Fortgang der Aramaeerkriege. Damaskus und Ḥamât

[340] Der politischen Stellung des Reichs Israel hat die Ausrottung der kräftigen Dynastie 'Omris keinen Segen gebracht747. In demselben Jahre 841 griff Salmanassar das Reich Damaskus, jetzt unter dem Usurpator Chazael, von neuem an, schlug seine Truppen am Ḥermon748, verwüstete das Land weithin »bis zum Gebirge des Ḥaurân«, konnte aber Damaskus, in das sich der König zurückzog, nicht einnehmen749. Damals haben ihm, wie Tyros und Sidon, so auch Jehu Tribut gezahlt; die Gaben des letzteren, der vor ihm den Staub küßt, Gold, Silber, Blei, hat er neben anderen auf den Obelisken in Kalach über seinen Annalen dargestellt. Im Jahre 838 hat er den Plünderungszug gegen Damaskus nochmals wiederholt und dabei von den Phoenikerstädten aufs neue Tribut erhalten; Jehu dagegen wird hier nicht wieder erwähnt.

Einen neuen Heerzug gegen das mittlere und südliche Syrien hat Salmanassar III. nicht wieder unternommen, und ebensowenig sein Sohn Samsiadad V. (824-810). So konnte Chazael den Krieg gegen Israel wieder aufnehmen, und jetzt mit vollem Erfolge. Der neuen Dynastie fehlte die Kraft, um in dem innerlich durch die Revolution aufs schwerste erschütterten und zerrissenen Volk einen einheitlichen Willen hervorzurufen und in der Weise, wie es das Haus 'Omris vermocht hatte, eine geschlossene militärische Macht zu schaffen. Nicht nur das gesamte Ostjordanland, »das ganze Land Gil'ad von 'Aro'er am Fluß Arnon bis nach Bašan« und ebenso offenbar das galilaeische Bergland wurden von Israel abgerissen750, sondern das jetzt auf das Gebirgsland Ephraim beschränkte Reich von [341] Samaria ist unter Jehu und seinen Nachfolgern Joachaz und Joaš (zusammen 841-783) geradezu ein Vasallenstaat des Aramaeerreichs gewesen. »Chazael ließ dem Joachaz nur 50 Reiter, 10 Wagen, 10000 Mann zu Fuß« – offenbar ein direkt aus dem Unterwerfungsvertrage entnommener Satz751. So konnte er ungehindert ihr Gebiet durchziehn und die früher von Israel geführten Kriege gegen die Philister und gegen Juda wieder aufnehmen; er hat Gat, die am weitesten gegen das Gebirge vorgeschobene Philisterstadt, im Westen von Juda erobert und zerstört; seitdem erscheint sie nicht mehr in den Aufzählungen der philistaeischen Fürstentümer752. Den geplanten Angriff auf Jerusalem hat König Joaš von Juda durch Hingabe aller Schätze und Weihgeschenke des Tempels und des Palastes abgekauft753.

In derselben Weise haben die Könige von Damaskus ihre Oberhoheit nach Norden auszudehnen gesucht. Darüber erhalten wir einige Kunde durch ein Denkmal, das König Zakir von Ḥamât weiter im Norden, 40 Kilometer südwestlich von Aleppo, aufgestellt hat und in dessen Inschrift er von seinen Schicksalen und Taten berichtet754. Die Inschrift ist in einem stark mit Hebraismen durchsetzten Aramaeisch abgefaßt, das Pantheon, mit Be'elšamain an der Spitze, ist mit einer Ausnahme aramaeisch, ebenso der Name des Königs, während eine Generation vorher der König von Ḥamât noch den »chetitischen« Namen Irchulini trägt (o. S. 333); inzwischen ist also auch hier, [342] wie fast überall in Syrien, das aramaeische Element zur Herrschaft gekommen. Zakir selbst war deutlich ein Usurpator; er nannte seinen Vater nicht, sondern sagt, er sei »ein armer (demütiger) Mann«755, aber Be'elšamain habe ihm beigestanden und ihn zum König gemacht, und zwar in Chazrik756. Diese auch von den Assyrern mehrfach erwähnte Stadt Nordsyriens757 ist die Hauptstadt des Reichs und liegt offenbar an der Stätte, wo er vor dem Gotte 'lwr sein Denkmal aufgestellt hat758; dieser für uns nicht aussprechbare Name des Stadtgottes gehört offenbar noch der vorsemitischen Bevölkerung an. Zakir führt den Titel »König von Ḥamât und La'aš«. Letzteres wird der Name der Landschaft von Chazrik sein759, die jetzt mit dem Reich von Ḥamât vereinigt ist; wahrscheinlich hat erst Zakir sie gewonnen und Chazrik zur Krönungsstadt und Residenz erhoben.

Diese Machterweiterung hat Barhadad, den Sohn des Chazael, »König von Aram«, zum Angriff auf Chazrik veranlaßt. Auch er erscheint in Zakirs Inschrift, wie Hadad'idri bei Salmanassar, an der Spitze von zwölf Königen760; als wirklich am [343] Feldzug beteiligt werden freilich außer ihm nur sechs Könige genannt, sämtlich aus dem Norden Syriens: Barguš, d.i. der König des nach dem Dynastiegründer Gûši oder Agûši benannten Gebiets, und die Könige von Que (dem ebenen Kilikien), 'Amq (identisch mit Chattin am untere0n Orontes), Gurgum (bei Mar'aš), Sam'al (bei Sendjirli), Miliz (Melitene)761. Alle diese Gebiete waren von Salmanassar III. immer wieder schwer heimgesucht worden; aber der Aufstand am Ende seiner Regierung (seit 827), dessen sein Sohn Samsiadad V. (824-810) erst nach langen Kämpfen Herr wurde, gab ihnen Luft. Das wird den Anlaß gegeben haben, daß sie Anschluß an den mächtigsten Staat Syriens suchten; da stand ihnen das neuentstandene Reich von Ḥamât und La'aš im Wege. So sind die sieben verbündeten Könige mit ihrer Heeresmacht gegen Chazrik gezogen und haben die Stadt mit Mauer und Graben eingeschlossen. Indessen die Rettung verheißenden Orakel Be'elšamains erfüllten sich; offenbar reichten, wie so oft, die Kräfte nicht aus, um die Belagerung durchzuführen; ein Ausfall der Besatzung mag dann, nach den wenigen hier erhaltenen Worten zu schließen, das Übrige getan haben. Im Anschluß daran berichtet Zakir von dem Ausbau von Chazrik und der Erweiterung seines Gebiets sowie von Tempelbauten im ganzen Lande. Über Ḥamât und dessen Verhältnisse sagt er auffallenderweise kein Wort, so daß hier vieles völlig dunkel bleibt.

Das Scheitern des Unternehmens gegen Chazrik hat Barhadads Streben, die Macht von Damaskus auch über Nordsyrien auszudehnen, vereitelt; hier finden wir in der Folgezeit wieder die volle Kleinstaaterei. Israel dagegen blieb weiter in voller Abhängigkeit762. Auch die Meute der Nachbarstämme fiel über das ohnmächtige Land her; wir hören von Raubzügen der Moabiter und der Ammoniter763. Auch die alte Königsstadt [344] Chešbôn ist damals wieder moabitisch geworden764. Daneben gingen die Fehden zwischen diesen Kleinstaaten einher. So verwüsteten die Moabiter Edom, plünderten die Königsgräber und verbrannten ihre Gebeine765. Ebenso hat Amaṣja von Juda, der seinem von den Hofbeamten ermordeten Vater Joaš gefolgt war, nachdem es ihm gelungen war, die Mörder zu bestrafen, Edom angegriffen und seine Hauptstadt Sela' (Petra) erobert766. Dieser Erfolg machte ihn übermütig; er forderte König Joachaz von Israel zum Kampf heraus. Aber dieser wies ihn mit Hohn zurück, schlug ihn bei Betšemeš und brachte Juda in völlige Abhängigkeit; in die Mauer Jerusalems legte er eine Bresche und nahm fort, was sich hier von Gold und Silber noch auftreiben ließ. Amaṣja ist dann durch eine Verschwörung gestürzt und auf der Flucht ermordet worden; aber das Volk hielt an der Dynastie fest und erhob seinen Jungen Sohn 'Azarja (oft verkürzt zu 'Uzzia) auf den Thron, der den edomitischen Hafenort Ailat behauptet und ausgebaut hat.

Geführt wurden alle diese Kriege mit der herkömmlichen Brutalität; einen Gewinn davon zogen nur Tyros und die philistaeischen Handelsstädte, die die Gefangenen aufkauften und in die Fremde verhandelten767.

Eine Veränderung der Lage trat ein, als die Assyrer die Kriegszüge nach Syrien wieder aufnahmen. Im Jahre 805 zog Adadnirari III. gegen König Mari' von Aram768, und dieser erkaufte den Abzug von Damaskus durch Huldigung und Hingabe [345] aller seiner Schätze, wie früher Jerusalem bei Šošenqs und dann bei Chazaels Angriff. Auch alle anderen Kleinstaaten Syriens und Palaestinas unterwarfen sich; Adadnirari nimmt Chatti (d.i. Karkemiš), Amurru, Tyros, Sidon, das 'Omrireich, Edom, Philistaea. Die kurzen Daten des assyrischen Eponymenkanons, die für die nächste Zeit allein erhalten sind, erwähnen dann Züge nach Syrien noch wieder ein Menschenalter später, darunter 773 nach Damaskus und 773, 765, 755 nach Chazrik.

Alle diese Angriffe der Assyrer haben, wie früher schon der Tiglatpilesers I., eine dauernde Unterwerfung des Landes nicht erreicht; es sind im wesentlichen Raubzüge eines militärisch überlegen organisierten Kriegerstaats, bei denen, nach dem üblichen Gemetzel, reiche Beute an Silber und Gold, Kostbarkeiten und Landesprodukten aller Art nebst zahlreichen Sklaven und Sklavinnen fortgeführt wurden; sobald die Assyrer abgezogen waren, haben die Dynasten das ihnen aufgezwungene Joch wieder abgeschüttelt, und dann konnten auch die einheimischen Fehden wieder beginnen. So ist es zur Entstehung einer dauerhaft begründeten Vormacht, die ohnehin zu der Natur des Landes im Widerspruch stand, in Syrien niemals gekommen; auch das Reich Chazaels und Barhadads ist so ephemer geblieben wie vorher das Davids und Salomos.

So begreift es sich, daß es dem König Jerobeam II. von Israel (783-743), dem Urenkel Jehus, gelang, die von den Aramaeern entrissenen Gebiete in Galilaea nebst dem Quellgebiet des Jordans, einschließlich der alten Kultstätte Dan und der benachbarten Orte, wieder zu entreißen, »von der Straße nach Ḥamât bis zum Wüstenmeer (dem Toten Meer)«, wie der summarische Bericht sagt769. Das Ostjordanland wird hier nicht erwähnt; [346] aber da Amos770 denen »die sich freuen über Lodebar und die sagen: haben wir nicht durch unsere Kraft uns Qarnaim genommen?« die bevorstehende Heimsuchung durch ein fremdes Volk ankündigt, so ist auch dieses, einschließlich des weit nach Bašan vorgeschobenen Qarnaim, zeitweilig wiedergewonnen und so der Hauptteil des Volksgebiets wieder zusammengefaßt worden. Indessen dieses Erfolges wirklich froh zu werden vermochte man nicht; dazu war, trotz alles in Samaria sich entfaltenden Glanzes, der Notstand zu arg, die Lage zu unsicher und die innere Zerrissenheit viel zu groß771.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 340-347.
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