Jehu und die Ausrottung des Ba'alkults in Israel

und Juda

[336] In den Jahren 848 und 845 hat Salmanassar III. die Kriegszüge ins Orontesgebiet gegen Ḥamât wiederholt. Auch diesmal [336] nennt er als Gegner den Hadad'idri von Damaskus nebst seiner Gefolgschaft von 12 Königen und rühmt sich des Sieges; aber von weiteren Erfolgen berichtet er nichts, das Ergebnis wird sich in üblicher Weise auf eine Verheerung und Ausplünderung des Landes beschränkt haben. Bald darauf ist Hadad'idri gestorben; der Herrschaft bemächtigte sich einer seiner Beamten, Chazael, »ein Sohn Niemands«, wie der Assyrer ihn nennt745. Gegen ihn hat im Jahre 842 oder 841 Joram von Israel den Angriff auf Ramat in Gil'ad erneuert, auch diesmal unterstützt von den Judaeern, bei denen soeben sein Neffe Achazja auf seinen Vater Joram von Juda gefolgt war. Im Kampf vor der Stadt wurde Joram verwundet und begab sich in seine Residenz in Jezre'el, um sich dort zu kurieren.

Diesen Moment hat Elisa ergriffen, um einen Staatsstreich gegen das verhaßte Königshaus und seinen Ba'alkult herbeizuführen.

Das Kommando über das Heer bei Ramat führte der Feldhauptmann Jehu ben Jošaphaṭ ben Nimši, ein Mann, dem, als er im Gefolge Achabs auf das eingezogene Grundstück Nabots ritt, das Strafwort Jahwes, das Elia dem König entgegenwarf, tiefen Eindruck gemacht hatte. So stand er mit den Vertretern der streng religiösen Forderungen in Verbindung. An ihn sandte Elisa einen seiner Schüler mit dem Auftrag, ihn in eine abgelegene Kammer zu führen und ihm hier eine Ölflasche aufs Haupt zu gießen mit den Worten: »So hat Jahwe gesprochen: ich habe dich zum König über Israel gesalbt«; dann sollte er sich schleunigst davonmachen. So geschah es. Die Offiziere seiner Umgebung fragten Jehu, was »jener Verrückte« gewollt habe, und nahmen seine ausweichende Antwort – »ihr kennt ja den Menschen und seine Art« – nicht an, sondern riefen, als er [337] dann den Hergang erzählte, Jehu zum König aus. Jehu jagte in eiliger Fahrt nach Jezre'el, schoß den ahnungslosen Joram, als er ihm entgegenkam, nieder und ließ auch Achazja, der ihn begleitete, erschlagen. Die Königin-Mutter Izebel legte ihren vollen Schmuck an und begrüßte ihn aus dem Fenster mit der Frage, wie es Zimri ergangen sei, dem Mörder seines Herrn; da ließ er sie hinunterstürzen, befahl dann aber, »diese Verfluchte zu begraben; denn sie ist doch eine Königstochter«.

Das Volk, von Entsetzen ergriffen, fügte sich ohne Schwierigkeit; auf Jehus Befehl haben die Magnaten von Samaria alle Angehörigen des Königshauses umgebracht und ihre Köpfe nach Jezre'el eingeschickt. Jehu ließ sie am Tore aufschichten und konnte dem Volk höhnend vorhalten, wie sie noch viel gerechter gewesen seien als er selbst. Nicht anders erging es den Verwandten des judaeischen Königs, die auf dem Wege nach Samaria abgefaßt wurden. Dann zahlte er den Lohn für seine Erhebung: er nahm Jonadab ben Rekab zu sich auf den Wagen, ließ aber verkünden, daß er dem Ba'al noch eifriger dienen wolle als Achab; die Ausrottung des Königshauses sollte offenbar als Strafgericht für die Hinrichtung Nabots erscheinen. Bei dem Fest, das er im Ba'altempel veranstaltete, ließ er Jonadab dafür sorgen, daß keine Bekenner Jahwes dabei seien; dann ließ er die gesamte Versammlung durch seine Truppen niederhauen. Die Ašera wurde verbrannt, die Maṣṣeba zerschlagen, der Tempel niedergerissen und in eine Kloake verwandelt746.

»So vertilgte Jehuden Ba'al aus Israel.« [338] Wenige Jahre später wurde in Juda das gleiche erreicht. Hier hatte sich Achazjas Mutter 'Atalja, die Tochter Achabs, der Herrschaft bemächtigt und alle männlichen Nachkommen des Königshauses beseitigt; nur ein kleiner Knabe, Joaš, wurde von Achazjas Schwestern gerettet und im Jahwetempel vom Priester Jojada' geborgen. Nach sechs Jahren zog dieser an einem Sabbat die Wachtruppen des Tempels und des Palastes zusammen, führte ihnen den Knaben vor und ließ ihn zum König ausrufen; die völlig überraschte 'Atalja wurde erschlagen. Dann »schloß er den Bund zwischen Jahwe, dem König und dem Volk, daß sie zum Volk Jahwes werden wollten«; auch hier wurde der Tempel des Ba'al zerstört, seine Priester erschlagen. Von den gleichartigen Vorgängen in Israel unterscheidet sich dieser dadurch, daß in Jerusalem das Königshaus erhalten bleibt und daß die Bewegung hier nicht von irregulären Faktoren, sondern von der Priesterschaft getragen wird. Die dominierende Stellung des Hohenpriesters bahnt sich an und ist durch die vormundschaftliche Regierung, die ihm jetzt zufiel, noch gesteigert worden.

Die Revolution Jehus ist ausgegangen von einem kleinen Kreise extremer Fanatiker, durchgeführt mit brutaler Gewaltsamkeit unter Benutzung des Ehrgeizes einer skrupellosen Persönlichkeit; aber sie ist entscheidend geworden für die gesamte weitere Entwicklung des Volks, dessen Charakter und Schicksale sie bestimmt hat bis auf den heutigen Tag. Durch sie ist der Gedanke durchgeführt, daß das Verhältnis des Volkes zu seinem Gotte auf einem Vertragsschluß beruht und daß die Gebote, die in diesem formuliert sind, rücksichtslos innegehalten werden müssen und von ihrer Befolgung das Gedeihen des Volks abhängt. Alle anderen Interessen müssen dagegen zurückstehn, das Königshaus, das die Macht des Reiches energisch und nicht erfolglos vertritt, wird ausgemordet, weil es, seiner Stellung in der Welt entsprechend, die extremen Forderungen des Kultus ablehnte.

Eben darauf, daß diese Forderungen sich durchgesetzt haben, beruht die gewaltige weltgeschichtliche Bedeutung dieser [339] Vorgänge. Wir haben gesehen, wie gleichartige Ideen sich in den letzten Jahrhunderten auch in Ägypten durchgesetzt haben, wie auch dort die Pflege der Religion als die eigentliche Aufgabe des Staates betrachtet wird, der die politische Gestaltung sich zu fügen hat. Dank seiner isolierten Lage ist es dort möglich gewesen, wenigstens in Oberägypten zeitweilig diese Forderung zu verwirklichen, den Staat in einen Kirchenstaat umzuwandeln. Aber wenn auch dieser seine Unabhängigkeit auf die Dauer nicht behaupten konnte, so war das in dem syrischen Kleinstaat inmitten einer ihm feindlichen Welt noch viel weniger möglich. Immer wieder mußte sich der unüberbrückbare Gegensatz zwischen den unabweisbaren Aufgaben des Staates und den idealen Forderungen der Religion geltend machen und zu neuen Konflikten führen. Aber die Macht des Staates war nicht stark genug, um die Religion unter ihre Gebote zu zwingen. Eben darauf beruht die gewaltige welthistorische Bedeutung der Vorgänge, die sich seit dem 9. Jahrhundert auf diesem engbegrenzten Gebiet abgespielt haben. Für ihre eigene Gegenwart haben sie nur eine rein lokale Wirkung ausgeübt, die von der Umwelt aus gesehn als geschichtlich irrelevant erscheinen kann; denn der Frage, ob das Gebirgsland Palaestinas der hebraeisch-israelitischen oder der aramaeischen Nationalität angehörte und ob hier Jahwe oder ein Ba'al oder sonst eine der zahlreichen lokalen Gottheiten verehrt wurde, kam für die politische Geschichte der vorderasiatischen Welt und für die verheerende Krisis, die jetzt über all diese Volkstümer hereinbrach, kaum irgendwelche Bedeutung zu. Um so gewaltiger ist die Wirkung geworden, als nach Jahrhunderten aus dem durch sie geschaffenen Boden nicht nur das Judentum erwachsen war, sondern die religiösen Postulate, die hier aufgestellt waren, die gesamte Kulturwelt durchdrangen. Da ist die über die frühe Vorzeit bewahrte Überlieferung als heilige Gottesoffenbarung maßgebend und vorbildlich geworden für eine ganz andere Welt und hat fortan auf die Geschicke des Orients wie des Okzidents nun schon zwei Jahrtausende hindurch immer wieder entscheidend eingewirkt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 336-340.
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