Hel

[394] Hel, vom altd. helan, nhd. hehlen, verhehlen, ist die germanische Göttin des Todes und der Unterwelt; erst später, aber noch in heidnischer Zeit, als man eine Unterscheidung zwischen den Toten machte und besondere Wohnsitze für die Guten und die Bösen annahm, wurde die Göttin Hel zur Vorsteherin derjenigen Geister gemacht, die nach thätigem, ruhmlosem Leben dahingegangen sind, und ihr Name erweiterte sich zu Hellia, Hella, nhd. Helle, Hölle, woher der christliche Aufenthaltsort der Verdammten später den Namen Helle, Hölle empfing. Man dachte sich die Göttin Hel in Sümpfen oder Brunnen lebend, oder im Berge, Helleberg, die Seelen hütend. Zu ihrem unterirdischen Sitze sollte die Milchstrasse führen, die daher in Norddeutschland der Helweg genannt wird. Die nordische Hel ist halb schwarz, halb menschenfarbig und hat ein grimmiges, furchtbares Aussehen. Ihr gehört die Herrschaft in Nifelheimr, wo sie unter einer Wurzel der Esche Ygdrasil in ihrer Burg Helheimr wohnt. Den langen und traurigen Weg dahin, den Helweg, reitet man neun Tage und Nächte nach Norden zu durch dunkle tiefe Thäler den Abgrund hinab. Über Dornenheiden und Sümpfe kommt der Wanderer zu einem reissenden Strome, den die Gjallarbrücke überwölbt, die mit glänzendem Golde belegt ist. Sie hängt hoch im Winde unter dem dem Gewölk, die Milchstrasse. In einem hohlen und von mächtigen Gittern verwahrten Gehege bewacht ein Hund mit blutgefleckter Brust und klaffendem Rachen den Eingang zu Hels Wohnungen. Ihr Saal heisst Elend, ihre Schüssel Hunger, ihr Messer Gier, ihr Knecht Träg, ihre Magd Langsam, ihre Schwelle Einsturz, ihr Lager Krankenbett, ihr Vorhang dauerndes Übel. Damit die Seelen jene Dornenheide nicht barfuss überschreiten müsse, gab man den Toten ins Grab ein Paar Schuhe mit. Wer den Armen auf Erden eine Kuh geschenkt hat, wird nicht straucheln und schwindeln, wenn er die Gjallarbrücke überschreiten muss; denn dort findet er eine Kuh, welche seine Seele über die Totenbrücke geleitet; daher man in vielen germanischen Ländern eine Kuh hinter dem Sarge her bis auf den Kirchhof mitgehen liess. Mannhardt, Götterwelt.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 394.
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