Armenpflege

[32] Armenpflege. Die Armenpflege ist ein wesentlich christliches Institut, sie beruht auf dem Gebot der Nächstenliebe, hat mit dem Staat nichts zu thun und wendet sich bloss an die Individuen; sie besteht in Privatalmosen und deren Sicherung, also im Stiftungswesen. Die Armenstiftungen wurden der leichten, wohlfeilen und sicheren Verwaltung wegen an bleibende Korporationen angeschlossen, kleinere mehr an Kirchen, grössere, wie Spitäler, an Gemeinden. Durch die Anknüpfung an die Kirche[32] erhielt die Armenpflege den religiösen Charakter und war eine wirksame Aufmunterung zu neuen Armenstiftungen.

1) Kirchliche Armenpflege. Arm ist erstens der Gegensatz von rîch in dessen zwei Bedeutungen, vornehm, mächtig – und reich an Gut; daher arm mhd. sowohl den Mann von geringem Stande, den hörigen Bauer, arme liute, als denjenigen, der nichts besitzt, bedeutet, den armen Dürftigen, den Bettler, lat. pauperes, egeni, pauperes mendicantes hostiatim, die an den Thüren betteln. Die Armenpflege erstreckte sich meist auf diese zweite Klasse, und zwar sowohl auf die ansässigen oder Ortsarmen als auf die wandernden Armen oder Pilger. Aus der ersten Klasse, den armen liuten, gingen die armen Schüler hervor, pauperes scholares, die auch in ständige und wandernde eingeteilt wurden. Die ständigen besuchten die Kirchenschule und waren zum Chorgesang verbunden. Man unterschied solche, die nur Brot bekamen, und solche, welchen man Kost gab. Aus den armen Schülern wurde die niedrige Geistlichkeit gross gezogen, die von der Pfründe des Altars lebte, dem sie diente.

Die Armenpflege zieht Naturalverpflegung der Geldausteilung vor, und zwar werden rohe Nahrungsmittel seltener erwähnt als fertige. Die Naturalverpflegung hiess spende aus mittellat. spenda, welches mit Speise aus lat. expendere kommt, während Geldalmosen gewöhnlich almosen, eleemosynae heissen. Die Spende geschah häufiger in Weissbrot als in Schwarzbrot, weil man dadurch der Absicht des Spenders besser nachkam. Es gab einmalige Spenden und solche, die sich über das ganze Jahr erstreckten. Grundsatz war, die Spenden öffentlich zu verteilen, auf dem Kirchhof, am Grabmal des Stifters, in der Kirche. Die Armen mussten daher bei der Seelenmesse anwesend sein, schwache und kranke Hausarme ausgenommen. Die Stiftungsbriefe hiessen litterae penales von poena, d.i. Strafe für den Nichtvollzug der Stiftung.

2) In der Gemeinde-Armenpflege herrscht ebenfalls der Unterschied zwischen Spenden und Almosen. Die besonderen Anstalten zur Beköstigung der Armen sind die Spitäler, deren man reiche Spitäler, d.i. Pfrundhäuser, und arme Spitäler, Armenhäuser unterschied. Über die Armen ausser den Spitälern war ein Ausschuss angeordnet. Wo die Reformation eingeführt wurde, pflegte die Obrigkeit sofort durch ein besonderes Mandat eine Armenordnung aufzustellen, besonders damit die Vermächtnisse frommer und mildthätiger Vorfahren nicht mehr zu einem prunkenden Gottesdienste und für unwürdige Geistliche verwendet würden. Vgl. Kesslers Sabbata, I, 92. Man stiftete einen öffentlichen Almosenkasten, stellte eine Armenbehörde auf, richtete in den Kirchen einen Almosenstock ein (daher Stockamt) und verordnete für die Hauptgottesdienste ein Einsammeln von Almosen durch das »Säckli«, den Klingelbeutel. Mone, Über die Armenpflege vom 13. bis 16. Jahrh. in der Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins, Bd. 1. – Kriegk, Deutsches Bürgert. I, 161.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 32-33.
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