Formelsammlungen und Formelbücher

[207] Formelsammlungen und Formelbücher.

A. Formelsammlungen. Bald nach den ersten Rechtsaufzeichnungen entstanden in Deutschland Formelbücher, die Muster für Urkunden der königlichen Kanzlei, für Urkunden über Rechtsgeschäfte zwischen Privatleuten, für Schreiben von Beamten, Gerichtsverhandlungen u.s.w. enthielten. Die Herstellung von Urkunden war eine Kunst (ars dictandi), welche gelernt sein musste, um so mehr, als der eigentliche Rechtsinhalt in Reichtum und Schmuck der Rede, Sentenzen, künstliche Eingänge, moralische Betrachtungen und Citate aus der Bibel und anderen Schriften eingehüllt wurde. Diese Formeln lehnen sich meist an bereits vorhandene Urkunden an, aus denen man die konkreten Beziehungen des speziellen Falles entfernte. Die Sprache ist die lateinische, die Verfasser geistlichen Standes. Römische Vorbilder wirkten bei der Abfassung mit. Zwischen den Formeln oder innerhalb derselben stehen etwa kurze Vorschriften über die Abfassung der Urkunden; auch verband man mit den Urkundenformeln Briefmuster, wofür die Korrespondenz eines Bischofs oder Abts als Muster diente.

Abgesehen von einigen west- und ostgotischen Formelsammlungen des 7. Jahrh. sind die für Deutschland wichtigsten Sammlungen: Marculfi monachi formularum libri duo, um die Mitte des 7. Jahrh. von einem Mönche Marculf im Auftrage des Erzbischofs Landerich von Paris verfasst, »um junge Leute damit zu unterrichten«. Das Werk zerfällt in praeceptiones regales, Vorschriften für den Verkehr der königlichen Kanzlei, und in chartae pagenses, Urkunden, die für das Gaugericht bestimmt sind. Späterer Zeit und dem alamannischen Rechte gehören einige in Reichenau und St. Gallen verfasste Sammlungen an, darunter diejenige des Iso, eines St. Galler Monches, gest. 871, und das Formelbuch des Bischofes Salomo III. von Konstanz, aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrh., das auch eine Briefsammlung umfasst. Eine bayrische Formelsammlung ist wahrscheinlich in Salzburg entstanden.

B. Formelbücher ähnlicher Natur erscheinen nach längerer Pause wieder im 12. Jahrh., zuerst in lateinischer, dann in deutscher Sprache, die ältesten im Norden Deutschlands, die späteren in den südlichen Gegenden. Sie heissen dictamen, summa dictaminis, summa, usus sive practica dictaminis, rhetorica. Verfasser sind anfangs die Geistlichen, dann Notare geistlichen Standes, zuletzt eigentliche Rechtsgelehrte. In vielen Sammlungen verband man mit den Rechtsformeln auch andere Belehrungen. Diese sind: Formulare für Briefe des gewöhnlichen Lebens, später als eigentliche Briefsteller gesondert, dann eine Art Rhetorik mit den Hauptgrundsätzen stilistischer Darstellung, endlich theoretische Erörterungen über die verschiedenen Rechtsinstitute. Auf die Art der Behandlung gewannen die Werke der Italiener über die Notariatskunst Einfluss, auch nahm man italienische Formulare nach Deutschland herüber. Die Zahl solcher Bücher ist eine grosse, ihr innerer Wert klein.

Seit Erfindung der Buchdruckerkunst nimmt diese Litteratur noch mehr zu, und man druckt Bücher wie: De arte notarii, Formulare instrumentorum, Formularium diversorum contractuum, Rhetorica pro conficiendis epistolis accommodata, Speculum notariorum, tabelliarum et [207] scribarum etc., manches darunter auch ins Deutsche übersetzt, bis zuletzt, schon im 15. Jahrh., selbständige deutsche Werke erscheinen. Deren ältestes ist: In dem Namen der heiligen unzerteilten drivaltigkeit Amen: Hye hebt an der Formulari darinn begriffen sind allerhand brieff auch Rhetorick mit frag und antwurt zegeben, tittel aller ständt, Senndtbrieff, Synonima u. Colores, das alles zum brieffmachen dyenent ist, 1483, in späteren Auflagen als Formulare und Tütsch rhetorica oft wiederholt. Oft gedruckt wurde unter dem zuletzt genannten Titel ein Werk des Heinr. Gessler aus Freiburg, zuerst 1493; in demselben Jahre erschien Riedrer, Spiegel der wahren Rhetoric, 1528 die Rhetorik von Alexander Hug. Nach Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 207-208.
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