II.

Seine (des Edelmanns) erste Schule zu Lauban.

[12] §. 28. »Seine erste Schule war in der Sechsstadt Lauban, in dem Markgrafthum Oberlausitz, unter der Aufsicht seines Herrn Vettern daselbst, wo er sich ganz wohl anließ, und ein großer Liebhaber von der Music und Poesie, auch von lustigen Einfällen in Gesellschaft war. Der wohlehrwürdige Herr M. Gottlob Friedrich Gude, Pastor Laubanensis, frequentirte mit ihm zu gleicher Zeit die Schule zu Lauban, und schreibet an einem Orte (in der Vorrede zu der 3ten Ausgabe seiner Abhandlung vom Unterschiede eines wahren Christen und eines Herrnhüters 8. 1749. p. 90.) von Ihm dergestalt:


Daß Edelmann in seiner Jugend ein aufgewecktes Naturell, und viel Feuer gehabt, welche Natur- Gaben, Er zu großer Hoffnung seiner Lehrer sattsam gezeiget habe.


§. 29. Aus dem Vorhergehenden wird man hoffentlich erkennen, daß Lauban nicht meine erste, sondern meine 2te Schule gewesen. Der damalige Rector derselben hieß M. Johann Paul Gumprecht, der sich durch seine griechische Blumenlese, durch seine Fragen über Rechenbergs Summarium der Kirchenhistorie und andere Schriften bekannt gemacht, doch aber an geschickter Art die Jugend zu unterrichten seinem Vorfahrer, dem beliebten Hofmann, bey weiten nicht gleich kam. Mir gefiel indessen diese Schule, weil sie aus lauter erwachsenen Leuten bestund, die sich sehr propre und galant aufführten. Es befand sich auch ein ziemlicher Adel allda, und mir schien die Lebensart dieser meiner Mitschüler, viel gesitteter und manierlicher heraus zu kommen, als die grobe Thüringische, unter welcher ich mich vor dem befunden.

Bey meiner Einführung in die Classe wurde ich in die 2te Ordnung der ersten Classe gesezt, und da ich auf die Art wohl die Helffte meiner Mitschüler unter mir hatte, so bildete ich mir nicht wenig ein. Allein mein Dünkel verschwand noch eher, als der Rauch vom Winde. Die Gelehrsamkeit meiner Mitschüler, deren der größte Theil wahrhaft aus recht fähigen Köpfen bestand, die es in allerhand Arten der Wissenschaften, in der That schon weit gebracht hatten, sezte[12] mich mit meiner Trivial-Wissenschaft so weit herunter, daß ich mich schämte den Ort zu bekleiden, den mir der Rector angewiesen hatte. Allein der Ehrgeiz gab mir bald Kräfte, mich meines Plazes würdiger zu machen, und es gelung mir auch durch meinen Fleiß und gute Naturgaben, daß ich mich meiner vorigen Ignoranz immer kräftiger entreißen konnte, so daß ich endlich auch unter meinen Mitschülern vor gelerth zu passiren anfing.

§. 30. Ich weiß nicht, was mich in diesen Credit bey ihnen mochte gesezet haben; das aber weiß ich gewiß, daß die meisten unter ihnen, weit gelehrter waren, als ich; sonderlich gab es treffliche Versmacher unter ihnen, gegen welche ich, der ich in Sangerhausen kaum gehöret hatte, was Poesie war, gar nicht aufsehen durfte.

Einer unter ihnen, des Rectors Stiefsohn, Namens Fiebiger, fing wirklich an die materiam poëticam, die der Conrector mit dem Rector wöchentlich wechselsweise zu dictiren pflegte, ex tempore in den reinsten Deutschen und Lateinischen Versen nachzuschreiben, welches Ihm in der ganzen Classe, meines Behalts, nur zwey, nemlich Witschel und Krause nachthun konnten.

Diese Fertigkeit machte mir also auch Lust zur Poesie, und ob ich gleich damals schon überzeugt war, daß Reimenschmiede keine Poeten wären und diese gebohren und nicht gemacht werden müsten, so wollte ich doch, da ich einmal als ein Mitglied dieser poetischen Geister Verse machen muste, auch nicht gern vor den schlechtesten unter ihnen gehalten werden. Ich griff mich also an, und lernte nach und nach zum wenigsten so viel in dieser Kunst, daß ich den Edelleuten, die um mich saßen und zum Poetisiren noch weniger, als ich aufgelegt waren, oft vor ein paar Kayser-Groschen, die Materie machte, die sie hätten machen sollen.

§. 31. Wie ich sahe, daß das Versmachen Geld eintrug, dessen ich damals, weil ich bei meinem Vetter alles frey hatte, blutwenig von Hause geschickt kriegte, so legte ich mich noch besser darauf und machte auf die Art einerley Materie bisweilen wohl auf fünf bis sechserley Art. Aber dem ungeachtet habe ich doch nie ein Poet werden können, ob ich schon die Poesie, und derselben Seele, die Music, noch bis diese Stunde liebe, und die letztere, was Clavier, Flöte und Fleute travers anlanget, wohl ehedem nicht ganz ungeschickt gespielet: Nachdem ich aber in Berlenburg, aus murrischer Heiligkeit die Music vor etwas sündliches und Gott mißfälliges zu halten anfieng, und solche nicht eher wieder hervorsuchte, als biß mir Gott die Gnade that, sich meinem Gemüthe auf eine vergnügendere Art zu erkennen zu geben, welches erst nach etlichen Jahren geschahe, so[13] bin ich aus der Übung kommen, und agire gegenwärtig nur einen Stümper in dieser angenehmen Wissenschaft.

§. 32. Was die lustigen Einfälle in Gesellschaft betrifft, von denen ich nach des Verfassers Ausdruck, auch damahls schon ein großer Liebhaber gewesen seyn soll; so erinnere ich mich nicht, daß ich zur selben Zeit andere, als meine Schul- und Kirchen-Gesell schaften besucht hätte. Denn in meines Vettern Hause war mir mehr nicht erlaubt, sonst aber läugne ich nicht, daß ich von den lustigen Einfällen, die der damalige Diaconus in Lauban M. Büttner bisweilen in Predigten anzubringen pflegte, indem Er die artigsten Sprüchwörter, Gleichnisse und Histörchen, auf eine recht angenehme Art zu gebrauchen wuste, ein ungleich größerer Liebhaber gewesen, als von den fürchterlichen Bußpredigten meines Vettern und des Herrn M. Guden, des Vaters desjenigen Herrn Magisters, der mir, nach des Verfassers Anweisung, ein so gutes Lob beygeleget haben soll.

Ich kann nach demselben zwar nicht wissen, wie groß die Hoffnung meiner damaligen Lehrer von mir gewesen. Diß aber weiß ich gewiß, daß keiner etwas mehr von mir gehoffet haben kann, als daß ich mit der Zeit ein eben so guter Schwäzer werden würde, als sie damals waren1, wie denn die geistlose Schwäzekunst auf dieser Schule schon stark geübet wurde, indem alle Freytage auf dem kleineren Schul-Catheder eine Predigt, von einem, aus unserm Mittel abgeleget werden muste, die hernach von dem Rectore censiret, und fernere Anweisung in dieser Kunst gegeben wurde.

§. 33. Ich muste also diese Mode, weil ich Theologiam studiren wollte auch mit machen, und weil mein Vetter, der Pastor primarius und der Herr M. Gude gewohnt waren, ungewöhnlich lang, und gemeiniglich 2 Stunden zu predigen, so meinte ich, ich müste das auch nachthun, und da kann man sich leicht einbilden, daß ich um 2 Bogen mit Wörtern anzufüllen, bey dem wenigen Vorrath, den ich damals noch an reellen Wissenschaften besaß, meine Collectanea oder geistliche Vorrathe-Kasten, brav werde ausgeleeret, und alles zusammengeschrieben haben, was sich nur einigermaaßen zum Text geschickt.[14]

Diese Art, sich einigen Vorrath von sogenannten Realien zu verschaffen, und von welcher ich auf meiner Trivial-Schule in Sangerhausen noch gar nichts gehöret hatte, war in Lauban stark Mode. Denn es war da kein Schüler, der nicht einen ziemlichen Schatz von dergleichen fremden Gedanken sollte gesammelt und das eigene Nachsinnen derweilen an die Seite gesezet haben. Denn wir waren meistens darauf bedacht, nur die Schriften unserer eigenen Lehrer auszuplündern und mit den Gedanken derselben, wenn wir eine Rede halten sollten, gegen unsers Gleichen eine Parade zu machen. Aus fremden oder widrig gesinnten Religions-Verwandten, oder gar, aus den sogenannten Feinden der Christl. Religion (die wir doch zur selben Zeit anders nicht als in den Disputationibus der unsrigen zu sehen bekamen) etwas auszuschreiben, hätte, zum wenigsten Ich, damals mir das größte Gewissen gemacht und geglaubt, meinen Collectaneis einen ewigen Schandfleck anzuhängen, wenn sich nur das mindeste von dergleichen Sachen, nach meinem Tode, in denselbigen hätte befinden sollen. Nach der Zeit aber hat diese Furcht bei mir abgenommen, und weil ich mir selber keine eigene kostbare Bibliothec anschaffen konnte, so trug ich, bei Gelegenheit aus andern zusammen, was ich konnte und fand mit der Zeit die Spuren derjenigen Wahrheiten, die in unserem Vaterlande ein so großes Aufsehen gemacht.

§. 34. Ich blieb also auf dieser berühmten Schule von 1715 bis 1717 und übte mich in allen daselbst eingeführten Schulübungen mit meinen Mitschülern um die Wette. Unter denselben gefiel mir keine besser als das Disputiren, worin sich diejenigen, die zu des Rectors Privatstunde gehörten, wöchentlich auch einmal hören lassen musten. Es stand uns frey, die Sätze, worüber wir disputiren wollten, selber zu erwählen, und der Rector war allemahl Präses.

Ich freuete mich allemal, wenn die Reihe dieses Wortgefechtes auch an mich kam; wir disputirten das blaue vom Himmel, und das schwarze von der Erde, und wenn wir ausdisputirt hatten, war einer so klug, als der andere, ausgenommen das der Respondens, der eingeführten Mode nach, aus Respect gegen den Herrn Praesidem, allemal Recht behalten muste, er mochte es haben oder nicht.

§. 35. Ich hatte also keinen weitern Nuzen von die ser Übung, als daß ich fix latein plaudern, und mir einbilden lernte, daß man von seinen einmal angenommenen Säzen niemals weichen müste; Eine Unart, die mich lange an weiterer Erkenntniß der Wahrheit gehindert, bis ich endlich auch an großen und gelehrten Leuten wahrgenommen, daß sie sichs vor keinen Schimpf gerechnet, ihre irrigen Meinungen zu verbessern, und der Wahrheit auch bey ihren Gegnern[15] Plaz zu geben. Dieß Verhalten schien mir eine edlere Art der Ehre zu seyn, als die unvernünftige Rechthaberey: Es kostete mich aber was, diß mein so liebes Schooß-Kind, aller Unanständigkeit ungeacht, die ich an demselbigen gewahr wurde, der Wohlanständigkeit der erstern aufzuopfern, und die Folge meiner Geschichte wird schon zeigen, wie stark ich mich dagegen gewehret.

§. 36. Weil mir der Herr M. Gude in dem oben angeführten Lobspruche viel Feuer beygeleget, so muß ich bekennen, daß Er darin die Wahrheit geredet. Denn ich war leicht aufzubringen, und schwer zu versöhnen, wenn man das mir angethane Unrecht nicht erkennen wollte: Geschah aber dieses, so war auch aller Groll bey mir vorüber; indessen wuste ich damals auch mein Feuer schon zu mäßigen, wenn ich wuste, daß ich meinen Wohlthätern durch Auslassung desselben Verdruß machen möchte.

Ich hatte in meines Vettern Hause einen Stubenpurschen, der auch ein Priester werden wollte, und mit seinem Geschlechts-Nahmen Flegel hieß, ein solcher aber in der That auch war, indem er mich kurz nach meiner Ankunft mit Ohrfeigen tractirte, als ich seinen Schäckereyen, die Er mit der Viehmagd trieb, von ungefähr in die Queere kam, und sie mit ihren rechten Nahmen, Narrenspossen hieß. Er schlug mich darüber mit der gepallten Faust gleich dergestalt in die Augen, daß ich mich wohl 4 Wochen mit einem blauen Fenster schleppen muste.

Man kann leicht denken, daß ich mich vor diese Höflichkeit eben nicht sonderlich bedanckt haben werde, doch verhielt ich mich damals nur noch defensive, weil ich theils zu viel Respect vor meinen Vetter und Vater hatte, denen ich nicht gern Gelegenheit geben wollte, sich mit Grund über meine üble Aufführung zu beschwehren, theils weil ich meinen unbescheidenen Stubenpurschen, der schon ein bärtigter Kerl war, und weit stärker schien als ich, nicht offensive anzugreiffen getrauete.

§. 37. Ich beschwerte mich also über diese Flegeley bei meinem Vetter, und hoffte zum wenigsten so viel Satisfaction zu erhalten, daß mir der Flegel seine Grobheit würde abbitten müssen: Allein anstatt dessen gab mir mein Vetter noch einen derben Verweiß, und Ermahnung, daß ich als der jüngere dem älteren nachgeben müste. Diese unweißliche Entscheidung machte meinen Flegel noch flegelhaftiger; Er hielt mich vor einen verzagten Kerl, dem er nun nach Belieben auf dem Maule drummeln dürfte, und unterließ nicht, mich bei aller Gelegenheit, wegen dem, daß ich ihm bei dem Vetter verklagt hatte, auf das bitterste zu verspotten.[16]

Dieser Spott that mir in der Seele weh, doch weil ich ein Beneficiarius meines Vettern war, der meinem Vater, (weil ich mit dem Flegel wohl in einem Vierteljahre kein Wort gesprochen) ohne dem schon geschrieben hatte, daß Er einen anhaltenden Zorn bei mir spürete, weswegen mir abermal ein starker Levite von dem Vater gelesen wurde: so verbiß ich meinen Schmerz, biß die Zeit kam, da wir uns, der Gewohnheit nach sämmtlich vor arme Sünder erklären, und auf diß saubere Bekenntniß, unsern Gott noch oben darauf, zur Versicherung der Vergebung unserer Sünden verzehren sollten.

§. 38. Damahls dachte ich, würde wenigstens eine dauerhafte Versöhnung zwischen uns gestiftet werden, worzu ich auch an meiner Seite ganz willig war, wenn es nur nicht mein Vetter abermal in der Art und Weise dieser Versöhnung sehr grob versehen hätte. Er kriegte uns zwar beide vor, und hielt uns eine Predigt von der Versöhnlichkeit: Allein anstatt, daß Er den Flegel, der mich eines Wortes wegen, das doch die Wahrheit war, so grob tractiret hatte, hätte ermahnen sollen, gegen mich zu gestehen, daß Er mir zu viel gethan, womit ich völlig würde zufrieden gewesen seyn, nöthigte er mich durch seine priesterliche Sauersichtigkeit, daß ich ihm, gleich als wäre ich der beleidigende Theil gewesen, zuerst die Hand zur Versöhnung bieten muste.

Damit stärkte er nun nicht allein den Hochmuth meines Gegenparths, der sich einbildete, noch Recht gegen mich übrig zu haben, sondern Er erregte auch ein neues Zornfeuer in mir, darum, daß ich mich, ohne Schuld und Ursache muste so unterdrücken sehen. Indessen muste ich doch mit sacramentiren, und hatte noch immer die Hoffnung, daß ich zum wenigsten nach dem Genusse dieses vermeinten Liebes Mahles, vor den Sticheleyen und Verspottungen meines Flegels Friede haben würde.

§. 39. Allein er hatte seinen Gott kaum verdauet, so fing er's wieder an, wo er's gelassen hatte, und ich muste mich, als einen verzagten Kerl, gegen das Gesinde und die andern Hauspursche, mehr als jemals von ihm verspotten lassen. Diß hieß nun meine Gedult ein wenig zu viel mißgebraucht, und ich fand nöthig, ihm zu zeigen, daß er an den unrechten gerathen, nur fehlte mirs noch an einer bequemen Gelegenheit, ihm recht empfindlich wehe zu thun: Allein sie fand sich bald.

Der Kerl bildete sich ein, er wäre schön und sahe doch nicht viel besser aus, als ein abgegessener Kirschkuchen. Nichts desto weniger charmirte Er mit der Köchin, bey welcher ich ihn nicht allein bald verhaßt zu machen wuste, sondern ich fing auch an, mich bei aller[17] Gelegenheit über ihn zu moquiren. Weil er das nun bisher gar nicht an mir gewohnt war, so stuzte Er anfangs; doch glaubte Er, weil Er mich das erstemal mit so wenigen Widerstande gedroschen, es sollte ihm das zweitemal auch nicht fehlen. Allein das Blat wendete sich, zu seiner größten Bestürzung dergestallt, daß ich Ihm an einem Abend, als meine Muhme, mit der von ihm geliebten Köchin, in der Nebenstube saß und spann, nach einem kurzen Wortwechsel, gleich ein paar tüchtige Ohrfeigen versetzte, und ohne ihm Zeit zu lassen sich zu besinnen, wie Ihm geschahe, alsofort beym Haaren zu Boden schmieß, und meine Stube mit diesem Flegel dergestallt rein ausdrosch, daß endlich die Muhme, durch die Bedrohung, daß sie den Vetter rufen wollte, mich nöthigte von ihm abzulassen.

§. 40. Auf die Art verschaffte mir das Recht der Natur, was mir die Theologie mit alle ihren Predigten und Sacramenten nicht hatte verschaffen können. Mein Flegel wurde so geschmeidig, wie ein Ohr-Wurm, und hätte sich, nach dieser überzeugenden Probe meiner Unerschrockenheit, nicht unterstanden, mir weiter nur ein Wörtchen zu nahe zu reden. Sein Spott-Geist war gänzlich gebändiget und ein paar derbe Maulschellen hatten augenscheinlich mehr Wirkung auf ihn, als der Primarius mit alle seinem kraftlosen Gotteswort. Wer mir aber damals hätte sagen sollen, daß ich in den künftigen Zeiten, noch so manchen Theologischen Flegel auf eine moralische Art würde vor die Faust bekommen, dem hätte ich's wohl nicht geglaubt: Es ist mir aber doch begegnet, und sie haben von Glück zu sagen, daß ich des Dreschens nunmehr müde bin, sonst dürfte ich noch wohl manchen, der bisher nur leeres Stroh gedroschen, zu weiteren Gebrauche untüchtig machen.

§. 41. Nach dieser Haar-Collation (worüber ich von meinem Vetter noch einen derberen Wischer bekam, als das erstemal, den ich aber meines Orts mit einem ganz kalten Geblüte empfing, nachdem ich gelernt hatte, wie weit sich die mir von Gott verliehenen Kräfte, zu meiner Vertheidigung erstreckten) wäre ich bald in eine andere, noch schlimmere gerathen. Denn einer meiner Mitschüler, der beynahe noch halb so lang, als ich, und der längste in der ganzen Classe war, Namens Zehe, forderte mich, wegen einer Lumpensache auf die Faust heraus, auf den, bey Lauban gelegenen Steinberg, wo sich die Pursche gemeiniglich zu schlagen pflegten.

Ich sahe wohl, daß ich diesen Goliath mit der Faust nicht bezwingen würde. Um aber die Ausforderung nicht auf mich ersitzen zu lassen und dadurch vor meinen Mitschülern vor einen verzagten Hudler zu passiren, forderte ich ihn auf den Degen. Ich wuste wohl,[18] daß diß nicht lange verschwiegen bleiben, auch mir sowohl vom Rector, als meinem Vetter ein neu Capittel gelesen, und endlich aus der ganzen Bataille nichts werden würde: Allein ich entging doch dadurch nicht allein der vermeinten Schande, daß ich mich nicht hätte schlagen wollen, sondern mein Gegenpart selber, der gegen stärkere, als Er war, eben nicht viel Herz hatte, gerieth dadurch in Verachtung, und ich zog endlich nach einem zweyjährigen Aufenthalt von dieser Schule mit folgenden Testimonio weg.


§. 42. Benevolo Lectori Salutem et Officia!


Dum post decursum duorum fere annorum, quibus in Lycco nostro bonis literis atque scientiis sedulo operatus est Ornatissimus Juvenis Johannes Christianus Edelmannus filius Optimi Parentis, Domini Gottlob Edelmanni, qui Serenissimo Duci Saxo-Weissenfelsensi a literis est Sangerhusae, in Patriam dulcissimam avocatus sub abitum rogavit, ut candido quodam probitatis testimonio munitum dimitterem, seque bonis omnibus de meliori commendarem: honestissimis hisce desideriis deesse nec volui nec potui. Quemadmodum ergo divinam benedictionem studiis ejus laudabiliter coeptis, nec minus bene hic continuatis, uberrime apprecatus, coelesti Providentiae eundem pio affectu devotaque mente nunc committo: Ita studiis, quotquot favent Musarum Patroni et Evergetae, summi, medii et imi, ut patrocinio suo, modestum hunc Juvenem, favore, beneficentia et adjumento dignum censeant, enixe rogitati, ea, qua decet, animi demissione, veneratione et cultu, implorantur. Faxit Deus, ut, quod speramus, ad eam maturitatem flos juventae succrescat usque quaque, ut jucundissimos fructus sibi decerpere ab eo tandem valeat Ecclesia et Respublica. Dabam Laubae, inter complures occupationes festinante calamo, longiori propensiorique animo, quam verborum contextu. Anno Ecclesiae Evangelicae Jubilaeo 1717 die Febr. 27.

M. Johannes Paulus Gumprechtus

Rector Lycei Laub. patr.


§ 43. Dieses Testimonium wurde mir durch den Famulum des Herrn Rectors, Herrn Zschorn, da ich schon eine Meile von Lauban entfernt war, nachgeschickt, und ich führe es nur deswegen an, damit man aus demselbigen die eigentliche Zeit meiner Schuljahre erkennen könne, wohl wissend, daß sich meine Lehrer, in der Hofnung, daß[19] ich der sogenannten Kirche dereinst, nach ihren Absichten dienen würde, betrogen haben. Genug, daß ich der menschlichen Gesellschaft, die unter dem Joche der Kirche lange nach der Freiheit geseufzet, auf andere Art nicht zu verachtende Dienste gethan. Mein Wunsch ist dabei nur dieser, daß man diese, von Gott geschenkte Freyheit nicht zum Deckel der Bosheit brauchen möge, sonst würde es vor die Unbändigkeit (der zu gefallen ich ohne dem keinen Buchstaben geschrieben) besser seyn, wenn sie noch unter dem Joche stände.

§ 44. Ich habe zu erinnern vergessen, daß ich in dem damaligen Laufe meiner Schuljahre schon die beschwerliche Arbeit, andere zu unterweisen auf mich nehmen müssen. Denn es wurden mir nicht allein die Kinder des damaligen Archi Diaconi substituti Herrn M. Heers zur Unterweisung übergeben, sondern es bestellte mich auch der Herr Conrector und nachmaliger Rector M. Büttner zum Repetenten bey einem jungen Schlesischen Edelmann, Namens Wunsch, der mit mir in einer Classe saß, etliche Jahr älter war, als ich, und eher einen ansehnlichen Officier, als einen Untergebenen von mir hätte abgeben können.

Diese Information spornte nicht allein meinen Fleiß immer mehr und mehr an, sondern sie brachte mir auch quartaliter etliche Gulden ein, und setzte mich bey meinen Mitschülern in größeren Credit, als ich in der That verdiente. Es stand auch darauf, daß, wenn ich noch länger dageblieben wäre, ich noch einen andern Schlesischen Edelmann, Namens Braun, von des Rectors Kostgängern, in meine Information bekommen haben würde. Allein mein Abschied verhinderte solches, und ich hielt, kurz vor selbigen, noch eine Predigt in der Schule, über das Evangelium, wo Christus von seinem Leyden und Abschied aus dieser Welt sollte gesprochen haben.

§ 45. Die Ursache, warum ich mich nicht länger in Lauban aufhalten wollte, war wohl eigentlich der Eckel, den ich vor der weichlichen Kinderzucht meines Vettern hatte, und die ich, nach dem Abschied Flegels, meines Stuben-Purschen (der auf Ostern nach Leipzig zu gehen gedachte) würde haben übernehmen müssen. Ich sahe da voraus, daß ich und mein Vetter, falls dieses hätte geschehen sollen, nicht lange gute Freunde geblieben seyn würden, und darum bat ich meinen Vater, mich wegzunehmen, welches auch geschahe, wie aus dem Verfolg meiner Lebensbeschreibung erhellen wird. Der Text lautet also:

Fußnoten

1 Bei Pratjes heißt es an dieser Stelle in den handschriftl. Anmerk.: »Da sich seine Lehrer die beste Hoffnung von ihm gemachet, so erhellt daraus zum wenigsten so viel, daß er damahls noch ein gutes einfältiges Schaaf gewesen, das sich von seinen Lehrern nach Belieben, wie das andere Vieh treiben lassen. Es ist also ein weit größer Wunder, daß Ihn Gott aus diesem verbutteten Zustande gerissen, und zum rechtmäßigen Gebrauche seiner Vernunft verholfen, als wenn er Ihn zu den höchsten Würden seiner finstern Secte erhoben hätte.«


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 20.
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