Fürst

[246] Fürst. Erst in der mittelalterlichen Periode hat man ein Recht, von Fürsten zu sprechen; denn die principes des Tacitus scheinen keineswegs ein einziges bestimmtes Amt bedeuten zu dürfen, vielmehr an verschiedenen Stellen bald den Gefolgsherrn, bald den Gaukönig und bald den Gaugrafen bezeichnet zu haben. Dahn, Könige der Germanen, I, 67 ff. Das Gotische kennt das Wort noch nicht; erst das Althochdeutsche bildet aus dem Adverb furi = nhd. für einen Superlativ furisto, fursto, mhd. (absterbend) vürste = der Vorderste, Erste, Höchste in Rang und Würde, schon früh Übersetzung von princeps, proceres.

Mit princeps wurde seit der Ausbildung des fränkischen Reiches überhaupt derjenige bezeichnet, der an Rang und Würde zu den Höchsten zählte: der König, der Majordomus, die hohen Beamten. Noch die sächsischen und fränkischen Kaiser und Könige und die Schriftsteller ihrer Zeit sprechen allgemein von den Grossen, den Fürsten des Reichs; seit Heinrich IV. erscheint der Name principes regni in den königlichen Urkunden, als Bezeichnung derjenigen, welche im staatlichen Leben die bedeutendste Rolle spielen. Irgend eine bestimmte Umgrenzung des Begriffes findet jedoch noch nicht statt. Zu den geistlichen Fürsten des Reiches gehören in dieser Zeit die Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der unmittelbar unter dem König stehenden Klöster, doch werden auch Kanoniker, Priester und selbst[246] Mönche dazu gerechnet. Weltliche Fürsten heissen die Herzöge und Grafen, doch werden auch angesehene Freie mitunter dazu gezählt. Als ehrende Anrede empfangen besonders jene höchsten Beamten des Reiches den Namen princeps. Allmählich werden die Fürsten bestimmter von den Adligen und Freien getrennt, und die principes stehen nun als Amtsadel dem Ritteradel gegenüber. In Freidanks Bescheidenheit handelt die 31. Überschrift von künegen und fürsten. Die Ausbildung des mittelalterlichen Beamtentums in Staat und Kirche entwickelte zuletzt unter dem Einflusse des Lehnwesens besondere Gewalten, die in ihrer Selbständigkeit zwar mannigfach abgestuft, doch eine gemeinsame Grundlage haben. Die Träger dieser Gewalten heissen Fürsten, der Inbegriff ihrer Rechte und Besitzungen Fürstentümer, mhd. fürsttuom und fürstentuom, daneben hêrschaft und hêrtuom, ursprünglich der blosse Name der Würde eines Fürsten, später mit näherer Beziehung auf dessen Land und Gebiet.

Synonymen sind Regimen, Potestas, Territorium, das letztere Wort führt dann zum Begriff Landesherr, Landesfürst. Solche Bezeichnungen werden zuerst im Anfange des 12. Jahrhunderts und besonders in Lothringen üblich. Ein Ausdruck der Stellung, die der Fürst einnimmt, ist der Treueid, den er sich von den Untergebenen leisten lässt, zunächst von den Vasallen und Ministerialen, in manchen Fällen von weiteren Kreisen der Untergebenen, z.B. den Bewohnern einer geistlichen Stadt. Die Rechte des Fürsten waren Gerichtsgewalt, Heergewalt und Erhebung von Einkünften. Für die Übung derselben und für die obere Leitung bedurfte der Fürst nicht minder als der König Vertreter und Gehilfen. Seine Umgebung heisst Hof, curia, sowohl als Gericht (Hofgericht) wie als Rat (Hofrat) thätig. Zum Hof werden die Vasallen und Ministerialen berufen. Das letztere ist besonders bei den geistlichen Fürsten der Fall; hier erfolgten Besitzveränderungen nur unter ihrer Zustimmung, die sie verweigern konnten; sie hatten Einfluss auf die Ernennung der Beamten des Stifts und Anteil an der Wahl des Bischofs oder Abtes. Der deutsche Name für dies weltlichen Beiräte ist das gedigene, d.h. die Degenschaft. Aus den Ministerialen gingen bei weltlichen und geistlichen Fürsten die Hofbeamten hervor.

Besonders die Kämpfe zwischen Staat und Kirche waren dem Aufkommen der Fürstentümer günstig. Der Kaiser hatte sich dem Papst gegenüber auf die Fürsten stützen müssen; die Folge war, dass diese sich mehr und mehr selbständig ausbildeten. In immer weiterem Umfange wurde damals in den weltlichen Fürstentümern, die ursprünglich ja bloss Teile des Reiches und von diesem und dessen Oberhaupte abhängig waren, erbliche Nachfolge verlangt, bestimmte Geschlechter befestigten sich im Besitze der grossen Fürstentümer. Den Bischöfen stehen jetzt die Bewohner der Städte zur Seite. Je verzettelter die königlichen Besitzungen wurden, desto kompakter schlossen sich die fürstlichen Territorien, zahlreiche Ministerialen standen den letzteren zu Gebote, wie ihnen auch das Aufblühen der Städte, des Handels und Gewerbes, des Wohlstandes in erster Linie zugute kam.

Seit dem 12. Jahrhundert, nachdem die Stellung des Grafen als einstiger hoher Reichsbeamter sich schon wesentlich abgeschwächt hatte und viele Edelleute infolge Erwerbung eines Stückes alter Grafschaft sich den Grafentitel beigelegt hatten, trat eine Spaltung zwischen eigentlichen Fürsten und Grafen ein; von den letzteren gehören nur die wenigen[247] zum Fürstenstande, die vom Kaiser in den Reichsfürstenstand erhoben worden waren, woher sie dann gefürstete Grafen hiessen. Siehe Waitz. Verf. und Ficker, Vom Reichsfürstenstande. I. Innsbruck, 1861.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 246-248.
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