Acheeron

[27] ACHEĔRON, ontis, Græc, Ἀχέρων, οντος, ( Tab. VIII.)

1 §. Name. Es wird solcher höllische Fluß auch Acherus, Livius lib. VIII. c. 24. wie nicht weniger Acheruns, Plaut. Casin. Act. II. Scen. 8. v. 12. genannt, und soll solchen Namen, nach einigen von ἀνευ χαρᾶς, ohne Freude, Serv. ad Virg. Aen. L. IV. v. 107. oder dem griechischen α privativo und χαίρειν, sich freuen, haben, weil in der Hölle keine Freude sey, Voss. Etymol. in Orcinus. Conf. Boccacc. lib. III. c. 4. oder auch von ἆχος, das Trauren, und ῥέω, ich fließe, quia luctuosis fluat undis, Vossius l. c. Conf. Wachter. Gloss. Germ. p. 9. oder et gleichsam voller Angst und Betrübniß sey. Suidas in Ἀχέρων s. Tom. I. p. 402. Dagegen machen andere ein scythisches Wort daraus, und leiten es von agron, (ohne Grund) her, weil er unergründlich tief seyn soll; Spanh. ad Callim. Hymn. in Del. v. 291. welches aber nur auf den Acheron in Asien geht. Nicht weniger wollen ihn einige von einem Könige, der Acheron geheissen, und in der Gegend solches Flusses regieret haben soll, benannt wissen. Schol. Apollon. ad lib. II. v. 354. conf. Banier Entret VIII. ou P. I. p. 273. Andern scheint es, daß Orpheus diese Benennung mit aus Aegypten gebracht, da er die Begriffe[27] von dasigen Ceremonien bey den Verstorbenen gern auf die Griechen übertragen wollte; Banniers Er läutder Götterl. IV. B. 52 S. wie denn aus dem See Querron bey Memphis Acheron soll gebildet seyn, und Achon-Cherron so viel als Charons Moräste bedeuten. Fourmont Mem. de l'Acad. des Ins. et B. L. T. I. p. 9. et Hist. de l'Acad. des I. et B. L. T. II. p. 6–13.

2 §. Ursprung. Seine Aeltern waren, nach einigen, die Ceres, nach andern die Erde, Nat. Comes lib. III. c. 1. welches denn, in so weit er ein wahrer Fluß ist, seine gute Richtigkeit hat. So fern er aber der Ceres Sohn seyn soll, wird vorgegeben, daß sich diese Göttinn geschämet, als sie mit ihm schwanger gegangen, da sie sich in eine finstere Höle in Creta verstecket, und ihn darinnen geboren habe. Weil aber Acheron das Tageslicht nicht vertragen können, so sey er vollends in die Hölle hinab gestiegen, und daselbst endlich in einen Fluß seines Namens verwandelt worden. Boccac. Geneal. Deor. lib. III. c. 4. Noch andere machen ihn zu einem Sohne des Titans und der Erde, Paull. Perusin. apud eumd. l. c. c. 5. und wiederum einige wollen, daß er von den Thränen einer Statüe entspringe, deren Haupt von Golde, die Brust und Arme von Silber, der Leib von Kupfer und so ferner sey, und oben auf dem Berge Ida in Creta stehe; Dantes apud eumd. l. c. welches aber allzu wunderlich ausgesonnen ist.

3 §. Schicksal. Als die Riesen den Himmel stürmeten, und sich dabey sehr ermüdeten, so vergönnete er ihnen, daß sie aus ihm trinken, und sich mit seinem hellen und süßen Wasser wieder erquicken möchten. Nachdem aber Juppiter den Sieg über sie erhalten, so strafte er auch den Acheron deßwegen, daß er nicht nur dessen süßes Wasser in ein Gallen-bitteres, sondern ihn auch selbst in einen höllischen Fluß verwandelte. Nat. Comes lib. III c. 1. p. m. 190. Er wird daher auch, nach einigen, für den ersten unter den höllischen Flüssen gehalten, über welche der Verstorbenen Seelen gehen müssen, Id. ibid. p. 187. [28] et 190. und zwar soll er mit lauter Thränen fließen, Barth. ad Stat. Theb. lib. IV. v. 522. oder, wenn ja außer dem Cocytus und Pyriphlegethon, auch der Fluß Lethe noch darzu gerechnet wird, so ist dieser der erste, und der Acheron der andere in der Ordnung.

4 §. Frauen und Kinder. Mit der Nacht soll er die drey Furien, nämlich die Alecto, Megära und Tisiphone, Theodontius et Virgil. apud Boccacc. lib. III. c. 6. mit der Erde aber die Styx, Boccacc. l. c. et Masen. Palaestr. Eloqu. lig. P. 1 lib. I. c. 26. §. 10. ferner mit der Orphna, Nat. Comes lib. III. c. 1. p. m. 189. oder auch, nach andern, mit der Gorgyra, Apollodor. lib. I. c. 5. §. 3. einer Nymphe, den Ascalaphus, und wiederum mit der Styx die Victoria, Paullus Perus. apud Boccacc. lib. III. c. 10. gezeuget haben, von denen allen an ihrem Orte ein mehreres steht.

5 §. Wahre Beschaffenheit. Unter diesem Namen fanden sich wenigstens ehemals wirklich drey Flüsse in der Welt, als einer bey der Stadt Heraklea in dem Pontus, mit einer unergründlichen tiefen Höhle, aus welcher Herkules ehemals den Cerberus aus der Hölle herauf geholet haben soll: Spanhem. ad Callim. Hymn. in Delum v. 291. et Scholiastes Nicandri apud Nat. Com. lib. III. c. 1. p. 159. itemque Apollon. lib. II. v. 354. et ad eum Schol. l. c. Der andere ist in Epirus, und zwar insonderheit in der Landschaft Thesprotien, welcher unterhalb Dodona entspringt, und, nachdem er durch den acherusischen See geflossen, aus welchem er erst nach einigen entspringen soll, Strabo lib. VII. p. 499. endlich bey der Stadt Ambracia, die sonst auch Arte heißt, oder dem ehemaligen Portu Comano in die See geht, Cellar. Not. O. A. lib. II. cap. 10. p. 1089. und jetzo don den Türken wegen seines schwarzen Wassers Velichi genennet werden soll. Wagenseil. Pera lib. juvenil. locul. II. p. 678. Der dritte ist in Italien, und zwar in dem Lande der Brutier, oder dem heutigen Calabarien, und soll dergestalt mit Bergen und Wald umgeben [29] seyn, daß ihn weder die aufgehende, noch untergehende Sonne bescheinen könne. Servius ad Virgil. Aen. lib. VI. v. 107. Er ist eben derjenige, welch en das Orakel meynete, als es den König in Epirus, Alexander, warnete, sich vor dem Acheron zu hüten. Denn da er solches von dem Acheron in Epirus verstund, und daher lieber seinen Krieg mit den Römern in dieser Gegend anfieng: so kam er endlich auch an diesen italienischen Acheron, und erkannte seinen Irrthum, als ein ermüdeter Soldat noch durch selbigen gehen sollte, und aus Verdrusse ausrief: Iure Acheros vocaris! Wie denn auch ermeldeter König bald darauf von einem vertriebenen Lucanier mit einem Spieße im Gefechte niedergemachet wurde. Livius lib. VIII. c. 24. et Strabo lib. VI. p. m. 466. Wie aber alle solche drey Flüsse etwas unangenehmes und fürchterliches hatten, also hat man endlich alles zusammen genommen, und daher so gar einen höllischen Fluß daraus gemachet, von welchem man vorgab, daß er in der Hölle einen ungeheuren tiefen und eiskalten See machte, aus welchem ein häßlich-stinkender Dampf aufstiege; dabey wären dessen Ufer stets mit Reise beleget, das Wasser aber bitterer, als Galle, und was dergleichen Dinge mehr waren, die einem ein Grausen vor ihm machen konnten.

6 §. Anderweitige Deutung. Ueber ihn müssen der Verstorbenen Seelen zuerst, daher er der torpor, oder die Unempfindlichkeit seyn soll, die einen Sterbenden zuerst einnimmt, wenn der Tod heran nahet. Er wird für der Ceres oder der Erde Sohn angegeben, weil die meisten Verwirrungen der Seele von dem Reichthume entstehen, der aus der Erde kömmt. Er hat den Titanen, als sie wider die Götter gefochten, zu trinken gegeben, welches die Gedanken seyn sollen, die bey den Menschen wider Gott aufsteigen, die aber nicht zu unterhalten sind, wo sie den Menschen nicht von Gott ableiten und zu einem Viehe machen sollen. Er soll sehr bitter Wasser führen, weil unser ganzes Leben, wenn es genau betrachtet [30] wird, auch voller Unannehmlichkeiten ist, und was dergleichen weit gesuchter Dinge mehr sind. Nat. Com. lib. III. c. 1. Besser kann man ihn für das böse Gewissen annehmen, das einen Sterbenden im Tode betrübet, Masen. Spec. Ver. oce. c. 23. n. 35. sein Wasser ist herbe und bitter, weil die Erinnerung des bösen Lebens bey vielen Sterbenden ein Schrecken und bittere Reue erwecket, und ist er der Ceres Sohn, weil die Verlassung der irdischen Güter den Sterbenden auch viele Sorge, Angst und Traurigkeit verursachet. Omeis Mythol. in Acheron. s. p. 18. 19.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 27-31.
Lizenz:
Faksimiles:
27 | 28 | 29 | 30 | 31