik richtig gedeutet werden1022, in [534] der Schlacht ebenso wie sein Gegner Adadšumnaṣir den Tod gefunden (1205). Sicher steht jedenfalls, daß sich in Assyrien ein Usurpator der Herrschaft bemächtigte, Ninurtapalekur, und eine neue Dynastie begründete1023. Aber weder er noch sein Sohn Assurdân I., der, wie sein Urenkel Tiglatpileser I. sagt, durch die Gnade der Götter zum Greisenalter gelangte, also lang regiert hat (etwa 1190-60), scheinen viel erreicht zu haben, wenn auch Tiglatpileser von Ninurtapalekur rühmt, daß »sein Netz wie ein urinnubaum über sein Land gebreitet war und er die Scharen Assurs treu weidete«.

Auch in Babylonien haben wir über die nächsten Könige Melišipak II 1204-1190 und Mardukbaliddin I. 1189-771024 kaum etwas zu berichten. Aber ihr Nachfolger Zamamašumiddin wurde sowohl von Elam, wie, vermutlich durch dessen Vorgehn angelockt, von Assyrien angegriffen (1176). Assurdân hat nach der Chronik mehrere Grenzorte im Osten des Tigris, darunter Zaban im Bereich des südlichen Zab, erobert und reiche Beute fortgeführt. Der König von Elam dagegen, Sutruknachunte, »König des susischen Anzan, großer Fürst [535] von Hatamti«1025, ist tief in Babylonien eingedrungen und hat es zusammen mit seinem Sohn Kudurnachunte gründlich ausgeplündert und verwüstet; zahlreiche Denkmäler, darunter die Siegesstele Naramsins – auf die er eine Weihinschrift an den Gott En-Šušinak von Susa setzte –, die Gesetzesstele Chammurapis und viele andere wurden aus Nippur und Sippara nach Susa fortgeschleppt; dadurch sind sie uns hier erhalten. Zamamašumiddin fand in diesen Kämpfen nach nur einjähriger Regierung den Tod, sein Nachfolger Ellilnadinache (1175-73) konnte nichts ausrichten. Damit hat die Herrschaft der Kossaeer über Sinear, nachdem sie 576 Jahre bestanden hatte, ihr Ende gefunden; die kossaeische Kriegerkaste wird in diesen Kämpfen aufgerieben sein, die folgende Zeit kennt Kossaeer nur noch in ihrer alten Heimat in den wilden Gebirgen am oberen Choaspes und Eulaeos (Chuzistân)1026.

In Babylonien aber erhob sich aus der heimischen, akkadischen Bevölkerung eine neue Dynastie1027. Das muß zugleich zu einer Neuorganisation des Heerwesens geführt haben, über die wir freilich im einzelnen nichts wissen; in dieser Beziehung wird man den Hergang mit der Vernichtung der Mamluken in Ägypten, der Janitscharen im osmanischen Reich vergleichen dürfen. Das ist jedenfalls bei dem unkriegerischen Charakter der des Waffenhandwerks entwöhnten, nur ihren Geschäften nachgehenden Bevölkerung1028 nur [536] in beschränktem Maße gelungen. So ist es begreiflich, daß der neue König Mardukšapikzêr (1172-55) noch ganz unter dem Druck der Elamiten gestanden und sich bei einem Angriff auf sie am Uknû (Choaspes) eine schwere Niederlage geholt hat; in den Resten eines von ihm stammenden Klagegebets an die Götter1029 schildert er ergreifend die Not und Verwüstung des Landes. Dagegen hat er oder sein Sohn Ninurtanadinšum (1154-49) gegen die Assyrer Erfolg gehabt. Die Einzelheiten sind auch hier ganz dunkel1030, aber wir sehn, daß in Assur gegen Assurdân mit babylonischer Hilfe ein Usurpator (Ninurta-)Tugultiassur, wohl ein Nachkomme der alten Dynastie, zur Herrschaft gelangt ist. Er hat dann die von Tugultininurta aus Babel entführte Statue des Marduk zurückgegeben und damit den König von Babel als seinen Oberherrn anerkannt. Auch das Siegel des Šagaraktišuriaš wird damals zurückgegeben sein. Auf die Dauer freilich hat er sich nicht behaupten können; er mußte schließlich mit seinen Anhängern nach Babel flüchten, und Assurdâns Sohn Mutakkilnusku bestieg den Thron1031. Daher bezeichnet Tiglatpileser I. diesen als den legitimen Sohn Assurdâns und sagt von ihm, daß ihn »Assur der große Herr in Erwählung der Treue seines Herzens begehrte und rechtmäßig [537] zum Hirten des Landes Assur machte»; da ist der Gegensatz gegen den Usurpator deutlich ausgesprochen.

In Babylonien hat dann der nächste König Nebukadnezar I. (1148 bis ca. 1125) endlich gegen Elam Erfolg gehabt. In einer hartumstrittenen Schlacht am Eulaeos hat er ihren König geschlagen und reiche Beute davongeführt. An eine Unterwerfung Elams und eine wirkliche Ausgleichung der Schäden und Rücklieferung der geraubten Denkmäler war freilich nicht zu denken; aber die Unabhängigkeit Babyloniens war damit wiedergewonnen. Auch die Lulubaeer und Kossaeer rühmt er sich besiegt zu haben und nennt sich weiter »Eroberer von Amurri«; in der Tat mögen die Amoriter in dieser Zeit, nach dem Untergang des Chetiterreichs, versucht haben, ihre Macht nach dem Euphratgebiet auszudehnen und dabei besiegt worden sein1032. Auch im Krieg gegen Mutakkilnuskus Sohn Assurris'isi von Assur (ca. 1145 bis 1125), der ihn angegriffen zu haben scheint, war er zunächst erfolgreich; nach mehreren Wechselfällen konnte er gegen die Stadt Assur selbst vordringen und die Belagerung beginnen. Aber Assurris'isi führte ein Ersatzheer herbei, schlug ihn in die Flucht und eroberte sein Lager, und damit war auch die Unabhängigkeit Assyriens wieder gesichert.

In einer Bauinschrift rühmt sich Assuris'isi, die Lulumaeer und die gesamten Gutaeer in ihren Gebirgen besiegt und die weiten Scharen der Achlamaeer niedergeworfen zu haben. Er hat also einigermaßen den alten Bestand des Reichs wiederhergestellt. Noch weit größere Erfolge hat dann sein Sohn Tiglatpileser I. errungen. Babylonien dagegen ist trotz der vorübergehenden Erfolge Nebukadnezars I. nicht wieder zu [538] einer Kräftigung gelangt; auch in den Ruinen des inneren Stadtquartiers von Babel ist der fortschreitende Niedergang seit der Kossaeerzeit deutlich erkennbar.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 530-539.
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