[1574] MEMNON, önis, Gr. Μέμνων, ονος, (⇒ Tab. XXXI. & ⇒ VII.)
1 §. Aeltern. Sein Vater war Tithon, Laomedons Sohn und des Priamus Bruder, seine Mutter aber Aurora, die von besagtem Tithon ihn und den Emathion bekam. Apollod. l. III. c. 11. §. 3. 4. Einige nennen solche lieber Himera oder Hemera und geben ihn für des Tages Sohn aus. Schol. Pind. ad Olymp. II. 138. Tzetzes ad Lycophr. 18. Dict. Cret. l. VI. c. 10. Jedoch werden beyde nur für einerley gehalten. Eustath. ad Dion Per. 243. & Hom. Od. Β. p. 1430. Wie es aber ein offenbares Gedicht ist, was dißfalls von ihnen gemeldet wird; also wird viel wahrscheinlicher von andern für dessen Mutter die Cissia angegeben. Aeschyl. ap. Strab. l. XV. p. 728. Jedoch kann dieses vieleicht nur ihr Vaterland andeuten, da die Susier oft Cissier genannt werden; Ib. wiewohl man solche auch von seiner Mutter erst so genannt wissen will. Steph. Byz. in v. Σουσα.
2 §. Stand und Thaten. Er war eigentlich ein König in Aethiopien. [1574] Pind. Pyth. Od. VI. 31. Q. Calab. l. II. 100. Man hat aber darunter das Thebische in Aegypten verstanden. Iablonski de Memn. p. 10. Gleichwohl machen ihn viele auch zu einem Assyrer, der seinen Sitz zu Susa gehabt hat. Diod. Sic. l. II. c. 22. p. 77. Dieses zu vergleichen, erzählet man, er habe alle Völker bis an Susa und den Choaspes in Persien bezwungen. Pausan. Phoc. c. 31. p. 669. Er erbauete sich dabey ein gar besonderes Residenzschloß von purem Steine zu Abydus, nebst einem wunderbaren Labyrinthe in Aegypten, Strabo l. XVII. p. 813. wie auch ein anderes Schloß zu besagtem Susa in Persien. Diod. Sic. l. II. c. 22. p. 77. Diese Stadt führete von ihm so gar den Beynamen Memnonia. Herodot. Polymn. VII. sect. 151. Sie wird auch für dessen Residenz angegeben. Id. Terpsich. V. sect. 53. & 54. Er ließ sich hernach durch das Geschenk eines goldenen Weinstockes von dem Priamus, Könige zu Troja, bewegen, daß er ihm nach Troja zu Hülfe kam. Serv. ad Aen. I. v. 489. Dieß geschah nach einigen, mit so vielen Truppen von Indianern und Aethiopiern, daß die Landmacht derselben nicht zu übersehen stund, die übrigen aber unter seinem Admirale, dem Phalas, zur See beynahe eine gleiche Macht ausmachten. Dict. Cret. l. IV. c. 4. Andere setzen sein Heer nicht höher, als auf zehen tausend Susianer, eben so viel Aethiopier und zweyhundert Streitwagen, und zwar soll er solches Heer nur als Feldhauptmann des assyrischen Königs Teutamus, unter welchem Priamus, als ein Vasall gestanden, angeführet haben. Daher kann es denn auch in Zweifel gezogen werden, daß er seine Residenz zu Susa gehabt, ob er wohl daselbst einen besondern Pallast erbauet, und eine herrliche Straße in Persien pflastern lassen, die von ihm den Namen bekommen. Wie aber dem allen die Aethiopier widersprachen, und den Persianern die Ehre seiner Landsmannschaft nicht zustunden: so zeigeten sie hingegen bey sich sehr lange unterschiedene prächtige Gebäude, die er erbauet haben sollte, und sie daher von ihm[1575] Memnonia nannten. Diod. Sic. l. c. Seine Abreise von dem Flusse Choaspes bis nach Troja soll so sicher gewesen seyn, daß man noch lange nachher alle die Läger zeigete, die er auf dem Wege gehabt, den er genommen hatte. Paus. l. c. Gleichwohl mußte er unterwegens mit den Solymern fechten, die sich seinem Durchzuge widersetzeten. Q. Calab. l. II. 120. Vor Troja hielt er sich sehr wohl und erlegete insonderheit den Antilochus in einem besondern Zweykampfe. Hygin. Fab. 112. Hom. Od. Δ. 187. Er machte auch, daß, nach einem starken Gefechte, die Griechen den Trojanern den Sieg auf den Tag zustehen mußten. Dict. Cret. l. c. cap. 6. Dabey brachte er dem Achilles selbst zu zweyen malen eine Wunde bey. Dar. Phryg. c. 24. & 33. Er soll nach dem Eurypylus der schönste Mann seiner Zeit gewesen seyn. Hom. Od. Λ. 521. Jedoch die Morenfarbe gehabt haben. Virg. Aen. I. 493. Daher dichtet man denn, daß er in einen schwarzen Stein verwandelt worden. Philostr. Icon. l. I. c. 7. p. 773.
3 §. Tod. Als die Schlacht den folgenden Tag wieder angieng, so geriethen er und Ajax Telamonius zusammen, und, wie ihn dieser sehr warm hielt, und ihm daher seine Leute zu Hülfe kamen, so that Achilles dem Ajax ein gleiches, und stieß dabey den Memnon mit dem Spieße durch den Hals, daß er alsofort fiel, worauf denn sein Heer nebst den Trojanern gar bald in die Flucht gebracht und ziemlich geschwächet wurde. Dict. Cret. l. IV. c. 4. & Dar. Phryg. c. 33. Pind. Nem. III. 111. Indessen wollen doch einige, er sey in einem ordentlichen Zweykampfe mit dem Achilles, nachdem sie einander gewöhnlichermaßen darzu ausgefordert, erleget worden. Hygin. Fab. 112. Q. Calab. l. II 387. Des Antilochus Tod und Memnons Gefecht mit dem Achilles sieht man auf der ilischen Tafel vorgestellet. Num. 48. Sie war auch an dem Throne des Apollo zu Amyklä in Bildhauerarbeit von dem Bathykles abgebildet. Paus. Lacon. c. 18. p. 197. Als man darauf einen Stillestand zwischen beyden Parteyen getroffen, so wurde dessen [1576] Körper von den Seinigen feyerlich verbrannt, und die Asche hernach zurück in sein Vaterland gesendet, Dict. l. c. c. 8. oder auch von den Seinigen dem Tithon wiederum mit zurück gebracht. Diod. Sic. l. II. c. 22. p. 78. Man soll damit aber nur bis nach Paphus gekommen seyn, wo denn seine Schwester Himera solche aufgesuchet, und nachdem sie dieselbe beygesetzet, verschwunden seyn soll. Dict. Cret. l. VI. c. 10. So bald er verbrannt ward, fiel seine Mutter, Aurora, dem Jupiter zu Fuße, und bath, daß er ihm einige Ehre erweisen wollte. Er verschaffete also, daß aus seiner Asche erst ein und hernach unzählige andere Vögel hervor flogen, welche alle Jahr wieder zu dessen Grabe kamen, daselbst aufs heftigste mit einander kämpfeten, und also ihm gleichsam mit ihrem Tode parentireten; da indessen Aurora ihn dergestalt immer beweinet, daß ihre Thränen annoch in der Gestalt des Thaues die Erde befeuchten. Ovid. Met. XIII. v. 576. Cf. Serv. ad Virg. Aen. I. v. 489. Der jährliche Kampf aber, welchen die Memnonsvögel, die den Habichten gleich und von schwarzer Farbe gewesen, zur Herbstzeit gehalten, geschah nur bey seinem Ehrengrabmaale in dem trojanischen Gefilde. Denn seine Mutter soll seine Ueberbleibsel gleich hinweggeführet und zu Susa begraben haben. Aelian. de N. Anim. l. V. c. 1. An dem Orte, wo er erleget worden, soll ein Fluß entstanden seyn, welcher Paphlagonius geheißen, und alle Jahr an dem Tage seiner Entleibung mit Blute geflossen. Q. Calabar. l. II. 555. Sein Grab soll sich nach einigen in Galiläa an dem Flusse Belea, nicht weit von Ptolomais; Ioseph. de bel. Iud. l. II. nach andern bey dem Flusse Bada, in Syrien, Simonides ap. Strab. l. XV. p. 728. oder auch oberhalb des Ausflusses Aesepus befunden haben, mit dessen Wasser obbenannte Vögel ihre Flügel benetzen, und damit den Platz seines Begräbnisses jährlich besprenget haben sollen. Strabo l. XIII. p. 587. & Pausan. Phoc. c. 31. p. 669.
4 §. Verehrung. Er hatte seinen besondern [1577] Tempel in Assyrien. Oppian. Cyneget. l. II. 151. So wurden ihm auch zu Theben in Aegypten Opfer gebracht und göttliche Ehre erwiesen. Philostr. devit. Apollon. l. VI. c. 4. p. 232. & Heroic. c. 4. p. 699. Er soll auch zu Susa seyn verehret und dieser Ort eben deswegen Memnonea genannt worden seyn. Eustath. ad Dion. Perieg. 1073. Sein ganz ehernes Schwert wurde, sammt dem Spieße, welches unten und oben auch von Erzte war, heilig in dem Tempel des Aeskulapius zu Nikomedien aufgehoben. Paus. Lacon. c. 3. p. 163. Seine ganz besondere Bildsäule aber war bey Theben zu sehen; und ist größten Theils noch jetzt vorhanden. Pocock's Observations on Egypt. p. 101. Nach der Erzählung der Alten war sie von schwarzem Marmor, und, wenn die Sonne früh aufgieng, und sie beschien, so gab sie einen anmuthigen und frölichen Klang von sich, nicht anders, als ob sie sich über die Gegenwart der Aurora freuete; gieng sie aber unter, so war solcher Klang ganz traurig und betrübt, als ob sie sich über besagter Aurora Abschiede wiederum betrübete. Philostrat. ll. cc. Calistrat. Stat. I. p. 891. & IX. p. 901. Man gieng in der Erzählung dieses Wunderbaren so weit, daß man sie so gar reden und singen auch wohl Thränen vergießen und das Echo ihre Freuden und Klaglieder wiederholen ließ. Callistrat. l. c. Tzetz. Chiliad. VI. hist. 64. Es wurde daher, wenn gleich vieleicht aus Spötterey, vorgegeben, daß man sie sogar ein Orakel von sieben Versen habe aussprechen hören. Lucian. Philopseud. p. 349. T. II. Opp. Die vernünftigsten sageten indessen nur, daß sie bey dem Aufgange der Sonne einen hellen Klang von sich gäbe, den man mit dem Tone einer Saite vergleichen könnte, die auf der Laute oder der Leyer zerspringt. Pausan. Attic. c. 42. p. 78. Iuven. XV. 4. Dieser Laut wurde meistentheils um die erste Stunde des Tages, welches nach unserer Uhr etwan gegen sechs ist, zuweilen etwas früher, zuweilen etwas später und erst um die zweyte oder dritte Stunde des Tages gehöret. Man vernahm [1578] ihn aber nicht alle Tage, dagegen wurde er an einem andern wohl zwey bis dreymal wiederholet. Inscriptt. ap. Pocock. l. c. & Iablonsk. de Memn. p. 83. & 93. Eigentlich sind es zween Kolossen, die aus einem sonderbaren Steine von der Art eines sehr harten Granites gehauen worden, der dem sogenannten Aeetites am nächsten kömmt, dessen Farbe etwas ins Röthliche, doch mehr Dunkle fällt, womit auch einige Alte übereinstimmen. Tzetzes l. c. Sie wenden das Gesicht meist gegen Süden, jedoch zum Theile auch gegen Osten. Derjenige von den beyden Kolossen, welcher gegen Süden steht, ist aus Einem Steine gehauen, der gegen Norden aber aus fünf Steinen zusammengesetzet. Er stellet einen sitzenden Menschen vor, der seine beyden Hände auf den Knien liegen und zum Hauptschmucke hinten eine Art eines Palmenblattes hat. Von seiner Größe zu urtheilen, so ist sein Fuß von der Sohle bis an das Knie ungefähr neunzehn Fuß hoch. An jeder Seite desselben sind zween Bildsäulen und die dritte in Menschengröße zwischen beyden Schenkeln halb erhaben ausgehauen. Pocock. l. c. Cf. Strabo l. XVII. p. 818. & Paus. l. c. Der eine davon soll durch ein Erdbeben zerfallen seyn; Strabo l. c. oder es soll sie auch der Tyrann Kambyses haben zerschlagen lassen, weil er etwas gauklermäßiges darinnen zu seyn vermuthet. Pausan. l. c. Polyæn. ap. Syncell. Chronograph. p. 151. Die obere Hälfte blieb bey derselben liegen; die untere aber stehen, welche noch bis in das vierte Jahrhundert nach Christi Geburt den vorgegebenen Laut von sich hören ließ. Iablon. l. c. p. 58. & Inscript. ap. ill. p. 83. sqq. Man muthmaßet aber, daß derselbe vor der Zerstümmelung wohl möge deutlicher gewesen seyn, und hält die sieben Verse oder sieben Worte, die sie soll ausgesprochen haben, für die sieben Lautbuchstaben, womit die ägyptischen Priester als mit einem Lobgesange die Götter zu verehren pflegten, welches die thebäischen Priester vieleicht zur Nachahmung der sieben Planeten ausgedacht. [1579] Ib. p. 94. sqq. Schon in den alten Zeiten hegete man wegen dieses vermeyntlichen Wunders einigen Zweifel. Strabo l. c. Es konnte ein mechanisches Kunststück bey dem Steine oder sonst eine andere Betrügerey der Pfaffen seyn. Dieses ist um so viel glaublicher, weil seit dem fünften Jahrhunderte nichts weiter von dieser Wundersache gehöret worden. Iablons. l. c. p. 100. Die Bildsäule selbst aber, welche mit des Osymandyas Säule einerley ist, Ib. p. 4. soll nichts anders, als ein Sinnbild der Frühlingssonne, vorgestellet haben. Ib. p. 117.
5 §. Eigentliche Historie. Einige wollen, man habe ihn deswegen für Aurorens Sohn gehalten, weil sich sein Vater im Morgenlande gesetzet und er von daher gekommen. Weil sich nun hernach bey dessen Begräbnisse von ungefähr einige fremde Vögel eingefunden, so habe man gedichtet, sie wären aus dessen Asche hervor gekommen. Banier Entret. XVIII. ou P. II. p. 244. Andere meynen, er wäre deswegen für einen Sohn der Aurora ausgegeben, weil er sehr schön gewesen. Eustath. ad Dionys. Perieg. v. 248. Einige halten ihn für den König Amenophis, in Aegypten; Syncellus & cum eo Marsbamus Sæc. XVIII. p. 424. wiederum andere für den Ammon oder Cham, Cleric. ap. Banier. l. c. und noch andere wollen, daß er eigentlich Ismandes geheißen, und also ein besonderer König in Aegypten gewesen, Strabo l. XVII. p. 813. der sonst auch Osmandes genannt worden. Hecatæus ap. Marsh. l. c. p. 427. Cf. Perizon. Orig. Aegypt. c. 15. & 17. Man muß aber zween Memnone wohl unterscheiden, deren einer der trojanische oder griechische, und der andere der ägyptische ist, welcher gar nicht nach Troja gekommen, sondern lange vor diesem Kriege gelebet hat. Philostr. de vit. Apollon. l. VI. c. 4. p. 232. & Icon. l. I. c. 7. p. 773. Gleich wohl ist der trojanische ebenfalls ein ägyptischer Amenophis, welchen die Griechen durch Memnon ausgedrücket haben. Doch da es verschiedene Könige dieses Namens in Aegypten gegeben hat, so hat man deren Thaten [1580] zusammen auf einen gebracht; wie z.B. die berufene Bildsäule schon lange vor dem trojanischen Memnon da gewesen. Iablonski de Memnon. synt. II. c. 12. Eben so wenig hat er auch, der er mit dem Osymandyas oder Ismandes einerley ist, Ib. c. 1. §. 7. das Labyrinth erbauet. Ib. c. 3. §. 3–5.
6 §. Anderweitige Deutung. Er soll ein Bild eines jungen Helden seyn, der darum für der Morgenröthe, oder der Aurora Sohn angegeben wird, weil er in dem Aufgange seines Lebens bey seinen großen Unternehmungen schon wieder umgekommen. Die Vögel, welche aus dessen Asche entstanden, sollen das unterschiedene Gerücht, das von dem Tode einer solchen Person entsteht, bemerken, wodurch auch andere zu dergleichen Unternehmungen angereizet werden. Omeis Mythol. in Memnon, p. 153. Andere hingegen wollen durch ihn nur das Gedächtniß verstehen, nachdem als sein Namen von μίμνημι, ich erinnere mich, herkommen soll. Sie geben ihn also für einen Sohn des Tithons und der Aurora an, weil dieser sein Vater insonderheit den Studien des Morgens obgelegen, da das Gedächtniß am fähigsten ist, etwas zu fassen. Mas. Spec. Ver. occ. c. XXIII. n. 31.
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