Reichsversammlung, Reichstag

[825] Reichsversammlung, Reichstag. Schon unter den Karolingern galt es als Pflicht der geistlichen und weltlichen Würdenträger, sich an den hohen Festen des Jahres, Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Mariä Geburt, am Hoflager einzufinden, die kirchliche Feier mit ihm zu begehen und dann in geistlichen und andern Angelegenheiten mit ihm thätig zu sein. Es ergingen förmliche Einladungen dazu, so dass diese Versammlungen seit den fränkischen Kaisern den Charakter von Hof- und Reichstagen annahmen. Der Name ist curia, concilium, conventus, placitum, am häufigsten aber colloquium, mhd. sprâche, ähnlich dem in England gebräuchlich gewordenen Wort Parlament. Neben diesen regelmässigen Hoftagen gab es auch andere, zu denen der König die Grossen des Reiches überhaupt oder diejenigen einzelner Provinzen berief. Es wurde mehr als Pflicht, denn als ein Recht betrachtet, die Hof- und Reichstage zu besuchen. Die Grossen kamen oft in zahlreicher Begleitung, so dass man gezwungen war, sich unter freiem Himmel zu lagern und zu tagen. Jeder hatte dabei zunächst für seinen Unterhalt selbst zu sorgen, daher bei längerem Aufenthalt bedeutende Kosten auflaufen konnten. Da der Zug auf den Reichstag als Reichsdienst galt, erschien es als ein Recht der Fürsten, sich dafür von ihren Untergebenen eine Beisteuer zahlen zu lassen. Die Geschäfte des Reichstages konnten sehr verschieden sein. Beratung über kirchliche wie über weltliche, äussere und innere Angelegenheiten, Bestimmungen über das Recht, Schenkungen, Verlobungen, Verleihung der höhern Würden in Staat und Kirche, Privilegien und Gnadenbezeugungen. Im 15. Jahrhundert führte die hervorragende Stellung der Kurfürsten dazu, dass dieselben nach Vorlegung der kaiserlichen Proposition zu einer abgesonderten Beratung und Beschlussnahme darüber zusammentraten, ein Vorgang, dem zuerst die übrigen Fürsten und Herren, dann die Reichsstädte folgten, so dass der Reichstag nunmehr in drei Kollegien zerfiel, in dasjenige der Kurfürsten, in den Reichsfürstenrat und in das Kollegium der Reichsstädte, welch letzere Wilhelm von Holland 1225 zuerst zum Reichstage zugelassen hatte. Eine gemeinsame Versammlung der drei Kollegien fand nur bei besonderen Festlichkeiten statt. Der Gang der Verhandlungen war folgender: die kaiserlichen Propositionen, welche an den Reichstag gelangten, wurden gleichzeitig an das Kurfürstenkollegium und an den Fürstenrat zur Beratung abgegeben; stimmten die Beschlüsse dieser beiden, Relation und Correlation genannt, überein, so kam die Sache an das Kollegium der Städte; sonst war sie schon verworfen. Traten die Städte bei, so hiess der Beschluss Reichsgutachten; wenn er vom Kaiser die Sanktion erhalten hatte, hiess er Reichsschluss. In den Kollegien selbst entschied Stimmenmehrheit. Die Reichsschlüsse wurden erst am Schlüsse eines Reichstages zusammen verkündet, und der Name dafür war Reichsabschied.[825] Seit Friedrich III. nahm der Reichstag den Charakter eines Gesandtenkongresses an, indem die meisten Fürsten nicht mehr in Person erschienen; der Kaiser liess sich dabei durch einen aus dem Fürstenstande genommenen Prinzipalkommissär vertreten. Das Präsidium auf dem Reichstage führte Mainz als Reichs-Erzkanzler. Im Fürstenrate präsidierten abwechselnd Österreich und Salzburg. Ursprünglich wurden die Stimmen nach Köpfen geführt; später hafteten sie auf den Ländern, und zwar war als Normaljahr für die Stimmgebung im Reichstage das Jahr 1582 angenommen. Die Grafen und Herren hatten nur Gesamtstimmen, d.h. Curiatstimmen, und zwar hatten die Grafen anfänglich zwei Curien, die wetterauische und die schwäbische Grafenbank, später kam eine fränkische und eine westfälische Grafenbank hinzu. Die Prälaten zerfielen bei ihren zwei Kuriatstimmen in die rheinische und schwäbische Prälatenbank. Die Reichsstädte teilten sich seit 1474 in die rheinische und in die schwäbische Städtebank. Waitz, Verfass.-Geschichte. – Wacker, der Reichstag unter den Hohenstaufen Leipzig 1882. Walter, Rechtsgesch.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 825-826.
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