Psora

[119] Es scheint mir nöthig, ehe ich zur Lehre vom dritten chronischen Miasm, dem wichtigsten unter allen, der Psora, übergehe, noch folgende allgemeine Anmerkung zu machen.

Zur Ansteckung mit den drei einzigen, bekannten, chronischen, miasmatischen Krankheiten gehört gewöhnlich nur ein Augenblick, aber die Ausbildung des so empfangenen Ansteckungs-Zunders zur allgemeinen Krankheit des ganzen Organisms bedarf längerer Zeit. Nur dann erst, nach mehren Tagen, wann die miasmatische Krankheit ihre innere, vollkommne Ausbildung im ganzen Menschen erreicht hat, nur dann erst bricht aus der Fülle des innern Leidens das Lokal-Symptom hervor, bestimmt von der gütigen Natur, die innere Krankheit in gewissem Sinne auf sich zu nehmen und sie in so weit palliativ abzuleiten und zu beschwichtigen, daß sie den Lebens-Haushalt nicht allzusehr beeinträchtigen und in Gefahr bringen könne, so lange das Lokal-Uebel auf einem der ungefährlichsten Theile des Körpers hauset, auf der äußern Haut und zwar an der Hautstelle zuerst, wo bei der Ansteckung das Miasm die nächsten Nerven berührt hatte.

Dieser sich stets und immer auf gleiche Weise wiederholende Gang der Natur bei chronischen (ja selbst bei den akuten, festständigen) Miasmen hätte, sollte ich denken, der Einsicht der Aerzte, wenigstens bei der venerischen Krankheit, nicht entgehen können, mit deren Behandlung sie sich doch nun schon weit über 300 Jahre abgegeben haben, und so würden sie auch, einen Schluß auf den Gang der Natur bei den andern beiden chronischen Miasmen zu machen, nicht umhin gekonnt haben. So unverständig es daher und so unverzeihlich gedankenlos es von ihnen war, bei jedem Venerischen dennoch den nach mehren, oft erst nach vielen Tagen vom Organism aus der Fülle des vollendeten, innern Uebels hervorgetriebenen Schanker für ein bloß von außen herbeigekommenes[119] und auf der Haut für sich da allein sitzendes Ding zu halten, was man daher auch, ohne Bedenken, nur äußerlich wegzubeizen habe, »um zu verhindern, daß nicht das Gift aus dem Schanker (scilicet!) in das Innere eingesogen werden könne und so der Mensch venerisch krank werde«, – so unverständig und unverzeihlich gedankenlos, sage ich, diese unwahre Vorstellung von der Entstehung des venerischen Schankers war, die jenen verderblichen Mißgriff, das äußere Wegbeizen des Schankers, erzeugte, welcher den gewissen Ausbruch der Lustseuche aus der innern, krank gebliebenen Natur (schon bei hundert Tausenden in diesen drei Jahrhunderten) zur unausbleiblichen, schändlichen Folge hatte; – eben so unverständig und unverzeihlich gedankenlos bildeten sich die Aerzte der alten Schule, selbst die der neuesten Zeit, jenen falschen Begriff von der Krätze, daß sie ein bloßes Uebel der Haut sey, woran der innere Körper keinen Antheil nehme, folglich (nach dieser grundlosen Voraussetzung) nichts Besseres zu thun sey, als dieß Uebel von der Oberfläche der Haut wegzubringen – während doch einzig die Tilgung der innern Psora-Krankheit, als der Erzeugerin des Haut-Ausschlags, zur Hülfe erforderlich war, um bei deren Heilung auch das Haut-Uebel, als die nothwendige Folge der innern Krankheit, naturgemäß verschwinden zu machen – cessante causa, cessat effectus.

In ihrem vollkommnen Zustande nämlich, das ist, so lange der das innere Siechthum beschwichtigende, ursprüngliche Ausschlag auf der Haut noch vorhanden ist, läßt sich die ganze Krankheit, die Psora, am leichtesten, schnellsten und sichersten heilen.

Ist sie aber durch Vernichtung dieses anfänglichen Haut-Ausschlags, welcher für das innere Siechthum stellvertretende Kraft besitzt, beraubet worden, so ist die Psora in den naturwidrigen Zustand versetzt, einseitig bloß die innern, feinsten Theile des ganzen Organismus zu beherrschen und ihre sekundären Symptome entwickeln zu müssen.

Wie wichtig und nothwendig also der Haut-Ausschlag für die anfängliche Psora sey und wie sorgfältig deshalb bei der allein gründlichen, innern Heilung der Krätze jede äußere Vertreibung des Ausschlags vermieden werden müsse, ersieht man schon aus der Thatsache, daß die schwersten, chronischen Leiden, welche als sekundäre Symptome der innern Psora nach Vertreibung des anfänglichen Krätz-Ausschlags[120] erfolgt waren, durch den auf große Revolutionen im Organism wieder auf der Haut erscheinenden krätzartigen Haut-Ausschlag oft so schnell beseitigt werden, daß das zuweilen harte, auch wohl vieljährige, Leiden, wie durch Wunder, wenigstens auf einige Zeit zu verschwinden pflegt. Man sehe in den obigen Beobachtungen älterer Aerzte die Nummern 1. 3. 5. 6. 8. (9.) 16. (17.) (21.) 23. 33. 35. 39. 41. 54. 58. 60. 72. 81. 87. 89. 94.

Man möge sich's aber nicht einfallen lassen, hieraus folgern zu wollen, daß die, nach äußerer Vernichtung des anfänglichen Haut-Ausschlags, in sekundäre, chronische Uebel ausbrechende, innere Psora durch Wiedererscheinung eines solchen krätzartigen Ausschlags auf der Haut sonach in einen eben so naturgemäßen Zustand komme und dann eben so leicht heilbar werde, als wenn es noch der anfängliche Ausschlag und dieser noch nicht vertrieben gewesen wäre.

Dieß ist gar nicht der Fall. Denn da selbst der zuerst nach der Ansteckung erfolgte Ausschlag keine so unwandelbare Festigkeit und Beharrlichkeit auf der Haut besitzt, wie der Schanker oder die Feigwarze an den Stellen, wo sie sich zuerst zeigten,1 sondern, in nicht gar seltenen Fällen, auch aus andern Ursachen,2 als durch die mit Vorsatz angebrachten, künstlichen Vertilgungs-Mittel, und so auch aus unbekannten andern Veranlassungen3 von der Haut entweicht, und der Arzt daher auch beim ursprünglichen Ausschlage keine Zeit zu versäumen hat, um die Heilung noch während der Vollständigkeit der Krätz-Krankheit durch Gebrauch antipsorischer, innerer Arzneien zu vollenden; so ist eine solche Frist zur innern Heilung noch weit weniger bei diesem sekundären Ausschlage zu erwarten, welcher, nach der ersten örtlichen Vertilgung, durch irgend eine Ursache wieder auf die Haut[121] getrieben worden, indem dieser noch weit unbeständiger und so wandelbar zu seyn pflegt, daß er oft in wenigen Tagen, auf noch weit geringere Veranlassungen, wieder vergeht – ein Beweis, daß ihm viel von der vollständigen Eigenschaft des primitiven Krätz-Ausschlags abgehe und der Arzt daher auf ihn bei der gründlichen Heilung der Psora nicht zählen könne.

Diese leichte Vergänglichkeit des zum zweiten Male auf die Haut gerufenen, krätzartigen Ausschlags scheint offenbar darauf zu beruhen, daß die innere Psora, nach örtlicher Vernichtung des ursprünglichen Krätz-Ausschlags von der Haut, nicht mehr fähig ist, dem wieder hervorgerufenen die vollständigen Eigenschaften des zuerst nach Krätz-Ansteckung entstehenden zu ertheilen, und schon weit mehr aufgelegt ist, sich zu mancherlei andern chronischen Krankheiten zu entfalten, weshalb auch eine gründliche Heilung nun viel schwieriger und einzig wie auf die bloß innere Psora einzurichten ist.

Es hilft daher nichts zur Beförderung der Heilung, wenn es zuweilen gelang, durch innere Mittel (m.s. Nr. 3. 9. 59. 89.) einen solchen After-Ausschlag wieder hervorzubringen, oder, wenn er durch andre, unbekannte Veranlassungen (m.s. Nr. 1. 5. 6. 8. 16. 23. 28. 29. 33. 35. 39. 41. 54. 58. 60. 72. 80. 81. 87. 89. 94.), vorzüglich durch Hülfe eines entstandnen Fiebers (m.s. Nr. 64. – auch 55. 56. 74.) auf der Haut erscheint; immer bleibt ein solcher After-Ausschlag sehr vergänglich, und es ist überhaupt ein solches Ereigniß so unzuverlässig und selten, daß keine Kur darauf zu bauen, keine Beförderung gründlicher Heilung davon zu erwarten ist.

Doch auch, wenn man durch irgend eine Veranstaltung diesen After-Ausschlag gewissermaßen hervorbringen könnte und es mehr in unsrer Gewalt stünde, ihn länger auf der Haut zu erhalten, so ist dennoch auf ihn zur Erleichterung der Heilung des ganzen psorischen Uebels gar nicht zu rechnen.4[122]

Es bleibt daher eine ausgemachte Wahrheit, daß die Heilung der ganzen, verderblichen Psora durch die antipsorischen[123] Heilmittel bloß bei noch anwesendem, ursprünglichen Krätz-Ausschlage am leichtesten stattfindet, so wie auch wiederum hieraus erhellet, daß es auch in dieser Hinsicht gewissenlos von den allöopathischen Aerzten gehandelt sey, den primitiven Krätz-Ausschlag mit örtlichen Mitteln zu vernichten, statt diese unglücksschwangere Krankheit aus dem ganzen lebenden Organism durch eine dann noch leichte Kur von innen völlig auszutilgen und hiedurch alle von dem ungeheilten Uebel dereinst zu erwartenden, unseligen Folgen – jene sekundären, chronischen, namenlosen Leiden – schon im Voraus im Keime zu ersticken.

Die Ausrede des Privat-Arztes (denn der Spital-Arzt hat vollends keine Entschuldigung) gilt nichts: »daß, wenn nicht bekannt sey – wie es denn auch fast nie bis zur Evidenz bekannt werde – wo, wann, bei welcher Gelegenheit und von welcher geständlich krätzigen Person die Ansteckung erfolgt sey, er es auch dem gegenwärtigen, oft unbedeutend kleinen Ausschlage nicht ansehen könne, ob er wirklich Krätze sey, man ihm also keine Schuld an den bösen Folgen zurechnen könne, wenn er ihn für andersartig halte und mit Auflegung von Bleiwasser oder Salbe von Bleiweiß, Galmei oder weißem Quecksilber-Präcipitate, nach dem Wunsche der vornehmen Eltern, bald möglichst von der Haut wegzuschaffen suche.«

Diese Ausrede, wie gesagt, gilt gar nichts. Denn, erstlich, darf, wenn der Arzt gewissenhaft und verständig verfahren will, kein Haut-Ausschlag, gar keiner, er sey von welcher Art er wolle, durch äußere Mittel vertrieben werden.5 Die menschliche Haut bringt aus sich allein, ohne Zuthun des übrigen, lebenden Ganzen, keinen Ausschlag hervor, wird auch auf keine Weise krank, ohne vom allgemeinen, krankhaften Befinden, von der Innormalität des ganzen Organisms dazu veranlaßt und genöthigt worden zu seyn. Allemal liegt ein ungehöriger Zustand des ganzen, innern, belebten Organisms zum Grunde, welcher daher zuerst zu berücksichtigen und also auch nur durch innere, das Ganze umändernde, bessernde und heilende Arzneien zu heben ist, worauf dann auch der, auf der innern Krankheit beruhende Ausschlag, ohne Beihülfe eines äußern Mittels, von[124] selbst heilet und verschwindet, oft schneller, als durch äußere Mittel.

Zweitens; bekäme der Arzt zuerst den Ausschlag auch nicht in der ursprünglichen, unzerstörten Form, also nicht das anfänglich durchsichtige, dann schnell mit Eiter angefüllte Krätz-Bläschen, mit einem schmalen, rothen Rande rundum, zu sehen, wäre er auch nur noch klein, wie einzelne Friesel-Körnchen, oder auch vom Ansehn zerriebener Blüthen oder kleiner Schorfe, so kann er dennoch keinen Augenblick zweifeln, daß der Ausschlag Krätze sey, sobald das Kind, oder auch schon der noch wenige Tage alte Säugling die Stelle unaufhaltbar reibt und kratzt, oder der Erwachsene über einen, am meisten Abends und Nachts unerträglichen, ohne Kratzen nicht auszuhaltenden Kitzel des wohllüstig-jückenden Ausschlags (oder wäre es auch nur ein einziges Blüthchen) klagt, worauf Brennschmerz erfolge. Da ist nie an Krätz-Ansteckung zu zweifeln, ob man gleich zu der Auskunft und Gewißheit, wie, wo und von wem die Ansteckung gekommen sey, bei vornehmen und wohlhabenden Familien selten gelangt; denn der unmerklichen Gelegenheiten zu dieser Ansteckung giebt es unzählige, wie ich oben lehrte.

Wenn der Hausarzt dieß zeitig bemerkt, da wird, unter gänzlicher Vermeidung alles äußerlich Aufgelegten, die Eingabe eines oder zweier, Mohnsamen großen Streukügelchen, mit dem unten angegebenen potenzirten geschwefelten Weingeiste befeuchtet, zur Befreiung und Heilung eines Kindes von der ganzen Krätz-Krankheit, dem Ausschlage und dem innern Krätz-Uebel (Psora) völlig und überflüssig hinreichend seyn.

Der homöopathische Arzt bekommt in der Privat-Praxis selten einen weit über die Haut verbreiteten Krätz-Ausschlag, frischer Ansteckung, zu sehen und zu behandeln. Die Kranken wenden sich damit, wegen des unerträglichen Jückens, gar bald an irgend ein altes Weib, an den Apotheker, oder an einen Barbirer, die ihnen, einer wie der andre, mit einem fast augenblicklich wirksamen Vertreibungs-Mittel (z.B. Schweinefett, mit Schwefelblumen gemischt) schnell – wie sie wähnen – zu Hülfe kommen. Bloß in der Praxis der Casernen, der Gefängnisse, der Spitäler, der Zucht- und der Waisen-Häuser müssen die Angesteckten sich an den Haus-Arzt halten, wenn ihm der Chirurg des Hauses nicht vorgreift.

Schon in den ältesten Zeiten, wo Krätze vorkam – denn nicht überall entartete sie bis zum Aussatze – erkannte[125] man im Schwefel eine Art specifischer Kraft gegen die Krätze; aber man wußte sich dessen ebenfalls nur, wie der größte Theil der neuern Aerzte alter Schule, als äußern Vernichtungs-Mittels des Ausschlags zu bedienen. A.C. Celsus hat mehre Schmieren und Salben (V. 28.), wovon einige aus Schwefel, bloß mit Theer angerührt, bestehen, andre aber noch kupferige und andre Substanzen enthalten, zur Vertreibung des Krätz-Ausschlags vorgeschrieben, die er für Heilung hält. So ließen auch schon die ältesten Aerzte die Krätz-Kranken in warmen, schwefelichtem Mineral-Wasser (wie die Neuern) baden. Die mit Krätze Behafteten wurden dann auch gewöhnlich durch diese äußern Schwefel-Mittel den Ausschlag los. Daß aber die Kranken dadurch nicht wirklich genasen, ward auch schon bei ihnen zuweilen offenbar an den nachfolgenden, größern Uebeln, dergleichen die allgemeine Wassersucht war, welche ein Athenienser durch Vertreibung seines argen Krätz-Ausschlags mittels der warmen Schwefel-Bäder auf der Insel Melos (jetzt Milo genannt) sich zugezogen hatte, woran er sterben mußte, wie (300 Jahr vor Celsus) der Verfasser des, unter die Hippokratischen Schriften aufgenommenen, fünften Buchs Epidemion berichtet.

Innerlich gaben die ältesten Aerzte bei Krätze keinen Schwefel ein, eben weil sie nie, so wenig als die Neuern, einsahen, daß diese miasmatische Krankheit zugleich, und vorzüglich eine innere sey.

Die Neuern haben auch nie den Schwefel innerlich allein zur Heilung der Krätze eingegeben, weil sie die Krätze ebenfalls nie für eine zugleich innere, hauptsächlich innere Krankheit erkannten. Sie gaben ihn nur beim Gebrauche der äußern Vertreibungs-Mittel des Ausschlags, und zwar in Gaben, welche purgirten, zu 10, 20, 30 Gran auf die Gabe, öfters wiederholt, so daß es nie offenbar ward, wie nützlich oder schädlich diese innere Anwendung so großer Gaben Schwefel neben den äußern Mitteln gewesen sey; wenigstens konnte nie hiedurch die ganze Krätz-Krankheit (Psora) gründlich geheilt werden. Bloß des Ausschlags äußere Vertreibung ward dadurch, wie durch irgend ein andres Purgirmittel, und mit gleich nachtheiligen Folgen befördert, als wenn gar kein Schwefel innerlich gebraucht worden wäre. Denn wenn man auch den Schwefel, ohne Zuthun eines äußern Vernichtungs-Mittels des Ausschlags, bloß innerlich, aber in gedachten großen Gaben anwendet, so kann er[126] doch nie eine Psora gründlich heilen, theils weil er, um als antipsorische und homöopathische Arznei helfen zu können, nur in den allerkleinsten Gaben eines Kraft-Entwickelungs-Präparates gereicht werden darf, in größern und öftern Gaben der rohen Schwefel-Substanz aber6 das Krankseyn in einigen Fällen verstärkt, oder doch eine neue Krankheit hinzufügt, theils weil ihn die Lebenskraft als ein heftig angreifendes Mittel durch Purgirstühle, oder Erbrechen ausstößt, ohne seine Heilkraft sich zu Nutze gemacht zu haben.

Wenn nun, sie die Erfahrung lehrt, nicht einmal die unter allen am leichtesten zu heilende, frische Krätz-Krankheit, d.i. innere, frisch entstandne Psora sammt dem äußern, frischen Ausschlage durch äußere Vertreibungs-Mittel, in Verbindung mit einer Menge großer Schwefelpulver zum innern[127] Gebrauche, gründlich geheilt werden kann, so läßt sich leicht einsehn, daß die ihres Ausschlags beraubte, nun bloß innere, veraltete, allmählig in sekundären Uebeln zu chronischen Krankheiten aller Art entwickelte Psora, aus gleicher Ursache, ebenso wenig, weder durch eine Menge Schwefel in Pulvern, noch durch eine Menge Bäder in schwefelichten Mineralwassern, noch auch durch gleichzeitiges Trinken desselben, oder ähnlichen Wassers, mit einem Worte, nie durch eine Uebermenge und öftere Wiederholung dieses, obschon an sich antipsorischen Arzneimittels könne geheilt werden.7 Wahr ist es, daß viele solcher langwierig Kranken durch die erste Bade-Kur dieser Art auf einige Zeit ihre ursprünglichen Krankheits-Symptome losgeworden zu seyn scheinen (daher der unglaubliche Zudrang der vielen Tausende an unzählig verschiednen chronischen Uebeln Leidender nach Teplitz, Baden, Aachen, Nenndorf, Warmbrunn u.s.w.); doch sind sie deshalb nicht etwa gesund, sondern es ist, statt der ursprünglichen, chronischen (Psora-) Krankheit, auf einige Zeit eine Schwefel-Krankheit herrschend geworden (ein anderes, vielleicht erträglicheres Uebelbefinden), welche mit der Zeit wieder vergeht, da dann die Psora entweder mit denselben Krankheits-Symptomen, wie ehedem, oder mit andern ihrer Art, doch allmählig beschwerlichern, als die ersten, oder an edlern Theilen emporkeimenden Symptomen, ihr Haupt wieder emporhebt. Der Unwissende freut sich in letzterm Falle, daß doch wenigstens die vormalige Krankheit (die vormalige Gruppe von Psora-Symptomen) vergangen sey, und macht Hoffnung, daß die neue Krankheit durch eine wiederholte Reise in diese Bäder sich vollends legen werde; er weiß aber nicht, daß der geänderte Krankheits-Zustand bloß eine Umwandlung derselben Psora sey, und macht so, immer und immer, die Erfahrung, daß die zweite Bade-Kur dieser Art noch weniger[128] Erleichterung schafft, oder wohl gar, wenn die Schwefel-Bäder in noch größerer Zahl gebraucht werden, beträchtliche Verschlimmerung zur Folge hat.

Also theils das Uebermaß des Schwefels in allen seinen Formen, theils die öftere Wiederholung seiner Anwendung von innen nach außen durch allöopathische Aerzte hat ihm in solchen Fällen bisher für den homöopathischen Arzt in Heilung der Menge chronischer Krankheiten (der sekundären Psora-Uebel) fast allen Werth, allen Nutzen benommen, und man kann wohl behaupten, daß bis auf diesen Tag mit demselben fast nur Schaden von den allöopathischen Aerzten angerichtet worden ist.

Doch gesetzt auch, man wollte dann, wie weiter unten gelehrt wird, den einzig richtigen Gebrauch vom Schwefel in dieser Art Krankheiten machen, so wird es doch selten mit so erwünschtem Erfolge zu thun möglich seyn, als wo dem homöopathischen Arzte eine frisch entstandene Krätz-Krankheit mit ihrem noch vorhandnen Ausschlage zu heilen vorkommt. Denn wenn er seiner, nicht zu läugnenden, antipsorischen Kräfte wegen auch an sich, nach äußerer Vertreibung des Ausschlags, theils bei der noch verborgenen und schlummernden, theils bei der, zu vielartigen, chronischen Krankheiten schon mehr oder weniger entwickelten und ausgebrochenen Psora einen Anfang zur Heilung macht, so kann er doch schon deshalb nur selten in allen diesen Zuständen hiezu gebraucht werden, weil gewöhnlich seine Kräfte da schon vernutzt sind und er in solchen Fällen bereits vorher von allöopathischen Aerzten zu dieser oder jener Absicht dem Kranken gegeben, auch wohl mehrmals schon gegeben worden ist, der Schwefel aber, so wie die meisten andern antipsorischen Arzneien in einer Kur der entwickelten und chronisch gewordenen Psora kaum drei, vier Mal (selbst nach Zwischen-Gebrauch einiger andern, antipsorischen Mittel) wiederholt werden darf, wenn die Heilung dadurch nicht wieder rückgängig gemacht werden soll.

Nie kann die Heilung einer, ihres Ausschlags beraubten, alten Psora, sie sey nun noch latent und schlummernd, oder schon in chronische Krankheiten ausgebrochen, mit Schwefel allein vollführet werden, also auch nie von Schwefel-Bädern, weder natürlichen, noch künstlichen.

Hier komme ich auf den merkwürdigen Umstand, daß überhaupt – mit Ausnahme der, wie schon gesagt, so leicht[129] von innen zu heilenden, neu entstandnen, noch mit unvertriebenem Haut-Ausschlage begleiteten8 – jede andre Psora-Verfassung, d.i. sowohl die im Innern noch schlummernde, als auch die zu irgend einer der unzähligen, aus ihr entsprossenen, chronischen Krankheiten entwickelten Psora sehr selten von einem einzelnen, antipsorischen Mittel geheilt werden kann, sondern die Anwendung mehrer dieser Arzneien, in den schlimmsten Fällen auch wohl vieler nach und nach zur vollständigen Heilung bedürfe.

Dieser Umstand darf nicht befremden, wenn man bedenkt, daß die Psora ein chronisches Miasm von ganz eignem und besondern Charakter sey, was, schon seit vielen Jahrtausenden mehre Millionen menschlicher Organismen durchgangen, endlich einen so ungeheuern Umfang verschiedner Symptome angenommen haben mußte – die Elemente jener unzähligen, chronischen (unvenerischen) Leiden, unter denen die Menschheit seufzt – und zu einer so unbestimmlichen Menge von einander abweichender Formen in seiner Aeußerung bei den verschiednen Körper-Beschaffenheiten einzelner Menschen nach und nach sich gestalten konnte, verschieden durch ihre Wohnsitze und deren klimatische Eigenheiten, ihre Erziehung, Gewohnheiten, Beschäftigungen,9 Lebensart, Diät und andre somatische und psychische Verhältnisse gemodelt, so daß es kein Wunder ist, wenn keine einzelne und einzige Arznei zur Heilung der ganzen Psora und aller ihrer Formen hinreicht, sondern mehre antipsorische Arzneien dazu gehören, um mit den im gesunden menschlichen Körper eigenthümlich von jeder sich erweisenden, künstlichen Krankheits-Wirkungen dem übergroßen Heere der Psora-Symptome, d.i. aller der chronischen[130] (unvenerischen) Krankheiten, folglich der ganzen Psora heilkräftig, homöopathisch entsprechen zu können.10

Also nur, wie gesagt, wenn der Krätz-Ausschlag noch in voller Blüthe und daher die Ansteckung nur noch neu ist, kann die völlige Heilung durch Schwefel allein (und dann zuweilen mit einer einzigen Gabe) vollführet werden. Ob dieß auch in jedem Falle von noch auf der Haut blühender Krätze gewiß erfolgen werde, lasse ich dahin gestellt seyn, weil das Alter des die Kranken überziehenden Krätz-Ausschlags sehr verschieden ist. Denn wenn er schon einige Zeit auf der Haut gestanden hat und (obschon nicht mit äußern Vertreibungs-Mitteln behandelt) von selbst anfängt, von der Haut zu weichen, dann hat die innere Psora schon zum Theil das Uebergewicht bekommen – der Haut-Ausschlag ist dann nicht mehr ganz stellvertretend, und es fangen dann schon Leiden anderer Art an, theils als Zeichen latenter Psora, theils als chronische Uebel, aus der innern Psora entwickelt, sich zu erzeugen. Hier ist der Schwefel allein (so wenig als ein einzelnes andres, antipsorisches Mittel) zur vollkommnen Heilung gewöhnlich nicht mehr zureichend, und die übrigen antipsorischen Arzneien müssen, ja nach den übrigen Symptomen diese, oder jene, homöopathisch zu Hülfe genommen werden.

Die homöopathisch ärztliche Behandlung der chronischen, unzählbaren Krankheiten (nicht venerischen, folglich psorischen Ursprungs) kommt, ihrem Wesentlichen nach, im Allgemeinen überein mit der homöopathischen Behandlung der menschlichen Krankheiten überhaupt, wie sie im Organon der Heilkunst gelehrt wird; was bei den chronischen insbesondere zu beachten ist, werde ich nun zeigen.

In der Diät und Lebensweise der Kranken dieser Art, worüber ich nur etwas Allgemeines zu sagen habe, die[131] specielle Ausführung aber für jeden besondern Fall dem Ermessen des homöopathischen Arztes überlasse, muß zwar in der Regel hier ebenfalls alles, der Kur Hinderliches entfernt werden; da es jedoch hier besonders ankommt auf Behandlung der langwierigen, oft ungemein langwierigen, daher nicht schnell zu hebenden Krankheiten oft auch ältlicher und alter Personen in verschiednen Lebens-Verhältnissen, welche sich selten gänzlich umändern lassen weder bei Reichen, noch bei Unbemitteltern, noch selbst bei Armen, so müssen hier oft Einschränkungen und Modifikationen der strengen Lebensweise, die von der Homöopathie als Regel vorgeschrieben wird, eintreten, um die Kur so langwieriger Krankheiten bei den so sehr verschiednen Menschen-Individuen möglich zu machen.

Die strenge, homöopathische Diät und Lebensweise heilt nicht die langwierig Kranken, die wie Widersacher vorgeben, um der Homöopathie ihr Verdienst zu schmälern, sondern auf der arzneilichen Behandlung beruht die Hauptsache. Dieß sieht man an den vielen Kranken, welche, jenen falschen Vorspiegelungen trauend, die strengste homöopathische Diät Jahre lang übten, ohne ihr chronisches Uebel sonderlich mindern zu können; es nahm dessen ungeachtet allmählig noch zu, wie alle Krankheiten chronisch miasmatischen Ursprungs ihrer Natur nach thun.

Aus jenen Ursachen also, und um die Kur möglich und ausführbar zu machen, muß der homöopathische Heilkünstler bei seinen Vorschriften der Diät und Lebensweise den Umständen nachgeben, und so erreicht er den Zweck der Heilung weit gewisser und daher auch vollkommner, als beim hartnäckigen Bestehen auf strengen, in vielen Fällen unausführbaren Vorschriften.

Wenn er die Kräfte dazu hat, muß der Tagelöhner seine Handarbeiten dabei fortsetzen, der Handwerksmann sein Handwerk, der Landmann, so viel er vermag, bei seiner Feldarbeit bleiben, und die Hausfrau ihre Wirthschaft, so viel ihre Kräfte erlauben, fortbetreiben – nur daß der Gesundheit auch der Gesunden schadende Verrichtungen untersagt werden, was der Einsicht des verständigen Arztes überlassen bleibt.

Die Klasse von Menschen, welche nicht von Körper-Anstrengung, sondern mit feinen Arbeiten im Zimmer, gewöhnlich sitzend, sich beschäftigt, muß bei der Kur mehr zum Gehen in freier Luft angehalten werden, ohne deshalb ihre Geschäfte gänzlich bei Seite zu setzen.[132]

Der vornehmem Klasse muß ebenfalls mehr, als ihr gewöhnlich ist, das Gehen zu Fuße zur Pflicht gemacht werden. Der Arzt kann ihr die unschuldigen Vergnügungen eines mäßigen, anständigen Tanzes, mit Diät vereinbarer Zerstreuungen auf dem Lande, oder meist in mündlicher Unterhaltung bestehender Gesellschaften guter Bekannten erlauben; er wird sie nicht von ihnen unschädlicher Musik oder vom Anhören nicht anstrengender Vorlesungen abhalten, aber kann ihnen nur in seltnen Fällen das Theater, nie aber das Kartenspiel erlauben; allzu oftes Fahren und Reiten wird der Arzt einschränken und moralisch und psychisch nachtheiligen Umgang zu verbannen wissen, da dieser auch das Physische beeinträchtigt. Die Liebeleien und leeren Aufreizungen der Sinnlichkeit zwischen beiden Geschlechtern sind, so wie alles Lesen schlüpfriger Romane und ähnlicher Dichtungen, und so auch abergläubiger und schwärmerischer Bücher gänzlich zu untersagen.11

Den Gelehrten wird er ebenfalls mehr zu (gemäßigter) Körperbewegung in freier Luft und bei übelm Wetter zu kleinen Handarbeiten im Hause anhalten, aber während der Kur seine geistigen Beschäftigungen fast bloß auf Ausarbeitungen aus freiem Kopfe beschränken, indem Kopf-Anstrengungen durch Lesen beinahe nie, oder doch nur mit großer Beschränkung und strenger Bestimmung der Menge und Beschaffenheit des zu Lesenden, bei Heilung irgend einer bedeutenden chronischen Krankheit erlaubt werden können; bei Geistes-Krankheiten gar nicht.[133]

Allen Klassen von chronischen Kranken ist die Anwendung von Hausmitteln und der Zwischen-Gebrauch von Arzneien irgend einer Art, auf eigne Hand, zu verbieten, so wie den höhern Klassen besonders die Parfümerieen, die Riechwasser und die Zahnpulver, so wie andre Zahnarzneien. Eine schon lange Angewöhnung an schaafwollene Bekleidung der bloßen Haut kann der homöopathische Arzt nicht schnell abschaffen, sondern nur bei fortgeschrittener Besserung der Krankheit und bei warmer Witterung mit einer vorerst baumwollenen Bekleidung vertauschen, bis der Kranke dann bald, bei warmer Witterung, zu Leinwand übergehen kann. Alle Fontanelle können bei chronischen Krankheiten von Bedeutung nur erst dann abgeschafft werden, wenn die innere Kur schon Fortschritte zur Besserung gemacht hat, vorzüglich bei bejahrten Kranken.

Dem Anliegen des Kranken um Fortsetzung angewöhnter Hausbäder kann der Arzt nicht nachgeben; bloß schnelles Abwaschen, so viel von Zeit zu Zeit die Reinlichkeit gebietet, erlaubt er; und so wird er den Aderlaß oder das Schröpfen nie zugeben, so sehr auch der Kranke an öftere Wiederholung desselben gewöhnt zu seyn versichern mag.

Was die Diät anlangt, so können alle Klassen von Menschen, wenn sie von einer langwierigen Krankheit hergestellt werden wollen, sich einige Einschränkungen gefallen lassen. Besteht die chronische Krankheit nicht in Leiden des Unterleibe, so bedarf es der allzustrengen Einschränkungen bei der niedern Menschen-Klasse nicht, vorzüglich wenn der Kranke im Stande ist, bei seiner Handarbeit und seinem, Körper bewegenden Geschäfte zu bleiben. Der Arme kann auch bei Salz und Brod durch die Arznei genesen und weder mäßiger Genuß von Kartoffeln, Mehlbrei oder jungem Käse werden ihn an der Genesung hindern, nur schränke er die Zuthat der Zwiebeln und des Pfeffers zu seiner dürftigen Kost ein.

Wem seine Genesung lieb ist, kann auch an der Hof-Tafel Speisen finden, die allen Erfordernissen einer naturgemäßen Diät entsprechen.

Am schwierigsten ist für den homöopathischen Arzt die Bestimmung der Getränke. Der Kaffee besitzt größtentheils die Nachtheile für die Gesundheit Leibes und der Seele, die ich in meinem Büchelchen (Wirkungen des Kaffees, Leipzig 1803) angegeben habe; er ist aber dem größten[134] Theile der sogenannten gebildeten Nationen dergestalt zur Gewohnheit und zum Bedürfnisse geworden, daß er so wenig leicht, als Vorurtheil und Aberglauben, auszurotten seyn wird, wenn nicht der homöopathische Arzt bei der Kur langwieriger Krankheiten auf einem allgemeinen, unbedingten Verbote besteht. Nur jungen Leuten bis zum zwanzigsten, höchstens bis zum dreißigsten Jahre kann er ihn jähling, ohne sonderliche Nachtheile, sogleich und auf einmal hinwegnehmen, Personen aber über 30 und 40 Jahre, wenn sie ihn von Kindheit an tranken, schlägt man vor, sich denselben allmählig abzugewöhnen, und täglich etwas weniger davon zu trinken, bis sie denselben gänzlich abgeschafft haben; und siehe! die Meisten lassen ihn sogleich, ohne sonderliche Beschwerden (außer etwa noch einige der erstern Tage) davon zu spüren. Noch vor 6 Jahren wähnte ich, daß älteren Personen, die ihn nicht gern entbehren wollten, der Kaffee noch in geringer Maße zu gestatten sey. Er wird aber, wie ich mich seitdem überzeugt habe, durch keine lange Gewohnheit unschädlich und da der Arzt bloß das Beste seinen Kranken erlauben kann, so bleibt es fest stehen, daß die chronisch Kranken sich dieses, als Diätstück schleichend nachtheiligen Getränks durchaus entäußern müssen – was sie dann auch (Hohe und Niedrige), wenn sie das nöthige Vertrauen zu ihrem Arzte haben, auf gehörig eindringliche Vorstellungen, fast Alle ohne Ausnahme gern und willig, zum großen Vortheile für ihre Gesundheit thun. In der Trommel gerösteter Rogken (oder Waizen) hat, wie Kaffee gekocht und zubereitet, im Geruche und Geschmacke viel Aehnlichkeit mit Kaffee, und Reiche wie Arme bedienen sich, seit einiger Zeit, dieses Getränks mit gutem Willen, in mehren Ländern.

Ein Gleiches läßt sich sowohl von den theuern, sogenannten feinen, als von den geringern Sorten des die Nerven so schmeichlerisch lockenden, und so heimlich und unausbleiblich angreifenden und schwächenden, chinesischen Thees sagen. Selbst sehr schwach bereitet und nur sehr wenig davon, auch nur einmal des Tages getrunken, ist er für jüngere Personen, so wie für ältere, die ihn von Kindheit an tranken, bei der Kur langwieriger Krankheiten nie unschädlich und sie müssen ihn mit einem unschädlichen, warmen Getränke vertauschen. Sie folgen auch nach meiner vielfachen Erfahrung den Gründen ihres treuen Rathgebers, ihres Vertrauen erweckenden Arztes, gern und willig.[135]

In Hinsicht der Einschränkung des Weins wird der Heilkünstler weit nachsichtiger seyn können, da bei chronisch Kranken wohl nie ein absolutes Verbot desselben nöthig wird. Kranke, die von Jugend an puren Wein12 reichlich getrunken haben, können ihn, je älter sie sind, desto weniger schnell oder gänzlich unterlassen. Dieß würde schnelles Sinken der Kräfte und Hinderung der Kur, auch wohl Lebens-Gefahr zur Folge haben. Sie werden sich jedoch die ersten Wochen begnügen, ihn mit gleichen Theilen Wasser gemischt zu trinken, in der Folge aber Wein allmählig mit zwei, drei, vier, endlich mit fünf oder sechs Theilen Wasser und etwas Zucker gemischt, welche letztere Mischung man zum gewöhnlichen Getränke allen chronisch Kranken erlauben kann.

Unerläßlicher noch ist bei der Kur chronischer Krankheiten die Abgewöhnung des Branntweins. Sie erfordert aber vom Arzte eben so viel Ueberlegung bei der Verminderung desselben, als Festigkeit in der Ausführung. Wo die Kräfte bei gänzlicher Abstellung desselben merklich leiden, muß eine kleine Portion guten puren Weins dafür genossen werden, auf eine Zeit lang, ferner aber mit einigen Theilen Wasser gemischt, je nach den Umständen.

So wie nach einem unverbrüchlichen Natur-Gesetze unsre Lebenskraft stets das Gegentheil von der Einwirkung physischer und arzneilicher Potenzen im menschlichen Organism hervorbringt in allen Fällen, wo es ein Gegentheil solcher Einwirkungen giebt, so ist es begreiflich, wie auch genaue Beobachtung bezeugt, daß die geistigen Getränke, nachdem sie gleich nach ihrem Genusse Stärkung und erhöhete Lebens-Wärme geheuchelt hatten, gerade das Gegentheil in der Nachwirkung zur Folge haben müssen vermöge jener gegentheiligen Reaktion der Lebenskraft unsers Organisms; es folgt unausbleiblich Schwäche und Minderung der Lebenswärme auf ihren Genuß, – Zustände, die nicht weit genug von dem zu heilenden chronisch Kranken durch den wahren Arzt entfernt gehalten werden können. Nur der nie zum Beobachten,[136] nie zum Nachdenken denken gewöhnte, nie die Schädlichkeit seiner Palliative in der Erfahrung einsehn wollende Allöopath kann seinen chronisch Kranken den verderblichen Rath geben, zur Stärkung täglich starken, puren Wein zu trinken, was ein ächter Homöopath nie thun wird (sed ex ungue leonem!).

Die Verstattung des Bieres ist eine bedenkliche Sache! Da in den neuern Zeiten die Künsteleien der Brauer beim Zusatze vegetabilischer Substanzen zu dem Malz-Absude nicht zur Verwahrung der Biere vor Säuerung, sondern auch, und vorzüglich, Gau men-Lockung und Rausch-Bewirkung zu beabsichtigen scheinen, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Schädlichkeit dieser, die Gesundheit beim täglichen Trinken oft tief untergrabenden, von keiner Polizei zu entdeckenden, böslichen Zusätze; so kann der rechtliche Arzt seinem Kranken nicht das Alles zum Getränke erlauben, was den Namen Bier führt, indem selbst den, wegen Mangel an Bitterkeit unverdächtiger scheinenden Weiß- oder Luftmalz-Bieren, um ihnen bei verminderter Malz-Menge dennoch die so beliebte, berauschende Kraft zu geben, nicht selten narkotische Dinge zugesetzt werden.

Zu den für chronisch Kranke allgemein nachtheiligen Diäts-Gegenständen ist auch der Genuß der essig- und citronsauern Dinge zu zählen, welche vorzüglich mit Nerven- und Unterleibs-Leiden Behafteten widrige Empfindungen und Beschwerden zu erzeugen pflegen, auch die Wirkung mehrer Arzneien theils aufheben, theils übermäßig erhöhen. So ist auch für dergleichen Kranke das sehr saure Obst (saure Kirschen, unreife Stachelbeere, Johannisbeere) nur in geringer, das süße aber nur in mäßiger Menge zu gestatten, daher auch gebackne Pflaumen als Palliativ zu Leibverstopfung Geneigten nicht zu rathen sind. Letztern und denen, die an schwacher Verdauung leiden, dient allzu junges Kalbfleisch nicht. Diejenigen, deren Geschlechts-Vermögen gesunken ist, haben sich im Genusse von jungen Hühnern und Eiern einzuschränken und die reizenden Gewürze der Vanille, die Trüffeln, den Caviar zu meiden, da sie als Palliative deren Heilung hindern. Frauenzimmer mit spärlichem Monat-Flusse müssen sich vor dem Gewürze des Safrans und des Zimmtes aus gleichem Grunde hüten, so wie Personen mit schwachem Magen ebenfalls vor Zimmt, Würznelken, Amomum, Pfeffer, Ingwer und bittern Dingen, die ihnen ebenfalls als Palliative in der homöopathischen Kur nachtheilig sind. Und so müssen[137] blähende Gemüße aller Art bei Unterleibs-Uebeln, bei Neigung zu Leibverstopfung und Hartleibigkeit untersagt werden. Rindfleisch nebst gutem Waizen- oder Rogken-Brode scheint nebst Kuhmilch und mäßigem Genusse der frischen Butter die natürlichste und unschädlichste Nahrung für Menschen und so auch für chronisch Kranke zu seyn, nur mit wenig Kochsalze zugerichtet. Nächst dem Fleisch vom Rind kömmt das von Hammeln, von Wildpret, ältern Hühnern und jungen Tauben; das Fleisch und Fett von Gänsen und Enten ist chronisch Kranken noch weniger zu erlauben, als das vom Schweine. Von gepökeltem und geräucherten Fleische darf nur selten und sehr wenig Gebrauch gemacht werden.

Rohe, gehackte Kräuter auf Suppen zu streuen, Gewürz-Kräuter an Gemüße und alten faulen Käse lasse man vermeiden.

Beim Genuß der Fische guter Art ist vorzüglich auf deren Zubereitung zu sehen, so daß sie am besten nur in Wasser gesotten genossen werden dürfen, und doch nur sehr mäßig, und nicht mit gewürzhaften Brühen; – dagegen keinen in der Luft getrockneten, keinen geräucherten Fisch; die salzigen (Hering und Sardellen) aber nur selten und sparsam.

Mäßigkeit in allen, selbst unschädlichen Genüssen ist eine Haupt-Pflicht für chronisch Kranke.

Als Diäts-Artikel ist auch der Gebrauch des Tabaks wohl zu beachten. Wohl ist das Tabak-Rauchen in einigen Fällen chronischer Uebel zu gestatten, wenn der Kranke von jeher ununterbrochen daran gewöhnt war und er nicht seinen Speichel dabei ausspuckt, doch immer mit Einschränkung, die größer seyn muß, wenn die Geistes-Funktionen, der Schlaf oder die Verdauung und die Leibes-Oeffnung leidet; wenn letztere nur immer erst nach Tabakrauchen zu erfolgen pflegt, so ist dieß Palliativ um so mehr einzuschränken und dagegen durch die dienlichen Antipsorika dauerhaft homöopathisch in Stand zu bringen. Noch bedenklicher ist jedoch das Tabakschnupfen, was als Palliativ gegen habituellen Stockschnupfen und Nasenverstopfung und schleichende Augen-Entzündung gemißbraucht zu werden pflegt und als solches ein großes Hinderniß bei der Kur chronischer Krankheiten abgiebt, daher auch bei solchen Kranken nicht zu dulden, sondern täglich um etwas zu mindern und baldigst abzuschaffen ist, vorzüglich weil beim Schnupfen das Arzneiliche der Brühen (Saucen), womit fast jeder Schnupftabak angemacht wird, in[138] Substanz die Nerven der innern Nase berühret, und wie eine eingenommene fremde Arznei schadet, was mit der schon durch Hitze zersetzten Kraft des glimmenden Rauchtabaks weit weniger der Fall ist.

Ich gehe nun zu den übrigen, möglichst zu meidenden Hindernissen der Heilung chronischer Krankheiten über.

Diejenigen Ereignisse im Menschen-Leben, welche im Stande sind, die sich bloß durch einige der oben angegebnen Zeichen vom gesunden Zustande abweichender Unbäßlichkeiten verrathende, also nur noch latente und im Innern schlummernde Psora zum Ausbruch in offenbare, chronische Krankheiten zu bringen, eben diese Ereignisse vermögen, wenn sie dem schon chronisch Kranken begegnen, seine Krankheit nicht nur zu erhöhen und schwieriger heilbar, sondern auch, wenn sie in hohem Grade ihn bestürmen, dieselbe unheilbar zu machen, im Fall die üble Lage desselben sich nicht plötzlich zu seinem Besten verändert.

Doch sind solche Ereignisse von sehr verschiedner Natur und daher auch von sehr verschiednem Grade nachtheiligen Einflusses.

Uebermäßige Strapatzen, Arbeiten in Sümpfen, große Beschädigungen und Verwundungen des Körpers, Uebermaß von Kälte oder Hitze und selbst der unbefriedigte Hunger der Armuth und ihre ungesunden Nahrungsmittel u.s.w. vermögen bei weitem nicht so sehr das im Hinterhalte der Verborgenheit lauernde, fürchterliche Siechthum der Psora zum Ausbruche bedeutender chronischen Krankheiten zu bringen, folglich auch weniger die schon vorhandne, chronische Krankheit zu verschlimmern; ja mit weit weniger Beeinträchtigung der Gesundheit kann der unschuldige Mensch 10 Jahre in der Bastille oder auf der Galeere körperlich qualvoll verleben, als etliche Monate, bei aller körperlicher Bequemlichkeit, in einer unglücklichen Ehe oder mit einem nagenden Gewissen. Im Innern bis dahin schlummernde Psora, die dem Günstling des Fürsten den Schein fast blühender Gesundheit verstattete, entfaltet sich schnell zu einem chronischen Leiden des Körpers oder verstimmt seine Geistes-Organe zum Wahnsinn, wenn er, durch Glücks-Wechsel von seiner glänzenden Höhe gestürzt, nun der Verachtung und der Dürftigkeit unterliegt. Der jählinge Todesfall des einzigen Sohnes zieht der schon psorisch kränkelnden, zärtlichen Mutter eine unheilbare Lungen-Eiterung oder einen Brustkrebs zu, der schon psorisch hysterischen,[139] gefühlvollen Jungfrau verschmähete Liebe eine Melancholie.

Wie schwer, wie selten vermag da die beste antipsorische Kur etwas zum Besten dieser Unglücklichen auszurichten!

Doch die häufigste Aufregung der schlummernden Psora zu chronischer Krankheit, so wie die häufigste Verschlimmerung schon vorhandner chronischer Uebel im Menschen-Leben entsteht von Gram und Verdruß.

Ununterbrochner Kummer oder Aergerniß erhöhet ja selbst die kleinsten Spuren noch schlummernder Psora gar bald zu größern Symptomen und entwickelt sie dann unvermuthet zum Ausbruche aller erdenklichen chronischen Leiden gewisser und öfterer, als alle andere nachtheilige Einflüsse im gewöhnlichen Menschen-Leben auf den Organism, wie denn beide eben so gewiß und oft die schon vorhandnen Uebel verstärken.

So wie der gute Arzt sich's schon zum Vergnügen macht, zur Beförderung einer nicht mit solchen Hindernissen befangenen Kur zu veranstalten, daß das Gemüth des Kranken möglichst erheitert und Langweile von ihm abgehalten werde, so wird er auch hier um so mehr die Verpflichtung in sich fühlen, alles anzuwenden, was in dem Bereiche seines Einflusses auf den Kranken und seine Angehörigen und Umgebungen liegt, um Gram und Aergerniß von seinem Kranken zu entfernen. Dieß wird, dieß muß der Haupt-Gegenstand seiner Sorgfalt und Menschen-Liebe seyn.

Sind aber des Kranken Verhältnisse hierin nicht zu bessern, hat er nicht so viel Philosophie, Religion und Herrschaft über sich selbst, alle Leiden und Schicksale, woran er nicht Schuld ist, und die zu ändern nicht in seiner Macht steht, geduldig und gelassen zu ertragen, stürmt Gram und Verdruß unabänderlich auf ihn ein, ohne daß der Arzt im Stande ist, dauernde Entfernung dieser größten Zerstörungs-Mittel des Lebens zu bewirken, so sage er sich lieber von der Behandlung der chronischen Krankheit los13 und überlasse[140] den Kranken seinem Schicksale, weil selbst durch die meisterhafteste Führung der Kur mit den ausgesuchtesten und dem Körper-Leiden angemessensten Heilmitteln nichts, gar nichts Gutes bei irgend einem chronischen Kranken unter fortwährendem Kummer und Verdrusse auszurichten ist, wo der Lebens-Haushalt durch stete Angriffe auf das Gemüth zerstört wird. Die Fortsetzung des schönsten Baues ist thöricht, wenn der Grund des Gebäudes täglich, obwohl nur allmählig von anspülenden Wellen untergraben wird.

Fast eben so sehr nahe und oft noch näher der Unheilbarkeit kommen diejenigen chronischen Krankheiten vorzüglich der Großen und Reichen, wenn diese schon einige Jahre, nächst dem Gebrauche mehrer mineralischer Bäder,14 durch die Hände verschiedner, oft vieler allöopathischer Aerzte gegangen sind, welche alle modige Kurarten, alle aus England, Frankreich oder Italien ruhmredig angepriesene Mittel, alle stark wirkende Vielgemische übergeschäftig an ihnen durchprobirt hatten. Da wird durch so viele unpassende, ja schon durch ihre Heftigkeit und ofte Wiederholung in großen Gaben schädliche Arzneien die stets zum Grunde liegende, wenn auch nicht mit Syphilis kombinirte Psora, mit den aus ihr hervorquellenden, chronischen Leiden von Jahr zu Jahre unheilbarer und nach mehrjähriger Fortsetzung solcher zweckwidrigen, ärztlichen Eingriffe in den Organism schier ganz unheilbar. – Sey es nun, was sich in dieser Verborgenheit nicht entscheiden läßt, daß diese heroischen, unhomöopathischen Potenzen der ursprünglichen Krankheit, wie zu vermuthen, neue Uebel hinzugefügt haben, welche durch die Größe der Gaben und ihre ofte Wiederholung nun bleibend und gleichsam chronisch geworden, oder sey es, daß durch solche Mißhandlung nur eine Verkrüppelung der verschiednen Fähigkeiten des organischen Lebens der Reizbarkeit, des Empfindungs- und des Reproduktions-Vermögens, und so (wahrscheinlich aus beiden Ursachen) das Ungeheuer in einander verschmolzener Uebel entstand, was kein Verständiger mehr für ein einfaches, natürliches[141] Uebel anzusehen vermag; – genug, diese allseitige Verstimmung und Entartung der zum Leben unentbehrlichsten Theile und Kräfte bietet dann ein Chaos von Uebeln dar, was der homöopathische Arzt nicht so leicht hin für heilbar halten darf.

Durch solche, nicht das Ursiechthum zu heilen fähigen, aber angreifenden und schwächenden Behandlungen wird nicht nur die Verschlimmerung der Psora von innen heraus beschleunigt, sondern es werden auch neue, künstliche, drohende Uebel durch dergleichen falsche, allöopathische Kuren erzeugt, so daß dann vor dem Angriffe beider die Lebenskraft sich oft kaum zu retten weiß.

Wenn in solchen Fällen die traurigen Folgen von den indirekten Angriffen der alten Kur-Methode auf das Leben bloß dynamische Verstimmungen wären, so würden sie gewiß, entweder, wenn man mit einer solchen Kur nachließe, bald von selbst wieder verschwinden, oder doch durch homöopathische Arznei wirksam wieder ausgelöscht werden können. Dieß ist aber gar nicht der Fall; sie weichen nicht. Höchst wahrscheinlich wird durch solche indirekte, anhaltende und wiederholte Angriffe auf die sensible und irritable Faser mittels dergleichen zweckwidriger arzneilicher Krankheits-Potenzen heftiger Art in großen Gaben und oft und lange wiederholt die Lebenskraft genöthigt, diesem Ruine thätigst vorzubauen und sich zu bestreben, die so schonungslos angegriffenen, zarten, innern Organe theils dynamisch zu verändern, theils materiell umzubilden, um so dieselben von jenen heftigen Bestürmungen unangreifbar zu machen und auf diese Art den Organism vor allgemeiner Zerstörung zu retten und zu decken, wie z.B. von eben dieser, das Leben instinktartig erhaltenden Kraft die feine, gefühlige Haut der Hände, wenn sie bei grober Arbeit öftern Beschädigungen von rauhen, ritzenden Materialien oder beizenden Substanzen ausgesetzt sind, wohlthätig mit dem gefühllosen Ueberzuge harter Hornhaut verwahrt wird. So werden auch bei anhaltenden, allöopathischen Kuren, die keine wahre Heilkraft für das chronische Uebel, keinen geraden, pathischen (homöopathischen) Bezug auf die Momente der chronischen Krankheit haben, sondern die dissimilären Theile des Körpers, jene feinen Organe im Innern angreifen, von der Lebenskraft, um dieselben und das Ganze vor dem Untergange zu schützen, dynamisch und organisch verbildet, d.i. theils unthätiger gemacht oder gelähmt, theils am Gefühle abgestumpft[142] oder gar aller Empfindung beraubt, auf der andern Seite hingegen die zarteste Faser innormal verdickt oder verhärtet, die kräftigere aber abgezehrt oder gar vernichtet – künstlich bewirkte After-Organisationen, Verwachsungen und Ausartungen, die bei Leichen-Oeffnungen, schlau genug, auf die Bösartigkeit der ursprünglichen Krankheit geschoben werden – ein, nicht seltner, aber in vielen Fällen unheilbarer verkrüppelter, innerer Zustand. Nur, wo noch hinreichende Kräfte in einem nicht von Alter gebeugten Körper vorhanden sind (aber wo wären unter allöopathischer Behandlung die Kräfte nicht vergeudet?), gelingt es unter günstigen, äußern Verhältnissen der vom Ursiechthum durch homöopathische (antipsorische), mühsame Behandlung des geübten Arztes dynamisch befreieten Lebenskraft, sich allmählig wieder zu ermannen, und jene (oft zahlreichen) aus Noth von ihr veranstalteten Verbildungen umzubilden – ein bloß der, meist schon von Psora befreiten, noch energischen Lebenskraft mögliches, fast schöpferisches Geschäft, was ihr jedoch, wie gesagt, nur unter günstigen, äußern Verhältnissen, oft erst in geraumer Zeit und gewöhnlich, nur unvollkommen gelingt. Die Erfahrung zeigt es täglich, daß je eifriger der Allöopathiker in chronischen Krankheiten seine unrichtige, verderbliche Kunst (oft mit großer Mühe, Fleiß und Beharrlichkeit) in Ausübung setzt, er die Kranken nur um desto mehr an Leib und Leben verhunzt.

Wie sollten wohl solche, oft Jahre lang im Kranken angerichteten Verderbnisse selbst von der besten, wahren Heilkunst – welche auf organische Fehler unmittelbar einzuwirken sich nie angemaßet hat – in kurzer Zeit in Gesundheit verwandelt werden können?

Der Arzt hat da keine natürliche, einfache psorische Krankheit vor sich, ja er hat, wenn auch die Kräfte nicht allzusehr (wie doch sehr oft) zu Grunde gerichtet waren, daß er beim ersten Anblicke schon von der Behandlung abzustehn sich genöthigt sah, doch nur erst nach langer Zeit einige Besserung, vollkommene Genesung aber nie zu versprechen. Erst müssen die vielen, das wankende Befinden durchkreuzenden, chronischen Arznei-Krankheiten nach und nach (etwa während eines mehrmonatlichen Aufenthaltes, fast ohne Arznei, auf dem Lande) oder bei einigem Anfange antipsorischer Kur, bei gebesserter Lebensweise und geregelter Diät, gleichsam von selbst (durch die Thätigkeit der Lebenskraft) entweichen –[143] (denn wer hätte wohl Heilmittel für alle diese, künstlich von dem Wirrwarr starker, unpassender Arzneien erzeugten Uebel?) – die Lebenskraft muß erst das von ihr aus Noth Verbildete wieder aufheben und zurückbilden, ehe der ächte Heilkünstler mit der Zeit wieder ein zum Theil reines, dem ursprünglichen ähnliches Siechthum vor sich sieht und zu bekämpfen fähig ist.15

Wehe dem jungen homöopathischen Arzte, der seinen Ruf durch die Kur solcher, mittels einer Menge allöopathischer, böser Künste zu solcher Monstrosität ausgearteter Krankheiten reicher, vornehmer Personen erst gründen soll! Er wird bei aller Sorgfalt scheitern.

Ein ähnliches, großes Hinderniß der Heilung weit gediehener, chronischer Krankheiten findet sich auch oft in der Entnervung und Schwächung, welche die Jugend sich, von begüterten Eltern verzogen, in ihrem Ueberflusse und Uebermuthe von böser Gesellschaft verführt, durch zerstörende Leidenschaften und Ausschweifungen, durch Schwelgerei, Mißbrauch des Geschlechtstriebes, Hazardspiel u.s.w. zuzuziehen pflegt. Ohne die mindeste Schonung des Lebens oder des Gewissens werden da, oft ursprünglich robuste Körper von diesen Lastern bis zu Schatten von Menschen herabgeschwächt und gemeiniglich noch durch üble Kuren ihrer venerischen Krankheiten so zu Grunde gerichtet, daß die nicht selten inwohnende Psora zu den bedauernswürdigsten, chronischen Krankheiten emporwächst, welche, wenn auch die Moralität des Kranken sich nun gebessert haben sollte, doch wegen der niederschlagenden Selbst-Vorwürfe und wegen des nur noch geringen Restes vergeudeter Lebenskräfte, höchst schwierig eine antipsorische Hülfe annehmen, und nur mit großer Zurückhaltung und Bevorwortung als heilbar vom homöopathischen Arzte zur Behandlung angenommen werden dürfen.

Wo aber besagte, oft fast unübersteigliche Hindernisse der Heilung jener unzähligen chronischen Krankheiten nicht[144] zugegen sind,16 da findet sich dennoch, vorzüglich bei der niedern Klasse der kranken Menschen zuweilen eine besondre, in der Quelle des Siechthums selbst liegende Schwierigkeit der Kur dann, wo die Psora nach mehrmals von Neuem erfolgter Ansteckung und mehrmaliger äußerer Vertreibung des davon entstandenen Ausschlags sich nach und nach aus dem Innern zu einem oder mehren, schweren, chronischen Leiden entwickelt hatte. Die Heilung erfolgt zwar auch hier, wenn obgedachte Hindernisse nicht eintreten, durch zweckmäßige Anwendung der antipsorischen Arzneien gewiß, aber nur nach vieler Geduld und beträchtlicher Zeit, bei folgsamen Kranken, wenn sie nicht zu hoch in den Jahren und nicht zu schwach an Kräften sind.

Aber auch in diesen schwierigen Fällen zeigt sich die weise Einrichtung der Natur zu unsrer Erleichterung, wenn wir nur den angebotnen günstigen Zeitpunkt benutzen wollten. Denn so sagt die Erfahrung, daß bei einer neu durch Ansteckung entstandnen Krätze, wenn auch nach mehrmals vorhergegangenen Ansteckungen und wieder Vertreibungen des Ausschlags die Psora schon beträchtliche Fortschritte zur Erzeugung chronischer Krankheiten mancherlei Art gemacht hat, die zuletzt entstandne Krätze, wenn sie nur noch ihren vollen, primitiven Ausschlag auf der Haut ungehindert behielt, fast eben so leicht, als sey sie die erste und einzige, zu heilen sey, folglich auch gewöhnlich bloß durch eine oder etliche Gaben der angemessenen, antipsorischen Arzneien, und daß durch diese Heilung zugleich die Psora von allen vorgängigen[145] Ansteckungen, mit ihren Ausbrüchen chronischer Leiden geheilt werde.17

Doch ist diese Heilungs-Begünstigung alter, mehrmals erneuerter Psora (durch künstlich bewirkte Krätz-Ansteckung), gesetzt der Kranke scheute sich auch nicht vor derselben, wie doch oft, nicht wohl absichtlich herbei zu führen, weil bei schweren chronischen Krankheiten unvenerischen, folglich psorischen Ursprungs, z.B. bei einer schon weit gediehenen Lungen-Eiterung, einer völligen Lähmung eines oder mehrer Körper-Theile u.s.w. das Krätz-Miasm selten haftet, und zwar, wie es der Erfahrung nach scheint, durch künstliches Einimpfen seltner, als bei ungefährer, unabsichtlicher Ansteckung.

Ich habe für den in der homöopathischen Heilkunst schon geübten Arzt wenig weiter zur Belehrung zu sagen, wie er in der Kur der chronischen Krankheiten zu handeln habe, als daß ich ihn auf die antipsorischen Arzneien am Ende dieses Werkes hinweise – denn er ist es, der sich derselben zu dieser erhabnen Absicht mit Erfolg zu bedienen wissen wird. Nur einige Cautelen habe ich noch vorzutragen.

Zuvörderst bleibt die große Wahrheit feststehen, daß alle chronische Beschwerden, alle große, und größte, langwierige Krankheiten – wenn man die wenigern, venerischen ausnimmt – sämmtlich einzig aus der Psora entsprießen und nur durch gründliche Heilung der Psora ihre Heilung finden, folglich meist nur mit antipsorischen Arzneien zu heilen sind, das ist, solchen, welche bei ihrer Prüfung auf ihre reinen Wirkungen im gesunden menschlichen Körper die meisten Symptome äußern von denen, die bei latenter sowohl als bei entwickelter Psora am häufigsten wahrgenommen werden.[146]

Daher hat der homöopathische Arzt in der Regel bei der Kur einer langwierigen (unvenerischen) Krankheit und für alle und jede in dieser Krankheit vorkommende Symptome, Beschwerden und Innormalitäten, sie mögen auch im gemeinen Leben oder in der Pathologie einen noch so verführerischen Namen führen, welchen sie wollen, sich vorzüglich an den Gebrauch der genau homöopathisch gewählten, antipsorischen Arznei zu halten, um seinen Zweck mit Gewißheit zu erreichen.

Er lasse sich's nicht einfallen, während der Wirkung einer wohl gewählten antipsorischen Arznei, wenn etwa den einen Tag z.B. ein mäßiger Kopfschmerz oder sonst eine andre mäßige Beschwerde entstünde, gleich ein anderes, sey es ein nicht antipsorisches, oder ein antipsorisches Arzneimittel, zwischenein den Kranken nehmen zu lassen, oder wenn etwas Halsweh entstünde, ein andres, oder ein etwas durchfälliger Stuhl, ein andres, oder ein leidlicher Schmerz an diesem oder jenem Theile, ein andres u.s.w.

Nein! die homöopathische, nach den Krankheits-Symptomen möglichst wohl gewählte, antipsorische Arznei, in dem angemessenen Kraft-Entwickelungs-Präparate und in der gehörigen Gabe gereicht, lasse er in der Regel völlig auswirken, ohne sie durch irgend ein Zwischenmittel zu stören.

Sind nämlich die bei der Wirkung dieser Arznei sich ereignenden Zufälle zwar nicht in den letzten Paar Wochen, wohl aber schon vor mehren Wochen hie und da, auch wohl vor einigen Monaten auf ähnliche Art beim Kranken zugegen gewesen, so ist dieser Zufall bloß eine homöopathische, durch die Arznei entstandene Aufregung eines schon in dieser Krankheit nicht ganz ungewöhnlichen, wohl gar ehedem häufiger beschwerlich gewesenen Symptoms und ein Zeichen, daß diese Arznei tief in das Wesen dieser Krankheit eingreift, folglich in der Folge desto hülfreicher seyn wird – daher lasse man sie ungestört ihre Zeit über fort- und auswirken, ohne das mindeste, andre Arzneiliche dazwischen einzugeben.

Sind es aber Symptome, welche noch nie, wenigstens in dieser Art noch nie da waren, also nur dieser Arznei eigenthümliche, nicht im Gange dieser Krankheit zu erwartende, jedoch geringfügige, so unterbreche man vor der Hand die Wirkung der Arznei noch nicht; sie vergehen oft, ohne die hülfreiche Kraft der wohlgewählten Arznei aufzuhalten, bald; sind sie aber von einer lästigen Stärke, so sind sie nicht zu[147] dulden; sie sind dann ein Zeichen, daß die antipsorische Arznei nicht richtig homöopathisch gewählt war. Ihre Wirkung muß dann entweder durch ein Antidot gehemmt, oder, wenn kein Antidot dagegen bekannt ist, so muß an seiner Stelle eine andre, genauer passende, antipsorische Arznei gegeben werden, wobei zwar diese falschen Symptome noch einige Tage fortdauern oder wiederkommen, dann aber dauernd verschwinden und einer bessern Hülfe Platz machen.

Am allerwenigsten Bedenklichkeit hat man sich einfallen zu lassen, wenn die gewöhnlichen, gangbaren Symptome sich bei der Wirkung der antipsorischen Arznei erhöhen und sich in den ersten Tagen am meisten, in einigen der folgenden Tage zwar wieder, doch nach und nach immer weniger zeigen. Diese sogenannte homöopathische Verschlimmerung ist ein Zeichen der anfangenden, vielleicht sicher zu erwartenden Heilung der, wenigstens vor der Hand, so erhöheten Symptome.

Zeigen sich aber diese erhöheten, ursprünglichen Symptome an den spätern Tagen noch von gleicher Stärke als Anfangs, oder wohl gar in den spätern noch stärker, so ist es ein Zeichen, daß die Gabe dieses, obschon passend homöopathisch gewählten, antipsorischen Mittels allzu groß war und befürchten läßt, daß keine Heilung durch sie erfolgen könne, weil die Arznei in dieser Gaben-Größe vermögend ist, eine zwar in einiger Hinsicht ähnliche, aber in der Rücksicht, daß die Arznei in dieser Heftigkeit noch ihre andern, die Aehnlichkeit aufhebenden Symptome entfaltet, unähnliche chronische Krankheit an die Stelle der natürlichen festzusetzen und zwar eine größere und beschwerlichere, ohne daß die alte, ursprüngliche dadurch ausgelöscht würde.

Dieß entscheidet sich schon in den ersten 16, 18, 20 Tagen der Wirkung der in allzu hoher Gabe gereichten Arznei, da man ihr dann Einhalt thun muß, entweder durch Verordnung ihres Antidots, oder, wenn dieß noch nicht bekannt ist, durch Eingeben einer andern, auf die dermaligen Symptome möglichst passenden, antipsorischen Arznei in sehr mäßiger Gabe, und wenn diese noch nicht zur Tilgung dieser schiefen Arznei-Krankheit hinreicht, noch durch Verordnen einer zweiten dann, so gut wie möglich, homöopathisch passenden.18[148]

Hat sich nun so der stürmische Angriff von der allzu großen Gabe der, obschon homöopathisch wohl gewählten Arznei durch ein Antidot oder den Nachgebrauch einiger andern antipsorischen Mittel gelegt, so kann später dieselbe, nur durch ihre überwiegende Stärke schädlich gewesene, antipsorische Arznei dennoch wieder einmal, und zwar sobald sie homöopathisch angezeigt ist, mit dem besten Erfolge gegeben werden, nur in weit kleinerer Gabe und in viel höher potenzirter Verdünnung, das ist, in gemilderter Eigenschaft.

Ueberhaupt kann der Arzt, nächst der unhomöopathischen Wahl des Arzneimittels, keinen größern Fehler begehen, als erstens, die nach vielfältigen Versuchen bis soweit (durch die Erfahrung genöthigt) von mir gemäßigten, bei jeder antipsorischen Arznei angezeigten Gaben für zu klein zu halten, zweitens, die unrichtige Wahl des Mittels und drittens, die Uebereilung, jede Gabe nicht hinlänglich auswirken zu lassen.

Von dem ersten Hauptfehler habe ich eben gesprochen und füge bloß hinzu, daß man nichts damit versieht, wenn man die Gaben (wenn's möglich wäre) noch kleiner verordnete, als ich selbst sie angegeben habe. Man kann sie fast nicht zu klein geben, wenn nur alles in der Diät und dem übrigen Verhalten des Kranken die Arznei-Wirkung Hindernde oder gar Aufhebende vermieden wird. Sie wirken dann doch noch alles, was man nur von der Arznei Gutes überhaupt erwarten kann, wenn das Antipsorikum nur richtig nach allen Beziehungen der sorgfältig ausgeforschten Krankheits-Symptome homöopathisch gewählt war und der Kranke durch sein Verhalten die Wirkung nicht störte; wo dann, wenn man ja einmal die Wahl nicht gehörig passend getroffen hätte, uns der große Vortheil übrig bleibt, die unrichtig gewählte Arznei in dieser kleinsten Gabe, auf obige Weise, leichter außer Wirksamkeit setzten zu können, worauf man folglich mit einem passendem Antipsorikum in der Kur ohne Aufenthalt fortfahren kann.[149]

Mit dem zweiten Haupt-Fehler bei der Kur chronischer Krankheiten, mit der unhomöopathischen Wahl der Arznei versündigt sich der angehende Homöopathiker (Viele bleiben, leider, lebenslang solche Anfänger!) am meisten durch Ungenauigkeit, Leichtsinn und Bequemlichkeit.

Mit großer Gewissenhaftigkeit, wie sie, mehr als Alles in der Welt, die Herstellung eines durch Krankheit gefährdeten Menschenlebens erfordert, muß der Homöopathiker, wenn er seines Berufes würdig handeln will, zuerst den ganzen Zustand des Kranken, die erinnerliche Veranlassung und die Unterhaltungs-Ursache seines Uebels, seine Lebensweise, seine Geistes-, Gemüths- und Körper-Beschaffenheit sammt allen Symptomen (nach Anleitung dazu im Organon) auszuspähen und hierauf ein, für möglichst alle diese Momente, wenigstens für die auffallendsten und sonderlichsten, mit seinen eigenthümlichen Symptomen in Aehnlichkeit passendes Arzneimittel im Buche von den chronischen Krankheiten selbst, so wie in der reinen Arzneimittellehre u.s.w. aufzusuchen sich befleißigen, nicht aber mit den vorhandnen Repertorien zu dieser Absicht sich begnügen – ein sehr häufiger Leichtsinn, indem die letztern Bücher nur leichte Winke auf dieß oder jenes, etwa wählbare Mittel zu geben bestimmt sind, nie aber das Nachschlagen in den Quellen entbehrlich machen können. Wer jenen Weg daher nicht in kritischen und verwickelten Krankheits-Fällen mit aller Geduld und Umsicht einzuschlagen sich die Mühe nimmt, sondern, mit den vagen Andeutungen der Repertorien in der Wahl der Arznei sich begnügend, schnell einen Kranken nach dem andern abfertigt, verdient den Ehrennamen eines ächten Homöopathikers nicht – eher den eines Sudlers, der dann alle Augenblicke ein anderes Mittel geben muß, bis der Kranke die Geduld verliert, und, in seinen Leiden, wie begreiflich, hiedurch verschlimmert, von diesem seinen Krankheits-Verderber abgehen muß, wodurch die Kunst selbst, statt des unwürdigen Kunst-Jüngers geschmähet wird.

Dieser schmählige Hang zur Bequemlichkeit (man bedenke, in dem gewissenhaftesten aller menschlichen Geschäfte!) bestimmt solche Schein-Homöopathen auch gar oft, die Arznei einzig nach den Nutz-Angaben (ab usu in morbis), wie sie in den Vorberichten zu den Arzneien verzeichnet sind, zu wählen und zu brauchen – ein ganz falsches, sehr nach Allöopathie riechendes Verfahren –, indem jene Nutz-Angaben[150] meist nur einzelne Symptome andeuten, auch bloß zur Bestätigung der schon nach den reinen Arznei-Wirkungen getroffenen Wahl des Mittels dienen sollen, aber nie um sich einzig durch diese (oft nur problematischen) Nutz-Angaben zur Wahl des nur in treffend homöopathischer Symptomen-Aehnlichkeit heilsamen Mittels bestimmen zu lassen. Es giebt, leider! sogar Schriftsteller, die zu diesem empirischen Fehlwege rathen!

Der dritte Haupt-Fehler, welchen der homöopathische Arzt bei der Kur chronischer Krankheiten nicht sorgfältig genug und nicht standhaft genug vermeiden kann, besteht in der Uebereilung und Unbedachtsamkeit, daß, wenn sich einer wohl gewählten, antipsorischen Arznei gehörig gemäßigte Gabe einige Tage über dienlich gezeigt hat, gleich wieder eine andre Arznei gereicht wird, in der irrigen Voraussetzung, jene so kleine Gabe könne unmöglich länger, als 8, 10 Tage wirken und hülfreiche Dienste thun, welchen Wahn man dadurch zu unterstützen sucht, daß den oder jenen Tag, wenn man sie fortwirken ließe, die zu tilgenden, krankhaften Symptome sich wieder von Zeit zu Zeit etwas gezeigt hatten.

Allein, wenn nur einmal die Arznei, weil sie richtig homöopathisch gewählt war, gut und vortheilhaft wirkt, was man schon den achten, zehnten Tag inne wird, so mag immerhin hie und da eine Stunde, oder ein halber Tag vorkommen, wo wieder eine mäßige homöopathische Verschlimmerung eintritt; die bessern Folgen bleiben dennoch nicht aus, zeigen sich aber bei sehr langwierigen Uebeln zuweilen erst nach dem 24sten, 30sten Tage in ihrem besten Lichte; die Gabe wird dann etwa beim 40sten, 50sten Tage gewöhnlich erst ihre gute Wirkung vollends ausgewirkt haben, vor deren Ablauf es unverständig und den Fortschritt der Besserung hindernd seyn würde, schon wieder eine andre Arznei zu reichen. Man wähne ja nicht, daß die Zeit der angegebnen, ungefähren Wirkungs-Dauer kaum abgewartet werden dürfe, um wieder eine andre antipsorische Arznei zu geben – daß man also mit der Abwechselung eilen müsse, um die Kur zu beschleunigen. Dieser Meinung widerspricht die Erfahrung gänzlich und dergestalt, daß man im Gegentheile die Heilung nicht mehr und nicht gewisser beschleunigen kann, als wenn man die passende, antipsorische Arznei, so lange sie die Besserung fortsetzt (wäre[151] es auch mehre und viele19 Tage über die angegebne, muthmaßliche Zeit der Wirkungs-Dauer derselben), noch fortwirken läßt, in solchen Fällen also möglichst spät, eine Gabe neuer Arznei giebt. Wer sich auf diesem Punkte in seiner Eilfertigkeit mäßigen kann, kommt desto gewisser und schneller zum Ziele. Nur wenn endlich die alten, schon von der letzten (und der vorigen) Arznei getilgten, oder sehr geminderten Symptome ein Paar Tage lang wieder anfangen, empor zu kommen, oder sich wieder merklich um etwas zu erhöhen, nur dann erst ist es der gewisseste Zeitpunkt, wieder eine Gabe der am besten homöopathisch passenden Arznei zu geben. Einzig und allein kann bloß die Erfahrung und sorgfältige Beobachtung hierüber entscheiden, und sie hat in meinen vielfältigen, genauen Beobachtungen schon entschieden, so daß hierüber kein Zweifel übrig bleibt.

Wenn man die großen Veränderungen bedenkt, welche in den vielen, verschiedentlich zusammengesetzten und unglaublich feinen Theilen unsers belebten Organisms von der Arznei bewirkt werden müssen, ehe ein so tief wurzelndes, und gleichsam parasitisch in den Haushalt unsers Lebens verflochtenes, chronisches Miasm, als die Psora ist, vertilgt werden und so ein gesunder Zustand wieder entstehen könne; dann wird man wohl einsehen, wie natürlich es sey, daß bei der oft so lang dauernden Wirkung einer Gabe antipsorischer, richtig homöopathisch gewählter Arznei, in verschiednen Zeiträumen, mehre Angriffe von derselben auf den Organism, gleichsam in wellenartigen Schwankungen, bei so langwierigen Krankheiten geschehen und, wie die Erfahrung zeigt, wenn einige Tage Besserung erfolgt sind, wieder einmal halbe, oder ganze, auch wohl mehre Stunden erscheinen, wo die Besserung rückgängig zu werden scheint, was aber, wenn nur die ursprünglichen[152] Beschwerden sich erneuern und keine neuen, starken Symptome vorkommen, doch nur die fortgehende Besserung nicht hindernde, vielmehr befördernde, homöopathische Aufregungen, das ist, nur erneuerte, wohlthätige Angriffe20 auf das Uebel sind, obschon dergleichen zuweilen noch 16, 20, 24 Tage nach Einnahme der Gabe antipsorischer Arznei zu erscheinen pflegen.

In der Regel also wirken die antipsorischen Arzneien in langwierigen Krankheiten desto länger anhaltend, je langwieriger letztere sind. Aber auch umgekehrt wirken selbst die Arzneien, welche im gesunden Körper eine lange Wirkungs-Dauer zeigen, (z.B. Belladonna, Schwefel, Arsenik u.s.w.) doch nur kurze Zeit und schnell in akuten und schnellläufigen Krankheiten, und desto kürzer, je akuter letztere sind. Der Arzt hat also in chronischen Uebeln jede antipsorische Arznei zuweilen sogar 30, 40, auch wohl 50 und mehre Tage allein wirken zu lassen, so lange sie die Krankheit, dem genauen Beobachter deutlich merkbar, obschon nur allmählig, zu bessern fortfährt – denn so lange hält ihre gute Wirkung in den angezeigten Gaben immer noch an, und sie darf, in solchem Falle, durch kein neues Mittel gestört und aufgehoben werden.21[153]

Läßt man aber die so passend gewählten antipsorischen Arzneien, wie gesagt, wenn sie fortwährend vortheilhaft wirken,[154] nicht ihre volle Zeit auswirken, so wird aus der ganzen Kur nichts. Das allzu zeitig und noch vor Ablauf der Wirkung des jetzigen, verordnete andre, an sich noch so treffliche Antipsorikum und so auch eine neue Gabe desselben, noch so eben vortheilhaft fortwirkenden Mittels kann auf keinen Fall das Gute ersetzen, was durch Unterbrechung der vollen Auswirkung des vorgängigen wohlthätigen verloren ging, und schwerlich durch irgend etwas wieder gut zu machen ist.

Grundregel bei Behandlung chronischer Krankheiten in dieser Hinsicht bleibt es: die Gabe der treffend homöopathisch für den sorgfältig nach seinen Symptomen ausgeforschten Krankheits-Fall gewählten Arznei ungestört auswirken zu lassen, so lange sie sichtbar die Heilung befördert und die Besserung des Uebels merklich zunimmt – ein Vorgang, der jede neue Verordnung, jede Unterbrechung durch eine andre Arznei, und eben so sehr die unmittelbare Wiederholung desselben Mittels verbietet. Auch kann es für den Arzt nichts Wünschenswertheres geben, als die Besserung der Krankheit ihrer Vollendung sich ungehindert und merklich nähern zu sehen. Solcher Art Fälle giebt es nicht ganz wenig, wo der geübte, sorgfältige Homöopathiker eine einzige Gabe seines vollkommen homöopathisch ausgewählten Mittels auch in einer sehr schwierigen chronischen Krankheit mehre Wochen, ja mehre Monate die Minderung des Uebels ununterbrochen fortsetzen sieht bis zur Genesung, was nicht besser auf andre Art zu erwarten und durch keine Behandlung mit mehren Gaben oder mehren Arzneimitteln zu ersetzen gewesen wäre. Um die Möglichkeit dieses Vorgangs einigermaßen begreiflich zu machen, dient die nicht unwahrscheinliche Annahme, daß ein möglichst genau homöopathisch gewähltes Antipsorikum auch in der kleinsten Gabe hoher und höchster Potenz-Grade eine so lang fortgesetzte Heilkräftigkeit und endliche Heilung wohl nur vermöge einer Art Ansteckung mit einer (die ursprüngliche[155] Krankheit überstimmenden) sehr ähnlichen, chronischen Arzneikrankheit bewirken könne, nach dem Vorgange der Natur selbst, vermöge deren (Organon, §. 45. fünfte Ausg.) von zwei der Art nach zwar verschiedenen, ihren Aeußerungen und Wirkungen aber und den durch jeden von ihnen verursachten Leiden und Symptomen nach sehr ähnlichen Krankheiten, so bald sie im Organism zusammentreffen, nämlich die stärkere Krankheit (was immer die von der Arzneikrankheit bewirkte ist – §. 33 ebend.) die schwächere (die natürliche) vernichtet. In diesem Falle würde jede neue Arznei-Gabe, und so auch desselben Mittels das Besserungs-Werk unterbrechen und neue Uebel erzeugen – eine Störung, die oft in langer Zeit nicht wieder gut zu machen ist.

Ereignen sich aber bei der gegenwärtigen Gabe Arznei auch nur einige schiefe Wirkungen, das ist, zu dieser Krankheit nicht gehörige, beschwerliche Symptome, und verstimmt sich das Gemüth des Kranken, wenn auch nur etwas, immer mehr, so kann ebenfalls die nächste Gabe derselben Arznei, unmittelbar nach der vorigen gereicht, nicht anders als sehr nachtheilig für den Kranken werden. Doch auch, wenn eine plötzliche, ungemeine, auffallende Besserung eines langwierigen großen Uebels gleich auf die erste Gabe einer Arznei erfolgt, da entsteht mit Recht viel Bedenklichkeit, daß das Mittel nur palliativ gewirkt hatte und daher nie wieder, selbst nicht nach Zwischenmitteln, wieder gegeben werden dürfe.

Indessen giebt es Fälle, welche Ausnahme von der Regel machen, die aber nicht jeder Anfänger zu finden sich getrauen darf.22[156]

Diese einzig zulässige Ausnahme für die unmittelbare Wiederholung derselben Arznei findet dann statt, wenn die Gabe der wohlgewählten und in jeder Hinsicht sich passend und wohlthätig erweisenden Arznei zwar einigen Anfang von Besserung macht, aber allzu schnell auswirkt, ihre Kraft also allzu geschwind sich erschöpft und die Heilung von da an nicht weiter bringen kann – was in chronischen Krankheiten selten, in akuten Krankheiten aber und den in akuten Zustand sich erhebenden chronischen Krankheiten oft der Fall ist. Nur dann, was der geübte Beobachter daran erkennt, daß die eigenthümlichen Symptome der zu behandelnden chronischen Krankheit, nach 14, 10, 7 und weniger Tagen sich ferner zu mindern sichtlich aufhören, die Besserung also offenbar still steht, ohne daß das Gemüth sich verschlimmerte und ohne daß beschwerliche, neue Symptome hinzugetreten wären, also die vorige Arznei noch vollkommen homöopathisch passen würde – nur dann, sage ich, ist es zweckdienlich, auch wohl erforderlich, eine Gabe derselben Arznei von gleicher Kleinheit, aber, am sichersten, in einem verschiednen Kraft-Entwickelungs- (Potenz-) Grade23 dem Kranken zu reichen, durch welche Modifikation abgeändert, die Lebenskraft des Kranken sichs noch williger gefallen läßt, von derselben Arznei sich weiter afficiren zu lassen, um alles damit ausrichten zu können, was sich nur von dieser Arznei und in diesem Uebel erwarten läßt.24[157]

Um ein Beispiel anzuführen, so gehört ein frisch entstandener Krätz-Ausschlag unter andern zu solchen Krankheiten, die noch am ersten die unmittelbare Wiederholung der Gaben (Schwefel) erlauben, und öfterer erlauben, je balder man ihn nach erfolgter Ansteckung zur Behandlung bekömmt, da er dann noch an die Natur eines akuten Uebels gränzt und daher sein Heilmittel in kürzeren Wiederholungs-Zeiten verlangt, als der schon längere Zeit auf der Haut gestandene, doch immer, wie gesagt, so, daß die Wiederholung nur erst dann erfolge, wenn die vorgängige Gabe schon ihre Wirkung größtentheils erschöpft hat (nach 6, 8, 10 Tagen) und daß die Gabe nicht nur eben so klein sey, als die vorgängige, sondern auch in einem verschiednen Potenz-Grade dem Kranken gereicht werde. Indeß wird es nach Maßgabe einiger Abänderung der Symptome oft auch hier dienlich, zwischen den Gaben reinen Schwefels zuweilen eine kleine Gabe kalkichte Schwefelleber anzubringen, auch in verschiednen Potenz-Graden (wenn ihrer mehre von Zeit zu Zeit nöthig werden) und nicht selten, nach den Umständen, eine von Krähenaugen M, auch wohl Quecksilber ( M)25 als Zwischenmittel.

Wenn ich den Schwefel, die Schwefelleber und in einigen Fällen, die Sepie ausnehme, so lassen sich die übrigen antipsorischen Mittel nur selten mit Vortheil in unmittelbar wiederholten Gaben reichen, was wir auch bei Heilung der chronischen Krankheiten fast gar nicht bedürfen, da uns ein großer Vorrath antipsorischer Mittel zu Gebote steht, aus welchen wir, sobald die Gabe des einen wohlgewählten Mittels seine Wirkung vollführt hat, aber eine Abänderung der Symptome beim Kranken, ein abgeändertes Krankheits-Bild zum Vorschein kömmt, ein nun hierauf homöopathisch passendes, andres Antipsorikum mit größerm Vortheile und sichrerer Aussicht,[158] die Heilung zu beschleunigen, wählen können, als wenn wir das Wagstück begehen, die nicht ganz mehr passende vorige Arznei wieder zu reichen. Doch wird es bei sehr langwierigen und verwickelten, meist allöopathisch verdorbnen Krankheiten fast immer nöthig, von Zeit zu Zeit wieder einmal während der Kur eine Gabe Schwefel oder Schwefelleber (je nach dem Befunde der Symptome) zu reichen, auch wenn vorher die Kranken mit großen allöopathischen Schwefelgaben und Schwefelbädern verdorben waren, doch dann erst nach einer vorausgeschickten Gabe Quecksilber M.

Wo, wie gewöhnlich, bei der Kur chronischer Krankheiten verschiedne antipsorische Arzneien nöthig sind, ist die öftere schnelle Abwechselung mit denselben ein Zeichen, daß der Arzt weder die eine, noch die andre angemessen homöopathisch gewählt, und eben so wenig die leitenden Symptome des Krankheitsfalles vor Reichung eines neuen Mittels gehörig ausgeforscht hatte. Ein häufiger Fehler, worein der homöopathische Arzt bei dringenden Fällen chronischer Krankheiten, noch mehr aber bei akuten aus Uebereilung zu fallen pflegt, besonders wenn der Kranke eine ihm sehr am Herzen liegende Person ist. Ich kann nicht genug vor dieser Verirrung warnen.

Dann geräth der Kranke natürlich in einen so überreizten Zustand, daß keine Arznei, wie man sagt mehr anschlägt, keine mehr ihre Wirkung thut,26 ja daß die Erregbarkeit nun auf dem Spiele steht, von der geringsten fernen Arzneigabe plötzlich zu verlodern und in wenigen Athemzügen zu erlöschen. Dann ist vor der Hand keine Rettung mehr durch Arzneien, wohl aber in einem (auch, wo nöthig, zu wiederholenden) kalmirenden, mesmerischen Striche, vom Scheitel aus (auf welchem zuerst beide flache Hände etwa eine Minute ruhen müssen) langsam über den Körper herabgeführt (über Hals, Achsel, Arme, Hände, Kniee, Unterschenkel, Füße und Zehen herüber).

Außerdem läßt sich eine Gabe homöopathischer Arznei für äußerst reizbare Kranke auf keine Art mehr mäßigen und mindern, als durch den Gebrauch des Riechens27 an ein[159] feinstes Streukügelchen mit dem gewählten Mittel in hoher Potenz befeuchtet, was in einem gestöpselten Gläschen liegt, dessen Mündung der Kranke in ein Nasenloch hält und nur einen augenblicklichen, kleinen Athemzug daraus thut. Es läßt sich überhaupt durch ähnliches Riechen die Kraft jeder potenzirten Arznei in allen Graden von Gabe dem Kranken mittheilen; ein, oder mehre solche, auch größere arzneiliche Kügelchen können im Riechgläschen befindlich seyn, und wenn der Arzt den Kranken längere und stärkere Athemzüge aus demselben thun läßt, so kann er die Gabe wohl hundert Mal verstärken gegen jene vorhin erwähnte kleinste. Auch hält auf diese Weise die Wirkungsdauer der durch solches Riechen auf eine so große Fläche (als die der Nasenhöhle und der Lungen) eindringenden Kraft der potenzirten Arznei nicht weniger lange an, als wenn eine kleine massive Gabe durch Mund und Schlund eingenommen worden wäre.

Solche in verstopften Gläschen aufgehobene Arzneikügelchen behalten ihre Arznei-Kraft ganz unvermindert, wenn das Gläschen auch öfters zum Riech-Gebrauch eröffnet würde, viele Jahre lang, wenn sie vor Hitze und Sonnenschein verwahrt bleiben. Diese Art, durch Riechen die potenzirte Arznei auf den Kranken wirken zu lassen, hat große Vortheile bei den mancherlei Unfällen, die die Kur chronischer Krankheiten nicht selten zu hindern und zu unterbrechen pflegen, gegen welche dann, um sie möglichst schnell wieder zu beseitigen, der Kranke das Gegenmittel in mehr oder weniger Stärke am besten ebenfalls durch Riechen empfängt, was die schnellste Einwirkung auf die Nerven und so auch die schnellste Hülfe gewährt, wodurch die Fortsetzung der Kur der chronischen Krankheit auch am wenigsten aufgehalten wird. Ja, wenn der Unfall auf diese Art schnell beseitigt worden, wirkt die vorhin genommene antipsorische Arznei zuweilen noch einige Zeit fort. Dann muß aber die Gabe des Riechmittels gegen den krankhaften Unfall so abgemessen werden, daß[160] seine Wirkung nur so eben zureicht, den Nachtheil von dem widrigen Begegnisse auszulöschen, ohne tiefer zu greifen, oder noch länger seine Wirkung fortsetzen zu können.

Wenn mich ein am unrechten Orte bedenklicher, homöopathischer Arzt fragt, wie er die vielen Tage nach einer Gabe Arznei, damit sie die gedachte, lange Zeit ungestört fortwirken könne, auszufüllen, und den28 täglich Arznei verlangenden Kranken unschädlich zu befriedigen habe, so entgegne ich mit zwei Worten, daß man ihm täglich eine Gabe Milchzucker, etwa zu 3 Gran, wie immer mit der fortlaufenden Nummer bezeichnet, zur gewöhnlichen Einnahme-Zeit zu geben habe.29

Ich bemerke hiebei, daß ich den Milchzucker zu dieser Absicht für eine unschätzbare Gabe Gottes ansehe.30[161]

Man darf sich nicht schmeicheln, daß die gegebne antipsorische Arznei gut gewählt gewesen sey, oder die Heilung der chronischen Krankheit befördern werde, wenn sie gleich die ersten Tage die beschwerlichsten Symptome: alte, große, stete Schmerzen, tonische oder klonische Krämpfe u.s.w., schnell und gänzlich, wie durch einen Zauberschlag, verschwinden macht, so daß der Kranke fast sogleich nach dem Einnehmen derselben so befreit von Leiden sich dünkt, als wäre er schon genesen und wie im Himmel. Diese Täuschung zeigt an, daß die Arznei hier enantiopathisch wirke, als ein Contrarium und Palliativ, und man in den folgenden Tagen nichts als bedeutende Verschlimmerung der ursprünglichen Krankheit von diesem Mittel zu erwarten habe. So wie sich dann diese falsche Besserung in einigen Tagen wieder in Verschlimmerung zu verkehren anfängt, ist es hohe Zeit, entweder das Antidot dieser Arznei, oder, wenn dieß nicht vorhanden ist, eine homöopathisch passendere Arznei an der Stelle zu verordnen. Höchst selten wirkt sie weiterhin noch gut. Ist jedoch die gleich Anfangs antipathisch, d.i. so auffallend zu erleichtern scheinende Arznei zu Wechselwirkungen[162] geartet, so könnte, wenn in der Folge die Verschlimmerung von dieser Gabe eintritt, dann wohl eine zweite Gabe desselben Mittels das Gegentheil, also anhaltende Besserung hervorbringen, wie ich wenigstens beim Ignaz-Samen wahrgenommen habe.

Auch läßt sich in solchen Fällen, oft mit gutem Erfolge, gegen die auf eine solche antipathisch wirkende Arznei, nach einigen Tagen, erfolgenden Beschwerden eine der übrigen Arzneien aus dem ansehnlichen Vorrathe in der reinen Arzneimittellehre, dem Archive der homöopathischen Heilkunst, oder den Annalen, auf einige Tage anwenden, bis die Psora-Krankheit wieder in ihr gewöhnliches Geleis eingetreten ist, wo dann ein homöopathisch gewähltes Antipsorikum zur Fortsetzung der Kur zu reichen ist.

Unter die Unfälle, welche die Kur nur überhingehend stören, rechne ich: Magen-Ueberladung (welche durch Hunger, d.i. durch Genuß nur weniger dünner Suppe, statt der Mahlzeit, und ein wenig Kaffee-Trank sich wieder bessern läßt), eine Magen-Verderbniß mit fettem, besonders Schweine-Fleische (durch Hunger und Pulsatille), eine Magen-Verderbniß, welche Aufstoßen nach dem Genossenen und vorzüglich Uebelkeit und Brecherlichkeit erzeugt (durch hoch potenzirten rohen Spießglanz). Magen-Verkältung mit Obst (durch Riechen an Arsenik), Beschwerden von geistigen Getränken (durch Krähenaugen), Magen-Verderbniß mit gastrischem Fieber, Frost und Kälte (durch Zaunrebe), Schreck (wenn es sogleich geschehen kann, und vorzüglich, wenn der Schreck Furcht erzeugte, durch Mohnsaft, wenn man aber erst später zu Hülfe kommen kann, oder wenn auch Aergerniß mit dem Schrecke verbunden ist, durch Akonit, ist aber Betrübnis die Folge des Schrecks, durch Ignaz-Samen, Aergerniß, welche innern, stillen Verdruß, Gram oder Scham hervorbringt (durch Ignaz-Samen), Aergerniß, welche Zorn, Heftigkeit, Hitze, Aergerlichkeit erzeugt (durch Chamille, ist aber neben der Aergerlichkeit Frost und Kälte des Körpers zugegen, durch Bryonie), Aergerniß mit Indignation, tiefer innerer Kränkung und (unter Fortwerfen dessen, was man eben in der Hand hielt, durch Staphisagria), Indignation mit stiller innerer Kränkung (durch Colocynthis), unglückliche Liebe mit stillem Gram (durch Ignaz-Samen), unglückliche Liebe mit Eifersucht (durch Bilsen), eine starke Verkältung (nächst inne Halten im[163] Zimmer oder im Bette, durch Krähenaugen, wenn Durchlauf davon entstand, Bittersüß, oder wenn Schmerzen die Folge waren, durch rohen Kaffee, ist aber Fieber und Hitze davon erfolgt, durch Akonit), Verkältung, worauf Erstickungs-Anfälle erscheinen (durch Ipekakuanha), Verkältung, wonach Schmerzen entstehen, mit Weinerlichkeit (durch rohen Kaffee), Verkältung und darauf Schnupfen mit Geruchs- und Geschmacks-Verlust (durch Puls.), Verheben oder Verrenken (in einigen Fällen durch Wohlverleih, am gewissesten aber durch Wurzel-Sumach), Quetschungen und Verwundungen durch stumpfe Substanzen (durch Wohlverleih), Haut-Verbrennen (durch Umschlagen von Wasser, mit hoch potenzirter Arsenik-Auflösung gemischt, oder stundenlanges, ununterbrochnes Auflegen [in recht heißem Wasser] heiß gemachten Weingeistes), Schwäche von Säfte- und Blut-Verlust (durch China), Heimweh mit Backenröthe (durch Caps.).

Doch wir bedürfen während der Heilung der chronischen Krankheiten durch antipsorische Arznei auch nicht gar selten des übrigen unantipsorischen Arznei-Vorraths in den Fällen, wo epidemische, oder auch nur sporadisch den Menschen befallende, gewöhnlich aus meteorischen oder tellurischen Ursachen entstandene Zwischenkrankheiten (morbi intercurrentes) unsre chronisch Kranken nicht unangetastet lassen und so die antipsorische Kur nicht bloß kurz stören, sondern oft längere Zeit unterbrechen. Hier tritt die übrige, bisher schon bekannte, homöopathische Hülfsleistung ein, weshalb ich hier nichts davon zu erwähnen habe, außer daß die antipsorische Kur gänzlich suspendirt werden muß, so lange die Heilung der herumgehenden, auch unsern (chronischen) Kranken befallenen Zwischenkrankheit dauert, wenn auch einige Wochen im schlimmsten Falle darauf hingingen. Doch auch hier ist, wenn die Erkrankung nicht allzu schwer war, die gedachte Anwendung der nöthigen Arzneien durch Riechen an ein damit befeuchtetes Streukügelchen zur Hülfe oft hinreichend und kürzt die Kur der akuten Krankheit ungemein ab.

Der verständige homöopathische Arzt wird gar bald den Zeitpunkt inne werden, wo seine Mittel die Heilung der herumgehenden Zwischenkrankheit31 vollendet haben und der eigenthümliche[164] Gang des chronischen (psorischen) Siechthums sich wieder fortsetzt.

Man wird jedoch nach Heilung einer solchen herumgegangenen Zwischenkrankheit die Symptome der ursprünglichen, chronischen Krankheit immer um etwas verändert, auch wohl[165] einen andern Theil des Körpers, als vorher, mehr leidend antreffen, wo dann der homöopathische Arzt genau nach dem jetzt übrig gebliebnen Krankheits-Bilde sein Antipsorikum wählen wird, nicht aber eins geradezu geben wollen, was er sich vor Eintritt der Zwischenkrankheit zu geben vorgenommen hatte.

Wird der Arzt zur Kur einer solchen herumgehenden Krankheit gerufen bei einem Kranken, den er nicht als chronisch Kranken vorher zu besorgen hatte, so wird er nicht selten, zumal wenn dieses Fieber von Bedeutung war, nach Besiegung desselben durch die auch bei den andern Kranken dieser Art homöopathisch specifischen Heilmittel, inne werden, daß die völlige Genesung auch bei guter Diät und Lebens-Ordnung oft nicht erfolgen will, sondern sich Zufälle andrer Art (gewöhnlich Nachwehen,Nachkrankheiten genannt) hervorthun und nach und nach eher erhöhen und chronisch zu werden drohen. Hier hat der homöopathische Arzt fast stets eine sich zur chronischen Krankheit ausbildende Psora vor sich, und wird daher nach der Lehre dieses Buchs sie antipsorisch zu heilen wissen.

Hier ist der Ort, aufmerksam darauf zu machen, daß die großen epidemischen Krankheiten: Menschen-Pocken, Masern, das Purpur-Friesel, das Scharlachfieber, der Keichhusten, die herbstliche rothe Ruhr und andre Typhus-Arten, wann sie ihren Lauf, vorzüglich ohne zweckmäßige, homöopathische Behandlung, vollenden, den Organism so erschüttert und erregt hinterlassen, daß bei vielen, so weit Genesenen die in ihrem Innern schlummernde und latente Psora nunmehr schnell erwacht entweder zu krätzähnlichen Ausschlägen,32[166] oder zu andern chronischen Leiden, welche dann bald, wenn sie nicht gehörig antipsorisch behandelt werden, wegen der zu dieser Zeit noch anhaltenden, großen Erschöpfung des Organisms, in kurzer Zeit einen hohen Grad erreichen, in welchem Falle dann von dem gewöhnlichen allöopathischen Arzte, wenn der Kranke nach allen seinen unpassenden Vorkehrungen, wie nicht selten, stirbt, bekannt gemacht wird, er sey an den Folgen des Keichhustens, der Masern u.s.w. gestorben.

Diese Folgen sind aber die bis jetzt nach ihrem Urgrunde unbekannt, folglich ungeheilt gebliebenen, unzählbaren chronischen Krankheiten in zahllosen Formen entwickelter Psora.

Die epidemischen und sporadischen Fieber bedürfen daher, so wie die miasmatischen, akuten Krankheiten, wenn sie sich nicht bald rein entscheiden und unverweilt in Genesung übergehen, – selbst wenn man für das Epidemische oder akut Miasmatische ein homöopathisches Specifikum gefunden und richtig angewendet hätte – oft eine antipsorische Nachhülfe, die ich gewöhnlich im Schwefel antraf, wenn der Kranke nicht schon kurz vorher ein Schwefel enthaltendes Arzneimittel gebraucht gehabt hatte, als in welchem Falle das nunmehr passende Antipsorikum aus der Zahl der übrigen anzuwenden ist.

Die endemischen Krankheiten beruhen in ihrer so auffallenden Hartnäckigkeit fast einzig auf einer psorischen Komplikation, oder auf Psora, gemodelt durch die Eigentümlichkeit der Orts-Beschaffenheit (und die besondre Lebensweise der Bewohner), so daß z.B. in Sumpf-Gegenden entstandene Wechselfieber auch nach Uebergang des Kranken in eine trocknere Gegend oft bei allem China-Gebrauche doch nicht zur Genesung gelangen, wenn nicht die antipsorische Behandlung, und zwar diese vorzüglich, in Anwendung gebracht wird. Die Sumpf-Ausdünstungen scheinen eine der stärksten physischen Entwickelungs-Ursachen der im Innern bei so vielen Menschen vorhandnen, latenten Psora abzugeben,33 am meisten in heißen Ländern; ohne fast durchgängige Anwendung[167] der besten, antipsorischen Kurart wird man nie dahin gelangen, das Mörderische der feuchten Klimate zu heben und sie in erträglich gesund bewohnbare Gegenden umzuwandeln. Der Mensch gewöhnt sich an die äußersten Grade der Luft-Wärme, so wie an die heftigste Kälte, und kann in beiden Extremen froh und gesund leben, warum sollte er sich nicht, so wie an die trockensten Berg-Gegenden, so auch an Sumpf-Gegenden gewöhnen können, wenn hier nicht ein bisher unentdeckter, unbesiegter Feind des kräftigen Lebens und dauernder Gesundheit, wenn, sage ich, die Psora nicht so oft im Hinterhalte läge, welche, bei wem sie nur im Innern schlummerte (und wie häufig ist dieß nicht der Fall!), durch stagnirende Wässer und die, vorzüglich bei anhaltender Luft-Wärme, aus feuchtem Boden und Sümpfen emporgährenden Gasarten gewisser, als durch irgend eine andere, der Gesundheit nachtheilige, physische Potenz, ja unaufhaltbar entwickelt wird zu chronischen Krankheiten aller Art, vorzüglich denen, in welchen die Leber am meisten leidet?

Die neuerlichst hinzugekommenen Symptome einer sich selbst überlassen gebliebenen (nicht durch ärztliche Pfuscherei verhudelten) chronischen Krankheit weichen in der antipsorischen Kur am ersten, die ältesten und immer am beständigsten und unverändertsten gebliebenen Uebel aber, worunter die ständigen Lokal-Uebel gehören, am spätesten und nur, nachdem alle übrigen Beschwerden schon verschwunden und die Gesundheit in jeder andern Rücksicht fast völlig wiedergekehrt ist. Von den in Anfällen repetirenden Allgemeinleiden, z.B. den periodischen Arten Hysterie, den verschiednen Epilepsien u.s.w. können durch ein passendes Antipsorikum die Anfälle oft schnell ausbleiben; damit dieß Ausbleiben aber dauernd und zuverlässig werde, dazu gehört die vollständige Heilung der ganzen inwohnenden Psora.

Das nicht seltne Verlangen des Kranken, ein ihm vorzüglich lästiges Symptom vor allen andern zuerst getilgt zu sehen, ist unausführbar, dem Unwissenden aber zu Gute zu halten.

In dem schriftlichen Tages-Berichte während des Gebrauchs der antipsorischen Arznei muß der entfernte Kranke diejenigen unter den Zufällen jedes Tages, welche er seit[168] längerer oder langer Zeit zuerst wieder spürte, einmal unterstreichen, zur Belehrung des Arztes, diejenigen Symptome aber, welche er noch nie hatte und an diesem Tage zuerst bemerkte, läßt man ihn doppelt unterstreichen. Die erstern deuten an, daß das Antipsorikum das Uebel in der Wurzel erfaßt und viel zur gründlichen Heilung thun wird, die letztern aber geben dem Arzte den Wink, wenn sie häufiger und immer stärker erscheinen, daß das Antipsorikum nicht völlig homöopathisch gewählt war und bei Zeiten unterbrochen und durch ein treffenderes ersetzt werden müsse.

Gegen die Hälfte der Heilung hin fängt die verminderte Krankheit an, allmählig in den Zustand latenter Psora wieder zurück zu gehen; die Symptome werden schwächer und schwächer, und zuletzt spürt der aufmerksame Arzt nur noch Spuren davon, welche er jedoch mit der antipsorischen Behandlung bis zu ihrem gänzlichen Verschwinden verfolgen muß, indem der mindeste Rest einen Keim zum wieder empor Sprießen des alten Uebels behält.34 Wollte man hier die Heilung schon für ganz vollendet ausgeben und wähnen, was der gemeine Mann (auch wohl die höhere Klasse des unärztlichen Publikums) in solchen Fällen zu sagen pflegt: »es wird sich nun wohl von selbst vollends geben,« so würde man sehr irren – denn mit der Zeit entspinnt sich, vorzüglich auf Veranlassung großer, widriger Ereignisse im Leben aus dem kleinen Ueberbleibsel der nur geminderten Psora eine neue chronische Krankheit, welche nach und nach von selbst sich unausbleiblich erhöhet, nach der Natur der Krankheiten aus ungetilgten, chronischen Miasmen, wie ich oben gelehrt habe.

Das Cito, Tuto et Jucunde des Celsus fordert der leidende Kranke billig vom Arzte, vom homöopathischen aber kann er es mit Recht erwarten bei akuten Krankheits-Fällen aus gelegentlichen Veranlassungen, so wie bei den abgesonderten, zu Zeiten herumgehenden (sogenannten interkurrenten) Zwischen-Krankheiten.

Was aber insbesondre das Cito, die Beschleunigung der Heilungen, anlangt, so verbietet es, wenigstens bei alten chronischen Uebeln, die Natur der Sache.35[169]

Die Heilung zehn-, zwanzig-, dreißig- und mehrjähriger großer chronischer Krankheiten (wenn sie nicht vorher durch ein Uebermaß allöopathischer Kuren verhudelt oder wohl gar, wie so oft, bis zur Unheilbarkeit verdorben worden) kann man schnell verrichtet nennen, wenn man sie in einem bis zwei Jahren zu Stande bringt. Wenn sie bei jüngern, robusten Personen in der Hälfte dieser Zeit zu Stande kommen, so muß man dagegen im Greisen-Alter, auch bei der besten Behandlung von Seiten des Arztes und der pünklichsten Folgsamkeit von Seiten des Kranken und der Angehörigen noch ein Ziemliches zu dieser Kur-Zeit zugeben. Man wird es auch begreiflich finden, daß eine so lang angehaltene (psorisch) chronische Krankheit, deren ursprüngliches Miasm, in einem langen Leben, so viel Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, allmählig, gleichsam in alle Fugen des zartesten Lebens-Baues seine parasitischen Wurzeln zu flechten, endlich so innig mit dem Organism verwebt wird, daß, außer angemessenster ärztlicher Behandlung, sorgfältiger Lebensordnung und Folgsamkeit des Kranken, auch noch Geduld desselben und gehörig viel Zeit erforderlich seyn müsse, um diesen vielarmigen, dynamischen Polypen in allen seinen Theilen zu vernichten, unter Schonung der Selbständigkeit des Organisms und seiner Kräfte.

Vielmehr müssen bei einer, auch längern und noch so langen antipsorischen Kur die Kräfte des Kranken immer zunehmen – schon vom Beginn der richtigen Behandlung an zuzunehmen anfangen und so bis zur Genesung und Erreichung des Normal-Zustandes steigen. Sie steigen während der ganzen Kur, ohne Anbringung der mindesten, sogenannten Stärkungsmittel, und wachsen von selbst freudig wieder auf in dem Maße, als das Leben von dem an ihm nagenden Feinde befreiet wird.36[170]

Die beste Zeit zur Einnahme einer Gabe antipsorischer Arznei scheint weniger Abends, eine Stunde vor Schlafengehn, als früh, nüchtern zu seyn, wo man dann die Pulver-Nummer,37 in welcher sie befindlich ist (und so dann gleichmäßig auch die übrigen Nummern), wenn sie am schwächsten wirken soll, nur trocken einnimmt und so für sich auf der Zunge zergehen läßt, oder mit 2, 3 Tropfen Wasser im Löffel angefeuchtet einnimmt, nur so bloß, ohne (in beiden Fällen) etwas darauf zu trinken oder sonst zu genießen binnen einer halben oder ganzen Stunde.38

Nach der Einnahme muß sich der Kranke wenigstens eine volle Stunde ganz ruhig verhalten, doch ohne zu schlafen (der Schlaf verspätet die anfängliche Wirkung). Er muß in dieser Stunde, wie überhaupt bei der ganzen Kur, alle widrige Gemüths-Bewegungen vermeiden, auch den Geist, gleich nach dem Einnehmen, auf keine Weise, weder durch[171] Lesen, noch durch Rechnen, Schreiben oder durch Nachdenken erfordernde Gespräche anspannen.

Weder kurz vor der zu erwartenden, weiblichen Periode, noch auch während des Flusses derselben darf die Gabe antipsorischer Arznei eingenommen werden; wohl aber kann man sie schon, wo nöthig, am vierten Tage nach dem Ausbruche derselben, etwa 96 Stunden darnach, eingeben. In dem Falle aber, daß die Periode bisher gewöhnlich zu zeitig eintrat, oder zu stark ging, oder sich doch mehre Tage hinschleppte, ist es oft nöthig, diesen vierten Tag erst eine kleine Gabe Krähenaugen (ein feinstes Streukügelchen, mit hoher Kraft-Entwickelung befeuchtet) zu riechen und dann erst vier, sechs Tage darauf das Antipsorikum. Ist das Frauenzimmer aber sehr empfindlich und nervenschwach, so muß sie, bis sie der Genesung näher kömmt, fast jedes Mal, 72 Stunden nach Eintritt der Regel einmal an ein solches Streukügelchen riechen, ungeachtet der fortgesetzten antipsorischen Kur.39

Schwangerschaft ist in allen ihren Graden so wenig eine Hinderung der antipsorischen Kuren, daß sie vielmehr da oft am nöthigsten und hülfreichsten40 werden. Am nöthigsten,[172] weil die chronischen Uebel sich da mehr entfalten. In diesem an sich ganz naturgemäßen Zustande des Weibes offenbaren sich die Symptome der innern Psora oft am deutlichsten,41 wegen der dann gesteigerten Empfindlichkeit und Gefühligkeit des weiblichen Körpers und Gemüths; die antipsorischen Arzneien wirken daher hier bestimmter und merklicher, was dem Arzt die Weisung giebt, hier die Gaben derselben möglichst klein und in hoch potenzirter Verdünnung einzurichten und so auch in der Wahl möglichst homöopathisch zu Werke zu gehen.

Säugenden Kindern selbst wird nie Arznei eingegeben; bloß die Mutter oder Amme nimmt das Mittel an ihrer Stelle ein; durch ihre Milch wirkt es sehr schnell auf's Kind, mild und heilkräftig.

Die des Verstandes entbehrende, sich selbst überlassene Körper-Natur (ihr Lebens-Erhaltungs-Prinzip, Lebenskraft genannt) vermag in chronischen Krankheiten und den aus diesen von Zeit zu Zeit entspringenden, akuten Krankheiten zur temporären Rettung von jählinger Lebens-Befährdung (durch die inwohnende Psora) nichts Besseres als Palliative zu veranstalten. Daher die in chronischen (psorischen) Krankheiten von selbst hie und da entstehenden häufigern Absonderungen und Ausleerungen mancher Art, die Durchfälle, Erbrechen, Schweiße, Geschwüre, Blutflüsse u.s.w. – alle, mit nur kurz dauernder Erleichterung des dennoch unaufhaltbar (und zwar wegen der durch alles dieß entstehenden Säfte- und Kräfte-Verluste) im Grunde immer mehr verstärkten chronischen Urübels.

Die Allöopathie konnte bisher eben so wenig zur wahren Heilung der chronischen Krankheiten thun; sie konnte bloß[173] die vernunftlose Körper-Natur in ihren Palliationen nachahmen (gewöhnlich ohne gleiche palliative Erleichterung und mit größerer Aufopferung von Kräften); sie bewirkte folglich dadurch, noch mehr als jene, Beschleunigung des allgemeinen Ruins, ohne das Mindeste zur Auslöschung des Grund-Uebels beitragen zu können. Dahin gehören alle die vielen, unbeschreiblich vielen, sogenannten auflösenden (Purgir-) Mittel, die Aderlässe, das Schröpfen, die bis zum Unsinn jetzt vermehrten Blutegel-Anlegungen, die Schwitz-Mittel, die künstlichen Geschwüre, Haarseile, Fontanelle, Exutorien u.s.w.

Der homöopathische Arzt bedarf, da er nun gründliche Hülfe weiß, durch das antipsorische Verfahren die chronische Krankheit selbst zu vernichten, aller der genannten, nur Verderben beschleunigenden Veranstaltungen, Gott sey's gedankt, so wenig, daß er vielmehr mit aller Sorgfalt zu verhüten hat, damit der Kranke (nach dem alten, von der Allöopathie über die weite Erde verbreiteten Schlendriane) nicht selbst dergleichen bei der antipsorischen Kur heimlich anwende. Er darf dem Kranken bei seinem Andringen, z.B. daß er nun einmal so und so oft Abführungen oder warme Bäder zu nehmen gewohnt sey, und also wohl dergleichen bedürfe, nie nachgeben, nie etwas Aehnliches erlauben.

Der seiner Heilkunst mächtige, homöopathische Arzt – (es giebt nun schon, Gott sey Dank! solcher Meister in der Homöopathik eine nicht mehr geringe Zahl –) läßt nie einen Tropfen Blut seinem Kranken nehmen; er bedarf nie irgend einer solchen oder ähnlichen Schwächung; die ewig eine gerade Negation von Heilung bleibt. Bloß die noch in der Lehre stehenden Halb-Homöopathen bedürfen leider noch dieser contradictio in adjecto (im Heilen-Wollen, Schwächen).42[174]

Nur in dem einzigen Falle, wo, wie in vielen chronischen Krankheiten, die oft viele Tage zögernde Stuhl-Ausleerung große Beschwerden macht, erlaubt er (zu Anfange der Kur, ehe die antipsorische Arznei noch Zeit gehabt, Besserung in diesem Punkte [in ihrer Nachwirkung] zu Stande zu bringen), wenn der Stuhl 3, 4 Tage ausbleibt, ein Klystir von reinem, lauen Wasser, ohne den mindesten Zusatz, einzuspritzen, auch wohl ein zweites, wenn binnen einer Viertelstunde noch kein Abgang erfolgt ist. Selten ist dann eine dritte Spritze voll nach einer wiederum vergeblich abgewarteten Viertelstunde noch nöthig. Dieß ist eine unschädliche, meist bloß mechanisch, durch Ausdehnung des Darmes, wirkende, nützliche Hülfs-Leistung, wenn sie nur nach 3, 4 Tagen, wo nöthig, wiederholt wird, und, wie gesagt, nur zu Anfange der Kur – denn die antipsorischen Arzneien, unter denen hierin oft das Lykopodium, nächst dem Schwefel, den Vorrang hat, bringen diese Beschwerde gewöhnlich bald beiseite.

Die durch Nichts zu entschuldigenden, auszehrenden Fontanelle kann der homöopathische Arzt, sobald sie der Kranke schon längere Zeit (oft viele Jahre) getragen hat, doch nicht eher abschaffen, als bis die antipsorische Kur schon merklichen Fortgang hat; können sie aber vermindert werden, ohne sie ganz aufzuheben, so kann dieß schon Anfangs der Kur geschehen.

So kann er auch die der Verkältung vorbeugen sollende, schafwollene Bekleidung der Haut, die von den gewöhnlichen Aerzten, in Ermangelung wesentlicher Hülfe, sehr weit getrieben wird, – dem Kranken sehr zur Belästigung – nur bei sichtbarem Anfange der Besserung durch die Verkältlichkeit hebenden Antipsorika und bei wärmerer Jahreszeit ablegen, bei sehr Schwächlichen jedoch Anfangs erst auf einige Tage mit baumwollenen Hemden, welche weniger die Haut reiben und erhitzen, vertauschen lassen, ehe er zur leinenen Wäsche auf bloßer Haut den Kranken übergehen läßt.

Aus vielen, leicht in die Augen fallenden Gründen, doch schon um seine feinen Arznei-Gaben in ihrer Wirkung nicht[175] hindern zu lassen, kann der homöopathische Arzt keinen Zwischengebrauch, obschon bisher angewöhnter Hausmittel bei seiner antipsorischen Kur erlauben, keine Parfümerien irgendeiner Art, keine Riechwasser, keine Riechbüchschen, keinen Baldrian- oder andern Kräuter-Thee, keine Pfeffermünzkügelchen, keine gewürzte Konditor-Leckereien oder Anies-Zucker, oder Magen-Morsellen, oder Liqueure, keine Isländermoos- oder gewürzte Schokolade, keine Mund-Latwergen, Zahn-Tinkturen, oder Zahn-Pulver gewöhnlichen Schlags und wie die übrigen, ähnlichen Luxus-Artikel alle heißen mögen.

Sogenannte warme und heiße Reinlichkeits-Bäder, woran die verwöhnten Kranken oft sehr hängen, sind, da sie das Befinden zu stören nie unterlassen, nicht zu gestatten, auch nie nöthig, da ein schnelles Abwaschen des Theils oder des ganzen Körpers mit lau kühlem Seifenwasser die Absicht vollkommen erreicht und ohne Nachtheil.

Zu Ende dieser Anleitung, chronische Krankheiten zu heilen, erster Ausgabe, hatte ich die kleinsten elektrischen Schlag-Funken als Beihülfs-Mittel zur Belebung alter Lähmungen und empfindungsloser Theile, neben der antipsorischen Kur lokal anzubringen empfohlen. Es gereuet mich, und ich nehme hier diesen Rath wieder zurück, da mich die Erfahrung gelehrt, daß man nirgend nach dieser Vorschrift zu verfahren pflegte, sondern immer größere, elektrische Funken, zum Schaden der Kranken, anwendete und sie dennoch für möglichst klein ausgab. Ich rathe daher nun von dieser so leicht mißbräuchlichen Veranstaltung ab, zumal da wir uns auch dieses entfernten Scheins von enantiopathischer Beihülfe füglich entäußern können, indem es eine wirksame, homöopathische lokale Beihülfe für gelähmte oder empfindungslose Theile schon im örtlich angebrachten kalten Wasser43 (10° Reaum.) aus Bergquellen und tiefen Brunnen giebt, theils mittels ein-, zwei-, drei-minütlichen Begießens dieser Theile damit, theils mittels eben so kalter Staub-Bäder über den ganzen Körper von 1 bis 5 Minuten Dauer, nach den Umständen seltner, öfterer,[176] oder täglich einmal oder mehre Male angebracht, neben der zweckmäßigen, antipsorischen innern Kur, hinreichender Bewegung in freier Luft und zweckmäßiger Diät.

Fußnoten

1 Welche beide nie von selbst vergehen, wenn man sie nicht äußerlich mit Fleiß zerstört, oder die ganze Krankheit innerlich geheilt wird.

2 Z.B. durch Kälte, m.s. von obigen Beobachtungen Nummer 67.; durch Menschenpocken No. 39.; durch warme Bäder No. 35.

3 M.s. die Nummern 9. 17. 26. (36.) 50. 58. 61. 64. 65. – in welchen Beobachtungen man zugleich siehet, daß nach solchen Selbstverschwindungen des ursprünglichen Krätz-Ausschlags nicht weniger Nachtheile, als nach künstlicher, örtlicher Vertreibung desselben zu erfolgen pflegen.

4 Es gab eine Zeit, wo ich, hievon noch nicht gehörig überzeugt, noch wähnte, die Heilung der ganzen Psora durch künstliche Erneuerung des Haut-Ausschlags zu erleichtern durch eine Art Hemmung der Ausdünstungs-Fähigkeit der Haut, um hiedurch die Thätigkeit derselben in wieder Hervorbringung des Ausschlags homöopathisch aufzuregen. Ich fand hiezu dienlich das Tragen eines Pflasters, meist auf dem Rücken (doch, wo es sich thun ließ, auch auf andern Haut-Stellen), welches bereitet ward mittels gelinden Schmelzens von sechs Unzen burgundischem Peche, worein (vom Feuer entfernt) dann eine Unze Lerchen-Terbenthin (Venedischer Terbenthin genannt) bis zur vollkommnen Vermischung gerührt und ein Theil davon auf sämisch gaares Ziegen-Leder (als das geschmeidigste) gestrichen und noch warm aufgelegt ward. Doch kann auch sogenanntes Baum-Wachs (aus gelbem Wachse und Kiefern-Terbenthin zusammengesetzt) dazu dienen; so auch Taffet mit elastischem Harze überzogen – zum Zeichen, daß keine positive Reizkraft der Masse an Hervorbringung des jückenden Ausschlags Schuld war; denn auch gedachtes Pflaster macht auf der Haut einer nicht psorischen Person weder Ausschlag, noch Jücken. Dieß war, wie ich sah, die wirksamste Methode, eine solche Thätigkeit der Haut zu erregen. Doch ward bei aller Geduld der Kranken (so psorisch krank sie auch im Innern waren) doch nie ein vollständiger Krätz-Ausschlag am wenigsten ein einige Zeit bleibender, wieder auf die Haut gebracht. Es blieb dabei, daß zuweilen einige jückende Blüthen erschienen, die aber gar bald wieder verschwanden, wenn das Pflaster von der Haut weggelassen ward. Oefterer erfolgte eine feuchtende Wundheit der Haut, oder, im besten Falle, bloß ein abendliches, mehr oder weniger heftiges Jücken, welches in seltnern Fällen sich auch auf die übrigen Theile des Körpers, die mit dieser Haut-Decke nicht belegt waren, verbreitete und dann allerdings eine auffallende Erleichterung selbst der schwersten, chronischen Krankheiten aus psorischer Quelle, z.B. Lungen-Eiterung, auf einige Zeit, zuwege brachte. – Aber theils war dieß auf der Haut vieler Kranken so weit nicht zu erreichen (es blieb oft bei mäßigem oder wenigen Haut-Jücken stehen), theils aber, wenn ich es auch zu einem hohen Grade von Jücken bringen konnte, war es dem Kranken doch oft allzu unerträglich, als daß er es eine, zur innern Kur hinreichende Zeit hätte aushalten können, und wenn dann das Pflaster zu seiner Erleichterung abgenommen werden mußte, so verging selbst das schlimmste Jücken, sammt dem noch gegenwärtigen Ausschlage, doch gar bald wieder und die Kur war wesentlich dadurch nicht gefördert worden – zur Bestätigung meiner obigen Aeußerung, daß der wieder hervorgerufene Ausschlag (und also eben so wenig das bloße Jücken) bei weitem nicht die volle Eigenschaft des zuerst vertriebnen, ursprünglichen Krätz-Ausschlags besitze, und daher auch zur wahren Beförderung einer gründlichen Heilung der Psora durch innere Arzneien wenig helfe, so wie auch dieß Wenige durch die oft unerträgliche Lästigkeit des künstlich hervorgerufenen Ausschlags und Haut-Jückens und die vom Jücke-Schmerz unzertrennliche Schwächung des ganzen Körpers vollends allen Werth verliert.

5 M.s. Organon der Heilkunst, 5te Aufl. §. 187-203.

6 Hier sind zur Erläuterung die Worte eines unpartheiischen und selbst praktischen Kenners der Homöopathie, des ungemein tief denkenden, vielseitigen Gelehrten und unermüdlichen Wahrheits-Forschers, Grafen Buquoy, in seinen Anregungen für ph. w. Forschung (Leipzig 1825. S. 386 u.f.) am rechten Orte. Nachdem er angenommen, daß ein schon im Normalbefinden die Symptome a, b, g – hervorrufendes Mittel, analog andern physiologischen Erscheinungen, die im abnormen Befinden sich aussprechenden Symptome α, β, γ dergestalt hervorrufe, daß die Krankheits-Symptome α, β, γ – in jene: a, b, g – umgestimmt werden, denen der Charakter der Vergänglichkeit, des Vorübergehens, zukomme – fährt er fort: »Dieser Charakter eines bloß vorübergehenden Zustandes erhält aber die, statt der (Krankheits-Symptomen-)Gruppe α, β, γ – hervorgerufene (Arznei-Symptomen-)Gruppe a, b, g – bloß dadurch, daß das Arzneimittel in außerordentlich kleiner Gabe des angezeigten Mittels angewandt wird. – Reicht der homöopathische Arzt zu große Gabe des homöopathisch angezeigten Mittels dem Kranken, so kann zwar dessen Krankheit, α, β, γ – in jene: a, b, g – umgewandelt werden; allein die neue Krankheit sitzt nun eben so fest, als vorhin jene α, β, γ – daher der Organismus sich eben so wenig von der Krankheit: a, b, gzu befreien vermag, als er im Stande war, die ursprüngliche Krankheit α, β, γ – zu verscheuchen. Wird wohl gar eine sehr große Gabe gegeben, so wird eine neue, oft sehr lebensgefährliche Krankheit erzeugt, oder – der Organismus thut sein Möglichstes, um sich recht schnell von dem Gifte zu befreien (mittels Durchfall, Erbrechen u.s.w.)«.

7 In geringer Gabe angewendet, unterläßt der Schwefel nicht, als eine zu den antipsorischen gehörige Arznei, einen kurzen Anfang zur Heilung der chronischen (unvenerischen, also Psora-) Krankheiten zu machen. Ich kenne einen Arzt in Sachsen, der sich einen großen Ruf bloß dadurch erworben, daß er, ohne zu wissen, warum er's that, bei fast allen chronischen Krankheiten schier allen seinen Recepten Schwefelblumen zusetzt, was im Anfange solcher Kuren auffallend gute Wirkung hervor zu bringen pflegt – doch, natürlich, bloß im Anfange, und dann geht auch seine Hülfe zu Ende.

8 Frisch entstandne Krätz-Krankheit mit ihrem noch gegenwärtigen Haut-Ausschlage heilte, ohne Zuthun eines äußern Mittel, zuweilen schon von einer sehr kleinen Gabe (gehörig potenzirter) Schwefel-Bereitung binnen 2, 3, 4 Wochen, einmal war hiezu die Gabe von 1/2 Grane millionfach potenzirter Holzkohle bei einer Familie von 7 Personen, und dreimal eine gleiche Gabe eben so hoch potenzirter Sepie völlig hinreichend.

9 Beschäftigungen, welche mehr diese oder jene Organe ihres Körpers, mehr diese als jene Funktionen ihres Geistes und Gemüths in Anspruch nehmen.

10 Ich enthalte mich, anzudeuten, mit welcher Anstrengung mittels unzähliger, sorgfältiger Beobachtungen, Nachforschungen, Ueberlegungen und abgeänderter Versuche ich binnen 11 Jahren endlich dahin gelangt sey, jene unermeßlich große Lücke im Gebäude der homöopathischen Heilkunst, die Heilung der zahllosen, chronischen Krankheiten, zu ergänzen und so die Segnungen dieser Kunst für die leidende Menschheit möglichst vollzählig zu machen.

11 Oft wollen sich Aerzte dadurch wichtig machen, daß sie den langwierig kranken Verheiratheten ohne Unterschied allen Beischlaf untersagen. Sind aber beide Theile zu demselben fähig und geneigt, so ist ein solches Verbot zum wenigsten lächerlich, da es in solchem Falle weder gehalten werden kann, noch gehalten wird (wenn nicht ein größeres Familien-Unheil daraus entstehen soll). Kein Gesetzgeber sollte etwas befehlen, was weder gehalten, noch kontrolirt werden kann, oder wohl gar größern Nachtheil bei der Befolgung nach sich zieht. Ist ein Theil von beiden unfähig dazu, so verbietet sich die Begattung von selbst. Unter allen Funktionen eines Ehepaares aber ist Begattung gerade diejenige, welche sich am wenigsten anbefehlen oder untersagen läßt. Bloß arzneilich greift die Homöopathie hier ein, um den unfähigen Theil antipsorisch (oder antisyphilitisch) dazu zu befähigen, oder den krankhaft lüsternen Gatten zum natürlichen Bedürfnisse herabzubringen.

12 Auch für ganz gesunde Menschen ist es unanständig und vielfach nachtheilig, puren Wein als gewöhnliches Getränk zu trinken, und nur bei Freuden-Festen in geringer Menge von der Sittlichkeit erlaubt. Der Jüngling kann seine lüsternen Begierden nicht bis zum Ehestande mäßigen, wenn er Trink-Gelage nicht gänzlich meidet; Tripper und Schanker datiren sich immer von einem solchen her.

13 Der Kranke müßte denn wenig oder gar keine Ursache zu seinem Grame oder Kummer, oder fast gar keine Veranlassung zu Aergerniß von außen her haben, folglich mehr auf seine Gemüths-Krankheit zu behandeln seyn mit den, auch seiner übrigen chronischen Krankheit angemessenen antipsorischen Mitteln – Fälle, die nicht nur heilbar, sondern oft sogar leicht heilbar zu seyn pflegen.

14 Jede solche Bade-Kur ist, selbst wenn das Wasser an sich dem Uebel nicht unangemessen ist, als Gebrauch großer, oft wiederholter Gaben einer und derselben heftigen Arznei anzusehen, deren stürmische Einwirkung selten zum Heile gereichen kann, dagegen oft zur Verschlimmerung des Krankheits-Zustandes, auch wohl zum Verderben ausschlagen muß.

15 Dagegen werden die fürchterlichsten, chronischen Krankheiten aller Art, welche aber durch keinen medicinischen Aberwitz verhunzt worden sind, bei armen Drescher- und Tagelöhner-Familien, zu denen sich begreiflich kein gewöhnlicher Arzt drängt, ganz gewöhnlich durch die antipsorischen Heilmittel, oft wie durch Wunder und in kurzer Zeit gehoben und in dauernde Gesundheit verwandelt.

16 Noch ist ein, nicht gar seltnes, aber stets unbeachtet gebliebenes Hinderniß homöopathischer Heilung chronischer Uebel zu nennen: Der unterdrückte Geschlechtstrieb bei mannbaren Personen beiderlei Geschlechts, theils wegen Nicht-Verehelichung aus verschiednen vom Arzte nicht zu beseitigenden Ursachen, theils wo bei Verheirateten der eheliche Umgang der schwächlichen Gattin mit ihrem kräftigen Manne, so wie dem schwächlichen Manne mit der kräftigen Gattin vom unverständigen Arzte unbedingt, gänzlich und auf immer untersagt worden war, wie nicht selten. Da wird der verständigere Arzt, die Umstände, sammt dem vom Schöpfer eingepflanzten Naturtriebe berücksichtigend, die zulässige Erlaubnis ertheilen und so nicht selten eine Menge hysterischer und hypochondrischer Zustände, ja oft Melancholie und Wahnsinn heilbar machen.

17 Derselbe Fall ist es, durch die Güte des weisen Einrichters der Natur, mit der Syphilis, wo nach örtlicher Zerstörung eines Schankers oder der Schooßbeule und nach drauf ausgebrochner Lustseuche, eine neue Ansteckung erfolgt ist. Da wird, während hier der Schanker noch unvertrieben dasteht, die neue Ansteckung sammt der Lustseuche aus der vorgängigen Ansteckung gewöhnlich durch eine einzige Gabe des besten Quecksilber-Präparats eben so leicht geheilt, als hätte man den ersten Schanker noch vor sich – vorausgesetzt, daß noch keine Komplikation mit einem der andern beiden chronischen Miasmen, namentlich des psorischen, zugegen ist, denn dann muß erst letzteres gehoben werden, wie oben gelehrt worden.

18 Ich habe diesen der Heilung sehr hinderlichen und daher nicht sorgfältig genug zu vermeidenden Unfall selbst erfahren, als ich die Sepie, noch unbekannt mit der Stärke ihrer Kräfte, in zu großer Gabe reichte, aber noch auffallender, als ich das Lycopodium und die Silicea noch in einer billionfachen Potenzirung, zu 4, 6 Streukügelchen (obschon von der Kleinheit des Mohnsamens), zur Gabe Kranke nehmen ließ. Discite moniti!

19 Ich habe z.B. in einem Falle, wo Sepie völlig homöopathisch antipsorisch für einen besondern in Anfällen erscheinenden Kopfschmerz sich gezeigt und das Uebel an Stärke und Dauer vermindert, auch die Pausen der Wiederkunft der Anfälle um Vieles verlängert hatte, als sie sich wieder zeigten, eine abermalige Gabe davon verordnet, welche die Anfälle 100 Tage aufhob (folglich so lange fortwirkte) bis sich wieder ein Wenig davon zeigte, was noch eine Gabe nöthig machte, nach welcher kein Anfall wieder, unter Fortdauer der übrigen vollkommnen Gesundheit, seit 7 Jahren erschienen ist.

20 Diese Angriffe kommen aber, wenn das Antipsorikum passend homöopathisch gewählt und die Gabe gehörig gemäßigt war, bei der fortgehenden Wirkung desselben immer seltner und seltner und eben so auch immer schwächer und schwächer, bei allzugroßer Gabe hingegen in den spätern Tagen, öfterer und zum Schaden des Kranken, immer stärker.

21 Die Vermeidung obgedachter beider Fehler wird schwerlich Eingang bei den Aerzten finden. Diese großen, reinen Wahrheiten werden selbst von den meisten homöopathischen Aerzten noch Jahre lang in Zweifel gezogen, und nicht genau in der Ausübung befolgt werden, ob der theoretischen Reflexion und des herrschenden Gedankens: »daß man sich schon sehr zu überwinden habe, um zu glauben, eine solche Kleinigkeit, eine so ungeheuer kleine Gabe Arznei werde überhaupt das Mindeste im menschlichen Körper wirken, geschweige denn gegen oft so ungeheuer große, langwierige Krankheiten, daß aber dem Arzte der Verstand still stehen müsse, wenn er glauben solle, jene ungeheuer kleine Gabe werde nicht nur etwa 2, 3 Tage, nein! 20, 30, 40 Tage und länger wirken und bis zum letzten Tage noch wichtige, unersetzlich wohlthätige Wirkungen hervorbringen.« Indeß gehört dieser wahre Satz nicht unter die zu begreifen seyn sollenden, noch auch zu denen, für welche ich blinden Glauben fordre. Ich fordre gar keinen Glauben dafür, und verlange nicht, daß dieß Jemanden begreiflich sey. Auch ich begreife es nicht; genug aber, die Thatsache ist so und nicht anders. Bloß die Erfahrung sagt's, welcher ich mehr glaube, als meiner Einsicht. Doch, wer will sich anmaßen, die unsichtbaren, im innern Schooße der Natur bisher verborgenen Kräfte zu wägen, oder sie in Zweifel zu ziehn, wenn sie nun durch eine neue, bisher unerfunden gewesene Verrichtung (dergleichen die bisher nach ihrer großen Wirkung nicht gekannte Potenzirung durch langes Reiben und Schütteln ist, wie jetzt die Homöopathie lehrt), aus dem rohen Zustande todt scheinender Substanz hervorgebracht werden. Wer sich aber deß nicht bescheiden und es daher nicht so nachthun will, wie ich hier nach langjähriger Prüfung und Erfahrung lehre – was wagt denn der Arzt, wenn er es genau so nachahmt? – wer es nicht genau so nachthun will, der kann auch diese große, größte Aufgabe der Kunst unaufgelöst, der kann die wichtigen, langwierigen Krankheiten auch ungeheilt lassen, wie sie bis zu meiner Lehre richtig ungeheilt geblieben sind. Mehr habe ich hierüber nicht zu sagen. Meine Pflicht däuchtete mir's zu seyn, die großen Wahrheiten der bedürftigen Welt zu übergeben, unbekümmert, ob man sich überwinden werde, darnach pünktlich zu handeln, oder nicht. Geschieht's nicht pünktlich, so rühme man sich nicht, mir nachgeahmt zu haben, und erwarte keinen guten Erfolg.

Oder will man keine Verrichtung eher nachahmen, als bis uns die dem Erfolge zum Grunde liegenden, wunderbaren Kräfte der Natur sichtlich vor die Augen gebracht und kinderleicht begreiflich gemacht worden sind? Würde es nicht thöricht seyn, das Feuer-Anschlagen mit Stahl und Stein gar nicht nachthun zu wollen, weil man nicht begreifen könne, wie in diesen Körpern so viel gebundener Hitzstoff verborgen seyn, oder dieser durch das Reiben beim Anschlagen so hervorgezogen werden könne, daß die durch den Schlag des harten Steins an dem Stahle herab abgeriebenen Stahl-Theilchen geschmolzen würden und als glühende Kügelchen den Schwamm zum Glimmen brächten? Und doch schlagen wir wirklich Feuer damit an, ohne jenes Wunder des im kalten Stahle verborgenen, unerschöpflichen Hitzstoffs, oder der Möglichkeit seiner Hervorlockung durch den Reibe-Schlag einzusehn oder zu begreifen! Eben so thöricht würde es seyn, als wenn man nicht schreiben lernen sollte, weil man nicht einsehn könne, wie ein Mensch dem andern seine Gedanken durch Feder, Tinte und Papier mittheilen könne – doch, siehe, wir theilen wirklich unsre Gedanken dem Freunde im Briefe mit, ohne dieses psychisch-physische Wunder begreifen zu können oder zu wollen! Warum sollten wir denn Anstand nehmen, die bittersten Feinde des Lebens unsrer Mitmenschen, die chronischen Krankheiten, auf angegebne, pünktlich befolgte, möglichst beste Weise besiegen und heilen zu wollen, wenn wir gleich nicht einsehen, wie die Heilungen auf diese Weise zugehen?

22 Und gleichwohl ist in neuern Zeiten viel Mißbrauch mit dieser unmittelbaren Wiederholung von Gaben derselben Arznei getrieben worden, weil es dem jungen Homöopathiker bequemer dünkte, die Anfangs homöopathisch passend gefundene und daher Anfangs dienlich sich erwiesene Arznei unbesehens zu wiederholen, selbst unbesehens öfters zu wiederholen, um desto geschwinder zu heilen.

Im Voraus also, wie so Viele in neuerer Zeit thaten, ja selbst in öffentlichen Blättern anriethen, dem Kranken mehre Gaben derselben Arznei mitzugeben, daß er sie auf eigne Hand in gewissen Zwischen-Zeiten nacheinander verbrauchen solle, ohne Bedacht zu nehmen, ob diese Wiederholung ihm übel bekommen könne, scheint eine sehr leichtsinnige Empirie zu verrathen und eines homöopathischen Arztes unwürdig zu seyn, der keine neue Gabe irgend einer Arznei nehmen lassen, oder reichen darf, ohne von ihrer Zweckmäßigkeit sich jedesmal vorher überzeugt zu haben.

23 Wenn er sie z.B. zuerst in der 30sten Kraft-Entwickelung ihm gegeben, nimmt er dafür nun etwa die 18te, und wenn die Wiederholung abermals dienlich und nöthig befunden würde, etwa die 24ste, weiterhin auch wohl die 12te oder 6te u.s.w., z.B. wenn die chronische Krankheit einen akuten Charakter angenommen hatte. Auch kann die Gabe einer Arznei durch einen wichtigen Fehler im Verhalten des Kranken plötzlich aufgehoben und vernichtet worden seyn, worauf dann vielleicht eine Gabe der vorigen, dienlichen Arznei wieder zu reichen wäre, unter obgedachter Bedingung.

24 In Fällen, wo der Arzt wegen des anzuwendenden homöopathischen Spezifikums gewiß ist, kann die erste feinste Gabe desselben auch in etwa 8 Loth Wasser mittels Umrührens aufgelöst und ein Drittel davon sogleich, das zweite und dritte Drittel aber morgen und übermorgen getrunken werden, doch nach jedesmal wiederholtem Umrühren, um die Kraft-Entwickelung noch beide Male um etwas zu steigern, folglich zu verändern. Hiedurch scheint das Mittel den Organism tiefer zu erfassen und so die Heilung zu beschleunigen, bei noch kräftigen, nicht allzu reizbaren Personen.

25 Daß der Krätzkranke bei einer solchen Kur die Anwendung jedes äußern Mittels, und wenn es auch unschuldig schiene, z.B. das Waschen mit schwarzer Seife, zu meiden habe, versteht sich von selbst.

26 Daß bei einer mit Bedacht geführten Kur jemals eine homöopathische, potenzirte Arznei-Gabe keine Wirkung thun sollte, halte ich für unmöglich, habe auch nie dergleichen erlebt.

27 Auch Personen, welche ohne Geruchs-Sinn geboren waren, oder ihn durch Krankheit verloren, haben vom Einziehn des Odems durch ein oder das andre Nasenloch, worein sie die Mündung des geöffneten Gläschens hielten und so etwas von dem aus demselben gehenden, unmerklichen Dunste einsogen, gleiche Hülfe zu erwarten, als die mit dem feinsten Geruchs-Sinne Begabten. Es folgt hieraus, daß schon die bloß tastgefühligen Nerven den heilkräftigen Eindruck annehmen und auf das ganze Nervensystem unaufhaltbar fortpflanzen.

28 Keine, auch noch so schädliche alte Einführung im Volke läßt sich plötzlich abstellen. So kann auch der homöopathische Arzt nicht umhin, einen neuen chronischen Kranken täglich wenigstens ein Pülverchen einnehmen zu lassen – (der Abstand gegen das allöopathische viele Arznei-Geben bleibt doch noch immer sehr groß). Bei diesem täglichen Einnehmen eines Pülverchens nach der Nummer ist es eine große Wohlthat für den armen, oft von Verleumdern der bessern Heilkunst eingeschüchterten Kranken, daß er weder wisse, ob in jedem Pulver eine Arznei-Gabe sey, noch auch, in welcher? Wüßte er das letztere, und wüßte, daß die heutige Nummer die Arznei enthielte, von welcher er so viel erwartet, so würde ihm oft seine Phantasie einen übeln Streich spielen und er sich einbilden, Empfindungen und Veränderungen in seinem Körper zu fühlen, die nicht da sind, eingebildete Symptome aufzeichnen und in steter Gemüths-Unruhe schweben, statt daß, wenn er täglich einnimmt und täglich keine bösen Angriffe auf sein Befinden bemerkt, er gleichmüthiger wird (durch die Erfahrung belehrt), nichts Arges mehr erwartet und gelassener die wirklich empfundenen Veränderungen in seinem Befinden ruhig bemerkt und so seinem Arzte nur Wahrheit berichten kann. Deßhalb ist es sehr gut, daß er täglich einnehme, ohne zu erfahren, ob in allen oder in einem gewissen Pulver Arznei für ihn vorhanden sey, und so beim Einnehmen des heutigen Pulvers nicht mehr erwarte, als vom gestrigen, oder vorgestrigen.

29 Auf die Redlichkeit und Kunst ihres Arztes fest bauende langwierig Kranke lassen sich es ohne Bedenken gefallen, alle 2, 4, 7 Tage – je nach der Gesinnung eines Jeden – mit einer solchen Gabe Milchzucker fürlieb zu nehmen, und behalten dennoch ihr Vertrauen unverrückt bei, wie auch billig und verständig ist.

30 Es gab ängstliche Puristen, welche befürchteten, daß auch der reine Milchzucker theils für sich, theils durch langes Reiben verändert, arzneiliche Wirkungen haben könne. Dieß ist aber, wie ich mich durch genaue Versuche überzeugt habe, eine leere, ganz ungegründete Furcht. Des rohen, reinen Milchzuckers kann man sich zur Nahrung bedienen und ihn in ziemlicher Menge genießen, ohne Aenderung eines gesunden Befindens, und so auch den stark geriebenen. Um aber zugleich die ebenfalls von einigen Hypochondristen geäußerte Furcht zu vernichten, daß durch langes Reiben des Milchzuckers allein, oder bei Potenzirung der Arzneien, sich auch etwas vom Porcelan-Mörser abreibe (Kieselerde), was, eben durch dieß Reiben potenzirt, zu heftig wirkender Silicea (./I) sich erhöhen müsse – ließ ich in einer ganz neuen, am Boden matt geschliffenen porcelanenen Reibeschale mit einem neuen porcelanenen Pistill, unter meinen Augen, 100 Gran reinen Milchzucker, in Portionen von 33 Gran achtzehn Mal sechsminütlich stark reiben und eben so oft vierminütlich mit dem porcelanenen Spatel dazwischen aufscharren, um durch dieß dreistündige starke Reiben eine Arzneikraft, entweder des Milchzuckers oder doch der angeblich abgeriebenen Kieselerde oder beider zu erlangen; aber mein Präparat war so indifferent und unarzneilich geblieben, wie der rohe, bloß nahrhafte Milchzucker an sich, wie ich in Versuchen an äußerst empfindlichen Personen mich überzeugt habe.

31 Gewöhnlich erscheinen die herumgehenden Zwischenkrankheiten in Gestalt eines Fiebers, welches (wenn es nicht die ständigen Miasmen, Pocken, Masern, rothe Ruhr, Keichhusten u.s.w. sind) immer von anderer Art, ein akutes anhaltendes, oder ein schleichend nachlassendes, oder ein Wechselfieber ist. Die Wechselfieber erscheinen fast jedes Jahr in einer etwas abgeänderten Gestalt. Seit ich die langwierigen Krankheiten und Siechthume durch homöopathische Vernichtung ihrer psorischen Quelle heilen lernte, fand ich die epidemisch herumgehenden Wechsel-Fieber fast jedes Jahr in ihrem Charakter und in ihren Symptomen verschieden, daher auch fast jedes Jahr durch ein andres, verschiednes Arzneimittel specifisch heilbar; das eine Jahr mit Arsenik, ein andres, mit Belladonne, oder mit rohem Spießglanz, mit Spigelie, Akonit, mit Ipekakuanha abwechselnd Krähenaugen, Salmiak, Kochsalz, Mohnsaft, Cinasamen allein oder mit Kapsikum abwechselnd, oder mit Kapsikum allein, mit Bitterklee, Kalkerde, Pulsatille, einer der beiden Kohlen, Arnika allein, oder mit Ipekakuanha abwechselnd u.s.w. in wenigen Tagen heilbar. Doch will ich auch keine der übrigen unantipsorischen Arzneien, wenn sie nur homöopathisch für den ganzen Complex der Symptome des herrschenden Fiebers, im Anfalle sowohl als in der Apyrexie (s. von Bönninghausen, Versuch e. hom. Therap. d. Wechselfieber, 1833. Münster), angezeigt sind, ausschließen, doch fast stets die Chinarinde; denn diese kann nur, in vielen, großen Gaben, selbst in konzentrirter Gestalt (Chinin) gereicht, ihren Typus unterdrücken und sie in eine China-Kachexie umwandeln, die schwer wieder zu heilen ist. (China paßt bloß für die in Sumpf-Gegenden endemischen Wechselfieber, die von ihr, doch nur in Verbindung mit antipsorischen Mitteln, richtig geheilt werden.) Auch zu Anfange der Kur eines epidemischen Wechselfiebers giebt der homöopathische Arzt am sichersten zuerst jedesmal eine feine Gabe Schwefel oder in geeigneten Fällen, Schwefelleber in einem feinen Kügelchen oder mittels Riechens und wartet die Wirkung davon einige Tage ab, bis die Besserung davon still steht, und dann erst giebt er das für die dießjährige Epidemie passend homöopathisch befundene, unantipsorische Arzneimittel in einer oder zwei feinen Gaben (doch jedesmal nur nach Endigung des Anfalles). – Weil bei allen Wechselfieber-Kranken jeder Epidemie Psora hauptsächlich mit im Spiele ist, wird zu Anfange jeder Heilung eines epidemischen Wechselfiebers eine feine Gabe Schwefel oder Schwefelleber wesentlich nothwendig und so die Herstellung des Kranken desto sichrer und leichter.

32 Die, wenn sie in einiger Menge zum Vorschein kommen, von den Schriftstellern scabies spontanea (von selbst entstandne Krätze) benannt werden – ein wahres Hirngespenst und Unding, da, so weit die Geschichte reicht, keine Krätze anders als durch Ansteckung erfolgte, und nun nicht wieder von selbst entstehen kann ohne Ansteckung mit Krätzmiasm. Die obige Erscheinung hingegen nach akuten Fiebern ist nichts anders, als der oben oft erwähnte sekundäre Ausschlag von der im Innern, nach Vertreibung (oder seltnern, allmähligen Selbst-Verschwindung) des anfänglichen Krätz-Ausschlags von der Haut, schlummernd und latent zurückgebliebnen Psora – ein Ausschlag, welcher oft sehr schnell die Haut wieder von selbst verläßt, und von welchem auch noch nicht bewiesen worden ist, daß er andre Personen mit Krätze ansteckt.

33 Vermuthlich weil sie eine, die Lebenskraft des Organismus (welche in gewöhnlicher Gesundheit die zum empor Wuchern stets strebende innere Psora niederzuhalten fähig ist) gleichsam lähmende und daher zu Faul- und Nerven-Fiebern disponirende Eigenschaft besitzen.

34 So sprossen auch aus einem Wasser-Polypen, dem man auch mehre Arme abgeschnitten hatte, mit der Zeit immer wieder neue hervor.

35 Nur ein gewöhnlicher, unwissender Kurirer kann leicht versprechen, eine schwere, langwierige Krankheit in 4, 6 Wochen zu heilen. Er braucht's ja nicht zu halten! Was wagt er denn damit, wenn's, wie natürlich, bloß schlimmer bei seiner Kur wird? Kann er verlieren? An Ehre nicht! denn seine, ihm ähnlichen Kollegen machen's nicht besser. Aber an Gewissen? Sollte er daran noch zu verlieren haben?

36 Es ist unbegreiflich, wie es den allöopathischen Aerzten in den Sinn kommen konnte, unter fortwährender angreifender und schwächender Behandlung chronische Krankheiten heilen zu wollen, ohne sich von dem stets schlechten Erfolge abhalten zu lassen, diese verkehrte Behandlung immerdar zu wiederholen. Ihre dazwischen gegebnen amara sammt der Chinarinde fügten immer, ohne die verlornen Kräfte wieder ersetzen zu können, nur noch neue Uebelstände hinzu.

37 Das Bezeichnen der Pulver mit fortlaufenden Zahlen hat die Bequemlichkeit, daß der Arzt, wenn der, besonders entfernte Kranke seinen Tages-Bericht, unter Voraussetzung des Datums und der Nummer des den Tag früh eingenommenen Pulvers, überliefert, den Tag, wo der Kranke seine Arznei einnahm, erkennen, und den Wirkungs-Gang davon nach dem der folgenden Tage beurtheilen und ermessen könne.

38 Soll die Gabe stärker wirken, so rührt man sie in etwas mehr Wasser bis zu deren Auflösung, ehe man sie einnimmt, und in noch mehr Wasser, wenn sie noch stärker wirken soll, und dann läßt der Arzt diese Auflösung auch wohl nur theilweise, erst auf mehre Male austrinken. Läßt er diese Auflösung auf 2, 3 Mal in eben so viel Tagen austrinken, so muß sie nicht bloß das erste Mal, sondern auch die andern beiden Male wieder umgerührt werden, wodurch jeder solcher aufs neue umgerührte Theil einen etwas andern, höhern Potenz-Grad erhält und so williger von der Lebenskraft aufgenommen wird. Mehre Tage von derselben Auflösung einnehmen zu lassen, ist nicht zu rathen, da das Wasser zu faulen anfängt, länger aufgehoben. Wie die Gabe zum Riechen zu allen Graden von Stärke einzurichten sey, habe ich weiter oben gesagt.

39 Bei einer solchen krankhaften Beschaffenheit des Monatlichen richtet man in der Kur chronischer Krankheiten ohne gedachten Zwischen-Gebrauch der Krähenaugen nichts aus, welche hier specifisch die durch einen so ungeordneten Regel-Abgang stets entstehende Disharmonie in den Funktionen der Nerven wieder in Einklang bringen und so diese Ueberempfindlichkeit und Ueberreiztheit stillen können, die der heilsamen Einwirkung der antipsorischen Mittel ein unübersteigliches Hinderniß in den Weg legen.

40 Auf welche gewissere Weise ließe sich wohl z.B. die Wiederkehr des Abortirens, welches fast einzig in der Psora seinen Grund hat, verhüten, und zwar dauernder verhüten, als durch eine zweckmäßige antipsorische Behandlung vor oder doch in der Schwangerschaft? Auf welche zuverlässigere Art ließen sich wohl die, auch bei richtiger Kindes-Lage und natürlich erfolgter Geburt nicht selten gefährlichen, auch wohl tödtlichen Zustände der Mutter im voraus hinwegräumen, als durch die zeitige, antipsorische Behandlung der Schwangern? Selbst die unrichtige Lage des Kindes hat, wo nicht immer, doch höchst oft, ihren einzigen Grund in der psorischen Kränklichkeit der Mutter, und der Wasserkopf des Kindes und andre körperliche Fehler desselben, gewiß! Nur die antipsorische Behandlung des kränklichen Eheweibes, wo nicht eher, doch wenigstens in der Schwangerschaft, vermag die Untüchtigkeit der Mutter, selbst zu säugen, oft im voraus hinwegzuräumen und beim Säugen die so häufigen bösen Brüste, das wund Saugen der Warzen, die häufige Neigung zur rothlaufartigen Entzündung der Brüste und ihrer Abscesse zu verhüten, so wie die Blut-Abgänge aus der Bährmutter beim Kinder-Stillen.

41 Doch findet auch nicht selten der gerade umgekehrte Fall statt, daß das außer der Schwangerschaft stets kränkelnde, oft ununterbrochen kranke Weib während jeder Schwangerschaft und nur in solcher sich ungewöhnlich wohl befindet. Und hier ist wiederum die Zeit der Schwangerschaft sehr wohl zur antipsorischen Heilung zu benutzen, die dann gegen die erinnerlichen Symptome des Krankheits-Zustandes vor der Schwangerschaft gerichtet wird.

42 Dieß ist Anfängern und Lehrlingen wohl zu verzeihen; aber wenn sie sich unterstehn, mit dieser Anfängerschaft sich zu brüsten, und den Beigebrauch der Aderlässe und Blutegel für unerläßlich, ja für vorzüglichere Homöopathik in öffentlichen Blättern und Büchern ausschreien, dann werden sie lächerlich und sind ihrer Stümperei und ihrer Verblendung wegen zu bedauern, wie auch ihre Kranken zu bedauern sind. Hindert sie Faulheit, oder stolze Vorliebe für ihren alten (obschon verderblichen) allöopathischen Schlendrian, oder, wie oft, Mangel an Menschenliebe, durch tieferes Eindringen in die wahre, wohlthätige Homöopathie und die zwar mühsame, aber richtige und hülfreiche Wahl des jedesmal specifisch homöopathischen Heilmittels zu jener, nicht mehr seltnen Meisterschaft in der Homöopathik sich zu erheben?

43 Wasser von dieser und tieferer Temperatur besitzt in der Erstwirkung die Kraft, die Theile des lebenden Körpers auf kurze Zeit theils gefühl-, theils bewegungsloser zu machen, und so hier lokale, homöopathische Beihülfe zu leisten.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Die chronischen Krankheiten. 5 Bände, Bd. 1, Dresden, Leipzig 21835, S. 119-177.
Lizenz:
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