Carl Maria von Weber – Grabbe – Heinrich Heine.

(1821–1825).

[318] Da mir meine Zeitschrift »Der Gesellschafter« schon mehrmals leitend gewesen ist, habe ich, nach der Zeitfolge zurück- und vorwärtsblickend, mehrerer zu gedenken, lasse zuerst erscheinen Carl Maria v. Weber, mir freud- und leidvollen Andenkens; ich lebte mit ihm zwölf Jahre hindurch in gegenseitig inniger Teilnahme.

Unsere Bekanntschaft begann etwa im Jahre 1813 und machte sich, weil Weber sich ehemals mit Zeichnen, Malen und dem Steindruck beschäftigt, auch von meinem Streben für den Holzschnitt Kenntnis hatte, allmählich immer vertrauter während seiner öfteren Anwesenheit in Berlin, wo er vielbesuchte Konzerte gab. Nach einem[318] derselben saß er unter Freunden und Freundinnen, die von seinen Tondichtungen von seiner Reichsinnigkeit in Phantasien auf dem Pianoforte angeregt waren, in einem Gasthause bei einfachem Mahl: denn der Überfluß war in jenen Tagen noch keine Notwendigkeit. Es ward uns ein unvergeßlicher Abend! Ehe wir auf des Meisters Wohl die Gläser klingen ließen, wurde in aller Lustigkeit der Wunsch laut: ich möge eiligst rasch einen Liedspruch schaffen, Weber ihn komponieren, die anwesenden Sänger und Sängerinnen würden ihn dann vortragen. Rasch entstandenen Reim und Notensatz benutzte man zum »Lebehoch« für Weber, und die Gabe des Augenblicks erhöhte innere und äußere Erregung.

Während Weber in Prag Musikdirektor war, komponierte er zu meinem kleinen Erinnerungs- und Versöhnungsschauspiel: »Bei Leipzig« (gedruckt im »Jahrbuch deutscher Bühnenspiele für 1861«) Ouvertüre und Gesänge, leitete auch die dortige Darstellung am 19. Oktober 1815. In Berlin ließ ich dies Gelegenheitswerkchen zwischen Mannigfachem für den Zweck des »Vaterländischen Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Krieger« im April 1816 zweimal aufführen, wobei der damalige Abdruck dieser friedlichen Kriegsdichtung so vollständig verschwunden ist, daß ich ihn sogar bei meinem Eigentum vermisse.

Wie freundschaftlich und freimütig Carl Maria v. Weber sich mir offenbarte, das wird klar aus dem hier eingefügten, gewiß der Bewahrung werten Briefe:


»Mein sehr lieber Freund!


Meine Sündenlast Ihnen gegenüber ist so groß, daß ich gar nichts mehr zu sagen weiß, mich zu entschuldigen,[319] und doch würden Sie selbst es thun, lebten Sie eine Zeitlang um und neben mir. Jedes ankommende Paket ›Gesellschafter‹ ist doch wieder ein Dolchstoß in die schuldige Brust, und wenn es mich dann oft juckt, mich auch als theilnehmenden Freund Ihnen zu beweisen, so hängen sich wieder die Verhältnisse bleischwer an den guten Willen und laßen ihn das nicht thun, was er doch nur halb thun könnte. Vergeblich habe ich den Sommer über gehofft, Sie hier zu sehen, und mich einmal recht ausplaudern zu können, aber es wurde nichts daraus, denn Sie sitzen auch fest bei Ihrer Kunstgeschäftigkeit, und Bewegung haben Sie genug in den Kämpfen mit Müllner, Pfeilschifter und anderer Gegnerschaft, die für Aufrichtigkeit verstockt und versteckt ist. – Meine Dienstgeschäfte und die damit verknüpften Dienstarbeiten haben mir seit zwei Jahren gänzlich die Freiheit genommen, für mich selbst zu arbeiten: fragen Sie nur meinen jammernden Verleger. Möge mir dies zum Beweise dienen, daß es wahrlich nicht an meinem guten Willen liegt, wenn ich nicht schon öfter meine Gedanken in Ihrem Blatte gelesen habe, sollte mir dann mein Namensvetter in Berlin auch noch hinderlicher werden. – Leid thut es mir von Herzen, daß Sie mit meinem guten Kindin Händel gerathen; wenn Sie ihn so kennten wie ich, Sie hätten gewiß seine Aeußerungen in der ›Abendzeitung‹, wenn sie auch ein Bischen schwer klingen, nicht so hoch aufgenommen und unerwiedert gelassen. Nichts für ungut!

Ihr hiesiger Correspondent ist ein lauer Herr. Dürfte ich doch ihn ablösen, aber ich kann es nun einmal nicht über mich gewinnen, Fäustchen im Sack zu machen, und müßte gar zu oft als Richter und Partei zugleich auftreten;[320] wer weiß, ob ich dann Recht hätte. Wenn mir's die Gegner gar zu toll machen, so trete ich einmal recht offen dazwischen, und da bleibt denn manchmal Einer auf dem Platze. So habe ich den saubern ehemaligen Berichterstatter musikalischer Seits in der ›Abendzeitung‹, den Buchstaben Cx., abgefunden, und eben jetzt habe ich in der ›Musikalischen Zeitung‹ Einem die Lanze vorgehalten auf seinen übeln Wegen. Daß man damit seine Zeit tödten muß! Aber es ist doch ein gräßlich Wesen mit dem Geschwätz um uns her, und mit jedem Jahre wird es ärger. Es bedarf nur, daß man den Vorlauten nicht den Hof macht, sie sich drei Schritte vom Leibe hält, um mit allen Chikanen hinterrücks angefallen zu werden, ohne daß diese Fehm-Kritiker um die Mittel verlegen sind. Was sie nicht finden, erfinden solche Buben und ihr Hirn scheint ihnen grade am vollsten bei Dingen, die sie nicht verstehen. Man möchte mit Füßen d'rein springen, wenn es sich nicht unter allen Umständen ziemte, daß der Kopf oben bleibt. Die Schreibfreiheit liegt bei uns noch hier und da in Nöthen, nur wenn es darauf angelegt wird, Männern, die redlich in ihrer Kunst vorwärts wollen, Leides zu thun, ihnen den Muth zu nehmen, da finden die Mieths-Federn kein Hinderniß, sollten sie auch alle Schranken umstürzen. Schriftsteller und Künstler, wenn sie Namen haben, denn die Ruhmlosen mit Koth zu werfen, lohnt weder an Honorar noch an Aufsehen, sind die Opfer, die den Krakelern an Stoff hingeworfen werden. Den Berlinern könnten Sie gewiß Mehrere solchen Gesindels nennen! – Lange genug war ich der Thor, alle Urtheile über mich lesen zu wollen, habe mich lange martern lassen von der Vornehmthuigkeit der Dummköpfe, von dem[321] ehr- und sinnlosen Gefall-Witz für den Pöbel, und von Redaktionen, die uns lieber unverdiente Schande anhängen, als mit Gerechtigkeit verkehren; jetzt aber laß ich mir meist all das Zeug nicht nahe kommen und befinde mich besser. Die Kritik muß seyn, und die strengste Selbstkritik reicht nicht immer aus, aber vom Gesindel ist nichts Gescheidt's zu holen; das sucht nur einen wunden Fleck, um d'rauf zu schlagen, und wer mit ihm umgeht, wird nichtsnutzig für Kunst und Leben. Des Goldes ist nun einmal nicht viel von den deutschen Bühnen zu holen; wenn sie Einem aber im Vaterlande noch das Bischen Ehre abschneiden, da möchte am Ende der Teufel ein Deutscher seyn!! – man möchte sich zum Fremden wünschen, um geltend zu werden in dem uns stiefväterlichen Vaterlande. – Der Deutsche im redlichen Streben hat stets in seiner Heimath Kämpfe zu überstehen! – desto mehr Frieden ist in meinem Hause, ich bin ein glücklicher Mann und, so Gott will, bald ein glücklicher Vater. Wenn's draußen stürmt und die Kerls mich oft abgehetzt haben, dann schüttle ich mich derb vor meiner Hausthür und trete in den Kreis, der mich Alles vergessen heißt, mir Alles ertragen hilft. Wie sehr freut es mich, auch Sie so glücklich preisen zu können. Grüßen Sie mir doch ja ihr trautes Hausfrauchen!

Wenn Ihnen mein Geschreibsel etwas rhapsodisch vorkommt, so wundern Sie sich nicht, denn ich habe Ihnen eigentlich so viel zu sagen, daß ich darüber zu nichts Ordentlichem komme: das deutsche Unwesen, Treiben und Vertreiben kann Einen in's Wirrige jagen. – Lassen Sie hübsch den nächsten Sommer den Freundes-Bringer seyn. Es ist doch ein ander Ding um ein[322] ordentliches Gespräch, als die Gänsekiel-Dolmetschung, auch wenn man sie nicht mit der wieder sehr gebräuchlichen diplomatischen Watte erstickt. – Alles gegrüßt von alten Bekannten und Freunden, besonders den braven Lemm, und zürnen Sie nicht zu sehr Ihrem herzlich ergebenen alten Freund


Dresden, am 14. Dez. 1818.

C.M.v. Weber.«


Hingewiesen sei auf ein paar Äußerungen dieses Briefes, des Verständnisses wegen. – Mit dem Namensvetter ist der Kapellmeister Bernhard Anselm Weber gemeint, doch weiß ich das An- und Bezügliche nicht genau zu erklären. Leitend aber kann sein, daß ich in meinem Bericht über die erste Darstellung des »Freischütz« (Gesellschafter 1821. Blätter 105 und 106) zu erwähnen hatte: »Wir freuen uns, daß der Graf Brühl schon vor mehreren Jahren einen – damals leider nicht gelingenden – Versuch machte, diesen, für unser Kunstleben so ganz geeigneten Komponisten, den Berlinern zu gewinnen. Mag dieser Versuch Hindernisse gefunden haben, der Wille schon bezeugt die richtige Umsicht und verdient herzlichen Dank.« – Was in dem mitgeteilten Briefe über Friedrich Kind gesagt ist, betrifft dessen Idyll: »Der Abend am Waldbrunnen«, nachdem es am 25. September 1818 auf die Berliner Bühne kam bei lärmendster Abwehr für immer. Gern berühre ich dabei das Tatsächliche nur nebenher, fühle mich aber nach dem »Gesellschafter«, Jahrgang für 1818, Blätter 157 und 185, noch jetzt hinsichtlich meines Berichts und der dann herausgeforderten Entgegnung in Recht und Maß, ohne daß dies meine Achtung für den Dichter Friedrich Kind schwächt.[323]

Schon im Jahre 1815 reizte mich Weber an, einen Operntext zu schreiben, wozu ich in mir keine Neigung hatte. Am 28. März benannten Jahres äußerte er in einem Briefe aus Prag: »Ich fühle eine erschreckliche Wut in mir, über eine Oper herzufallen, und ich bitte dringendst, mir bald etwas zu schicken.« Ich zagte und zögerte, weil ich mir nicht ausreichende Unterwürfigkeit für die Anforderungen selbst eines befreundeten Opernkomponisten zutraute. Bei nachfolgenden Gesprächen begriffen wir auch, daß unsere Ansichten über solch ein Bühnenwerk nicht die gleichen waren, obwohl nicht zu leugnen ist, daß ein Operntext der Art sein muß, um den Komponisten zum eigentlichen Dichter werden zu lassen. Weber beredete mich aber ausdauernd, bis ich eine »Märchenoper« schrieb, betitelt »König Alfred«, diesen Stoff wählend, weil dabei Geschichte und Sage ineinanderfließen. Die Vollendung dieses Versuchs hatte sich hingezogen bis anfangs 1825, und ich besitze davon nur zwei Akte; der dritte Akt ging verloren, indem ich dem Freunde zur Prüfung meine eigene Handschrift schickte, und nicht weiß, wo sie nach seinem, am 6. Juni 1826 in London erfolgten Tode geblieben ist. – Verhehlen will ich jedoch nicht, daß Weber auf viele Schwierigkeiten für den Tondichter hinzeigte, und vorherrschend eiferte sein hartnäckiger Widerspruch gegen eine Ouvertüre mit den, für den Zweck meines Grundgedankens zur Einleitung nötigen Chören der Engländer und Normannen. Endlich trat er einmal erhitzt und hastig in mein Arbeitsstübchen mit dem Zuruf: »Nichts geändert! wie sie ist hab' ich nun die Ouvertüre in meinem Kopf: sie muß zuerst heraus und gleich!« – Weiteres konnte ich darüber nie erkunden, und wende mich wieder zur frühern Zeit.[324]

Im Jahre 1820 und in erster Hälfte 1821 bemühten sich Weber und seine Freunde angelegentlichst um eine feste Stellung für ihn am Königlichen Theater Berlins; der Generalintendant Graf Brühl war damit einverstanden, starrer Gegner aber blieb der Generalmusikdirektor Spontini, der sich für seine Amtsstellung Unbeschränktheit verschafft hatte. Nachdem jedoch Weber sich bereit erklärte, als zweiter Kapellmeister unter Spontini zu stehen, war über die Berufung schon kein Zweifel mehr, wenn der angekündigte »Freischütz« gefiel. Der entscheidende, sehnlichst erwartete Abend blieb nicht aus, und – geringer Anlaß ward zum Behelf eines widerwärtigen Schicksals.

Am 18. Juni 1821, am Jahrestage des Sieges von Belle-Alliance, kam im Königlichen Schauspielhause Berlins zum erstenmal die Oper: »Der Freischütz« auf die Bühne, unter Webers Leitung. Die Dichtung von Friedrich Kind ist, mag man auch Mängel nicht ableugnen, eine vortreffliche aus der Wahnwelt, die als Gebilde des Volksglaubens das beste Gebiet ist für Sang und Klang: denn im Wesen des Wirklichen kann uns die Oper nur Abweichung vom Wahren sein. Die Aufnahme des »Freischütz« war ein vom vollsten Entzücken erfülltes Anerkennen, alle Zuhörer fühlten sich davon durchdrungen, daß sie für ein höchst gelungenes, echt deutschgemütliches Werk zu danken hatten; es wäre der glückseligste Abend für Weber gewesen, wenn nicht ein vorwitzig unbesonnener Freund zum Störenfried wurde. Am Schluß der Darstellung, während des Jubels, der nicht enden wollte, der immer wieder nach dem Meister rief, flogen von hier und dort in Menge Blätter hernieder mit Versen, die neben dem Lobpreisen [325] Webers sehr derbe Ausfälle gegen Spontini enthielten. Nun verwandelte sich plötzlich die Wonne des Gefeierten in Weh und Trauer, da er, wie jeder, dem die Verhältnisse und die Macht Spontinis bekannt waren, sich sagen mußte: nun ist die seit lange gewünschte Einheimung in Berlin nicht mehr zu hoffen. – Nach der Vorstellung des »Freischütz« wollten Webers Freunde ihm ein Fest bereiten; wir versammelten uns in dem vorzüglichsten Gasthofe Berlins, Weber und seine Gattin hatten wir als Ehrengäste geladen. Es herrschte aber nach der dem Paare entgegenschallenden, von dem unangenehmen Ereignis auch schon gedämpften Begrüßung eine schauerlich düstere Stimmung, und der nun in seinem Lieblingsplan für die Folgezeit verarmte Meister, sichtbar selber tiefinnerst bedrückt, gab sich alle Mühe, unaufhaltsame Tränen seiner Frau, die mit überströmendster Freudigkeit an ein Zukunftsleben in Preußens Hauptstadt schon fest geglaubt hatte, zu stillen. So saßen wir denn alle beklommen bei Tische, jeder Anschlag, die Unterhaltung zu beleben, mißlang, und die Sänger, willens, nur Lieder Weberscher Komposition vorzutragen, wurden scheu. Da kamen Rungenhagen (nachmals Direktor der »Singakademie«) und Professor Lichtenstein zu mir, mich heimlich fragend: ob es mir nicht möglich sey, durch ein paar Gelegenheitsverse den finstern Geist um uns her verscheuchen zu helfen. »Er liegt auf mir wie auf euch, ich will's aber versuchen!« antwortete ich, und ging in ein Nebenzimmer, wo ich, mit Hindeutungen auf den »Freischütz«, das hier Folgende schrieb:
[326]

»An Carl Maria von Weber.

Ei, du immer wack'rer Schütze,

Hast den neuen Schuß getan!

Und der Preis ist fest're Stütze

Auf der schwanken Künstlerbahn.

Denn kein Freischuß ist's geworden,

Nicht ein Knall ins Blau hinein,

Um die edle Kunst zu morden:

Künstlers Ziel muß sicher sein.


›Sechse treffen, sieben äffen!‹

Doch du lachst der bösen Zahl,

Fehlen mögen Hinz und Steffen,

Du triffst richtig jedesmal;

Und du treibest nicht pedantisch

Mit den eitlen Namen Scherz,

Sei's ›heroisch‹, sei's ›romantisch‹,

Hier gilt's eines nur: das Herz!


Wirfst du nieder krit'schen Spott,

Nirgend fasset dich der Teufel,

Denn ihm wehrt dein inn'rer Gott.

Hätt' auch Groll, das Modelaster,

Schon die Federn eingetunkt:

Lust ist's, bringen Kritikaster

Manchen falschen Kontrapunkt.


Des Apollo Beistand sicher,

Feierst du auch en avance –

So wie einst der alte Blücher –

Heut den Tag von Bell-Alliance.

Und nun laß dich nimmer äffen,

Nie sei dir der Mut geraubt:

Kannst du öfter noch so treffen,

Sinkt der Lorbeer auf dein Haupt.«


Rungenhagen hatte mich im Versmaß geleitet zu einer Melodie, die sich dem Vorhaben, nur Kompositionen[327] des Gefeierten zu singen, aneignen ließ. Mein Stegreiflied wurde von einem ausgezeichnet Stimmbegabten nach Weberschen Noten gesungen, und dies Zwischenspiel wirkte über Verdienst so günstig, daß es war, als sei ein Alp von der Gesellschaft abgefallen, und die eingekehrte Heiterkeit erhielt sich bis lange nach Mitternacht. – Zu den Gästen gehörte auch Hellwig, Regisseur des Dresdner Hoftheaters; er schrieb jene Verse hastig in die Brieftasche, und bald erschienen sie in der »Abendzeitung«. Sie waren jedoch nur flüchtig etwas nützend, denn von der Hoffnung Webers und seiner Freunde, ihn in Berlin zu haben, mußte man sich völligst trennen. Die Erfüllung war so nahe, nun aber verjagt durch eine gut gemeinte und übel ausgeführte Verherrlichung für Weber, dem ein Erniedrigen Spontinis unter allen Umständen zuwider sein mußte, auch wenn es nicht, wie es jetzt geschehen, seinem innigsten Wunsch zum unüberwindlichen Hindernis wurde. –

Es wird im April 1826 gewesen sein, als ich Weber zum letztenmal sah. Auf der Reise nach London, um dort seine Oper »Oberon« in Szene zu setzen, kam er für einen Tag nach Berlin; wir trafen uns bei einem Mittagsmahl, das die Eltern Meyerbeers veranstaltet und die nächsten Freunde um ihn versammelt hatten. Sein Anblick, die offenbarsten Zeichen seines höchst gesteigerten Krankheitszustandes – er litt an Hals und Brust – erschütterten mich schon. Als er dann von seinem Leiden sprach, ich ihn darüber beruhigen wollte, entgegnete er mir: »Lieber Freund, ich erwerbe in London ein gut Stück Geld, das bin ich meiner Familie schuldig; aber ich weiß, ich gehe nach London, um dort zu krepieren!« Ich kann es nicht umgehen, seine eigenen Worte[328] zu gebrauchen; aber mit welchem schmerzlichen Entsetzen sie mich durchzogen, kann jeder sich denken. Was ich erwiderte, ist meinem Gedächtnis entschwunden, die Festigkeit des Ausdrucks in seiner Rede hatte mich erschreckend überstürzt. Bebend schritt ich im Saale neben ihm hin und her, tröstete mich erst in späteren Stunden, nachdem sich Weber geistig und scherzend belebt hatte, ich nun meinte: jener Ausspruch sei Schwarzseherei vorübergehender Mißstimmung gewesen. Daß er aber mit der grabesdüstern Ahnung im richtigen war, erwies sich bald: in London schickte ihm Gott plötzlich einen milden Tod.

Das frühe Hinscheiden Webers hat in weitem Umfange tief schmerzlich berührt, und daß ich nicht glauben konnte, wir würden ihn zu betrauern haben, ehe er vierzig Jahr alt war, bezeugt sein letzter Brief an mich, der, fünfzehn Monate vor seinem Tode, nicht die geringste Andeutung von Krankheit, eher volle Lebensfrische bescheinigt, was der hier sich anschließende Abdruck des Briefes bestätigen wird.

»Ja wohl eine Ewigkeit ist es, mein sehr lieber Freund, daß wir uns nicht geschrieben haben. Wie das so armen geplagten Geschäftswesen eben geht! Trotz Lust und Willen kommt man nicht dazu, ohne bestimmtes Muß mit seinen Freunden zu plaudern. Da Dresden immer der erste Ausflug der Berliner ist, so hoffte ich stets, die freundlichen Elbufer sollten auch Sie mit dem holden Weibchen hierher locken; aber da sitzt Er und dichtet, und ordnet, und schreibt, und schnitzt, und schweigt.

Lassen Sie sich doch einmal verführen! Wollen's Ihnen so heiter als möglich hier machen. Diesen Sommer finden Sie mich gewiß, da meine englische Expedition erst gegen den Winter vor sich gehen kann. Ich wäre[329] gern auch einmal wieder zu Euch gerutscht, so lange aber der Y-Ritter da haust, kann ich nicht; ich möchte nicht gern den Componisten der ›Vestalin‹ ignoriren, mit Herrn Spontini kann ich aber nichts zu schaffen haben, und da ist's besser, man bleibt weg.

Hier zum Eintragen die verlangten Akte des Alfred.1 Bald, mein theurer Freund, wird man keine Oper mehr für Deutschland schreiben können, und zwar wahrlich nicht des so sehr empfänglichen und lohnenden Publikums willen; aber die Directionen und der privilegirte Diebstahl –! Es wäre gewiß unterhaltend zu lesen, wenn ich meine gemachten Erfahrungen in diesem Punkt einmal der Welt erzählen wollte: man würde glauben, ich hätte mich in's Fach der Mährchen-Erzähler geworfen. – –

Herzliche Grüße von Frau an Frau und meine an Frau und Mann. Gott erhalte Euch und die Euren gesund, und behaltet ein bischen lieb den alten treu ergebenen Freund Weber.«

Dresden, d. 27. Februar 1825.


Keineswegs zu verargen ist es unserm deutschen Tondichter, daß er hinsichtlich der Umgangsverhältnisse nur Abneigung hegte für den »Ypsilonsritter« Spontini; denn jener hatte es mit einem steten Gegner zu tun. Er wollte auch die Oper »Euryanthe« abweisen, nur durch Kämpfe konnte Graf Brühl die Annahme bewirken, aber erst, als diese Oper, mit Hilfe der Dichterin, Helmine v. Chezy, einen Zufluchtsort in Wien gefunden hatte. Der Widerstand Spontinis blieb sogar nach dem Tode Webers noch so beharrlich, daß dessen Familie die Rechte zur Benutzung der Oper[330] »Oberon« dem »Königstädtischen Theater« für 800 Taler mit der Verpflichtung einer »Tantieme« an die Erben überließ, Brühl nun diese Rechte vom benannten Theater mit dessen Entschädigung ablösen mußte.

Carl Maria v. Weber, ein Märtyrer deutscher Zustände, ruhe in Frieden! Mir war er ein echter Freund, das sind zwei gewichtige, nicht oft anwendbare Worte. Bei reichem Gemüt und traulicher Herzlichkeit hatte er eine Fülle von Stoff in sich zu geistiger Unterhaltung, hatte Gesinnung, durchweg redlich: frisch und frei ließ sich mit ihm umgehen. – Jetzt wird man ihn in seinem Geburtslande, wo es ihm nicht gegönnt war, seine Seelenkräfte völlig zu erweisen, jetzt wird man ihn weiter verbreitet lieb und wert halten, überall, wo kunstsinnige Empfindung heimisch ist.

Erst da ich dies schrieb, hat die erforderliche Umsicht mir gezeigt, daß Weber mehr, als ich wußte, von meinen Gefühlsgaben komponierte; ich zählte außer den Liedern zu dem Schauspiel »Bei Leipzig« noch zehen, habe also dem Freunde nachträglich dafür zu danken, was hier aus vollstem Gemütsdrange geschieht mit der Hoffnung: »Auf Wiedersehen!«

Meine Erinnerungen an Carl Maria v. Weber verbinden sich mit denen an Helmine v. Chezy, die jener in meinem Familienkreise kennen lernte, und sie aufforderte, ihre Erzählung »Euryanthe« (1823 im Verlag der Vreinsbuchhandlung erschienen) zu einem Operngedicht umzuschaffen, wie es dann geschah, nachdem sie schon seit dem Jahre 1811 mit einer solchen Verwandlung dieses Stoffes sich beschäftigt hatte. In seltsamer Weise kam ich in nähere Verbindung mit ihr, die, vom frühsten Bewußtsein an verkehrt freiheitswahnlich ge–[331] leitet, bei schätzenswertem Verstande unter herzlicher Zutulichkeit mit bestem Willen meist auf irrigem Wege, demnach auch stets fern war von innerem Frieden. Sie selbst sagt in mir überlassenen Mitteilungen aus ihren Jugendtagen: »Es gibt zwei Arten der Zuversicht, davon die eine Eitelkeit erzeugt, die andere sich auf das Bewußtsein inneren Reichtums und aller aus den Stürmen und Schiffbrüchen des Lebens geretteten und in ihnen bewährten echten Güter begründet. Wehe dem, der wie ich haltlos bleibt, nachdem die erste, chimärische Stütze, geknickt von der Erfahrung, im Staube liegt, und nicht Mut und Kraft hat, sich eine wirkliche aufzubauen. Ich darf es zu meiner Entschuldigung sagen, daß diese Eigenliebe und Eitelkeit erst von außen in mich hineingekommen, und daß der Keim davon in meiner Kindheit durch unvorsichtige Äußerungen in mir geweckt wurde; indes kann ich nicht beurteilen, ob ich nicht in so manchem schönen Beispiel und aus mir selbst die Kraft hätte schöpfen sollen, sie zu besiegen.«

Von solcher Kraft, Zustände oder auch nur Stimmungen zu überwinden, ließ sich bei Helmine v. Chezy wenig spüren, eher begreifen, wie es sich eingefunden habe, daß eine Vermählte in ihrem siebenundzwanzigsten Daseinsjahre vom ersten Manne geschieden war, und vom zweiten weitab getrennt lebte. Dennoch hatte man sie zu bedauern wegen ihres Mangels an Selbstbeherrschung, wie ich dies, nach einer durch sie bewirkten, bereits seltsam genannten Näherung, mehrmals empfinden mußte. Schon im ersten Bande dieser Aufzeichnungen ist erwähnt, daß ich auch noch als Gatte, für die schriftstellerischen Abendarbeiten, einstweilen mein Räumchen in einem Hause dicht am Tiergarten beibehielt, und[332] Frau v. Chezy bewohnte mit ihren beiden Kinderchen als Nebenmieterin ein Zimmer im Hause gegenüber. An einem Januarabend des Jahres 1817 sandte sie mir dringendst die Bitte, daß ich zu ihr kommen möge. Bis dahin hatte ich sie nur ein paarmal gesehen bei Besuchen, die ich von ihr empfing nach ihrer Ankunft in Berlin; die Schicklichkeit gebot aber jedenfalls, einer Frauenbitte gehorsam zu sein, und was fand ich? – eine Verzweifelnde! Es war ihr Geburtstag, und ihn hatte sie benutzt, sich mit Vorwürfen über ihre Vergangenheit so zu martern, daß sie, in Tränen aufgelöst, mir entgegen rief: »Retten Sie mich aus meiner Hoffnungswüste!« Und nun überstürzten sich die Selbstanklagen dermaßen, daß ich anfangs gar nicht zur Rede kam, auch nicht sogleich wußte, wie hier anzufangen sei. Ihre schrankenlose Aufregung ermattete allmählich, und ich sagte nun: »Die überreizte Dichterin, Frau Helmine v. Chezy, scheint mich als ihren Beichtvater zu betrachten; ich kann Ihnen aber weder eine Büßung zuteilen, noch Sie freisprechen: dies vermag nur die Zukunft, und im Verständnis mit ihr geschieht es gewiß, wenn sich Ihre jetzige überspannte Einsicht mit besonnener Vorsicht waffnet.« Das Gespräch wandte sich nun zu mancherlei Einzelheiten, und es ergab sich Gelegenheit, ihr zu entwickeln, daß sie im Ausschweifen des Sinnens und der Gefühle sich abmatte, und dies auch in ihren Geständnissen nicht verleugnet habe. Es währte jedoch lange, ehe ich den Scherzton zu Hilfe nehmen durfte; dann aber brachte ich Frau v. Chezy aus dem Weinen zum Lachen, wonach ich endlich versicherte: ich stände zur Verwandlung ihrer etwas arg unbegrenzten Mißhelligkeit zu klarem Betrachten weiter zu Dienst,[333] wenn sie für solchen Zweck sich vertrauend mir zuwende. Das tat sie auch, und da sie nicht im Reichtum, auch nicht sonderlich sparsam, mithin zuweilen in Nöten war, fand ich ihr einen Weg zu schriftstellerischem Erwerbe. – Jener leidenschaftliche Sturm und seine Beschwichtigung hatte sich aber bis nahe zur Mitternacht hingezogen, nach Glückwünschen zu angenehmeren Geburtstagen haftete ich dann hungrig und durstig mich heim zu meiner liebenswerten jungen Frau, die infolge meiner verspäteten Einkehr voller Beängstigung war.

Wie gemütlich aber seitdem Frau v. Chezy für mich gesinnt wurde, dies offenbarte sie deutlich wenige Wochen nachher an meinem Geburtstage, nur im Familienkreise sparsam gefeiert: denn zu Festmahlen fehlten Mittel und Neigung. Als es schon dunkelte, war jedoch eine Kunde vom einstigen Beginn meines irdischen Lebens zu Helminen gedrungen, auch wir waren bei unserer Hausmannskost schon bis zum Nachtisch vorgerückt, da klingelte noch eifrigst ein Bote, und brachte ein sichtlich eilfertigst beschriebenes, mit geschwinden Verbesserungen durchwebtes, mir aufbewahrtes Gedicht.

Beabsichtigte irgend jemand, das Einordnen dieser Tatsache als Ausfluß von Eitelkeit anzurechnen, ist darauf hinzuzeigen, daß die Verfasserin selbst ihr Erzeugnis Dichtung genannt hat. Jetzt soll es nur erinnern helfen an jene, ihren Bildungsgang beherrschende Vorzeit, die sich noch mit Martin Millers »Siegwart« und Goethes »Werther« in Zerfahrenheit schwärmte, weil man das Herz im Überschwang von der Mitwirkung des Kopfes befreien wollte, was nur Ruhelosigkeit befördert. Dazu war Frau v. Chezy seit ihrer Kindheit verführt durch die zweimal geschiedene Großmutter[334] Anna Luise Karsch (nach sonstiger Gebräuchlichkeit in Karschin verwandelt), dann von der Mutter, Karoline Luise, geborneKarsch, nach erster Ehe vermählte Freiin v. Klencke, die, auch zweimal geschieden, mit dem nun spukenden Adelsgelüst ihre Tochter Helmine in Unheil jagte, in das erste, rasch geschiedene, und in das zweite, bald nur in Trennung bestehende Ehebündnis.

Seltsam kann es sein, daß die Großmutter auf ihre Tochter und ihre Enkelin die Gabe der Dichterei vererbte, aber – ohne hier deren Leicht- oder Tiefhaltiges zu wägen – eben deshalb wird es minder seltsam, daß alle drei Frauen Mangel hatten an Eigenschaften, die das Eheband vor dem Zerreißen schützen. In der Karsch in war weder weibliches noch hauswirtschaftliches Wesen; was sie nicht hatte, konnte sie nicht geben, und ihre Nachkommenschaft wußte es nicht zu erwerben. – Die Mutter der Helmine v. Chezy ist mir persönlich unsichtbar geblieben, nur das Berliner Gerede über sie habe ich noch gehört; ich gedenke eben nur der Tochter etwas umständlicher, und bezeichne sie kurzweg als »burschikos«; sie ähnelte diesem Ausdruck auch insofern, als er halb deutsch-, halb fremdsprachig ist: denn ihr Gesamtes hatte nächst deutschderber Vorlautigkeit den leichtfertigen französischen Anstrich. Ein wenig ihr Behaben zu schildern, wende ich die Zurückschau wieder auf die Sendung für meinen Geburtstag. Wir junges Ehepaar meinten, jene Verse enthielten ein Etwas von Andeutung, daß Helmine Gastfreundschaft wünsche. Sie wurde zu einem Abend in unsere Häuslichkeit eingeladen, kam, hatte beide Kinder bei sich, verweilte bis über Zwölf, und bat dann, sie zu beherbergen, da sie[335] jetzt unmöglich allein mit »ihren Bübchen« nach der Wohnung im Tiergarten gehen, auch nicht zulassen könne, daß ich sie – wie ich wollte – in der Winternacht dorthin begleite. In Hinsicht auf die Schlafstätte äußerte sie bescheidene Ansprüche, und es war keine andere Aushilfe: in unsrer sogenannten Putzstube mußte auf der Diele ein Schlaflager bereitet das dazu Erforderliche in unsrer nicht mit Überfluß begabten Einrichtung zusammengeholt werden. Am Morgen und Mittag hatten wir die Beherbergten als Gäste, die sich dann gegen Abend verabschiedeten. Nur noch einmal tummelte sich in unsrer Wohnung gleiche Verstörung, denn noch in erster Hälfte des Jahres 1817 zog die, eigentlich nirgends heimisch gewordene Frau nach Dresden, um dort bequemer über die »Curvanthe« mit Carl Maria v. Weber einig zu werden. – Jedenfalls ist es bedauernswert, daß Helmine v. Chezy von der Kindheit an in Unweibliches und Wirriges getrieben war, denn all ihr Abenteuerliches ließ sich vergessen bei ihrer Gutmütigkeit und Beeiferung für Menschenwohl. Unzweifelhaft sind aber die Großmutter, deren Tochter und Enkelin geeignet, um dem schönen Geschlecht warnend zu beweisen, daß eine zu weite Verirrung in Schriftstellerei, oder in mancherlei Manneswerk, der Liebenswürdigkeit sehr gefährlich ist.

Um im Aufzeichnen meiner Erlebnisse mit dem »Den von Weißenfels« mich völlig abzufinden, muß ich noch einer Frau gedenken, die auch durch ihn zu dulden hatte, und daran erinnern, es werde schon im Anbeginn bei den Mitteilungen über Müllner aus einem seiner Briefe erfaßlich, er habe Groll gehegt gegen Therese Huber, die damals bei der Redaktion des »Morgenblatt«[336] tätig war. Daß ihn die würdige Frau – von Goethe »die treue und in vieler Hinsicht schätzenswerte Gattin Hubers« genannt – richtig beurteilte, ohne die Wertseite seines scharfen, leider vom Dünkelstolz verwickelt durchbitterten und durchätzten Verstandes abzuleugnen, werden Briefe von ihr bezeugen. Die inhaltreiche Lebensgeschichte der Therese Huber sei hier nicht in Länge gezogen, es genügen wenige Andeutungen, um ihre, durch Wissen und Erfahrung erwiesene Berufstätigkeit zu schriftstellerischem Einwirken glaubhaft zu finden.

Sie war die Tochter des umfangsweit gelehrten und mannhaft trefflichen Gottlob Heyne in Göttingen, hatte im Elternhause, wo Herder, beide Stolberg, Bürger, Voß, Boje, Dohm, Brandes und noch mehrere geistig Ausgezeichnete sich gesellig zusammenfanden, mannigfache sinntiefe Eindrücke empfangen. Zweimal verheiratet an Namhafte, Georg Forster und Ludwig Ferdinand Huber, wurde sie mit schweren Schicksalen vertraut, und mußte sich zuletzt völlig durch eigene Kraft, durch umsichtiges Bestreben vor der äußersten Not retten. Das hat sie getan nach dem Tode ihres zweiten Gatten in den Jahren 1805 bis zu ihrem Lebensende.

Mit Therese Huber nie persönlich bekannt geworden, schickte ich ihr, in Achtung ihrer mutvollen Selbsthilfe gegen mannigfache Bedrängnisse, auch neben der Sorge für den »Gesellschafter« noch zuweilen Beiträgliches zum »Morgenblatt« bis zum Jahr 1823. – Ihre Ansicht über den »Den von Weißenfels« blieb dauernd unverändert, und das Übersinnliche in uns könnte davon angeheimelt werden, daß beide im Juni Monat[337] 1829 starben, Therese Huber vierzehn Tage später als Müllner: doch hatte sie das Glück, schon fast vier Jahre vorher von ihm befreit zu sein.

Vor meinen zur Vergangenheit bis in das Jahr 1817 hingewendeten Blicken steht nun ein durch Geist, Verschrobenheit und Selbstverwüstung ausgezeichneter Dichter, Christian Grabbe. Er schrieb am 22. Dezember 1827 aus Detmold unter anderem:

»Vielleicht erinnern Sie sich meiner noch aus früherer Zeit, wo ich durch ein Drama, namens Gothland, und durch Heinrich Heine und Köchy bei Ihnen introduziert wurde. Dieser Gothland und mehrere andere Stücke sind nun gedruckt, und hoffe ich, daß Sie in Ihrem gediegenen ›Gesellschafter‹ eine Erwähnung darüber ergehen lassen werden. Diese Erwähnung falle aus wie sie wolle, ich werde mich schon an sich dadurch geehrt fühlen.«

Bezüglich ist dies auf die zwei Bände »Dramatische Dichtungen« von Grabbe, und rasch veröffentlicht wurde eine umständliche Beurteilung (»Gesellschafter« 1827. Bl. 205), eingeleitet mit folgendem:

»Eine neue, roh-prachtvolle, ungebändigte, ungeregelte, von Kraft übersprudelnde, an den alltäglichsten Schwächen leidende, mit dem Scheitel den Himmel berührende und mit den Füßen den gemeinsten Schlamm aufrührende, auf jeden Fall aber, bei aller ihrer vorläufigen Unanwendbarkeit, bereits die, heutigen Tages so laut zwitschernde und gackernde poetische Brut adlergleich überflügelnde Natur zeigt sich in den ›Dramatischen Dichtungen‹ des bisher ganz unbekannten, plötzlich unter unsern jungen Dramatikern auftauchenden Hrn. Grabbe.« – Von seinem Talent, wenn es sich[338] läutere, wird am Schluß dieser Beurteilung Großes erwartet.

Am 7. März 1828 erhielt ich in einem mannigfaches berührenden Briefe von Grabbe die Benachrichtigung:

»Auf Mittensommer hoffe ich die Tragödie ›Don Juan und Faust‹ in fünf Acten zu vollenden; sie ist der Schlußstein meines bisherigen Ideenkreises, und wird (Dank für Ihren Rath!) gleich allen meinen künftigen Werken bühnenrecht. Dann binde ich mich an die Geschichte, und zwar an das Studium und die Begeisterung meines Lebens, an den deutschen Dramen-Cyclus ›Die Hohenstaufen‹. Wie ein mächtiges Alpengebirge steht dieses Werk im fernen Blumenduft vor meinem Geiste, und zieht mich wunderbar an mit seinen Felsenhöhen.«

Die Tragödie »Don Juan und Faust« ließ den Wärmegrad in den aufjauchzenden Erwartungen schon sehr sinken; der lange Bericht darüber (»Gesellschafter« 1829. Bl. 78) beginnt mit der offenbarten Einsicht:

»Man soll nichts übertreiben in der Welt, auch die Anerkennung des Guten nicht; – eine Regel, an sich selbst klug und vernünftig, und in Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit menschlicher Natur – sollte man meinen – leicht zu befolgen. Indessen trifft es sich doch, daß das Herz mit dem Kopfe, oder der Kopf mit dem Herzen davon rennt, und so etwas mochte der Fall gewesen sein, als wir (1827) nach Durchlesung der ›romantischen Dichtungen‹ (?) uns der freudigen Hoffnung überließen, Hr. Grabbe möchte dereinst einer der glänzendsten Sterne werden an unserm so lichtarm gewordenen dramatischen Himmel.« – Es ist ihm gelungen,[339] uns einige kritische Schamröte in die Wangen zu treiben über unser Vergessen der nötigen Behutsamkeit beim ersten Auftreten literarischer Neulinge – eine Behutsamkeit, die der zeitgemäßen Kritik wohl ansteht.

Nach umfassend prüfender Betrachtung der Tragödie »Kaiser Friedrich Barbarossa« ist dann etwas über ein Jahr später schließlich zu lesen:

»Hr. Grabbe wird entweder leicht fertig mit großen Stoffen, oder er behandelt große Stoffe leichtfertig. – Wir sehen die Hauptpersonen nicht tätig in ihrer Zeit und von ihren Stürmen ergriffen, sie treten reflektierend auf und reden über sich, ihre Verhältnisse und die Zukunft, wie es allenfalls ein Historiker kann, der tausend Jahre später lebt. Sie sprechen im Charakter des Dichters, statt daß der Dichter in den Charakteren seines Drama sprechen sollte, urteilen so vernünftig über ihren Wert, ihre Stellung und Zeit – – warum nimmt sich der Dichter nicht ein Beispiel an seinen eigenen Geschöpfen?« (»Gesellschafter« 1830. Bl. 80).

In jenem richtigen Hinweisen war derzeitig auch ein schöner Anhauch zu spüren von dem Rat, Grabbe möge prüfend in sich gehen. Denn während jener Zeit vom Jahre 1822, von dort an, als Grabbe sich mir durch Vermittlung von Heinrich Heine und Karl Köchy nahte, wurde sein überströmend glutdichterischer Geist leider fortdauernd vertrauter mit der Trunksucht. Dies Unheil und dessen Einwirken berührt er selbst wie unbewußt in brieflichen Andeutungen, zum Beispiel:

»Ich bin Auditeur, Advokat, Dichter, habe in allen drei Sachen viel zu thun, lebe aber doch gern wüst und träge; dabei die unruhige Natur, die mich keine zwei Stunden schlafen läßt.« – »Ich habe gestern den Wagen[340] zerschmettert, die Pferde fast zermalmt, und liege heute krank!« –

Solches Geständnis, und doch kein Herausretten, keine Erhebung aus grauenhaftem Abgrund! –

Fast unglaublich scheint es, daß ein Mensch, so voll von bedeutsamer Fähigkeit, so leer sein konnte an Macht, sich zu beherrschen, um nun Knecht zu werden einer so schimpflich niedrigen Leidenschaft! – Ich mag dies Jammerbild in seinen Ausschweifungen nicht bis zur Vollständigkeit leibhaft schildern, bemerke nur noch, daß ich ein paarmal von dem Schreckensanblick und den Folgen dieser, den Manneswert selbstmörderisch entwürdigenden Trunkwut erschüttert worden bin. – Nachdem dann Grabbe, ursprünglich begabt mit kräftiger Körperlichkeit, gestorben war, noch nicht fünfunddreißig Jahr alt, hatte ich gegen sehr haltungsloses Zeitschriftgeschwätz in meinem Bericht zu äußern:

»Die Zeitschriften füllen sich mit Klagen darüber, daß ein so genialer Dramendichter bei dem jetzigen Zustande der deutschen Bühne notwendig mit sich und der Welt zerfallen mußte, und demnach nur in trauriger Weise habe enden können. Nun ist es zwar nicht möglich, die Theaterverwaltungen Deutschlands durchweg in Schutz zu nehmen, denn es gibt erstens deren manche, die für Originalwerke entweder gar keine, oder nur eine höchst kümmerliche Summe auf dem Jahresetat haben, und zweitens weisen die meisten alles zurück, was nicht den gewöhnlichen Effektzuschnitt hat. So kommt dann selten einmal ein Stück zur Aufführung, das vermöge seiner Originalität sich nicht dermaßen handhaben läßt, um nach raschem Auswendiglernen die Schauspieler in höchstens drei, oft nachlässigen Proben so weit eingeschult[341] zu wissen, daß sie im Vertrauen auf ihre Routine vor dem Publikum erscheinen dürfen. Andernteils gibt es aber doch Ausnahmen, wie wenige es sein mögen, und wenn auch die für die Originalität nachgiebigen Bühnendirektionen die Grabbeschen Dramen nicht anfassen wollten, läßt sich ihr gerechtes Bedenken dabei nicht wegleugnen. Hat doch selbst Immermann, der für Grabbe, wie es scheint, sich in den letzten Jahren interessierte, in Düsseldorf bisher noch keines von seinen Dramen auf die Bühne gebracht, und wir kennen auch keines derselben, das nicht große Schwierigkeiten bietet, bedeutende Umänderungen notwendig macht, und auch dann noch nur einen zweifelhaften Erfolg erwarten läßt. Zur Bühnenverwaltung gehören Erfahrungen, welche jugendliche Brauseköpfe, wenn sie ein Gedicht lesen, das ihren unbegrenzten, überhaupt aber unbestimmten Ansichten zusagt, kaum ahnen, an die sie noch viel weniger glauben können, vielleicht auch nicht mögen, weil ihnen mehr daran liegt, ihren pikanten Ton beizubehalten, als sich, eines Besseren belehrt, zur Ruhe zu bringen. Dergleichen Ansichten sind es aber, welche die zum dramatischen Gedicht wahrhaft berufenen Talente für die Bühne doch zuweilen ganz unergiebig machen. Grabbe trat mit seinem ›Herzog von Gothland‹ auf. Er brachte das Manuskript Vielen, bracht' es auch dem Verfasser dieser Zeilen. Wer das Ausgezeichnete der Dichtung nicht erkannt hätte, dem dürfte man Sinn für Genialität absprechen, und doch, zur Aufführung war nicht zu raten. Obwohl poetische Ausbrüche in Fülle vorhanden, fehlt dem Stück den noch alles, um es selbst einem besseren Publikum zu gehörigem Verständnis zu bringen; es kann da zwischen Dichtung und Zuhörern keine Erwärmung[342] gedeihen, denn fühlen diese in dem einen Moment sich erhoben, in dem nächsten werden sie herabgestürzt aus ihrem Entzücken, und abwärts wendet sich der sittlich durchgebildete Sinn, der bei dem Willen gänzlicher, gläubiger Hingebung sich mit einem geistigen Taumel abfinden müßte. Grabbes Produktionen entstanden aus der Genialität und dem Gemeinen; er hätte dieses überwinden, jene reinigen können, wenn seine Freunde ehrlich mit ihm umgingen, oder ehrlich mit ihm umzugehen verstanden hätten. Statt ihm den Weg zu zeigen, wie er sich in die Eintracht mit seiner Zeit hätte hineinleben können, priesen und bedauerten sie ihn, wie er eben mit seinen Gaben so ganz und gar keine zutuliche Gegenwart treffe, und Grabbe, anfangs fast bewußtlos in seiner rohen Genialität, ward sich ihrer bewußt, ohne die Roheit von sich zu tun, ohne seine kindlichen und kindischen Schwächen bewältigen zu können. Denn er war gegen sich und andere zu gutwilliger Mensch, in welchem von Selbstbeherrschung keine Spur vorhanden, und will man nicht etwa den Eigensinn, sich nirgends bequemen zu wollen, für Charakter nehmen, so darf man sagen, er hatte recht eigentlich gar keinen, wurde von dem aufgestachelten Ehrgeiz so zu Grunde gerichtet, daß er zuletzt mit allem auch sich selber aufgab. Indem man nun kurzab urteilt: ›er war mit seiner Zeit zerfallen‹, spricht man auch das Härteste aus über seinen moralischen und geistigen Widerstand. Ein Zerfallen mit seiner Zeit, aus dem Grunde, weil man diese Erhebung nicht fähig erachtet, ist nichts als das Aufgeben eines notwendigen Kampfes, womit man sich selber für die Zeit zu befähigen hat, nichts als ein beschönigtes Erliegen. Die Empfänglichkeit für wahrhaft Treffliches[343] fehlt nie, wo aber Verschrobenheit und Eigensinn erscheinen, selbst mit der Genialität verbunden, wird höchstens der Gleichgestimmte erweckt, die allgemeine Teilnahme jedoch verfehlt. Dies war das Los Grabbes, eines höchstbegabten Dichters, der jedoch an seiner zur Starrheit gewordenen Schwäche, in welcher ihn einige sogenannten Freunde bestärkten, frühzeitig unterging.« (»Gesellschafter« 1836, Bl. 173.)

Weil mein Bekanntwerden mit Christian Grabbe eingeleitet wurde von Heinrich Heine, will ich gleich diesen, der auch ein jugendlicher Ausschweifling war, deshalb dann lange Marter zu erleiden hatte, meinem Gedächtnis herbeiführen.

An einem Tage des zweiten Vierteljahrs 1821 stand ein junger Mann vor mir, fragend: ob ich Gedichte von ihm aufnehmen wolle, und ich empfing schön geschriebene »Poetische Ausstellungen«.

Da ich ehemals die mir oft und wahrscheinlich gebührend als Vernachlässigung angerechnete Gewohnheit hatte, Fremde, die ihren Namen im Gespräch nicht voranschickten, danach unbefragt zu lassen, sah ich nach der Unterschrift und las: »H. Heine«.

Auf meinen Wink hatte er sich gesetzt, und da er das Wenden seiner Handschrift bemerkte, sagte er: »Ich bin Ihnen völlig unbekannt, will aber durch Sie bekannt werden.« Ich lachte, erwiderte: »Wenn's geht recht gern!« und las dann lautlos etliche Verse. Heine selbst brachte mir mehrmals diese erste wortkarge Zusammenkunft in Erinnerung, und wie ich endlich nur noch geäußert hätte: »Kommen Sie gefälligst nächsten Sonntag wieder!« – Begreiflich konnte ich nur wenige[344] Verse gelesen haben, es waren folgende, das Gedicht: »Der Kirchhof« beginnend:


»Ich kam an meiner Herrin Haus

Und wandelt' im Wahnsinn und Mitternachtgraus,

Und als ich am Kirchhof vorübergeh'n will,

Da winken die Gräber ernst und still.

Da winkt's von des Spielmanns Leichenstein:

Das war der flimmernde Mondesschein.

Es lispelt: ›Lieb' Bruder, ich komme gleich!‹

Da steigt's aus dem Grabe nebelbleich.«


In dem Dichter denke man sich eine von schlottriger Kleidung umhüllte, krankhaft schlanke Gestalt mit blassem abgemagerten Antlitz, dem Spuren zu frühzeitiger Genüsse nicht mangelten, und man wird es natürlich finden, daß jene Verse und der Eindruck des Persönlichen dem mir Fremden etwas Unheimliches anwehten. Unverkennbar ward mir aber, nachdem ich weiter las, sein Dichtervermögen, und als Heine wiederkam, erklärte ich mich bedingungsweise zur Aufnahme des Beitrags bereit. In seinen ersten handschriftlichen Gedichten hatte er eine solche Menge von Häkchen an den selbst- und mitlautenden Buchstaben der Worte, und gebrauchte falsche Reime so allbequem, daß ich meinte: er könne die mir gegebenen fünf Gedichte in dieser Beziehung wohl nochmals prüfen. Er entgegnete: das sei alles dem Volkston gemäß, was ich nicht bestritt, aber noch bemerkte: daß ich nur hinweise auf übertriebene Anwendung solcher Herkömmlichkeiten, wenn sie dem Geläufigen eher hinderlich statt fördernd wären. Außerdem verhehlte ich ihm nicht: er sei in dem Gedicht: »Die Brautnacht« so zügellos mit der Sitte umgegangen, daß manche Zensurlücke unvermeidlich, ich auch den Abdruck verweigern würde, wenn er nicht ein paar Stellen[345] reinigen wolle. Zu nochmaligem Prüfen war er bereit, ich bin überzeugt, nicht mit dem freiesten Entschluß, doch änderte er sehr gewandt. Die ersten fünf Gedichte (I. Der Kirchhof. II. Die Minnesänger. III. Gespräch auf der Paderborner Haide. IV. Zwei Sonette an einen Freund) erschienen im Mai 1821. »Die Brautnacht« folgte erst einen Monat später, weil ich das Veröffentlichen wiederholt verweigern mußte, ehe Heine meine Ansicht befriedigte. Dergleichen hat sich später nur noch ein paarmal zwischen uns ereignet, und ich erzählte dies voraus, weil es den, von Heine erfundenen, auch in einem der nachfolgend mitzuteilenden Briefe gebrauchten Ausdruck »Gubitzen« erklärt. Mir blieb indes die Genugtuung, daß er auch in seinen Schriften die Gedichte, bei denen er dem »Gubitzen« nachgab, völlig so abdrucken ließ, wie der »Gesellschafter« sie in die Lesewelt eingeführt hatte. Auch erlebte Heine Ähnliches bei seinen gesammelten Schriften durch die Verleger (Hoffmann und Campe in Hamburg); dies bezeugt seine Äußerung:


»Hoffmann wird älter und milder,

Und streicht nicht mehr mit Jugendzorn

Dir deine Reisebilder.«


Das Zweite, was Heine mir brachte, war der »Sonettenkranz an A.W.v. Schlegel.« Als Dichtung sind nach meinem Empfinden diese drei Sonette vorzüglich; das Einleuchten der Verdienste Schlegels minderte mir auch stets die Schatten seines Tuns und Wesens. Dennoch erachtete ich ein so überschwengliches Rühmen, und eben nichts als Rühmen, für Einseitigkeit, für eine Lobpreisung, die eine Gegenrede zuließe, ja herausforderte. Ich nahm das Dargebotene nur an[346] mit dem Vorbehalt, es im Beiblatt des »Gesellschafter« einzuordnen, im »Bemerker«, bestimmt für streitige Ansichten und Widerspruch. Daß dieser in überschwenglicher Herabwürdigung von Heine selber kommen würde, davon hatte ich damals keine Ahnung, konnte sie nicht haben. In bezug auf sich und die durch Schlegel in Bonn ihm gewordene Erweckung sagte Heine:


»Der schlimmste Wurm: des Zweifels Dolchgedanken,

Das schlimmste Gift: an eig'ner Kraft verzagen,

Das wollt' mir fast des Lebens Mark zernagen;

Ich war ein Reis, dem seine Stützen sanken.

Da mochtest du das arme Reis beklagen,

An deinem güt'gen Wort läßt du es ranken,

Und dir allein, mein Meister, soll ich's danken,

Wird einst das schwache Reislein Blüten tragen!«


Lese ich dies Geständnis jetzt und vergleiche damit die bis zu niedriger Klatschlästerung getriebenen Äußerungen über Schlegelin Heines Schrift: »Die romantische Schule«, dann überfällt mich, offen gestanden, ein Grauen, wobei freilich noch andere Auffassungen mitwirkend sein mögen. Bescheiden muß man sich damit, daß die literarischen Gaben Heines am besten getrennt nach ihrem Zeitwesen zu betrachten sind; sein Menschenwert wird geschwächt, wenn man sie von einem strengfolgernden Standpunkt aus in Zusammenhang bringen möchte. Nächstdem will ich weniger im gesamten über ihn urteilen, als das mit ihm Erlebte berichten bei seinem ersten Eingang in die Öffentlichkeit.

Wie sanftmütig und meist mit dem Zweck der Schonung Heine anfangs auf seiner schriftstellerischen Bahn ihm Befreundete zu behandeln wußte, das bezeugen von ihm dem »Gesellschafter« zugesendete, teils mit seinem Namen unterzeichnete, teils ihn verbergende[347] Berichte; sie gehören zu den wenigen urteilenden Beiträgen Heines für den »Gesellschafter«, schildern ihn etwas in jenen Tagen, als er die Berühmtheit noch nicht gewaltsam anstrebte, und ehe er sich der Scheu vor Nebenbehelfen entledigte.

Im Herbst 1821 ließ er mich bitten, ihn zu besuchen; er sei krank; als ich zu ihm kam, lag er auf dem Sofa und sah sehr angegriffen aus. Er machte mich zum Vertrauten seiner Zustände und Verhältnisse, soweit sie Einnahme und Ausgabe betrafen, wobei sich jene als nirgends zureichend, und infolgedessen eine Schuldenlast erwies. Da er auch – mir gegenüber zum erstenmal – den Millionär Salomon Heine in Hamburg seinen Oheim nannte, fragte ich: weshalb er sich in Geldverlegenheit nicht dorthin wende? Ich erfuhr nun, der Oheim habe schon mehrmals aus seiner Kasse Bedeutendes getan, wolle aber jetzt den Neffen sich selber und seinem Schicksal überlassen. – Ich wußte, daß der Berliner Bankier Leonhard Lipke mit Salomon Heine in lebhafter Geschäftsverbindung war, ging zu jenem, unterrichtete ihn davon, daß ein talentvoller Neffe des geldreichen Oheims in andringendster Bedürftigkeit sei, dieser also, was auch dazwischen läge, gewiß etwas tun würde für den Verwandten. Der von mir zur Vermittlung Angesprochene hegte darüber keinen Zweifel, half auch mit einem Vorschuß, versichernd: » Salomon Heine kommt mir unzweifelhaft dafür auf!« Zugleich sagte er mir: sein Hamburger Geschäftsfreund habe nächstens in Berlin zu tun, er wolle mir anzeigen, wann er bei ihm anzutreffen wäre und ich mitförderlich werden könne; dies fügte sich aber erst im Frühling 1822. – Salomon Heine hörte meinen[348] Bericht ruhig an, verhehlte jedoch nicht die Unzufriedenheit mit dem Neffen, und seine Gründe waren zureichend genug: schon oft waren gewichtige Unterstützungen nötig gewesen, ohne den erhofften Beweis zu gewinnen, er werde sich einer ernsten Richtung auf der Lebensbahn zuwenden. So erklärte sich der ehrenwerte Handelsherr in schlichter Art ohne Aufwallung und Wortgepränge, mit Bekräftigung und Tatsachen, wonach der Erfahrungsvolle meinte: es bliebe wohl nur übrig, dem Sprichwort zu folgen: wer nicht hören will muß fühlen. Ich entgegnete, was sich beihilflich entgegnen ließ: eine dichterische Natur sei oft zu wenig vertraut mit den Bedingungen der Wirklichkeit, bis diese sich doch ihr Recht verschaffe, und schloß mit der Ansicht: ein solcher Oheim dürfe einen solchen Neffen, bei dem der gewöhnliche Maßstab sich verlängern müsse, nicht verlassen. – »Habs auch nie gewollt; aber zu lernen hat er doch, daß man nützen soll das Geld, jeder nach seinem Beruf!« so äußerte sich endlich der Angeregte, und zu Lipke gewendet fügte er hinzu: »Der Herr behauptet, es könne da verfallen ein großes Genie, ich wills glauben. Zahlen Sie meinem Neffen jetzt zweihundert Taler gleich, dann jährlich fünfhundert Taler auf drei Jahre, und weiteres mögen wir erleben.« – Das war meine einzige Zusammenkunft mit Salomon Heine, und ich gedenke seines Behabens noch immer gern, da zumal unser Gespräch der Anlaß wurde zur dauernden Versöhnung des in seiner Weise gediegenen Oheims mit dem fast in jeder Weise flatterigen Neffen.

Der kranke Heinrich Heine hatte mir auch ein Heft gezeigt, Gedichte enthaltend, »die ich selber scharf gefeilt habe, Sie wissen ja!« warf er etwas anzüglich[349] betont hin; »ein Bändchen würden sie füllen, ich finde aber keinen Verleger.« Ich vermittelte ihm die Maurersche Buchhandlung, und Ende 1821 (mit der Jahreszahl 1822) wurden »Gedichte von H. Heine« ausgegeben. Barnhagen sagt darüber (»Gesellschafter« 1822. Bl. 11) im Beginn sei nes Urteils: »Der hier auftretende Dichter – denn so müssen wir ihn doch wohl nennen – hat ausgezeichnete Anlagen. Seine Lieder kommen aus einer echten Quelle, es ist Anschauung und Gefühl darin. Nachahmung, bewußte und absichtliche, ist auch dem gereiften Dichter noch erlaubt, die unwillkürliche aber dem anfangenden, bei der Masse von Gebildeten, fast unvermeidlich; in ihr selber jedoch kann sich das Selbständige zeigen. So möchte hier allerdings einiges an Uhland, anderes an Rüchert erinnern; aber das gilt mehr von der Tonart als von dem Gehalt, und muß vielleicht auf eine höhere, gemeinschaftliche Quelle, die allen deutschen Dichtern gehört, nämlich die Quelle unseres deutschen Volksliedes überhaupt, zurückgeführt werden. Das Eigentümliche arbeitet sich aus diesem Überlieferten mit Kraft empor, und bloß Nachgeahmtes ist uns nirgends vorgekommen. Besonders glücklich erscheint uns H. Heine in seiner dichterischen Auffassung der Gegenwart; es zeigt sich darin oft ein sehr sinnreicher und anziehender Humor, wie zum Beispiel in ›Traumbilder‹ und mehreren andern Gedichten. Kein Schwall von Worten, kein herkömmliches Füllwerk. Die Sprache ist kraftvoll und gedrungen, auch zart und lieblich, wo es sein soll. Doch ist beiderlei Ausdruck, sowohl des kräftigen als des weichen, auch zuweilen verfehlt; das ausgebildetere Selbstgefühl wird dem Dichter schon anzeigen, welche Bahn er strenger einzuhalten[350] habe. Die Verse, von sehr mannigfacher Gattung, sind mit Kunde und Gewandtheit gearbeitet; schwierige Reime sind jedoch eine Klippe, an der selbst W. Schlegel und Tieck nicht immer glücklich vorbeischiffen; wo sie geraten und wo sie mißlingen muß kein großes Gewicht auf sie gelegt sein; das Beste in dieser Art haben noch stets Goethe (besonders im ›westöstlichen Divan‹ und neueren Gastgeschenken) und Rückert geleistet.«

Nach Erscheinen jenes Bändchens, innerhalb der Jahre 1822 bis 1826, ist beinahe alles, was Heine schrieb, im »Gesellschafter« zu finden. Von dem vielen vermißte ich in den gesammelten Schriften – wenn es nicht bei aller Sorgfalt dennoch ein Mangel meiner Durchschau ist – die folgenden zwei Lieder, die wohl des Bewahrens nicht unwert sind, sei's auch nur als Pröbchen seiner derzeitigen Überspannung im geschminkten Liebesweh.


»Ich glaube nicht an den Himmel,

Wovon das Pfäfflein spricht,

Ich glaub' nur an dein Auge

Das ist mein Himmelslicht.


Ich glaub' nicht an den Herrgott,

Wovon das Pfäfflein spricht,

Ich glaub' nur an dein Herze,

'nen andern Gott hab' ich nicht.


Ich glaub' nicht an dem Bösen,

An Höll' und Höllenschmerz;

Ich glaub' an dein böses Auge.

Und an dein böses Herz.


*


Es schauen die Blumen alle

Zur leuchtenden Sonne hinauf,
[351]

Es nehmen die Ströme alle

Zum leuchtenden Meere den Lauf.


Es flattern die Lieder alle

Zu meinem leuchtenden Lieb:

Nehmt mit meine Tränen und Seufzer,

Ihr Lieder, wehmütig und trüb.«


Von der Aufnahme seines ersten Liederbändchens, obwohl günstig, war Heine nicht befriedigt: er verlangte rasch zündende Wirkung. Aber auch der edelste und erhebendste Dichter dürfte im gemütskühler gewordenen neunzehnten Jahrhundert nicht erwarten, daß sein Werk plötzlich Tausende mit Wärme durchdringe, daß er sich im Sturme die Herzen erobere, wie etwa Goethe mit seinem » Werther«. Ich hörte von Heine allerlei Ausfälle, die gesteigerte Mißstimmung verrieten hinsichtlich schriftstellerischer Erfolge, wohl auch von Einfluß waren auf mehrere seiner späteren Erzeugnisse. »Zur Anerkennung des neuen Genies und Talents muß man das abgestumpfte deutsche Gemüt foltern«, äußerte er, und nachdem ich einst über eines seiner Lieder, das nach Siegwartschem Anfange mit des Weiberhasses stachlichter Keule dreinschlug, zweideutig lachen mußte, lachte er zwar ebenfalls, bemerkte jedoch: »Bei den Deutschen wird man leichter vergessen als berühmt, jetzt zumal; sie haben in der Gefühlswonne so geschwelgt, daß zu ihrer Aufregung derbe Mittel unerläßlich sind, ganz so, wie Kirmeslust ihnen erst vollständig ist, wenn man sich zum Kehraus noch mit Schemelbeinen traktierte.« Daß Heine nicht selten solcher Kirmeslust dienstbar ist: wird man zugestehen, und, wenn auch nur bedingt, die Antwort billigen, die ein Bräutigam seiner Braut gab, als sie Kunde haben wollte von den Liebesliedern Heines:
[352]

»Liebeslieder à la Heine

Willst du, Liebchen, daß ich schild're?

Nun, dann magst du Lieb' erfahren,

Die zur Bosheit ich verwild're.


Laß, mein Lieb, dich brünstig küssen,

So! – nun laß dich täppisch schlagen! –

Das sind Heines Liebeslieder,

Dir handgreiflich vorgetragen.


Heut möcht' er am losen Schätzchen

Lieb' aus Langeweile kühlen,

Morgen läßt er ihn das Tätzchen,

Oder gar die Tatze fühlen.


Küsse erst, dann Schlangenbisse,

Heucheln mit dem Glutenscheine –

So sind, daß mein Lieb es wisse,

Liebeslieder à la Heine.«


Wer so viele arg verspottete, mußte Vergeltung erfahren, und hier mögen noch Verse folgen, in denen Heine wie von seinen ersten dichterischen Gaben selber verspottet gedacht ist:


»Als neulich die Muse herbei ich rief,

Mit mir herum zu streichen,

Da zog den Mund sie gewaltig schief,

Und ich gebot ihr zu weichen.


Und nun mit Recht von mir verbannt,

Erklärt ihr schnödes Erdreisten:

Wenn je sie dringe auf Menschenverstand,

So käm' ich gleich mit den Fäusten.


Sie meint, ich wäre nicht selber Manns

Zu schreiben plastische Lieder;

Da irrt sich aber die dumme Gans,

Jetzt schreib' ich sie klafterweis nieder.
[353]

Denn solcher Poeten gibt's nicht viel,

Die mir sich vergleichen könnten;

Petrark und Wieland, Horaz und Virgil,

Sie hatten nichts von Talenten.


Die deutsche Sprach' ist freilich zu weich,

Ihr nur zu nutzen durch Härten,

Was leicht durch Apostroph' ich erreich'.

Wo Worte sich zerrten und sperrten.


Bin je ich gehindert vom voll'n Vokal,

So kriegt er's derb mit dem Hieber,

Verdient hat Metrik durch Ohrenqual

Im Grund doch nur Nasenstüber.


Da schrieb ich noch jüngst ein Nachtigallied

Durchweg nur in Konsonanten,

Und las es gestern, eh' ich schied,

Dem Liebchen bei ihren Tanten.


Die Schöne schnitt 'n gar häßlich Gesicht,

Die Tanten wurden konfuse; -

Nun sage noch einer, man könne nicht

Auch wirken ohne die Muse!«


Diese erste jetzt gedruckte Reimerei entstand in der Heiterkeit bei einfachem Mahle der »literarischen (Mittwochs-)Gesellschaft« im Jahre 1830, und empfing der Geneckte Kenntnis von dem Scherz des Augenblicks, mag er zu den Ursachen gehören, weshalb Heinrich Heine zu seinen Verbrüderten auswärts sehr ungnädig sprach über jenen Verein. Gekannt hat er ihn aber gar nicht, denn die »Mittwochsgesellschaft« wurde gestiftet, nachdem Heine schon fast zwei Jahre von Berlin entfernt lebte.

Der Friede zwischen Neffen und Oheim hatte sich durch dessen Güte angebahnt, und Heine beabsichtigte Reiseausflüge nach verschiedener Richtung, auch nach[354] Hamburg, was sich etwas verzögerte durch eine Herausforderung. Er kam eines Tages zu mir, mich um Rat ersuchend, nachdem er berichtete: Baron v. Schilling habe sich beleidigt gefunden über eine öffentliche Äußerung, und nun sollten die Waffen zur Ausgleichung dienen. Der Zweikampf, ernstlich gemeint, schließt allen guten Rat aus; mit ihm ist dabei nichts zu tun, um so gewisser, als sich Umstände einweben können, bei denen die kräftigste Vernunft der brettstirnigsten Unvernunft sich fügen muß, bis der Zweikampf statt sogenannter Ehrensache unbedingt durchweg zur straffälligen Schandtat wird, was er ist vermöge seines sinnlosen Rechts- und Sittenhöhns. – Meinerseits verweigerte ich die Einmischung, nannte aber einen, der zu solchem Zwischengeschäft tauge; nun entstand ein Übereinkommen, und Heine bat dringend um raschen Abdruck folgender Erklärung:

»Mit Bedauern habe ich erfahren, daß zwei Aufsätze von mir, überschrieben ›Briefe aus Berlin‹ (Nr. 6,7,16 des zum ›Rheinisch-Westfälischen Anzeiger‹ gehörigen ›Kunst- und Wissenschaftsblattes‹) auf eine Art ausgelegt werden, die dem Herrn v. Schilling verletzend sein muß. Da es nie meine Absicht war, ihn zu kränken, so erkläre ich hiermit, daß es mir herzlich leid ist, wenn ich zufälligerweise dazu Anlaß gegeben hätte, daß ich alles dahin gehörige zurücknehme, und daß es bloß der Zufall war, wodurch jetzt einige Worte auf den Herrn Baron v. Schilling bezogen werden konnten, die ihn nie hätten treffen können, wenn eine Stelle in jenen Briefen gedruckt worden wäre, die aus Delikatesse unterdrückt werden mußte. Dieses kann der geehrte Redakteur jener Zeitschrift bezeugen, und ich[355] fühle mich verpflichtet, durch dieses freimütige Bekenntnis der Wahrheit allen Stoff zu Mißverständnis und öffentlichem Federkriege fortzuräumen.

Berlin, den 3. Mai 1822.

H. Heine


Zugleich brachte er mir das angefügt zu lesende, ihm geweihte Sonett, wünschend, daß es mit jener Beschwichtigung in demselben Blatte erscheinen möge:


»Das Traumbild.

An H. Heine.


Von Morpheus Armen war ich sanft umfangen,

Als Phantasie, in eines Traumes Hülle,

Ein Bild mir wies in selt'ner Schönheitsfülle:

Bezaubert blieb die Seele daran hangen.


Und als ich mit inbrünstigem Verlangen

Es ganz genießen wollt' in süßer Stille,

Da weckte mich des Schicksals eh'rner Wille,

Und ach! der Zauber war im nu vergangen.


Vergebens sucht' ich nun im bunten Leben,

Was Phantasie genommen, wie gegeben,

Da, junger Sänger, fand ich deine Lieder.


Und jenes Traumbild, das so froh mich machte,

Erkannt' ich bald in deinen Skizzen wieder,

Viel schöner noch, als ich mir selbst es dachte.


H. Anselmi.«


Nur nach Widerstreben wurde ich von seinen ängstlich dringenden Bitten überwältigt, ordnete beides ein in das, den verschiedenen Ansichten zum Tummelplatz angewiesene Beiblatt (1822. »Bemerker« Nr. 9) und erwähnt ist dies Wenden und Beabsichtigen, um das Wesen Heines durch ihn selber deutlicher erkennbar werden zu lassen.[356]

Vor seiner Abreise nach Hamburg fragte er mich: ob er mir dort etwas besorgen könne, ich sagte: einen tüchtigen Berichterstatter. Er bot sich an zur Umschau für diesen Zweck, mit seinem stets dem Spott verwandten Ton noch äußernd: »Soll ich mich denn nicht in Ihr Stammbuch schreiben?« und nach meiner Entgegnung: »Ich habe keins!« ergriff er bei den Worten: »Das konnt' ich wissen!« einen Papierstreif und schrieb:


»Kein Stammbuch?! – da hab' ich nachgedacht,

Doch kaum wird es Denkens bedürfen;

Es gleichet gar bald dem verschütteten Schacht,

Weil's trostlos war, weiter zu schürfen.


Betrug und Freundschaft sind ja zumeist

Im Erdenverkehre Geschwister,

Und was man jung ein Stammbuch heißt,

Wird endlich Totenregister.


Nur mit dem Ärgernis macht ein Komplott,

Wer viel von Freundschaft will buchen;

Denn findet man immer sie wieder bankrott,

So lernt man sein Leben verfluchen.«


Dies beschriebene Blättchen warf er in die Höhe, daß es auf den Boden des Zimmers fiel, ergriff seinen Hut, und mit dem Ausruf: »Leben Sie wohl!« eilte er von dannen.

In den nächsten Monaten sah und hörte ich nichts von ihm, bis endlich das hier Eingereihte ankam:


»Lüneburg, den 21. August 1823.


Lieber Professor!


Aus diesem Briefe ersehen Sie, daß ich noch unter den Lebenden bin; daß Sie noch leben, weiß ich, das Gegentheil hätte ich ja sonst in der Zeitung gelesen. Ich befinde mich immer noch nicht ganz wohl, obwohl[357] meine Vergnügungsreisen diesen Sommer und der Gebrauch des Kuxhavener Seebades meinen Gesundheitszustand erstaunlich verbessert. In Hamburg habe ich Ihren lieben Brief richtig erhalten. Die Einlage habe ich nicht besorgen können, da der Dr. B. sich nicht in Hamburg befindet, und kein Mensch dort von ihm weiß und wissen will. Sein Ruf ist schlecht und zwar sehr schlecht. Ich bemühte mich vergeblich, Ihnen einen Hamburger Correspondenten zu schaffen. Lebrün hatte endlich den Auftrag dazu übernommen, versprach den Professor Zimmermann als Hamburger Theaterrecensent für den Gesellschafter zu gewinnen, ist wahrscheinlich nicht dazu gekommen, und hat, wie ich später erfuhr, den Dr. Bärmann ergriffen. Dieser aber gefällt mir nicht sonderlich, und ich habe bei meiner zweiten Durchreise durch Hamburg einen Dr. Wolff auf Ihr Bedürfniß aufmerksam gemacht.

Ich habe in Hamburg mit Vergnügen das Theater besucht; ich glaube nicht, daß die Chinesen ein besseres haben. Ihren Schwager Lenz2, ein alter Bekannter von mir, habe ich gesprochen. Einige neue Bekanntschaften habe ich gemacht. Viele erkundigten sich nach Ihnen, Sie sind auch in Hamburg berühmt! Den großen Lotz habe ich nicht besucht. Bei meinem goldenen Oheim habe ich eine gute Aufnahme gefunden. Den Componisten Methfessel habe ich kennen gelernt; ich achte ihn ganz erstaunlich hoch, und ich wünsche, daß Sie beifolgende paar Zeilen, die ich über ihn geschrieben, im Gesellschafter abdrucken lassen. Es wäre mir sehr[358] lieb, wenn dies sobald als möglich geschähe, da ich mich schon in Hamburg geäußert, daß ich etwas über Methfessel sagen wolle. Ich wünsche zwei Exemplare des Abdrucks hergeschickt zu bekommen; entschuldigen Sie diese Mühe. Ich denke bald etwas Gutes für den Gesellschafter liefern zu können, ich habe diesen ganzen Sommer mich bloß mit meiner Gesundheitsherstellung beschäftigt und keine Zeile geschrieben. Jetzt quälen mich juristische Arbeiten, da ich mein juristisches Studium bald zu vollenden gedenke, damit die holde Justizia mir Brod gebe. Sie sehen, mein Plan, nach Paris zu reisen, ist auf die Seite gelegt; statt dessen will ich noch ein Jahr in Göttingen leben. Ich bleibe indessen noch einige Monate in Lüneburg, und meine Adresse bleibt: H.H. Stud. Juris auf dem Markt in Lüneburg. In dem Dr. Christiani hier habe ich einen sehr gelehrten und literarisch gebildeten Mann gefunden. Er hat mir versprochen, bald Beiträge für den Gesellschafter zu liefern, unter denen einige höchst gelungene Uebersetzungen aus dem Dänischen Ihren Beifall finden werden.

Ich kann Ihnen nicht oft genug wiederholen, daß Alles, was Sie für die Verbreitung meiner Tragödieen thun, Ihnen im Himmel vergütet wird. Am Rhein möchte man den unkatholischen Almansor gern ignoriren, in Braunschweig, wo ihn der ächt poetische Klingemann nach seiner Bearbeitung auf's Theater gebracht, ist er ausgepfiffen worden; in Braunschweig lebt auch – mein Busenfreund Köchy. – Leben Sie wohl, behalten Sie mich lieb, grüßen Sie mir Ihre Frau, so wie Herrn und Madam Lipke, und seyn Sie versichert, daß ich nie aufhören werde zu seyn Ihr Sie liebender und verehrender


H. Heine
[359]

Einlage.


»Hamburg. Unsre gute Stadt Hamburg, die vor einigen Jahren durch das Ableben des braven, groben, herzensbiedern, kenntnißvollen und anti-catalanistischen Schwenke einen noch unvergessenen Verlust erlitt, scheint jetzt hinlänglichen Ersatz dafür zu finden, indem sich einer der ausgezeichnetsten Musiker hier niederlassen will. Das ist Albert Methfessel, dessen Lieder-Melodieen durch ganz Deutschland verbreitet sind, von allen Volks-Classen geliebt werden, und sowohl im Kränzchen sanftmüthiger Philisterlein als in der wilden Kneipe zechender Bursche klingen und wiederklingen. Auch Referent hat zu seiner Zeit manches hübsche Lied aus dem Methfessel'schen Commers-Buche ehrlich mitgesungen, hat schon damals Mann und Buch hochgeschätzt. Wahrlich, man kann jene Componisten nicht genug ehren, welche uns Lieder-Melodieen geben, die von der Art sind, daß sie sich Eingang bei dem Volk verschaffen, und echte Lebenslust und wahren Frohsinn verbreiten. Die meisten Componisten sind innerlich so verkünstelt, versumpft und verschroben, daß sie nichts Reines, Schlichtes, kurz nichts Natürliches hervorbringen können – und das Natürliche, das organisch Hervorgegangene und mit dem unnachahmlichen Stempel der Wahrheit Gezeichnete ist es eben, was den Lieder-Melodieen jenen Zauber verleiht, der sie allen Gemüthern einprägt und sie populär macht. Einige unserer Componisten sind zwar der Natur noch immer nahe genug geblieben, daß sie dergleichen schlichte Lieder-Compositionen liefern könnten; aber theils dünken sie sich zu vornehm dazu, theils gefallen sie sich in absichtlichen Naturabweichungen, und fürchten vielleicht, daß man sie nicht für wirkliche Künstler halten möchte, wenn[360] sie nicht musikalische Kunststücke machen. Das Theater ist die nächste Ursache, warum das Lied vernachlässigt wird; Alles, was nur den Generalbaß studirt, oder halb studirt oder gar nicht studirt hat, stürmt nach den Brettern. Leidige Nachahmerei, Untergang mancher wirklich Talentvollen! Weichmüthige Blüthenseelen wollen colossale Elephanten-Musik hervor posaunen und pauken; handfeste Kraftkerle wollen süße Rossinische Rosinen-Musik oder gar noch überzuckerte Rosinen-Musik hervorhauchen. Gott besser's! – Wir wollen daher Componisten wie Methsessel ehren – und ihn ganz besonders – und seine Lieder-Melodieen dankbar anerkennen.

– y.«


Es könnte für die Fahrlässigkeit Heines mitzeugen, daß jener Brief, den er am 21. August 1823 schrieb, den Lüneburger Poststempel vom 23. Oktober trägt. Zwei Tage später erhielt ich ihn, weshalb das »sobald als möglich abzudruckende« Lob Methsessels, womit ich hier gern an den auch mir werten Tondichter erinnere, erst am 3. November zu lesen war, weil der »Gesellschafter« die Tagesbezeichnung immer etwas voraus hatte. Über Heines »Tragödien« urteilte der ihm befreundete Varnhagen schon sechs Monate früher (1823. Bl. 72) und dessen sehr mit dem »Diplomaten« verwandte Ansicht sei eingeschaltet als Beitrag zur Schilderung beider:

»Dieses Buch, poetischen Inhalts, tritt in ganz besonderer Weise neu und eigenthümlich auf. Eine Tragödie, eine Reihe lyrischer Gedichte, und wieder eine Tragödie, das sind die merkbaren Hauptstücke, wie sie aufeinander folgen. Nun könnte die Kritik, sorgsam und fleißig, getreu und aufrichtig, jede einzelne dieser[361] Abtheilungen durchgehen, Verdienstliches und Mangelhaftes darin bezeichnen und abwägen, und zuletzt mit Unparteilichkeit ihren richterlichen Spruch verkünden. Sie könnte darthun, wie der Charakter der nördlichmodernen Tragödie ›Ratkliff‹ ungemein glücklich mit dem der südlich-romantischen Tragödie ›Almansor‹ contrastirt, wie in jener das Schroffe und Herbe, in dieser das Sanfte und Liebliche vorherrscht; wie die Catastrophe in beiden aus Untergang und Verklärung, in ungleicher Zusammensetzung dem besonderen Charakter jedesmal angemessen, den gehörigen Schluß erzielt; wie die Zeichnung und das Colorit der Figuren dem historischen Hintergrund und Boden gemäß, und doch in originaler Laune sowohl dieser als jene modificirt erscheinen; wie die Sprache theils überwallend üppig, theils eingezogen trocken mit Erfolg behandelt, die Anordnung fortschreitend und erregend, der Stoff in eigenthümlichen Geist erhoben, das Einzelne der Behandlung oft von großer Schönheit ist. Sie könnte sich darüber verbreiten, wie es dem Dichter eben so gelungen, in den Dramen wahrhaft dramatisch, wie in den Liedern ächt lyrisch zu seyn; von diesen letzteren ließe sich insbesondere hervorheben, wie gedrungen, frei, reizend und kraftvoll die Tonart des alten deutschen Volksliedes hier in dem neuesten Stoffe vom heutigen Tage sich bewegt; wie kühn und gewagt, und wie glücklich im Wagen, hier Bilder und Ausdruck einer Stimmung folgen, deren widersprechende Bestandtheile in dem wunderbarsten Bittersüß gesteigert vereinigt sind. Sie dürfte ausdrücklich anmerken, daß der Dichter Niemanden nachahmt, am wenigsten den Lord Byron (wie man ihm vielfältig nachgerühmt), sondern daß er selbst da, wo er bekannte[362] Anklänge, seyen sie dieses Engländers oder anderer Kunstverwandten, zu geben scheint, diese nicht sowohl sucht, als nur nicht eben vermeidet. Endlich dürfte sie wohl zum Ueberfluß erinnern, daß auch bei dem entschiedensten Talent und glücklichsten Genie der Dichter sich diesen Gaben nicht unbedingt überlassen, sondern ein ethisches Bewußtseyn über jenen behaupten möge, damit er vor dem Abwege des Willkürlichen und Abstrusen bewahrt bleibe, dessen gespenstische Schemen so gern den Dichtergeist umschleichen, sich mit ihm verbinden und ihn dann betäubend niederziehen, wie wir solches noch nicht längst an bedeutenden Beispielen schon zu oft traurig erlebt haben, an dem gegenwärtigen aber hoffentlich nicht erleben werden! – Alles dieses und noch viel mehr Lobendes, Anerkennendes, Wohlmeinendes, könnte die Kritik bei dieser Gelegenheit mit aller Gerechtigkeit aussprechen und darlegen, und mit den besten Hoffnungen und Wünschen für den jungen Dichter schließen, der nach seiner im vorigen Jahre erschienenen ausgezeichneten Erstlings-Sammlung von Gedichten jetzt durch gegenwärtiges Buch so würdigen Fortschritt auf einer Bahn bekundet, die ihm mannigfache Kränze schon gewährt, andere verheißt, und keinen als unerreichbar im voraus abspricht. – Und hätte nun die Kritik dies Alles, und noch viel mehr in dieser Art, gesagt und ausgeführt, so wäre gleichwohl in Bezug auf das vorliegende Buch ihr Geschäft höchst unvollkommen, ihr Standpunkt ungenügend. Sie hätte noch immer nur das Einzelne beachtet, und, getäuscht durch die eigenthümliche Anordnung und Verwaltung dieses poetischen Stoffes, das Ganze übersehen. Denn diese scheinbar getrennten Stücke, in denen Costüm und Form so verschieden, sind deshalb[363] nicht für sich bestehende Gebilde; sie sind vielmehr, die beiden Dramen und die verbindende Lyrik, nur Glieder eines Ganzen, Facetten einer Dichtung, das ganze Buch nur ein Gedicht. – Von diesem Standpunkt aus, von welchem allein dem Dichter sein volles Recht werden kann, beginnt eine neue und höhere Betrachtung, aus welcher die eigentlichen Resultate der Kritik, für Dichter und Publikum gleich ersprießlich, erst erfolgen müssen. Wir begnügen uns hier, diesen Standpunkt angegeben zu haben, und zweifeln nicht, daß derselbe zu ausführlichen Betrachtungen da werde benutzt werden, wo mehr, als hier und uns für diesmal, zu solchem Geschäfte Raum und Muße gegeben sind.

E.«


Von Heine selbst empfing ich erst nach fünf Monaten dies zweite Schreiben:


»Göttingen, den 9. Mertz 1824.


Lieber Professor Gubitz, hochgeschätzter

Herr Collegue!


Ich wünsche, daß dieser Brief Sie in vollem Wohlseyn und in Ihrem gewöhnlichen Humor antreffe. Mit meiner Gesundheit sieht es jetzt etwas besser aus. Ça ira.

Anbei übersende ich Ihnen für den Gesellschafter die neusten Kinder meiner Muse, überschrieben ›dreiunddreißig Gedichte von H. Heine.‹ Sie werden sich baß verwundern über das Befremdliche und Nonchalante in der Form einiger dieser Gedichte, vielleicht erwecken Sie auch bei Ihnen und andern Leuten ein verdammendes Kopfschütteln, dennoch weiß ich, daß sie zum Eigenthümlichsten gehören, was ich bisher gegeben. Ich verlange daher, im Fall Sie sie überhaupt des Abdrucks würdigen, daß Sie sich alles Gubitzens – Sie wissen, was ich[364] meine – dabei enthalten, daß Sie beim Abdruck kein Wort, keine Sylbe verändern; im Fall Ihnen dieses nicht möglich ist, lassen Sie diese Gedichte ganz ungedruckt, und ich werde sie von Ihnen durch einen Freund abholen lassen. Auch ist es durchaus nöthig, daß der Cyclus in einer Woche ganz erscheine, nämlich in den vier auf einmal auszugebenden Blättern. Mehrere Gedichte, die ich mit Bleifederstrichen eingeklammert, sollten wohl auch auf demselben Blatte zusammengedruckt werden, wie Sie selbst einsehen werden, z.B. bei den Seestücken. – Auch glaube ich, daß mit dem Abdruck dieser Einsendung nicht lange gezögert werde, im Fall Sie kein Manuscript von Goethe oder Walter Scott liegen haben. Ich bedinge mir ausdrücklich acht Exemplare des Abdrucks der 33 Gedichte, und werde dieselben bei Ihnen abholen lassen. Vergessen Sie daher nicht, die acht Exemplare in der Druckerei zu bestellen. Ich habe sie durchaus nöthig, muß sie an Freunde und Verwandte schicken.

Daß ich so selten etwas für den Gesellschafter einsende, liegt nicht an mir, sondern an meiner gegenwärtigen Lage, wo ich von Krankheit und Jurisprudenz niedergedrückt werde. Das wird sich aber ändern, und seyn Sie überzeugt, daß ich mich immer für den Gesellschafter interessiren werde. Ich wünschte wohl, daß sich derselbe auch für mich interessire, und ich mache Ihnen den interessanten Vorschlag, ob Sie mir nicht meine heutige Sendung und die künftigen mit Ihrem gewöhnlichen Honorar sogleich honoriren wollten. Ich überlasse das Ihrem freundlichen Ermessen mit dem Bedenken, ich sey das Gegentheil von einem Millionair. – Ich lebe hier sehr still, arbeite viel und werde unausstehlich[365] gelehrt. So kann der Mensch sinken! – Halten Sie mich in gutem Andenken, loben Sie mich auch bei Gelegenheit; denn gestern habe ich Sie auch gelobt, und es war im Rathskeller, und eine Menge Studenten, wovon jeder seine acht Krüge Doppelbier vertragen kann, waren gegenwärtig.

Leben Sie wohl, und seyn Sie überzeugt, daß ich nie aufhöre zu seyn.

Ihr Freund H. Heine


Mit dem ersten Briefe verglichen läßt der Ton im zweiten Briefe unverhehlt, daß Heine sich des Steigerns seiner Anerkennung bewußt war, und sie wurde in Hast gewichtig und gewichtiger. Die »dreiunddreißig Gedichte« (1824. Bl. 49 bis 52) haben schon den oft und verschieden benutzten Vers:


»Ich bin ein deutscher Dichter,

Bekannt im deutschen Land;

Nennt man die besten Namen,

So wird auch der mein'ge genannt.«


Nächstdem gehört aber zu den »Dreiunddreißigen« ebenfalls schon das aus diesem einzigen Verse bestehende Gedicht:


»Selten habt Ihr mich verstanden,

Selten auch verstand ich Euch,

Nur wo wir im Kot uns fanden,

Da verstanden wir uns gleich.«


Gedenke ich der oft wunderlichen Gegensätze in seinen Dichtungen, erweckt sich meinem Gedächtnis stets ein Gespräch mit Evelina von Geldern, einer Verwandten Heines, die er anfangs als Ziel seiner Pfeile gegen das schöne Geschlecht vorweg erwählt haben soll. Ich war einst in Gesellschaft Nachbar der jungen Frau, wußte aber damals nichts weiter, als daß sie eine Muhme[366] oder Nichte Heines sei, sonst hätte ich vermieden, die Unterhaltung auf ihn hinzuwenden. Nachdem es geschehen, ward mir schnell eine lebhafte Erregung der hübschen Nachbarin sichtlich, es blieb auch nicht verborgen weshalb, und ich fasse zusammen, was sie beredsam in zunehmender Wärme äußerte. Meiner ablenkenden Bemerkung: ich zöge Heines Phantasie und Poesie nur als solche in Betracht, entgegnete die Gereizte: »Es mag Poesie sein; da ich aber Heinrich Heine genau kenne, darf ich zweifeln, daß sie aus vernünftiger Ansicht und sittlichem Sinn komme. Ich will damit nichts von seinem Talent bestreiten, mein Urteil wäre unzulänglich; hat er aber, wie ich weiß, nicht verschwiegen, das Schlangengezisch seines Hohns und Grimms wider die Frauen solle besonders mich treffen, so muß mich dies als schamlose Kränkung berühren, obwohl ich es nicht verberge, daß ich ihn ebensowenig liebenswürdig fand, wie das Zügellose überhaupt. Für sein Spiel mit Empfindungen war er so glücklich, durch eingebildetes Unglück sich in seine Eigensucht immer mehr zu verlieben; er konnte nun sein zerrüttetes Herz als ein mißhandeltes vorzeigen, und doch sind alle Risse, die es hat, eine ihm angenehm gewordene Selbstverschuldung übermütiger Eitelkeit.«

Daß dieser Gefühlserguß der Aufwallung eine Beisteuer von bedingter Wahrheit hat, läßt sich nicht leugnen, und es scheint, Heine mußte erst durch seine körperlichen Leiden und die opferkräftige Teilnahme einer Frau, die edle Fülle eines weiblichen Herzens beachten und achten lernen. – Mit dem Ausspruch der Verwandten H eines mag der geist- und gemütvolle Wilhelm Neumann beinah einig gewesen sein, als er (1828) die »Parodien« schrieb:


I.

[367] »Den Gärtner nährt sein Spaten,

Den Bettler sein lahmes Bein,

Den Wechsler seine Dukaten

Mich meine Liebespein.


Drum bin ich dir sehr verbunden,

Mein Lieb, für dein treulos Herz;

Viel Gold hab' ich gefunden

Und Ruhm in Liebeschmerz.


Nun fing' ich bei nächt'ger Lampe

Den Jammer, der mich traf:

Er kommt bei Hoffmann und Campe

Heraus in Kleinoktav.


II.

Die ich am schönsten besungen,

Die hat mich am mehrsten gequält,

Und die mein Herz bezwungen,

Der hat das Herz gefehlt.


Drum sing' ich ewig wieder

Die Lieder von meiner Qual,

Und nenne sie ewige Lieder,

Weil endlos ihre Zahl.


Verhaßt ist mir das Leben,

Die Menschen sind dumm und schal,

Doch die meine Lieder erheben,

Sind mir just nicht fatal.«


Nach diesen Nebenblicken schaue ich weiter auf meine Verhältnisse zu Heine selber. – Es verging ein sehr übervolles Jahr, bis mir von ihm wieder ein Schreiben ankam, das hier eingereihte:


»Hamburg, den 23. November 1825.


Sie hätten Unrecht, wenn Sie glaubten, daß mir der Gesellschafter, die Wiege meines Ruhms, ganz gleichgültig[368] geworden sey. Ich war die letzte Zeit nur gar zu sehr beschäftigt, als daß ich lebhaften Antheil daran nehmen konnte. Jetzt aber bekomme ich mehr Muße, die Materialien, die ich auf der Göttinger Bibliothek gesammelt, werden bearbeitet, und so manches Gute wird nach und nach zu Tage gefördert. Beifolgendes Manuscript: ›Harzreise von H. Heine, geschrieben im Herbst 1824‹ schicke ich Ihnen für den Gesellschafter und bin überzeugt, daß es Ihnen, besonders die zweite Hälfte, außerordentlich gefallen wird. Ich habe dasselbe mit großem Fleiße geschrieben, alsdann, wie sich bei guten Sachen gebührt, ein Jahr liegen lassen, jetzt wieder durch und durch gefeilt, und ich finde, daß es wegen des Stoffes und dessen leichter Behandlung ganz für unsere Zeitschrift geeignet ist; wie denn auch ein Seitenstück dazu, nämlich die Reise im untern Harze, sogar in einem Damenbüchlein, in den Rheinblüthen für 1827, erscheinen soll. Daß Sie, lieber Professor, mir nichts in meinem Opus ändern oder verbessern, ist eine alte Bedingung, die ich wieder erneure. Es ist freilich manches Derbe darin, indessen, da doch der Gesellschafter (zu unserer Aller Verwunderung) sich in der letzten Zeit vom Verdachte der Liberalität gereinigt hat, und täglich zahmer und zahmer wird, so hoffe ich, daß die Censur deshalb meiner Harzreise etwas durch die Finger sehen wird.

Vielfach, wie Sie wohl denken können, bin ich angegangen worden, an andre (!) Blätter, namentlich am Morgenblatte zu arbeiten; aber meine Vorliebe für den Gesellschafter, die Loyalität des Redakteurs, und der Wunsch, meine Einsendungen immer bald abgedruckt zu sehen, bewegen mich, Ihnen die Harzreise zu schicken, und deshalb darf ich wohl verlangen, lieber Professor,[369] daß Sie bei der Censur etwas für mich thun. Ich weiß, daß Sie da viel vermögen. Sollte dennoch gestrichen werden, so bitte ich an solchen Stellen die gebräuchlichen Querstriche nicht auszulassen. Am meisten fürchte ich für die Balletwitze S. 56; werden diese gestrichen, so wünsche ich, daß auch das Vorhergehende wegfalle, welches nämlich S. 55 unten anfängt mit den Worten: Ein junger Sachse, der kürzlich u.s.w. Auch hoffe ich, daß Sie den ganzen Aufsatz nicht zu oft abbrechen, besonders nicht bei Naturschilderungen, und daß ich auf Weihnacht das Ganze gedruckt erhalte. Sie müssen mir auch den großen Gefallen erzeigen, mir 25 Exemplare davon zukommen zu lassen. Was Ihnen dieses kostet, berechnen Sie mir am Honorar.

Kann ich Ihnen hier nützlich seyn, so dürfen Sie sicher auf mich rechnen. Ich gedenke nämlich gänzlich hier zu bleiben. So unliterarisch es hier aussieht, so findet ein Literator hier dennoch sehr schätzbare Hülfsmittel, z.B. eine Unmasse englischer Blätter usw. Auszüge daraus mögen wohl interessant seyn, und im Fall Sie mich auf solche Weise beschäftigen wollen, werde ich gern mit meinen Talenten Ihnen zu Diensten stehen.

Anfangs August verließ ich Göttingen, reiste nach Norderney, gebrauchte mit Erfolg das dortige Seebad, besuchte die ostfriesischen Inseln, und habe dieses in einer Reihe ›Seestücke‹ allerliebst beschrieben. Nach der Harzreise sollen sie auch gedruckt werden. – Nochmals bitte ich Sie, daß die Harzreise nicht von der Censur maltraitirt wird, daß sie bald gedruckt wird und daß ich 25 Exemplare davon erhalte. Letztere erwarte ich ganz bestimmt, weil ich sie, um alte Freunde anzuregen und neue Freunde[370] zu gewinnen, bereits im Geiste hier vertheilt habe. Leben Sie wohl und bleiben Sie schutzreich und gewogen


Ihrem Freunde H. Heine


»Die Harzreise« wurde von dem Zensor gleich in den ersten Abteilungen an mehreren Stellen durchkreuzt; ich ließ den Satz wieder »ablegen« – wie es in den Druckereien heißt – um dann mit dem Kreuziger wegen seiner Kreuzverschwendung zu unterhandeln, erreichte das Möglichste, doch erst bei ministerieller Entscheidung, und brachte das Ganze glücklich genug über die geistige Torsperre hinweg. Es konnte aber nun erst im Anfange des Jahres 1826 (Bl. 11 bis 24) erscheinen, und hat auch noch etliches, was Heine mutmaßlich selbst strich, als er kurze Zeit nachher die erweiterte »Harzreise« benutzte zum ersten Bande seiner »Reisebilder« (Hamburg, 1826). Dr. Hermann – als Schriftsteller »Ernst Woldemar« genannt -hat darüber in demselben Jahre (»Gesellschafter« Bl. 103) folgendes gesagt:

»Will ich aufrichtig sein, so muß ich, bei mancher Mißempfindung, die mir der Verfasser bereitet, doch bekennen, daß mir sein Buch von Anfang bis zu Ende Unterhaltung gewährt, mich in Spannung und Eifer versetzt, überrascht, zuweilen besänftigt und gerührt, und sehr oft, was vielleicht nicht das Schlimmste ist, lachen gemacht hat. Der Humor unseres Autors hat in Wahrheit viel Eigenes und Einziges; wenn die Tiefe und das Licht seiner Gedankenbilder oft an die Vorzüge Jean Pauls erinnern, manches Dunkel und manche Verwilderung seiner Gefühlsart an die glänzenden Fehler Byrons, so gehört dagegen anderes Ausgezeichnete nur ihm allein, und läßt sich nur mit dem, was er selbst früher in solcher Art gegeben, in Vergleich stellen; dahin[371] rechnen wir die ganz eigentümliche Mischung von zartestem Gefühl und bitterstem Hohn, die Verbindung von unbarmherzigem, scharf einbohrendem, ja giftigem Witz und von einschmeichelnder Süßigkeit des Vortrags, lebhaftem und zugleich mildem Redefluß, der durch nichts gehemmt, durch nichts getrieben scheint, und gleichmütig über alles, was ihm in die Quere kommt, leicht dahinwallt. Auch dürfen wir als eine Eigenschaft unseres Autors nicht übersehen, daß er mit gleicher Natürlichkeit – oder Fertigkeit, wenn man will – sich in beiden Formen, in Prosa und in Versen, bewegt, was bisher noch von keinem Geisteskinde seiner Art gesagt werden konnte. Er ist in der Tat nicht bloß ein Dichter, wie jeder Humorist im allgemeinen es heißen kann, sondern auch in dem engeren Wortsinne, in welchem die meisten Humoristen es nicht sind. Dies ist ein Vorzug, der noch sehr weit führen kann. Aber wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, pflegt man zu sagen, will man vom Lobe zum Tadel übergehen, und so möchten auch wir gern das Sprichwort uns zur Brücke machen, wenn sie uns nicht gleich unhaltbar würde! Denn das ist eben das Eigne, die Kunst, das Glück, oder auch der Nachteil jedes Autors dieser Art, daß die Elemente seiner Darstellungsweise nicht nebeneinander zum Sortieren, Auswählen und Abtrennen daliegen, sondern untereinander verflochten und verwachsen, ineinandergemischt und gebunden sind, und ihre Scheidung nicht ohne Zerstörung des Vorhandenen geschehen kann. Der Schatten, welchen wir nachweisen möchten, steht hier ganz im Lichte, das Licht, von dem wir geredet, ganz im Schatten, wenn wir so reden dürfen. Ohne Frage, die Wagnisse des Verfassers gehen bis zum Frevelhaften, seine Freiheiten[372] bis zur Frechheit – die zwar schon längst in unserer Literatur die göttliche heißt, seit Friedrich Schlegel in der ›Lucinde‹ und im ›Athenäum‹ sie so getauft und geweiht!! – sein Mutwille wird Ausgelassenheit, seine Willkür verschmäht auch das Gemeine nicht, wenn sie unerwartet damit die Erwartung necken, durch einen Satz dorthin die gespannte Einbildungskraft plötzlich kann abschnappen lassen. Allein gerade in diese Wendungen und Sprünge windet sich der Gedanke mit ein, springt der Witz mit, und wir müssen – gleich dem Indier, der in dem unreinsten Getier, das vom geweihten Tempelbrote genascht, nun den Behälter des Geweihten verehrt – noch in der unangenehmsten Gestalt den darin verkörperten Geist anerkennen. Dies gilt jedoch einzig nur dann, wenn wirklich die Vereinigung eine wahre ist; zeigt sie sich als eine scheinbare, treffen wir die Frevelhaftigkeit und Frechheit, die im Geleit der höheren Macht höchstens unser Achselzucken erfahren dürfen, einmal für sich allein, ohne jenes Geleit, dann kennen wir auch keine Schonung, sondern fallen darüber grimmig her, und reißen die Ungebühr in Stücken. Einige der Gebilde unseres Autors können durchaus kein besseres Schicksal erwarten, sie überschreiten jedes Maß, und ohne alle Not; er wird selbst am besten wissen, was er sich selber zu Ehren und seinem Buche zum Frommen aus demselben hätte weglassen sollen. – Die ›Reisebilder‹ bestehen aus viererlei Mitteilungen. Da zeigt sich mancherlei, was man bedenklich ansieht, wobei man den Kopf schüttelt, was man auf keine Weise rechtfertigen kann; die Beispiele überlassen wir andern anzuführen. Dann folgen einige Gedichte, welche einen etwas größeren Schwung nehmen und mannigfachere Welt behandeln.[373] Die Romanze vom Sohne des Schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa, im schönsten spanischen Tone, dürfte auch im heutigen Treiben für manches Alkalden-Fräulein recht wohl passen; den drei stark mahometanischen Romanzen ›Almansor‹ hält die echt christlich-katholische ›Wallfahrt nach Kevlaar‹ die Wage, und der Verfasser, der unseres Wissens selber Katholik ist, hätte nicht nötig gehabt, sich wegen der Deutung zu rechtfertigen, die aus dem Stoffe dieser Romanzen irrig auf seine Denkweise gemacht werden könnte. Die dritte Abteilung enthält die ›Harzreise‹, welche, wie mehrere der Gedichte, zum Teil schon im ›Gesellschafter‹ abgedruckt erschienen ist; sie hat aber Zusätze und Ergänzungen erhalten. Der Verfasser geht von Göttingen aus und besucht den Harz, hat aber dabei beständig Berlin vor der Seele. Diesen Zusammenhang von reichen, treffenden Naturbildern, seinen Beobachtungen, schalkhaften, witzigen, beißenden Scherzen, persönlichen Feindseligkeiten, weichen Gefühlen, reizenden Liedern, tollen Fratzen, unglaublichen Verwegenheiten usw. können wir hier nicht zergliedern; wir überlassen dem Leser selbst, daran sich ärgerlich und liebevoll, wie er kann, zu ergötzen; nur bemerken wir, daß das Vernunftgespenst ein wahres Meisterstück tiefsinniger Laune, und daß die Ehrenrettung eines im Text irrig verunglimpften Schauspielers in ihrer Art einzig ist. – Den Beschluß des Buches machen Seebilder: ›Die Nordsee‹ überschrieben. Diese Abteilung dünkt uns die gehaltvollste, und, nach Ausscheidung einiges Frevels, die würdigste. Hier beurkundet sich noch mehr als in der ›Harzreise‹ das bis zum Genie gesteigerte Talent des Autors. Welche Naturschilderungen in wenigen, aber markigen, für immer bezeichnenden[374] Worten! Welche tiefgeschaute Eigentümlichkeiten, reiche Beziehungen, leichtbewegte Gestalten! Hier zeigt der Dichter seine echte Verbindung mit dem Ursprünglichen, der Natur sowohl als des Geistes, sein wahres Dichtertalent: zu sehen, zu bezeichnen. Diese Dichtungsart, des kolossalen Epigramms möchten wir sie nennen, eignet ganz besonders dem Genius unseres Autors, und daß er aus dem epigrammatischen Liede zu ihr übergegangen, kann uns ein entscheidendes Zeichen seines innern und äußern Fortschrittes sein.


W.«


Was von diesem Beurteiler gesagt ist, trifft eigentlich noch jetzt Heinesin erster Zeit unsrer Bekanntschaft meinerseits nicht ergründete Gesinnungslosigkeit. Seine Fortschritte blieben neben dem schätzenswerten auch im Bündnis mit dem Verwerflichen, und daß man diesem in der Literaturgeschichte nicht das Übermaß zuteile, möge man mit mir seinem Andenken wünschen.

Nach jenem dritten Briefe mit der bezeichneten Handschrift für den Abdruck habe ich keine Zeile mehr von Heine empfangen, weder als Brief noch als Beitrag für meine Zeitschrift, und ich erinnerte ihn auch nie an mich. Schon im Jahre 1825 wurde er mit seinen Verlegern in Hamburg dadurch bekannt, daß er in deren Buchhandlung eintrat, um nach den Schriften – Heines zu fragen, was er auch anderweitig getan hat zur Unterstützung seines Rufs, wie er meinte. Dorthin sandte nun Heine alles, was er schrieb, und im Hinblick auf mich hat er sich wahrscheinlich gedacht, daß ich mit vielem, was von ihm ausging, schwerlich ohne Beschränkung einverstanden sein würde, worin er nicht geirrt hätte. Nach meiner, von den persönlichen Begegnissen geleiteten Erfahrung glaube ich aber: was [375] Heine seinem Schönen zufügte an Häßlichem, das tat er in berechneter Absicht, weil Niedrigderbes eher als Erhebendes in der Lesewelt die Mehrheit gewinnt, er sich also selbst sagte: »Gediegenes wirkt zu langsam, und für das geläutert Edle sind gar viele unempfänglich; da bedarf die Dichtung Brunst und Geprassel, Explosionen und Raketengeknall zur Ergötzung derer, die um so angeregter sich bestens entzückt fühlen, je mehr dabei diesen und jenen Schlacken an die Köpfe fliegen, sind nur dabei natürlich die Kopflosen verschont.« – Wie aber Heine Bildung mit Unbildung, »Veilchenduft und Mondschein« mit »Düngerduft und Moderpein« mischte, wie oft er den Sonnenstrahl seines Geistes auch dem Schmutz gönnte, für einen Dichter wird und muß man ihn immer anerkennen. Freilich dürfte man jedoch zugleich auch immer bedauern, daß er nicht Kraft und Mut hatte zu der Überzeugung; er sei reich und mannigfach begabt, um auf reiner Bahn sich unbefleckten Ruhm erwerben zu können, statt daß er die rosigsten Seelenblüten gepaart mit den giftigsten Gewächsen sinnlicher Versumpfung ausstreute, nur um den rasch jubelnden Beifall des schmähsüchtigen Lüstlingstrosses zu erzwingen und zu steigern. – Heine war zu Höherem berufen, er hatte nicht nötig, Erhabenes zu erniedrigen zum Dienst für Gelächter; dazu besitzt mancher Halbhirnige noch Mittel und Kopfs genug. Aber das Erhabene dem Volk zu sichern und mehr zu erhellen, dazu gehört die klargesunde Einsicht und das tiefernst beseelte Gemüt; zu beidem fehlten bei Heinrich Heine die Anlagen nicht, leider hat er jedoch auch beides verwahrlost, und dennoch blieb – nach meinem Empfinden und Begriff – sein bedingter Anspruch auf geistige Geltung unvernichtet[376] Unwillkürlich wird durch die Zurückschau auf Heinrich Heine die Erinnerung hingeleitet zu Ludwig Börne, den jener noch verunglimpfte vom elendvollsten Krankenlager aus, mit solcher Erbitterung, um mit Recht sagen zu dürfen: der Verwesende beschimpfte den Toten, seinen ehemaligen Geistes- und Strebensgenossen. Später im Haderkampfe sich gegenüber, sind diese beiden, in Deutschland geboren, nur darin einig, ihr Vaterland unausstehlich zu finden. – Gesehen habe ich Börne, auch mit ihm gesprochen; durch seine ausgezeichnete Taubheit, die an seinem schroffen Wesen viel erklärt, war aber die Unterhaltung mit ihm fast bis zum Nichtmöglichen gehindert. Indem er nur sich nach innen verstand, blieb das Gespräch mit ihm vorherrschend einseitig, was bei ihm das Gefühl des Alleinstehens bewirkte, ihn verleitete, sich als weltverbessernden Glaubenshelden zu betrachten, und wie ein solcher hat er sich jedenfalls seine zwar starrköpfige, doch immer redliche Gesinnung treu und fest bewahrt.

Im Anfang dieser Aufzeichnungen habe ich dort gesagt, daß ich in bezug auf den Glauben an ein »Hereinragen der Geisterwelt in die unsrige« noch ein Ereignis mitzuteilen habe, und dazu mag ich jetzt genähert sein bei dem im mannigfachen oft unausführbaren Willen, hier Ordnung zu halten im Zeitgange meines Daseins.

Mein Vater, der viel von Krankheiten litt, zumeist durch Kopfgicht, die auch seine auf einem Auge gänzliche Erblindung veranlaßte, lag im Jahre 1821 so schwer gefährlich krank, daß mir der Arzt – in jener Zeit der Hofrat Schulz – bemerkte: er halte es für Pflicht, mir zu sagen: nach übereinstimmender Ansicht noch zweier Ärzte könne der Vater diesmal nicht genesen[377] und sein Lebensende sei nahe. Ich hatte mich damals soweit durchgearbeitet, daß ich den Eltern ein sorgenfreies Alter sicherte, sie im Winter bei meiner verheirateten, aber kinderlosen Schwester Wilhelmine, während des Sommers in der Hasenheide wohnten, nur mit ihrer Pflege beschäftigt. Es tat mir um so mehr weh, daß der unter Sorgen, Last und Leiden Altgewordene nicht noch einige Jahre besserer Verhältnisse sich erfreuen solle. Ich hatte ihn fast täglich besucht, auch erkannt, daß bei der jetzigen Krankheit die Gefahr sich steigerte, hoffte aber dennoch auf Genesung. Des Arztes Bekenntnis raubte mir diese Hoffnung, und ich mußte sie für verloren halten, nachdem ich sogleich zum Vater hineilte: ich fand ihn völlig entkräftet und meine Gedanken wendeten sich nur zu ihm.

In dem unruhigen Schlaf der nächsten Nacht sah ich nun im Traum eine Gestalt an meinem Lager, angetan mit Bekleidung, die auf ein vergangenes Jahr hundert deutete, über die ein weißes Gewand geworfen war, so daß ich nur an Haupt und Brust die altertümliche Tracht gewahren konnte. – »Du wünschest deinen Vater« – so hört' ich sprechen – »gerettet, ich will dir die Mittel angeben, merke wohl auf!« Hierauf nannte die Traumerscheinung die Namen dreier Pflanzen, und indem ich froh zu antworten suchte: »Ich werde sie ausschreiben!« erwachte ich in fieberhafter Bewegung. Augenblicklich sprang ich auf, ging nach meinem Arbeitszimmer, das nur durch einen engen Kaminflur vom Schlafgemach getrennt war, suchte Bleistift, ergriff das mir zunächste Papier – es war der Umschlag eines Briefes von dem geschätzten Dichter Haug – schrieb im Finstern, so gut es sich tun ließ, jene Pflanzennamen[378] auf, und haftete mich dann zurück nach der Schlafstätte. – Am Morgen fand ich das Papier, das Geschriebene war auch leserlich – meine Stimmung aber bei dem Sonnenlicht eine andere geworden; ich sagte mir: deine schwärmerische Erregtheit hat wieder ihr Spiel mit dir getrieben, der Arzt würde dich auslachen, wenn du ihm mit diesem Zettel kämest. Gestehen mußte ich mir auch, daß die Bezeichnungen – ich weiß nur noch, daß »Königskerze« dabei war, ein anderer Name mit »Fackel« begann – ganz so klangen, als hätte mir das Bild eines feierlichen Leichenbegängnisses vorgeschwebt. Gegen Abend wurde ich indes – so ist der Mensch! – nachsinnender über dies Traumbild. Bei tiefster Erschütterung sah ich nun in der folgenden Nacht dieselbe Gestalt, vernahm den zürnenden Anruf: »Du weißt jetzt, was deinen Vater retten kann und zögerst dennoch?« – In der siebenten Stunde des nächsten Tages war ich bei dem Arzt, erzählte ihm, was ich hier erzählt habe, und gab ihm den Briefumschlag, fragend: »Sind dies offizinelle Mittel?« – »Ja,« erwiderte er, »es sind die deutschen Namen von den Kräutern« – hier gab er die lateinischen Namen an – »und jedenfalls ist das Ereignis merkwürdig.« – »Können Sie meinem Vater einen Trank aus diesen Kräutern verordnen?« fragte ich dann, und nach kurzer Überlegung erhielt ich die Antwort: »Ich müßte eines dabei bedenklich finden, doch hebt sich dies in der Mischung, wie ich glaube; andernteils wissen Sie, daß ich und zwei meiner Kollegen Ihren Vater für unrettbar halten, weshalb sollte ich ihm also diese Mittel nicht verordnen?« – Sie wurden ihm verordnet, unausgesetzt gebraucht, schienen mir nicht helfend, doch auf meine Einrede entgegnete der Arzt: »Es[379] sind schon ein paar Wochen vergangen, die Krankheit hat sich in keiner Weise verschlimmert, bleiben wir bei diesem Trank!« Und die Genesung erfolgte wirklich, so daß mein Vater noch acht Jahre lebte und sie bis über die Siebzig brachte.

Wardies ein »Hereinragen der Geisterwelt in die unsrige«? – diese Frage beantworte ich abermals mit einem entschiedenen: Nein! Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Pflanzennamen etwas von schwärmerischer Gedankenanwehung hatten; hierzu beihülflich vermittelnd war auftauchende Kenntnisnahme von medizinischem Allerlei, das der Lerntrieb mir in den Kopf schüttete bei meinem früher geschilderten Aufenthalt in Heinrichs, als ich den Nachlaß meines Großvaters, des Doktors und Kreisphysikus, durchwühlte. Unter seinen Heften fand ich auch ein Verzeichnis, worin neben den lateinischen die deutschen Namen vieler Arzneimittel angegeben waren; gewiß dachte ich bei der gefährlichen Krankheit des Vaters auch an den Großvater: jene Pflanzennamen waren demnach Erinnerung aus entschwundener Zeit, und dafür könnten sogar die altertümlichen Spuren an dem Traumbilde zeugen. – Soll aber dennoch von einem »geistigen Hereinragen« die Rede sein, so ist es nur das aus einer Zeit zur andern; es wirkte hier der Geist, den der Großvater auf Erden zurück ließ, es wirkten sein tatfähiges Wissen und seine Erfahrung, die noch dienlich wurden, als ein Etwas davon aus dem verdämmerten Hintergrunde meines Gedächtnisses, durch die Gedankenrichtung auf den einen Punkt, die Rettung meines Vaters, wieder auftauchte, mir im Traume andeutete, was einst bei ähnlicher Krankheitsmacht mein Großvater mit Erfolg als Heilmittel benutzt hat. –[380]

Fußnoten

1 Ich wollte Aenderungen in die Handschrift einordnen.


2 Johann Reinhold v. Lenz (als Schauspieler Kühne genannt) war verheiratet mit einer Schwester meiner Frau – beide Töchter des unvergeßlichen Fleck.


Quelle:
Gubitz, Friedrich Wilhelm: Bilder aus Romantik und Biedermeier. Berlin 1922, S. 381.
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