Archilochus

[235] Archilochus aus Paros blühte ums Jahr 700 vor Chr. Ein Mann des schärfsten und einschneidendsten Verstandes vereinigte er in seiner Person die ganze glühende Leidenschaftlichkeit und demokratische Zügellosigkeit des jonischen Stammes. Aus Armuth war er als Anführer einer Kolonie von Paros nach Thasos gegangen und hatte auch hier das gesuchte Glück nicht finden können. Dazu kam, daß die widrigen Erfahrungen, welche er in Folge seiner Tadelsucht zu machen hatte, dieser natürlichen Bitterkeit seines Geistes immer neue Nahrung gaben, besonders als ein gewisser Lykambes die poetische Zorneswaffe des Dichters dadurch herausforderte, daß er ihm die anfänglich zugesagte Hand seiner jüngern Tochter hintennach [235] vorenthielt. So ist A. wegen seiner Schmähsucht, welche weder sich selbst noch Andere verschonte, im ganzen Alterthum berüchtigt geworden. Daraus ist es vielleicht zu erklären, daß sich aus dem reichen Verzeichnisse seiner Dichtungen nur einzelne unbedeutende Bruchstücke erhalten haben. Die Hauptstärke des A. bestand in der Form. War vor seiner Zeit die Zahl der Metren sehr beschränkt, so hat er eine ganze Welt neuer Versmaße, insbesondere das jambische geschaffen. Für die Vollkommenheit dieser Schöpfungen giebt es aber keinen einleuchternden Beweis als die Thatsache, daß diese von A. erfundenen Versmaße sich in der griechischen Poesie für alle Zukunft als die bleibenden Formen bestimmter Gattungen von Gedichten erhielten und in ihrem wesentlichen Bau durchaus nicht verbessert werden konnten.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 235-236.
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