Tiglatpileser I.

[375] In die Gebiete am Euphrat und in Nordsyrien haben die Assyrerkönige immer wieder einzugreifen gesucht. Ihre Geschichte verläuft, wie in den vorhergehenden Zeiten829, so noch [375] Jahrhunderte weiter in stets gleichbleibender Monotonie. Immer wieder versuchen die Könige, in Strömen von Blut die Gebirgsstämme im Zagros und Armenien sowie die Aramaeer in Mesopotamien zu unterwerfen, vom oberen Tigris zum Euphrat und nach Kleinasien vorzudringen, die Angriffe auf Babylonien abzuwehren und hier selbst die Herrschaft zu gewinnen; und immer wieder bricht das Erreichte nach wenigen Jahren zusammen, und der nächste Herrscher muß wieder von vorn anfangen. So werden wir uns auf einen kurzen Überblick beschränken können830.

[376] Unter Assurris'isi (1140-1116) hatte Assyrien nach längeren Kämpfen mit Nebukadnezar I. von Babel die volle Selbständigkeit wiedergewonnen; er hat denn auch wieder die üblichen Kriegszüge gegen Achlamaeer, Lulumaeer und Gutaeer geführt. Weitergelangt ist sein Sohn Tiglatpileser I. (1115-1089)831. Über die Taten seiner ersten fünf Jahre hat er einen ausführlichen Bericht in den Stiftungsurkunden gegeben, die er auf großen Tonprismen unter den vier Ecken des von ihm prächtig wiederaufgebauten Tempels des Anu und Adad in Assur niederlegte832. Gleich der erste Feldzug833 erstrebte, vom Kašijargebirge [377] und vom oberen Tigris aus die im Kampf mit den Chetitern zeitweilig erreichte Stellung834 am Euphratdurchbruch und in den angrenzenden Gebirgen wiederzugewinnen. Die hier eingebrochenen Scharen der Moscher und der Reste des alten Chetiterheeres (o. S. 363) wurden vernichtet oder unterworfen, die Landschaften dem Reich einverleibt. Im Jahre 1112 zog Tiglatpileser vom oberen Tigris aus »gegen die Länder ferner Könige am Gestade des oberen Meeres, die Unterwerfung nicht kannten«; über sechzehn gewaltige Gebirge, rühmt er, habe er sich mit der Axt den Weg gebahnt, aus den Balken der gefällten Bäume Brücken für sein Heer gebaut. Jenseits des Euphrat835 traten ihm 23 Dynasten der Nairilande mit ihren Streitwagen und dem Fußvolk entgegen; sie wurden völlig geschlagen. Alle Könige der Nairilande, angeblich 60, habe er bis zum »oberen Meere« hin verfolgt und gefesselt an durch die Nase gelegten Ringen »wie Stiere«836 vor den Sonnengott geführt, dann aber, nachdem sie Unterwürfigkeit geschworen und ihre Söhne als Geiseln gestellt hatten, in ihre Heimat entlassen, gegen einen Tribut von 1200 Pferden und 2000 Rindern. Schließlich wird auch der König von Dajaeni in Assur gefangen eingebracht und in derselben Weise begnadigt und entlassen. Dies Dajaeni kehrt auch bei Salmanassar III. als fernste der armenischen Landschaften wieder; es wird nördlich von Erzerum in den Tälern zum Djoroch und zum Schwarzen Meer gelegen haben, wo sein Name sich in dem Volksstamm erhalten hat, den die Armenier mit Pluralendung Taiq, Xenophon Τάοχοι nennen, während sein Genosse Sophainetos ihn korrekter durch TΤάοι wiedergab837. Die klaren Angaben dieses Berichts zeigen, [378] daß nach Ansicht des Königs das Gebiet der unterworfenen Häuptlinge bis ans Schwarze Meer reichte838, wenn es auch noch gar manche unbotmäßige Stämme in den Küstengebirgen gegeben haben wird und die Unterwerfung hier so wenig wie sonst von Dauer geblieben ist. Für den Augenblick aber hatte der Kriegszug zur Folge, daß auch Milidja in Chanigalbat (o. S. 365) sich zur Zahlung eines Metalltributs bequemte.

Im nächsten Jahre wurden die aramaeischen Achlamaeer durch einen Raubzug heimgesucht, bei dem der König den Euphrat auf Lederkähnen überschritt und die Ortschaften am Gebel Bišri (südlich von Karkemiš bei der Mündung des Sadjûr) niederbrannte839. Demgegenüber wurden in den Jahren 1115, 1113 und 1110 die Gebirgsgaue im Norden und Osten nach Kräften verheert, die Abhänge der spitz aufragenden Berge mit Blutströmen und Leichen überdeckt, Scharen von Gefangenen nebst ihren Göttern fortgeschleppt840. Unter anderem wurde das Bergland Muzri östlich von Ninive und der schon von Tugultininurta I. bekämpfte Volksstamm der Qumanaeer841, angeblich [379] 20000 Mann, unterworfen und gezwungen, die Festungswerke seiner Hauptstadt selbst niederzureißen, 300 der Rebellion verdächtige Familien fortgeführt, der Tribut erhöht.

»Insgesamt«, so faßt Tiglatpileser das Ergebnis zusammen, »habe ich vom Beginn meiner Regierung bis zum 5. Jahre 42 Länder und ihre Fürsten von jenseits des unteren Zab bis jenseits des Euphrat zum Lande Chatti und dem oberen Meere des Sonnenuntergangs842 unterworfen.« Weiter zählt er seine Taten als Jäger in der mesopotamischen Steppe auf, auf Wildochsen »in der Wüste von Mitani und bei Araziqi gegenüber dem Chattilande«843, auf Elephanten bei Charrân, und vor allem auf Löwen. Dann folgt eine Schilderung seiner Regierungstätigkeit und eine Aufzählung seiner Bauten.

Über seine späteren Jahre haben wir zahlreiche summarische Angaben auf Bruchstücken von Tontafeln, Steinplatten u.ä.844, und einen ausführlichen, nur in Bruchstücken erhaltenen Bericht auf einem großen in Gestalt eines Terrassenturmes behauenen Steinblock845. Es ist ein Denkmal zu Ehren Tiglatpilesers I.; ein Relief auf der Vorderseite zeigt, wie er die gefangenen Könige von Nairi an durch die Nasen gelegten Ringen [380] vorführt. In vier Kolumnen wird auf Grund seiner eigenen Urkunden, zum Teil mit genauen Datierungen, über seine Kriege und Jagden in dritter Person ausführlich berichtet; mehrfach wird bemerkt, daß über Einzelheiten genauere Angaben nicht vorliegen, und bei der Jagdbeute haben die Zahlen wiederholt nicht angegeben werden können und ist dafür ein Raum freigelassen. In der fünften Kolumne erzählt dann der Verfasser des Denkmals in erster Person von seinen eigenen Bauten; er ist offenbar einer der beiden Söhne Tiglatpilesers.846

Von seinen späteren Kriegen wird ein dritter Zug gegen Nairi oft erwähnt, auf dem er am Ausgang eines Felstunnels, durch den sich ein Nebenfluß des oberen Tigris den Weg gebahnt hat, sein Bild nebst Inschrift auf eine Felswand setzte847. Immer von neuem hat er die Aramaeer im Kašijargebirge und der mesopotamischen Steppe verheerend heimgesucht und dabei den Euphrat 28mal überschritten848. Am Chaboras und weiter stromabwärts wurden die Landschaften Chindâni und Šuach (mit der Stadt Anat) unterworfen849. Zugleich ist er östlich vom Tigris über den unteren Zab gegen den Radanu ('Aḍêm) vorgedrungen. Dadurch ist es zu einem mehrjährigen Kriege mit Babylonien gekommen. In seinen Inschriften rühmt er, daß er die Städte [381] Dûr-Kurigalzu, die beiden Sippara, Babel, Opis »samt ihren Burgen« erobert, die Paläste des Marduknadinache (1116 bis ca. 1100) in Babel ausgeplündert und verbrannt, ihn selbst noch ein zweitesmal besiegt habe850. Nach der synchronistischen Geschichte war der Schauplatz der zweiten Schlacht am unteren Zab bei Arzuchina (von FORRER richtig bei Kerkuk, weit östlich vom Tigris, angesetzt); er ist also vor Marduknadinache bis hierher zurückgewichen. Und nun erfahren wir, daß dieser aus der assyrischen Stadt Ekallate zwei Götterbilder fortgeführt hat, die bis zum Jahre 689 in Babel geblieben sind851. Mithin hat Tiglatpileser hier einen dauernden Erfolg nicht errungen, wie er denn auch nicht, wie früher Tugultininurta I., König von Babel geworden ist852. Vielmehr hat Marduknadinache ihn zurückgeschlagen und die Unabhängigkeit des Reichs von Babel behauptet; die Grenze beider Staaten wird im wesentlichen der untere Zab gebildet haben.

Auch einen Zug nach Syrien hat Tiglatpileser I. unternommen. Der Hauptzweck war, auf dem Libanon Zedern für seine Bauten zu schlagen853. Zu ernstlichen Kämpfen ist es nicht gekommen, vielmehr haben die Kleinstaaten einschließlich der Amoriter vom Libanon sowie Byblos und Sidon es vorgezogen, ihm zu huldigen und sich zu einer vorübergehenden Tributzahlung zu bequemen854. Das unangreifbare Tyros konnte sich fernhalten; die Inselstadt Arados dagegen hat ihn aufgenommen, und voll Stolz berichtet er und wiederholt sein Sohn, daß er auf den Schiffen der Stadt ins Meer hinausgefahren ist und ein großes Seetier erlegt hat; dann ist er von hier nach Simyra [382] hinübergefahren. Auch der König von Ägypten hat ihn durch das Geschenk eines Krokodils erfreut, das er in Assur zu allgemeiner Besichtigung ausgestellt hat.

Die Erfolge des tatkräftigen Königs beruhen, wie ehemals die der Pharaonen, auf seiner schlagfertigen Armee. Vor dem Ansturm der Streitwagen und des festgefügten Fußvolks stoben die lockeren Scharen der kleinen Stämme auseinander; was man erreichen konnte, wurde niedergemetzelt, die Ortschaften in Brand gesteckt, Scharen von Gefangenen wurden nebst ihren Göttern fortgeschleppt, bis der Rest sich ergab und zu schwerem Tribut verpflichtet wurde. Dazu kam, gleichfalls wie in Ägypten, ein ausgebildetes Beamtentum, das offenbar in strenger Zucht gehalten wurde; seine höchsten Spitzen erhielten der Reihe nach die Ehre des eponymen Jahramts und damit das Recht, sich vor der Stadt ein Gedächtnismal aufzustellen855. Über ihnen allen stand in unumschränkter Macht der König, zugleich als »König der Menschenmenge« (sar kissati), d.i. Universalherrscher856 und als Priester des Assur und der übrigen Götter, die ihn in den Krieg senden und ihm den Sieg verleihen und denen er durch die Pflege des Kultus und die Tempelbauten den Dank abstattet.

Das Reich, das Tiglatpileser zusammengefügt hat, umfaßt Mesopotamien bis an die Grenzen des babylonischen Tieflandes und die Vorlande östlich vom Tigris bis in die Gebirgsketten hinein. Die unterworfenen Gebiete werden zu Provinzen von beschränktem Umfange gemacht und Statthaltern unterstellt, die hier die Abgaben erheben; in ihnen werden außer den Gefangenen auch zahlreiche Assyrer aus der ärmeren Bevölkerung angesiedelt. Ringsum liegen die tributären Fürstentümer in Armenien, Nordsyrien und dem Euphratgebiet, die wie zur Zeit des ägyptischen Großrei chs durch Eidschwüre und Geiseln gefesselt werden.

Ein Kulturstaat wie Ägypten ist Assyrien freilich nicht geworden, trotz des äußeren, aus Babylonien übernommenen Firnisses; [383] den Charakter der Brutalität, der seine Kriegführung beherrscht, hat es nie überwunden, vielmehr tritt er in der Folgezeit nur immer furchtbarer hervor. In seiner Weise freilich mag Tiglatpileser I. ein gerechter Herrscher gewesen sein; er rühmt, daß er auch »für das leibliche Wohlergehn seiner Untertanen gesorgt hat und sie friedlich in ihren Wohnsitzen hat hausen lassen«. Fremde Bäume und Gartensträucher hat er in Parks angepflanzt, den Bestand an Vieh und Wild vermehrt. Zahlreich sind die Tempel und Paläste, die er wiederhergestellt oder neu erbaut hat; neben den festen Mauern und Tempeltürmen rühmt er den Glanz, mit dem er die Innenräume ausgestaltet hat. In der Tat beginnt unter ihm langsam ein Fortschritt der assyrischen Baukunst. Wenn bisher das Mauerwerk nur nach babylonischer Art aus Luftziegeln ausgeführt war und dann mit einem dünnen Lehmputz überzogen und mit bunter Ornamentik, vor allem Rosetten und Pflanzen, übermalt wurde857 und daher unter der Einwirkung von Regen und Überschwemmungen immer wieder rasch verfiel, so hat Tiglatpileser begonnen, daneben gebrannte Ziegel zu verwenden858 und den Bau durch Zedernbalken zu festigen. Außerdem beginnt von Westen her, aus dem chetitischen Kulturgebiet, die Verkleidung der Wände mit Tierreliefs auf Steinplatten einzudringen: Tiglatpilesers Sohn, der Verfasser der Inschrift auf dem ‹Zerbrochenen Obelisken›, rühmt, er habe einen Palast aus Zedernholz, aus Urkarinnuholz, aus Holz von Pistazzien und von Tamarisken – alles Bäume, die sein Vater nach Assyrien verpflanzt hat – erbaut und an seinen Toren außer zwei Laibungslöwen aus Alabaster zwei Seetiere859 – offenbar in Erinnerung an den Fang [384] seines Vaters –, vier Löwen und mehrere andere Tiere aus verschiedenen Steinarten anbringen lassen.

Von wirklicher Kunst darf man freilich in diesen Skulpturen noch wenig suchen. Das armselige kleine Relief, in dem Tiglatpileser sich an der Felswand des sog. Tigristunnels hat verewigen lassen (o. S. 381), zeigt eine hoffnungslose Unbeholfenheit; und kaum besser ist das Relief auf dem ‹Zerbrochenen Obelisken›, auf dem die mit erhobenen Händen um Gnade flehenden Häuptlinge von Nairi an Nasenringen vorgeführt werden. Über der Szene sind, wie auf den babylonischen Kudurrus, die Symbole der Hauptgottheiten angebracht, unter ihnen die Sonnenscheibe, aber noch nicht in der später den Chetitern entlehnten Gestalt des Sonnenvogels, sondern umrahmt von einem Federnkranz; daran sind ganz unorganisch zwei plumpe Hände angesetzt, deren eine dem König einen mächtigen Kriegsbogen überreicht. Die überkommenen Motive innerlich zu verarbeiten und selbständig weiter zu entwickeln, ja überhaupt wirkliche Kunstwerke zu schaffen, sind die Assyrer noch lange ganz unfähig gewesen. Auf ihren Nachruhm und die Erhaltung ihres Namens sind die Könige eifrig bedacht – während ein üppiger Totenkult, wie er in Ägypten und, wie wir jetzt wissen, auch im ältesten sumerischen Babylonien bestand, sich nicht gebildet hat und die Könige sich begnügen, ihre Leichen in großen schlichten Basaltsärgen beizusetzen –; aber dem dienen lediglich ihre Inschriften auf Tonprismen und Steinplatten und den in die Fundamente der Tempel versenkten Urkunden, deren Erhaltung und Erneuerung sie ihren Nachfolgern unter schweren Fluchformeln anbefehlen. Wie vollständig ein wahrhaftes künstlerisches Empfinden und der Sinn für monumentale Plastik fehlte, wird dadurch ganz anschaulich, daß auf den Gedächtnisstelen der eponymen Könige und Beamten bis in die letzte Zeit die in Form einer Tafel eingefügte Namensinschrift als »Bild« des Stifters galt, und daß Samsiadad IV., der Sohn Tiglatpilesers I., und andere Könige dieser Zeit sich das Material für diese Stelen dadurch beschafft haben, daß sie eine aus dem westlichen Kulturgebiet verschleppte Basaltsäule mit Pflanzenkapitell, [385] einen Pfeiler und eine Zeltstange von Basalt für diesen Zweck haben zerschlagen und plump zurechthauen lassen860.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 375-386.
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