Oceanvs

[1758] OCEĂNVS, i, Gr. Ὠκεανὸς, ου, ( Tab. I. & III.)

1 §. Namen. Dieser soll nach der ältesten Erklärung so viel, als eine Säugamme bedeuten. Diod. Sic. l. I. p. 8. Er wird insgemein von ὠκὺς, geschwind, und νάειν, fließen, hergeleitet, weil er, als das Meer, schnell um die Welt herum fließe. Heraclid. Allegor. Homer. p. 439. & Papias ap. Voss. Theol. gent. l. II. c. 77. Allein, andere wollen, daß er solchen von seiner ältern Benennung Ωγὴν habe, welche auch so viel, als der Ocean geheißen. Hesych. in Ὠγὴν, p. 987. Diese leiten denn einige von dem phönicischen Hhog, ein Kreis. Bochart. Chan. l. I. c. 36. andere aber von aggan, oder dem chaldäischen ogan, ein Becher, oder See, her. Cleric. ad Hsiod. Theog. v. 133.

2 §. Aeltern. Sein Vater war Cölus, seine Mutter aber Tellus, und er einer der Titanen. Hesiod. Theog. 133. Apollod. l. I. c. 1. §. 3. Dagegen nennen andere den Vater auch Aether, Hygin. Præf. p. 2. die Mutter aber bald Vesta, Boccacc. l. VII. c. 1. & Nat. Com. l. VIII. c. 1. bald Titea. Banier Entret. X. ou P. I. p. 296.

3 §. Wesen und Thaten. Er war, nach einigen, der älteste unter allen Göttern, Homer. Il. Ξ. v. 201. cf. Voss. Theol. gent. l. II. c. 77. und sie sollen alle, sammt den Menschen, von ihm seyn gezeuget worden, da er hingegen allezeit gewesen. Orpheus Hymn. 82. Er soll sich in Aethiopien vornehmlich aufgehalten haben, wohin die andern Götter oftmals gegangen, ihn zu besuchen und an seinen Festen und Opfern Theil zu nehmen. Hom. Il. Α. 423. Insonderheit aber wurde er für einen Gott des Meeres gehalten, Ovid. Met. II. v. 531. welcher allein sich von seinem Vater Cölus enthielt, als seine Brüder [1758] Cöus, Hyperion, Krius, Japetus und Saturn denselben angriffen, und vom Throne stießen. Apollod. l. I. c. 1. §. 3. Er erzog hiernächst, mit seiner Gemahlinn, die Juno, Homer. Il. Ξ. v. 201. und ihr zu Gefallen vergönnete er der Kallisto nicht, da sie Jupiter unter der Gestalt des Bärs an den Himmel versetzet, daß sie mit den übrigen Gestirnen sich in sein Wasser lassen durfte. Ovid. Met. II. v. 527.

4 §. Gemahlinn und Kinder. Seine rechte Gemahlinn war seine Schwester Tethys. Apollod. l. I. c. 1. §. 3. Mit dieser erzeugete er den Nilus, Alpheus, Eridanus, Strymon, Mäander, Istrus, Phasis, Rhesus, Achetous, Nessus, Rhodius, Haliakmon, Heptaporus, Granikus, Aesapus, Simoenta, Peneus, Hermus, Kaikus, Sangarius, Ladon, Parthenius, Evenus, Ardescus und Scamander, u. ohne solche noch auf die drey tausend Töchter. Unter denselben kennet man insonderheit die Pitho, Admete, Janthe, Elektra, Doris, Prymno, Urannia, Hippo, Klymene, Rhodia, Kallirrhoe, Zeuxo, Kly tie, Idyia, Pasithoe, Plexaure, Galaxaure, Dione, Melobosis, Thoe, Polydora, Cerceis, Pluto, Perseis, Janita, Akaste, Xanthe, Peträa, Menestho, Europa, Metis, Eurynome, Telestho, Krisie, Asia, Kalypso, Eudore, Tyche, Amphiro, Ocyroe, und Styx. Hesiod. Theog. v. 337. Außer der Tethys, soll er noch die Pampholyge und Parthenope zu Gemahlinnen gehabt, und mit ersterer die Asia und Libya, mit der andern aber die Europa und Thrace gezeuget haben. Andron. Halicarn. ap. Tzetz. ad Lycophr. v. 1283. Ferner giebt man ihm auch noch zu Töchtern die Idothea, Althäa und Adrastäa; Hygin. Fab. 182. desgleichen die Aethra, Pleione und Philyra, zu Söhnen aber den Triton, den Nereus, Proteus, Inachus, Axius, Cephisus, Sol und andere. Boccacc. l. VII. c. 1.

5 §. Bildung. Er wurde als ein Mann mit einem Ochsenkopfe gebildet. Euripid. Orest. 1378. Jedoch fuhr er auch zuweilen auf einem Wagen, den [1759] Wallfische zogen; vorher giengen die Tritonen mit ihren Trompeten, und die Nymphen und Meerkälber begleiteten ihn unter ihrem Hirten, dem Proteus. Theodont. ap. Boccacc. l. VII. c. 1. Auf einem geschnittenen Steine nimmt man einen Greis für ihn an, der auf dem Wasser sitzt und sich mit dem linken Arme auf einen sich ergießenden Wasserkrug stützet, in der rechten Hand aber einen Stab hält, den er nach einigen Schiffen ausstrecket, die neben ihm herumfahren. Begeri Thes. Brand. T. I. p. 74. In eben der Gestalt will man ihn auch auf einem alten Denkmaale finden, wo er sich statt des Wasserkruges auf ein Meerwunder stützet und den Stab im Arme liegen hat. Montfauc. Ant. expl. T. I. pl. 6. n. 5. Er scheint dabey kleine Hörner auf dem Kopfe zu haben, welche vieleicht das Beywort Ταυροκράνος ausdrücken sollen, das man ihm giebt. Euripid. l. c.

6 §. Verehrung. Ihm erwiesen selbst die andern Götter seine Ehre, Ovid. Met. Il. v. 510. und sein Bildniß steht mit unter den Sternen, für welches einige den sonst so genannten Eridanus ansehen. Hygin. Astron. Poët. l. II. c. 32. Alexander der Große brachte ihm ein feyerliches Opfer, Iustin. l. XII. c. 10. Dieses pflegete sonst Räuchwerk und Gewürz zu seyn. Orph. Hymn. LXXXII.

7 §. Deutung und Historie. An sich ist er nichts, als das große Weltmeer, welches die Erde um und um umfließt. Voss. Theol gent. l. II. c. 77. Bey den Dichtern soll er insgemein den Horizont bezeichnen. Damms Götterl. 72 §. Er wird mit einem Ochsenkopf, gebildet, weil er, wenn er durch die Winde erreget wird, als ein Ochs auf das Ufer und die Schiffe los stößt, oder auch von dem Monde, als einem gehörnten Gestirne, in Bewegung gebracht wird. Voss. Theol. gent. l. IX. c. 35. Er fährt auf einem Wagen, weil er rings um die Erde herum geht; solchen ziehen Wallfische, weil sich dieselben insonderheit in dem Oceane befinden; die Tritonen gehen vorher, weil das Wasser einen starken Klang und ein Geräusch macht, und was dergleichen alles mehr ist. [1760] Boccacc. l. VII. c. 1. Jedoch wollen bey allem dem einige lieber einen gewissen Fürsten, aus dem Geschlechte der Titanen, aus ihm machen, welcher seine Herrschaft in Afrika an dem atlantischen Meere gehabt, der die Tethys zwar zur Gemahlinn, keinesweges aber so viel Kinder gehabt habe, als wohl angegeben werden; weil viele derselben nichts als Flüsse sind, die ihren Ursprung zwar aus dem Oceane haben, allein so fern solcher physisch für das Meer selbst genommen wird; viele aber, als Proteus, Aethra u. d. gl. sonst Personen gewesen, die ihren Aufenthalt am Meere gehabt haben. Banier. Entr. X. ou P. I. p. 296. Dess. Erl. der Götterl. III B. 513 S. Noch andere halten ihn für einerley mit dem Misraim, welcher der erste König in Aegypten gewesen seyn soll. Funccius Chronol. ad Ann. M. 1803. Dieses gründet sich zuförderst darauf, daß der Nil Anfangs Oceames geheißen. Diod. Sic. l. I. c. 19. p. 11. Hieraus haben die Griechen Oceanus gemacht; und nach den Aegyptern sollen alle Götter von solchem entsprungen seyn, welches einige von dem Ocean auch vorgeben. Chevreau Hist. du Monde liv. II. c. 4. p. 277.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1758-1761.
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