Evropa

[1074] EVROPA, æ, Gr. Ἐυρώπη, ης, ( Tab. XX.)

1 §. Namen. Dieser soll von ἐυρὺς, breit, und ὢψ, Auge oder Gesicht, zusammen gesetzet seyn, welcher bey einem Frauenzimmer auf ein Paar schöne große Augen sein Absehn haben kann. [1074] So fern er aber den einen Theil der Welt bedeutet, soll er auf die Ausbreitung des Japhets in demselben gehen. Becman. Orig. L. L. in Europa, s. p. 449. Allein, andere wollen nach ihrer Weise lieber einen phönicischen Namen daraus gemacht wissen, der von apha, Gesicht, und chur, weiß, so viel, als ein Frauenzimmer mit einem weißenGesichte bedeutet, dergleichen denn die meisten in Europa haben. Bochart. Chan. L. IV. c. 33.

2 §. Aeltern. Insgemein wird sie für Agenors, Königs in Phönicien, Tochter angegeben. Varro de L. Ll. IV. c. 6. Er soll sie mit der Telephassa gezeuget haben. Apollod. lib. III. c. 1. §. 1. Jedoch machen sie auch einige zu des Phönix Tochter. Hom. Il. Ο. 321. Palæph. de Incred. c. 15. Cf. Apollod. l. c. Con. narr. 32. & 37. Noch andere nennen zwar ihren Vater auch Agenor: doch geben sie für ihre Mutter die Agrippine, des Nilus Tochter, an. Hygin. Fab. 178.

3 §. Begebenheiten. Sie war überaus schön, und soll es vornehmlich dadurch geworden seyn, daß Jupiters und der Juno Tochter Angelos, ihrer Mutter die Schminke weggenommen, und ihr gegeben. Schol. Theocr. Idyl. II. v. 12. Jupiter verliebete sich also in sie, und befahl dem Mercurius daher, des Agenors Heerde Rindvieh unvermerkt an das Ufer des Meeres zu treiben. Darauf nahm Jupiter selbst die Gestalt eines ungemein schönen weißen Ochsen an; und, da Europa mit ihrem Frauenzimmer an besagtem Ufer spazieren gieng, und sich dem Viehe näherte, so wußte dieser verstellete Ochs ihnen insgesammt so zu schmeicheln, daß er endlich die Europa so keck machte, sich gar auf ihn zu setzen, da er sich niedergeleget hatte. Allein, so bald solches geschehen war, so erhob er sich wieder, und gieng mit ihr See einwärts, kehrete sich auch an kein Schreyen und Klagen der Europa, sondern führete sie über die See hinweg bis nach Creta. Ovid. Metam. II. 836. Luc. dial. mar. p. 259. T. I. Opp. Man sieht solches noch auf einem Carniol vorgestellet, wo sie sich mit der linken Hand an das Horn des [1075] Stieres hält, und mit der rechten ihren Mantel fasset, der wie ein Segel über ihr fliegt. Der Stier eilet über die Fluthen weg, ohne daß er einsinkt. Maffei gemm. ant. T. II. tav. 27. Auf einem andern Steine fasset sie ihren über sich fliegenden Mantel mit der linken Hand und hält sich mit der rechten an dem Horne des Stieres. Unter demselben schwimmt ein Amor, und über ihm kommt ein anderer ihr entgegen geflogen, welcher ihr einen Kranz aufsetzen zu wollen scheint. Um sie herum schwimmen Meergötter. Beger. Thes. Brand. T. I. p. 195. Ihre Stellungen scheinen die Erzählung des Dichters auszudrücken, es habe Triton, da er Jupiters trügerisches Gebrüll gehoret, ihm auf seinem Muschelhorne geantwortet und ein Brautlied geblasen, Nereus aber seiner Doris das mit vermischter Furcht sich wundernde Mägdchen gewiesen. Nonni Dionys. I. v. 61. Es giebt noch verschieden andere Abbildungen, die mit den Beschreibungen der Dichter mehr oder weniger überein kommen. Lipperts Dactyl. I. Taus. 29, 30. Es soll aber dieser räuberische Stier mit seiner schönen Beute durch die Mündung des Flusses Lethe, der bey Gortyna vorbey fließt, auf der Insel Creta angelandet seyn. Solin. Polyh. c. 11. Weil nun nicht weit davon ein ansehnlicher Ahornbaum stund, welcher seine Blätter nicht verlor, da doch die andern um diesen Fluß, die davon gesäet waren, solches thaten, so gab man vor, Jupiter habe hier seine Gestalt wieder angenommen, und seinen ersten verliebten Umgang mit Europa unter demselben gehabt. Plin. H. N. l. XII. c. 1. sect. 5. Dieses veranlaßte die Gortyner, eine Münze prägen zu lassen, auf deren einen Seite man die Europa ziemlich traurig unter einem Baume sitzen sieht, der halb Ahorn, halb Palmbaum ist, und an dessen Fuße sich ein Adler befindet, dem sie den Rücken zukehret. Auf der andern Seite ist sie abgebildet, wie sie auf dem Stiere sitzt, und mit einer Einfassung von Lorbeerblättern umgeben ist. Ban. Erl. der Götterl. IV B. 273 S. In [1076] dieser letztern Abbildung kommt sie noch auf vielen andern Münzen öfters vor und hat zuweilen einen, zuweilen zween Delphine mit unter dem Stiere. Wilde sel. num. ant. 38. So bald ihre Entführung ruchtbar wurde, so sendete Agenor seine Söhne, den Kadmus, Phönix, Cilix und Thasus, mit zugegebener Mannschaft, aus, die Europa wieder zu suchen. Er befahl ihnen, auch selbst nicht wieder zu kommen, wo sie dieselbe nicht mit zurück brächten. Sie ließen sich also insgesammt in fremden Ländern nieder, weil sie nirgends einige Nachricht von ihrer entführten Schwester antreffen konnten. Diese aber ließ sich Jupiters Liebkosungen gefallen, und zeugete den Minos, Sarpedon und Rhadamanth mit ihm. Apollod. l. III. c. 1. §. 1. Hygin. Fab. 178. Sie wurden darauf von dem Könige in Kreta Asterion oder Asterius zur Gemahlinn genommen, welcher selbst keine Kinder mit ihr hatte, und also Jupiters seine dafür erziehen ließ. Apollod. l. c. §. 2. Er soll sie sogar angenommen haben, da sie noch mit einem von demselben schwanger gegangen. Nonni Dion. l. 353. Gleichwohl soll ihr Jupiter einen Aufseher gesetzet haben, welchen Vulcan aus Erzte gemacht, und mit Leben und Empfindung versehen hatte. So bald also jemand zu ihr kam, der ihm verdächtig war, so stellete er sich unvermerkt in ein Feuer, daß er recht heiß wurde. Darauf umarmete er denselben, der denn vor Schrecken alsbald davon floh. Dam. Lex. græc. col. 2879.

4 §. Verehrung. Nachdem Europa also die Mutter dreyer Prinzen geworden war, so wurde sie von den Kretensern sehr hoch gehalten, und nach ihrem Tode als eine Gottheit verehret. Man stellete ihr zu Ehren ein Fest an, welches Hellotia genannt wurde. Hesych. v. Ἑλλώτις & Ἑλλωτία. Es wurden an demselben ihre Gebeine in einem feyerlichen Umgange mit einem Myrthenkranze umher getragen, der wenigstens zwanzig Ellen im Umkreise hatte. Athen. Deipn. l. XV. c. 6. p. 678. Den Namen dieses Festes leiten einige von ἑλέσθαι, entführen, her. [1077] Potteri Archæol. T. I. p. 393. Andere wollen, er komme von dem phönicischen Worte Halloth oder Helloth, welches so viel als ein Lob, ein Hochzeitgedicht bedeute; weil man ihre Vermählung mit dem Asterius durch dergleichen begangen, und dieses vermuthlich alle Jahre feyerlich wiederholet habe; da denn nach ihrem Tode das Fest daraus geworden. Bochart. Chan. l. I. c. 15. Weil aber Minerva auch den Beynamen Hellotia führete, und ihr unter demselben zu Korinth ein Fest gefeyret wurde, (sieh Hellotia) so vermengte oder verband man beyde mit einander, und gab selbst Europa den Namen Hellotis, welcher ihr schwerlich mehr zukommen konnte, da er eine Jungfer bedeuten soll. Etymol. magn. h. v. Eben so vermengeten die Sidonier, da die Phönicier bald nach der Europa Entführung anfiengen, ihr einen Tempel zu wiedmen ihre Verehrung mit derjenigen, die sie der Astarte erwiesen, so daß man beyde Göttinnen nur für eine einzige hält. Lucian. de Dea Syr. p. 657. Tom. II. Opp.

5 §. Wahrehistorie. Daß sie des Königes in Phönicien Tochter gewesen ist außer Zweifel. Der Ochs aber, der sie entführet, soll, nach einigen, ein Seeräuber aus Kreta gewesen seyn, welcher Taurus geheißen. Palæphat. de Incred. c. 15. Andere wollen, es sey ein ganzer Trupp Leute gewesen, welche sie entführet, und weil sie einen Stier in ihrer Fahne geführet, so habe man daher Gelegenheit genommen, die Fabel von dem verwandelten Jupiter zu dichten. Meurs. ad Lycophron. v. 1299. Allein, die gemeinste Meynung ist, daß sie einige kretische Kaufleute ersehen, und, weil sie mit ihr, ihrer Schönheit wegen, dem Asterius, ihrem Könige, einen Gefallen zu erweisen gedachten, sie zu Sarapta, welches in der Bibel Sarepta, oder auch Zarpath heißt, zwischen Tyro und Sidon entführet. Weil ihr Schiff nun einen weißen Stier zum Zeichen gehabt, so habe man solches nach der Zeit selbst für einen Ochsen angegeben, zumal bis jetzo nicht ungewöhnlich, ein dergleichen [1078] Schiff selbst den Stier, den Löwen, Greif, u.s.f. zu nennen, nachdem sie nämlich solche Thiere zu ihren Wapen oder Zeichen führen. Tzetz. ad Lycophr. l. c. Pollux lib. I. seg. 83. Festus l. V. p. 1184. alii. Es sollte aber solche Entführung eine Rache der Europäer, wegen der von den Asianern geraubten Io, seyn. Herodot. Clio s. L. I. c. 2. Sie bekam daher auch die Ehre, daß von ihr unser ganzer Welttheil den Namen erhielt. Varro de L. L. lib. IV. c. 6. Festus l. c. Serv. ad Virgil. Aen. IV. 385. Uebrigens ist ihre Entführung aufs Jahr der Welt 2506, und also auf die Zeiten Mosis, Euseb. ap. Calvis. ad A.M. 2506. oder auch von andern erst auf die Zeiten des Othoniels, gesetzt. Voss. Epitom. H. V. p. 8. Es nennen aber einige den kretensischen König, dem sie zugeführet worden, für Asterion, Apollod. lib. III. c. 1. §. 2. oder Asterius, auch Xanthus. Augustin. de C. D. l. XVIII. c. 12. Sie vermengen ihn mit dem Jupiter in so fern, daß dieser ein gemeiner Ehrennamen aller Könige ist. Voss. Theol. gent. lib. I. c. 14. Es steht daher zu untersuchen, mit was für Gründen vorgegeben wird, daß Jupiter zum Andenken solcher Begebenheiten den Stier mit in den Thierkreis am Himmel gesetzet habe. Eratosth. Cataster. 14.

6 §. Anderweitige Deutung. An ihr soll Jupiter erwiesen haben, daß eine unartige Liebe auch die größten Leute zu dummen Ochsen mache, und nachdem solches auch wüthende Bestien sind, durch sie alsdenn oft Land und Leute ins Verderben gesetzet werden. Nat. Com. l. VIII. c. 23.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1074-1079.
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