Fünfzehntes Kapitel

Kinderschutz

Die dritte Frauenkonferenz in Bremen

[98] Ein erster Schritt, Schutzbestimmungen für die Heimarbeit zu schaffen, war mit dem neuen Kinderschutzgesetz von 1903, das am 1. Januar 1904 in Kraft trat, getan worden. Es ergab sich für uns die Notwendigkeit, die Frage des Kinderschutzes überhaupt, sowie die Mitwirkung der Genossinnen zur Sicherung und Ausgestaltung des Gesetzes eingehend zu beraten. Wir setzten deshalb auf die Tagesordnung der nach zwei Jahren wieder nötig gewordenen Frauenkonferenz die Frage des Kinderschutzes, und Luise Zietz sprach über dieses Gebiet in einem kurzen, aber allgemein als Musterleistung anerkannten Referat. Durchweg wurde das neue Kinderschutzgesetz als ungenügend bezeichnet und es wurden in einer Resolution weitergehende Forderungen aufgestellt. Vor allem aber sollte das Verbot jeglicher Erwerbsarbeit schul-oder gar vorschulpflichtiger Kinder ausgesprochen werden. Gefordert wurde aber auch die Durchführung einer wirksamen Kontrolle des Kinderschutzes und die Heranziehung von Aufsichtsbeamten aus den Kreisen der Arbeiter und Arbeiterinnen. Den Genossinnen aber wurde hier zur Pflicht gemacht, mit ihrer ganzen Kraft und Ausdauer für die Durchführung dieser Forderungen einzutreten, und sich selbst in weitem Umfange an der Kontrolle zu beteiligen.

Diese dritte Frauenkonferenz, die im September 1904 in Bremen stattfand, nahm einen prächtigen Verlauf. Bebel selbst hob rühmend hervor, sie habe auf einem sehr hohen geistigen Niveau gestanden. Der ansehnliche Fortschritt unserer Bewegung gelangte sowohl in der Beteiligung an der Konferenz, wie in der geleisteten Arbeit zum Ausdruck. 33 Delegierte, darunter sechs Genossen, nahmen diesmal an der Konferenz teil. Bedeutsam für die Entwicklung war es, daß auch aus Gegenden, wo der Aufklärung und Organisierung proletarischer Kämpferinnen die größten Schwierigkeiten entgegenstanden, Vertreterinnen[99] anwesend waren. Noch vor wenigen Jahren hätte kaum jemand zu hoffen gewagt, daß sich dort Genossinnen zu planmäßiger Arbeit im proletarischen Befreiungskampf zusammenfinden würden. Für die feste innere Zusammengehörigkeit zwischen der proletarischen Frauenbewegung und der Sozialdemokratie war die Beteiligung des Genossen Molkenbuhr als Vertreter des Parteivorstandes an der Konferenz und seine warmempfundene Begrüßungsrede ein besonderer Ausdruck. Der Rückblick, der wie immer auch auf dieser Konferenz zu geben war, zeigte deutlich, wie gut sich die Einsetzung einer Vertrauensperson für das ganze Reich bewährt hat. Die ganze Tätigkeit der Genossinnen hat dadurch bedeutend an Einheitlichkeit und Kraft gewonnen, die Anregungen von einer Zentralstelle aus wirkten anspornend, die Arbeitsfreudigkeit herausfordernd und leitend auf die ganze Bewegung in vielen Bezirken. Ganz besonders aber galt dies von der aufklärenden Agitation, die zu den Reichstagswahlen, für die Umgestaltung des Vereins-und Versammlungsrechts entfaltet worden ist. Zweckdienliche Zirkulare wurden den Vertrauenspersonen zugesandt, mit praktischen Fingerzeigen für die Arbeit auf den einzelnen Gebieten. Auf die Bedeutung der politischen und gewerkschaftlichen Kleinarbeit, auf den Wert der unpolitischen Bildungsvereine, auf die Errichtung von Lese- und Diskussionsabenden wurde immer aufs neue hingewiesen.

Von den Referaten auf der Konferenz konnte man sagen: »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.« In der einen Stunde, die für jedes Referat festgesetzt war, wurde das Notwendige klar und deutlich gesagt. Die Teilnehmer aber waren nicht ermüdet vom Zuhören und frisch und lebendig setzte die Diskussion ein, die nützliche Winke und Ratschläge zutage förderte.

Die Bremer Frauenkonferenz steht allen Teilnehmern, soweit sie noch unter den Lebenden weilen, wohl heute noch in besonderer Erinnerung. Sie zeigte deutlich die politische und organisatorische Arbeitsfähigkeit der Frauen, und das Lob unseres Genossen Bebel hat anfeuernd gewirkt.

Quelle:
Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin. 3. Auflage, Berlin, Bonn 1979, S. 98-100.
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